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#886731 - 30.11.12 23:14
Korsika 2012
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Themenersteller
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Beiträge: 17.281
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Dauer: | 1 Monat, 1 Tag |
Zeitraum: | 22.6.2012 bis 22.7.2012 |
Entfernung: | 2516 Kilometer |
Bereiste Länder: | |
TOUR DE CORSE 2012Total: 31 Tage (30 Fahrtage) | 2516 km | 37950 Hm* | 121 Pässe | ca. 3100 Fotos (brutto) Ø-Werte: 84 km/d | 12,7 km/h | 6:39 h/d | 1265 Hm/d (jeweils bzgl. Fahrtage) InhaltsverzeichnisEinführung I – Routenwahl, An-/Abreise, Wetter, Schlafen (gleich hiernach) Einführung II – Essen & Trinken, Diverses, Pech & Pannen, Karten & Straßen1. Prolog: Esterel-Massiv2. Nordwest: Balagne mit Calvi; Exkurs (E) Polyphonie3. Zentrum: Monte Cinto, Gravone, Prunelli; E: Unabhängigkeit 14. West: Ajaccio – Porto mit Hinterland5. Zentrum: Corte, oberes Taravo; E: Topographie, Unabhängigkeit 26. Südwest: Prunelli, Ornano, Taravo, Sartenais; E: Vendetta7. Süd: Sartène, Bonifaci, Porto Vecchio; E: Kunstoase8. Alta Rocca, Bavella, Fiumorbo, Plaine Orientale9. Nordost: Bozio, Castagniccia, Casinca; E: Unabhängigkeit 3/4, Kastanie10. Nordost: Cap Corse, Bastia; E: Fußballgeschichte, Torregiana11. Nebbio, Region Bastia; E: Gitarrenfestival & Weingüter Patrimonio12. Epilog Rund um Firenze; Ode an KorsikaEINFÜHRUNG & ÜBERSICHTZusätzlich zu der zweiteiligen Einführung mit einigen Erklärbildchen folgen noch 12 regionale Blöcke mit den Etappen und jeweils einer Bildergalerie. Damit setze ich meine Gliederungsstruktur vergangener größerer Reiseberichte fort, die einerseits das Lesen und Bilderschauen in gut verdaulichen Kapiteln erleichtern und andererseits das Gefühl für die regionalen Unterschiede im Reiseland stärken soll. Die einzelnen Teile werde ich in möglichst überschaubaren Abständen nachschieben. Der erste und letzte Teile betreffen Warteschleifen auf dem Festland im Zuge der An- und Abreise. Wer sich nur für Korsika interessiert, kann die Eintageskapitel 1 und 12 also auslassen. Die opulenten Bildergalerien erlauben zu guten Teilen das visuelle Nachfahren der Reise. Für einige Bilder habe ich weitere Gestaltungsmittel aus dem „künstlerischen“ Fotobearbeitungskasten verwendet um Stimmungen und Bildaussagen zu verstärken. Dabei wiederholen sich zuweilen auch Motive in Varianten. In jedem Bild weilt ein Moment der Muse, ein Moment der Schönheit oder der Verderbnis, ein Seufzer, ein Staunen, ein Gedanke, ein Atemhauch, eine Illusion, ein Träumer(sic!)blick oder oder... Es ist mein persönliches Bilderbuch der Reise. Ich bitte um Nachsicht, wenn das nicht allen gefallen sollte. Beachtet auch, dass einige spezielle Effekte nur wirken, wenn die gegebene Bildfolge eingehalten wird. Es ist eine Einladung zu einer virtuellen Reise eben, die auch ein wenig Muße vom Betrachter verlangt – nicht unbedingt für die „One klick only“-Fraktion geeignet. Damit sich kein rastloser Muss-alles-gesehen-haben-Fetischist ärgern muss, gebe ich die zu erwartende Bilderzahl vor jeder Bildergalerie an. Es kann dann jeder entscheiden, ob er genügend Zeit hat, bis die Pizza aus dem Ofen kommt oder der Chef um die Ecke lugt. Tourgedanke und RoutenwahlIm Gegensatz zum letzten Jahr hatte ich meine Reise weniger gut vorbereitet. Die letzten Etappen habe ich noch auf der Anreise im Zug ausgearbeitet. So wusste ich gar nicht recht, ob ich zu wenig oder gar zuviel Zeit für die Reise haben würde. Am Ende ist es ja immer zu wenig Zeit, denn gerade Korsika ist ein Ort, in dem die Entschleunigung ein Teil des alltäglichen Lebens ist. Die Orte des Genießens sind so zahlreich, dass man eher zu kurze als zu lange Etappen fahren müsste. Wer nach Korsika mit dem Anspruch fährt Strecken- oder Höhenmeterrekorde zu brechen, der sollte sich besser nach anderen Zielen umschauen. Etappen über 100 km machen selten Sinn, weil man sonst die Charakteristik der Regionen nicht erlebt. Dazu muss man rasten und innehalten – mit dem Blick auf Berge und Meer, bei Sonnuntergängen verweilend, der Stille lauschend, flanierende Menschen in quirligen Gassen beobachten oder die Sinne in einem der sommerlauen Freiluftkonzerte bereichern. Mein 84-km-Durchschnitt ist eher zu hoch gewesen. Immerhin kann ich beanspruchen, mich bereits auf gefahrene Strecken zu berufen. Denn Korsika 2012 war bereits meine zweite Korsika-Radreise – 3 Wochen verbrachte ich bereits 1999 dort – es war sogar meine erste echte Radreise – gewissermaßen als Spätberufener in Sachen Packeselnomade ( bilderloser Bericht Korsika 1999). Die damalige Tour war im Schwerpunkt eine Inselumrundung – mit wenigen Inlandsabstechern. Insofern sollte die neue Tour den Schwerpunkt auf das Inland legen, aber auf eine Wiederholung einiger Meersrecken wollte ich auch nicht verzichten. Es ist ja gerade die Faszination monti e mare, die Korsika auszeichnet. Neben gewünschten Wiederholungen gab es zwingende, weil sich anders verschiedene Inlandsrouten in einem Rundkurs nicht kombinieren ließen. So konnte ich beispielsweise die eher ungeliebte Route an der Südküste nicht vermeiden, derweil ich Bonifacio und die Strände im Südosten nochmal besuchen wollte. Neben dem Schwerpunkt Berge im Landesinneren (Bild: Bergerie im Restonica-Tal) mit dem Ziel, eine möglichst große Anzahl von Pässen abzuradeln, war die Reise auch eine Hommage an die korsischen Dörfer. Anders als auf dem französischen Festland – etwa als Paradebeispiel das Elsass – gibt es hier keine pittoreske oder gar spektakuläre Architektur zu bewundern. Doch hat jedes Dorf seine speziellen, nahezu unscheinbaren Charme (Bild: Vescovato in der Casinca). Diesen zu entdecken bedarf des ruhenden Auges des Reisenden – ein weiterer Grund, das schnelle Streckenabradeln auf Korsika zu vermeiden. Mit der Hommage an die Dörfer möchte ich aber nicht alle konservativen Mentalitäten ihrer Bewohner gut heißen – dazu vielleicht später mehr. Nichtsdestotrotz wollte ich die meisten Städte auch wieder sehen, auch sie sind ja Herzstücke der Insel. Mit Ausnahme von Corte kannte ich bereits alle größeren Städte. Nicht mehr besucht habe ich hingegen Ajaccio, das gemeinhin die architektonisch die unattraktivsten der korsischen Städte ist. Die Hauptstadt und auch größte Stadt der Insel ist zudem ungenehm zu beradeln. Wer das erste Mal in Korsika ist, wird vielleicht doch einen Blick in die Napoléon-Stadt werfen wollen. Sinnvoll in erster Linie aber nur, wenn Shopping, Museen oder Festivals mit auf dem Plan stehen. An der Agglomeration Ajaccio kam ich allerdings nicht ganz vorbei – allerdings durchfuhr ich den kritischen Abschnitt in dunkler Nacht – dort wusste ich, nichts landschaftlich Bedeutsames zu versäumen. Nicht so geplant, letztlich aber erstaunlich gut gelungen, war die Abfolge der jeweiligen Regionen. Natürlich sind meine Regionalblöcke nicht exakt – immer wieder überfahre ich auch Grenzen zu anderen Regionen. Doch sind die Regionalblöcke im Schwerpunkt richtig angegeben. Manche der offiziellen Regionen sind durch ihre Längsausrichtung landschaftlich sehr heterogen und in einem Rundkurs nicht wirklich nachfahrbar, andere sind wenig nachvollziehbar (West/Südwest). Insofern unterteile ich teils in Regioblöcke nach Himmelsrichtungen und Landschaftstypen, andere in die offiziellen Regionen. Ein weiteres Problem war, die Hochgebirgsregion im Inselinneren samt seiner Täler ohne Wiederholungen zu erkunden. Zum einen gibt es einige Stichtäler, die man nur hin und zurück fahren kann (Asco-, Restonica-Tal, Val d’Ese). Zum anderen konnte ich die beiden Ausfahrten aus dem Hochgebirge nach Südwesten und die Westroute über den Col de Vergio zur Calanche nur durch die doppelte Passage über Corte abradeln. Zusammen mit der Fahrt ins Restonica-Tal kam ich also gleich dreimal durch bzw. an Corte vorbei. Umso erstaunlicher ist wohl, dass ich keinen einzigen Abend in Corte (Bild) verbrachte – im Rückblick eine eher unglückliche Entscheidung (vgl. Kap. 5). Um eine Übersicht zu erhalten sei diese Regionenkarte angezeigt. Diese fasst allerdings die detaillierten Regionen teils zusammen, was üblicherweise immer wieder auf unterschiedliche Art gemacht wird. Verwirrung ist also nicht ausgeschlossen. Leider finde ich ohne länger zu suchen keine wirklich überzeugende Karte im Web. Im Reiseführer von Reise Know-How gibt es eine halbwegs gute Darstellung der tatsächlichen Regionen. Zur groben Orientierung reicht aber die hier verlinkte Karte. Verwaltungstechnisch besteht Korsika aus zwei Departments, Haute-Corse und Corse-du-Sud, im Autokennzeichen mit 2B und 2A unterschieden. Für Reisezwecke ist die Aufteilung allerdings wenig hilfreich – vielleicht zur Übersicht aber dennoch: Department-Karte. Um eine Vorstellung der Verteilung der Bergregionen zu bekommen lohnt ein Blick auf die topografische Karte. Wer die Tour genauer verfolgen will, müsste sich eine Karte zurechtlegen bzw. ein Google-Maps-Fenster o.ä. nebenbei öffnen. Es geht natürlich noch einfacher – Korsika zu Tisch: Meine Route führte vom Norden von der Nachtfähre von Nizza kommend ab L’Île Rousse durch die Balagne, weiter ins nördliche Hochgebirgszentrum beim höchsten Berg der Insel, dem Monte Cinto (2706 m), teils über die Hauptinseltransversale Bastia – Corte – Ajaccio, auf Nebenwegen in die südliche Hochgebirgsregion zum wohl höchsten asphaltierten Punkt der Insel, einer Skistation im Val d’Ese (ca. 1680 m) unweit des höchsten Straßenpasses (Col de l'Usciola, 1612m), der aber nur ein eigentlich nicht erkennbarer Tangentialpass ist und mit der Skistation wenig weiter für Straßenfahrer eine Sackgasse bildet. Weiter ging es an die Westküste nördlich von Ajaccio, auf Umwegen bis in die Calanche, von der bekannten Felsenküste über den gemeinhin als höchsten weil „echten“ Pass bezeichneten Col de Vergio (1477 m), um ein zweites Mal in die nördliche Hochgebirgsregion um Corte vorzudringen. Auf weiteren Umwegen führte die Tour über den Col de Verde in den Südwesten mit Bergen und Meer, weiter durch den trockenen Süden an die Kreidefelsen von Bonifacio. Vom nahezu südlichsten Punkt der Insel und entlang der südöstlichen so titulierten Traumstrände ging es durch das Alta Rocca, der Gebirgsregion im Südosten mit dem Bavellamassiv, weiter in das weniger gut besuchte Fiumorbo und mit weiter abnehmenden Höhen in die Plaine Orientale, der fruchtbaren Hügelebene im Osten. Von den Weinbergen am Meer ging es dann wieder ins Binnenland mit den drei mittelgebirgigen Regionen, in denen die Kastanie eine herausragende Rolle spielt(e), zuweilen als Castagniccia zusammengefasst, welche aber letztlich exakt nur eine der drei Regionen bezeichnet. Es folgte Bastia und die Umrundung des Cap Corse im Norden und abschließend das Nebbio, das eine landschaftlich recht liebliche Brücke zwischen der Balagne im Nordwesten und dem korsischen Wirtschaftszentrum Bastia bildet. An- und AbreiseHatte ich An- und Abreiseort (L’Île Rousse, Bastia) für die Route auf Korsika gut gewählt, so habe ich doch mit der Abreisevariante über Livorno/Firenze etwas Bauchschmerzen bekommen (vgl. Kap. 12). Zunächst einmal für künftig Korsika-Reisende: Die Wahl zwischen Flugzeug oder Bahn/Schiff-Kombi ggf. auch Auto/Schiff-Kombi muss natürlich jeder selbst abwägen. Eine Flugvariante (Frankfurt – Figari) hatte ich 1999 gewählt. Da ich diesmal aber sehr darauf bedacht war, möglichst wenig Radelzeit zu verlieren, wäre ein Flug ungünstig gewesen, da bezahlbare Flüge nur an Samstagen oder anderen Wochentagen buchbar waren – was bei den entsprechenden Tageszeiten zu einem Reiseaufwand von 3,5 Tagen geführt hätte. Die Kombination 2 x Nachtzug + 2 x Nacht-/Spätfähre hingegen reduziert den Ausfall der Radelurlaubszeit auf maximal einen halben Tag (eher weniger). Leider gab es von Bastia aus keine echte Nachtfähre nach Livorno an dem gewünschten Tag – das wäre noch besser gewesen. Allerdings reduziert sich dabei die Radelzeit für das eigentliche Urlaubsziel Korsika um zwei Tage. Man kann diesen Verlust nur auf Kosten von radelbarer Tageszeit insgesamt vermindern. Ich hätte vielleicht noch die Nachmittagsfähre am Sonntag nach Livorno genommen – dazu wäre aber der Regionalzuganschluss nach Florenz zu knapp bemessen gewesen. In der Gesamtabwägung war meine Wahl allerdings gut gewählt, denn auch die Kosten wären bei den meisten Alternativen höher gewesen. Der Anschluss an einen französischen Nachtzug auf der Rückreise mit einer passenden Fähre war zudem schwieriger als für die Hinreisevarianten – hätte möglicherweise über Ajaccio erfolgen müssen – was wiederum eine ungewollte Route aus Korsika bedingt hätte. Hinzu kommen die allfälligen Buchungsprobleme mit Nachtzügen bei der SNCF. Grundsätzlich sollte man aber bei Verbindungen mit dem französischen Nizza-Nachtzug auch die Fährkombination Toulon/Calvi und Toulon/Ajaccio einbeziehen. Insgesamt wird aber insbesondere außerhalb der Hochsaison L’Île Rousse und Calvi seltener angefahren als Ajaccio oder Bastia. Aus der Sicht eines gemütlichen Einstiegs sind Calvi und L’Île Rousse auf jeden Fall vorzuziehen – i.d.R. lässt sich in Bastia und Ajaccio hingegen eine autobahnähnliche, hektische Ausfahrt nicht vermeiden – ein ebenso ungemütlicher wie auch untypischer Einstieg für eine Korsika-Reise. Im Gegensatz zu meiner gewählten Variante von Livorno nach Pisa zu fahren und erst dann mit dem Zug nach Florenz zu fahren (nur dort Nachtzuganschluss), kann man natürlich auch direkt von Livorno mit einem Regionalzug fahren. Man muss aber i.d.R. in Pisa umsteigen. In meinem Fall musste ich zwecks Übernachtung aber erstmal in der Nacht aus Livorno rausfahren, sodass es kaum noch einen Unterschied machte, morgens ab Livorno oder Pisa zu fahren. Wer sich in Livorno direkt ein Hotel nimmt oder tagsüber eintrifft, ist besser beraten, gleich den Zug zu nehmen. Um der Strecke von Livorno nach Pisa auf dem Rad etwas Positives abzugewinnen, bedarf es schon einer gewissen visuellen „Abhärtung“ oder eines italienischen Gendefektes (vgl. Kap. 12). Evtl. bietet sich aber eine direkte Route durchs Binnenland von Livorno nach Florenz an – das ist zumindest nach Kartenlage eine vergleichsweise leicht zu schaffende Tagesetappe. Dass man sich aber nicht nur nach Kartenlage, sondern auch nach den äußeren Umständen ausrichten sollte, zeigt meine Erfahrung mit dem persönlichen „Giro di Firenze“ (vgl. Kap. 12). Hätte ich letztere Variante gewählt, wäre ich wohl nie in Florenz angekommen – zumindest nicht rechzeitig zum Weltuntergang. Endlich Sommer!Nach garstigen Radtouren im Frühjahr und den teils schwierigen Witterungsbedingungen auf meiner letztjährigen Sommerreise in den Pyrenäen gab es diesmal nur Sommer – wenige Wolken, wenige Regentropfen, nicht mal ein Gewitter. Auch die häufigen und heftigen Winde des Jahres 2012 zierten ausgerechnet auf Korsika ein Schattendasein, gilt die Insel doch eher als „bewegt“. Zwar musste ich eine Schluchtfahrt vorzeitig abbrechen und auch in der so gelobten „lieblichen“ Toskana erlebte ich die Inkarnation des Teufels in Form von Luftbewegungen – doch zumindest letzteres könnte ja auch auf einen schwelenden Disput zwischen Papst und Teufel hindeuten. Die Temperaturen waren nur anfangs sehr heiß mit über 35 °C, ansonsten waren es meist für mich gut verträgliche Sommertemperaturen von maximal 33 °C, auch häufiger unter 30 °C. Vermutlich waren die Lufttemperaturen niedriger als ich gefühlt habe, weil die Sonne entsprechend einheizte. Messungen mit dem Tacho waren entsprechend nur bedingt möglich. Auch die Nachttemperaturen waren meist mild, etwa zwischen 15 °C und 20 °C – sogar in den höheren Lagen. Nur zweimal habe ich mir abends beim Essen die dünne Windjacke übergezogen – mehr als Vorbeugung als aus Notwendigkeit. Da ich bereits zum zweiten Mal im Sommer dort war: Wer Gelegenheit hat, Korsika im Frühjahr oder Herbst zu besuchen, sollte das unbedingt ins Auge fassen. Im Frühjahr blüht die Macchia noch intensiv – da sind ganz andere Farben und Düfte als im Sommer zu erleben. Auch im Spätsommer und Herbst steigen erst manche Kräuterdüfte in die Nasen. Durch die vielen Kastanienblätter erwartet einen ein bunter Herbst – nicht zuletzt kann man im Spätherbst Kastanienfeste mit eigenem Charakter erleben (Evisa, Bocognano). Gut ausgeruht… war ich nicht immer. Gerne hat sich der Abend spät hingezogen, immerhin kann man im ländlichen Korsika vielfach später Essen gehen als im ländlichen Festland-Frankreich – also ein Stück mehr italienisch wie die korsische Sprache auch. Gilt aber nicht immer, also aufpassen. Oft habe ich mein Zelt spät nach dem Essen aufgebaut – mindestens immer dann, wenn ich wild gezeltet habe. Dadurch war ich häufiger übermüdet und habe manchmal nicht rechtzeitig einen einladenden Siesta-Ort gefunden. In der Mittagshitze nimmt ja bekanntlich der die Müdigkeit zu (Blutzuckerspiegel, Hitzewirkung). So kam es, dass ich mich gelegentlich beim Sekundenschlaf ertappt habe. Dem geringen Verkehr sei Dank, dass es zu keinen kritischen Situationen kam – nur einmal kam ich bedenklich knapp vor dem Abgrund zum Stehen. Im Gegensatz zu meiner 1999er-Reise habe ich diesmal ausschließlich im Zelt übernachtet, damals waren es fast umgekehrt meist nur Hotels, Ferienwohnungen oder Jugendherbergen. Vergleichspreise von Bungalows auf Campingplätzen weisen eine enorme Preissteigerung innerhalb der letzten 13 Jahre aus – über Hotelpreise kann ich diesmal nichts sagen. Preiswerte Gîtes und Hütten in den Gebirgsregionen gibt es aber immer noch, ein paar Radler haben mir unterwegs davon berichtet. Die Campingplatzpreise sind in Korsika nach wie vor günstig geblieben und können mit dem Festlandniveau verglichen werden – alle Übernachtungen blieben unter 13 Euro – selbst auf dem Trubelluxusplatz bei Aléria. Eine unrühmliche Ausnahme bildete nur das toskanische Festland – mit 19 € nicht nur der teuerste, sondern auch der ungemütlichste Platz der Reise. Zum Thema Wildcampen und Korsika sind noch ein paar erklärende Hinweise nötig. Bekanntlich gibt es auf Korsika eine hohe Waldbrandgefahr – entsprechend ist Wildcampen eigentlich verboten. Auch sind die Möglichkeiten dazu recht beschränkt. Einige meiner Plätze würden in der Kategorie „kuriose Übernachtungsplätze“ ein gehobenes Ranking erhalten: Friedhöfe, Autoschrottplatz usw. Wie auch sonst auf meinen Radreisen muss ich aber hinzufügen, dass ich erst zur Nacht – also i.d.R. nach dem Abendessen mein Zelt aufschlage und auch wieder möglichst früh am Morgen verschwinde. Außer schlafen mache ich keine sonstigen Campingaktivitäten – es handelt sich folglich nur um „Biwakieren“. Waldbrände oder Wildschweine interessiert das aber nicht. Ob ein Platz eine gewisse Brandgefahr ausweist, kann man letztlich ganz gut einschätzen. Letztlich wird die Gefahr überschätzt. Am ehesten sind die eher trockenen, halblichten Kiefernwälder gefährdet. Viele Kastanienwälder etc. sind recht feucht, haben sehr viele Wasserläufe und Wasserfälle. Auch ist man am Rande von Orten so gut wie sicher – z.B. wenn die Brände bewusst aus Spekulationszwecken angelegt werden sollten. Letzteres ist aber stark rückläufig, weil die entsprechenden Vergünstigungen für gerodetes Land in den Gesetzen geändert bzw. gestrichen wurden. Manchmal haben dann größere Brände ganz andere Ursachen – z.B. eine umgekippter Strommast (so eine große, noch brandgezeichnete Fläche bei Aullène – in seiner Gestalt schon wieder eine landschaftliche Attraktion. Ich habe nur einen kleinen Brand mal gesehen, an einem Morgen und direkt an der Hauptinseltransversalen Bastia – Ajaccio an einem recht trockenen Hang mit Einzelbäumen oberhalb von Vivario. Die Löscharbeiter waren schon im Einsatz (vgl. Bilder zu Kap. 3). Auf der ganzen Insel sind Löschtanks deponiert – alle mit der Inhaltsmenge auf einem Schild an der Straße zu sehen. Wildscheine habe ich gar keine gesehen. Vermutlich ist das eine größere Gefahr, wenn man als Wanderer abseits der Straßen unterwegs ist. Auch diese Gefahr wird wohl überschätzt. Die in bestimmten Gegenden häufig wild herumlaufenden Hausschweine sind harmlos. Zwar muss man damit rechnen, dass sie Vorräte durchwühlen könnten, aber sie sind sehr feige und flüchten, wenn man sich bemerkbar macht. Zwar habe ich einmal ein Schwein gesehen, dass sich von einem Jungen hat streicheln lassen, ansonsten stöben sie aber wilder und schneller davon als beispielsweise Ziegen. Lästiger könnte die Schlafstörung durch die Laute der Schweine sein. An Orten, wo ich mein Zelt aufgestellt habe, gab es nie wild laufende Hausschweine. Wo es eine „Gefahr“ gewesen wäre, habe ich recht bewusst die Nähe zum Ort gesucht (z.B. Bastelica). Ein Störenfried des letzten Jahres tauchte auch dieses Jahr wieder auf: der Fuchs. Dieser Rotfellintrigant gehört zu den am besten angepassten Tieren – er kommt ebenso im Hochgebirge wie auf Meereshöhe vor. Diesmal war es direkt am Meer bei Barcaggio auf einer Art Strandwiese. Der Fuchs machte sich an meinen Radtaschen zu schaffen – einschlägige Erfahrungen hatte ich den Pyrenäen ja schon mit Haushunden gemacht. Da ich hier keinen Fuchs erwartet hätte, hatte ich auch wieder meine Radschuhe unter die Apsis gestellt – und da wurden letztjährige Erinnerungen an Meister Reineke vom Coll de Faidella wach. Zum Glück war ich zu später Stunde noch nicht richtig eingeschlafen und wurde vom Geräusch wach. Obwohl ich nach draußen sprang und Urlaute von mir gab, versuchte der Fuchs zunächst, mich von hinter dem Zelt zu mustern. Erst als ich die Stirnlampe anschaltete, floh er gehobenen Tempos. Ihm noch nachlaufend war er wohl für den Rest der Nacht bedient und ward nicht mehr gehört und gesehen. Die Schuhe kamen natürlich fortan ins Zelt. Fortsetzung folgt
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Liebe Grüße! Ciao! Salut! Saludos! Greetings! Matthias Pedalgeist - Panorama für Radreisen, Landeskunde, Wegepoesie, offene Ohren & Begegnungen |
Geändert von veloträumer (15.01.18 22:20) |
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#886734 - 30.11.12 23:18
Re: Korsika 2012
[Re: veloträumer]
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Unterwegs in Guatemala
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Das wird aber auch Zeit Danke für den Lesestoff Wohin gehts als nächstes? Viele Grüße Thomas
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#886735 - 30.11.12 23:20
Re: Korsika 2012
[Re: veloträumer]
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Da ja 1. Advent ist und es kalt wird, reiche ich gleich die zweite sommerliche Adventsgabe nach. Einführung, 2. TeilDas leibliche WohlKorsika ist zwar Frankreich, aber es hat natürlich auch beim Essen und Trinken seine Besonderheiten – wie eigentlich alle unterschiedlichen Regionen auf dem Festland. Nimmt man die Gesamtheit des Essens, so ist Korsika wohl nicht die erste Gourmetregion Frankreichs. Das Essen ist ein wenig bodenständiger, kräftiger im Geschmack, weniger komplex – Gourmet-Restaurants sind selten oder gar nicht vorhanden (?). Bekanntlich ist zwar Korsika teurer als das Festland, aber es fehlt die absolute Luxusklasse (auch bei den Hotels). Die Schickeria sitzt allenfalls in den Hafenstädten, wo ihre Jachten liegen. So kann es dann vorkommen, dass man in Bonifacio um Mitternacht noch Champagner am Hafen einkaufen kann – aber kein Waschmittel mehr. Hier können Studenten der Volkswirtschaft „prickelnde“ Studien über Angebot und Nachfrage machen. Einige Jachtfeten dort sehen entsprechend aus – also nicht nach VWL-Studenten, sondern nach Sektlaune mit Rolexuhr und Begleitdame. Zum Glück (?) nahezu untypisch für den großen Teil der Insel. Ein Blick auf die typischen korsischen Produkte sagt Folgendes: Das Schwein ist sehr wichtig – nicht zuletzt genießt es soviel Freilauf. Manches falsch abgeschossene Schwein hat schon eine Kette in der Vendetta (Blutrache) ausgelöst. Lonzu und Coppa sind herzhafte Trockenschinken, Trockenwürste gibt es natürlich auch in allen gemäßen Varianten und Aromen. Es gibt teils sehr herbe (Ziegen)käse – nicht zuletzt auch aus Sardinien. Ziegenkäse wird gerne als Dessert mit Feigenkonfitüre gereicht. Aus der Macchia (besser gesagt aus der Garigue) stammen einige Gewürze – besonders Thymian, aber auch Myrte – bei uns eher unbekannt als Gewürz. Sieht aus wie Wacholderbeeren und wurde zeitweise als Pfefferersatz verwendet, sind aber weit weniger aromatisch. Sie geben insbesondere Fleischsoßen (Wild) aber eine bereichernde Konsistenz, weil die Beeren etwas aufquellen. Fand sie zunächst zu geschmacklos, mittlerweile habe ich sie lieb gewonnen (habe noch ein halbes Säckchen). Aber auch die Blätter der Myrte werden verarbeitet. Fleisch wird z.B. mit Myrtenblättern umwickelt oder mit Myrtenholz geräuchert. Eine weiter Verwendung der Myrte gibt es in Korsika als Likör. Eine besondere Stellung hat der Honig aus Korsika. Es gibt ihn in sechs AOC-geschützten Varianten, die sich nach Jahreszeiten und Höhenlagen unterscheiden. So gibt es etwa sowohl einen Frühjahrs- wie auch einen Herbsthonig aus der Macchia. Mehr unter Miel de Corse. In Asco gibt es einen noch spezielleren Honig, der mit einem süßlichen Sekret der Wacholderbeere versetzt wird. Leider gab es diesen Honig nur in nicht radtourentauglichen großen Gläsern im Dorfladen. Für mich eine schmerzhafte Nicht-Erfahrung. Wie man sieht - die süße Abteilung ist mir immer wichtig. Schokolade würde auf einer solchen Sonneninsel arg schnell schmelzen – daher weniger verbreitet als auf dem Festland, wenn auch nicht unbekannt. Dafür der italienische Einfluss auf die gut haltbaren Kekse: Canistrelli gibt es in zahllosen Varianten, aromatisiert, gefüllt, süß – aber auch salzig etwa mit Oliven. Für mich ein Eldorado an schmackhafter wie brauchbarer Marschverpflegung – und welch ein Unterschied zu den fettigen Fabrikkeksen in heimischen Supermärkten. Manchmal ist in den Canistrelli auch Kastanienmehl drin – ein altes Grundnahrungsmittel der Korsen - vom Unabhängigkeitsvater Pasquale Paoli persönlich gefördert, um die Armut zu bekämpfen. Die „Unabhängigkeitsregion“ Castagniccia ist gleichzeitig DIE Kastanienregion der Insel. Kastanienmehl wurde zur Grundlage vieler Produkte einschließlich Brot. Aber die Kastanie verlor – zunächst. Heute werden zahlreiche Produkte wiederentdeckt oder gar neu entwickelt. Kastanienmarmelade, Kastanienhonig, Kastanienkuchen (lecker mit Vanillesoße) oder Kastanienlikör ist wohl nachvollziehbar, aber ein Kastanienbier? – Pietra ist das einzige Bier aus Korsika und wird mittels Zugabe von Kastanienmehl gewonnen. Nicht ganz zufällig eine Neuentwicklung, aus dem Jahre 1996 – ein Korse, der auf dem Festland arbeitete, hatte die Idee. Trinken tut der Franzose – oder Italiener – lieber Wein. Das ist auch noch in Korsika so. Mehr als auf dem Festland wird Roséwein angeboten – ein Tribut an die Wärme der Insel – um eine Erfrischung im Gaumen zu haben. Korsika hat keine großen Weinanbauflächen – die größten gibt es im Osten bei Aléria. Dort kommt der einzige Massenwein her, den man auch im deutschen Supermarkt erhält – „Corsaire – Réserve du Président“. Das Römersymbol auf dem Etikett verweist auf die römische Besiedlung der östlichen Hügelebene – dort finden sich auch die größten römischen und sehenswerten Ausgrabungsstätten samt Museum. Die edelste Weinregion liegt bei Patrimonio. Hier gibt es preisgekrönte Wein von meist ganz kleinen Weingütern, nicht für den Export bestimmt und recht teuer – zumindest als „Tafelwein“. Die Weinbetriebe müssen mehrere Einnahmequellen erschließen – ich war auf einem mit Campingplatz (vgl. Kap. 11). Die Versorgungslage auf der Insel ist zu Saisonzeiten in Bezug auf Restaurants erstaunlich gut. Manchmal gibt es gar Restaurants, wo gar kein Ort ist. Nicht jeder Camping bietet Essen an, aber häufiger als auf dem