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#890116 - 12.12.12 23:04 Re: Korsika 2012 [Re: veloträumer]
veloträumer
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Diesmal gibt es etwas schwerere Bildungs-Kost...

KAPITEL 9 Kastanienwälder, ein Kölscher Jeck & Libertá, Mineralquellen und Panoramadörfer: Bozio, Castagniccia und Casinca

So 15.7. Pont de Piedicorte - Pont Genois d'Altiani (Ponte Laricio) - Altiani - Erbajolo - Col de San Cervone (899m) - Col de Casardo (1094) - Col de la Foata (834m) - Pianello - Col de Catarelli (646m) - Matra - Col de San Gavino (697m) - Chiatra - Alistro - Prunete - Moriani-Plage - San Nicolao - Cervione
96 km | 12,2 km/h | 7:50 h | 1385 Hm
W: sonnig, morgens 24 °C, danach nur wenig wärmer, max. ~ 27 °C
E: kors. Wurstplatte, kors. Suppe (Nudeln, Kart., kräftig), Lasagne m. Gulasch, Käse-Konf., Roséw, Crème Caramel, Cafe 27 € (Likör gratis)
Ü: C wild 0 €

Die weitgehend flache Strecke im breiten Golo-Tal endet für mich an der Ponte Laricio. Hier schließe ich fast wieder den Kreis mit Corte und Venaco bzw. Peridundella. Es folgen nun drei Regionen, die zusammen wiederum eine wichtige Kastanienregion bilden – die Castagniccia wurde demnach auch so benannt. Das Bozio am Anfang der Route ist die einzige dieser Regionen, die keinen Meerzugang hat. Entsprechend ist sie weniger dicht besiedelt, aber auch ärmer als die beiden anderen. Castagniccia und Casinca profitieren nicht nur von der Nähe zum Meer, sondern auch bereits von der Nähe zum korsischen Wirtschaftszentrum Bastia. Bozio und Castagniccia bilden zusammen mit dem Cortenais das Kerngebiet des modernen korsischen Unabhängigkeitsgedankens im Gegensatz zu dem kämpferisch-kriminellen des Südens.

Auch topografisch gibt es charakteristische Merkmale. Dramatische Schluchten gibt es hier nicht, vielmehr sind liebliche Hügel, zwischen denen sich die kleinen Täler recht komplex verästeln typischer. Trotzdem steigen die Passhöhen bis zu knapp über 1000 m hoch. Die Steigungen reichen von moderat bis anspruchsvoll – im Durchschnitt eher gemäßigt. Durch die verästelten Täler gibt es sehr viele geschlängelte Routen, sodass die Entfernungen recht groß werden können, obwohl mancher Ort greifbar nah in Sichtweite scheint. Diese Topografie führt auch zu einem sehr verästelten Straßennetz, sodass neben den von mir gefahrenen Strecken noch etliche Alternativen zu entdecken sind – mehr als in den anderen Regionen zuvor. Die Dörfer liegen fast immer in exponierter Lage – zumindest am Hang mit Talblick in den Binnenregionen – mehr noch mit weitem Blick auf das Meer an der Costa Verde. Der Charme dieser Dörfer erinnert wieder etwas an die Balagne am Anfang der Korsika-Tour.

Die erste, offene Auffahrt mit Ausblick auf das Hochgebirge jenseits im Westen führt gleich zu einer ersten kleinen Dorfperle – Altiani. Es folgen erste Eindrücke von Kastanienwäldern, in denen die alten Bäume zu großartigen Skulpturen auswachsen – jede in seiner Art einzig und den Visionen eines Vincent van Gogh nicht nachstehend. Es scheint, je mehr sie absterben, desto würdiger und reifer stellt sich die Zellulosekunst dar. Schattenpassagen wechseln mit Panoramastrecken. Versorgung ist in den Binnendörfern schwierig – in Erbajolo etwa werde ich auf Corte verwiesen. Letztlich bekomme ich ein Sandwich in Pianello – eine Gîte, wo auch kleine Gerichte gereicht werden. Davor und danach geht es immer wieder auf und ab, am Col de Casardo findet sich ein schöner Picknickplatz mit großem Brunnen. In einigen Talkehren zwischen Pianello und Moita gibt es Bademöglichkeiten, die aber nicht immer einfach zu erreichen sind (am besten in Matra).

