Re: Korsika 2012

von: veloträumer

Re: Korsika 2012 - 06.12.12 22:20

Spät, aber der Nikolaus kommt - leider keine knackigen Schoko-Läuse im Sack, nur laue Mittelmeer-Luft...

KAPITEL 6 Vergessene Dörfer, skurrile Felsengeister, Schwarzes Gold und die Vendetta: Das Küstengebirge mit seinen Stränden in den Südwestregionen Prunelli, Ornano, Taravo und Sartenais

Mi 4.7. Zicavo - Col de la Vaccia (1193m) - Aullène - Col de Tana (975m) - Col de St-Eustache (995m) - Col de Tega (755m) - Petreto-Bicchisano - Argiusta - Olivese - Bocca d'Isoli (437m) - Bains-de-Guitera - Bocca d'Arja Alta (468m) - Zevaco - Col de Granaccia (865m) - Frasseto - Foce d'Avanzu (543m) - Santa-Maria-Siche
99 km | 13,4 km/h | 7:23 h | 1195 Hm*
W: meist sonnig, auch bewölkt, 22-25 °C
E: Kräuter-/Spinattorte, Kalbsgulasch, Auberginengem., Rw, Birnentorte, Cafe 26,20 €
Ü: C wild 0 €

Bereits unweit von Zicavo gibt es nahe der Straße einen Wasserfall, der in breite Becken fäält, in denen man baden kann. Der Col de la Vaccia ist von Norden vergleichsweise von geringer Steigung und somit ein guter Pass zum morgendlichen Einrollen. Noch unterhalb der Passhöhe findet sich ein Gasthaus, das aber wohl nicht zu allen Zeiten geöffnet hat. Hier befindet man sich bereits in der offen Zone des Passes, die zunehmend ein grandioses Panorama freigibt. Das gilt ganz besonders für die Passhöhe und die weite Schleife bergab danach.

Aullène gilt schon als eines der sterbenden Dörfer – es gibt zwar ein paar Verpflegungsgelegenheiten, jedoch war es hier nicht möglich, Brot zu erhalten, da das Brotauto noch nicht da war. Auch für die Restaurants dort ein Manko, da schon die Zeit auf Mittag zulief – ein Essen ohne Brot – das geht in Frankreich gar nicht. Es gibt aber ein Bistro mit eigener Bäckerei, das Kekse und zumindest brotähnliche Teile anbietet. Touristisch könnte das Dorf aber durchaus noch einen Aufstieg erleben, wenn denn die aparte Landschaft über den Col de Tana mehr Freunde finden würde. Der weite Talkessel verdankt einen Teil seiner kargen Magie allerdings einem größeren Brand, der durch einen umgekippten Strommast ausgelöst wurde. Große Waldflächen gingen verloren und es blieben exotisch wirkende Baumskelette auf rötlicher Felserde übrig. Einzelne Büsche grünen bereits schon wieder. Dazu kommt eine Serie faszinierender Felsfiguren, die es durchaus mit den Felsen der Calanche aufnehmen können. Ein Tagesbistro mit großer Aussicht lädt am Col de St-Eustache ein – da ist aber schon der große Granitgarten vorbei.

Mit der Abfahrt nach Petreto-Bicchisano erreicht man das weit geschnittene Taravo-Tal, in dem an den Hügeln vielfach Olivenbäume wachsen. Auch scheint es eine aufsteigende Region zu sein, denn die vermeintlich unbedeutende Strecke via Olivese in Richtung Zicavo ist bzw. wird gerade ganz neu asphaltiert und an der Strecke werden auch etliche neue Häuser gebaut – ganz offensichtlich besser gestellte Pendler, die der Familie ein Eigenheim bieten wollen. Dort, wo die Straße den Taravo überquert, liegen eine größere Wasserfläche, eine veraltete Stauanlage und auch ein Wasserfall. Der Zugang ist allerdings nur für geübte Kletterer möglich und auch der Blick ist aufgrund der verwinkelten Felsen nicht frei. Besser baden kann man weiter oben am nördlichen Ortsausgang von Bains-de-Guitera, wo man über eine Fußgängerbrücke ein großes Flussbecken sogar mit Sandstrand vorfindet (Rad muss oben an der Straße bleiben).