Festland. In manchen Bergdörfern gibt es nur eine Bar, in der es auch mal vorkommen kann, dass es nichts zu essen gibt. Insofern muss man sich trotz des guten Angebotes relativ zu den Einwohnerzahlen durchaus informieren, wo was geht. Ein ernstes Wort gehört der Fähre Nizza – L’Île Rousse und dem Campingplatz Tuani im Restonica-Tal. An beiden Orten bekam ich für mit die höchsten Preise auf dieser Reise die schlechtesten Essen. Auf der Fähre werden wohl die Rabattpreise im Internet mit den Essenspreisen quersubventioniert. Das Essen war aber nicht nur mager und teuer, sondern eben auch geschmacklich unter aller Sau. Viel günstiger war es auf der Fähre nach Livorno nicht – dort hatte ich allerdings teils vorgesorgt. Auffällig war, das für die meist italienischen Fahrgäste die Portionen deutlich größer waren und auch schmackhafter als auf der „französischen“ Linie des selben Fährbetriebes. Den Campingplatz hatte ich zugunsten eines Abendaufenthaltes in Corte gemäß Internetlobhymnen vorgezogen – er befindet sich recht romantisch am Gumpenfluss, aber auch sehr schattig im Kiefernwald mitten im Restonica-Tal. Mag man auf den Fähren nicht unbedingt preiswertes, gutes Essen erwarten, so geht das Essen auf dem Camping Tuani allerdings unter die Gürtellinie. Für 38 Euro ein grausliches Risotto und eine Schuhplattenpizza nebst einfachstem Dessert und Roséwein wagt sich nicht mal ein durchschnittlicher Schweizer Gastronomieassistent auf den Tisch zu stellen. Da der Camping im Gesamtbild eher zu den teureren gehört und die Sanitäranlagen eher zu den bescheidenen, kann ich den Camping so leider rundum nicht empfehlen. Auch die Lage ist nicht sooo toll – Ausblick gibt es ja keinen. Offenbar in manchen Bergsteiger- und Raftingkreisen überbewertet. Die Eigenversorgung hingegen ist schwieriger als die Gastronomieversorgung. Größere Supermärkte gibt es nur in der Agglomeration der größeren Städte. Typischer sind kleine Tante-Emma-Läden oder auch Läden mit „specialités corses“. (Bild: der angeblich älteste Lebensmittelladen Europas in Corte) Das ist aber typischerweise auch immer ein bisschen an Touristen orientiert bzw. an dem, was man gerade produziert. Im Zweifel selten das komplette Angebot für eine abgerundetes Picknick. Schinken und Würste, Marmelade und Honig bekommt man so am ehesten. Käse geht meist auch noch. Gemüse und Obst fehlt häufig, evtl. hat man Glück mit einem Stand an der Straße. Das ist aber auch nur auf den touristischen Achsen in den Küstenregionen üblich – dort sogar im Überfluss. Brot gibt es im Gegensatz zum Festland selten aus Bäckereien auf den Dörfern. Das Brot kommt von den Küstenorten, wird per Auto rumgefahren. Die Einheimischen holen es meist direkt beim Brotauto. Für Radreisende schwierig – das Zeitfenster dafür ist zu klein. Mit etwas Glück gibt es in einem Laden oder einer Bar ein „depot des pains“ – das wird vom Brotwagen beliefert und tagesweit verkauft. Manchmal fällt der Brotwagen aus oder kommt verspätet. Für die Restaurants und Bistros eine Krise – aber auf Korsika bleibt man trotzdem gelassen. Restaurant und Bistros geben Brot allerdings ungern an Radreisende ab – die abgenommen Brotrationen sind gut berechnet und an die angebotenen Gerichte gebunden. Es ist also oft leichter, ein belegtes Baguette irgendwo zu essen als es sich selber zu machen. Gilt auch für bäuerliche Betriebe wie etwa der Bergerie am Endparkplatz des Restonica-Tales. Was tun außer Radeln?Nehme ich meine letztjährige Pyrenäentour als Vergleich, dann war diese Korsika-Reise geradezu kulturlos. Es gab keine historischen Leitfaden, auch keine sonstigen auffälligen Orte – und nun auch keine leidenschaftliche Nachbetrachtung der Geschichte(n). Es war eine Reise, die von den schlichten Eindrücken des Tages geprägt war – nicht zuletzt ist deswegen auch diesmal der große Rahmen der Bilderbogen in den Fotogalerien. Zuweilen hätte etwas mehr Vorbereitung gut getan. Ich vertraute auch etwas auf meine Vorbildung aus der 1999er-Tour – nicht unbedingt ein Vorteil, habe ich doch kulturell aus dieser Zeit kaum etwas herübergerettet. Wie schon auf anderen Touren mit Wiederholungen gab es manchmal das Gefühl von alter Vertrautheit, andere Male wunderte ich mich über das erneut Gesehene wie beim ersten Mal. Gewiss, ich besuchte das Geburtshaus (und Sterbegruft) des Begründers einer korsischen Unabhängigkeit – Pasquale Paoli – gewiss auch lehrreich nicht zuletzt für die Fehlleitung der heutigen Unabhängigkeitsideen gewaltbereiter Korsen. Im Süden besuchte ich ein Original, an dessen Künstlergarten ein Strom von Autos fahrlässig uninteressiert vorbeirauscht – schade. Auch den Römern widmete ich ein wenig Aufmerksamkeit in Alèria, während ich gleich mehrere Radreisende dort im Geschwindigkeitsrausch vorbeiziehen sah – manche wollen eben gar nichts sehen. Ich selbst hingegen ließ den Besuch der frühgeschichtlich bedeutsamen Stätte Filitosa aus – nun habe ich habe ich aber wahrlich viele wundersame Steine auf der Tour gesehen – ich kann es verschmerzen. Auch open air findet man Bildung – es gibt immer wieder mal ein paar schöne Infotafeln sozusagen im Vorbeifahren. Die Regionen Castagniccia und Casinca zeigten sich diesbezüglich vorbildlich. Weitere Sehenswürdigkeiten on the road werden in den einzelnen Regionalkapiteln ja noch ausreichend berücksichtig. Dazu zählen in herausragender Weise die Wachtürme und Brücken – verträumte Relikte der Pisaner und Genueser Herrschaftszeiten. An den Brücken liegen häufig beliebte Badeplätze, einige findet man aber auch eher abgelegen und bieten noch einsame Romantik. Baden ist dann auch eine der schönsten Nebenbeschäftigungen für den Radler. Neben den Meeresstränden faszinierenden die Flüsse mit Gumpen und natürlichen Becken – allerdings oft dichter belegt als etliche Strände an der Küste. Manche dieser Flüsse lassen sich quasi feucht bewandern, zuweilen versperren aber größere Wasserfälle einen glatten Durchmarsch. In einigen Fällen findet man Taue, an denen man sich abseilen oder hinaufziehen kann. Für solches Canyoning sollte man natürlich geübt sein und möglichst nicht allein. Eine einfache, aber faszinierende Flusswanderung bei einem Naturisten-Camp an meinem einzigen Ruhetag werde ich in Kap. 7 vorstellen. Natürliche Seen sind selten – neben dem naturgeschützten Brackwassersee Biguglia sind es vor allem kleine Bergseen, die man nur per pedes erreichen kann. Meine geplante Wanderung zum Lac de Melo im Restonica-Tal habe ich letztlich ausfallen lassen, da bereits schon zu Morgenstunden Massen von Wanderern den schmalen Pfad bevölkert – auch nicht gerade verlockend für mein Radschuhwerk. Laut eines italienisches Radreisenden, den ich in Corte getroffen haben, habe ich dabei nicht so viel verpasst – der Reiz des Sees wird wohl überbewertet. In Tirol traf ich später im Jahr einen Bayern, der hingegen anderer Ansicht war: „Du musst einfach doaah gewesen sein!“ meinte er ganz enthusiastisch. Kombinationen aus Radfahren und Wandern bieten sich natürlich in Korsika an. Um nicht im kollektiven Wanderrausch zu desillusionieren, sollte man aber Reviere aussuchen, die abseits der bekannten Wanderrouten liegen. Unter den Stauseen sind wohl nicht alle zum Baden gedacht, aber der Lac de Tolla ausgangs der gleichfalls empfehlenswerten Prunelli-Schlucht ist sowohl gut zum Baden geeignet als auch ein sehr malerischer Platz. Das kulturelle Highlight der Tour war jedoch der Besuch eines Musikfestivals – die „Nuits de la Guitare“ in Patrimonio. Das ist ein einwöchiges, vor traumhafter Freiluftkulisse aufgeführtes Gitarrenfestival (mittlerweile erweitert auf Gesang), dass sich verschiedenen Genres widmet – von den traditionellen Spielweisen Korsikas, über Klassik und Rock bis zum Jazz – neben lokalen Größen auch Weltstars. Mein Reiseplan ergab, dass ich den Abend mit Biréli Lagrène (moderner Gipsy-Swing, Mainstream-Gitarrenjazz) und Sylvain Luc (innovativer Jazzgitarrist, auch bluesig) sowie weiteren Akteuren einbauen konnte. Musikalisch wäre auch noch der Abend zuvor noch in Frage gekommen (die brasilianische Musikerfamilie Assad – teils Klassik, teils Jazz), wäre jedoch nicht mit meinem Streckenplan kompatibel gewesen. Der letzte Vollreisetag auf Korsika, der Freitag, wäre zwar reisetechnisch noch möglich gewesen – dafür aber musikalisch für mich nicht interessant. (Näheres in Kap. 11 und unter Nuits de la Guitare) Bereits zu Anfang der Tour hätte ich Gelegenheit gehabt, den Abschlussabend des Calvi Jazz Festivals zu erleben. Doch dauerte die Tagestour unter der brütenden Hitze länger als erwartet und abends hat zunächst mal Essen Vorrang. Als ich danach noch zu später Stunde für die Resttöne in die Zitadelle wollte, wurde immer noch (reduzierter) Eintritt verlangt. Ich dachte mir dann aber, dass sich das nicht mehr lohnt. Von den oberen Mauern der Zitadelle konnte man als Zaungast einen guten, wenn auch etwas entfernten Blick auf die Bühne werfen. Es spielte der Funkjazz-Mann Boney Fields mit Brass-lastigen Grooves – ein bisschen like Maceo Parker – so richtig mitgerissen hat es mich aber nicht. So war denn auch die Erkenntnis, dass die Truppe noch lange in die Nacht hinein spielte und sich eine Konzertteilnahme noch gelohnt hätte, eher nebensächlich. Für Interessierte: Calvi Jazz FestivalZu den typischen korsischen Musikerlebnissen gehört aber unbedingt ein Auftritt mit den traditionellen polyphonen Gesängen – meist in Gitarrenbegleitung von mindestens zusätzlich zwei Sängern dargeboten. Der Gesang – ähnlich auch auf Sardinien praktiziert, lässt die ganze Melancholie aus Jahrhunderten von Unterdrückung in die Herzen dringen – nicht selten haben die Texte auch politische Inhalte. (Heute gibt es auch Gruppen, die diese wehmütige Nostalgie für zu eng gefasste Interpretationen des „Unabhängigkeitsgeistes“ missbrauchen.) Man kann solche Konzerte auch immer wieder mal gratis und zufällig in Dörfern bei Festen oder in den Gassen bei Restaurants in den Städten erleben. Andere Konzerte gegen Eintritt muss man vorher gut recherchieren. Eine Empfehlung für alle, die das einrichten können, wäre ein Konzert in einem kleine offenen Theater in dem kleinen Kunsthandwerkerdorf Pigna in der Nähe von L’Île Rousse – leider ließ sich so was nicht in meinen Reiseverlauf einbinden. Zufällige Gratishörproben erlebte ich aber mehrfach – u.a. recht professionell in Sartène (Bild). Ohne alle Sehenswürdigkeiten aufzuzählen noch ein Gedanke an eine Besonderheit. Schon die Menschenfriedhöfe sind auffällig, liegen am Hang zuweilen fast so groß wie die Orte und imponieren mit großen Grabmalen. Interessant ist auch, dass es immer wieder allein stehende Familiengräber unweit der Friedhöfe oder auch weiter weg vom Ort gibt. Ich vermute Familienfehden, bei denen man sich auch nach dem Tode nicht zu nahe kommen will. Die Vendetta reicht auch noch weiter in Himmel und Hölle. Doch kaum eine Friedhofsgestaltung ist so gelungen wie die der Autos! Zwar verboten, aber anscheinend immer noch gelegentlich praktiziert, werden Autos einzeln gerne an Abhängen oder im Busch entsorgt und werden über die Zeit zu wunderschönen Teilen der Natur, in rostbraunen Farbvarianten, sich in absplitternden Pastelltönen auflösend, von Bäumen überwuchert oder als mahnende Blechskulptur am Geröllhang sich dem Verfall ergebend. Was kann es Schöneres geben, als die Endlichkeit des Automobils seiner natürlichen Bestimmung zuzuführen? Man mag das aus ökologischen Gründen nicht so gerne haben – aber in überschaubaren Einzeldarstellungen sind sie einfach eine Augenweide. Schon auf meiner 1999er-Tour war ein solches Friedhofsauto mit das schönste Fotomotiv. Es lebe der schönste Autotod – möge bald noch viele Folgen! Pleiten, Pech & PannenVon Pannen am Rad blieb ich auf dieser Reise gänzlich bewahrt. Ich hatte weder Stürze noch Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmern. Die Momente des Sekundenschlafes erwähnte ich bereits. Ein radtechnisches Ärgernis gab es doch – bereits zum wiederholten Male – mit einem Ciclomaster-Tacho: Die Höhenmeter musste ich an diversen Tagen mithilfe von Kartendaten schätzen, da der Radcomputer ganz oder teilweise bei hohen Temperaturen ausfiel (meistens ab Mittag). Ich konnte ihn aber jeden Abend wieder reaktivieren. Tatsächlich war es Folge der Batterieschwäche, was aber vom Gerät nicht angezeigt wurde. Ich hatte aufgrund früherer Störungen an einem anderen Modell Anlass dazu, dass das Gerät definitiv defekt sei. Ungewöhnlich war auch die Temperatur- bzw. Sonneneinstrahlwirkung. Ich konnte z.B. an zwei Tagen durch Sonnenabschirmung (Bild) den Ausfall vermeiden – das gelang danach aber nicht mehr. Mein zweiter Sicherheitsradcomputer (wegen der Uhrzeit) verfügt über keine Höhenmeterfunktion. Die entsprechenden Schätzdaten sind mit einem (*) gekennzeichnet – m.E. auf ca. +/- 150 Hm genau. Es dauerte noch über 10 Tage bis die Batterieanzeige aufleuchtete und alsbald der Tacho sich ganz ausblendete. Das nährte meinen Verdacht, dass die Fehlfunktion doch nur einer zu schwachen Batterie geschuldet sein könnte. Sodann konnte ich einige Tage später in Porto Vecchio die Batterie ersetzen und tatsächlich arbeitete das Gerät auch bei hohen Temperaturen in der Sonne wieder einwandfrei. Ärgerlich, dass die Batterieanzeige so mangelhaft ist. Reisewegbegleitpapiere, Straßen & PistenIn Korsika sind Straßen ein Thema. Zunächst die gute Nachricht vorweg: Die meisten Straßen sind verkehrsarm, teils geradezu einsam. Es gibt wenige Hauptverkehrsachsen, die man schnell auf der Karte identifizieren kann. Dazu zählen ein Route um die Insel (N 198 Bastia - Bonifacio, N 196 Bonifacio – Ajaccio, D 81 Ajaccio – Calvi, N 197/N 1197/ D 81 Calvi – Bastia), die Inseltransversale (N 193 Bastia - Ajaccio) und ein paar kleinere strategische Verbindungsachsen (N 1197 Ogliastro – Ponte Leccia, D 82 St-Florent – Biguglia, N 200 Aléria – Corte, D 589 Bocca di Testa – Porto Vecchia). Je nach Touristenandrang gibt es zumindest tagsüber stärker befahrene Routen – etwa Asco-, Restonica-Tal, Bavella-Route Porto Vecchio – Solenzara). Am Cap Corse ist der Verkehr nördlich Bastia stark, nimmt aber Richtung Norden deutlich ab (jenseits von Erbalunga). Natürlich sind nicht alle anderen Straßen einsam – so ist die Castagniccia z.B. ziemlich dicht besiedelt – doch ist auch dort der Verkehr letztlich ziemlich harmlos. Nimmt man den Vergleich zum französischen Festland, dann sind die Straßen auf Korsika im Schnitt von schlechterer Qualität. Das hat nicht zuletzt auch Auswirkungen auf die machbaren Radeldistanzen auf der Insel. Sogar auf den Hauptrouten kann man ruppige Streckenabschnitte vorfinden. Es gibt natürlich auch hier immer wieder aalglatt neu asphaltierte Fahrbahnen – doch scheinen die Mittel begrenzt und die Krise der öffentlichen Haushalte in Europa dürfte noch weitere Löcher in den Asphalt hauen. Derzeit wird u.a. am Col de Sorba (Vivario – Ghisoni) gebaut, offenbar auch eine neue Querverbindung zur Inseltransversalen. Der Campingwart von Peridundella wollte mich noch von der Strecke abhalten, weil er meinte, die sei nicht fahrbar. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte auch Forumsmitglied Lutz ein Problem mit der Baustelle dort auf einer Tour vor meiner Zeit. Ich fand aber bereits eine ausreichend gute Fahrdecke vor, die Südseite ist war schon fast komplett fertig. Die gesamte Strecke dürfte im nächsten Jahr einwandfrei befahrbar sein. Ähnliches gilt für das Cap Corse – im Norden und Osten bereits einwandfrei, zwischen Kap und Pino jedoch extrem schlecht – fast ein Offroad-Erlebnis. Die Arbeiten sind zwar im Gange, schätze aber, dass das auch noch etwas länger dauern kann als Col de Sorba. Eine Besonderheit ist wohl die Strecke Galeria – Calvi (D 81B, Bild). Diese Route ist rein touristisch, es wohnen kaum Leute dort (z.B. ein kleiner Camping in Argentella), es ist Naturschutzgebiet und Gesteinswüste. Diese Streck war schon 1999 eine Stoßdämpferteststrecke und ich meine, dass sie heute noch schlechter ist als damals. Es dürfte auch Kalkül sein, dass der Transitverkehr nach Calvi nicht von der D 81 auf die Küstenvariante der D 81B ausweicht. Insofern muss man es schon wieder begrüßen, dass die Strecke wohl bewusst nicht in Stand gesetzt wird (ein Teil im Norden vor Calvi ist jedoch einwandfrei) – die Strecke ist nämllich traumhaft. Wer auf Korsika Offroad-Touren sucht, sollte sich lieber an den passenden Bericht von Lutz halten Korsika auf Abwegen. Ich selbst fahre nur gelegentlich Pisten und halte mich für keinen guten Geländefahrer. Die Eindrücke, die ich von Pisten gewinnen konnte (ohne sie zu fahren) war der, dass sie von weitem einladend wirken, weil breit gespurt, aus der Nähe mir aber i.d.R. unfahrbar erschienen – zuviel lockerer Schotter. Eine Quälerei, die man in Anbetracht der vielen Möglichkeiten, die das Straßennetz bietet, nicht unbedingt benötigt. Sicherlich könnte man geübt auf Wanderpisten manches Tal von der Sackgasse zur Durchfahrtspiste machen und neue Rundkurse erschließen. Soweit man sich auf den Spuren des GR 20 (einer der bekanntesten Wanderwege Europas) aber bewegt, sollte man wissen, das dort mehr Menschen unterwegs sind als auf den dazu quer laufenden Inlandsstraßen. Auch sind die Hütten, Unterkünfte und Gasthäuser am GR 20 meist gut besucht, während viel Orte an den Zufahrtswegen in die Berge mit Gästeschwund zu kämpfen haben. Ich habe zweimal in Orten allein im Restaurant gesessen – trotz Hochsaison -, obwohl diese Orte als Basislager für Bergregionen gelten (Zicavo, Ste-Marie-Sicché). Es mag auch ein Zeichen der allgemeinen Krise in Europa sein, so wie in Spanien viele Restaurants und Hotels schließen müssen. Jedoch meine ich auch, dass diese mittlerweile recht ausgeprägte Flucht in die Einsamkeit der Berge dort eine seltsame Menschendichte mit selbst kochenden Tütensuppenwanderern erzeugt, während die eigentlich für das Touristische geeigneten authentischen Bergdörfer um ihre Existenz kämpfen. Die einsamen Orten werden belebt, die belebten Orte sterben. Ich meine, eine ungute, paradoxe Entwicklung, wenn Abenteuerlust und Jedermannseinsamkeit ein Massenphänomen wird. Meine Karten (kein GPS): Für die meisten Touren könnte bereits die Michelin-Karte 1:200 000 reichen. Ich hatte noch eine von meiner alten Korsika-Reise. Diese habe ich auch am häufigsten verwendet. In einigen Fällen war es aber allein schon wegen der Lesbarkeit sinnvoll, zusätzlich die IGNs 1:100 000 zu benutzen (zwei Karten: Nr. 175 & 176). Reiseführer: In der 1996er-Auflage habe ich noch den Nelles Guide „Korsika“ – Historisches und Hintergründiges ist gut dargestellt, zudem finden sich einige gute Tipps z.B. zum Essen gehen. Wer eine ausführlichere Darstellung der Regionen sucht, sollte auf Wolfgang Kathe „korsika“ (Reise Know-How) zurückgreifen. Die 2011er-Auflage habe ich mir noch zusätzlich gegönnt. Letzterer war auch im Gepäck dabei. Sehr umfassend und auch konkret in den Tipps. Separate Kästen für Geschichte und Hintergründiges – sehr gut recherchiert. Kleinere Fehler konnte ich allerdings auch entdecken – manches wurde offenbar nicht wirklich aktualisiert (steht zwar drauf – aber was sagt ein Etikett?). Fortsetzung folgt
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Off-topic
#886737 - 30.11.12 23:23
Re: Korsika 2012
[Re: Radreisender]
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Wohin gehts als nächstes? Noch offen. Ich stecke ja noch mitten in der Nachbearbeitung des aktuellen Jahres. Üblicherweise sammel ich gerne im Januar Infos auf der Touristmesse hier in Stuttgart und sortiere dann.
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#886789 - 01.12.12 10:52
Re: Korsika 2012
[Re: veloträumer]
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Danke erstmal Matthias - ich freu mich auf die Fortsetzung:
deine Reisebrichte sind etwas ganz Besonderes!
Lieber Gruß, Ingrid
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#887000 - 02.12.12 14:55
Re: Korsika 2012
[Re: inga-pauli]
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Windböen, Schnee, Regen, Kehrwoche - das schreit nach milder Abwechslung - auf das nächste Türchen: Der Reiseverlauf!!! Technische Anmerkung: Nach den jeweiligen Leseblöcken der insgesamt 12 Teile findet ihr jeweils ein Bild, das eine Bildergalerie zum zugehörigen Kapitel eröffnet. Dazu das jeweilige Bild anklicken (es handelt sich nicht immer um das erste Bild, vielmehr um ein charakteristisches Bild der Region) und das erste Bild der Galerie auswählen. Die beste Darstellung erreicht man, indem man den Pfeil für Bildvergrößerung (rechts unten im Bild) betätigt, F11 für Vollbild drückt und entweder die Funktion Diashow aktiviert (automatische Bildfolge) oder sich einzeln durchklickt. Da es in Google+ Probleme mit den Bildunterschriften gibt und ich befürchte, dass irgendwann die Picasa-Darstellung von Google+ eingestampft wird, habe ich darauf diesmal verzichtet und einige Bilder direkt beschriftet, um die Ortsabfolge der Reise zu kennzeichnen.KAPITEL 1 Prolog zwischen Esterel-Massiv und LuxusküsteFr 22.6. [Stuttgart Do 14:59 h || DB 24,60 €/BC 25 || 17:34 h Strasbourg 18:34 h || SNCF 77 € || Fr 8:38 h] St-Raphael-Valescure - (Route Esterel) - Col Belle-Barbe (46m) - Col du Mistral (93m) - Col Belle-Barbe (46m) - Col de l'Evêque (159m) - Col des Lentisques (261m) - Col Notre-Dame (324m) - Col de la Cadière (241m) - Col des 3 Termes (303m) - La Napoule - Cannes - Point de la Croisette - Juan-les-Pins - Cap d'Antibes - Antibes - Nice (port) 22:00 h || Corsica Ferries 47,51 € || Sa 6:00 h L'Ile-Rousse100 km | 16,0 km/h | 7:05 h | 745 Hm W: sonnig, ein paar Küstenwolken am Esterel, bis > 30 °C E: Meeresfrüchtesalat, Ravioli m. Auberginen, Käse, Mousse au Chocolat, Rw 37,50 € (–) Ü: Fähre 0 € Eigentlich dachte ich, dass ich mit St-Raphael einen kleinen Ort als Startpunkt gewählt habe, von dem aus ich schnell ins Hinterland gelange. Das war mit ein Grund, im Nachtzug nicht bis Nizza zu fahren, zumal ich damit früher aus dem Zug rauskomme. Der Versuch, ab Bahnhof nach Nase zu fahren scheiterte dann aber. Direkt hinter dem Bahnhof steigt das Gelände an und es gibt sehr verwirrende Hügel und Täler, die alle dicht bebaut sind. Selbst ein Einwohner sah sich nicht in der Lage, mir den Weg aus der Stadt halbwegs verständlich zu erklären. Ich hatte schlicht versäumt vom Bahnhof ein Stück weiter zurückzufahren, um die richtige Ausfahrtstraße zu erwischen. Schließlich doch auf Kurs, fährt man auf der D 100 Richtung Agay (guter Radweg vorhanden) und biegt dann unauffällig auf eine kleine, schlechte Straße ins Esterel-Massiv ein. Es fehlt allerdings an einer richtigen Ausschilderung – allerdings soll hier der Autoverkehr auch in Grenzen gehalten werden. Sicherster Hinweis ist das Schild mit der eingeschränkten Aufenthaltserlaubnis in dem Gelände. Das Esterel-Massiv ist eines am stärksten von Waldbränden gefährdeten Gebiete in Südfrankreich (ähnlich dem Mauren-Massiv). Entsprechend tauchen auch immer wieder Hubschrauber zur Überwachung auf. Das Esterel ist mit dem Auto nicht komplett durchfahrbar. Die Straße kann man motorisiert nur bis zum Col Notre-Dame befahren – danach sind nur noch Wanderer und Radfahrer erlaubt (daher die allfälligen Hinweise auf Sackgasse ignorieren!). Es waren auch einige Rennradler unterwegs sowie ein Tandem. Soweit Autos, sind es wenige – meistens Wanderer oder einfach zum Picknick vor großartiger Kulisse. Im ersten Drittel gibt es noch eine weitere Abzweigung, auf der man wieder zur Küste zurückkehren kann (wohl auch mit dem Auto). Etwa in der Mitte gibt es auf einem Berg ein Observatorium – die Auffahrt ist aber nur Mitabeitern erlaubt. Ebenfalls noch ziemlich am Anfang befindet sich ein kleiner See. Kurz vorher teilt sich die Straße. Die reguläre Route geht rechter Hand direkt am See vorbei. Von der Verzweigung aus bin ich den Col du Mistral als Stichstraße gefahren – eigentlich wollte ich diesen direkt von St-Raphael kommend passieren – habe aber dazu keine Abzweigung vorher gefunden. Sie liegt vermutlich von der D100 nicht direkt einsehbar hinter einer kleinen Siedlung, die sich zwischen dem Kreisel auf die D100 und der Haupteinfahrt ins Esterel, die ich gefahren bin. Es lohnt dazu wohl eine genauere Karte mitzuführen (oder GPS). Durch das Esterel kann man einen kompletten Rundkurs legen, allerdings sind nicht alle Teile asphaltiert. Der von mir gefahrene Teil ist komplett asphaltiert bis auf das kleine Stück vom Col Belle-Barbe zum Col du Mistral. Dieser Exkurs ist aber bei einer reinen Süd-Nord-Querung nicht von Nöten. Der für Autos gesperrte Teil in Norden ist allerdings in recht schlechtem Zustand. Am Col Belle-Barbe – auch bereits abweichend von der direkten Route -, zweigt noch eine gut aussehende Piste ab, auf der man direkter nach Norden fahren kann. Wahrscheinlich nimmt aber die Qualität der Piste weiter nördlich ab (laut Karte). Will man das Esterel im Westen durchqueren und mehr auf Piste, nimmt man beim Col du Mistral weiter Kurs nach Westen und fährt eine recht lange Schleife, bevor sich die Forststraße nach Norden wendet. Dort kommt man der N 7 recht nahe und kann ggf. etwa in der Mitte aus- oder einsteigen. Am Col de la 3 Termes schließt sich dann der Kreis mit meiner gefahrenen Route. Von hier aus geht es bergab zur N7 und wenig weiter ans Meer bei Mandelieu bzw. La Napoule. Die Landschaft bei der Durchquerung ist mindestens so aufregend wie die der Küstenstraße N 98 am Esterel vorbei (bin ich 2002 gefahren) – allerdings um einiges anstrengender. Dafür hat man verschiedene Ausblicke aus der Vogelperspektive auf die Küste (im zweiten Teil) und passiert noch ein kleines, aber eindrucksvolles Gebirge. Die Berge dort geben einen guten Vorgeschmack auf das eigentliche Reiseziel Korsika und bilden den idealen Rahmen für einen Prolog auf dem Festland. Es macht insbesondere für Fotografen Sinn, die Strecke gegen Abend zu fahren, weil dann das Licht günstiger auf die rötlichen Felsen fällt (Sonne mehr im Rücken) und ggf. mit dem Sonnenuntergang die Felsen noch intensiver leuchten. Es gibt mehrere schöne Picknickmöglichkeiten, ich empfehle besonders die an der letzten Passhöhe. Die von mir nicht gefahrene Westroute ist ohne Blick auf das Meer. An der Luxusküste steppt natürlich der Bär. Weil ich durch eine Unachtsamkeit meinen Reinigungspinsel für die Kamera verloren hatte, musste ich in Juan-les-Pins auch noch in die Stadt zu einem Fotogeschäft fahren. In Cannes hatte ich das erst gar nicht versucht. Gleich um ein Vielfaches ruhiger wird es, wenn man in Juan zum Cap d’Antibes abzweigt. Die kleine Extrarunde ist es wert – auf der Westseite gibt es Badebuchten direkt neben römischen Mauerresten im Meer und pittoresken Ansichten mit Pinien und kleinen Häfen. Auf der Ostseite eröffnen sich wieder andere malerische Blicke auf Antibes, die in die Inspirationswelten von Impressionisten wie Claude Monet und anderen Künstlern führen. In den Gassen von Antibes gibt es viel zu entdecken und das Städtchen hat trotz der Touristenströme immer noch einen lieblichen Charme. Wer die Zeit hat, sollte sich einen Besuch in einem der vielen Restaurants zwischen Ateliers, Modeboutiquen und Spezialitätenläden gönnen. Kunstinteressierte müssen natürlich ins Picasso-Museum – ich hatte das mal vor ca. 25 Jahren besucht – damals noch mit einem Fiat 126 unterwegs. So weckt hier mancher Strandstreifen auch noch meine Erinnerungen – so übernachtete ich unweit vom Chateau Grimaldi im Auto an einem Kiesstrand und musste anschließend zur Zündkerzenreparatur in Nizza zu einer Werkstatt. Doch meine Zeiten des Automobils sind heute längst Geschichte. Nicht weniger übel als die Fahrt Cannes – Juan-les-Pins ist die von Antibes bis kurz vor die Tore von Nizza. Zum Glück hat man keine Orientierungsprobleme – man muss aber einem heftigen Verkehr trotzen. In Nizza entspannt sich die Lage, weil es eine breite Promenade samt Radweg gibt. Insgesamt hatte ich durch die Verzögerung am Morgen weniger Zeitreserve als erwartet, sodass ich Nizza keiner weiteren Blicke würdigte als die am Hafen. Hätte ich gewusst, dass die Fähre später als geplant eintraf und die bei der Buchung gemachte Angabe, man müsse sich mindestens eine halbe Stunde vor Abfahrt einfinden, für Radler als sinnfrei erwies, hätte ich in Nizza noch gegessen. Das hätte mir dann ein überteuertes und schlechtes Menü auf der Fähre erspart. Bildergalerie zu Kapitel 1 (67 Fotos): Fortsetzung folgt
