24. August 2022 / Cervignano del Friuli – Venedig:
In der Nacht hatte es schon wieder geregnet, in der Früh war alles wieder verschwunden, und der Wetterbericht sagte Sonne voraus. Die Prognosen hielten auch. Frühstück hätte es erst um 8 Uhr 30 gegeben. Da ich nicht so lange warten wollte, versprach mir der Vermieter am Abend ein Frühstück herzurichten. Ich sah dann in der Früh die Bescherung: 2 Stück Zwieback ohne nix, 0,2 l Orangensaft, 1 (EINE!) Kapsel für den Kaffeeautomaten, eine kleine Kiwi, eine kleine Nektarine und eine winzige Marille. Ende. Öhm... Wasser holte ich mir von der Wasserleitung.
Um 7 Uhr 47 fuhr ich mit knurrendem Magen los. Das Thermometer zeigte 19 °C an. Einmal um den Häuserblock, und ich war wieder auf der SS14, die anfangs noch recht überschaubar war.
In einer Tankstelle holte ich mir mein zweites Frühstück: richtigen Kaffee und ein Croissant sowie einen halben Liter Mineralwasser. Um die Mittagszeit gönnte ich mir in San Donà die Piave in einem Imbiss einen Toast und 1 1/2 Liter Mineralwasser. Das Wasser floss bei mir heute literweise. Es wurde nämlich immer wärmer, und Schatten gab's überhaupt keinen auf der Staatsstraße.
I foah in der Hitz'
auf der Strada del Sole.
Die Fiaß dan ma weh auf die Clickie-Pedale.
Des Göd homs ma g'steßn (eigentlich hab ich es verprasst)
und jetzt steh i sche do.
Und hob kane Lire (nur Kuna)
und kane Papiere (nur kräftige Rechnungen)
Auf der Strada del Sole namens SS14.
Während ich so "Strada del Sole" dahinträllerte, verdichtete sich allmählich die Lage auf der Strada. Ein Auto nach dem anderen, ein LKW nach dem anderen, alle flitzten 5 cm an mir vorbei. Aus der Strada del Sole wurde eine Strada del Inferno. Die letzten 20 km bis Mestre waren die reinste Hölle. Echt schlimm!
Am Ortsende von Mestre atmete ich auf, als ich den Radweg neben der Straße auf dem Damm ("Ponte della Libertà"), der die Altstadt Venedigs mit dem Festland verbindet, nehmen konnte. Endlich Ruhe! Herrlich!
Bei der Ortstafel von Venedig war ich um 15 Uhr 25. Was sich danach abspielte, ist eigentlich filmreif.
Mir war bei der Hotelbuchung erklärt worden, dass ich vom Damm aus rechts runter zum Hafen fahren soll, um ein Schiff zu nehmen, das rundumadum zum Markusplatz fährt. Von da aus bin ich gleich im Hotel. Ich passierte einen geschlossenen Schranken (der Aufsichtswart erklärte mir "No Problem!") und fuhr weiter Richtung Hafen. Da stand ein Schiff, aber die verweigerten mir den Zutritt mit dem Fahrrad! Gibt's denn so was? Ich befragte googlemaps. Ah da gibt es eine weitere Schiffsanlegestelle auf dem Piazza Accademia. Die nehm ich. Kanal 1 ließ sich ganz leicht überqueren. Kanal 2 hatte Treppen. Na, geht doch. Das Stück kann ich raufrumpeln und wieder runterrumpeln. Kanal 3 hatte wieder Treppen. Ich übte mich im Raufrumpeln und im Runterrumpeln. Dann ein Stück den Kanal entlang. Ähm, ich muss auf die andere Seite. Die nächste Brücke hatte schon wieder Treppen. Rumpel - rumpel - rumpel. Anstrengend war immer das Raufrumpeln. Äh... ich musste schon wieder die Seite wechseln. Nächste Brücke mit Treppen.
Aber jetzt hatte ich es geschafft! Ich stand vor dem Canale Grande, und vor mir lag die Schiffsanlegestelle auf dem Piazza Accademia. Ich kaufte mir ein Ticket und wartete.
Das Schiff legte an, ich schob mein Rad. Sagt mir der doch glatt, ich darf nicht mit dem Rad einsteigen? - Ich muss da rüber und dann zum Piazza San Marco. - You go by foot. - Nix da, ich will mit dem Schiff fahren. - No, not with the bicycle. You walk.
Und weg war das Schiff.