Natürlich hätte ich diesen Wendepunkt an dem Taravo bereits früh am Morgen direkt von Zicavo aus erreichen können – aber was hätte ich da alles ausgelassen? – Ein Paradebeispiel dafür, dass der Weg das Ziel ist. Nunmehr auf der nördlichen Talseite und insgesamt höher, aber im Auf und Ab, durchfährt man eine recht gut besiedelte Strecke – die Dörfer wirken aber teils wie aus einer anderen Zeit. Hier sehe ich die Klischees von Urkorsen – alten Männern und Frauen, meist getrennt in Gesprächen über Nebensächlichkeiten diskutierend, die jeder für wichtig hält. Wenn es nicht ein paar Stühle sind, dann ist der Treffpunkt eine zusammengenagelte Kneipe, von der man befürchten muss, dass sie die steilen Hänge herabstürzen könnte. Wasser kommt hier häufig die Berge hinunter, entsprechend dicht ist die Vegetation.

Mit Blick auf Ste-Marie-Sicché öffnet sich wieder eine fruchtbare Talebene mit Olivenhainen und Obstplantagen. Im Ort gibt es nur eine Kneipe, wo man nur Sandwiches bekommt und ein Hotel mit Restaurant. Das Restaurant ist komplett leer, sodass ich mich erst gar nicht traue einzukehren – leider auch kein Außenbereich. Einerseits bin ich wohl als einziger Gast willkommen, andererseits scheint das Personal erleichtert, als ich endlich den Weg zum Feierabend frei mache. Auch hier ein ähnlicher Eindruck wie in Zicavo: Es gibt Probleme mit der Krise und vielleicht auch mit Touristen, die heutzutage woanders rasten. Die Küstenorte sind nicht weit, die Wanderer hocken in den Berghütten weiter oben. Die Zwischenstationen sind die ersten, wo die ausbleibenden Gäste Existenzen bedrohen. Mein Übernachtungsort ist mal wieder zu exotisch um öffentlich gemacht zu werden – dafür erlebe ich einen wunderbaren, klaren korsischen Vollmond. schmunzel

Do 5.7. Ste-Marie-Siche - dev. N198/D55 - Col de Luminataja (642m) - Bocca d'Aja di Bastiano (638m) - Bisinao - Col de Bellevalle (552m) - Pietrosella - Plage d'Agosta - Punta di Sette Nave (Isolella) - Plage de Ruppione - Portiglio - Bocca di Cotonu (152m) - dev. D155/D55A (Acqua Doria) - Coti-Chiavari - Col de Cortone (486m) - Col de Gradella (442m) - Bocca d'Arghellaju (554m) - Col de Chenova (629m) - Marato -Pila-Canale - Calzola - Favalella - Abbartello
104 km | 14,3 km/h | 7:15 h | 1120 Hm*
W: sonnig, ~ 30 °C
E: Fischsuppe, Dorade, Gem., Roséw, Iles Flottantes, Cafe 35 € (+)
Ü: C Abbartello 10,10 € (–)

Der Tag mit Weg zum Meer ist recht anstrengend, denn es gibt sehr viele Auf und Abs – eben Küstenregion. Dabei sind einige Streckenteile sehr steil – das gilt besonders für die Strecke von Portiglio nach Coti-Chiavari. Den steilsten Abschnitt muss man auch fahren, wenn man noch küstenäher fahren möchte – denn es ist die D 155 nach Acqua Doria (dort ist die Verzweigung). Auf den meisten Strecken des Tages bleibt das Meer im Blick, mit kleinen Unterbrüchen etwa jenseits von Coti-Chiavari (Restaurants mit schönem Ausblick), wo dichtes Buschwerk und Bäume den Blick ans Meer verhindern. Auch im unteren Bereich des Taravo-Tals bleibt das Meer fern, weil bereits zu niedrig. Vom Col de Bellevalle und Pietrosella hat man gute Sicht auf Ajaccio – mit gutem Tele könnte man das Hafenleben ggf. erfassen.

