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Do, 2.4.15Am Gründonnerstag machen sich vier unerschrockene Radler ohne die Tourleitung im Süden Berlins auf den Weg. Trotz teilweisen Weltunterganges tagsüber scheint am späten Nachmittag die Sonne. Der Ehrgeiz, dieses Mal ganz ohne ÖPNV anzureisen, ist groß.
Im Süden unmittelbar vor Berlin ist es schon ganz schön langweilig. Plattes Land ohne große Abwechslung und eine ziemlich unfreundliche Bevölkerung.
Nun ja, den Berlinern eilt zwar auch nicht gerade der Ruf der Frendlichkeit voraus, aber Brandenburg kann das noch toppen. Gut, es war auch ziemlich unverschämt von uns, um 17:45 Uhr beim Fleischer noch eine warme Bockwurst zu wollen. Da kann man auch nichts anderes erwarten, als dass man mit den Worten
"Na jetzt mach' ick keene mehr warm!" kurz und bündig abgekanzelt wird. Wo kommen wir denn da hin, wenn einfach jemand 15 min vor Ladenschluss hereinspazieren würde und gar noch was kaufen will!
Das Wetter und der Wind meinen es gut mit uns. Es schiebt ordentlich von hinten. Und ganz nebenbei schiebt es auch die Regengebiete links und rechts an uns vorbei. So kommen wir in einigermaßen flottem Tempo bis zum Zeltplatz in Teupitz. Der dortige Chef sticht positiv heraus, weist uns eine Wiese zu, zeigt uns den Weg zur nächsten Kneipe, lässt einen Stapel Duschmarken da und meint, alle Formalitäten können wir morgen regeln. Na also!
Als wir gerade anfange wollen, die Zelte aufzustellen, bricht ein Hagelschauer vom Feinsten los. (Die weißen Punkte auf dem Bild sind die vom Blitzlicht angeleuchteten Körner.) Also gehen wir erst mal ein Bier trinken. 10 min später ist wieder das schönste Wetter, die Zelte werden aufgestellt und es geht auch bald ab in die Heia.
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Fr, 3.4.15Am nächsten Morgen liegt ein wenig Schnee auf den Zelten. Alle haben gut geschlafen, es geht ans Kaffeekochen und Frühstücken. Der Tourleiter trifft mit Begleitung ein, so dass wir nun insgesamt zu sechst sind. Aufgrund der Kälte gehts dann auch relativ bald los.
Der Wind meint es auch heute relativ gut, es bläst aus Nordwesten, während wir nach Südosten fahren. Lange halten wir das aber nicht durch, denn...
...in Lübben warten der erste Bäcker auf uns. Die Kuchen werden streng nach Farbe und Ästhetik ausgesucht.
Auch hier ist die Bedienung seltsamerweise ganz unbrandenburgisch freundlich und flink. Offenbar sind wir mittlerweile weit genug weg von Berlin. Frisch gestärkt geht es in den Spreewald hinein.
Man kann dem alten Fontane so einiges nachsagen... Geschrieben hat er zwar gut...
...aber vom Radfahren hatte er ganz offensichtlich keine Ahnung. Zumindest scheint er nie selbst hier langgefahren zu sein.
Oder handelte es sich etwa um eine Fehlinterpretation Fontanes seitens der Toureleitung?
Mir zumindet hat der Weg ziemlich gut gefallen, auch wenn ich nicht 130 km so fahren möchte.
Nachdem ein Forist den Weg schiebend zurücklegte und ein anderer beinahe ins Wasser gekippt wäre (und ich die Kamera in dem Moment NICHT griffbereit hatte), besserten sich sowohl der Weg...
...als auch das Wetter.
Die nächste Station war Cottbus.
Die einheimische Bevölkerung durfte mal richtige Fahrräder bewundern. Wir saßen in der prallen Sonne auf dem Marktplatz und ließen es uns gut gehen.
Pünktlich mit dem Zusammenpacken und Losfahren fing es an zu regnen. Aber was solls, wir wussten ja, worauf wir uns eingelassen haben. Ist das Gottes Rache dafür, dass ich mir eine wasserdichte Kamera gekauft habe?
Nach kurzer Zeit...
...sah es dann wieder so aus. Die Sonne glitzerte in tausenden Wassertropfen, die an den noch kahlen Bäumen hingen.
Im weiteren Verlauf gab es den kurzzeitigen Versuch einer Meuterei, der jedoch von einem liebenswürdigen Pensionsvermieter mit einem knappen
"Wir sind komplett ausgebucht!" alle Fenster waren dunkel und auf dem Parkplatz war kein Auto zu sehen...
vereitelt wurde. Also hieß es doch noch mal die Beine in die Hand zu nehmen, um zum Zeltplatz zu kommen.
Das Wetter wurde immer besser. Bei 2°C und Regen gab es keine Probleme mehr mit den Mücken, keine herumfliegenden Pollen und mit zunehmender Dunkelheit auch keine Gefahr des Frühjahrssonnenbrandes...
"Und dann nehmen wir noch diese kleine Abkürzung..." - für manch einen war die wohl zu lang. Naja, es war auch schon spät. Und ein wiedermal überaus freundlicher Brandeburger schloss uns auf dem Zeltplatz eine Hütte auf.
Eigentlich war noch geschlossen, er ist aber extra für uns herausgefahren.
Und er hatte Bier dabei.