Besonders am Col de San Gavino beherrscht das satte Grün der Farne die Hügel – das Blau des Meeres in der Ferne setzt sich umso eindrucksvoller ab. Nach dem letzten Hochpunkt Chiatra fährt man auf die Costa Verde zu, eine sehr beliebte wie belebte Strandregion. Nach ein paar Weinbergen folgen zweckmäßige Touristenorte und Ferienanlagen. Die Infrastruktur ist bestens – aber es fehlen organische Ortskerne.

In Moriani-Plage folgt man der D 34 nach San Nicolao hinauf, um zur Corniche de la Castagniccia zu gelangen – eine Panoramaroute mit ein paar Überraschungen. Dazu gehört insbesondere der Wasserfall Ucelluline. Er befindet sich zwischen 2 Tunnels in einer engen Felsnische und zeigt sich von der Straße aus gesehen mit einem schönen Doppelstrahl. Unterhalb befindet sich ein weiterer eindrucksvoller Strahl mit Badebecken – dort bin ich aber wegen der fortgeschrittenen Abendzeit nicht mehr hingewandert. Um die Badebecken zu erreichen, empfiehlt sich die Anfahrt und Wanderung von unten – dazu gibt es von der Küste eine weitere Zufahrtsmöglichkeit. Cervione ist dann ein traumhaftes Balkonstädtchen über der Costa Verde – geeignet für romantische Sonnenuntergänge wie auch Sonnenaufgänge. Und nach der römischen Hauptstadt Aléria mal wieder eine Hauptstadt – eine deutsche sogar!?

3. Exkurs korsische Unabhängigkeit: Theodor von Neuhoff war ein deutscher Adeliger aus Westfalen bzw. Köln, der – von der korsischen Unabhängigkeitsbewegung in der ersten Hälfte des 18. Jh. angeregt – sich nach Korsika aufmachte, um zum bisher einzigen König Korsikas ernannt zu werden. Dabei diente ihm Cervione als Amtssitz und seine Begeisterung für die Architektur von Versailles hinterließ in Cervione ein paar bescheidene Spuren. Die Episode dauerte ganze 8 Monate im Jahre 1736 und gründete auf leeren Versprechungen, die er den Revolutionären machte. Es gelang ihm, Waffen, Geld und Nahrungsmittel auf Kredit in einem Schiff nach Korsika zu bringen – die Hilfe war aber nicht nachhaltig. Es war aber nicht nur die Enttäuschung der Korsen, die ihn wieder von der Insel vertrieb, sondern auch die mangelnde Geschlossenheit der revolutionären Bewegung, in der die Reihen durch das Misstrauen und der damit verbundenen Vendetta geschwächt wurden.

Die amüsante wie skurrile Geschichte hatte ich bereits zum Gegenstand des Bilderrätsels Nr. 771gemacht. Insofern nur noch eine Bemerkung zu dieser humoristischen Darstellung von Theodors Wirken. Es mag ja sein, dass das Königreich Korsika mit einem deutschen Hochstapler eine Schnapsidee war – aber um wie viel besser sind eigentlich heutige Staatswesen? – Einer der Hauptvorwürfe war ja, dass Theodor seine Lieferungen nicht bezahlen konnte. Schulden machen für eine Staatsgründung – was ist daran aber so abwegig, wenn man die heutige Verschuldung der Staaten der Welt betrachtet? Sind nicht heutige Regierungen noch schalkhafter, wenn sie an einen Abbau der der Staatschulden gar nicht mehr ernsthaft erwägen? – Sind die öffentlichen Schulden heute nicht Notwendigkeit im Kampf gegen soziale Verelendung und politische Instabilität? – Immerhin hat Theodor in 8 Monaten einiges zustande gebracht, Münzen wurden geprägt, ein Stadt umgestaltet, Porto-Vecchio kurzfristig erobert, das korsische Unabhängigkeitssymbol – der Mohrenkopf mit Stirnband – als Zeichen der neuen Freiheit verbreitet. Was würde eine deutsche Regierung nach Amtsantritt in 8 Monaten schaffen? verwirrt – in einem Zeitalter hochmoderner, schnellster Information und Fortbewegungsmöglichkeiten wohlgemerkt.