Mit der Fahrt zum Meer an der Plage d’Agosta folgen einige Traumstrände. Durch die Halbinsel Isolella wird die Bucht malerisch unterteilt. Von der Plage Ruppione weiter zur Plage de Portigliolo nimmt der Betrieb ab, letzterer Strand ist bereits schon ein wenig klein. Danach folgt unzugängliche, von Macchia überwucherte Felsenküste, wo allenfalls Strände mit Boot zu erreichen sind. Eine Ausnahme bildet wohl nur das Capu Muru, wozu man aber schon sehr weit von der Route per Stichstraße abweichen muss.

Dass ich die frühgeschichtlichen Menhire in Filitosa nicht besuche, hängt mit einer Informationslücke zusammen. Ich hatte mich darüber nicht informiert und war denn auch abends mit einem Abstecher dorthin zeitlich überfordert. Der schöne Abend am Meer mit Fischsuppe und Dorade entschädigte aber mehr als es ein paar tote Steine mein Wohlbefinden hätten heben können. Es sei aber erwähnt, dass an der Küstenstrecke Abbartello/Olmeto-Plage ausschließlich touristische Campings liegen (und Hotels), aber keine richtigen Orte. Die Campings sind alles andere als einladend – es riecht hier deutlich nach Massentourismus. Das Meer kann man aber immer noch genießen.

Fr 6.7. Abbartello - Olmeto - Col de Siu (731m) - Arbelara - Col de Sta-Giulia (80m) - Portigliolo - Belvédère - Foce di u Poggio (256m) - Bocca di Biscelli (328m) - Bocca Albitrina (291m) - Sartène
85 km | 11,7 km/h | 7:19 h | 1685 Hm*
W: meist sonnig, auch bewölkt, ~ 25 °C, abends recht kühl
E (Des Cours): Melone m. Schinken, Schnitzel m. Käse/Schinken überb., frit. Kart., Roséw, Kastanienpud., Cafe 32,20 €
Ü: C Sartène 8 € (–)

Nach dem ausgiebigen Panorama auf Propriano und das Golf von Valinco steht die Olive im Mittelpunkt. Olmeto liegt eng an den Hang geschmiegt inmitten dem Silberglanz der Ölfrucht. Rote Ziegeldächer krönen die altgrauen Hausfassaden, hinter denen steile Treppengassen den beschwerlichen Zugang zu den weitern Häusern ermöglichen. Der Zauber des Ortes liegt in den Blicken auf ihn und von ihm. Die Geschichte will es, dass der Ort auch für die Vendetta bekannt ist – hier lebte die Titelfigur „Colomba“ aus der Novelle von Prosper Mérimée – eine etwas verklärte Darstellung der Geschichte der Vendetta. Eigentlich kam Colomba aus Fozzano, einem weiteren Ort der heutigen Route. Wie Arbellara noch mehr, stehen diese Dörfer hier im Süden für das konservative Korsika – ausgeprägt in abweisender Architektur, wo man selbst seinem nächsten Nachbarn misstraute.

Exkurs Vendetta: Die Blutrache entwickelte sich in Korsika zu einer regelhaften, perfektionierten Form von Selbstjustiz und reicht bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Ganze Familienclans konnten dabei ausgelöscht werden. Den Mördern blieb zum eigenen Schutz nur die Flucht in die Macchia, sie wurden zu Banditen. Da die Blutrache viel mit „Ehre“ zu tun – wohl dem, der um solche Praktiken in vielen Teilen der Welt denkt – war auch der Bandit ein ehrbarer Begriff in Korsika. Schwerpunkt der Vendetta waren die Gebiete des Südens, mit den Dörfern der Valinco-Bucht, Sartène und auch dem Fiumorbo südöstlich. Noch heute tragen viele Korsen besonders im Süden ein Messer am Gürtel – die bekannteste Messermarke heißt „Vendetta“. Dass einheimische Korsen schon mal etwas mürrisch reagieren, wird auch dem Reisenden nicht verborgen bleiben. Ein Vergleich mit meinem 1999er-Bericht zeit, dass ich auch damals solche Beobachtungen gemacht habe. Die liberalen Gegenden des Nordens um Calvi und das Cap Corse werden gerne als „unkorsisch“ bezeichnet. Ehre und Gewalt als Identität? – Das Thema schreit auch heute noch nach Diskussion um Aufklärung. Nicht zuletzt gibt es einen Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsbegriff (weiter Kap. 9).