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Geändert von veloträumer (12.02.19 19:00) |
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#887014 - 02.12.12 16:45
Re: Korsika 2012
[Re: veloträumer]
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Heute darf man auch mal ein zweites Türchen öffnen... - die Inselrundfahrt beginnt: KAPITEL 2 Ein Meeresbalkon zwischen Garten Eden und Gesteinswüsten, Jazz und polyphone Gesänge: Die Balagne im NordwestenSa 23.6. L'Île-Rousse - Bocca Fogata (77m) - Pigna - Cateri - Col de Salvi (509m) - Montemaggiore - Zilia - Calenzana - Bocca di Neraghia (283m) - Suare - Bocca di Marsolinu (443m) - dev. D81/D81B (Galéria) - Bocca Bassa (122m) - Bocca Serria (146m) - Calvi102 km | 12,8 km/h | 8:02 h | 1215 Hm W: sonnig, sehr heiß, > 35 °C, nachts ~ 20 °C, windig E: Salat kors. Schinken/Käse/ Kichererbsen, Dourade/Kart.kuchen/Zitronensauce, Rw, Maronencrème, Cafe 27 € (+) Ü: C La Cle d. Champs 7,90 € Mit L’Île Rousse gehe ich an dem kleinsten der denkbaren Ankunftshäfen an Land. Zumal so früh am Morgen zeigt sich das Städtchen äußerst geruhsam. „Korsika, die Muße und Gelassenheit – sei gegrüßt, ich bin wieder in deinen Armen!“ so mein erster Gedanke. In der Säulenhalle nahe dem Hafen werden gerade Marktstände aufgebaut. Erste Versorgung auf korsisch. Gleich in einer Gasse entdecke ich einen kleinen Laden, den eine alte Frau führt. Canistrelli gibt es dort vor allem – die schon erwähnten leckeren Kekse. Sie sind hier preiswerter als ich sie sonst im Land gesehen habe. Erstes Frühstück unter korsischer Sonne. Andere Fährgäste haben sich schon in den Cafes gegenüber niedergelassen. Mimik und Gestik sagen es ohne Worte: „Das ist hier ist Urlaub. Keine Hektik, milde Sonne, das Meer im Ausblick. – Was willst du mehr?“ Nun, es bleibt nicht bei milder Sonne – der Tag sollte einer der heißesten der ganzen Reise werden. Gleich geht es aufwärts in noch kuppig geformte Berge, immerzu großes Panorama auf die Buchten und das Wasser. Das Blau des Meeres malt sich ins Auge, jeder Höhenmeter eine neue Perspektive voller Unendlichkeit. Da ist es wieder, diese atemberaubende Faszination des langsamen Radelns – obwohl man doch schon soviel gesehen hat. Nichts ist spektakulär hier – es ist nur schlicht schön! Auf den Zwischenhügeln liegen verschiedene Orte, die höheren erinnern an Adlerhorste. St-Antonino werde ich auslassen – ein Ort, in dem es einen urigen Spezialitätenladen geben soll. Den ersten Stopp mache ich in Aregno – da denke ich in der bereits brüteten Hitze nach, ob ich mich zu einem frisch gepressten Orangensaft unter lichte Schattenbäumchen in ein Bistro setzen soll. Die Verführung ist groß, der Gedanke an ein erfrischendes Sommergetränk drängt in meine Kehle – doch blieb ich standhaft. Ich merke später: Ich bin noch zuviel in der Hektik des Alltags. „Entspanne dich und genieße!“ geht mir noch nicht leicht über die Lippen. Das ausgelassene Glas Orangensaft verfolgt mich tagelang. So ist das: In der Welt geht es um Eurokrise und Fußball-EM und ich denke einen viele Tag über ein nicht getrunkenes Glas Orangensaft nach. Ich brauche über eine Woche, um das Verpasste nachzuholen – diese Erfüllung von Frische in dem gelben Saft einer Orange. Es scheint eine Reise der Nebensächlichkeiten zu werden. Auf jeden Fall muss Pigna erwähnt werden. Es handelt sich um ein kleines Dorf mit engen Treppengassen (Rad am Ortseingang beim Parkplatz stehen lassen). Pigna wurde zum Vorzeigedorf für korsisches Kunsthandwerk – mehr aber noch ein Zentrum für die korsische Musik. Es gibt sogar einen Plattenladen im Ort mit Spezialsortiment auch im Bereich Jazz. Leider hat man sich auf gut ausgeschlafene Touristen eingestellt und in der Frühe hat noch kein Laden offen (ab 10:30 h oder 11:00 h). Es gibt auch wunderbare kleine versteckte Gärten zum Essen und Trinken – natürlich (fast) alles mit Meerpanorama. Exkurs Polyphonie: Wer sich einlesen will zum korsischen A-cappella-Gesang: Cantu. Eine gute Zusammenstellung mit korsischen und sardischen Gesänge gab (gibt?) es (mal) bei Zweitausendeins in der WDR/World Network-Serie zu kaufen: Corsica/Sardinia, World Network 31 (Canta u Populu Corse & A Filetta, Donnisulana, Tenores di Bitti, Coro di Neonelli, Coro di Orune, Coro di Mamoiada, Luigi Lai – The Mystery of Poliphony), Network Medien 58.393. Ein Hörbeispiel zur Begleitung der Lektüre von eine der berühmtesten Gruppen (und aus der Balagne!) könnt ihr hier hören: A Filetta (4:39 Min.) – sogar gut zur Adventsstimmung geeignet. Beliebt sind heute auch diverse Mischformen – so etwa mit der korsischen Gitarrenmusik, zu der meist eher leichte, einfache bis schnulzige Lieder gesungen werden wie man es von der Capri-Fsicher-Romatnik kennt. So finden sich zuweilen Gruppen, die mit zwei Stimmen auskommen wollen – für eine echte Polyphonie braucht es aber mindestens drei oder besser mehr Stimmen. Eine weitere moderne Schiene ist die Verbindung mit Rock- und Popelementen. Weltruhm erlangte so die Gruppe I Muvrini Pop (4:40) von meiner zweiten CD-Empfehlung I Muvrini „Umani“,2000, AGFB Productions/Capitol Records 072435419842 (ein Song darauf ist mit dem Schweizer Singer/Songwriter-Star Stephan Eicher). I Muvrini setzt aber auch gerne klassische Elemente ein - hier mit riesigem Chor: I Muvrini Klassik (5:16 Min.) . Ich hatte sie mal live erlebt in Stuttgart. Auf ihrer Website finden sich nicht nur viele poetische Songtexte, sondern auch eine deutsche Sektion.Cateri ist ein Kreuzungspunkt mit der Route des nächsten Tages. Hier schaue ich erstmals über die gelben Kätzchenblüten von Kastanienbäumen – etwas, was mich noch lange und oft auf der Reise begleitet. Ein hell leuchtendes Gelb, das sich wie eine Sonne vom Blau des Himmels oder des Meeres absetzt. Allerdings endete die Blüte im letzten Teil meiner Reise. Montemaggiore fällt durch seine besondere Lage auf einem Felsen auf, was man aber erst vom Westen aus und bereits weit weg vom Ort wahrnimmt. Macchia und kultivierte Olivenhänge wechseln sich ab, gegen Westen ragen schroffere Berge zur Küste hin auf. Nach Norden immer wieder Blicke in die Bucht von Calvi bis zum Bocca di Marsolinu. Zwar ist die Strecke bis zum Golf von Galéria nicht richtig schwierig, aber in der enormen Hitze ist das viele Auf und Ab schon sehr anspruchsvoll. Während im südlichen Teil der Strecke Galéria – Calvi noch naturgeschützte Macchia bis ans Meer reicht, dominiert im nördlichen Teil eine aparte Felswüste. Nach dem Blick auf den Leuchtturm auf der Halbinsel sieht man Calvi relativ spät und schält sich wie ein Bild aus einem Rahmen heraus. Calvi kann sich nicht nur der schönen Lage in der Bucht erfreuen – auch blieb die Stadt mit am längsten in den Händen der Genueser, weil sie kaum angreifbar war. Kein Symbol der korsischen Unabhängigkeit also, dafür liberal in seinem Denken. Auf den Widerspruch zwischen Nationalbewusstsein und liberaler Gesinnung werde ich noch in Kap. 9 tiefer eingehen. Zwischen Zitadelle und den steilen Gassen tummeln sich abends die Touristen, am Morgen ist es aber vergleichsweise ruhig. Die Hauptbühne des Jazzfestivals liegt zwar innerhalb der Zitadelle direkt in Terrassenlage zum Meer, aber auch in den Kneipen und Restaurants spielen hin und wieder Gruppen gratis. So kam ich auch essensbegleitend noch zu einer Portion recht gelungenen Mainstream-Jazz’ aus dem Nachbarrestaurant. So 24.6. Calvi - Lumio - Bocca di Forcolina (261m) - Cateri - Feliceto - Speloncato - Bocca di a Battaglia (1099m) - Olmi - Bocca a Croce (928m) - Bocca Capanna (844m) - Bocca di u Prunu (734m) - Col de San Colombano (692m) - Col de Casella (405m) - Belgodère - Lozari - L'Ostriconi (Ogliastro)96 km | 12,7 km/h | 7:32 h | 1485 Hm* W: sonnig, später leicht bewölkt, teils starker Wind, bis > 30 °C E: Entrecôte & Zucchinigratin, Rw, Crème brulée, Cafe 25 € Ü: C L'Ostriconi 13 € Nachdem ich bereits zwei Tage mit Meerblick radele, aber noch kein Bad im Salzwasser genossen habe, hole ich das am Morgen unweit von Calvi nach – hier gibt es weite Kies- und Sandstrände – immer wieder bis L’Île Rousse. Anschließend passiere ich typische Dörfer der Balagne, mit Meerpanorama, eingebunden in Olivenhaine, Obst- und Ziergärten und kleineren Bewaldungen samt Wasserfällen. Die schönsten Orte darunter sind Lumio im Westen – schon 1999 war ich dort und erwarb auf dem Markt eine wunderbare Glaskaraffe mit handbemalten Maronenmotiven – und Speloncato im Osten am Ende dieser Halbhöhenroute entlang der Hügel. Von Speloncato überwindet man den recht schwierigen Bocca di a Battaglia, auf dessen Passhöhe es ein Ausflugslokal gibt. Die Region wird nun einsamer, nach Süden erstreckt sich ein recht schattiges Waldgebiet, auf der Route nach Osten lockert die Vegetation aber bald auf, bis sie ganz offen ist. Es gibt fast nur noch mittelhohe Macchia, teils wie ein grüner Teppich die Hänge säumend. Die Pässe hier sind recht zahm. In der Ferne im Süden deutet sich das Hochgebirge an. Doch zunächst kehre ich nochmal kurz zum Meer zurück. Über den Panoramaort Belgodère geht es zur N 1197, auf der abends auch nicht mehr viel Verkehr ist. In L’Ostriconi findet sich recht einsam ein Campingplatz mit aller wesentlicher Infrastruktur. Irgendwo gibt es noch eine Gite in der Nähe und auch morgens findet sich ein Straßenstand mit Obst, Gemüse und mehr. Offenbar lebt er vom Transitverkehr, aber auch von den Gästen hier. Denn der Strand beim Camping ist begehrt und schön – ich kenne ihn noch aus alten Zeiten. Diesmal wars dunkel – der Camping liegt auch nicht direkt am Strand und des Nachts hörte ich nur das Rauschen der Wellen. Der Camping liegt nicht zufällig hier, denn im Osten beginnt die Désert des Agriates – die korsische Wüste. Auch mehr oder weniger eine Gesteinswüste, teils mit stark wuchernden Kakteen. Für eine intensivere Exkursion fehlte mir letztlich auch auf dieser Reise die Zeit. Erschließen kann man sie aber nur auf Pisten oder auch per Boot zu den Stränden – mehrheitlich von St-Florent. Mo 25.6. L'Ostriconi (Ogliastro) - Novella - 2 - Bocca a Croce (513m) - dev. N197/D247 - Castifao (514m) - dev. D47/D147 - 15 - Asco - Camping Monte Cinto70 km | 10,6 km/h | 6:37 h | 1450 Hm* W: sonnig, sehr heiß, > 33 °C, teils windig, Asco-Tal = Windkanal! E (Asco): Lamm in Rosmarin-Honig-Sauce/PF, Käse m. Feigenkonfitüre, Roséw., Cafe, Likör gratis 25 € (+) Ü: C Monte Cinto 8 € Sicherlich noch ein Geheimtipp ist die Strecke von Monetta über den Bocca a Croce. Das Tal mit Sträuchern und niedrigen Bäumen variiert in verschiedenen Farben und Formen. Novella mal wieder eine kleine Dorfperle – eine schöne Nebensächlichkeit sozusagen. Man überfährt die Bahnlinie, die Calvi mit Ponte Leccia verbindet. Man kann sich sogar dort direkt an einem Bahnhof als Tourist einmieten – Ferien mit direktem Bahnanschluss – allein der Zug kommt selten. Ansonsten aber ziemliche Einsamkeit, die sich auch der Südseite des Passes fortsetzt. Und wieder ein Landschaftswechsel. Blumiger, farbiger, feuchter, mäandernde Kurven, Auenlandschaft. Auf der N 1197 scheint es dann doch Verkehr zu geben, man hört ihn kurz vor der Einmündung der N197. Doch zweige ich rechtzeitig ab – weiter in die Einsamkeit. Für ein Flussbad finde ich eine kleine Stelle – doch liegt hier noch nicht eine Hochburg der Gumpenflüsse. Dafür aber schon mal Brücken, Wiesen, Blumen, Pferde – dann wieder Wald, auch mal schattig. An Castifao vorbei, liegt wenig später auf einem Hochpunkt der Straße recht eindrücklich ein Kloster. Mit der Abfahrt an Kakteen vorbei und durch das kleine, aber quirlige Dorf Moltifao durch, erreiche ich das Asco-Tal. Damit beginnt ein gänzlich neuer Landschaftsabschnitt und ich befinde mich auch schon einige Kilometer lang im Niolu (auch Niolo). Somit unterbreche ich hier die Etappe und fahre im nächsten Kapitel damit fort. Bildergalerie zu Kapitel 2 (101 Fotos): Fortsetzung folgt
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#887141 - 03.12.12 09:04
Re: Korsika 2012
[Re: Holger]
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Bei Conny haben die Fotos auch ein klares Hinwill ausgelöst. Also haben wir jetzt Pläne bis 2014, da Nächste Jahr der Jakobsweg ansteht.
Gruß Detlef
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#887206 - 03.12.12 14:15
Re: Korsika 2012
[Re: veloträumer]
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Oh, wie schön. Endlich eine neue Reportage vom veloträumer. Dies bedeutet, viel zu lesen, viele Fotos zu betrachten und somit auch vieles oder wenigstens so manches nachempfinden zu können. Das bringt Freude und macht die kommenden Weihnachts- und Winterwochen deutlich erträglicher. PS: Ich bin ein wenig erleichtert, dass ich mich nicht so sehr für Korsika interessiere und deshalb diesen Bericht zwar sehr begeistert verfolgen, aber ebenso gelassen genießen kann. Denn ich klammere noch immer an den Erzählungen zu den Touren in den Pyrenäen und den West- und Ostalpen, Regionen, die auf mittlere Sicht meinen persönlichen Ambitionen - und möglichst mit Gattin - näher liegen. Aber jetzt widme ich mich in den nächsten Wochen erst mal Deiner intensiven Reise durch Korsika.
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#887343 - 03.12.12 22:27
Re: Korsika 2012
[Re: kettenraucher]
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Draußen weiter ungemütlich, hier weiter Sommer - das nächste Türchen... KAPITEL 3 Babylonische Felsen, Schmalspurbahn und viel Schweinerei: Erste Begegnung mit dem zentralen korsischen Hochgebirge zwischen Monte Cinto, der großen Inseltransversalen und Nebenrouten in Gravone und PrunelliDi 26.6. Camping Monte Cinto - Haut-Asco (1361m) - Asco - Ponte Leccia - dev. N193/D18 - Col de San Pancrazio (731m) - Popolasca - Croce d'Arbitro (664m) - Pont de Castirla - Francardo - Collo di San Quilico (559m) - Corte - Col de Bellagranajo (723m) - Venaco - D43 (~ 2 km) - Venaco103 km | 13,4 km/h | 7:41 h | 1365 Hm* W: sonnig, heiß, > 30 °C E: überbackene Auberginen, Hähnchenfilet, Maronencrème, Roséw., Cafe 23,40 € (+) Ü: C wild 0 € Zunächst also noch ein kurzer Rückblick auf den Abend des vergangenen Tages: Gleich bei der Brücke unterhalb von Moltifao beginnt die Fahrt durch ein nunmehr recht enges Tal, der Fluss bietet hier zahlreiche Bademöglichkeiten, die auch intensiv genutzt werden. Freie Badeplätze schon jetzt im Juni Fehlanzeige. Nur wo es bereits schattig ist, ziehen die ersten Tagesfreizeitler zum Abendprogramm ab. Wenig unterhalb gibt es touristische Infrastruktur mit Camping, zudem auch eine Schildkrötenfarm, die sehenswert sein soll, die ich aber nicht besucht habe (eine griechische Landschildkröte ist mir aber trotzdem im weiteren Verlauf der Tour vor meine Linse gelaufen ). Bald werden aus bewaldeten Hängen scharfkantige Felswände und man fühlt sich wie in einem Labyrinth aus Stein. Mir kommen Darstellungen des Turms zu Babylon aus meiner Schulzeit in den Sinn. Die markanten Felsfurchen sind teilweise so regelmäßig, dass man glaubt, überall Bogentüren oder -fenster zu sehen. Auch könnten sie der Baukunst Palladios in Vicenza entsprungen sein. Die atemberaubende Gorges de l’Asco kann man gut genießen, denn die Steigung ist bis kurz vor Asco recht gering. Auch der Verkehr ist dank der fortgeschrittenen Tageszeit bereits mager, denn viel Zivilisation gibt es im weiteren Verlauf des Tales nicht. Nur Asco ist noch ein richtiger Ort – nunmehr die Schlucht hier zu einem Hochgebirgstal geweitet und die Berge alpin umher, aber ohne die Arbeit der babylonischen Steinmetze. Sowohl am unteren Anfang wie am oberen Ende des Ortes gibt es an der Straße je ein Gasthaus mit Unterkunftsmöglichkeiten und Speiseterrassen, die herrliches Bergpanorama bieten. Unterhalb des oberen Endes gibt es am Fluss noch eine genuesische Brücke – erfordert aber eine steile Extratour, die ich nicht absolviert habe. Leider ist man auf der Suche nach einer Wildcampmöglichkeit hier völlig hilflos – alles ist unbrauchbar steil, wenige Restflecken bewirtschaftet oder besiedelt. Mal sehen, was diesmal der Zufall für meine Nacht bereit hält. Ich genieße ein leckeres Essen auf der Terrasse des Restaurants oberhalb am Ortsausgang. Es gibt dem Honigort gemäß (vgl. Einführung) Lamm in leckerer Rosmarin-Honigsauce. Auch der Nachtisch mit Ziegenkäse und Feigenkonfitüre ist nicht nur typisch korsisch, sondern auch typisch für Asco, weil das Bergdorf nicht nur für den Honig sondern auch für die Käseproduktion berühmt ist. Der Abend bringt es mit sich, dass ich mit dem italienischen Nachbartisch (nette Römer) ins Gespräch komme – einer der Söhne ist die Strecke mit dem Rennrad schon gefahren und ich werde ermutigt, noch die Reststrecke von 200-300 Hm zum nächsten Campingplatz zu fahren. In der Nacht nicht unbedingt mein Seelentraum, aber die Strecke fahre ich ja nächsten Tags wieder zurück und verpasse daher nichts. Die Strecke fortan von Asco ist durchgehend steil, einige Rampen lassen die Zähne besonders laut knirschen – allein in der Nacht hört es keiner. Der Camping „Monte Cinto“ liegt aber immer noch deutlich unterhalb von Haut-Asco, wohin die Straße nicht weniger steil ist. Der Camping ist absolut schattig, mitten im Kiefernwald gelegen, ein kleines Bistro vorhanden – war aber trotzdem gut so, weiter unten gegessen zu haben. Zur Nachtzeit war natürlich niemand mehr da, aber am nächsten Morgen fand ich die Campingwartin vor, die im Haus direkt anbei lebt. Sie fragte mich, ob ich den Monte Cinto, den höchsten Berg Korsikas, erwandern möchte und ich lehnte die Idee dankend ab: „Nicht meine Welt, die Berge auf dem Rad reichen mir.“ In der Tat dreht sich hier alles um diesen Berg mit Schnittpunkt zum GR 20. In Haut-Asco gibt es dann nochmal diverse Unterkunftsmöglichkeiten in Art von Hütten und einfachem Berghotel – allerdings finde ich es dort weniger einladend als die Gelegenheiten im Ort Asco unten. Die Straße endet hier und erste Wanderer beginnen ihren Aufstieg. Neben den Hütten und dem Hotel gibt es auch Möglichkeiten zu zelten – kein richtiger Campingplatz, aber dem Andrang der Wanderer wohl widerwillig abgerungen. Für mich nun der Start zur langen Abfahrt, die ich vollends genießen kann, weil ich das meiste ja schon bei der Auffahrt gesehen und im Bild festgehalten hatte. In Ponte Leccia ist es dann fast unerträglich heiß. Dieser wichtige Verkehrsschnittpunkt mit einer alten, aber noch funktionsfähigen Brücke ist für viele ein Ort zur Basisversorgung, aber nicht wirklich ein Ort zum Verweilen. So wende ich mich wieder einsamen Straßen zu mit einer lohnenswerten Nebenstrecke über Popolasca. Wer frisches Wasser sucht, sollte mit etwas Geduld durchfahren, nach Popolasca gibt es eine gute Quelle. Diese Wasserstellen sind manchmal recht primitiv, aber intelligent gemacht: Ich bin mit dem Kopf an das simple Plastikrohr gestoßen und prompt drohte die Quelle zu versiegen. Man muss also genau die Wasserader treffen, sonst fließt nichts. Ich konnte das Rohr dann wieder halbwegs gut richten. Andere Trinkbrunnen fallen dadurch auf, dass auf einer Steinrinne oder dem nackten Stein, über den das Wasser läuft, ein spitzovales Laubblatt liegt – mit einem kleinen Stein am Wegschwimmen gehindert. Der Sinn ist, dass das Wasser dann entlang des Blattes so läuft, dass man einen schönen Strahl zum Abfüllen oder trinken bekommt, während es am Stein entlang nach hinten wegfließen würde. Das Blatt bleibt steif, weil es mit Wasser versorgt wird. Technik kann so einfach sein – braucht es heute wirklich überall Bits & Bytes & Energy? Die Pont de Castirla ist wieder Kreuzungspunkt mit einer nachfolgenden Etappe. Der Blick nach Westen lässt schon mal auf eine schöne Bergroute schließen. Heute geht es zunächst aber weiter abwärts das mittlere Golo-Tal hinunter bis nach Francardo zur dicht befahrenen N 193 – die großen Inseltransversale. Zum Glück gibt es ein erfrischendes Bad zunächst direkt unter der Autobrücke – schöner als es sich wohlmöglich anhört. Die Passhöhe nach Corte ist sehr gemäßigt. Landschaftlich eher Hügel, ein Eisenbahnviadukt ziert einen Berg. Nach der Passhöhe lässt sich Corte bereits gut erahnen. Auf dieser Etappe fahre ich an Corte achtlos vorbei – die Silhouette an sich ist aber mit den steil aufschießenden Bergen dahinter schon ein stimmungsvoller Blickfang. Ich bin gespannt auf die nächste Begegnung. Es folgt auf der Inseltransversalen eher offenes Hügelland und die Blick nach Osten zu den Bergdörfern in die liebliche Kastanienregion Bozio. Ein kleiner Vorgriff auf das Schlussdrittel der Tour (Kap. 9). Zum breiten Tavignano-Tal gibt es noch eine Verbindungsachse über einen Bergrücken, auf dem die Abendsonne mild die Dörfer Casanova, Riventosa und Poggio-di-Venaco anleuchtet. Bald finde ich unter mir Venaco – zwar eine größere Ansiedlung, aber touristisch nicht viel mehr als ein zentrales Restaurant mit Hotel. Ich suche zwar noch den empfohlenen Campingplatz Peridundella, komme aber dabei immer tiefer in ein anderes Tal. Um nicht am nächsten Morgen mir eine Extrabergtour aufzubürden, lasse ich die Unterkunft mal wieder weg (zumal Essen dort ungewiss wäre und ist, wie ich später auf der Tour feststellen konnte). Also zurück nach oben zum Restaurant in der Ortsmitte. Aber wohin mit dem Zelt danach? – Ich fahre zunächst weiter, weiß aber um die Sehenswürdigkeit der Pont du Vecchju unwesentlich weiter – die will ich ja bei Tageslicht sehen. So muss an einem Sportgelände der Steinboden eines abgeriegelten Vereinsschwimmbades herhalten – die Nacht ist hier extrem mild – ein Zelt brauche ich nicht. Mi 27.6. Venaco - Pont du Vecchio - Vivario - Col de la Serra (807m) - Col de Campo di Luppo (824m) - Vizzavona - Cascades des Anglais (Waldpiste, teilw. geschoben) - Col de Vizzavona (1163m) - Bocca alla Sellola (1015m) - Bocca al Zuccaro (761m) - Bocognano - Cascade du Voile de la Mariée (kleine Wanderung) - Col de Scalella (1193m) - Bastelica61 km | 10,1 km/h | 6:03 h | 1320 Hm* W: teils sonnig, teils bewölkt, ~ 28 °C E (Chez Paul): kors. Wurst/ Schinken, Spinat-Canneloni, Schmorfleisch m. Bohnen, Pannacotta, Rw, Cafe 36 € Ü: C wild 0 € Die angesprochen Eisenbahnbrücke ist ein Werk von Gustav Eiffel – eindeutig erkennbar im Stil. Per Stichstraße kann man hier in ein Waldgebiet vorstoßen und ruhige Badeplätze finden. Im weiteren Verlauf besteht eine Möglichkeit mit Wanderstiefeln über den Lac de Capitello und den Lac de Melo ins Restonica-Tal zu gelangen. Das nächste Örtchen ist wieder zu erklimmen auf halbem Weg zum Col de la Serra – ein grandioser Terrassenblick schweift von Vivario zurück nach Norden. Obst, Joghurt und Canistrelli gibt es als Frühstück vom lokalen Tante-Emma-Laden, Cafes und Restaurants sind aber auch welche im Ort. Den laut Karte und Reiseführer erwähnten Campingplatz kann ich aber nicht orten – obwohl ich auch durch Vivario noch ein zweites Mal kommen sollte. Unweit über dem Ort nach einer Serpentine sieht man ein verfallenes Fort, zu dem man wohl auch wandern kann. Kaum eine Sehenswürdigkeit, wo nicht auch jemand das Geschäft wittert. Auch hier ein kleiner Tageskiosk am Parkplatz. Es folgt die schon eingangs erwähnte Brandstelle mit Löschkräften im Einsatz und an der Abzweigung zum Col de Sorba findet sich nochmals ein Restaurant. Die Besiedlung ist allseits dürftig. Bald taucht man von der offenen Berglandschaft in dichten Kiefernwald ein, überquert die Bahnlinie, die wenig später am Vizzavona-Pass den höchsten Punkt wie auch die Straße auf der Inseltransversalen überwindet. In Vizzavona kann man die Häuser nicht von der Straße erkennen, es gibt aber diverse, sogar bessere Hotels dort. Noch vor dem Vizzavona-Pass gibt es einen Abzweig zu den Cascades des Anglais – kleinere Kaskaden, aber von großer Schönheit und beliebt als Badeplatz. Die Piste dorthin ist anfangs noch gut fahrbar, wird dann aber zu rumpelig, sodass ich schieben muss. Allein ist man hier nicht so sehr – neben schleppenden Badegästen wartet an den Wasserfällen wieder ein Bistro nebst Klettergarten mit zu bezahlendem „Abenteuercharakter“. Mit dem Vizzavona-Pass öffnet sich ein weites Tal Richtung Ajaccio – in der Ferne ahnt man bereits das Meer – im Dunst kaum zu sehen. Es gibt nun wieder Kastanien im Überfluss. Mit Bocognano gelangt man auch zu einer der Schweinehochburgen Korsikas – nicht ein zweifelhafter Ruf, nein – vielmehr ein köstliches Prädikat! Auch wird nach dem Abzweig auf die ruhige D 27 gleich deutlich, wer die Straßen beherrscht: Schweine – eben jene wild laufenden Hausschweine, für die aber auch überall improvisierte Gehege mit Gattern bereit stehen. Sie sind häufiger leer als voll – Auslauf eben, Schweinefreiheit wird hier groß geschrieben. Mit Radfahrern können die Schweine nicht viel anfangen – oder besser gesagt: sie fürchten sich mehr vor ihnen als vor Autos. Die Ausweichmanöver in die zum Teil steilen Randzonen der Straße sehen alles andere als einstudiert aus – ich mache mir Sorgen um die Schweine. Manchmal laufen sie nicht runter, sondern rutschen – ein Wunder, dass sie keine Purzelbäume schlagen – Rolle seitwärts kommt aber schon mal vor. Dabei staubt es oft entsetzlich oder sie verursachen mittleren Steinschlag, der wiederum Kollege Sau trifft – was die Panik noch verstärkt. Die Jüngeren beobachten die Alten, was die so machen. Offenbar fehlt es den Alten aber auch an weiser Gelassenheit, sodass die jungen Schweine kaum was dazulernen können, schon gar nicht über Radfahrer. Was sie vor allem beherrschen ist natürlich das Fressen – und das ist ja ihr eigentlicher Job. Bevor es einen lang gezogenen Pass nach oben geht, zeigt sich linker Hand ein größerer Wasserfall, den man recht kurz von der Straße aus erwandern kann (bereits von der Straße zu sehen). Viele Besucher kommen aus Bocognano bzw. von der Inseltransversalen und kehren nach dem Besuch des Cascade du Voile de la Mariée häufig wieder zurück, ohne die die D 27 weiter zu fahren. Einige schließen den Kreis auch mit einem Abstecher nach Tavera – dazu kann man noch vor der Hauptanfahrt zum Col de Scalella abzweigen. So sind dann über den Pass noch weniger Autos unterwegs. Die Steigung ist durchschnittlich gering, auch wenn ein paar steilere Abschnitte zu bewältigen sind. Das Panorama fiel den vielen Wolken etwas zum Opfer, jedoch blieb das scheinbar drohende Gewitter aus. Bastelica hat zwei wichtige Bedeutungen. Die eine ist der Basisort für das Val d’Ese, das im Winter am oberen Ende ein Skigebiet bereit hält, in das die Bewohner von Ajaccio gerne kommen. Skigebiet heißt in Korsika natürlich etwas anderes als in den Alpen oder Pyrenäen – also ein Parkplatz, ein Lift, ein Kiosk und ein paar Kühe (zumindest im Sommer). Für die große Apres-Ski-Party dürfte es auch nicht in Bastelica reichen – da muss man wohl nach Ajaccio zurück. Im Sommer wirkt der Ort abends fast wie ausgestorben – zum Flanieren gibt es nichts. Wenn ist man in einer Gîtes untergebracht – vielleicht mit toller Aussicht beim Restaurant „Chez Paul“, wo ich im edlen Ambiente zu Abend gegessen habe. Uriger und rustikaler ist ein Restaurant unten in der Flussaue, wenn man Richtung Val d’Ese weiter will – es hatte aber leider geschlossen – dort anhängende Wiese eignete sich für meine Zeltnacht. 