Mo 16.7. Cervione - St-Andrea-di-Cotone - Ortale - Felce - Col d'Arcarotta (819m) - Piedicroce - Col de St-Christophe (794m) - Col de Prato (985m) - Morosaglia - Bocca a Serna (696m) - Bocca di Riscamone (591m) - Ponte Leccia - Ponte Nuovo - Accendi Pipa - Barchetta - Accendi Pipa
92 km | 14,1 km/h | 6:32 h | 1330 Hm
W: meist sonnig, < 25 °C, im Golo-Tal wärmer ~ 30 °C
B: Musée Pascal Paoli 2 €
E (Accendi Pipa): kors. Suppe, Wildschweingulasch m. Spaghetti, Mousse Ban., Roséw, Cafe 23,20 €
Ü: C wild (Hotelgelände) 0 €

Theodor von Neuhoff wurde im Kloster von Alesani gekrönt. Meine Route führt zwar durch so auch benanntes Tal, allerdings auf der anderen Talseite. Meiner Einschätzung nach müsste diese Route durch die Castagniccia auf der D 71 die schönere Variante sein. Die südliche Talroute kann man mit der nördlichen entweder in Vall-d’Alesani oder kurz unterhalb des Col d’Arcarotta zusammenschließen. Dem Namen seine Ehre machend führt die Strecke wieder an zahllosen Skulpturen der Kastanienbäume vorbei. Wer genau hinschaut, wird merken, dass in jedem Baum ein Geist wohnt. zwinker

4. Exkurs korsische Unabhängigkeit: Die Kastanie ist übrigens auch eine „Revolutionsfrucht“. Wieder eingeführt von den Genuesen im 13. Jh. wurde sie abgelehnt und der Widerstand formierte sich gegen die Besatzer in einem Kastanienaufstand. Die Vielseitigkeit machte die Marone aber bald zum Grundnahrungsmittel in Korsika und wurde zu einem wichtigen Beitrag gegen grundlegende Armut. Auch der spätere Revolutionsführer Pasquale Paoli erkannte das Potenzial eines gesättigten Volkes und setzte auf den verstärkten Anbau und Gebrauch der Kastanie. Noch mehr Revolutionsgeschichte gibt es am Kloster von Orezza (Piedicroce) zu beachten – das Gebäude wurde von der deutschen Wehrmacht 1943 bombardiert und zerstört. Die Ruinen liegen direkt an der D 71. Ich hatte es ebenfalls schon im o.a. Bilderrätsel erwähnt: Orezza war u.a. 1935 der Ort zur Unabhängigkeitserklärung der Korsen, die aber zunächst ohne praktische Folgen blieb bis auf die Monarchie-Episode mit Theodor von Neuhoff (vgl. auch o.a. Bilderrätsel).

DER Kopf der korsischen Unabhängigkeit, die 14 Jahre von Corte aus geleitet wurde, kam aber aus Morosaglia. Dieser Ort liegt bereits jenseits des höchsten Punktes der gesamten Strecke von Cervione nach Ponte Leccia – westlich dem Col de Prato. Mit Fensterblick auf die Berge hinter Corte kann man in Morosaglia das Geburtshaus von Pasquale Paoli besichtigen. Neben dem Fensterblick samt Schreibtisch sind wichtige Dokumente ausgestellt, Büsten und Bildnisse von Paoli bzw. seinen Mitstreitern, Revolutionsrevolver und angrenzend zum Museum kann man auch einen Blick auf die Familienkrypta werfen. Informationen zu den einzelnen Positionen bekommt man in einer Mappe in schriftlicher Form leihweise ausgehändigt, einführend gibt es ein Video zu sehen.