Super! Ich befragte wieder googlemaps, ich befragte mein Navi. Wenn ich Fahrrad eingab, sagten mir beide Schifffahrt bis Markusplatz. Wenn ich "zu Fuß" eingab, wurden mir Wege ohne Schiff angezeigt. Hm... ich schieb ja eh schon die ganze Zeit. Das Hotel ist noch 2 km entfernt. 1,5 km hatte ich schon hinter mir. Die 2 km schaff ich jetzt auch noch. Das Problem war nur, ich musste über die Ponte dell'Accademia. Und die hatte mehr als nur 5 Stufen. Ich schaute zur Brücke, ich schaute zu meinem Rad. Ich schaute noch einmal zur Brücke.
Na gut. Gepäck weg und hinaufgetragen. Rad hinaufgetragen. Gepäck wieder montiert. Oben war ich! Und der Blick auf den Canale Grande war umwerfend!
Und weiter ging es. Ich rumpelte wieder runter auf die andere Seite des Canale Grande und schob weiter. Das war nicht meine einzige Brücke auf dem Weg zum Markusplatz. Und jede Brücke hatte Treppen. Das Drama nahm seinen Lauf. Rumpel - rumpel - rumpel - rumpel. Dazwischen quetschte ich mich samt meinem Rad durch enge Gassen.
Piazza San Marco! Ich hatte es geschafft! Ich wollte mein Handy zücken und den Markusplatz fotografieren .... auf einmal standen 3 Carabinieri neben mir.
Fahrrad geht nicht. Das darf gar nicht in Venedig sein. - Ich bin auf dem Weg zum Hotel. - Geht trotzdem nicht. Fahrrad kann am Bahnhof oder im Hafen beim Damm bleiben, aber nicht in der Stadt. - Mich hat das Schiff nicht mitgenommen. Ich muss zum Hotel. Das ist nicht mehr weit. - Ihren Pass bitte. - Kram, kram kram. Ah da ist er. - Wir müssen Ihre Daten aufnehmen, kommen Sie mit auf das Polizeirevier.
ÖRKS ...
Meinen Pass hatten sie schon in der Hand, daraufhin sagte ich zu dem einen Carabinieri: "Aber ein Foto vom Markusplatz darf ich noch machen?" Bevor ich verhaftet bin.
Das letzte Foto vor der Verhaftung:
Leicht schief und verwackelt angesichts der Verhaftungsdramatik.
Ich folgte schiebend den Schritten der 3 Carabinieri. Zum Polizeirevier musste ich noch über 3 Stufen. Die 3 Carabinieri trugen mein Rad über die Stufen! Dann mussten sie mir noch die Flügeltüren aufhalten. Und drin war ich. Im Verlies oder so. Fragen über Fragen, ein Anruf im Hotel zur Bestätigung, dass ich wirklich auf dem Weg zum Hotel war, meine Wohnadresse, wie lange ich in Venedig bleibe und und und. Was die alles wissen wollten! Der eine Carabinieri verfasste ein Protokoll - mit 4 Durchschlägen! Ich musste das Protokoll unterschreiben. Den grünen Durchschlag bekam ich in die Hand gedrückt. Er erklärte mir, was er an Kommentaren verfasst hatte, wie ich am besten mit dem Rad (übermorgen) zum Schiffsanlegeplatz Nähe Markusplatz komme und dass ich dort das Protokoll noch einmal vorweisen soll.
Am Ende erließ er mir die Strafe in Höhe von 100 Euro für Fahrradschieben in Venedig. Und ich konnte gehen. Tatsächlich! Ich bin nun amtsbekannt und habe eine Sondergenehmigung für Fahrradschieben vom Markusplatz zum Hotel um die Ecke. Gültig für den 24. August.
Kaum war ich nach der Ent-Haftung wieder am Markusplatz, machte ich schnell noch ein Foto und querte den Platz. Schiebend. Auf einmal sprang mir schon wieder ein Uniformierter entgegen. Irgendein Aufseher. Ich sagte gleich: ich bin schon verhaftet worden. ZWEIMAL geht nicht, und zeigte ihm das grüne Protokoll. Der Weiße links im Bild war das.
Um 17 Ur 17 erreichte ich tatsächlich mein Hotel!
Das Erste, was ich mir nach dem Einchecken und "Ankommen" gönnte, war ein Eis. Zur Nervenberuhigung. Das zweite war ein sehr delikates (und sehr teures) Abendessen. Und ich ging spazieren (OHNE RAD!).
Danach kam Ausschlagpflege. Ich hatte gesprenkelte Wadln. Hatte mich etwas gebissen? Oder hatte ich eine Sonnenallergie oder einen Hitzeausschlag? Oder eine Carabinieri-Allergie? Vermutlich letzteres. Blaue Flecken hatte ich auch von der Schieberei.
Nun stand PAUSE in Venedig auf dem Programm!
