9. Tag (15.07.2018), Banon – Sault
Strecke: 49 km
Höhenmeter: 681


Die heutige Etappe ist mit ca. 50 km noch etwas kürzer als die gestrige und wird mich nach Sault am Fuß des Mont Ventoux führen, von wo aus ich morgen, wie bereits auf meiner Südfrankreich-Radtour vor sechs Jahren (2012), die Auffahrt auf den auch als „Géant de Provence“ bezeichneten 1909 m hohen Gipfel in Angriff nehmen will. Die Kürze der Etappe ist auch insofern bewusst gewählt, als ja heute bereits um 17 Uhr das WM-Endspiel beginnt.

Nach dem Aufbruch vom Campingplatz will ich noch ein paar Fotos vom traumhaften Blick auf das sich über den blühenden Lavendelfeldern erhebende Banon machen, bevor ich nochmal in die Stadt hinauffahre. Aber meine Kamera (Lumix LX5) versagt plötzlich ihren Dienst, meldet „Systemfehler Zoom“, und nichts geht mehr. Keine Ahnung, woran es liegt. Das bleibt auch die gesamte restliche Reise (und bis heute) so, so dass ich ab hier zum Fotografieren nur noch das Smartphone habe. Den restlichen Reisebericht kann ich daher leider nur mit Smartphone-Fotos mit dementsprechend teilweise etwas bescheidener Qualität bebildern.

Blick auf Banon





Ich fahre, wie schon gestern zum Abendessen, hinauf nach Banon und sehe mich in dem malerischen Städtchen um. Viele Fotos mache ich allerdings trotz ausreichender lohnender Motive nicht, da es mich sehr ärgert, meine Kamera nicht mehr zur Verfügung zu haben und „nur“ noch mit dem Smartphone fotografieren zu können. So habe ich auch keine Bilder von der Kirche, die sich im Zentrum auf der Spitze des Hügels erhebt und zu der ich durch enge, steile Gassen hinaufsteige. Ein paar Eindrücke von Banon habe ich trotzdem festgehalten.





Meinem Haute-Provence-Reiseführer entnehme ich den Hinweis auf eine Charcuterie, deren Spezialität fingerdünne, aber fast einen Meter lange Salamis sind, die auf verschiedenste Weise gewürzt angeboten werden und in dem kleinen Laden zu Dutzenden von der Decke hängen. Ich kaufe mir ein Exemplar für unterwegs.

Auf der D 950 verlasse ich Banon westwärts; mein Weg führt mich sehr verkehrsarm durch die kleinen Orte Revest-du-Bion und Ferrassières. Schließlich bietet sich der erste Blick auf den Mont Ventoux. Ein Bilderbuchmotiv; der „Gigant der Provence“ erhebt sich in der Ferne über blühenden Lavendelfeldern, die Kalkstein-Geröllwüste, die die Gipfelregion bedeckt, strahlt weiß in der Sonne, so dass man meinen könnte, dort oben liege Schnee. Es schmerzt mich, dass ich diesen traumhaften Blick nur mit dem Smartphone einfangen kann, weil ja meine Kamera ausgerechnet heute Vormittag ihren Geist aufgegeben hat…



Mit Blick auf den Ventoux mache ich am Straßenrand Rast und genieße die Salamispezialität aus der Charcuterie in Banon.



Auch im weiteren Verlauf der heutigen Etappe durch die Haute-Provence bieten sich immer wieder Ausblicke auf den Mont Ventoux.



Die D 189 führt mich serpentinenreich abwärts mit Blick auf Montbrun-les-Bains.



Ich fahre hinauf in den malerischen Ort.



Eine Fahne in einer der engen Gassen erinnert mich daran, dass heute um 17 Uhr das WM-Finale Frankreich gegen Kroatien beginnt und mein Gastland vielleicht nachher seinen zweiten Fußball-Weltmeistertitel erringt und ich ja schauen muss, dass ich rechtzeitig in Sault bin. Allez les Bleus!







Den sehr schönen Ort Sault zu Füßen des Mont Ventoux kenne ich bereits von einer Radreise vor sechs Jahren quer durch Südfrankreich von Ventimiglia nach Katalonien. Von „damals“ kenne ich auch bereits die Strecke über den Mont Ventoux nach Malaucène, die morgen auf dem Programm steht, sowie den Weg zum einige Kilometer außerhalb von Sault, oberhalb des Ortes gelegenen Campingplatz. Es ist noch früh genug, um in Ruhe mein Zelt aufzubauen und zum Anpfiff des WM-Finales wieder im Ort zu sein. Vor mehreren Restaurants sind Fernseher aufgestellt, die Tische davor werden von erwartungsvollen Einheimischen und Touristen bevölkert.