1. Exkurs korsische Unabhängigkeit: Tagsüber blüht der Ort auch mit ein paar Touristen mehr auf. Zwischen dem Col de Cricheto und Bastelica verkehrt ein kitschiges Touristenstraßenbähnchen – das aber ist noch nicht die andere Bedeutung von Bastelica. Vielmehr ist es der korsische Freiheitsheld (?) Sampiero Corso, der hier geboren wurde und dessen Abbild als animalisch kämpferisch wirkende Bronzestatue im Ortszentrum unübersehbar ist. Sampiero Corso lebte von 1498 bis 1567 und stieg zu kriegerischer Generalität durch die Gunst der Medici und des französischen Königs Henri II. auf. Der Kampf gegen die Genuesen blieb mehr ein Wechselspiel der großen Mächte Genua, Medici und Frankreich, als dass es zu einer erfolgreichen Unabhängigkeit kam. In diesem Machtpoker heiratete Sampiero als 50-Jähriger die 15-jährige Vannina – eine reiche korsische Adlige. Doch was nicht aus Liebe geschaffen ist, auch nicht von langer Dauer sein kann. Über die Gründe von Vanninas Flucht vor ihrem Mann gibt es unterschiedliche Legenden – jedenfalls sucht sie bei den Genuesen Schutz – entweder wegen einer alten Jugendliebe, wegen der Bewahrung ihres Besitzes oder wegen politischer Kooperation mit den Genuesen, was einem Verrat gleich kam. Das Drama soll Shakespeare zu Othello inspiriert haben. Der rachsüchtige Sampiero Corso verfolgte seine Frau nach Aix-en-Provence und würgte sie ebenso zu Tode wie zwei ihrer Mitwisser. Während es die Justiz nicht wagte ihn zur Rechenschaft zu ziehen, wurde er Opfer der Vendetta, verraten von einem Knappen und in der Nähe seines Heimatortes erstochen von zwei Brüdern Vanninas. Über die etwas zweifelhafte Verehrung Sampiero Corsos unter den heutigen Korsen wird noch später zu sprechen sein (vgl. Kap. 9).Do 28.6. Bastelica - Col de Ciano (993m) - Col de l'Usciola (1612m) - Station du Val d'Ese (~1680m) - Bastelica - Col de Menta (756m) - Tolla - Col de Mercujo (715m) - Ocana - Cauro - Bocca Sant'Alberto (521m) - Cascade de San Alberto (kleine Wanderung) - Col de Marcuccio (670m) - Pont genois de Zipitoli - Col de Cricheto (725m) - Cauro - Bastelicaccia - Mezzavia (Ajaccio) - Col de Listincone (232m)122 km | 12,2 km/h | 9:58 h | 2045 Hm* W: sonnig, ~ 30 °C E (Sapparella, Cauro): Rw, Entrecôte Sauce Roquefort, Eis, Cafe, Likör gratis 28,80 € Ü: C wild 0 € Die Fahrt ins Val d’Ese ist sicherlich nicht spektakulär, aber ich finde sie wegen der vielen Ausblicke und der zunehmenden Kargheit, aus der die Blumen umso wirkungsvoller hervortauchen, sehr lohnenswert. Dieser höchste korsische Straßenpunkt mit der Skistation am Ende ist nicht einfach zu erklimmen, die Steigungen sind recht ordentlich. Der schon eingangs angesprochene höchste Pass ist für mich nicht richtig zu erkennen gewesen – ich vermute sogar, dass er nicht auf der Straße, sondern mindestens 50 Meter abseits und oberhalb vom Asphalt liegt. Die „französische“ Passologie ist aber auch für mich nicht immer zu durchschauen. Für das Erleben spielt es auch keine Rolle. Wichtig: Es gibt im Sommer jenseits von Bastelica keinerlei Versorgungsmöglichkeit an der Straße. Zunächst fährt man vom Fontana Majo mit „goldenem“ Becher aus Bastelica hinaus durch Kastanien- und Schweinewald – grunz, grunz Es geht tierisch weiter mit kämpfenden Ziegenböcken – klack, klack. Die Hormone sind so stark, dass ich als Radfahrer unbeachtet bleibe – normalerweise suchen Ziegen da immer das Weite. Dann ist Ruhe, viel Aussicht, viel Sonne. Beim Usciola-Pass gibt es etwas bäuerliche Besiedlung innerhalb eines rosaroten Fingerhutmeeres – unklar, ob das Ganzjahresbehausungen oder temporär bewohnte Almhütten sind. Um den letzten Berg rum endet die Straße bald an einer Schranke mit Rindviechbewachung in freier Flucht zum offenen Berg. Lift und Kiosk linker sind natürlich geschlossen. Weniger zuvor befindet sich rechter Hand eine gute Piste, die aber laut Karte später in einen Wanderweg übergeht. (Eventuell für Mountainbiker durchfahrbar nach Tasso und Zicavo.) Die Rückfahrt ist wohl die schnellste Abfahrt der Reise. Nach Bastelica bleibt die Strecke zunächst unauffällig, mit der Fahrt durch die Gorges de Prunelli beginnt aber wieder ein kleines Felsenwunderland. Mancher Stein ist bewohnt – insbesondere herrscht dort ein Froschkönig – und ich erlebe nun erstmals – und später öfters, dass die Felsen mächtige Geister sind, die gelegentlich zum Leben erwachen und ein Herz für Radler haben – denn sie grüßen recht freundlich – vgl. Bildergalerie. Nach schönen Felsen kommt schönes Wasser – der Stausee von Tolla. Die Straße vom Ort zum See ist sehr steil, was man beim Zurückfahren bedenken sollte. Ein Abstecher lohnt aber, es hat stimmungsvolle Ecken dort neben einem dezenten Wassertourismus. Die Westseite des Bocca di Mercuju ist mit seinen Kurven und der Aussicht auch ein Genuss. Auf der Querverbindung nach Cauro durch eine Talmulde nimmt die Zahl der Olivenbäume deutlich zu. Beim Ort Eccica wurde Sampiero Corso ermordet – der Schweiß des Tages ist dessen ungeachtet natürlich auch mörderisch. In Cauro hätte schon Schluss sein können – ich rechne mir aber noch aus, bei Tageslicht bis zum Col de Cricheto und zurück zu gelangen. Dazu musste ich allerdings verschärft Gas geben – zumal noch zwei kleine Wanderabstecher auf dem Programm standen: Der Cascade de Sant’Alberto (Piste dahin teils radelbar) und zur genuesischen Brücke Zipitoli (Piste dahin ebenfalls radelbar) – ein idyllisches Fleckchen Erde. Dass der Radeltag mit dem Essen in Cauro noch nicht zu Ende war, ist wohl eher einem ungünstigen Zufall zu verdanken. Ich konnte – zumal im Dunkeln – nirgendwo einen geeigneten Platz zum Zelten finden. Natürlich beginnt hier auch die dichtere Besiedlung im Raum Ajaccio. Nach Ajaccio zum Camping wollte ich definitiv nicht einfahren. Aber auch die Straße hinauf zum Col de Listincone (auch nachts noch teils gut befahren) ist dicht besiedelt, eingezäunte Gebiete oder steiles, steiniges Ödland. Von der Passhöhe wollte ich dann aber wirklich nicht mehr weiterfahren (letztlich geht es kurz später weiter hoch), weil ich auch nun wieder die Landschaft sehen wollte. Zwangsläufig war der Biwakplatz eher ungemütlich nahe der Straße hinter einem Strauch. Bildergalerie zu Kapitel 3 (108 Fotos): Fortsetzung folgt
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Geändert von veloträumer (12.02.19 19:02) |
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#887520 - 04.12.12 20:28
Re: Korsika 2012
[Re: veloträumer]
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Diesmal ziemlich kurz, aber nicht weniger eindrücklich... KAPITEL 4 Mächtige Bergkulissen und bizarr-mystische Felsfiguren mit Küstenromantik: Wege an und hinter der Westküste zwischen Ajaccio und PortoFr 29.6. Col de Listincone - Col de San Bastiano (411m) - Tiuccia - dev. D81/D25 - Sari-d'Orcino - Col San Antonio di d'Ambiegna (376m) - Lopigna - (Rezza) - Salice - Rosazia - Bocca a Verghiu (359m) - Murzo - Vico - Col de St-Antoine (491m)85 km | 11,4 km/h | 7:30 h | 1825 Hm W: sonnig, heiß, > 30 °C E: Entrecôte/Bratkart., Rw, Kastanienkuchen, Cafe 30,50 € Ü: C La Sposata 8 € Vom Col de San Bastiano hat man eine weite Aussicht auf zwei Buchten – auf das Golfe de Lava im Südwesten und das Golfe de la Liscia im Norden, welche Teilbuchten des Golfes von Sagone sind. Bei guter Sicht dürfte der Blick bis Cargèse reichen. Zwar ist die Bucht dichter besiedelt als es auf der Karte den Anschein hat, aber es gibt kaum richtige Orte an der Küste. Vielmehr sind es saisonbeschränkte Ferienhäuser und auch die Geschäfte richten sich fast ausschließlich am Badetouristen aus. Eine weitere Einkommensquelle ist der Durchgangsverkehr, der hier immer noch stark ist. Es wäre aber falsch zu glauben, dass hier Rummelplätze am Meer liegen. Alles hat noch seine gediegene Gelassenheit und die Strände um Tiuccia sind zwar gerne besucht aber nicht überlaufen. Der schönste Platz am Meer befindet sich an dem kleinen Kap beim Tour de Capigliolo, der auf einem 100 m hohen Berg hinter der Oleander-gesäumten Küstenstraße liegt. Nach der einen Seite heben sich Felsblöcke aus dem Meer, nach Norden beginnt ein langer Sandstrand. Die Verlockung ist zu groß als dass ich mir nicht ein kurzes Meerbad am Vormittag gönne. Die eigentlichen Dörfer in der Cinarca liegen weiter hinten auf bzw. den Hügeln, die vor Überfällen von See her früher die Einwohner schützten. Trotz einer gewissen Besiedlungsdichte fühlt es sich auf den Straßen fast einsam an. Dörfer wie Casaglione, Ambiegna oder Arro erscheinen wie liebliche Fensterblicke aus Olivenhainen heraus – die Pastelltöne schmeicheln sich mit der Leichtigkeit des Sommers in das Auge. Lopigna, schon weiter weg über eine Halbhöhenstraße zu erreichen, wirkt mehr wie ein Bergdorf, das nicht mehr im Einfluss des Meeres unterliegt, sondern schon dem abgeschiedenen Cruzzini-Tal. Über eine verwunschene Buschlandschaft und holprige Straße erreicht man den Cruzzini-Fluss (Badestellen vorhanden), der sich ohne großes Gefälle sehr gerade streckt. Erst wo die D 125 auf die D 4 stößt, endet die gemütliche Route und das enge Tal erlaubt keine Straßenführung mehr entlang des Flusses. Mit der D 4 beginnt – nun wieder zurück nach Westen führend – eine ziemliche aufreibende Bergstrecke, die häufig auf und ab geht, auch etliche wadenstärkende Rampen enthält. Den Ort Rezza durchquert man nicht, an der Abzweigung steht aber zu Saisonzeiten ein Imbisswagen. Zwischen Azzana und Salice befindet sich direkt an der Straße die Cascade d’Ancone, ein schöner Wasserfall mit einem Bogenschleier an der oberen Felskante. Durch die vielen Seitentäler verläuft die Straße sehr langatmig immer wieder in weiten Schleifen am Hang entlang. Die Landschaft wird alsbald spektakulärer: Immer mehr schieben sich bizarre Felsen sowohl an der Straße wie auch am fernen Horizont ins Auge. In der schon tief stehenden Sonne entsteht mit den schier zahllosen Bergen und Hügeln ein geradezu typisches wie stimmungsvolles Bild des korsischen Binnenlandes. In Murzo ist es wieder etwas betriebsamer – der Ort liegt allerdings im Tal bereits recht früh im Schatten. Ende September ehrt man hier den Honig mit einem Fest. Vico ist bergaufwärts gut zu erkennen – die Steigung dahin gemäßigt. Ich esse im Ort, obwohl der Camping nochmals fast 100 m höher unmittelbar beim Col de St-Antoine liegt. Was ich nicht wusste: Auch auf der Passhöhe befindet sich ein Restaurant, in dem sogar bei meiner späten Bergankunft noch reger Betrieb herrschte. Den Zeltplatz hier oben mit einer freundlichen Campingwartin kann ich empfehlen, soweit man damit leben kann, nicht überall seine Heringe in den Boden zu bekommen. Das terrassierte Gelände wird von Olivenbäumen beschattet, am westlichen Ende mit den Duschen gibt es auch ein Bistro, von wo aus man einen wunderbaren Blick über Farne und Kastanienbäume hinweg zum Golf von Sagone hat. Sa 30.6. Col de St-Antoine - Col de Sevi (1101m) - Cristinacce - Bocca à Zora (889m) - Evisa - Gorges de Spelunca - Pont de Pianella - Ota - Porto - Piana - Porto71 km | 11,7 km/h | 6:02 h | 1330 Hm* W: sonnig, heiß, > 30 °C E: Jakobsmuschel-Tartar, Fisch/Reis/Gem., Roséw., Käse, Kokostorte, Cafe 40 € (+) Ü: C Municipal 0 € Morgens finde ich Vico in der Vogelperspektive vor. Oberhalb des Ortes, nahezu auf Passhöhe, aber jenseits der D 70 gelegen, befindet das Kloster St-François von Vico – man kann dort sogar übernachten. Vom Kloster aus gäbe es nach Süden eine direktere Verbindung nach Ambiegna als die, die ich gefahren bin. Auch diese Strecke ist nach der neuerer Karte vermutlich durchgehend asphaltiert, auf der alten Michelin-Karte ist die Verbindung noch als Piste eingezeichnet. Etwa östlich über Vico ragt ein Berg auf, den eine Legende umrankt. Demnach verliebte sich ein nobler Herr in ein junges Mädchen. Das Mädchen beraubte ihre Mutter, um das Vermögen als Mitgift in die Ehe mit dem Herrn einzubringen. Daraufhin fluchte die Mutter über ihre Tochter, schmiss sie aus dem Haus und die Tochter ward alsdann zu Stein erstarrt. Fortan nannte man den Berg Punta di a Spusata (Braut) – die Konturen lassen den Kopf einer Frau erkennen – es könnte aber außer einer Braut auch eine alte Frau sein oder was sonst die Fantasie hergibt. Ohne Fantasie ist eine Korsika-Reise ohnehin nur die Hälfte wert. Der Col de Sevi ist ein geradezu Leuchtend-lichter-lecker-Pass, da hier überall die Kätzchen der Kastanien in hellem Gelb in den Himmel ragen. Der Groove-Sound der Strecke ist das Summen der Bienen. Das gilt auch für die Nordseite, auf der man zunächst einen weiten bewaldeten Talkessel mit umgebenden Bergfelsen überblickt. Eigentlich wollte ich von Cristinacce über Marignana nach Westen fahren um nicht die gesamte Strecke des nächsten Tages zu doppeln. Doch war ich einschließlich Cristinacce noch ohne Tagesproviant. So entschied ich den Weg über Evisa zu nehmen, wo es ein mehrere kleine Läden gibt. Der Talkessel wird nun immer spektakulärer, obwohl die Gorges de Spelunca nicht wirklich einsehbar ist. Am besten erschließt man diese Schlucht zu Fuß. Dazu gibt es einen steilen Weg von Evisa hinab. Das ist natürlich mit Rad eine schlechte Idee. Auf der Straße fährt man zunächst in einem großen Bogen um ein anderes Tal weit herum. Etwa gegenüber von Ota sticht eine Straße zur Spelunca-Schlucht hinunter. An der Brücke in der Talmulde parken nun wieder Wanderer wie Badegäste, um in den Gumpen der Flüsse sich zu erfrischen. Unmittelbar neben der Spelunca-Schlucht gibt es eine weitere Schlucht mit leicht wanderbarem Weg und Badegumpen. Das Panorama auf rötliche Felsnadeln aus dem sprudelndem Gebirgswasser heraus betrachtet gehört in die Abteilung: „Musst du unbedingt probieren, gefällt immer und wirst du nicht mehr vergessen.“ Die Straße über Ota ist in recht schlechtem Zustand, sodass mich ein Elsässer Autofahrer (mit Frau), den ich kurz vorher am Brunnen in Ota getroffen hatte, auf dem Weg nach Porto runter mich nicht überholen traute und mich fragte, wie lange denn die Schlaglochstraße noch anhält. Ich musste ihn darauf verweisen, dass die flotte Durchgangsstraße gegenüber liegt. Wer vielleicht mit Rennradreifen unterwegs ist, sollte ggf. diese Strecke nicht fahren – womit man allerdings ein wunderbares Landschaftserlebnis auslassen würde. Neben der Spelunca-Schlucht (dort eine weitere Brücke) gibt es auch noch per kurzer Stichpiste die Genueser Brücke von Ota zu bewundern. Unter dem pittoresken Steinbogen lässt sich ebenfalls gut baden – hier mehr „See“ als Kaskaden. Die Bucht von Porto kündigt sich ja eigentlich schon ab Evisa an, kommt mit dem Zwischenhochpunkt Ota wieder in Sicht. Porto ist auch kein echter Ort, sondern nur zwecks Tourismus entstanden – es gehört verwaltungstechnisch zu Ota. In Porto gibt es alle touristischen Versorgungseinrichtungen in vielfacher Ausführung. Der Camping Municipal liegt ganz unten quasi auf Strandhöhe, nur etwas im Flusstal zurückversetzt. Zwar gibt es viele Restaurants im Trubel um den Hafen rum, aber man findet auch etwas abseits noch schöne Essgelegenheiten. Das alles Auszuprobieren bedarf eines längeren Aufenthaltes – was sich durchaus lohnen kann – insbesondere für Sonnenuntergangsanbeter. Bevor ich den Abend u. a. mit Jakobsmuschel-Tartar ausklingen lasse, steht noch ein großes landschaftliches Highlight auf dem Programm – auch wenn ich es schon mal gesehen habe. Ich fahre die Felsenwunderstraße durch die Calanche als Stichstraße bis Piana und wieder zurück. Es ist Abendzeit, Autos schon weniger, das einzige Bistro mitten in dem Felsenzoo ist bereits geschlossen. Einige haben Picknick mitgebracht für den Sonnenuntergang. Die Calanche bieten sprichwörtlich tierische Felsen in dezenten Farbtönen zwischen Rot, Ocker und Beige. Nicht nur Tiere sind da, auch Menschenköpfe, Felslöcher, sogar ein Kussmund und das wohl berühmteste Motiv – ein Herz mit Durchblick. Wer kann schon behaupten, dass man in Herzensangelegenheiten den Durchblick behält? Viele Felsskulpturen haben Namen, die man am besten erfahrt, wenn man die ausgewiesenen Erkundungswege abläuft. Dazu sollte man dann aber tatsächlich einen Ruhetag in Porto einplanen. Nicht weniger eindrücklich ist aber das Erlebnis von der Straße aus. Tagsüber quälen sich hier sogar Busse und schwere Trucks durch das Steinlabyrinth. Aber was schreib ich hier?! – Wie sagte der bayerische Wanderer in Tirol zu mir: „Du musst einfach doaaah gewesen sein!“ – Fahrt hin oder schaut wenigstens rein in die… Bildergalerie zu Kapitel 4 (94 Fotos): Fortsetzung folgt
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#887943 - 05.12.12 22:22
Re: Korsika 2012
[Re: veloträumer]
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Eine neue Folge mit viel Berg... KAPITEL 5 Grandiose Schluchten, die „korsische“ Inselkapitale und eine einsame Bergroute in den Südwesten: Rückkehr ins zentrale Hochgebirge um Corte und das obere TaravoSo 1.7. Porto - via D84 - Evisa - Cascades d'Aitone (kleine Wanderung) - Col de Vergio (1477m) - Calacuccia - Scala di Santa Regina - Pont di Castirla - Col d'Ominanda (654m) - Corte - Gorges de la Restonica - Camping Tuani96 km | 12,1 km/h | 7:54 h | 2120 Hm* W: morgens schwül 25 °C, meist sonnig, etwas bewölkt, ein paar Tropfen, ~ 28 °C E (Tuani): Risotto, Pizza m. Sardellen, Roséw., Mousse au chocolat 38 € (–) Ü: C Tuani 12,50 € Berücksichtigt man die Straßenqualität, so würde man besser daran tun, die D 84 zur Abfahrt zu wählen und die Fahrt zur Spelunca-Schlucht des Vortages zur Auffahrt zu nehmen. Die Pausenaufteilung des Tages war für mich aber in dieser Kombination besser. Der Tag ist bereits vom Morgen sehr schwül, so läuft der Schweiß mehr als die Steigung der Strecke erfordert hätte. Am Nachmittag wurden die Quellwolken so stark, dass es sogar am Lac de Calacuccia ein paar Tropfen herabregneten – ein richtiger Schauer blieb aber aus. Da ich die Landschaft schon vom Vortag kannte, versuche ich ein wenig mehr Tempo zu fahren als üblich. Sportlich geht es dann tatsächlich in Evisa zu. Dort findet am Sonntag ein Berglauf auf Asphalt statt – es könnte meiner Einschätzung nach ein Halbmarathon gewesen sein. Zuerst begegne ich Läuferinnen und Läufern unterhalb von Evisa – einen der Läufer treffe ich aber auch oberhalb des Ortes wieder, nachdem ich gefrühstückt hatte – und grüßte entsprechend erfreut zurück. Das Frühstück – wir erinnern uns des ersten Korsika-Tages: ein Glas frisch gepressten Orangensaft nicht genossen zu haben – das Frühstück diente der Erfüllung dieses kleinen Wochentraumes. Jetzt ist es klar: Ich war im Urlaub angekommen. Nebensächlich für die Leserschaft, wichtig aber für meine Stimmung. Am Cafe sitzen die Organisatoren des Laufes und drücken Stoppuhren, klicken in Laptops herum und bejubeln einen jungen Läufer, der irgendetwas besonders geleistet haben muss (Streckenrekord?, Gewinner?). Wie der Lauf organisiert ist, bleibt mir aber etwas schleierhaft – es sieht danach aus, als dass der Höhepunkt der Veranstaltung später gegen Mittag noch folgen soll. Jedenfalls vergraben sich einige Frauen in dicke Leselektüren, um den entlaufenden Geliebten zu ferner Stunde wieder umarmen zu können. Evisa – ich sagte es bereits eingangs – ist eine Kastanienhochburg. Oberhalb an der Strecke zum Col de Vergio zweigt ein Lehrpfad zur Maronenfrucht ab. Nur wenig weiter gelangt man zu den Cascades d’Aitone (wohl auch Teil des Kastanienweges). Dazu kann man ein kleines Stück noch unterhalb der Straße mit dem Rad auf Waldpiste fahren, dann aber muss man zu Fuß weiter nach unten. Auch Kinderwägen muss man oben lassen – einige Passagen sind rutschig oder mit etwas „klettern“ verbunden. Die kleinen Wasserfälle und Becken verteilen sich auf eine größere Fläche und liegen überwiegend im Schatten. Das Ausflugsziel ist bekannt – viele sitzen hier und lesen. Es gibt zwar ein offizielles Badeverbot, wird aber gerne missachtet. Gleich am Anfang steht eine alte, zerfallene Mühle, in der früher Kastanienmehl gewonnen wurde. 1830 gab es ungefähr 1200 solcher Mühlen in Korsika – so bedeutend war einst das Kastanienmehl. Im weiteren Verlauf des Col de Vergio dauert es relativ lange bis der schattige Wald der offenen Bergwelt weicht. Irgendwo bei einem Parkplatz befindet sich eine natürliche Gesteinsplatte mit Salzkrusten und Ausblick auf eine imposante Bergkette im Norden – ein wohl mystischer Ort, an dem eine weiße Madonna sich in dem grellen Licht nahezu metaphysisch im Auge zur Fata Morgana auflöst. Auf dem Col de Vergio, der gemeinhin mit 1477 m der höchste auf Korsika ist, wenn man einmal den exotischen Sonderfall Col d’Usciola ausklammert (vgl. Kap. 3), steht ein recht hässliche überlebensgroße Statue, die ein Abbild von Christus sein soll (eine sicherlich eigenartige Interpretation). Exkurs korsische Topographie: Die Passhöhe gibt einmal Anlass, ein paar Worte über das Radeln zwischen Berg und Tal zu verlieren. Korsika ist eine Gebirgsinsel – gewiss. Es gibt mehrere 2000er-Berge – also Hochgebirge – die meisten im nördlichen Zentrum. Verschiedene Berggruppen haben eine alpine Aura, obwohl sie unter Hochgebirgsniveau bleiben (z.B. Bavella-Massiv). Setzt man einen Hochgebirgspass mit über 1500 m oder 1600 m an, dann hat Korsika keinen einzigen „echten“ Hochgebirgspass. Trotzdem sind die Höhenunterschiede durchaus zuweilen alpin – so bedeuten am Col de Vergio 1477 m Höhenunterschied vom Meer bis zum Pass – das ist sogar in den Alpen selten zu finden. Über 800 Höhenmeter findet man durchaus häufiger, wenn man die Hochpunkte ohne Pass mit einbezieht, weil auch die Ausgangspunkte im Binnenland relativ niedrig liegen (Corte auf etwa 400 m, Ponte Leccia noch niedriger).
Trotzdem sind die meisten Pässe weniger schwierig als vielleicht ihr Ruf. Der Col de Vergio ist von beiden Seiten eher ein leichter Pass, was die Steigung betrifft. Ausdauer braucht man natürlich. Über 10 % Steigung findet man eher bei den Stichstraßen (Restonica, Asco, Val d’Ese) oder auch an vielen kleinen Rampen, die nicht immer ein Pass sein müssen. So kann es vorkommen, dass Zwischenpassagen auf gebirgigen Küstenstraßen steiler sind als die großen Pässe im Inselinneren. Es ist dementsprechend folgerichtig, dass man auf Korsika viele Höhenmeter sammeln kann, aber keine Rekordwerte.
Auch der Gegensatz „Westküste = bergig“, „Ostküste = flach“ wird zuweilen übertrieben dargestellt. An Bergfahrten kommt man zwar auf der Westseite nicht vorbei, aber auch die Ostseite ist in den meisten Teilen nicht flach. Gerade im Zentrum der Plaine Orientale finden sich zahlreiche hügelige Routen, die auch kleine giftige Steigungen enthalten – sicherlich keine langen Anstiege. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil der meisten Binnenrouten ist die Bewaldung: Ein paar Kehren von der Küste hinein ins Binnenland und schon gibt es auf vielen Strecken Schatten. Sowohl die großblättrigen Kastanien bilden mächtige Sonnenschutzdächer wie auch die hoch gewachsenen Kiefern in den Hochlagen. (Am Col de Vergio muss man allerdings lange offene Passagen in den unteren Passagen überwinden). Küstenstrecken hingegen sind meist offen und bei Sommerhitze entsprechend schweißtreibend zu fahren. Da wirkt dann manche Steigung auch mal schlimmer als sie gemessen ergibt.
Die Ostseite des Col de Vergio (nun wieder im Niolu) ist abgesehen von ein paar Kehren im oberen Bereich recht offen – grandiose Bergpanoramen inklusive. Der Golo gräbt zwar zahlreiche Gumpen, vielfach ist der Zugang aber wegen der Steillagen nicht oder nur mit Schwierigkeiten möglich. Die Badestelle bei einer Genueser Brücke bei Albertacce scheint sehr überlaufen, zumal weil gleich an der Straße. Bleibt man auf der D 84, hat man nur wenig Blicke auf den Lac de Calacuccia. Wer mehr See will, kann eine tiefer liegende Ringstraße benutzen. Recht flott ist dann der Übergang von der Staumauer des Sees, über einen weiteren kleinen Stausee zur Scala di Santa Regina. Im Gegensatz zur Spelunca-Schlucht auf der anderen Seite gelangt man hier auf der Straße mitten durch den Felskanal – absolut sehenswert. An der Pont de Castirla tangiere ich die Route aus Kap. 3, zweige aber gleich über Castirla und einen kleinen Pass Richtung Corte ab. Die zweite Begegnung mit Corte ist zwar etwas länger als die erste, aber immer noch kurz. Ich halte mich an die Durchfahrt zum Restonica-Tal. Im Zentrum treffe ich einen italienischen Reiseradler, der sich schon in Zivilklamotten geschmissen hatte, um durch Corte zu flanieren. Er hat das Restonica-Tal gerade abgefahren, was mir noch bevorsteht. Er spricht von höllischen Steigungen, hat auch die Wanderungen zu den Seen Melo und Capitello gemacht, meint aber, dass der Weg dorthin zwar schön sei, aber die Seen selbst ein wenig enttäuschend. Da ich mir schon einen Vorsprung zum nächsten Tag erarbeiten wollte und der Camping Tuani (ca. 6 km ab Corte) mitten im Restonica-Tal im Web verschiedentlich empfohlen wird, wollte ich noch diesen Naturplatz ansteuern. Nach einer kurzen flachen Einfahrt steigt die Straße bereits recht steil im unteren Teil an. Der obere Teil ist aber noch heftiger. In Verbindung Länge/Steigung ist das Restonica-Tal eine der schwierigsten radlerischen Herausforderungen in Korsika. Mo 2.7. Camping Tuani - Gorges de la Restonica - Bergerie de Grottelle (1377m) - Cascade de Grottelle (kleine Wanderung) - Corte - dev. N200/D143 - Camping de la Fèrme de Peridundella49 km | 12,0 km/h | 4:04 h | 805 Hm W: sonnig, sehr windig (böig), ~ 28 °C, nachts etwas kühler als bisher (~ 15 °C) E (improv. Menü): Schinken, Wurst, Geflügelstück in Sauce, Nudeln, Crème brulée, Rw 14 € (–) Ü: C Peridundella 7 € (+) Leider erlitt ich in Tuani die schon eingangs erwähnte Enttäuschung. Obwohl ich doch recht früh los fahren konnte, waren andere bereits schneller – mit Auto, versteht sich. An der Bergerie de Grotelle (2-3- Bistros mit Bauernbetrieb, Parkplatz, Endpunkt der Straße, nahebei ein Wasserfall) waren bereits so viele Wanderer im schmalen Bergpfad, dass mir die Lust auf eine Schuhsohlenexkursion verging, zumal der Wanderpfad selbst für profilierte Radschuhe sehr schotterig ist und ich auch später als geplant den Platz erreichte. Ich zog dann einen gemütlichen Badegumpentag im mittleren Restonica-Tal vor. Es gibt trotz des schmalen, schattigen Tales immer wieder ganz gute Zugänge, sodass man das Rad auch an den Fluss schieben kann. Nun endlich also die Besichtigung von Corte bei der dritten Begegnung auf dem Weg zurück aus dem Restonica-Tal. Die Stadt ist auch ohne ihren historischen Hintergrund sehens- und lebenswert. Man wandelt zwischen Aussichtspunkten, engen steilen Treppengassen und den Shoppinggeschäften an der Hauptstraße. Die Dichte an Restaurants und Kneippen ist enorm, der Flanierfaktor gehoben. Doch Corte wäre nicht heute das, wenn es nicht eine Geschichte gäbe. 2. Exkurs korsische Unabhängigkeit: Die einzige Episode in der korsischen Geschichte, in der die Insel ein unabhängiger Staat war, währte nur 14 Jahre – von 1755 bis 1769, wenn auch nicht alle Genueser Städte erobert werden konnten (Calvi). Der aus der Castagniccia stammende Pasquale Paoli kämpfte die Unabhängigkeit letztlich durch und machte Corte zur Hauptstadt. Die Unabhängigkeit blieb aber ein Kampf des bereits 1729 begonnenen zweiten Unabhängigkeitskrieges (der erste viel in die Zeit von Sampiero Corso, vgl. Kap. 3). Die wichtigste Unabhängigkeitsfigur Cortes war der Arzt Gianpietro Gaffori und sein Frau Faustina, die in der Zeit vor Paoli den Kampf anführten. Gaffori wurde aber 1755 ebenso wie schon Sampiero Corso 200 Jahre zuvor Opfer der Vendetta, da sein Bruder ihn an die Genueser verraten hatte. Die Turbulenzen aus der Revolutionszeit lassen sich heute noch an den nostalgisch konservierten Einschusslöchern an vielen Häuser ablesen– insbesondere beim Gaffori-Denkmal. Scheinbar sind sie Vorbild für den heutigen Volkssport „Schießen auf Straßenschilder“.