Zu den überflüssigsten Routen für eine Korsikarundreise zählt wohl die Tour über den Col de Siu – gleichzeitig aber auch zu einer der schwierigsten Routen. Zwar gibt es flache Zwischenstücke, sodass die Durchschnittssteigung nicht so prominent sein dürfte, aber die Rampen haben es in sich – am meisten im obersten Bereich. Vor den letzten Rampen kann man absteigen zum Fluss (Rad muss oben bleiben) und inmitten von roten Steinen in Gumpen baden. Am größeren Wasserfall sollte man nicht runterspringen – es braucht schon geübter Kletterkunst, wieder nach oben zu gelangen. Es gibt zwar ein Seil dort für Canyoning-Freaks – aber das ist vielleicht nicht unbedingt das Metier des Reiseradlers. Der Col de Siu ist nicht nur wegen der Vendetta-Dörfer bekannt, sondern auch war die Passhöhe ein wichtiger Landeplatz für alliierte Fallschirmspringer im Zweiten Weltkrieg. Ein Gedenkstein am Pass erinnert daran.

Die Südwestecke der Insel ist topografisch nur schwer zugänglich. Es gibt keine Küstenstraße – größtenteils nicht mal eine Wanderroute am Meer entlang. Dennoch gibt es Strände, die per Stichstraße erschlossen sind – gewissermaßen leicht für Autofahrer von Propriano oder Sartène aus zu erreichen. Solche Strände habe ich auf keiner meiner beiden Korsika-Touren besucht. Stattdessen bin ich nach der Fahrt entlang des ausgedehnten Plage de Portigliolo (diesmal der gleichnamige Strand bei Propriano) eine ziemliche einsame Binnenroute nach Sartène gefahren, um den Kreis zu schließen. Auch hier gibt es nach dem Bocca di Biscelli kuriose Felsengeister zu bewundern – durchaus beachtenswert.

Der Camping in Sartène liegt aus Sicht meiner Routenführung etwas ungünstig deutlich unterhalb der Stadt auf der Nordseite an der N 196. Auf dem sehr schattigen, von einem Bach durchflossenen Platz, an dem es abends auch empfindlich kühl werden kann, sind die Parzellen schon aus topografischen Gründen etwas seltsam verteilt – Heringe kann man fast nirgendwo in die Erde bekommen – es sei denn, man gehört zur Hammer-mitschlepp-Fraktion. Trotz eines Tennisplatzes am Eingang machen sich die Sanitäranlagen sehr bescheiden aus. Wer sich nicht unbedingt jede Nacht an ein Zelt gebunden fühlt, sollte in Sartène vielleicht lieber eine Gîte oder ein Hotel nehmen – so kann man auch am späten Abend besser Heim flanieren.

Die Stadt bietet zahlreiche schöne Plätze, die zum Kaffee oder Essen einladen. Wo ist manchmal schwer zu entscheiden – mit Aussicht, an großen Plätzen zum Beobachten oder in engen Gassen der Stimmung wegen. Nach dem Essen fand ich beim Rundgang ein Restaurant in einer Gasse, in dem vier Musiker korsische Polyphonie mit Gitarrenbegleitung boten. Solche Konzerte werden gratis dargeboten – sozusagen als Werbung für den Gastronomiebetrieb. Es lohnt sich also auch, länger zu suchen, ob eine Veranstaltung läuft. Immerhin konnte ich als Zaungast noch eine Weile lauschen. Das morgendliche Sartène folgt dann im nächsten Kapitel.

Bildergalerie zu Kapitel 6 (113 Fotos):



Fortsetzung folgt