Es ist ein besonderes Erlebnis, auf einem französischen Dorfplatz gemeinsam mit den Franzosen dem zweiten Weltmeister-Titel der „Bleus“ entgegenzufiebern. Und tatsächlich geht die französische Mannschaft gegenüber der kroatischen schnell in Führung und siegt schließlich 4:2. Den Jubel kurz nach dem Abpfiff habe ich in einem Video (hier klicken) festgehalten.





10. Tag (16.07.2018), Gorges de la Nesque
Strecke: 29 km
Höhenmeter: 297


Nachdem ich bisher mit dem Wetter wirklich Glück hatte, ist es heute bewölkt und regnerisch. Die für heute geplante Überquerung des Mont Ventoux macht daher wenig Sinn und ich verschiebe sie auf morgen und beschließe, eine weitere Nacht auf dem Campingplatz in Sault zu bleiben. Die Entscheidung fällt umso leichter, als der Wetterbericht für morgen wieder wolkenlosen Sonnenschein ankündigt. Also genieße ich einen Ausruh-Tag in Sault.

Am Nachmittag hört es auf zu regnen, und die Wolken verziehen sich. So komme ich auf die Idee, aus der Not eine Tugend zu machen und den restlichen Tag für einen Abstecher ohne Gepäck in die ganz in der Nähe gelegenen Gorges de la Nesque zu nutzen. Die Fahrt durch diese bekannte Schlucht hatte ich eigentlich nicht vorgesehen, da sie aufgrund ihrer Lage schlecht mit meiner Reiseroute zu kombinieren war. Auch als ich das erste Mal den Mont Ventoux befahren hatte, hatte ich sie ausgelassen, weil sie auch in die damalige Route von Süden, vom Luberon und Vaucluse her kommend, schlecht zu integrieren gewesen wäre.

Es ist bereits etwa 17 Uhr, als ich losfahre. Zunächst rolle ich vom erhöht über der umgebenden Landschaft gelegenen Sault hinunter; recht flach verläuft die D 942 bis Monieux und dann weiter durch die Schlucht, deren spektakulärster Abschnitt ein paar Kilometer weiter beginnt. Ich bin wirklich beeindruckt und hatte nicht mit einem so grandiosen Landschaftserlebnis gerechnet. Inzwischen habe ich mich mit der wetterbedingten Verschiebung der Ventoux-Befahrung mehr als versöhnt, hätte ich doch sonst dieses landschaftliche Highlight nicht erlebt.









Ich fahre nur ein paar Kilometer weiter in die Schlucht hinein und kehre ein Stück hinter dem wohl markantesten Aussichtspunkt gegenüber dem Rocher du Cire wieder um. Für mehr ist es heute zu spät. Mit mehr Zeit hätte ich weiter durch die Schlucht bis Villes-sur-Auzon und zurück über den Col Notre Dame des Abeilles fahren können. Stattdessen kehre ich auf derselben Strecke zurück. Hoch über der Straße im steilen Felshang sehe ich einen Steinbock und bin fasziniert, als er mit einer irrwitzigen Geschwindigkeit die fast senkrechte Felswand hinuntergaloppiert, um dann einige Dutzend Meter unterhalb der Straße meinem Blick zu entschwinden. Deutlich weniger scheu sind einige Wildschweine, die neugierig die am Aussichtspunkt haltenden Wohnmobile inspizieren, wohl in der Hoffnung auf Essbares.







Gegen 19.30 Uhr komme ich wieder zurück nach Sault.



11. Tag (16.07.2018), Mont Ventoux, Sault – Malaucène
Strecke: 55 km
Höhenmeter: 1146


Heute herrscht wieder strahlender Sonnenschein. Das perfekte Wetter für den Mont Ventoux, den ich nun ein zweites Mal befahre. Das erste Mal, 2012, war ich ebenfalls in Sault gestartet. Die beiden in Radsportkreisen bekannteren und prestigeträchtigeren Auffahrten, die auch mehrfach auf dem Programm der Tour de France standen, beginnen in Bédoin und in Malaucène (mein heutiges Ziel). Beide sind durchweg recht steil und gelten als recht anspruchsvoll. Die Auffahrt von Sault hingegen hat für die nicht ganz so Ehrgeizigen und eben auch Radreisende mit Gepäck den Vorteil, dass sie auf einer größeren Höhe startet und deutlich länger ist und damit im Schnitt eine deutlich geringere Steigung aufweist. Von Sault aus erreicht man den 1909 m hohen Gipfel nach etwa 26 km; 6 km vorher vereinigt sich die Strecke mit der von Bédoin kommenden Auffahrt; erst ab dort erwartet einen dann für die letzten Kilometer eine Rampe mit herausfordernden 8 oder 9% Steigung, auf der man dann noch etwas „Tour-de-France-Feeling“ genießen kann.

Ich verlasse nach zwei Nächten den schönen, sehr weitläufig in einem Waldstück gelegenen Campingplatz und fahre hinunter nach Sault.