Für das Identitätsbewusstsein der Korsen spielt diese Zeit noch heute eine enorme Rolle, sodass Corte als heimliche Hauptstadt gehandelt wird – das „Napoléonische“ Verwaltungsmoloch Ajaccio ist vielen Korsen ein Dorn im Auge. Die Identität wächst natürlich auch im Geiste – und so ist die 1765 gegründete Universität – nach einer zwischenzeitlichen Pause – wieder und immer noch die einzige Hochschule Korsikas. Sie ist insofern identitätsstiftend, weil korsische Geschichte und Sprache die Kernkompetenzen des Wissenschaftsbetriebes sind. Seit 1991 besitzt Korsika ein Selbstverwaltungsstatut, das die regionale Eigenständigkeit einschließlich der Zweisprachigkeit garantiert. (Noch mehr zur Unabhängigkeit in Kap. 9)Als Flughafenzubringer und wichtige Transitstraße zur Ostküste erwartete ich heftigen Verkehr auf der N 200 – zumindest für meine Abendtour löst sich diese Befürchtung in Luft auf. Man fährt durch ein weit geschnittenes Tal mit leichten Hügeln umher, entlang der D 143 bis zum Camping ist das Tal enger, der Fluss unmittelbar neben der Straße. Der Anstieg zum Camping beginnt an der Brücke mit Abzweig nach Noceta – hier befindet sich auch ein Hotel. Der Camping Peridundella ist zwar schön gelegen und wird auch laut Reiseführer ob seines Restaurants gelobt. Doch ist der Andrang der Gäste zu gering, als dass der Betrieb der Küche lohnt. Nach einer kleinen Diskussion bietet mir der Campingwart ein schnelles „Menü“ zum Mitnehmen an. (Man kann sich aber zum Picknick auch auf die überdachte, nette blumengeschmückte Restaurant-Terrasse mit Stühlen und Tischen setzen.) Den guten Willen des Campingwartes muss ich hier sehr loben, doch auch erwähnen, dass das Geflügelfleisch verdorben war – da wohl auch zu kurz in einer Mikrowelle erhitzt. Zum Glück währte die Darmstörung nicht lange. Di 3.7. Camping Peridundella - Noceta - Col de Croce (644m) - Vezzani - Col d'Erbajo (920m) - Col de Morello (824m) - Vivario - Col de la Serra (807m) - Col de Sorba (1311m) - Col de Scozzolatjo (1112m) - Ghisoni - Col de Verde (1289m) - Cozzano - Zicavo88 km | 11,7 km/h | 7:25 h | 1855 Hm* W: teils sonnig, teils bewölkt, ~ 21-24 °C, teils sehr windig E: Salade Chevre Chaud, Schnitzel in Crèmesauce, PF, Rw, Profiterolles, Cafe 31,20 € (+) Ü: C wild 0 € Diese Etappe ist eine der einsamsten auf der Tour gewesen. Das kleine Dorf Noceta markiert nach eigener Darstellung den geografischen Mittelpunkt Korsikas. Bis Vezzani hat man viel Panorama – dort ist auch eine Basisversorgung möglich. Es folgt eine ziemlich schattige Strecke mit viel Farn, bevor sich wieder ein weites Panorama Richtung Vivario öffnet, das ich ja bereits aus Kap. 3 kenne. Die Schnittmenge auf der Inseltransversalen ist eine kurzes Stück aufwärts bis zum Col de la Serra – wieder mit dem Blick auf das verfallene Fort. Hier zweigt man zum Col de Sorba ab. Der Straße befand sich noch im Bau, der Campingwart in Peridundella hatte mir davon abgeraten und auch Forumsradler Lutz hatte wohl eine Zeit vorher Probleme mit den Bautätigkeiten dort. Tatsächlich finde ich die Straße aber schon ganz ordentlich vor, einige Staublaster muss ich ertragen, aber ein Teil der Arbeiter ist ohnehin noch bei der Mittagspause. Mir kommt auch noch eine Reiseradler mit Bob entgegen (ich glaube, es war eine Finne), der mir von der fantastischen Einsamkeit der Tagesroute berichtet. Der Col de Sorba ist im Norden ein recht offener Pass mit weiten Kurvenschleifen, die von oben gesehen recht beeindruckend sind. Die Südseite ist sehr waldreich. Der Zwischenort Ghisoni erscheint zwar etwas größer, ist aber touristisch weniger gut bestückt als z.B. Vivario. Es folgt der Col de Verde mit fantastischen Bergpanoramen, zu denen man aufblickt, Felsen an der Straße, aus denen Wasser sprießt, eine kleine, aber wohl geheime Badstelle an einer Brücke, ein Forsthaus mit Brunnen und überhaupt ein herrlicher Pass, der auch seinem Namen alle Ehre macht. Die Südseite ist gewiss weniger aufregend, wenngleich auch dort einen schöne Ausblicke auf große Berge erwarten und sehr viel schattige Abschnitte die Strecke „grün“ machen. Wer in einer Gîte übernachten möchte, kann das in Cozzano tun, wie mir der Reiseradler am Sorba-Pass berichtete, mit Abendessen und günstig. Zicavo bietet schon mehr Unterkunfts- und Verpflegungsmöglichkeiten (Hotel, Gîtes, mind. 3 Restaurants). Der Ort gilt als Basisdorf für die Bergwanderer – aber es sind an diesem Abend auffällig wenige Gäste da. Der Nur-Pizzakoch hat den ganzen Abend nahezu nichts zu tun – zumal ich ein Menü ohne Pizza esse – dafür ist die „normale“ Küche zuständig. Bildergalerie zu Kapitel 5 (121 Fotos): Fortsetzung folgt
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Geändert von veloträumer (12.02.19 19:03) |
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#888214 - 06.12.12 22:20
Re: Korsika 2012
[Re: veloträumer]
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Spät, aber der Nikolaus kommt - leider keine knackigen Schoko-Läuse im Sack, nur laue Mittelmeer-Luft... KAPITEL 6 Vergessene Dörfer, skurrile Felsengeister, Schwarzes Gold und die Vendetta: Das Küstengebirge mit seinen Stränden in den Südwestregionen Prunelli, Ornano, Taravo und SartenaisMi 4.7. Zicavo - Col de la Vaccia (1193m) - Aullène - Col de Tana (975m) - Col de St-Eustache (995m) - Col de Tega (755m) - Petreto-Bicchisano - Argiusta - Olivese - Bocca d'Isoli (437m) - Bains-de-Guitera - Bocca d'Arja Alta (468m) - Zevaco - Col de Granaccia (865m) - Frasseto - Foce d'Avanzu (543m) - Santa-Maria-Siche99 km | 13,4 km/h | 7:23 h | 1195 Hm* W: meist sonnig, auch bewölkt, 22-25 °C E: Kräuter-/Spinattorte, Kalbsgulasch, Auberginengem., Rw, Birnentorte, Cafe 26,20 € Ü: C wild 0 € Bereits unweit von Zicavo gibt es nahe der Straße einen Wasserfall, der in breite Becken fäält, in denen man baden kann. Der Col de la Vaccia ist von Norden vergleichsweise von geringer Steigung und somit ein guter Pass zum morgendlichen Einrollen. Noch unterhalb der Passhöhe findet sich ein Gasthaus, das aber wohl nicht zu allen Zeiten geöffnet hat. Hier befindet man sich bereits in der offen Zone des Passes, die zunehmend ein grandioses Panorama freigibt. Das gilt ganz besonders für die Passhöhe und die weite Schleife bergab danach. Aullène gilt schon als eines der sterbenden Dörfer – es gibt zwar ein paar Verpflegungsgelegenheiten, jedoch war es hier nicht möglich, Brot zu erhalten, da das Brotauto noch nicht da war. Auch für die Restaurants dort ein Manko, da schon die Zeit auf Mittag zulief – ein Essen ohne Brot – das geht in Frankreich gar nicht. Es gibt aber ein Bistro mit eigener Bäckerei, das Kekse und zumindest brotähnliche Teile anbietet. Touristisch könnte das Dorf aber durchaus noch einen Aufstieg erleben, wenn denn die aparte Landschaft über den Col de Tana mehr Freunde finden würde. Der weite Talkessel verdankt einen Teil seiner kargen Magie allerdings einem größeren Brand, der durch einen umgekippten Strommast ausgelöst wurde. Große Waldflächen gingen verloren und es blieben exotisch wirkende Baumskelette auf rötlicher Felserde übrig. Einzelne Büsche grünen bereits schon wieder. Dazu kommt eine Serie faszinierender Felsfiguren, die es durchaus mit den Felsen der Calanche aufnehmen können. Ein Tagesbistro mit großer Aussicht lädt am Col de St-Eustache ein – da ist aber schon der große Granitgarten vorbei. Mit der Abfahrt nach Petreto-Bicchisano erreicht man das weit geschnittene Taravo-Tal, in dem an den Hügeln vielfach Olivenbäume wachsen. Auch scheint es eine aufsteigende Region zu sein, denn die vermeintlich unbedeutende Strecke via Olivese in Richtung Zicavo ist bzw. wird gerade ganz neu asphaltiert und an der Strecke werden auch etliche neue Häuser gebaut – ganz offensichtlich besser gestellte Pendler, die der Familie ein Eigenheim bieten wollen. Dort, wo die Straße den Taravo überquert, liegen eine größere Wasserfläche, eine veraltete Stauanlage und auch ein Wasserfall. Der Zugang ist allerdings nur für geübte Kletterer möglich und auch der Blick ist aufgrund der verwinkelten Felsen nicht frei. Besser baden kann man weiter oben am nördlichen Ortsausgang von Bains-de-Guitera, wo man über eine Fußgängerbrücke ein großes Flussbecken sogar mit Sandstrand vorfindet (Rad muss oben an der Straße bleiben). Natürlich hätte ich diesen Wendepunkt an dem Taravo bereits früh am Morgen direkt von Zicavo aus erreichen können – aber was hätte ich da alles ausgelassen? – Ein Paradebeispiel dafür, dass der Weg das Ziel ist. Nunmehr auf der nördlichen Talseite und insgesamt höher, aber im Auf und Ab, durchfährt man eine recht gut besiedelte Strecke – die Dörfer wirken aber teils wie aus einer anderen Zeit. Hier sehe ich die Klischees von Urkorsen – alten Männern und Frauen, meist getrennt in Gesprächen über Nebensächlichkeiten diskutierend, die jeder für wichtig hält. Wenn es nicht ein paar Stühle sind, dann ist der Treffpunkt eine zusammengenagelte Kneipe, von der man befürchten muss, dass sie die steilen Hänge herabstürzen könnte. Wasser kommt hier häufig die Berge hinunter, entsprechend dicht ist die Vegetation. Mit Blick auf Ste-Marie-Sicché öffnet sich wieder eine fruchtbare Talebene mit Olivenhainen und Obstplantagen. Im Ort gibt es nur eine Kneipe, wo man nur Sandwiches bekommt und ein Hotel mit Restaurant. Das Restaurant ist komplett leer, sodass ich mich erst gar nicht traue einzukehren – leider auch kein Außenbereich. Einerseits bin ich wohl als einziger Gast willkommen, andererseits scheint das Personal erleichtert, als ich endlich den Weg zum Feierabend frei mache. Auch hier ein ähnlicher Eindruck wie in Zicavo: Es gibt Probleme mit der Krise und vielleicht auch mit Touristen, die heutzutage woanders rasten. Die Küstenorte sind nicht weit, die Wanderer hocken in den Berghütten weiter oben. Die Zwischenstationen sind die ersten, wo die ausbleibenden Gäste Existenzen bedrohen. Mein Übernachtungsort ist mal wieder zu exotisch um öffentlich gemacht zu werden – dafür erlebe ich einen wunderbaren, klaren korsischen Vollmond. Do 5.7. Ste-Marie-Siche - dev. N198/D55 - Col de Luminataja (642m) - Bocca d'Aja di Bastiano (638m) - Bisinao - Col de Bellevalle (552m) - Pietrosella - Plage d'Agosta - Punta di Sette Nave (Isolella) - Plage de Ruppione - Portiglio - Bocca di Cotonu (152m) - dev. D155/D55A (Acqua Doria) - Coti-Chiavari - Col de Cortone (486m) - Col de Gradella (442m) - Bocca d'Arghellaju (554m) - Col de Chenova (629m) - Marato -Pila-Canale - Calzola - Favalella - Abbartello104 km | 14,3 km/h | 7:15 h | 1120 Hm* W: sonnig, ~ 30 °C E: Fischsuppe, Dorade, Gem., Roséw, Iles Flottantes, Cafe 35 € (+) Ü: C Abbartello 10,10 € (–) Der Tag mit Weg zum Meer ist recht anstrengend, denn es gibt sehr viele Auf und Abs – eben Küstenregion. Dabei sind einige Streckenteile sehr steil – das gilt besonders für die Strecke von Portiglio nach Coti-Chiavari. Den steilsten Abschnitt muss man auch fahren, wenn man noch küstenäher fahren möchte – denn es ist die D 155 nach Acqua Doria (dort ist die Verzweigung). Auf den meisten Strecken des Tages bleibt das Meer im Blick, mit kleinen Unterbrüchen etwa jenseits von Coti-Chiavari (Restaurants mit schönem Ausblick), wo dichtes Buschwerk und Bäume den Blick ans Meer verhindern. Auch im unteren Bereich des Taravo-Tals bleibt das Meer fern, weil bereits zu niedrig. Vom Col de Bellevalle und Pietrosella hat man gute Sicht auf Ajaccio – mit gutem Tele könnte man das Hafenleben ggf. erfassen. Mit der Fahrt zum Meer an der Plage d’Agosta folgen einige Traumstrände. Durch die Halbinsel Isolella wird die Bucht malerisch unterteilt. Von der Plage Ruppione weiter zur Plage de Portigliolo nimmt der Betrieb ab, letzterer Strand ist bereits schon ein wenig klein. Danach folgt unzugängliche, von Macchia überwucherte Felsenküste, wo allenfalls Strände mit Boot zu erreichen sind. Eine Ausnahme bildet wohl nur das Capu Muru, wozu man aber schon sehr weit von der Route per Stichstraße abweichen muss. Dass ich die frühgeschichtlichen Menhire in Filitosa nicht besuche, hängt mit einer Informationslücke zusammen. Ich hatte mich darüber nicht informiert und war denn auch abends mit einem Abstecher dorthin zeitlich überfordert. Der schöne Abend am Meer mit Fischsuppe und Dorade entschädigte aber mehr als es ein paar tote Steine mein Wohlbefinden hätten heben können. Es sei aber erwähnt, dass an der Küstenstrecke Abbartello/Olmeto-Plage ausschließlich touristische Campings liegen (und Hotels), aber keine richtigen Orte. Die Campings sind alles andere als einladend – es riecht hier deutlich nach Massentourismus. Das Meer kann man aber immer noch genießen. Fr 6.7. Abbartello - Olmeto - Col de Siu (731m) - Arbelara - Col de Sta-Giulia (80m) - Portigliolo - Belvédère - Foce di u Poggio (256m) - Bocca di Biscelli (328m) - Bocca Albitrina (291m) - Sartène85 km | 11,7 km/h | 7:19 h | 1685 Hm* W: meist sonnig, auch bewölkt, ~ 25 °C, abends recht kühl E (Des Cours): Melone m. Schinken, Schnitzel m. Käse/Schinken überb., frit. Kart., Roséw, Kastanienpud., Cafe 32,20 € Ü: C Sartène 8 € (–) Nach dem ausgiebigen Panorama auf Propriano und das Golf von Valinco steht die Olive im Mittelpunkt. Olmeto liegt eng an den Hang geschmiegt inmitten dem Silberglanz der Ölfrucht. Rote Ziegeldächer krönen die altgrauen Hausfassaden, hinter denen steile Treppengassen den beschwerlichen Zugang zu den weitern Häusern ermöglichen. Der Zauber des Ortes liegt in den Blicken auf ihn und von ihm. Die Geschichte will es, dass der Ort auch für die Vendetta bekannt ist – hier lebte die Titelfigur „Colomba“ aus der Novelle von Prosper Mérimée – eine etwas verklärte Darstellung der Geschichte der Vendetta. Eigentlich kam Colomba aus Fozzano, einem weiteren Ort der heutigen Route. Wie Arbellara noch mehr, stehen diese Dörfer hier im Süden für das konservative Korsika – ausgeprägt in abweisender Architektur, wo man selbst seinem nächsten Nachbarn misstraute. Exkurs Vendetta: Die Blutrache entwickelte sich in Korsika zu einer regelhaften, perfektionierten Form von Selbstjustiz und reicht bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Ganze Familienclans konnten dabei ausgelöscht werden. Den Mördern blieb zum eigenen Schutz nur die Flucht in die Macchia, sie wurden zu Banditen. Da die Blutrache viel mit „Ehre“ zu tun – wohl dem, der um solche Praktiken in vielen Teilen der Welt denkt – war auch der Bandit ein ehrbarer Begriff in Korsika. Schwerpunkt der Vendetta waren die Gebiete des Südens, mit den Dörfern der Valinco-Bucht, Sartène und auch dem Fiumorbo südöstlich. Noch heute tragen viele Korsen besonders im Süden ein Messer am Gürtel – die bekannteste Messermarke heißt „Vendetta“. Dass einheimische Korsen schon mal etwas mürrisch reagieren, wird auch dem Reisenden nicht verborgen bleiben. Ein Vergleich mit meinem 1999er-Bericht zeit, dass ich auch damals solche Beobachtungen gemacht habe. Die liberalen Gegenden des Nordens um Calvi und das Cap Corse werden gerne als „unkorsisch“ bezeichnet. Ehre und Gewalt als Identität? – Das Thema schreit auch heute noch nach Diskussion um Aufklärung. Nicht zuletzt gibt es einen Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsbegriff (weiter Kap. 9).Zu den überflüssigsten Routen für eine Korsikarundreise zählt wohl die Tour über den Col de Siu – gleichzeitig aber auch zu einer der schwierigsten Routen. Zwar gibt es flache Zwischenstücke, sodass die Durchschnittssteigung nicht so prominent sein dürfte, aber die Rampen haben es in sich – am meisten im obersten Bereich. Vor den letzten Rampen kann man absteigen zum Fluss (Rad muss oben bleiben) und inmitten von roten Steinen in Gumpen baden. Am größeren Wasserfall sollte man nicht runterspringen – es braucht schon geübter Kletterkunst, wieder nach oben zu gelangen. Es gibt zwar ein Seil dort für Canyoning-Freaks – aber das ist vielleicht nicht unbedingt das Metier des Reiseradlers. Der Col de Siu ist nicht nur wegen der Vendetta-Dörfer bekannt, sondern auch war die Passhöhe ein wichtiger Landeplatz für alliierte Fallschirmspringer im Zweiten Weltkrieg. Ein Gedenkstein am Pass erinnert daran. Die Südwestecke der Insel ist topografisch nur schwer zugänglich. Es gibt keine Küstenstraße – größtenteils nicht mal eine Wanderroute am Meer entlang. Dennoch gibt es Strände, die per Stichstraße erschlossen sind – gewissermaßen leicht für Autofahrer von Propriano oder Sartène aus zu erreichen. Solche Strände habe ich auf keiner meiner beiden Korsika-Touren besucht. Stattdessen bin ich nach der Fahrt entlang des ausgedehnten Plage de Portigliolo (diesmal der gleichnamige Strand bei Propriano) eine ziemliche einsame Binnenroute nach Sartène gefahren, um den Kreis zu schließen. Auch hier gibt es nach dem Bocca di Biscelli kuriose Felsengeister zu bewundern – durchaus beachtenswert. Der Camping in Sartène liegt aus Sicht meiner Routenführung etwas ungünstig deutlich unterhalb der Stadt auf der Nordseite an der N 196. Auf dem sehr schattigen, von einem Bach durchflossenen Platz, an dem es abends auch empfindlich kühl werden kann, sind die Parzellen schon aus topografischen Gründen etwas seltsam verteilt – Heringe kann man fast nirgendwo in die Erde bekommen – es sei denn, man gehört zur Hammer-mitschlepp-Fraktion. Trotz eines Tennisplatzes am Eingang machen sich die Sanitäranlagen sehr bescheiden aus. Wer sich nicht unbedingt jede Nacht an ein Zelt gebunden fühlt, sollte in Sartène vielleicht lieber eine Gîte oder ein Hotel nehmen – so kann man auch am späten Abend besser Heim flanieren. Die Stadt bietet zahlreiche schöne Plätze, die zum Kaffee oder Essen einladen. Wo ist manchmal schwer zu entscheiden – mit Aussicht, an großen Plätzen zum Beobachten oder in engen Gassen der Stimmung wegen. Nach dem Essen fand ich beim Rundgang ein Restaurant in einer Gasse, in dem vier Musiker korsische Polyphonie mit Gitarrenbegleitung boten. Solche Konzerte werden gratis dargeboten – sozusagen als Werbung für den Gastronomiebetrieb. Es lohnt sich also auch, länger zu suchen, ob eine Veranstaltung läuft. Immerhin konnte ich als Zaungast noch eine Weile lauschen. Das morgendliche Sartène folgt dann im nächsten Kapitel. Bildergalerie zu Kapitel 6 (113 Fotos): Fortsetzung folgt
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#888745 - 08.12.12 22:12
Re: Korsika 2012
[Re: veloträumer]
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Nach ein kleinen Kreativitätspause nun weiter... KAPITEL 7 Kreidefelsen, Traumstrände, Korkeichen und Nacktwanderung im Gumpenfluss: Der trockene Süden zwischen Sartène und Porto VecchioSa 7.7. Sartène - Foce di Mezzo (506m) - Col de Suara (466m) - Mola - dev. D50/N196 - Bocca di Curali (99m) - Bocca di Roccapina (149m) - Pianottoli - Bocca di Testa (68m) - Bocca d'Arbia (127m) - Col de Foce de Lera (90m) - Bonifacio63 km | 13,4 km/h | 4:40 h | 835 Hm* W: sonnig, > 30 °C, starker Küstenwind E (Le Tiki): Tintenfischsalat, flamb. Gambas, Roséw, Kastaniencrème, Cafe 31,50 € Ü: C Araguina 10,30 € (–) Zu den wichtigsten und schönsten = schmackhaftesten Erlebnissen einer jeden Frankreich-Reise gehört der Besuch eines Marktes – das ist in Korsika nicht anders. Für die ganze Vielfalt lohnt es sich unbedingt, einen Markt in einem der größeren Städte mitzunehmen. So ist denn der Samstagsmarkt in Sartène der ideale Rahmen für einen Flanieren durch das quirlige Tagesgesicht dieser als “korsischste“ bezeichneten Stadt. Die typischen Grautöne sind aber im heutigen touristischen und gewerblichen Trubel nur noch eine Facette des Ortes. Für die erworbenen Marktspezialitäten mit einem morgendlichen Wachmacher zu genießen hat man gleich eine größere Auswahl an Cafes an der Place Porta – Paoli schaut hier von der Terrasse weit ins Tal hinab. Die Vielfalt der Produkte des Marktes setzt sich quasi in den Spezialitätengeschäften in der Altsstadt fort. In dem größten Lebensmittelladen dort kann man nicht nur Liköre und Wein probieren, sondern sich auch über die nachhaltigen Produktionsarten von Käse und Schweinefleisch informieren. Die Würste und Schinken hängen wie reife Trauben über den Köpfen der Besucher. In den Altstadtgassen gibt es natürlich auch diverse Boutiquen mit Edelware bis Touristenkitsch. Die Ausfahrt nach Mola muss man erahnen oder einen Polizisten fragen. Die Strecke wird alsbald zu dem was sie ist: Eine völlig verwaiste Holperstrecke, teils ist der Asphalt aufgelöst. Mola ist nicht mehr als ein Weiler und die meisten Autos fahren eher vom Tal her zu den in der flachen Ebene liegenden Landgütern bzw. dem am Hang liegenden Ort Giuncheta. Bereits auf der N 196, passiere ich noch eine familiäre Gîte mit Ökoprodukten im Verkauf, wo ich die in Sartène nicht erworbene Obstration des Tages nachkaufe. Der Löwe auf dem Rocher du Lion am Capu di Roccapina vermittelt sich mir nur sehr schwer – stattdessen sehe ich wenig weiter Elefantengeister in den Felsen sitzen. So hat jeder eine andere Fantasie. Während die Strände im Westen – jeweils per Stichstraßen zu erreichen – sehr stark besucht sind, ist auf der folgenden Südroute bis kurz vor Bonifacio kaum ein besserer Strand zu finden. Sie sind zuweilen auch durch dichte Macchia undurchdringlich abgeschirmt – ein hartnäckiger Versuch von mir, das Buschwerk ohne Machete zu überwinden wurde zu einem wenig zu empfehlenden Kampf mit Dornen und Schweiß. Exkurs Kunstoase inmitten der Ödnis: Die Südroute Korsikas gehört zu den landschaftlich langweiligsten Streckenabschnitten der gesamten Insel und ist zudem noch extrem stark befahren – allerdings für den Weg von Südwesten nach Bonifacio alternativlos (- das hat jetzt aber nichts mit unser Angela zu tun… ). Umso mehr möchte ich hier einen Künstler und seinen Garten ans Herz legen, der diesem rasenden Verkehr in ziemlich trostloser Umgebung eine Oase der Ruhe mit kleinen künstlerischen Denkanstößen entgegen setzt. Der Mann heißt Thomas Ambroggi und sein Garten läuft unter der Bezeichnung Binettu – Locu d’Ozio. Der Eintritt ist wohl frei – vielleicht lag es auch daran, dass ich gleich mit Thomas ins Gespräch kam.
Er hat ein Labyrinth aus Zypressen gepflanzt, das aber wegen der Trockenheit hier im Süden nur langsam anwächst. Ebenso muss er aufwändig Wasser in seinen Teich pumpen, der dem Garten eine grüne Frische gibt und in dem auch Zierfische herumschwimmen. Das Labyrinth und einige Kunstwerke sind für Kinder gedacht, im Garten kann man sich auch einfach unter Pinien sitzen und entspannen – oder auf Anfrage für Feste buchen. Ein Mobile mit Glocken aus allen Teilen der Welt hängt da zwischen den Bäumen, ein paar zierliche Stahlgestalten in grellen Farben, eine anscheinend deplatzierte überlebensgroße leuchtend rote Ente.
Scheinbar nicht die große Kunst – doch die geschliffenen Steinköpfe sind schon hintersinniger. Am Bedeutsamsten finde ich die Figur eines hohlen schwarzen Frauenkopfes mit Tschador bzw. Kopftuch, der – von einer anderen Perspektive betrachtet – die nackt Frau in erotischer Pose zeigt – den Widerspruch aus gesellschaftlicher verordneter Keuschheit und doch immer auch vorhandener sexueller Verführung und Lust symbolisierend. Ein gewiss auch politisches Kunstwerk – auf einfache, aber raffinierte Weise, scheinbar schlicht, aber doch mit der Kraft zum gesellschaftlichen Diskurs modelliert.
Natürlich kann Thomas nicht von dieser Kunst Leben – mit seiner Frau führt er eine Gîte, hat auch mit praktischer Gartenkultur zu tun, verkauft in seinem kleinen Atelier hier einige typisch korsische Produkte, ein paar Schmuckstücke, ein paar Postkarten usw. Wie man der Website entnehmen kann, ist er in einem kleinen Netzwerk organisiert, das ganz unterschiedliche Künste und Professionen zueinander bindet. Darunter ist auch der Fotograf Nicola Tagliabue, der auf seiner Website ein paar sehenswerte Fotos in den Bereichen „Fashion“, „Portrait“ und „Wedding“ zeigt.Über Bonifacio kann man nicht viele Worte verlieren – man muss es sich anschauen. Ein Wort jedoch zum Camping „Araguina“: Er liegt zwar günstig zur Stadt – damit sind die Vorteile aber schon aufgezählt. Direkt an der Straße, die erst spät zur Ruhe kommt, und nicht unbedingt sicher dort gelegen. Die ganze Nacht randaliert unweit ein wohl Besoffener, schlägt gegen Mülltonnen und schreit herum. Der Platz hat nichts mit Camping zu tun – es ist ein reiner Hartsandplatz ohne Chance für Zeltheringe – eher ein besserer Terrassenparkplatz – wehe dass eine Windböe den Sand aufwirbelt. Die Sanitäranlagen sind zwar okay, aber es gab gleich zur Hauptduschzeit am frühen Abend Probleme, sodass 2/3 der Anlage gesperrt war. So 8.7. Bonifacio - Col de Parmentile (45m) - Suartone - Plage Rondinara - Suartone - dev. N198/D59 - Chera - Bocca di Sardi (235m) - Col de San Pietro (121m) - dev. D459/N198 - Porto Vecchio - Nota - U Furu66 km | 12,9 km/h | 5:08 h | 960 Hm* W: sonnig, morgens Wolken, schwül, morgens füh 25 °C, später > 30 °C E (U Furu): Entrecôte, PF, Gem., Rw, Paris-Brest, Cafe 31,30 € Ü: C U Furu 12,85 € (+) Der Tag beginnt mit einem Besuch einer weiteren typischen korsischen Einrichtung: Meist an den Hauptverkehrsachsen gelegen, gibt es große, offene Lebensmittelstände, an denen man fast alles bekommen kann – insbesondere die ganze Palette korsischer Spezialitäten. Nimmt man die kleinen Läden in den ländlichen Gegenden dazu, kann man eine Korsika-Reise ganz ohne den Besuch der großen Supermärkte bei den großen Orten auskommen. So braucht man zum Einkaufen nie das Rad abschließen. Nur in Porto Vecchio musste ich mal zwecks Knopfbatterie in ein großes Ladenzentrum, weil der Radladen nicht weiterhelfen konnte (für Fahrradtacho). Ist der Weg auf der N 198 einfach zu fahren (leicht hügelig), so ist die Zufahrt zum Plage Rondinara schon eine kleine Härteprobe. Der Rondinara-Strand ist durch sein runde Form vor allem aus der Vogelperspektive ziemlich einzigartig. Am überfüllten Hauptzugang kommt man bis zum Sand mit dem Rad, besser ist der nördliche Zugang, wo man zwar das Rad ein wenig schieben und auch anheben muss, aber dafür deutlich weniger Betrieb ist. Nach der Rückfahrt zur N 198 fahre ich noch eine kleine, aber hübsche Binnenroute über Chera und San Pietro. Gerade der erste Teil auf der D 69 bringt nochmal eine weitere Landschaft auf das Tableau in der korsischen Vielfalt mit lichten Korkeichenwäldern und der kräuterreichen Garigue. Ähnlich ist auch die Landschaft Richtung Muratello bzw. dem Camp U Furu – dort stehen die Eichen noch lockerer und die Wiesen werden durch alte Weidemauern aufgeteilt. Von U Furu Richtung Muratello (Anfahrt des übernächsten Tages) stehen die Eichen in aparter Ordnung und ergeben ein geradezu archaisches Landschaftsbild. Mo 9.7. U Furu0 km | - km/h | - h | 0 Hm W: sonnig, ~ 30 °C E (U Furu): Lammkotelett, PF, Roséw, Eis, Cafe 25,80€ Ü: C U Furu 12,85 € (+) U Furu ist ganz ein besonderer Ferienort in Korsika. Das FKK-Camp liegt ziemlich abseits – noch nicht, aber am Fuße der Berge des Alta Rocca. Die Besonderheit ist ein Gumpenfluss, der im Camp beginnt und auf einem angelegten Pfad – natürlich nackt – begangen werden kann. Die Gumpen haben verschiedene Formen und entsprechende Namen bekommen wie z. B. „Die Klobrille“. Zwar kann man weitgehend auch durch den Fluss waten, aber es gibt einige höhere Wasserfälle, die man nur über den Pfad überwinden kann. Mit Fotos machen und immer wieder Erfrischen braucht man etwa zwei Stunden bis zum Wegende – wenn man rennt, reicht vielleicht auch eine halbe Stunde. Nebst gemütlichem Frühstück empfehle ich aber sich einen ganzen Tag Zeit zu nehmen. Am Ende könnte man noch weiter wandern, muss aber dann entweder schwierige Abschnitte im Fluss oder dichtes Gestrüpp überwinden. Es gibt wohl im oberen Bereich auch von der Seite von einer Straße her eher schwierige Zugänge, auf denen einige einheimische „Bekleidete“ auch dazustoßen. Im Camp gibt es auch unmittelbar bei Bar und Restaurant einen Swimmingpool mit einer glatten Liegefläche umher. Das Restaurant ist allerdings nur zur Hochsaison in Juli und August geöffnet. Es gibt zwar nicht viel Auswahl bei den Gerichten, aber das Essen ist gut und das Angebot variiert immer wieder. Die Bar ist abends als Treffpunkt recht beliebt. Kleinigkeiten und Brot auf Vorbestellung kann man auch kaufen – für eine richtige Selbstversorgung müsste man aber nach Porto Vecchio – nicht weit, aber durch ein paar Hügel auch mit einer kleinen Steilrampe versehen. Etwas seltsam fand ich die Regel des holländischen Leiters, dass man sich nicht nackt an die Tische setzen durfte, obwohl ja gleich ein Meter weiter der Freibereich für den Swimmingpool liegt. Die Parzellen verteilen sich in teils steilem Gelände sehr weitläufig. Hier sind allerdings jene Wesen präsent, die letztlich Korsika beherrschen, wie ich es auch noch von meiner ersten Korsika-Reise kenne: Ameisen – Milliarden von Ameisen! Keiner kann sie besiegen – nicht Napoléon, nicht die Vendetta. Nicht ganz einfach, die Tierchen von Vorräten fern zu halten. Di 10.7. U Furu - Nota - Porto Vecchio - Bocca di l'Oru (63m) - Plage Asciato - Plage de Palombaggia - Foce Incesa (30m) Piccovaggia - Col de Varra (69m) - Porto Vecchio - Nota - Pavalese - U Furu [ohne Reisegepäck]63 km | 13,3 km/h | 4:45 h | 680 Hm W: sonnig, > 30 °C E (Assiete, Muschelrest. P. Vecchio): Moules frites provencale, Roséw, Peche Melba, Cafe 26,40 € (+) Ü: C U Furu 12,85 € (+) Porto Vecchio kannte ich noch besser als Bonifacio von meiner ersten Korsika-Reise. Die Stadt hat nur wenig architektonisch hervorstechende Bauten, weil ein guter Teil der Festungsanlage zerstört ist. Sehenswert ist vor allem das Porte Génoise mit Blick auf Hafen und Salinen. Einen Gang durch die Gassen lohnt vor allem, um das Flair einzufangen – unzählige Gelegenheiten zum Essen und Trinken bis hin zu trendigen Bars sorgen für lebhaftes Treiben. Am Rathaus wird man gleich auf 2013 vorbereitet – stolz sind doch überlebensgroße Trikots zum Start der Tour de France in Porto Vecchio ausgehängt. Ob man sie mittlerweile wieder beschämt eingerollt hat? – In der Bastion de France gibt es gerade eine Kunstausstellung – eine Verkaufsausstellung bei freiem Eintritt – ein Maler und eine Malerin, die beide sehr farbenfrohe Bilder zeigen (Fotografierverbot). Ein paar Bilder hätten mir sehr gefallen – aber mal eben 1000 Euro habe ich leider nicht in der Portokasse. Nach der Erinnerung an die Stadt sollte auch noch eine Erinnerungstour um die Halbinsel mit dem Punta di a Chiappa (eindrücklicher Leuchtturm) auf dem Programm stehen. Zwischen Santa Giulia und La Chiappa liegen mehrere Traumstrände, von denen der Plage de Palombaggia oft als der schönste Korsikas gepriesen wird. An diesen Stränden gibt es zwar allen touristischen Schnickschnack wie z.B. Jetskiing, aber an den Rändern sind die Strände immer noch halbwegs moderat besucht. Auf der Nordseite der Halbinsel liegt in der südlichen Kerbe des Golfes von Porto-Vecchio ein Schutzgebiet mit typischen Brackwasservögeln. Hier kann man sehr stimmungsvolle Momente erleben. Um etwas Abwechslung in meinen Speiseplan zu bekommen, beschließe ich in der Dunkelheit zurückzufahren (wobei ich mich tatsächlich verfahre) und in einem Muschelrestaurant unterhalb im Süden der Stadt zu essen. „Assiette“ ist eine echte Empfehlung – es gibt nur Muschelvariationen und ein paar Desserts zu essen – sehr nett eingerichtet und wegen der etwas ungünstigen Lage an der Einfallstraße von Gästen zu Unrecht vernachlässigt. Von einer charmanten Gastwirtin – wohl nebst Tochter – geführt. Bildergalerie zu Kapitel 7 (144 Fotos): Fortsetzung folgt
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Geändert von veloträumer (12.02.19 19:05) |
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#888803 - 09.12.12 10:31
Re: Korsika 2012
[Re: veloträumer]
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[…]So ist denn der Samstagsmarkt in Sartène der ideale Rahmen für einen Flanieren durch das quirlige Tagesgesicht dieser als “korsischste“ bezeichneten Stadt. Die typischen Grautöne sind aber im heutigen touristischen und gewerblichen Trubel nur noch eine Facette des Ortes. Für die erworbenen Marktspezialitäten mit einem morgendlichen Wachmacher zu genießen hat man gleich eine größere Auswahl an Cafes an der Place Porta – Paoli schaut hier von der Terrasse weit ins Tal hinab.[…] Da war ich auch an einem Samstagmorgen, allerdings sah die Place Porta etwas anders aus als auf Deinen Bildern: Der Markt war evakuiert worden, nachdem es eine Schießerei gegeben hatte, in dem Café gegenüber, mit einem Toten (einer der "Angreifer") und zwei Verletzten, die "Zielperson" und ein Biobauer, der durch einen Querschläger getroffen wurde. Drei Tage später fuhr ich durch Porto Vecchio ... auch dort wurde an diesem Tag ein Mord verübt, was ich allerdings erst am nächsten Tag aus der Zeitung erfuhr. Da musste ich schon an die Episode denken, die ich in einem Reiseführer las, als Napoleon einst einen Gesandten seiner Heimatinsel fragte, der ihn in Paris besuchte: "Na, wie läuft es auf Korsika? Bringen sie sich immer noch gegenseitig um?"
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#888876 - 09.12.12 15:15
Re: Korsika 2012
[Re: veloträumer]
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Hey Matthias, hast mal wieder deine tollen Bilder und Berichte veröffentlicht. bei den letzten Bilder bekomm ich Hunger und Durst auf die leckeren Sachen. vor über 20 Jahren war ich mal kurz davor die Insel zuerkunden leider kam was Geschäftliches dazwischen. Jewtzt hab ich Zeit aber der rest dazu fehlt Klaus
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jetzt wieder Stadtbewohner ;-) .Wenn du unten bist, geht`s nur noch bergauf.
Liegst du schon, oder buckelst du noch !
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#889054 - 09.12.12 21:06
Re: Korsika 2012
[Re: Holger]
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War das dieses Jahr? - Scheint wieder ziemlich schlimm zu sein. Ich wollte später (Kap. 9) noch was dazu schreiben. Dieses Jahr sind es schon 27 Todesopfer gewesen. Allerdings hatte ich keinerlei derartige Spuren auf meiner Reise gesehen - i.d.R. sind die Attentäter in der Haupttouristensaison etwas "zurückhaltender".
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#889055 - 09.12.12 21:08
Re: Korsika 2012
[Re: trike-biker]
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bei den letzten Bilder bekomm ich Hunger und Durst auf die leckeren Sachen. Die Weinhochburgen kommen noch...