Pasquales Vater, Giacinto Paoli, war bereits einer der führenden Köpfe der korsischen Unabhängigkeitsbewegung und Mitunterzeichner der Erklärung von Orezza. Als solcher galt er als Gegner der Genuesen, die ihn nach der Königs-Episode von Theodor I. zur Emigration zwangen. Der sodann 21-jährige Pasquale nutzte seine Zeit in Neapel zu einer umfangreichen Universitätsausbildung in Politik, Wirtschaft und Sprachen, machte Karriere in der neapolitanischen Armee. Als Paoli 1755 nach Korsika zurückkehrte, begann er einen korsischen Staat aufzubauen. Paoli hatte im Gegensatz zu vielen anderen Revolutionären erkannt, dass eine sich selbst tragende Unabhängigkeit nur über die Bekämpfung der ländlichen Armut führt – zu Lasten des Adels. Dass er dem Adel Privilegien abringen konnte ist ebenso bemerkenswert wie sein entschlossener Kampf gegen die Vendetta, ohne dass er selbst deren Opfer wurde. Er drohte jedes Haus eines Vendetta-Mörders abzubrennen, was symbolisch dem Abschneiden der Wurzeln gleich kam.

Paoli war aber noch mehr als nur ein korsischer Staatsführer. Er war ein Vorkämpfer der Ideale der französischen Revolution im Sinne von Montesquieu und führte die parlamentarische Demokratie und Gewaltenteilung mit einer unabhängigen Justiz bereits über 30 Jahre vor der französischen Revolution ein. Auch erlag er nicht später der Machtfaszination eines Napoléon und wurde zu einem seiner schärfsten Kritiker. Spätere Verhandlungen in Orezza, um die verlorene Unabhängigkeit wieder zu gewinnen, wurden aber von Napoléon abgeschmettert. Den Wiener Kongress erlebte er nicht mehr, er starb 1807 im Londoner Exil, die Überreste wurden 1889 nach Morosaglia überführt.

Zu den sozialen Errungenschaften gehörte auch die Einführung von Grundschulen und der Aufbau einer Universität; Pressefreiheit gewährte die freie Entfaltung des Wissens. Paoli setzte alles das für sein Volk um, was er selbst in seinem Werdegang erleben durfte und noch mehr – was er gelernt hatte. Die Genuesen konnte er nicht vollständig vertreiben – vor allem die nordische Bastion Calvi blieb erhalten. Allerdings waren die Genuesen geschwächt, das ehemalige Seefahrerreich verarmte. Die Genuesen verkauften Korsika an die Franzosen, die sodann ihre Macht auf der Insel durchsetzen wollten. Nach einem ersten gescheiterten Versuch fand 1769 die entscheidende Schlacht an der Pont de Ponte Novu statt. Die Episode der korsischen Unabhängigkeit war beendet. Die Brückenreste stehen im mittleren Golo-Tal, ebenfalls noch im Verlauf der heutigen Etappe gelegen. Es spricht auch für sein strategisches Geschick, dass er noch rechtzeitig fliehen konnte.

Nicht verbrieft ist, dass er das Symbol der Korsen – den Mohrenkopf mit Stirnband – in entscheidender Weise verändert. Ursprünglich trug der Mohrenkopf eine Augenbinde, von nun an saß die Binde auf der Stirn – als Zeichen der Befreiung von der Sklaverei. Vor dem Hintergrund des Gedankenguts der Aufklärung könnte man auch sagen: Mit zukunftsweisendem Blick. Das Joch der Vendetta zu brechen, gehört auch in diese Symbolwirkung. Es ist wohl sehr erstaunlich, dass trotz der Verehrung, die Paoli in Korsika genossen hat und noch genießt, die Vendetta sich bis weit in das 20. Jahrhundert halten konnte – und zwar als „Regeljustiz“. Das war ein offener Widerspruch zur Identitätsfigur Paoli. Es so auch kein Zufall, dass für einige Korsen noch heute Sampiero Corso die wichtigere Leitfigur ist.