Blick von Sault hinüber zum Mont Ventoux, der auf dem Bild leider kaum zu erkennen ist. Der kleine weiße Fleck am Horizont rechts der Bildmitte ist der kahle, im Sonnenlicht hell strahlende Gipfel mit seiner Geröllwüste aus Kalkstein, die von Weitem den Eindruck vermittelt, als liege dort oben Schnee.



Unterhalb von Sault beginnt inmitten von Lavendelfeldern die Passstraße (wobei der Begriff eigentlich nicht zutreffend ist, denn handelt sich ja nicht um einen Pass, sondern die Straße führt zum Gipfel).



Mit nur mäßiger Steigung, die, wenn ich mich richtig erinnere, etwa 5% nie überschreitet, gewinnt die Straße am bewaldeten Hang langsam aber stetig an Höhe. An einem Aussichtspunkt kann man einen aus Schrottteilen kunstvoll zusammengeschweißten Hirsch bewundern.



Nach etwa 20 km stößt die Straße auf die von Bédoin kommende Auffahrt. Hier ist die Baumgrenze erreicht, und es beginnt die die Gipfelregion bedeckende Kalkstein-Geröllwüste. Hier bietet sich eine willkommene Einkehrmöglichkeit, das Chalet Reynard. Die verbleibenden Kilometer sind nun, nach der bisher recht entspannten Auffahrt, von der Steigung recht knackig mit 8 % und teilweise mehr, aber der Gipfel ist ja schon in Sicht. Und erstmal gönne ich mir, wie auch schon vor sechs Jahren, eine Rast im Chalet Reynard. Bei dem herrlichen Wetter bin ich natürlich bei Weitem nicht der einzige Radfahrer, der sich hier erfrischt und stärkt, wohl aber der einzige, der nicht mit dem Rennrad unterwegs ist.



Ich habe riesiges Glück mit dem Wetter, die faszinierende, fast wie nicht von dieser Welt erscheinende Mondlandschaft strahlt im herrlichen Sonnenschein weiß vor blauem Himmel. Zum Greifen nah erscheint der Gipfel mit dem Gebäude des Observatoriums. Bis dahin sind es aber noch ein paar steile Kilometer und einige hundert Höhenmeter. Man erkennt, wie sich die Straße steil am fast vegetationslosen Hang entlangzieht.







Kurz vor dem Gipfel ein tragisches Stück Radsporthistorie: Hier erinnert eine Gedenktafel an den britischen Radrennfahrer Tom Simpson, der bei der Tour de France 1967 unter dem Einfluss von Aufputschmitteln und Alkohol an dieser Stelle dehydriert zusammenbrach und noch vor Ort verstarb, kurz nachdem das Thema Doping bei der Tour erstmals überhaupt in der öffentlichen Diskussion thematisiert wurde. Viele Rennradler erweisen ihm die Ehre, indem sie Gegenstände wie etwa Trinkflaschen dort ablegen.



Weiter geht es landschaftlich traumhaft aufwärts; trotz der zunehmenden Steigung auf den letzten Kilometern empfinde ich die Auffahrt nicht als besonders anstrengend, da ich ohnehin alle paar hundert Meter anhalten muss, weil sich neue Fotomotive ergeben.



Ich habe Glück, dass ich heute (genauso wie seinerzeit bei meiner ersten Überquerung des Ventoux) von der hier häufig herrschenden stürmischen Witterung verschont bleibe, für die der Berg berüchtigt ist. Nicht umsonst heißt der Grat, den die Straße knapp vor dem Gipfel überquert, Col des Tempêtes, mir bleiben aber, wie gesagt, die namensgebenden Stürme erspart.





Eine Kurve unterhalb des Gipfels gibt es noch einmal eine Einkehrmöglichkeit, wo ich mir ein wohlverdientes Bier gönne,



dann ist der Gipfel erreicht. Er ist allerdings nach dem Col d’Izoard und dem Col du Lautaret „nur“ der dritthöchste Punkt der Reise…





Der Blick hinab auf die Straße, auf der ich hinaufgefahren bin, ist grandios.



Nun kann ich die lange Abfahrt nach Malaucène genießen. Es ist nun schon fast 19 Uhr, und nur noch vereinzelt kommen Rennradler hier oben an. Ein letzter Blick zurück zum Gipfel,



dann kann ich es gut 20 km lang rollen lassen. Herrlich. Ich bin angesichts des auf den Schildern angekündigten beachtlichen Gefälles aber froh, hier nicht andersherum unterwegs sein zu müssen.





In Malaucène steuere ich den mir bereits bekannten, sehr zentralen Campingplatz an, den ich gegen halb neun erreiche. Die Rezeption ist schon geschlossen, also suche ich mir eigenmächtig einen Platz; spaßeshalber schaue ich nach der Parzelle, die ich vor sechs Jahren hatte, und tatsächlich finde ich sie wieder, sie ist frei, und ich schlage dort mein Zelt auf.



Fortsetzung folgt…