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#889329 - 10.12.12 20:10
Re: Korsika 2012
[Re: veloträumer]
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KAPITEL 8 Felsnadeln, abgelegene Bergdörfer, Wein, Römer & Meer: Durch das Alta Rocca via Bavella-Massiv und Fiumorbo in die Plaine OrientaleMi 11.7. U Furu - Muratello - D159/D59 - Col de Bacinu (809m) - Bocca d'Ava (740m) - Foce d'Olmo (589m) - Tirolo - Foce di Mela (620m) - Source de Caldane - D268/D69 - Loreto-di-Tallano - Zérubia - Quenza - Zonza90 km | 10,9 km/h | 8:16 h | 1860 Hm W: sonnig, > 30 °C, sehr heiß, abends in Zonza leicht kühl E (L'Aiglon): grat. Tomate m. Ziegenkäse, Schnitzel an Kastaniensauce, Maispolenta, Roséw, Kastanienku., Cafe 33 € (+) Ü: C Bellavista 8 € Das aufgelockerte Wiesen- und Hügelland mit Korkeichen weicht mit der Anfahrt zum Col de Bacinu auf der D 59 einer Berglandschaft mit sowohl felsigen als auch bewaldeten Teilen. Der Pass ist recht unrhythmisch – es gibt unten und oben steile Passagen, in der Mitte eine recht flache Passage samt Brunnen. Nach der ersten Steilpassage fährt man durch einen kurzen Tunnel, den Scaffi d’Usciolu, der im Zweiten Weltkrieg Schauplatz von Kampfhandlungen zwischen der Resistance und Truppenteilen der Armee Rommels sowie der italienischen Faschisten war. Es sei an dieser Stelle noch der Vollständigkeit halber erwähnt, dass der ominöse „Rommel-Schatz“ – ein zeitweise mystifizierte Kriegsbeute der afrikanischen Armee der Nazis unter der Führung Rommels – irgendwo vor Korsika versunken ist und bis heute nicht aufgespürt werden konnte. Es folgen kaum befahrene, aber weitgehend neu asphaltierte Routen im Auf und Ab mit kleinsten Dörfern. Ich befinde mich gewissermaßen im steten Wettlauf mit dem Postauto, das ja immerzu in den Orten mehrfach anhalten muss. Jenseits von Tirolo wird die Straßenqualität wieder deutlich schlechter – immer wieder taucht man unter Kastanienwalddächern in Schatten bei sehr hohen Temperaturen. Die Source de Caldane ist eine Thermalquelle – das alte Bad ist aber verfallen – ich konnte keine Zugang entdecken. Um nach Zonza zu gelangen, hat man der Überquerung des Fiumicicoli mindestens drei Varianten zur Auswahl, von denen ich den weiten westlichen Bogen über Loreto-di-Tallano fahre. Dazu überquert man zunächst die Rizzanese-Brücke, wo es auch – allerdings überfüllte – Bademöglichkeiten gibt. Zunächst verläuft die Strecke in unbarmherziger Sonne, dann bildet der Bergrücken im Westen einen langen Schatten samt seiner Kastanienwälder. Die noch weitere Schleife über Aullène kann man über Zérubia abkürzen – als Belohnung der Tagesarbeit läuft mir hier eine griechische Landschildkröte über die Straße. Am Rande des Bergdorfes Serra-di-Scopamène steht eine renovierte mittelalterliche Mühle, in der Oliven und Kastanien gepresst bzw. gemahlen wurden. Das Wasser zum Antrieb wurde über einen Kanal zugeleitet. In Quenza ist schon erhöhter Tourismus zu bemerken – die Wander- und Raftingregion um die Aiguilles de Bavella macht sich bemerkbar. Nach einem kleinen Schloss kommen die eindrucksvollen Felsnadeln herrlich in der milden Abendsonne zum Vorschein. Sie erinnern an Dolomitenberge – die Korsen nennen sie in ihrer Sprache auch Eselsohren. Der Weg nach Zonza ist nochmal mit einer Zwischenabfahrt verbunden. Etwa 2-3 km vor Zonza befindet sich typischer Bergsportler-Camping, für den Anschluss an den Ort Zonza mit seinem Speisestättenangebot fährt man aber besser weiter bis kurz vor den Ortseingang, wo der Camping Bellavista recht steil am Hang direkt unter der Straße liegt. Der Camping läuft unten flach auf einer Wiese aus – von dort suchen allerdings für die fast 800 m Höhe schon ungewöhnlich aufdringliche Blutsauger die kräftig pulsierenden Adern des Radlers auf. In Zonza hat man dann wieder Ruhe – jedenfalls vor Mücken, ansonsten ist der Ort gut besucht. Das Restaurant vom Hotel L’Aiglon kann ich dort empfehlen. Do 12.7. Zonza - Foce di Fournu (879m) - Col de Bavella (1218m) - Col de Larone (608m) - Solenzara - Travo - Ventiseri - Serra-di-Fiumorbo - Pietrapola - Isolaccio-di-Fiumorbo89 km | 12,6 km/h | 7:04 h | 1825 Hm W: sonnig, > 30 °C, sehr heiß, sehr windig, Windkanal Solenzara E: Käsepastete m. Lachs, Kalbsgulasch, PF, Roséw, Kastaniencrème, Cafe 25 € Ü: C wild 0 € Der Tag beginnt gemütlich in einem Café in Zonza und endet recht hektisch am Abend, weil mal wieder die Auf und Abs einen Haufen Zeit kosten. Doch steht dem ja auch ein intensives Erleben grandioser Natur gegenüber. Auf mir schon bekanntem Wege, aber doch wieder neue entdeckt, geht es zunächst durch Kiefern, dann durch Felsenland zum Bavella-Pass. Trödelt man morgens ein wenig – schon ist die Touristenkonkurrenz im Übermaß vor Ort. Der Bavella-Trubel setzt sich auch auf der Südostseite fort – die Parkplätze sind überall gefüllt – Wanderer, Bergsteiger, Canyoning-Artisten, Rafter, Badestellenfrühbucher und sogar der eine oder andere Rennradler. Obwohl die Berge am Bavella und auch um den Bocca di Larone nicht Hochgebirgsniveau erreichen, so sind doch die Felskulissen hier alpin imposant und sorgen für fortgesetztes Staunen. Badestellen gibt es auf der Strecke nach Solenzara jede Menge – manche liegen frei und gut zugänglich quasi neben der Straße, andere sieht man gar nicht. Um einen noch halbwegs moderat besuchten Platz zu finden, muss man allerdings zur Mittagszeit schon etwas suchen. Für die besseren Plätze muss das Rad auch wieder nahe der Straße bleiben, weil man steil zum Fluss absteigen muss. Der Weg an der Küste ist diesmal nur kurz – gleich zweige ich in Travo auf die D 45 ab. Diese verlässt kurze Zeit später den Fluss Travo und steigt mittelmäßig nach Ventiseri an, wobei man glaubt, sich mehrfach um einen Berg zu drehen. Das so angefahrene Fiumorbo ist durch sehr viele kleine Täler gekennzeichnet, die man immer wieder auf dem Weg zu den Dörfern durchfahren muss. So sammeln sich Höhenmeter nicht immer ganz vorhersehbar an. Panoramafahrten wechseln mit kleineren Waldabschnitten, ausladenden Farnhängen und tiefen Schluchteinschnitten. Die entlegene Position lässt auch heute noch die Touristen selten hierhin kommen. Das Fiumorbo war eines der letzten Rückzuggebiete der Banditen. Entgegen der Reisebuchbeschreibung habe ich im Kurort Pietrapola das Gefühl, dass es keine Essgelegenheit gibt. Ich strebe so die kaum endende Auffahrt nach Isolaccio an – in dem entlegenen Ort gibt es ein Hotel/Restaurant noch vor dem Ortseingang – weitere Gastronomie kann ich entgegen den Reiseführerangaben aber auch hier am nächsten Morgen nicht finden. Meine schweißtreibende Eile mit der Angst, in einem entlegenen Bergdorf wohlmöglich kein Abendessen mehr zu bekommen, erweist sich als überflüssig. Hier feiert eine Festgemeinde – ein Teil ist wohl auch im Hotel untergebracht – und bei der von mir selbst als spät empfundenen Essenszeit reicht es bei den Korsen gerade mal für den Apero. Drei junge Korsen singen und spielen Gitarre – die Melodieführung empfinde ich etwas einfältig, weniger gut als die Performance in Sartène. Sie sind wohl zum Fest gebucht – die Freundinnen sitzen an einem separaten Tisch. Während bei mir schon der Espresso geleert ist, wird bei der Festgemeinde erst die Vorspeise aufgetafelt. So habe ich zwar Zeit für ausführliche Notizen und Körperpflege auf der Toilette, doch wird selbst mir der Abend zu lang. Die Crux an der Sache ist, dass ich einen Platz für mein Zelt recht unmittelbar hinter dem Hotel an einem Sportplatz ausgesucht hatte – da ist dann die Nachtruhe nicht gegeben. So muss ich mich noch weiter um die Ecke wegschleichen – dort ist dann schon wieder einer dieser bekanntlich „ästhetischen“ Autofriedhöfe – das Bild gabs ja schon eingangs. Hier war immerhin einigermaßen Ruhe. Fr 13.7. Isolaccio - Poggio-di-Nazza - Pinzalone - Sampolo - Pinzalone - Col de Cardo (345m) - Pietroso - Vezzani - Col de Perelli (720m) - Col de Sbiro (732m) - Antisanti - Aléria - Plage de Padulone93 km | 12,7 km/h | 7:19 h | 1380 Hm W: sonnig, > 30 °C, sehr windig, Windkanal Inzecca-Schlucht (Abbruch) E (Camping): Ente m. Gambas, Reis, Süßkart., Roséw, pochierte Birne in Wein, Cafe 34,50 € (Likör gratis) Ü: C Marina d'Aléria 12,40 € Die Hügelfahrt geht weiter – die Steigungen sind aber zunächst schwieriger als im Fiumorbo des Vortages. Die Landschaft wird nach Norden ein Stück weit mittelgebirgiger, offener, auch die Besiedlung nimmt leicht zu. Der Abschnitt nördlich des Flusses Fium’Orbo über Vezzani hinein in die Plaine Orientale ist nahezu ganz offen, das Meer meist am Horizont sichtbar. Hier wieder weniger dicht besiedelt, die Steigungen sehr moderat. Zuvor fahre ich aber noch als Stichstrecke in die Défilé de l’Inzecca ein – eine kurze, aber trotzdem eindrückliche Schlucht. Auf die Talweitung mit dem Stausee folgt eine weitere Schlucht, die Défilé des Strette, über die man Ghisoni erreichen kann (Anschluss Kap. 5). Die geplante Stichtour musste ich aber am Stausee abbrechen – der Wind war hier so stark, dass ein Fortkommen nur noch mit unzumutbarer Qual möglich gewesen wäre. Natürlich wirken die Schluchten dabei auch als verstärkender Windkanal. Auf der Rückfahrt aus der Schlucht muss ich dann offenen Auges und wehrlos ertragen, wie ein Geschenk einer Forumsradlerin in den Abgründen der Schlucht einem langsamen Tod entgegen tritt: Das grüne Radkäppi wurde mir durch den Wind vom Kopf gerissen und blieb für mich unerreichbar zurück. Nachfolgende Reisegenerationen können ja mal nachschauen, ob sie das Käppi noch entdecken können. Entgegen meiner Erwartung bleibt die Topographie auch nach der Abfahrt von Antisanti in der Plaine Orientale hügelig. Obstplantagen und sanft geschwungene Weinberge kündigen die fruchtbare Ebene im Osten an. Ich begebe mich gleich in Richtung Küste, da es in Aléria selbst keinen Camping gibt. Unmittelbar ans Meer grenzen beim Plage de Padulone die Weinberge ans Meer. Die Trauben hier gelangen unter dem Etikett „Corsaire – Réserve du Président“ in die Weinflaschen (vgl. Anmerkung in der Einführung). Sa 14.7. Plage de Padulone - Aléria - Fort de Matra/Römerstadt - Aléria - Riva Bella –dev. N198/D16 - dev. D43A/N200 – Casabertola - Pont de Piedicorte56 km | 14,6 km/h | 3:50 h | 400 Hm W: sonnig, aber dunstig, schwül, < 30 °C, abends ein paar Tropfen, Berge wolkig E (Camping): kors. Schinken/Wurst, Spinatcannelloni, Rw, Kastanientorte, Cafe 20,70 € (Bowle & Champagner wegen Nat.feiertag gratis) Ü: C U Sortipiani 12 € (davon 1,50 € für Velo!) Gewiss, der Camping hier ist ein ziemlicher Touristenbrennpunkt, für kurzweilige Zeltgäste auch kein schöner Platz (man wird auf eine Randzone verwiesen). Die Sanitäranlagen sinnd aber modern und luxuriös gestaltet und das Restaurant ist zwar nicht Oberklasse, aber ordentlich. Wie an Bambini-Strand-Ferienorten hat auch hier der Pizzabäcker die meiste Arbeit. Das Meer ist aber auch hier ob des Menschen unbeeindruckt in seiner faszinierenden rauschend-bewegten Schönheit. Das kurze morgendliches Bad weckt in mir noch mehr Lust auf Meer. Ich verschiebe die radlerischen Hochleistungsziele auf unbestimmte Zeit und beschließe einen entspannten Tag zu verleben. – Wo bin noch? – in Korsika, richtig, der Insel der Schönheit – zeitlose Schönheit natürlich. Aléria hat ca. 25000 Einwohner, mehrere prunkvolle Paläste, Tempel, Thermen, ein großes Forum zum Polit-Plausch und Tausch von Waren, ein Amphitheater, moderne Straßenzüge, Aquädukte zur Wasserversorgung und Handwerksbetriebe mit allem, was das Herz begehrt – glaubt ihr nicht? – Doch so war das mal so, als die Römer zur Blütezeit etwa um die Wende der modernen Zeitenrechnung bzw. zu Zeiten von Kaiser Augustus dort lebten und liebten. Schon 259 v. Chr. vertrieben die Römer die Karthager, reifte zu einer mediterranen Blüte heran und nahm im 5. Jh. n. Chr. einen Abschwung durch Brand und Zerstörung der Vandalen. Man nahm das Gute und brachte das Böse – jedenfalls sorgten die Römer noch für Schrecken in Abwesenheit, weil sie zum Abschied Malariamücken in die Küstenebene einschleppten – mit negativen Folgen bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Römerstadt besteht heute natürlich nur noch aus Ruinen, lässt sich aber recht gut in der Fantasie wieder aufbauen, wenn man sich die Zeit dazu nimmt. Die heutige kleine und schmucklose Neustadt ist eigentlich nur ein Versorgungszentrum für Touristen samt der Wohnungen der Beschäftigten in der entsprechenden Branche ist. Die archäologische Stätte liegt südlich auf einem kleinen Hügel mit dem Genueser Fort Matra, das ein Museum zu den Ausgrabungen beinhaltet. Drumherum liegt eine kleine Altstadt mit Gebäuden aus verschiedenen Epochen, die teils aus den Resten der römischen Bausubstanz entstanden. Von den Ausgrabungsstätten hat man auch einen schönen Blick auf die Weinberge und Hügel rund um den Étang de Diane. Sofern nicht zu viele Touristen herumlaufen, ein wunderbare Ort zum Nachdenken oder Nichtdenken. Für die (Mehr-)Meer-Zeit fahre ich an den Strand von Riva Bella, eines der großen FKK-Feriendörfer an der Ostküste, zudem noch als Thalasso-Ressort ausgewiesen. Ob ich den Weg mitten durch das Gelände überhaupt wählen durfte, weiß ich nicht – es gab aber auch niemand der das kontrolliert hat. Ich habe den Eindruck, dass weniger Gäste als für die Jahreszeit üblich da sind. Das Gelände ist nicht nur wegen des Strandes attraktiv, sondern auch wegen der angrenzenden Brackwasserseen mit eigener Flora und Fauna. Die Lage von Riva Bella ist jedenfalls als die weiter nördlich gelegenen vergleichbaren Ressorts Tropica Corsicana und Baghera. Die Leichtigkeit des Meeraufenthaltes lässt sich auf der Reststrecke des Tages gut konservieren. Ich nehme eine leicht hügelige Alternativvariante zur N 198, um zur N 200 im unteren Tavignano-Tal zu gelangen (dadurch muss ich nicht nochmal durch Aléria). Hier gibt es Hohlwege, Schafsweiden, Weinreben und Obstplantagen – vornehmlich Grapefruit. Die Fahrt durch das Tavignano-Tal bleibt bis nach Casarbertola eine „Tour de light“. Danach verengt sich das Tal zu einer Schlucht, die aber nicht spektakulär ist. Es gibt kleinere Steigungen, die aber harmlos bleiben. Vor Pont die Piedicorte gibt es eine alte Genueser Brücke, wenig weiter folgt der Weiler mit Camping, Pferdeweiden und ein paar Häusern. Zu Ehren des Nationalfeiertages gibt es einen Grillabend samt Bowle und Champagner. Das Festessen ist genau auf die angemeldete Personenzahl abgestimmt – so muss ich mit dem etwas bescheidenen Gerichten à la Carte vorlieb nehmen. Von den Feiertagsgetränken bekomme ich aber auch etwas ausgeschenkt. Der Wirt spielt Gitarre und ein junger Mann (Sohn) übernimmt den Gesangspart. Auch schön, der Abend. Bildergalerie zu Kapitel 8 (143 Fotos): Warnhinweis für die noch nicht geschlechtsreife Velo-Fauna: Die Galerie enthält Bilder mit sexuellen Handlungen der eindeutig schweinischen Art! Fortsetzung folgt
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#890116 - 12.12.12 23:04
Re: Korsika 2012
[Re: veloträumer]
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Diesmal gibt es etwas schwerere Bildungs-Kost... KAPITEL 9 Kastanienwälder, ein Kölscher Jeck & Libertá, Mineralquellen und Panoramadörfer: Bozio, Castagniccia und CasincaSo 15.7. Pont de Piedicorte - Pont Genois d'Altiani (Ponte Laricio) - Altiani - Erbajolo - Col de San Cervone (899m) - Col de Casardo (1094) - Col de la Foata (834m) - Pianello - Col de Catarelli (646m) - Matra - Col de San Gavino (697m) - Chiatra - Alistro - Prunete - Moriani-Plage - San Nicolao - Cervione96 km | 12,2 km/h | 7:50 h | 1385 Hm W: sonnig, morgens 24 °C, danach nur wenig wärmer, max. ~ 27 °C E: kors. Wurstplatte, kors. Suppe (Nudeln, Kart., kräftig), Lasagne m. Gulasch, Käse-Konf., Roséw, Crème Caramel, Cafe 27 € (Likör gratis) Ü: C wild 0 € Die weitgehend flache Strecke im breiten Golo-Tal endet für mich an der Ponte Laricio. Hier schließe ich fast wieder den Kreis mit Corte und Venaco bzw. Peridundella. Es folgen nun drei Regionen, die zusammen wiederum eine wichtige Kastanienregion bilden – die Castagniccia wurde demnach auch so benannt. Das Bozio am Anfang der Route ist die einzige dieser Regionen, die keinen Meerzugang hat. Entsprechend ist sie weniger dicht besiedelt, aber auch ärmer als die beiden anderen. Castagniccia und Casinca profitieren nicht nur von der Nähe zum Meer, sondern auch bereits von der Nähe zum korsischen Wirtschaftszentrum Bastia. Bozio und Castagniccia bilden zusammen mit dem Cortenais das Kerngebiet des modernen korsischen Unabhängigkeitsgedankens im Gegensatz zu dem kämpferisch-kriminellen des Südens. Auch topografisch gibt es charakteristische Merkmale. Dramatische Schluchten gibt es hier nicht, vielmehr sind liebliche Hügel, zwischen denen sich die kleinen Täler recht komplex verästeln typischer. Trotzdem steigen die Passhöhen bis zu knapp über 1000 m hoch. Die Steigungen reichen von moderat bis anspruchsvoll – im Durchschnitt eher gemäßigt. Durch die verästelten Täler gibt es sehr viele geschlängelte Routen, sodass die Entfernungen recht groß werden können, obwohl mancher Ort greifbar nah in Sichtweite scheint. Diese Topografie führt auch zu einem sehr verästelten Straßennetz, sodass neben den von mir gefahrenen Strecken noch etliche Alternativen zu entdecken sind – mehr als in den anderen Regionen zuvor. Die Dörfer liegen fast immer in exponierter Lage – zumindest am Hang mit Talblick in den Binnenregionen – mehr noch mit weitem Blick auf das Meer an der Costa Verde. Der Charme dieser Dörfer erinnert wieder etwas an die Balagne am Anfang der Korsika-Tour. Die erste, offene Auffahrt mit Ausblick auf das Hochgebirge jenseits im Westen führt gleich zu einer ersten kleinen Dorfperle – Altiani. Es folgen erste Eindrücke von Kastanienwäldern, in denen die alten Bäume zu großartigen Skulpturen auswachsen – jede in seiner Art einzig und den Visionen eines Vincent van Gogh nicht nachstehend. Es scheint, je mehr sie absterben, desto würdiger und reifer stellt sich die Zellulosekunst dar. Schattenpassagen wechseln mit Panoramastrecken. Versorgung ist in den Binnendörfern schwierig – in Erbajolo etwa werde ich auf Corte verwiesen. Letztlich bekomme ich ein Sandwich in Pianello – eine Gîte, wo auch kleine Gerichte gereicht werden. Davor und danach geht es immer wieder auf und ab, am Col de Casardo findet sich ein schöner Picknickplatz mit großem Brunnen. In einigen Talkehren zwischen Pianello und Moita gibt es Bademöglichkeiten, die aber nicht immer einfach zu erreichen sind (am besten in Matra). Besonders am Col de San Gavino beherrscht das satte Grün der Farne die Hügel – das Blau des Meeres in der Ferne setzt sich umso eindrucksvoller ab. Nach dem letzten Hochpunkt Chiatra fährt man auf die Costa Verde zu, eine sehr beliebte wie belebte Strandregion. Nach ein paar Weinbergen folgen zweckmäßige Touristenorte und Ferienanlagen. Die Infrastruktur ist bestens – aber es fehlen organische Ortskerne. In Moriani-Plage folgt man der D 34 nach San Nicolao hinauf, um zur Corniche de la Castagniccia zu gelangen – eine Panoramaroute mit ein paar Überraschungen. Dazu gehört insbesondere der Wasserfall Ucelluline. Er befindet sich zwischen 2 Tunnels in einer engen Felsnische und zeigt sich von der Straße aus gesehen mit einem schönen Doppelstrahl. Unterhalb befindet sich ein weiterer eindrucksvoller Strahl mit Badebecken – dort bin ich aber wegen der fortgeschrittenen Abendzeit nicht mehr hingewandert. Um die Badebecken zu erreichen, empfiehlt sich die Anfahrt und Wanderung von unten – dazu gibt es von der Küste eine weitere Zufahrtsmöglichkeit. Cervione ist dann ein traumhaftes Balkonstädtchen über der Costa Verde – geeignet für romantische Sonnenuntergänge wie auch Sonnenaufgänge. Und nach der römischen Hauptstadt Aléria mal wieder eine Hauptstadt – eine deutsche sogar!? 3. Exkurs korsische Unabhängigkeit: Theodor von Neuhoff war ein deutscher Adeliger aus Westfalen bzw. Köln, der – von der korsischen Unabhängigkeitsbewegung in der ersten Hälfte des 18. Jh. angeregt – sich nach Korsika aufmachte, um zum bisher einzigen König Korsikas ernannt zu werden. Dabei diente ihm Cervione als Amtssitz und seine Begeisterung für die Architektur von Versailles hinterließ in Cervione ein paar bescheidene Spuren. Die Episode dauerte ganze 8 Monate im Jahre 1736 und gründete auf leeren Versprechungen, die er den Revolutionären machte. Es gelang ihm, Waffen, Geld und Nahrungsmittel auf Kredit in einem Schiff nach Korsika zu bringen – die Hilfe war aber nicht nachhaltig. Es war aber nicht nur die Enttäuschung der Korsen, die ihn wieder von der Insel vertrieb, sondern auch die mangelnde Geschlossenheit der revolutionären Bewegung, in der die Reihen durch das Misstrauen und der damit verbundenen Vendetta geschwächt wurden.
Die amüsante wie skurrile Geschichte hatte ich bereits zum Gegenstand des Bilderrätsels Nr. 771gemacht. Insofern nur noch eine Bemerkung zu dieser humoristischen Darstellung von Theodors Wirken. Es mag ja sein, dass das Königreich Korsika mit einem deutschen Hochstapler eine Schnapsidee war – aber um wie viel besser sind eigentlich heutige Staatswesen? – Einer der Hauptvorwürfe war ja, dass Theodor seine Lieferungen nicht bezahlen konnte. Schulden machen für eine Staatsgründung – was ist daran aber so abwegig, wenn man die heutige Verschuldung der Staaten der Welt betrachtet? Sind nicht heutige Regierungen noch schalkhafter, wenn sie an einen Abbau der der Staatschulden gar nicht mehr ernsthaft erwägen? – Sind die öffentlichen Schulden heute nicht Notwendigkeit im Kampf gegen soziale Verelendung und politische Instabilität? – Immerhin hat Theodor in 8 Monaten einiges zustande gebracht, Münzen wurden geprägt, ein Stadt umgestaltet, Porto-Vecchio kurzfristig erobert, das korsische Unabhängigkeitssymbol – der Mohrenkopf mit Stirnband – als Zeichen der neuen Freiheit verbreitet. Was würde eine deutsche Regierung nach Amtsantritt in 8 Monaten schaffen? – in einem Zeitalter hochmoderner, schnellster Information und Fortbewegungsmöglichkeiten wohlgemerkt.Mo 16.7. Cervione - St-Andrea-di-Cotone - Ortale - Felce - Col d'Arcarotta (819m) - Piedicroce - Col de St-Christophe (794m) - Col de Prato (985m) - Morosaglia - Bocca a Serna (696m) - Bocca di Riscamone (591m) - Ponte Leccia - Ponte Nuovo - Accendi Pipa - Barchetta - Accendi Pipa92 km | 14,1 km/h | 6:32 h | 1330 Hm W: meist sonnig, < 25 °C, im Golo-Tal wärmer ~ 30 °C B: Musée Pascal Paoli 2 € E (Accendi Pipa): kors. Suppe, Wildschweingulasch m. Spaghetti, Mousse Ban., Roséw, Cafe 23,20 € Ü: C wild (Hotelgelände) 0 € Theodor von Neuhoff wurde im Kloster von Alesani gekrönt. Meine Route führt zwar durch so auch benanntes Tal, allerdings auf der anderen Talseite. Meiner Einschätzung nach müsste diese Route durch die Castagniccia auf der D 71 die schönere Variante sein. Die südliche Talroute kann man mit der nördlichen entweder in Vall-d’Alesani oder kurz unterhalb des Col d’Arcarotta zusammenschließen. Dem Namen seine Ehre machend führt die Strecke wieder an zahllosen Skulpturen der Kastanienbäume vorbei. Wer genau hinschaut, wird merken, dass in jedem Baum ein Geist wohnt. 4. Exkurs korsische Unabhängigkeit: Die Kastanie ist übrigens auch eine „Revolutionsfrucht“. Wieder eingeführt von den Genuesen im 13. Jh. wurde sie abgelehnt und der Widerstand formierte sich gegen die Besatzer in einem Kastanienaufstand. Die Vielseitigkeit machte die Marone aber bald zum Grundnahrungsmittel in Korsika und wurde zu einem wichtigen Beitrag gegen grundlegende Armut. Auch der spätere Revolutionsführer Pasquale Paoli erkannte das Potenzial eines gesättigten Volkes und setzte auf den verstärkten Anbau und Gebrauch der Kastanie. Noch mehr Revolutionsgeschichte gibt es am Kloster von Orezza (Piedicroce) zu beachten – das Gebäude wurde von der deutschen Wehrmacht 1943 bombardiert und zerstört. Die Ruinen liegen direkt an der D 71. Ich hatte es ebenfalls schon im o.a. Bilderrätsel erwähnt: Orezza war u.a. 1935 der Ort zur Unabhängigkeitserklärung der Korsen, die aber zunächst ohne praktische Folgen blieb bis auf die Monarchie-Episode mit Theodor von Neuhoff (vgl. auch o.a. Bilderrätsel).
DER Kopf der korsischen Unabhängigkeit, die 14 Jahre von Corte aus geleitet wurde, kam aber aus Morosaglia. Dieser Ort liegt bereits jenseits des höchsten Punktes der gesamten Strecke von Cervione nach Ponte Leccia – westlich dem Col de Prato. Mit Fensterblick auf die Berge hinter Corte kann man in Morosaglia das Geburtshaus von Pasquale Paoli besichtigen. Neben dem Fensterblick samt Schreibtisch sind wichtige Dokumente ausgestellt, Büsten und Bildnisse von Paoli bzw. seinen Mitstreitern, Revolutionsrevolver und angrenzend zum Museum kann man auch einen Blick auf die Familienkrypta werfen. Informationen zu den einzelnen Positionen bekommt man in einer Mappe in schriftlicher Form leihweise ausgehändigt, einführend gibt es ein Video zu sehen.
Pasquales Vater, Giacinto Paoli, war bereits einer der führenden Köpfe der korsischen Unabhängigkeitsbewegung und Mitunterzeichner der Erklärung von Orezza. Als solcher galt er als Gegner der Genuesen, die ihn nach der Königs-Episode von Theodor I. zur Emigration zwangen. Der sodann 21-jährige Pasquale nutzte seine Zeit in Neapel zu einer umfangreichen Universitätsausbildung in Politik, Wirtschaft und Sprachen, machte Karriere in der neapolitanischen Armee. Als Paoli 1755 nach Korsika zurückkehrte, begann er einen korsischen Staat aufzubauen. Paoli hatte im Gegensatz zu vielen anderen Revolutionären erkannt, dass eine sich selbst tragende Unabhängigkeit nur über die Bekämpfung der ländlichen Armut führt – zu Lasten des Adels. Dass er dem Adel Privilegien abringen konnte ist ebenso bemerkenswert wie sein entschlossener Kampf gegen die Vendetta, ohne dass er selbst deren Opfer wurde. Er drohte jedes Haus eines Vendetta-Mörders abzubrennen, was symbolisch dem Abschneiden der Wurzeln gleich kam.
Paoli war aber noch mehr als nur ein korsischer Staatsführer. Er war ein Vorkämpfer der Ideale der französischen Revolution im Sinne von Montesquieu und führte die parlamentarische Demokratie und Gewaltenteilung mit einer unabhängigen Justiz bereits über 30 Jahre vor der französischen Revolution ein. Auch erlag er nicht später der Machtfaszination eines Napoléon und wurde zu einem seiner schärfsten Kritiker. Spätere Verhandlungen in Orezza, um die verlorene Unabhängigkeit wieder zu gewinnen, wurden aber von Napoléon abgeschmettert. Den Wiener Kongress erlebte er nicht mehr, er starb 1807 im Londoner Exil, die Überreste wurden 1889 nach Morosaglia überführt.
Zu den sozialen Errungenschaften gehörte auch die Einführung von Grundschulen und der Aufbau einer Universität; Pressefreiheit gewährte die freie Entfaltung des Wissens. Paoli setzte alles das für sein Volk um, was er selbst in seinem Werdegang erleben durfte und noch mehr – was er gelernt hatte. Die Genuesen konnte er nicht vollständig vertreiben – vor allem die nordische Bastion Calvi blieb erhalten. Allerdings waren die Genuesen geschwächt, das ehemalige Seefahrerreich verarmte. Die Genuesen verkauften Korsika an die Franzosen, die sodann ihre Macht auf der Insel durchsetzen wollten. Nach einem ersten gescheiterten Versuch fand 1769 die entscheidende Schlacht an der Pont de Ponte Novu statt. Die Episode der korsischen Unabhängigkeit war beendet. Die Brückenreste stehen im mittleren Golo-Tal, ebenfalls noch im Verlauf der heutigen Etappe gelegen. Es spricht auch für sein strategisches Geschick, dass er noch rechtzeitig fliehen konnte.
Nicht verbrieft ist, dass er das Symbol der Korsen – den Mohrenkopf mit Stirnband – in entscheidender Weise verändert. Ursprünglich trug der Mohrenkopf eine Augenbinde, von nun an saß die Binde auf der Stirn – als Zeichen der Befreiung von der Sklaverei. Vor dem Hintergrund des Gedankenguts der Aufklärung könnte man auch sagen: Mit zukunftsweisendem Blick. Das Joch der Vendetta zu brechen, gehört auch in diese Symbolwirkung. Es ist wohl sehr erstaunlich, dass trotz der Verehrung, die Paoli in Korsika genossen hat und noch genießt, die Vendetta sich bis weit in das 20. Jahrhundert halten konnte – und zwar als „Regeljustiz“. Das war ein offener Widerspruch zur Identitätsfigur Paoli. Es so auch kein Zufall, dass für einige Korsen noch heute Sampiero Corso die wichtigere Leitfigur ist.
Es ist allerdings auch kein Zufall, dass der nicht aufgelöste Widerspruch zwischen dem Unabhängigkeitsanspruch und der Paolischen Friedens- und Toleranzkultur sich bis heute in der Unabhängigkeitsbewegung der Gegenwart fortsetzt. Die FLNC (Frontu di Liberazione Naziunalista Corsu National, 1976 gegründet) verfolgt diffuse Unabhängigkeitsziele nach wie vor mit Bombenterror. Mit Stand vom 8. Dezember dieses Jahres gab es 2012 insgesamt 55 Anschläge mit 17 Toten. Allein in einer Symbolnacht vom 7. auf den 8. Dezember gingen an unterschiedlichen Orten insgesamt 24 Bomben hoch – alle richteten sich gegen unbewohnte Zweitwohnsitze. Der FLNC und alle Korsen, die mit der Scheinheiligkeit von „Unabhängigkeit“ sympathisieren, sollten wissen, dass sie die Ideale und das Werk von Pasquale Paoli verraten. Was Paoli wollte ist das moderne demokratische Frankreich. Es war gewiss ein schwerwiegender Fehler, das Dekret der regionalen Unabhängigkeit erst 1991 auf wesentliche Elemente wie die offizielle Verwendung der korsischen Sprache zuzulassen – da hat Paris über Jahrzehnte viel Porzellan zerschlagen. Nunmehr sind es aber wieder zwei Jahrzehnte, die keinen Vorwand mehr für Terror liefern – nicht einmal für eine friedliche Unabhängigkeitsforderung.
Ich gehöre gewiss zu denen, die regionale Eigenständigkeit begrüßen und gern auf meine Reisen erleben wollen – ob im Baskenland, in Katalonien, Südtirol, Korsika oder gar in Bayern. Für eine sinnstiftende Unabhängigkeit gibt es in keiner dieser Regionen eine nachhaltige Begründung. Die meisten Motive sind niedriger Natur – populistisch formulierte kurzfristige Vorteile auf Kosten der nationalen Entsolidarisierung, die auf lange Sicht keinen Bestand haben. Ein unabhängiges Katalonien oder Bayern würde kurz nach dem Tag X nur an der Tür der EU stehen und um Spendentöpfe betteln. Für Korsika gilt das noch umso mehr, steht die Insel wirtschaftlich gesehen doch recht schlecht dar. Regional autonome Regionen hingegen verschaffen sich positive Entwicklungen in Wirtschaft und Bildung – etwa über die Zweisprachigkeit und die Handelsbeziehungen. Kleinstaaterei würde diese Vorteile nur aufzehren.