Das Stromkabel war kapputt, die Hütte war eng, Heizung gabs nicht - aber besser als im Zelt wars allemal. Und lustig und gemütlich mit Teelicht, Stirnlampe und Campingkocher. Beim Zubettgehen zeigen die Fahrradtaches draußen übrigens schon -3°C an....
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Sa, 4.4.15Jetzt sehen wir unsere Hütte mal bei Licht, das scheint eine Art Wohnwagen zu sein. Es ist strahlend blauer Himmel, die Sonne taut die über Nacht steifgefrorenen Zeltplanen schnell auf. Beim Frühstück referiert die Tourleitung darüber, dass es keinen schlechteren Start in den Tag gibt, als einen Schleicher im Reifen über Nacht, den man erst nach dem Beladen des Fahrrades mitbekommt.
Sprach's... und prompt gab es nach 532 gefahrenen Metern die erste Zwangspause.
Nachdem es dann endlich weiterging, waren wir...
...im Prinzip schon wieder zu Hause. Der Forist, der sich schon auf einen zünftigen Döner Kebab gefreut hatte...
...wurde durch diesen irreführenden Ortsnamen leider enttäuscht. Gut zu sehen: wir fahren in das Siedlungsgebiet der Lausitzer Sorben ein. Die Schilder sind von nun an zweisprachig (Türkendorf - Zakrjow bzw. Stadt Spremberg - Město Grodk).
Nach einem letzten Blick auf die Spree geht es am Kraftwerk Schwarze Pumpe vorbei in das ehemalige Braunkohlegebiet.
"Bóh knjeze stworil Lužicu, a cert jej zdaryl brunicu." "Der Herrgott schuf die Lausitz und der Teufel gab ihr die Braunkohle." Sorbisches Sprichwort
Der Ursprung dieses Sprichwortes ist gut zu sehen. Einmal komplett wurde die Landschaft umgepflügt, viele Dörfer mussten weichen. Und ausgerechnet dort wurde die niedersorbische Sprache gesprochen, die heute (im Gegensatz zum Obersorbischen) vom Aussterben bedroht ist.
Mittlerweile ist bzw. wird die Landschaft renaturiert. Große Seen wurden angelegt, die jedoch noch nicht ganz vollgelaufen sind. In ein paar Jahren wird man hier hoffentlich am Strand liegen und baden können, aber im Moment darf man noch nicht ran.
Rund um die Seen gibt es frisch aufgeforstete Kiefernwälder, die von autofreien Asphaltbändern durchzogen werden. Brandenburg meint es ernst mit dem Fahrradtourismus.
Die Landschaft ist von einer eigenartigen, teils bizzarren Schönheit und weckt in mir Gedanken an Sibieren (keine Ahnung warum, ich war noch nie in Sibieren).
Offenbar hat der Teufel nicht nur die Braunkohle erschaffen, sondern auch den Sand verhext.
Beim Runterschalten verklemmt sich meine Kette derart zwischen den Kettenblättern, dass sie nicht nicht mehr herauszupopeln ist.
Es führt kein Weg daran vorbei, das kleine Kettenblatt abzubauen.
Immerhin darf ich vor dieser tollen Kulisse in der prallen Sonne basteln, das hat was.
Nicht immer nur im Sattel sitzen und zu treten, tut mal ganz gut.
Und ein kühles Bier findet sich sogar auch noch in der Radtasche.
Auch heute werden die Ziele der Tourenleitung wieder sabotiert, diesmal erfolgeich.
Wir kürzen die Strecke und steuern den Silbersee ca. 15 km östlich von Hoyerswerda an.
Jetzt hat sich mir endlich erschlossen, warum Hoyerwerda umgangssprachlich Hoywoj heißt. Auf dem Ortsschild stehen der deutsche Ortsname Hoyerswerda und der sorbische Ortsname Wojerecy direkt untereinander. Na, klingelt's?
Auch hier wieder eine freundliche Dame am Telefon, die meint, ihr Campingplatz habe zwar noch zu, aber sie käme gern raus und schließt für uns auf. Naja, wir sind ja auch schon in Sachsen.
Es gab noch allerhand zu sehen unterwegs. Mittlerweile sind wir im Kernsiedlungsgebiet der (Ober-)Sorben (das Dreieck Bautzen - Hoyerswerda - Kamenz).
Zum Baden war es zu kalt, und außerdem hatten alle Hummeln im Hintern, weil nämlich...
...diese schwarze Wand von links nach schräg herangezogen kam. Im kleinen Ort Wittichenau (Kulow) stellen wir uns rechtzeitig unter. Dann geht für 5 min die Welt unter...
Weitere 5 min später ist wieder ein Wetterchen zum Eierlegen.
Die Aussichen auf Hütte, Essen, Bier und Dusche spornen zu sportlichen Höchstleistungen an, und so geht es über nasse Straßen in Richtung Silbersee (einen Schatz gabs leider nicht...
).
Das ist das Schmuckstück, in dem wir die Nacht verbringen dürfen. Diesmal gibts Heizung, Strom und Licht. Sogar eine Küche ist vorhanden. Bequem ist es ja, aber in der Rückschau war die letzte Hütte irgendwie cooler. Das ist was, was man seinen Enkeln noch erzählen kann, während so eine beheizte Finnhütte ja nun jeder kann...
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Nach dieser Nacht trennen sich unsere Wege. Ich fahre weiter in Richtung Neiße, die anderen nach Berlin.
Gruß
Thoralf