Gesamtstrecke 113,71 km
Zeit in Bewegung 5 h 53'
Gesamtzeit 9 h 28'
Temperatur in der Früh 19 °C, tagsüber bis zu 32 °C
Sonne pur den ganzen Tag
Summe aller Steigungen: 126 m
 
25. August 2022 / PAUSE in Venedig:
Impressionen einer außergewöhnlichen Stadt:
 
26. August 2022 / Venedig – Crespino:
Gestern Abend war ich schon nervös. Heute früh noch mehr. Ist schon komisch. Da freut man sich tagelang auf Venedig. Und dann bibbert man, wie man ohne Komplikationen wieder rauskommt. Meinen Wecker hatte ich auf 6 Uhr gestellt. Die Wäsche, die ich gestern gewaschen hatte, musste ich noch einpacken. Um 3/4 7 war ich bereit, stellte mein Rad in den Hof und bepackte es. Um Punkt 7 schob ich los. Mit knurrendem Magen, das Frühstück ließ ich aus.
Das Thermometer zeigte 20 °C an. Der Wetterbericht sagte 33 °C voraus. Einmal durch die hohle - nein durch die enge - Gasse nach rechts, dann noch einmal durch die noch engere Gasse nach rechts. Und ich war auf der Uferpromenade von San Marco. Über 3 Brücken musste ich schieben, bis ich die Schiffsanlegestelle A erreicht hatte. Allerdings waren die Stufen jeweils am Rand mit Platten ausgelegt, sodass das Schieben rauf und wieder runter kein Problem bereitete. Um 7 Uhr 05 war ich bei meinem Gate, kaufte mir mein Ticket und wartete gespannt auf mein Schiff - Linie 14.
JUHUUUU! Ich durfte einsteigen! Ein Felsbrock fiel mir vom Herzen.
Ich war drin. Der erste Schritt hatte geklappt. Linie 14 brachte mich nach Lido. Der Lido di Venezia ist der mittlere, Venedig vorgelagerte Teil einer Nehrung, die von Chioggia bis Jesolo reicht. Sozusagen der Hausstrand der Venezianer, aber auch der Touristen mit luxuriösen Hotels.
In Lido stieg ich aus und fuhr zur Fähre rüber. Fähre Nr. 17 war noch nicht da. Ich musste eine Dreiviertelstunde warten. In der Zwischenzeit kaufte ich mir mein Ticket und eine Flasche Mineralwasser. Die Fähre Nr. 17 parkte sich ein. Ich wusste erst gar nicht, wohin mich die Fähre bringen wird. Ich wusste nur, ich musste die Nr. 17 nehmen, sonst komm ich nicht nach Mestre.
Und los ging's. Ähm... Wir fuhren nach Venedig. Am Markusplatz vorbei, am Dogenpalast vorbei.
Ich fuhr mit zwei Schiffen mehr als zwei Stunden lang inklusive Wartezeiten vom Markusplatz um Venedig herum auf die andere Seite (Luftlinie 2,5 km), um im Hafen von Venedig - Tronchetto - wieder auszusteigen. Von da aus fuhr ich den Radweg neben der Straße auf dem Damm ("Ponte della Libertà") nach Mestre. Das war eine Fahrt mit der Kirche ums Kreuz. Aber Hauptsache es klappte!
Aus Mestre raus konnte ich Gott sei Dank eine weniger stark befahrene Straße nehmen, bis ich in Malcontenta, einem Vorort von Mestre, auf der SS 309 Richtung Südwesten weiterfuhr. Hier gönnte ich mir endlich mein Frühstück, bevor ich mich wieder auf die Strada del Inferno mischte.
Je weiter ich mich von Mestre entfernte, desto schwächer wurde das Verkehrsaufkommen. Ich fand auch ab und zu ein kleines Rastplatzerl. Fast schon idyllisch! Fast ....
Die letzten 20 km bis zu meinem Etappenziel Crespino war es vorbei mit dem Inferno, ich fuhr auf abgelegenen Straßen und erreichte schließlich den Po!
Der Poradweg ist zumindest hier kein richtiger Radweg, sondern eine Straße (eine sehr ruhige Straße). Aber vielleicht ändert sich das ja noch.
Ganz stressfrei erreichte ich um 15 Uhr 30 mein Quartier, einen Bauernhof, der Zimmer anbietet. Der Ortskern von Crespino war nicht weit entfernt. Ich machte mich auch gleich auf den Weg. Und ich glaub, ich landete in einem Haubenlokal. TOLLES Essen mit mehreren Gängen. Und der Preis war gar nicht gehoben. So gut und dabei preiswert hatte ich in Venedig bei weitem nicht gegessen.
Gesamtstrecke 95,36 km
Zeit in Bewegung 5 h 01'
Gesamtzeit 8 h 32'
Temperatur in der Früh 20 °C, tagsüber bis zu 33 °C
Sonne pur den ganzen Tag
Summe aller Steigungen: 136 m
 
to be continued ...