Glücklicherweise sind immer mehr Korsen diesen Terror leid und wollen auch nichts mehr von Unabhängigkeit wissen. Der Hintergrund nahezu aller Attentate sind ohnehin nur niedrige Motive von Spekulation und Machtdemonstration. Es gibt in Korsika Parteien, deren Wahlplakate eindeutig die Abscheu gegenüber diesen Fehlgeleiteten artikulieren. Leider gibt es aber immer noch zu viele Korsen, die das Schweigegelübde zu hoch hängen. Das Wort Ehre wird fast überall auf der Welt politisch oder religiös missbraucht – früher wie heute und mit Pathos. Liebe Korsen, ihr habt so eine schöne Insel, macht eure Klappe auf und wehrt euch gegen eure Verräter! Denkt an Pasquale Paoli! Ihr braucht keine Touristen anzumurren – die Feinde sitzen bei euch selbst herum!Paoli konnte von seinem Heimathaus weit herüber in den Westen auf die Berge bei Corte Blicken. Überlebensgroß steht noch eine weiße Statue am Ortsausgang, die ebenso weit in die Landschaft blickt wie der Geist Paolis gewesen ist. Die Westseite nach Ponte Leccia ist völlig offenes Gelände, es empfiehlt sich also bei Hitze besser die von mir gewählte Ost-West-Richtung zu wählen. Mir kam kurz vor Morosaglia ein Reiseradlerpaar aus Lille entgegen, die ich noch zweimal auf der Reise wiedertraf. Es war ein sehr stilles Paar, ich konnte auch eigentlich nur mit ihm sprechen. Allerdings waren sie sehr gut koordiniert und sehr stark im Tritt. Für die Restroute war mal wieder die Verpflegungssituation ungünstig. So musste ich Tageszeit verschenken, weil der Aufstieg von Barchetta in die Casinca-Region nicht mehr zu einem Speiselokal gereicht hätte. Der einzige Ort dort mit Restaurant ist Ortiporio – oder bereits weit unten im nächsten Tal La Porta. Auch in dem Durchgangsort Barchetta mit einer Fabrik gibt es nur zwei Bars ohne richtiges Essen. So bin ich zu einem einzeln stehenden Hotel an der N 193 zurückgefahren, wo ich auf Nachfrage im Hotelgelände mein Zelt aufschlagen durfte (ansonsten schwierig in diesem Talbereich, Camping allerdings vorher bei Ponte Novu vorhanden). Di 17.7. Accendi Pipa - Barchetta - Campile - Ortiporio - Col de St-Antoine (687m) - La Porta - Source de Caldane - Folelli - Cruciata - Venzolasca - Vescovato - Venzolasca - Col de St-Agostino (685m) - Loreto-di-Casinca - Bocca di Carcherone (623m) - Olmo86 km | 12,3 km/h | 6:57 h | 1330 Hm W: sonnig, ~ 25 °C E: Blinis m. Käse, Hähnchen m. Spinat-/Eierku., Rw, Kastanienku., Cafe 25,- (+) Ü: C wild 0 € Zum Col de St-Antoine führen zwei Straßen von Barchetta aus. Die direktere Line D 15 führt entlang eines kleineren Flusses, der auch Gumpen bildet. Das konnte ich von unten aus erkennen. Weniger schattig, dafür aber mit mehr Aussicht und charmanten Dörfer an der Strecke ist hingegen die D 515. Nach Campile, dem ersten Ort nach der recht steilen Auffahrt, gibt es auch eine Querverbindung vom Bocca a Serna unterhalb von Morosaglia, die halbhoch über Bisinchi führt. Auf diesem Wege würde man allerdings die Pont de Ponte Novu verpassen. Am St-Antoine-Pass steht ein zwar gut erhaltenes, aber wohl geschlossenes Kloster. La Porta ist eine kleine Perle, die einer Talnische liegt. Laut dem Radlerreisepaar gibt es dort auch einen Camping, den ich aber nicht sehen konnte. Kleine Unterkünfte und Restaurants sind aber in jedem Fall vorhanden. An der Strecke entlang des Fium Alto liegen zwei gut zugängliche Mineralquellen – sprudelnde Erfischung. Bekannt für sein Mineralwasser ist Orezza – wenig unterhalb der vortags erwähnten Klosterruine. Im unteren Bereich de Fium Alto an der Straßenbrücke gibt es eine schöne Badestelle, ebenfalls mit eine paar Ruinen – wohl einer alten Brücke. Für ein kurzes Stück muss ich über die stark befahrene N 198 fahren. Ich zweige auf die D 37 ab – eine Straße zu früh wie geplant, sodass ich in Venzolasca noch eine stichförmigen Abstecher nach Vescovato mache, welches ebenfalls wegen seiner Schönheit gerühmt wird. Die Schönheit ist hier aber allen Dörfer gemein. Von allen kann man weit aufs Meer schauen, sie liegen auf Hügeln und krönen diesen in typische korsischer Weise. Die Strecke zum Col de St-Agostine stellt einen weiten Bogen dar, der nach der Meerblickpassage oberhalb des Alto-Tals verläuft. Fortan ist die Strecke etwas weniger spannend, ab Passhöhe geht es zunächst noch weiter hoch, bis man nach Loreto-di-Casinca herunterfährt. Loreto ist wieder ein solch hübsches Aussichtsdorf – an diesem Abend auch sehr belebt wegen eines Festes. Auf dem Weg nach Olmo liegt nochmal eine kleine Passhöhe, sodann liegt einem das Meer in der Ferne zu Füßen. Das weitgehend wohl nur von Korsen besuchte Restaurant in Olmo ist zu empfehlen – leider gibt es dort keine Unterkunftsmöglichkeiten. Mein Übernachtungsplatz bleibt wiederum geheim. Bildergalerie zu Kapitel 9 (155 Fotos): Fortsetzung folgt
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#890232 - 13.12.12 11:33
Re: Korsika 2012
[Re: veloträumer]
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Diesmal gibt es etwas schwerere Bildungs-Kost...
...das moderne demokratische Frankreich (...) zwei Jahrzehnte, die keinen Vorwand mehr (...) für eine friedliche Unabhängigkeitsforderung (liefern).
(...) ob im Baskenland, in Katalonien, Südtirol, Korsika (...). Für eine sinnstiftende Unabhängigkeit gibt es in keiner dieser Regionen eine nachhaltige Begründung. Die meisten Motive sind niedriger Natur – populistisch formulierte kurzfristige Vorteile auf Kosten der nationalen Entsolidarisierung, die auf lange Sicht keinen Bestand haben.
Sehr schön auf den Punkt gebracht! Dieser Drang nach Selbstbestimmung ist generell eine lästige Sache. Wenn die Kolonial- oder Okkupationsmacht nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten aufgehört hat, sich imperialistisch oder faschistisch zu gebärden und inzwischen mehr oder weniger demokratisch und modern ist, dann gibt es für die kleinen Völker und Volksgruppen überhaupt gar keinen Grund mehr, sich der nationalen Solidarität zu entziehen und die nun wohlwollende fremde Obrigkeit abschütteln. Sein Schicksal als Volk politisch selbst bestimmen zu wollen, wenn das wirtschaftlich gar keine Vorteile hat, ist einfach populistisch und ganz offenbar von niederen Motiven geleitet. Maximal irgendein Autonomiestatus als Kompensation für historisch erlittenes Unrecht - dann muß es aber auch mal gut sein! Den Korsen mangelt es da zum Teil noch sehr an Einsicht. Die von Dir noch erwähnten Südtiroler, Katalanen und Basken zeigen ebenfalls einen erschreckenden Mangel an Bereitschaft, brav-solidarische Untertanen im fremden Nationalstaat zu sein. Ich sehe das genau wie Du: Am Ende stehen die alle vor den Brüsseler Geldtöpfen und wollen was. Und wer darf die Töpfe dann wieder füllen? Eben. Und das alles im Namen von Freiheit, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit - wo die doch, wie Du so richtig schreibst, hier gar nicht "sinnstiftend" sind! Deine Radtour und die Bilder sind auch sehr schön.
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#890250 - 13.12.12 12:06
Re: Korsika 2012
[Re: veloträumer]
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War das dieses Jahr? - Scheint wieder ziemlich schlimm zu sein. Ich wollte später (Kap. 9) noch was dazu schreiben. Dieses Jahr sind es schon 27 Todesopfer gewesen. Allerdings hatte ich keinerlei derartige Spuren auf meiner Reise gesehen - i.d.R. sind die Attentäter in der Haupttouristensaison etwas "zurückhaltender". Jetzt nach der Lektüre von Kapitel 9 muss ich doch nochmal darauf zurückkommen: Der Hintergrund dieser SChießerei auf dem Marktplatz von Sartène waren nicht die Unabhängigkeitskämpfer, das war laut Zeitungsberichten schlicht (halb-)mafiöse Kleinkriminalität. Von den Unabhängigkeitsscharmützeln habe ich damals, im Spätsommer 2010, auch nichts gesehen. Mal abgesehen von übermalten zweisprachigen Straßenschildern. Viele Grüße, Holger
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#890266 - 13.12.12 12:47
Re: Korsika 2012
[Re: Holger]
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Soweit ich einige Beiträge im Corse Matin und in EU-Sendungen im Fernsehen verstanden habe, sind die politischen Inhalte mittelweile nahezu vollständig verschwunden, die mafiösen Strukturen sind aber einerseits historisch bedingt (Vendetta), andererseits auch in der FNLC verankert - d.h. die FLNC (bzw.ehemalige FLNCler) bombardiert noch (kriminelle Infrastruktur), hat sich aber immer mehr von politischen Forderungen entfernt. Das erklärt auch den zunehmenden Verdruss sogar bei vielen "konservativen" Korsen, die sich von der "reinen" Kriminalitität nun sogar öffentlich abwenden wollen.
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#890704 - 14.12.12 20:21
Re: Korsika 2012
[Re: veloträumer]
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KAPITEL 10 Lebenspuls in alten Gemäuern, Wachtürme und Sonnenuntergänge für Romantiker: Der große korsische Daumen Cap Corse mit Stadtvisite BastiaMi 18.7. Olmo - Casamozza - Bastia - Barcaggio - Ville-di-Pietrabugno - San-Martino-di-Lota - Miomo - Erbalunga - Marine de Luri - Macinaggio - Rogliano - Col St-Nicolas (303m) - Ersa - Col de Cataro (192m) - Barcaggio104 km | 15,0 km/h | 6:55 h | 895 Hm W: sonnig, < 30 °C E: Steak m. Ratatouille, Spaghetti, Roséw., Schokotorte, Cafe 24,20 Ü: C wild 0 € Die Einfahrt nach Bastia erfordert zu den meisten Tageszeiten harte Nerven für Radfahrer. Mittlerweile werden aber in einigen Bereichen neben der N 193 Rad- und Gehwege gebaut, einige Abschnitte sind schon fertig. Die Bemühung, die Einfahrt nach Bastia schön zu gestalten will ich aber würdigen. Oleander-geflutet und mit neuen Straßenlaternen geht es Richtung altes Stadtgemäuer. Zuvor zeigen sich aber noch einige der Dörfer auf den Anhöhen im Westen in der Morgensonne in voller Schönheit – Lucciana, Borgo, Biguglia oder Furiani. Zu allen historischen Dörfern gibt es moderne Ortsteile in der Ebene an der Nationalstraße – dabei handelt es sich aber mehr oder weniger schon um ein Städteband mit Gewerbe, Industrie und teils auch noch touristischen Angeboten (Casamozza, Crocetta). Mehr Tourismus gibt es aber jenseits de Etang de Biguglia, auf den man hier aber keinen Blick hat. Exkurs korsische Fußballgeschichte: Unterhalb von Furiani liegt das Stadion des Fußballclubs von Bastia (Stade Furiani). Das wäre hier vielleicht nicht unbedingt einer Erwähnung wert, aber es ist auch ein Ort des Grauens gewesen. Im Jahre 1992 sollte dort der Zweitdivisionär Bastia gegen die französische Topmannschaft Olympique Marseille im Pokal antreten. Diese Begegnung hatte eine hohe Brisanz, weil Marseille die größte „korsische“ Stadt ist, denn dort leben 100000 Korsen – Ajaccio kommt auf ca. 64000 Einwohner, Bastia hat gar noch 20000 weniger. Um dem Publikumsandrang zu genügen, sollte kurzfristig eine Ersatztribüne aufgebaut werde. Dabei wurde die alte Tribüne zunächst ungeplant eingerissen, die neue unter extremen Zeitdruck unter Verzicht aller nötigen Sicherheitsprüfungen aufgestellt. Wenige Minuten vor Spielbeginn brach die Tribüne ein, 18 Menschen verloren ihr Leben, 2350 wurden verletzt.
Als wäre das noch nicht Drama genug, setzte sich die Geschichte auf korsische Weise fort. Zunächst verzichtete Bastia auf eine erneute Auflage des Spiels. Marseille wurde zum Sieger erklärt und sollte wenige Tage später zum Finale antreten. Marseille verzichtete im Schock und Gedenken. Es wurde entsprechend in dem Jahr kein Pokal ausgespielt. Der Klubpräsident von Bastia wurde dann kurz vor Prozessbeginn ermordet, die vermutlichen Mörder – nicht bewiesen, aber wahrscheinlich aus den Reihen der FLNC – kamen ebenfalls später im Kugelhagel um (Vendetta). Der Schock saß wohl tief, denn das Gedenken wurde nachhaltig: Am 5. Mai dieses Jahres (sic!) führte der Fußballverband den „Tag der Besinnung“ ein – in ganz Frankreich finden sodann keine Fußballspiele statt – weder bei Profis noch bei Amateuren.Ohne Verkehr wäre die Annäherung an Bastia eine der schönsten Stadtanfahrten. Die alten grauen, stark verwitterten Fronten mit den voll gestopften Balkonen als dritte Wohnstube, der morbide Charme dieser einest für lange Zeit geltenden Hauptstadt Korsikas, vermittelt Leben und Urbanität. Das heißt, man muss sich sehr dünn machen, etwas breite Brust zeigen und die Ohren abdichten, um die schönen Perspektiven von Süden kommend festzuhalten. Immerhin fließt der Hauptverkehr (Transit, auch für Fährhafen) durch einen Tunnel, der für Radfahrer nicht zugelassen ist. 1999 hatte ich aber die städtische Ausfahrt nicht gefunden und bin durch den Tunnel durch. (Ich war in einem Hotel Nähe Hafen und fand dort keine Ausschilderung außer der zum Tunnel vor.) Eine Ruheoase bildet die Umgebung der Zitadelle – Parkanlagen sowohl zum Meer als auch zur Stadt hin. In den engen Gassen um die Zitadelle (Bastionsstadt) finden sich weniger Geschäfte – hier ist abends mehr Leben zu finden. Einladend sind die Gastbetriebe auch Richtung altem Hafen – mit weitem Meerblick. Zum alten Hafen muss man recht steil hinunter – hier gibt es schon mehr Geschäfte, der Schwerpunkt liegt aber auch in den Kneipen und Restaurants. Im Idealfall gehört in eine Korsika-Reise natürlich ein Abend mit blauer Stunde im Hafenviertel – leider konnte ich das diesmal nicht einrichten. Die richtigen Einkaufsmeilen liegen oberhalb an großräumigen Boulevards, teils Fußgängerzone. Weil ich im Reiseführer gelesen hatte, das Konzertkarten zum Festival in Patrimonio auch mal knapp werden, wollte ich vorbeugen und suchte einen CD-Shop (Bild in der Galerie) mit Ticketverkauf auf. Der Händler war natürlich an meiner Herkunft interessiert. Wer kommt schon mit einem Drahtesel und fetten Reisetaschen vorbei um sich eine Karte für Jazzkonzerte zu kaufen? Nahebei fand ich einen außergewöhnlichen Brotladen – ein sehr locker gebackenes Maisbrot, Feigenbrot, Olivenbrot usw. Um der mir bekannten Villenroute im Norden Bastias eine Alternative hinzuzufügen, fahre ich die Siedlungsgebiete an den aufsteigenden Hängen ab. Insbesondere der erste Anstieg nach Ville-di-Pietrabugno ist recht steil. Eine Teilstrecke war im Bau, Fahrrad ging aber. Diese schweißtreibende Route lohnt wegen der großartigen Ausblicke. Über Bastia hinweg überblickt man die gesamte Lagune von Biguglia nach Süden, nach Osten die Umrisse der Insel Elba im Blick und endloses Blau von Meer und Himmel und Meer und mehr. In Miomo zurück an der Küste hofft man, dass der Verkehr nach Norden immer mehr abnimmt – der Wunsch wird erfüllt, insbesondere jenseits von Erbalunga. Exkurs Torregiana: Am Cap Corse treten die Wachtürme deutlicher hervor als sonst auf der Insel, auch weil es dort die meisten gut erhaltenen gibt. I.d.R. stammen die runden Türme aus der Genueser Zeit (häufiger weil länger während und jünger, ca. 500 Jahre Herrschaft), die eckigen aus der Pisaner Zeit (11.-13. Jh.). Von ursprünglich über 200 Türmen sind etwa 80 übrig geblieben. Einige dieser Wachttürme sind sogar bewohnt bzw. als Gîte für Feriengäste hergerichtet, andere recht zerfallen. In Pino ist ein Turm nach dem römischen Philosophen Seneca benannt, der für eine Zeit nach Korsika verbannt wurde, weil er eine Nichte von Kaiser Claudius verführt haben soll. Wahrscheinlicher ist aber, dass er u.a. in Aléria weilte.
Die Türme wurden jeweils in Sichtweite zum nächsten gebaut und Informationen per Licht- oder Rauchzeichen von Turm zu Turm weitergeleitet. Die Übertragung einer Information zu jedem Punkt auf der Insel dauerte so nur knapp eine Stunde. Bedenkt man, dass der durchschnittliche Büroangestellte heute gut und gerne eine Stunde braucht, bis er sich morgens durch die E-Mails gekämpft hat, dann stellt sich die Frage, ob das digitale Zeitalter wirklich einen Fortschritt beschreibt. Für eine Radreiseforum allerdings wohl keine Alternative: Man stelle sich das Radreiseforum als eine Ansammlung von Rundtürmen vor, wo sich die lokalen Wortführer blinkend und rauchend zu Wort melden. Vermutlich würde dieser Reisebericht undurchdringliche Rauchschwaden erzeugen, sodass das unbeteiligte Volk an kollektivem Lungenkrebs zugrunde gehen würde. Dieses Torregiana genannte Informationssystem ist in dieser großen Ausdehnung einzigartig (gewesen).Alle Orte bzw. Flussmündungen bieten Strände – kleine Hafenstrände mit Kies, aber auch weitläufige Sandbuchten. Manche liegen etwas versteckt, wie etwa der kleine Kiesstrand am Tour de Castellare – aber auch hier sieht man anhand der oben stehenden Autos, dass dort eine Bademöglichkeit besteht. Die Strecke geht immer auf und ab, viele Küstenbereiche sind dann auch steile Felsküste – allerdings flacher und weniger exponiert als an der Westküste. Noch Norden werden die Höhnunterschiede geringer. Am letzten Ort der Ostküstenstraße, Macinaggio, zweigt die Straße zu einer recht moderaten Auffahrt durch ein weit geschnittenes Tal ab. Macinaggio hat sich nicht zuletzt wegen seiner Lage zu einen umtriebigen Touristenort mit Privatboothafen entwickelt, es gibt aber keine interessante Architektur. Wer noch weiter ums Kap herum will, muss nach einer Stichstraße irgendwann auf Wanderstiefel umsatteln. Wie ich von einer anderen Korsikareisenden aus einem Diavortrag erfahren habe, ist die Küstenwanderung von Macinaggio nach Barcaggio äußerst reizvoll – ggf. auch für hart gesottene Mountainbiker machbar. Insbesondere der halb verfallene Genueser Turm Santa Maria soll noch eine Augenweide sein – wie auf Postkarten in Macinaggio zu bewundern. Augenweide ist auch ein Thema, wenn man bereit ist, die D80 für einen kleinen Umweg zu verlassen. Die Verbundgemeinde Rogliano mit dem Dorf Bettolace liegt in fotogener Positur an einem Hügel. Hier stehen nicht nur mehrere Wachtürme im Ort, auch sind die Ausblicke auf die Küste ergiebiger als die von der D 80, auf die die D 53 später wieder einmündet. Sofern die Ausblicke verwehrt sind, ist die fortführende Strecke bis Ersa weniger attraktiv. Von hier sticht die Straße über einen kleinen Zwischenpass durch Macchia-dichte Vegetation nach Barcaggio herunter. Barcaggio ist ein kleines Fischerdorf, touristisch eher mager ausgestattet, aber noch besser als das westlicher gelegene Tollare. Campingplätze gibt es hier nicht, Wildcampen wegen Schutzgebiet zumindest im Osten streng verboten. Auf den Strandwiesen Richtung Tollare geht es aber schon mal zur Not, in Tollare gibt es einen Parkplatz, wo Wohnmobile auch über Nacht parken. Am Rand lassen sich auch Zelte aufschlagen – eine Wasserstelle ist vorhanden, aber keine Sanitäranlagen. Das kleine Restaurant direkt am Hafen in Barcaggio ist ein kleiner Familienbetrieb, provisorisch die Ausstattung, die Toilette gegenüber im Privathaus. Trotz dieses speziellen Charmes: Das Essen war nicht berühmt. Eine Alternative ist vorhanden, dort gibt es auch Hotelzimmer. Für den Sonnenuntergang darf man nicht am Hafen bleiben, sondern westlich aus dem Ort raus fahren. Da die Sonne im Westen untergeht, liegt der rote Glutball auch nicht in der Flucht des Leuchtturms Giraglia – das ist auch so im Reiseführer nicht ganz richtig dargestellt. Do 19.7. Barcaggio - Tollare - Ersa - Col de la Serra (365m) - Centuri-Post - Morsiglia - Pino - Marine de Giottani - Nonza - Farinole/Patrimonio (Catarella) - Col de San Bernardino (76m) - Patrimonio - Farinole/Patrimonio (Catarella)78 km | 12,8 km/h | 6:05 h | 1025 Hm W: sonnig, ~ 30 °C B: Nuits de la Guitare 33,50 € E (U Scontou): Entenbrust, Polenta, Gem., Kart.var., Rw 22,50 € (+) Ü: C à la ferme Catarella (Weingut) 10,50 € (+) Nachdem ich den Fuchs-Überfall der Nacht doch recht unbeschadet überstanden hatte, währte die Freude über den Morgen umso mehr. Diese Atmosphäre des glitzernden Meeres im Morgenlicht, diese Stille in diesem kleinen Fischerdorf Tollare, wo jeder Winkel einen neuen traumhaften Blick eröffnet – da stockt auch dem erfahrenen Reiseradler der Atem. „Du musst einfach doaah sein!“ kann man da nur dem Leser ins Ohr flüstern. Es ist wieder einer jener großen Radreisemomente – die besondere Atmosphäre eines Ortes, erkämpft in mehreren Wochen. Auch wenn es bisher fast nur schönste Landschaftserlebnisse gab – es gibt immer noch einen Moment, der besonders heraus sticht. Es ist der Morgen in Tollare. Ich hätte Lust mein Rad stehen zu lassen, die Welt zu vergessen, eines dieser bescheidenen Häuser zu beziehen und ein Buch zu schreiben – oder aber vielleicht nur zu träumen. Doch ruft bald wieder der nächste Berg, der Anstieg nach Ersa für den Morgen ohne rechtes Frühstück einigermaßen anspruchsvoll. Oben erwarten einen Windmühlen – moderne mit Flügel und eine alte ohne Flügel?! – Die Moulin Mattei, renoviertes Symbol für das Cap Corse am Col de la Serra und zur Förderung der Region für den Verkauf von Produkten an Touristen hergerichtet, steht ohne Flügel im Wind (möglicherweise eine Renovierungsmaßnahme). Na, da hatte ich nun auch keine Lust mehr hinaufzulaufen (erst ab 10 Uhr geöffnet, ein recht steiler Schotterweg führt nach oben, nicht normal Tourenrad-tauglich, mit MTB aber schon. Hier beginnt auch die Westküste – überwiegend Steilküste mit nur kleinen Flachzonen an einigen Flussmündungen. Die Orte liegen dementsprechend meistens nicht am Meer, sondern oberhalb am Hang, wo auch die Straße verläuft. An den kleinen Flussmündungen führt die Straße i.d.R. nach unten, dort sind dann oft Strände, zuweilen mit ein paar touristischen Einrichtungen. Im Winter sind die meisten Orte nicht bewohnt, das gilt sogar für einen Ort wie Nonza. Wachdienste patrouillieren in dieser Zeit, um denkbaren Plünderungen vorzubeugen. Zwar ist für landwirtschaftlichen Anbau nicht viel Platz, umso erstaunlicher, dass es kleine bis kleinste Parzellen mit Weinreben gibt. Bereits fast unter dem Col de la Serra liegt am Hang Centuri bzw. Centuri-Port abseits der D 80 direkt am Meer mit einem kleinen Hafen. Damit bildet Centuri-Port eine Ausnahme an der Westküste des Cap Corse. Die Lage des Ortes ist prädestiniert für ein hübsches Fischerdorf – vielleicht der schönste unter allen voll intakten Touristenorten am ganzen Cap Corse. Auf den kleinen Raum verteilen sich mehrere Restaurants und Hotels – der begrenzte Raum setzt jedoch Grenzen, sodass ein Teil der Touristen nur tagsüber kommt. Bei meinem Frühstück am Vormittag war es dort noch sehr entspannt ruhig. Gourmets werden schon wegen des vielen Meeresgetiers (Langusten) mittags oder abends kommen wollen – der Sonnenuntergang muss hier traumhaft sein. Ich hätte auch lieber diesen Ort als Übernachtungsstopp auf der Kap-Runde gewählt – das ließ sich aber nicht einrichten, da dazu die Entfernung von Olmo zu weit war. (Natürlich ist das rein radlerisch machbar, aber nicht mit Beachtung der Sehenswürdigkeiten und Muße, die es braucht, um Korsika erleben zu können). Der Camping liegt an der südlichen Ausfahrt nach Morsiglia, bereits deutlich außerhalb des Ortes, aber mit Strandzugang. Für den Exkurs muss man einige Zeit mehr ansetzen als die Karte erwarten lässt – nicht nur wegen der Genussmomente, denn die D 35 ist in sehr schlechtem Zustand – da dürfte sich auch nicht viel dran ändern. Pino ist ein nochmal ein guter Verpflegungspunkt, es gibt eine Reihe schattiger Plätze fürs Picknick, ein teils verfallenes Kloster, ein Mausoleum. Der Seneca-Turm liegt weit außerhalb am Col de Santa Lucia, über den eine landschaftlich ansprechende Verbindung zur Ostküste des Cap Corse führt, die ich auf meiner 1999er-Tour gefahren bin. Die nächsten Strandbuchten sind nur über kleinere Stichstraßen zu erreichen – Giottani (Hafen, Picknickplatz, Restaurant, Gîtes, kindergerechter und gepflegter Meerzugang auch ohne Sand möglich), Pieve oder Canelle (wohl der geringste Betrieb). Die Buchten bei Albo und später bei Farinole sind hingegen recht kurz und einfach von der Straße aus zu erreichen. Nördlich von Nonza erstreckt sich der größte Strand auf der Westküste des Kaps – der Sand ist hier abweichend sehr schwarz. Von Norden kommend gibt es eine geschlängelte Straßenzufahrt, von Nonza aus muss man viele Treppen hinunter laufen. Nonza ist dank seiner exponierten Hügellage mit dem krönenden Genueser Turm schon von weit her sichtbar. Auch hier würde ein Stopp für den Sonnenuntergang mehr als lohnen. Das Cap Corse hat soviel einladende Plätze und Orte, dass man noch mehr als sonst in Korsika nur kleine Etappen fahren darf und der Zeit eine Chance geben sollte. Auch die Straßenbeschaffenheit dehnte den heutigen Tag sehr in die Länge, sämtliche „Badepausenpolster“ wurden von der Streckenbewältigung aufgefressen, insbesondere weil ich etwas früher als üblich Patrimonio erreichen musste um das Festival zu erleben. Unmittelbar nachdem das Meer hinter Farinole nicht mehr sichtbar ist, stößt man auf die ersten AOC-Weingüter von Patrimonio. Bis zum Ort sind es aber noch wenige Kilometer weiter mit einem kleinen, harmlosen Pass dazwischen. Zuvor aber stoße ich auf das Weingut Catarelli, das auch Camping à la ferme anbietet. In der einladenden, aber modernen Verkostungshalle erhalte ich erstmal ein paar Wein- und Likörproben. Der Camping ist von der Straße her nicht direkt zu sehen, weil unterhalb und hinter dem Weingutgebäude. Es gibt einen direkten und exklusiven Zugang zum Meer. Das Radlertandempaar aus Lille ist auch (wieder) da. Zum Essen fahre ich nach Patrimonio, gleich am Ortseingang, sehr gute Küche – allerdings war die Ente mal wieder wie in Frankreich häufiger zu roh, was Darmbeschwerden und einen schlechten Schlaf zur Folge hatte. Zum Festival war ich dann gerade rechtzeitig. Darüber berichte ich aber im nächsten Kaptitel, um die Bildermengen besser zu verteilen und weil Patrimonio bereits zum Nebbio gehört, wenngleich der Camping auf der Grenze oder gar noch zum Cap Corse gehört. Bildergalerie zu Kapitel 10 (142 Fotos): Fortsetzung folgt
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Geändert von veloträumer (12.02.19 19:08) |
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#891532 - 17.12.12 20:29
Re: Korsika 2012
[Re: veloträumer]
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KAPITEL 11 Gitarrennächte, Qualitätsweine und eine einsame Kirchenschönheit: Das Nebbio und die Region Bastia Exkurs Nuits de la Guitare Patrimonio: Abends bin ich also nach Patrimonio, um einen Konzertabend im Rahmen des Festivals „Nuits de la Guitare“ zu besuchen, das bereits zum 23. Mal stattfindet. Die Kulisse liegt in einem Parkgelände, von der aus man die angestrahlte, exponiert liegende und für Patrimonio gesichtsgebende Kirche San Martinu sehen kann. Der Torbogen des Parks im Hintergrund der Bühne wird von zwei gut erhaltenen Menhiren eingerahmt, die in der Nähe im 20. Jh. gefunden wurden. Die Musiker spielen also im Rahmen einer 3000-jährigen Geschichte. Schon an der Seitenstraße zum Festival liegen ein paar Kneipen, die wohl nicht nur zur Festivalzeit kultige Nacht-Treffpunkte sind. Autofahrer werden vor dem Ortszentrum auf bereitgestellte Wiesenflächen von zahlreichen Ordnungskräften zum Parken verwiesen.
Um Karten hätte ich keine Sorgen haben müssen, an der Abendkasse gab es noch genügend. Allein schon durch die Anlage des Parks besteht über die Sitzplätze hinaus noch eine Menge Platz um ggf. stehend den Konzerten zu lauschen. Die Gitarrennächte erfreuen sich sehr hoher Popularität, im Gegensatz zum Calvi Jazz Festival konnte ich in ganz Korsika Werbeplakate für das Patrimonio-Festival finden. Offenbar steht auch ein großer Pool privater Sponsoren bereit, man baut nicht allein auf staatliche Unterstützung. Auf vielen Websites der Weingüter in und um Patrimonio fehlt der Hinweis auf das Festival nicht, ist Teil der Regio-Werbung überall. Wie ich einem Gespräch entnehmen konnte, sind viele Besucher treue Stammgäste, die jedes Jahr wiederkommen. „Einmal Patrimonio, immer Patrimonio!“ lautete das überschwängliche Lob eines amerikanischen Konzertbesuchers.
Das Ambiente mit Verkaufständen für Devotionalien, kleine Snacks und Getränke ist stimmungsvoll gehalten – u.a. mit den für Patrimonio charakteristischen Weinfässern, die an allen Ecken in und um Patrimonio auf das wichtigste Produkt der Region hinweißen. Glücklicherweise war ich nicht am Folgeabend dort, denn ich wurde darauf hingewiesen, dass dann strenges Fotografierverbot gelte und ich keine Kamera mit hinein nehmen könne. So war es aber gut möglich, auch um die Bestuhlung herumzulaufen und auch von unterschiedlichsten Positionen vor der Bühne Fotos zu machen. Dokumentation und Genuss kämpfen da immer ein wenig miteinander in der eigenen Brust.
Ich konnte im Internet sogar passende Live-Videos von den einzelnen Konzerten auftreiben. Je ein Bespiel zu den Hauptakteuren werde ich daher hier verlinken – wer will kann also authentische akustische Eindrücke sammeln, die Klangqualität ist aber nicht immer die beste. Der Abend war so aufgebaut, dass mit Ausnahme des ersten Acts alle folgenden Gruppen ineinander griffen. D.h. es spielten immer Musiker gemeinsam mit der vorhergehenden Gruppe mit, bevor das Personal dann in einer neuen Formation die vorhergehenden Musiker ganz ersetzt hatten.