Es ist allerdings auch kein Zufall, dass der nicht aufgelöste Widerspruch zwischen dem Unabhängigkeitsanspruch und der Paolischen Friedens- und Toleranzkultur sich bis heute in der Unabhängigkeitsbewegung der Gegenwart fortsetzt. Die FLNC (Frontu di Liberazione Naziunalista Corsu National, 1976 gegründet) verfolgt diffuse Unabhängigkeitsziele nach wie vor mit Bombenterror. Mit Stand vom 8. Dezember dieses Jahres gab es 2012 insgesamt 55 Anschläge mit 17 Toten. Allein in einer Symbolnacht vom 7. auf den 8. Dezember gingen an unterschiedlichen Orten insgesamt 24 Bomben hoch – alle richteten sich gegen unbewohnte Zweitwohnsitze. Der FLNC und alle Korsen, die mit der Scheinheiligkeit von „Unabhängigkeit“ sympathisieren, sollten wissen, dass sie die Ideale und das Werk von Pasquale Paoli verraten. Was Paoli wollte ist das moderne demokratische Frankreich. Es war gewiss ein schwerwiegender Fehler, das Dekret der regionalen Unabhängigkeit erst 1991 auf wesentliche Elemente wie die offizielle Verwendung der korsischen Sprache zuzulassen – da hat Paris über Jahrzehnte viel Porzellan zerschlagen. Nunmehr sind es aber wieder zwei Jahrzehnte, die keinen Vorwand mehr für Terror liefern – nicht einmal für eine friedliche Unabhängigkeitsforderung.

Ich gehöre gewiss zu denen, die regionale Eigenständigkeit begrüßen und gern auf meine Reisen erleben wollen – ob im Baskenland, in Katalonien, Südtirol, Korsika oder gar in Bayern. Für eine sinnstiftende Unabhängigkeit gibt es in keiner dieser Regionen eine nachhaltige Begründung. Die meisten Motive sind niedriger Natur – populistisch formulierte kurzfristige Vorteile auf Kosten der nationalen Entsolidarisierung, die auf lange Sicht keinen Bestand haben. Ein unabhängiges Katalonien oder Bayern würde kurz nach dem Tag X nur an der Tür der EU stehen und um Spendentöpfe betteln. Für Korsika gilt das noch umso mehr, steht die Insel wirtschaftlich gesehen doch recht schlecht dar. Regional autonome Regionen hingegen verschaffen sich positive Entwicklungen in Wirtschaft und Bildung – etwa über die Zweisprachigkeit und die Handelsbeziehungen. Kleinstaaterei würde diese Vorteile nur aufzehren.

Glücklicherweise sind immer mehr Korsen diesen Terror leid und wollen auch nichts mehr von Unabhängigkeit wissen. Der Hintergrund nahezu aller Attentate sind ohnehin nur niedrige Motive von Spekulation und Machtdemonstration. Es gibt in Korsika Parteien, deren Wahlplakate eindeutig die Abscheu gegenüber diesen Fehlgeleiteten artikulieren. Leider gibt es aber immer noch zu viele Korsen, die das Schweigegelübde zu hoch hängen. Das Wort Ehre wird fast überall auf der Welt politisch oder religiös missbraucht – früher wie heute und mit Pathos. Liebe Korsen, ihr habt so eine schöne Insel, macht eure Klappe auf und wehrt euch gegen eure Verräter! Denkt an Pasquale Paoli! Ihr braucht keine Touristen anzumurren – die Feinde sitzen bei euch selbst herum!


Paoli konnte von seinem Heimathaus weit herüber in den Westen auf die Berge bei Corte Blicken. Überlebensgroß steht noch eine weiße Statue am Ortsausgang, die ebenso weit in die Landschaft blickt wie der Geist Paolis gewesen ist. Die Westseite nach Ponte Leccia ist völlig offenes Gelände, es empfiehlt sich also bei Hitze besser die von mir gewählte Ost-West-Richtung zu wählen. Mir kam kurz vor Morosaglia ein Reiseradlerpaar aus Lille entgegen, die ich noch zweimal auf der Reise wiedertraf. Es war ein sehr stilles Paar, ich konnte auch eigentlich nur mit ihm sprechen. Allerdings waren sie sehr gut koordiniert und sehr stark im Tritt.

Für die Restroute war mal wieder die Verpflegungssituation ungünstig. So musste ich Tageszeit verschenken, weil der Aufstieg von Barchetta in die Casinca-Region nicht mehr zu einem Speiselokal gereicht hätte. Der einzige Ort dort mit Restaurant ist Ortiporio – oder bereits weit unten im nächsten Tal La Porta. Auch in dem Durchgangsort Barchetta mit einer Fabrik gibt es nur zwei Bars ohne richtiges Essen. So bin ich zu einem einzeln stehenden Hotel an der N 193 zurückgefahren, wo ich auf Nachfrage im Hotelgelände mein Zelt aufschlagen durfte (ansonsten schwierig in diesem Talbereich, Camping allerdings vorher bei Ponte Novu vorhanden).