Den Auftakt macht der aus Kamerun stammende Blick Bassy in einer kurzen Soloperformance, ein Singer/Songwriter-Typus, der über Lokua Kanza und Richard Bona bekannt wurde. Mit seiner hellen Stimme singt er sehr eindringliche Lieder mit feinen Melodien und Klängen aus seiner Heimat verbunden, sich selbst an der akustischen Gitarre begleitend. Kein echter Jazz – aber wie häufig aus Kamerun – ein moderner, kreativer Umgang mit afrikanischen Wurzeln. Musikbeispiel 1: Blick Bassy in Patrimonio
Der nach meiner Erwartung Topact des Abends folgt mit Biréli Lagrène, der in einer Quartettformation antritt. Lagrène ist ein Sinto, gebürtig im Elsass, und verbindet den Sinti-Swing eines Django Reinhardt mit modernem Mainstream-Jazz. So können auch mal Rockadaptionen von Bob Marley bis Jimi Hendrix in seine Musik einfließen, Klassik oder Latin Music – Berührungsängste kennt er nicht. Stochelo Rosenberg, Gil Evans oder John McLaughlin sind nur ein paar unter vielen Weggefährten gewesen. Je nach Besetzung und verwendeter Gitarre kann ein Abend mit Lagrène sehr unterschiedlich ausfallen. Hier spielt er groovig, Elektrojazz-orientiert, mit E-Gitarre und Hammondorgel in seiner Gruppe. Seine Improvisationen sind wieselflink, scheinbare Routine bricht Lagrène nahezu spielerisch leicht mit Licks jenseits des Erwarteten. Das Zusammenspiel der Gruppe ist traumwandlerisch, besondere Akzente setzt in meinen Ohren der Elsässer Saxophonist Franck Wolf (Ensemble straSax). Musikbeispiel 2: Biréli Lagrène in Patrimonio
Der Höhepunkt des Abends ist sicherlich die Jam Session mit Biréli Lagrène und Sylvain Luc zusammen auf der Bühne. Beide verstehen sich kongenial miteinander haben auch schon im Duett mindestens eine CD eingespielt. Sylvain Luc bestimmt die Bühnenshow mit seinen rollenden Augen und einer schalkhaften Mimik. Improvisation at its best! Nach dem Umbau kehrt Luc im eigenen Trio wieder, spielt sodann weniger für die Show, wirkt konzentriert und introvertiert. Sein Spiel ist auch mal deutlich gegen den Strich gebürstet, die Linien intelligent in weiten Bögen gedacht, bevor sie auf das Grundmotiv zurückgeführt werden. Ausgebildet ist er klassisch an Geige, Cello und Gitarre. Luc stammt konträr zu Lagrène aus der anderen Ecke Frankreichs, aus dem Baskenland, und hat in seiner Karriere unterschiedlichste Musiker begleitet – vom Chansonnier Georges Moustaki über den Musette-Neudeuter Richard Galliano, den Jazz-Violinen-Innovator Didier Lockwood bis zum Avantgarde-Saxophonisten Michel Portal. Ein gewisser Eklektizismus ist entsprechend in seinem Spiel nicht zu leugnen – so gespielt aber homogene, um nicht zu sagen höchste Kunst. Musikbeispiel 3: Sylvain Luc in Patrimonio
Für den letzten Auftritt der Nacht bleiben der Schlagzeuger André Ceccarelli und der Pianist Julian Mazzariello auf der Bühne. Sie spielen in einer erweiterten Variante der Formation Troc, einer Jazzrock-Formation um den charismatischen schottischen Soulsänger Alex Ligertwood. Ligertwood hat Troc jüngst neu belebt, die Band spielte bereits Anfang der 1970er Jahre (als Trio mit Ceccarelli und Yannick Top). Er ist schon ein Urgestein, wichtige Stationen in seiner Karriere waren u.a. Arbeiten mit Brian Auger, Santana, Spyro Gyra und Ben E. King. Ungeachtet der großen Begeisterung des Publikums und seinen zweifellos ansteckenden Entertainment-Qualitäten sind meine Eindrücke etwas gedämpft. Die Stimme scheint mir ausgelaugt, nicht auf dem Höhepunkt ihrer Möglichkeiten, auch die Musikausrichtung nicht ganz auf meiner Wellenlänge. So fällt es mir leichter, gegen ein Uhr die Konzertnacht vor Ende zu verlassen. Radler sind eben Kulturbanausen – immer ist Essen und Schlafen wichtiger. Musikbeispiel 4: Troc in Patrimonio
Fr 20.7. Farinole/Patrimonio (Catarella) - Col de San Bernardino (76m) - Patrimonio - Col de Teghime (536m) - Oletta - Col de San Stefano (368m) - "Col du Bisou" - Ortale - Biguglia - Defilé de Lancone - Col de San Stefano (368m) - Murato (+/D5)62 km | 10,6 km/h | 5:51 h | 1315 Hm W: sonnig, < 30 °C E (La Terrasse): Entrecôte, PF, Käseku., Rw, Cafe 24 € Ü: C wild 0 € Es bedarf einer Erklärung, dass der Tag nicht so schwungvoll beginnen konnte und ich nochmal Routenänderungen vornehmen und eine recht kurze Tagesdistanz akzeptieren musste. Ich dürfte mir einige Salmonellen von der zu rohen Ente am Vorabend einverleibt haben, die mich sodann kaum zum Schlaf kommen ließen und entsprechend schwer der Kopf am Morgen hing. Die Einsicht sagt mir, nur ruhig – ich bin Korsika und den Tag gemütlich beginnen. Das Tandempaar aus Lille hingegen hat es eilig – sie spurten gleich mit hohem Tempo mir davon. Zunächst also lieber ein entspanntes Frühstück in einem Café, ein paar Motivfotos von diesem charmanten Ort und seiner Weinkultur – ein gutes Stichwort den letzten Sach-Ausflug hier. Exkurs Weingüter Patrimonio: Die Weine aus Patrimonio gelten als die besten Korsikas. Fast immer werden Rot- und Roseweine sowie Muscat von allen Weingütern angeboten. Die hier verkauften Muscat-Weine kommen fast meist nicht aus dem Nebbio sondern von Rebhängen am Cap Corse. Leider sind Patrimonio-Weine regulär nicht im internationalen Weinhandel erhältlich. Eine komplette Übersicht korsischer Weine wie auch aller Weingüter von Patrimonio/Cap Corse gibt die Seite Vins de Corse – auch auf Deutsch.
Neben dem Weingut Catarelli (keine Website) mit dem Camping möchte ich noch zwei weitere Weingüter vorstellen. Mehr oder weniger am oberen Ortsausgang von Patrimonio (Richtung Bastia) findet sich direkt an der Straße die Domaine Lazzarini (eine weitere Verkaufsstelle gibt es in St-Florent). Von dem Innenraum hat man einen wunderbaren Balkonblick über Patrimonio hinweg mit den Weinbergen und einer Kette mehrerer markanter Kuppenberge, zwischen denen die Bucht von St-Florent erkennbar ist. Diesen Blick hat man allerdings mehrfach noch lange auf dem Weg zum Col de Teghime und weit darüber hinaus auf der Halbhöhenstraße Richtung Oletta.
Gino Lazzarini kam 1928 aus der Toskana nach Patrimonio, um dort das Weingut aufzubauen. Die Website ist sehr schön gemacht mit der Familiengeschichte, den Traubensorten, Sehenswürdigkeiten der Region und polyphonem Gesang unterlegt. Der 2010er-Rotwein ist gleich von drei Verbänden mit Goldmedaille ausgezeichnet worden. Leider ist das Bestellen aus dem Ausland wie auch bei den meisten anderen Weingütern weder einfach noch billig. Vor Ort wurde ich auch nur auf das Internet verwiesen. Als Radler blieb mir nichts anderes übrig, als es bei einer Weinprobe zu belassen. Es gibt dort auch noch andere korsische Spezialitäten zu kaufen, darunter Honig, Marmeladen und Trockenwürste.
Das andere Weingut habe ich zwar nicht persönlich besucht, ist aber trotzdem eine besondere Erwähnung wert. Dominique Rossi vom Weingut Aliso Rossi verbindet traditionelle und neue experimentelle Winzermethoden für seine Weine – dafür arbeitet er mit Forschern der Universität Corte zusammen. Auch Rossis Weine sind teils mehrfach ausgezeichnet worden. Zu den Besonderheiten gehören aber zwei Sondereditionen. Die süße gelbe Traube wird in einer erotischen Edition als Muscat d'Eross'i angeboten. Vom Rotwein gibt es eine Künstleredition, deren Etikett mit jedem Jahrgang wechselt. Dazu arbeitet Rossi mit dem Maler und Bildhauer Gabriel Diana, der aus der Toskana stammt und ein Museum in Lido de la Marana aufgebaut hat, an dem ich noch am letzten Korsika-Tag vorbei kommen sollte. Neben einer Verkaufsstelle in St-Florent hat Rossi auch eine in Bastia – hätte ich dass doch vorher gewusst, dann hätte ich am letzten Tag … hätte, wenn, dann – die unliebsamen Wörtchen.Das Panorama der nächsten Kilometer habe ich ja bereits soeben im Exkurs beschrieben. Der Preis dafür ist eine weitgehend der Sonne ausgesetzte Route. Da ich die Ostseite des Col de Teghime nicht fahre, werfe ich einen kleinen Blick von oben herunter – es ist letztlich das gleiche Panorama, was ich schon jenseits von Bastia erhalten habe. Die zunächst halbhohe Route vom Pass in Richtung Oletta erlaubt nur noch das Westpanorama in das Golf von St-Florent und auf die Berge der Désert des Agriates. Vor Olmetta muss man aber zunächst wieder unter Höhenmeterverlust in eine Talmulde, der quirlige Ort – für Handwerkskunst bekannt – liegt an Steilterrassen recht schwer zugänglich am Berg – die Ortsdurchfahrt ist Einbahnstraße entgegen meiner Fahrtrichtung. Immer noch matt und erschöpft döse ich an einem kühlen Brunnenplatz mit Aussicht auf den Stausee Padula weit unterhalb der Straße. Endlich danach finde ich wieder zu halbwegs frischer Kraft. Die Lancone-Schlucht kann man sowohl auf einer Süd- wie einer Nordseite befahren – scheinbar. Tatsächlich ist die Südroute soweit oberhalb, dass Schluchteinblicke kaum möglich sind. Diese D 82 ist auch verkehrsreich, fast ohne Schatten und landschaftlich bis auf den Ausblick auf den Etang de Biguglia recht bescheiden – also idealerweise in der von mir gefahrenen Richtung abwärts zu fahren. Unangenehm ist eine kurze Zwischenmulde nach dem Col de San Stefano. Unmittelbar geht es eine Steilrampe rauf bis zum Abzweig nach Rufali. Dort kann man auf mehreren geschichteten Steinblöcken aufgemalt Col de Bisou lesen – vielleicht ein Scherz eines von der Härte der korsischen Berge geplagten Radlers – denn es handelt sich hier definitiv um keinen Pass (wenngleich ein Zwischenhochpunkt). Nach dem kurzen Intermezzo auf der N 198 wende ich mich wieder nach Westen, diesmal also die Défilé de Lancone von unten nach oben und weitaus schöner. Knorrige alte Korkeichen spenden Schatten, die oberen Teile der Straße sind teils heikel eng am Fels – zumindest für Autos – Absturz in die Tiefe nicht ausgeschlossen. Ob die hier zu findenden Rostleichen gewollt abgestürzt wurden? – das scheint hier gar nicht so sicher. Noch eine Besonderheit, die nicht direkt auf meiner Strecke liegt, aber nur wenig daneben. Das kleine Örtchen Biguglia, am Fuße dieser Auffahrt über eine parallele Straße zu erreichen, war für ca. 100 Jahre die Hauptstadt Korsikas in der Zeit pisanischer Herrschaft – bevor 1372 diese Funktion an Bastia überging. Zurück am Col de San Stefano folgt wieder das Panorama weit hin nach Oletta und die Bucht von St-Florent, zunehmend bestimmt Farn die Hänge, dazwischen Weidevieh. Noch deutlich unterhalb und außerhalb von Murato begegnet man einer besonderen Schönheit – eine Kirche im pisanischen Baustil gehalten und in so umsichtiger Lage, dass man lange den Blick darauf halten darf. Die Église de San Michele gilt als die schönste Kirche Korsikas – in jedem Fall ist sie auffallend anders. Das Schwarzgrau/Weiß-Muster ist in der Front geringfügig unterbrochen – ein Umstand, der einer unprofessionellen Aufstockung des Kirchturmes geschuldet ist. Ein bisschen ein „Fehldruck“ wie die Blaue Mauritius – und eben deswegen noch ein Stück wertvoller. Unweit unterhalb befindet sich ein schönes Terrassenrestaurant – es wäre der bessere Platz gewesen als das von mir später aufgesuchte Restaurant im Ort Murato. Ohne die Kirche wäre Murato wohl heute bedeutungslos – so gibt es aber immerhin neben dem klimatisierten Restaurant (und dadurch unangenehm kühl) noch eine Art Pizzabude, wohlmöglich auch der Pizzawagen direkt bei der Kirche San Michele ein Außenposten dieser Pizzeria, und eine Art Dorfdisco, die so einige Male pro Monat offen hat. In dem klimatisierten Restaurant ist ein Konzert mit einem Akkordeonspieler angekündigt. Als der Musiker älterer Statur eintrifft, ist es immer noch komplett leer. Es scheint eine Diskussion zu geben, ob er überhaupt auftreten soll. Offenbar verspricht der Gastwirt, dass noch Gäste kommen werden. So geschieht es wohl auch, wenngleich die meisten Bekannte des Akkordeonisten zu sein scheinen. Die Session beginnt aber wohl zu später Stunde, sodass ich noch ohne einen Höreindruck bereits weiterradele. Die Gegend ist leider vollständig ungeeignet zum Wildzelten. Es folgt recht dichter Kastanienwald an eher steilen Hängen, mit dornigem Untergrund. Auch gibt es noch ein paar Weiler, wo man Hunde kläffen hört. Wohl hätte ich im Dunkeln den leichten Pass auch ganz durchfahren können, denn an der Passhöhe gibt es größere freie Flächen um ein Zelt aufstellen zu können. Doch weiß man so was nicht vorab und ich möchte ja die Landschaft nicht ungesehen passieren. So finde mal wieder eine Nische, die eher zu den schrägen Plätzen zählt – ein kleiner Schrottplatz mit etwas Schnittgut, mit dem ich den rauen Boden zu einer Zeltabstellfläche präpariere. Hier hätte ich Schweine und Füchse erwartet – aber es kam niemand. Sa 21.7. Murato (+/D5) - Col de Bigorno (885m) - Campitello - Volpajola - Scolca - Vignale - Col du Campo (451m) - Borgo - Lucciana - Crocetta - La Canonica - Plage de la Marana - Bastia 19:30 || Corsica Ferries 33,37 € || 23:30 Livorno - Tirrénia/Lido86 km | 15,7 km/h | 5:33 h | 520 Hm W: sonnig, zunehmend bew. in den Bergen, Küste bleibt frei, ~ 28 °C E (Corsica Ferries): Ravioli, Mangocrème, Wasser 13,40 € + SV (Rw, Tintenfischsalat, Käse) Ü: C Internationale 19 € (–) Der Col de Bigorno war am Morgen recht schnell und einfach genommen. Nach Süden ergibt sich ein weites Binnenpanorama über das Golo-Tal hinweg hinüber bis zum Hochgebirge im Cortenais und Niolo. Im Gegensatz zum oberen Bereich auf der Nordseite ist hier kaum Kastanienwald zu sehen, hingegen kann man weithin die eindrucksvollen Straßenkehren im offenen Hang erkennen. Es geht zwar etwas auf und ab, aber ohne ernste Steigungen. Eine Ausnahme bildet die kurze Strecke von Volpajola nach Scolca – da sind zweistellige Steigungswerte. Ein Einheimischer erlaubt sich einen augenzwinkernden Scherz, dass das so 30 Kilometer weiter geht. Naja, dann müsste der Pass aber die 3000m-Marke knacken, davon weiß ich aber in Korsika nichts. Der einzige Ort, in dem es ein bescheidenes touristisches Angebot gibt, ist Borgo, das als letztes der Dörfer auf dieser offenen Bergroute hier bereits dem Meer zugewandt ist. Statt nach Nordost in die Ebene abzufahren lohnt der etwas weitere Wege nach Südost über Lucciana. Der Ort hat sehr hübsche Winkel – ein schöner Abschluss meiner Hommage an die korsischen Dörfer, von denen ich ja eine ganze Menge besucht und im Bilde gewürdigt habe. Fährt man südlich des Flughafens zum Plage de Pineto ans Meer, so passiert man noch einen wichtigen historischen Ort auf Korsika. In La Canonica stehen zwei Kathedralen im pisanischen Baustil, San Parteo und die recht wuchtige, in dezenten Erdtönen gehaltenen Santa Maria Asunta (früher: La Canonica). Die eigentliche historische Bedeutung des Ortes liegt aber nahezu unauffällig wie eine verlassene Baugrube daneben: Es sind Ausgrabungen mit Resten der römischen Stadt Mariana, die sich nach der römischen Epoche jedoch aufgrund der ungeschützten Lage nicht halten konnte. Die Ausgrabungen sind frei zugänglich, aber weit weniger beeindruckend als die von Aléria. Was bleibt zum Abschied von Korsika – sicherlich ist das Meer nicht die schlechteste Wahl. An dem lang gestreckten Arm, der Meer und Biguglia-See trennt, findet sich fast durchgehend Sandstrand. Trotz der vielen Touristenzentren bleiben da auch noch genügend freie Plätzchen. Am ruhigsten ist es wohl im Süden beim Plage de Pineto. Der Etang de Biguglia ist eigentlich ein Süßwassersee, der aber durch den Ausfluss unweit von Bastia und die flache Lage je nach Strömung und Meeraktivität zum Brackwassersee wird. Das entsprechend interessante Biotop mit vielen Wasservögeln lässt sich nur schwer erkunden – zumindest nicht mal eben nebenbei. Auf dem Weg zum Fährhafen kaufe ich noch in einem Supermarkt in Lido de la Marana ein (Marana heißt es hier überall, auf mindestens 10 Kilometern), der an/in einem Camping gelegen ist und ein stark touristisches Angebot hat – also nochmal die Möglichkeit, ein paar kulinarische Souvenirs einzupacken – vor allem Canistrelli. Den gewünschten Patrimonio-Wein und speziellere Käse bekomme ich aber nicht. Zuvor nahm ich aber überraschend noch ein Museum wahr, dass bereits im frei zugänglichen Außenbereich eine Reihe origineller Skulpturen zeigt. Das Museum kostet Eintritt, wäre sicherlich für mich von Interesse gewesen; ich muss mit Blick auf die Abreisezeit aber von einem Besuch absehen. Wie ich dann erst in der Nachbearbeitung der Reise erfahre, handelt es sich um das Dian’Arte Museum des bereits oben genannten Künstlers Gabriel Diana, der auch für die Kunstedition der Weine von Aliso Rossi verantwortlich zeichnet. Die Zeit wurde dann knapp, ich musste Gas geben, der Hafen liegt ja von Süden gesehen auf der falschen Seite, man muss quasi nochmal durch ganz Bastia durch. Ziemlich unfreundlich war dann noch das wohl italienische Fährpersonal, das mich zunächst anherrschte, ich solle mir was über den nackten Oberkörper ziehen – sodann getan, wollten sie auch noch, das ich eine andere Hose anziehen solle, sie sähe zuviel nach Unterhose aus. Diesen „Gefallen“ habe ich ihnen dann aber nicht gemacht. Ist ja kein islamisches Vatikanschiff - und wenn ja, wo bleibt die Kleiderkontrolle für die Autofahrer? – Auf dem Schiffsdeck überwog dann über den Ärger schon wieder die große Wehmut – die Île de Beauté entfernte sich zunehmend am Horizont. Ich bekomme dieses beklemmende Gefühl, dass ich da gar nicht weg wollte. Bildergalerie zu Kapitel 11 (130 Fotos): Fortsetzung folgt
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Geändert von veloträumer (12.02.19 19:08) |
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#891639 - 18.12.12 10:38
Re: Korsika 2012
[Re: veloträumer]
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Ohne die Kirche wäre Murato wohl heute bedeutungslos... Letztes Jahr habe ich mich am vorletzten Korsika-Tag extra von Bastia hinauf bemüht, um festzustellen, dass die Kirche wegen Renovierungsarbeiten von außen eingerüstet und der Innenraum nicht zugänglich war. Auf der Rückfahrt hätte mich auf der alten Passstraße in Richtung Biguglia (raufgefahren bin ich über die neue Straße etwas weiter südlich) ein völlig beklopp sehr forscher Korse im Allrad-Toyota fast in den Abgrund geschoben. Aber grenzwertige Begegnungen mit Kraftfahrern hatte ich in Bastia und drumherum gleich mehrere. Bernd
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Mit Fahrrädern? So mit selber treten? Wo ist denn da der Sinn? (Heinz Erhardt im Film “Immer diese Radler”) | |
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#891808 - 18.12.12 23:22
Re: Korsika 2012
[Re: veloträumer]
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Alle, die hier gelesen und geschaut haben, und verzweifelt nichts gefunden haben, was sie interessiert, können aufatmen: Die Reise geht zu Ende. Alle, die nun ein wenig von Wehmut und Fernweh erfasst werden, wie ich auf dem Schiff, als die Horizonte Korsikas sich langsam entfernten, haben noch Möglichkeiten: "Du musst doaaah hin fahren!" KAPITEL 12 Italienisches Schlussdrama „Vom Winde verweht“: Rund um FirenzeSo 22.7. Tirrénia/Lido - Marina di Pisa - Pisa Centrale 8:32 h || Trenitalia ~ 10 € || 9:32 h Firenze S.M.N. - Sieci - Molino del Piano - Vetta le Croci (518m) - Pian di Mugnone - Firenze S.M.N. 21:37 h || DB CNL/IC 93,25 €/BC 25 || Stuttgart Mo 10:07 h (regulär 9:07 h)61 km | 12,4 km/h | 5:10 h | 650 Hm W: sonnig, teils wolkig, sehr windig, auch Sturmböen, 25-28 °C E (La Grotta Guelfa): Crostini, div. Ravioli, Schnitzel m. Tomatensauce, Bratkart., Früchteku., Rw, Cafe 26 € (+) Ü: Liegewagen CNL s.o. Eigentlich wäre der letzte Reisetag kein eigenes Kapitel wert. Aber der Kulturschock war so dramatisch, dass ich den Italientag vom Rest trennen wollte. Wahrscheinlich ist das Gelungenste an diesem Kapitel die Überschrift. Der Schnitt zu Korsika könnte kaum heftiger ausfallen, als ich in der Nacht zu den italienischen Stränden nördlich von Livorno fuhr, um noch einen Camping zu finden. Dass es in Livorno Industrieanlagen um das Hafengelände herum gibt, ist zu erwarten. Dass dies aber der romantischste Teil bis zur Mündung des Arno sein sollte, dürfte den geneigten Toskana-Freund mit unerwartetem Grauen erfüllen. Als der Autoverkehr von der Fähre abebbt und ich die Richtungsänderungen nach den Industrieanlagen zum Meer einschlage, wird der Verkehr nicht geringer, sondern stärker. Irgendwann ist Stau in Gegenrichtung. Wenig weiter dann auch Stau in Fahrtrichtung – nanu? – schwerer Unfall? – Am Straßenrand beginnen Gebäudestrecken – besser: zum Meer hin Mauern und zur anderen Seite Cafes, Restaurants usw. Von Nachtruhe allerdings keine Spur. Hinter den Mauern – immer wieder von riesigen Eingangsportalen wie von 5-Sterne-Hotels unterbrochen – verbergen sich schlichte Strandlidos, Bars oder Restaurants für italienische Touristen – es können eigentlich nur Italiener sein, die sich solcher Art kommerzieller Massenzüchtigung an Sonne und Meer ausliefern und noch Spaß daran haben. Nun ja, ich kenne ja schon einige „bagni e stabilimenti“-Kulturen, auch die weiter nördliche Küste bei Viareggio – aber hier ist alles noch ein Spur extremer – kein Durchblick zum Meer, ich kann nirgends einen Pfad zum Strand erkennen – der totale Ausverkauf der Natur für Erholungssuchende. Phasenweise komme ich über einen Radweg besser voran – der ist aber nicht durchgehend. Gelegentliche Tifosi-Anfeuerung, wenn ich an den Autos vorbeifahre. Immer mehr Volk – Oktoberfeststimmung à la Italia – Gaukler, Feuerschlucker, Stelzenläufer, midnight shopping, Feuerwerk – Jubel, Trubel, Heiterkeit, Essen, Trinken, Kitsch & more – Menschen mit leuchtenden Teufelshörnern – ausgerechnet bei den gottesfürchtigen Italienern! Wer auf der Fähre vielleicht wegen der Preise nicht essen möchte – hier kann man noch nach Mitternacht problemlos ein Menü ordern. Das korsische Moloch Bastia wirkt im Vergleich zu hier wie eine stille Oase. Ich sehne mich zurück nach der Macchia, nach korsischen Bergdörfern, nach stillen Kastanienwäldern, nach korsischen Gassen, die lebendig sind, aber nie im Lärm versinken. Ich ertappe mich spießig zu werden – ist dieser Trubel nicht Leben pur – das, was der Deutsche nicht so richtig kann? Oder bin ich doch nur ein alter Mann, der die Jugend nicht mehr sehen und hören will, weil sie ihm davon läuft? – Die Fragen bleiben offen – die Sehnsucht nach Ruhe bleibt auch. Ausgangs Tirrénia – oder heißt der Ort hier schlicht Lido? – liegt ein Camping unmittelbar an der Straße. Der Nachtportier gewährt mir Einlass gegen Hinterlegung des Ausweises und bittet mich um leisen Zeltaufbau. – Ha! Leise, hier in dieser Umgebung? – Zwar ist es etwas ruhiger, es dringt aber noch genügend Geschnatter und Verkehrslärm über die Mauern. Die Feststimmung ebbt irgendwann gegen 3 Uhr nachts ab. Für Zelte gibt es nur versandete Plätze – sehr unschön, kaum möglich zu verhindern, dass Sand ins Zelt gerät, Heringe hlten auch nicht recht. Die Sanitäranlage sind zwar okay – aber wer möchte hier schon Urlaub machen? – Viele offenbar, der Platz quillt aus allen Nähten. Von der Campingkasernierung geht es dann tagsüber über die Straße zur Strandkasernierung. Nur ganz gegen Ende an der Route nach Marina di Pisa gibt es einen kleinen freien Blick aufs Meer – alles andere ist zugemauert. Wer abends feiert ist morgens müde – so sind die Straßen leer, nur eine paar Jogger unterwegs. „Na, es kommt ja noch der Arno – schöne Flusslandschaft“, denke ich. Der Gedanke ist zwar nicht ganz falsch, doch auch hier kein Zugang zum Fluss. Es reihen sich Bootswerften und Yachtclubs so aneinander, dass auch Zugang und Sicht zum Arno weitgehend versperrt bleiben. Ins Land hinein immerhin schon ein wenig Toskana: Sonnenblumenfelder, erdbraune Landhäuser dazwischen. Bald ist aber Pisa in Sicht, mein Weg führt gleich zum Bahnhof (ich war 2002 mal in Pisa samt Schiefer Turm), die Wartezeit ist nicht sehr lang, Ticket am Schalter ohne Probleme – ebenso die Radmitnahme im Regionalzug. Eine große Stadt wie Florenz – zumal noch hineingeworfen ohne hinzuradeln – da kommt bei mir keine Stimmung auf. Soviel blendende Hochkultur, an allen Ecken Prunkvolles, Historisches, Ehrwürdiges – sogleich von Reisegruppen umlagert – das erzeugt in mir erst mal Abwehr. Überall haben illegale Händler Decken ausgebreitet, die sie schnell wieder einrollen können, wenn Polizei in Sichtweite kommt. Auf den Decken sieht man alles, was man glaubt, Touristen andrehen zu können: Ministative, Uhren, Handtaschen – wohlmöglich eine ganze Menge chinesischer Nachbildungen dabei. Die legalen Händler mit ihren Stellwägen für Taschen, Gürtel und anderen Lederaccessoires machen meist erst später auf – so stieß ich darauf erst nach meiner Rundfahrt am Abend. Am Arno angekommen, geht es an der Ponte Vecchio noch erstaunlich geruhsam zu. Die Ausfahrt nach Osten bereitet keine Probleme. – Kein Problem, wirklich? – Doch, es gibt ein Problem, dass sich bereits in Marina di Pisa andeutete, in der Altstadt von Florenz sich verstärkte und nun ganz offen ins Gesicht schlug: Wind!!! – Der Wind kam – wie bekanntlich bei jedem ehrlichen Radler – immer von vorn. Ich bekam Zweifel, die ohnehin riskant spät begonnene Runde über den Passo della Consuma zu bewältigen. Als ich einen Kunstgarten jenseits der Bahnlinie entdecke, bin ich noch gewisser Hoffnung, sodass ich den näheren Besuch auslasse – ein Fehler wohl, da ich nur wenig später ohnehin die große Runde zugunsten einer mehr als halbierten Runde aufgeben musste. Ich habe solch starken Wind schon lange nicht mehr erlebt, die Gedanken gehen zurück an die Winde im Schweizer Rhonetal einst oder im Languedoc noch weiter zuvor. Der Parco d’Arte Enzo Pazzagli ist ein weitläufiger Kunstgarten, in dem Enzo Pazzagli seine filigranen Stahlmodelle ausgestellt hat. Den Rahmen bildet eine einzigartige Ansammlung von Zypressen, die so ein Ensemble aus Natur und Kunst ergeben – sogar die nahen Geräusche der Bahnlinie fließen in Pazzaglis Kunstkonzept ein. Eine wesentliche Einkommensquelle stellt das Sponsoring der Zypressen dar, in das jeder einstiegen kann und so zum Mitträger dieses Kunstgartens werden kann. Diesem Ort der Besinnung folgt kurze Zeit später noch ein weiterer. Man könnte rein ästhetisch betrachtet diesen Ort als schön und gepflegt bezeichnen – Gartenkultur und Ruheoase. Doch der Ort ist dem Verbrechen gewidmet – vielmehr ein Mahnmal gegen das selbige. Es handelt sich um einen Kriegsfriedhof des Commonwealth mit Toten der alliierten Soldaten im Zweiten Weltkrieg, sofern sie aus dem lockeren Staatenverbund unter der britischen Krone stammen. Die regelmäßige Anordnung der Kreuze wirkt umso schauerlicher, wenn man sich vor Augen führt, dass jedes Kreuz für einen Menschen steht, der jung und umsonst gestorben ist. Allein hier liegen 1632 Tote, aus dem gesamten Commonwealth sind ungefähr 50000 Soldaten in Italien gefallen. Das alles, weil deutscher Größenwahn überall in der Welt wütete – die Spuren, sie waren sogar auf dieser Reise sichtbar: in Korsika (Orezza!) und hier. Man kann die Spuren der Geschichte nicht verwischen, auch wenn mancher glaubt, das Bildung in einem Reisebericht nichts zu suchen hat. Es gibt ein gut geführtes Totenregister, eine Dokumentation über den Krieg in Italien mit allen Commonwealth-Gräbern zum Mitnehmen und ein Gästebuch. Ich setze ein paar Worte in Demut. Meine Hoffnung, mit der Abkürzung der geplanten Route und der damit verbundenen Richtungsänderung nach Nordnordwest zwischen höheren Hügeln dem Wind zu entgehen, erfüllt sich nur bedingt. Auch hier muss ich noch über das übliche Maß hinaus kämpfen. Zudem sind Teile der Strecke recht anspruchsvoll zu fahren. Die Landschaft ist Chianti-typisch mit Olivenanbau, gepflegten Land- und Weingütern und natürlich Rebstockkultur – Toskana wie im Bilderbuch. Auf der gleichfalls steilen Strecke, sodann abwärts, nach Florenz zurück, fährt man im unteren Teil durch ein kleines, schmales feuchtes Flusstal, dass sich durch einen Engpass zwängen muss , zur Linken steil auf einem Hügel über dem Tal liegend das sehr pittoreske Fiesole – nochmal eine Landschaftsvariante, bevor ich wieder die Stadt Florenz fast nur auf ruhigen Straßen erreiche. Meinen gemütlichen Stadtbummel widme ich vorwiegend dem Treiben der Menschen – bis in alle Ecken international – ob es überhaupt Italiener in Florenz gibt? Ich möchte euch noch ein besondere Eisdiele empfehlen – es gibt sie nicht nur in Florenz: Grom steht für ökologisch-nachhaltige Eiskreationen mit Zutaten aus eigenen Obstkulturen. Es gibt immer nur eine kleine Auswahl an Kreationen, der Jahreszeit angepasst und in bester Eismacherkunst hergestellt – man kann weitgehend in die Eisküche hineinschauen. Kein Edelschuppen, keine bunten Eisberge mit Farbstoffen aufgewertet – allein die Warteschlange deutet darauf, dass es hier was Besonderes gibt. Über die Website kann man die Adressen der mittlerweile über 30 Filialen heraussuchen. Noch eine Bemerkung zur Bahnrückreise: Der Nachtzug aus Rom kommend hatte über eine Stunde Verspätung, holte etwas auf, dennoch konnte ich den geplanten Anschlusszug in München nicht mehr erreichen. Für die Stunde Verspätung (genau waren es nur 57 Minuten) erhielt ich von der Bahn eine Reisekostenrückerstattung in Höhe von 25 % - auch die Radkarte wurde dabei berücksichtigt. Zwar ein wenig Zettelkram zum Einreichen (geht nicht über den Schalter), aber danach problemlos. Da ich ja gerne auch die Bahn kritisiere, darf ich sie hier auch mal loben. Als Abschluss noch eine kurze Hommage an die Île de Beauté mit einer nicht definierbaren literarischen Gattung: Du bleibst die Schöne im Meer, deine Berge schroff und hoch, deine Düfte herb und süß, dein Licht blau und hell, Juwelen von Dorfwelten, Zitadellen trotzen der Brandung, nichts, was deine Türme nicht sehen, deine Schatten manchmal grausam, sodann trinkst du den eigenen Wein, wohl dann wirst du weise wie dein Paoli.Bildergalerie zu Kapitel 12 (70 Fotos): ========= FIN – ENDE =========
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Liebe Grüße! Ciao! Salut! Saludos! Greetings! Matthias Pedalgeist - Panorama für Radreisen, Landeskunde, Wegepoesie, offene Ohren & Begegnungen |
Geändert von veloträumer (12.02.19 19:09) |
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#891841 - 19.12.12 08:24
Re: Korsika 2012
[Re: veloträumer]
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Danke, Matthias, für Deinen lesenswerten Korsika-Faden.
Im plane (nach vierzehntägiger Fahrradtour 2011) bereits Korsika für den kommenden Sommer, allerdings mit meiner SuL und Freunden im Ferienhaus/Ferienwohnung/Bungalow und eher wanderlastig.
Bernd
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Mit Fahrrädern? So mit selber treten? Wo ist denn da der Sinn? (Heinz Erhardt im Film “Immer diese Radler”) | |
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