Di 17.7. Accendi Pipa - Barchetta - Campile - Ortiporio - Col de St-Antoine (687m) - La Porta - Source de Caldane - Folelli - Cruciata - Venzolasca - Vescovato - Venzolasca - Col de St-Agostino (685m) - Loreto-di-Casinca - Bocca di Carcherone (623m) - Olmo
86 km | 12,3 km/h | 6:57 h | 1330 Hm
W: sonnig, ~ 25 °C
E: Blinis m. Käse, Hähnchen m. Spinat-/Eierku., Rw, Kastanienku., Cafe 25,- (+)
Ü: C wild 0 €

Zum Col de St-Antoine führen zwei Straßen von Barchetta aus. Die direktere Line D 15 führt entlang eines kleineren Flusses, der auch Gumpen bildet. Das konnte ich von unten aus erkennen. Weniger schattig, dafür aber mit mehr Aussicht und charmanten Dörfer an der Strecke ist hingegen die D 515. Nach Campile, dem ersten Ort nach der recht steilen Auffahrt, gibt es auch eine Querverbindung vom Bocca a Serna unterhalb von Morosaglia, die halbhoch über Bisinchi führt. Auf diesem Wege würde man allerdings die Pont de Ponte Novu verpassen. Am St-Antoine-Pass steht ein zwar gut erhaltenes, aber wohl geschlossenes Kloster.

La Porta ist eine kleine Perle, die einer Talnische liegt. Laut dem Radlerreisepaar gibt es dort auch einen Camping, den ich aber nicht sehen konnte. Kleine Unterkünfte und Restaurants sind aber in jedem Fall vorhanden. An der Strecke entlang des Fium Alto liegen zwei gut zugängliche Mineralquellen – sprudelnde Erfischung. Bekannt für sein Mineralwasser ist Orezza – wenig unterhalb der vortags erwähnten Klosterruine. Im unteren Bereich de Fium Alto an der Straßenbrücke gibt es eine schöne Badestelle, ebenfalls mit eine paar Ruinen – wohl einer alten Brücke.

Für ein kurzes Stück muss ich über die stark befahrene N 198 fahren. Ich zweige auf die D 37 ab – eine Straße zu früh wie geplant, sodass ich in Venzolasca noch eine stichförmigen Abstecher nach Vescovato mache, welches ebenfalls wegen seiner Schönheit gerühmt wird. Die Schönheit ist hier aber allen Dörfer gemein. Von allen kann man weit aufs Meer schauen, sie liegen auf Hügeln und krönen diesen in typische korsischer Weise. Die Strecke zum Col de St-Agostine stellt einen weiten Bogen dar, der nach der Meerblickpassage oberhalb des Alto-Tals verläuft. Fortan ist die Strecke etwas weniger spannend, ab Passhöhe geht es zunächst noch weiter hoch, bis man nach Loreto-di-Casinca herunterfährt. Loreto ist wieder ein solch hübsches Aussichtsdorf – an diesem Abend auch sehr belebt wegen eines Festes. Auf dem Weg nach Olmo liegt nochmal eine kleine Passhöhe, sodann liegt einem das Meer in der Ferne zu Füßen. Das weitgehend wohl nur von Korsen besuchte Restaurant in Olmo ist zu empfehlen – leider gibt es dort keine Unterkunftsmöglichkeiten. Mein Übernachtungsplatz bleibt wiederum geheim.

Bildergalerie zu Kapitel 9 (155 Fotos):



Fortsetzung folgt
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Matthias
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Geändert von veloträumer (12.02.19 19:07)
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Betreff von verfasst am
Korsika 2012 veloträumer 30.11.12 23:14
Re: Korsika 2012 Radreisender 30.11.12 23:18
Re: Korsika 2012  Off-topic veloträumer 30.11.12 23:23
Re: Korsika 2012 veloträumer 30.11.12 23:20
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Re: Korsika 2012  Off-topic lufi47 20.02.13 09:12
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