Thrombosegefahr bei Langstreckenflügen
Schadensersatz von der Airline?
Landgerichts Frankfurt am Main
Az.: 2-21 O 54/0
Urteil vom 29.10.2001
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung von DM 2.800,-- abzuwenden, sofern nicht die Gegenseite zuvor Sicherheit in gleicher Höhe hinterlegt hat.
Tatbestand:
Der Kläger ist am 01.06.1946 geboren, 180 cm groß und vor dem streitgegenständlichen Flug nach seinen Angaben völlig gesund gewesen.
Am 24./25.04.2000 flog er von Frankfurt am Main über Johannesburg nach Kapstadt. Am 02./03.05.2000 kehrte er auf gleichem Wege zurück, wobei er anschließend noch von Frankfurt am Main nach Hamburg flog. Er benutzte die sog. Economy-Class. Es handelte sich um eine Maschine des Typs Boeing 747-400. Der Kläger saß jeweils am Fenster. Der Sitzabstand beträgt 81 cm.
Der Kläger behauptet, durch die Enge der Sitzplätze sei es bei ihm sowohl auf dem Hin- wie auf dem Rückflug zu einer Lungenembolie infolge einer Thrombose gekommen. Der Kläger habe nach Rückkehr von der Reise mehrere Tage auf der Intensivstation gelegen, befinde sich bis heute in ärztlicher Behandlung, sein Leistungsvermögen sei bis auf weiteres eingeschränkt. Er sei auf die Einnahme von Medikamenten angewiesen.
Der Kläger ist der Meinung, die Beklagte bestuhle ihre Flugzeuge unangemessen eng, setze ihre Passagiere dadurch gesundheitlichen Risiken aus, ohne sie ausreichend darauf hinzuweisen. Die Beklagte hätte dadurch eine allgemeine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Er verlangt ein Schmerzensgeld und beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von DM 15.000,-- zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, unter keinem Gesichtspunkt zu haften. Das Flugzeug habe eine internationale Betriebserlaubnis. In der Economy-Class dürfe der Sitzabstand 76 cm betragen. Bei der Beklagten sei er auf 81 cm erweitert. Die Sitze seien speziell von der Firma Recaro angefertigt , und auf besonderen Comfort bedacht. Auch sei nach der Konstruktion ausreichend Beinfreiheit jeweils unter die Sitze des Vordermannes gegeben, selbst wenn dort kleinere Gepäckstücke verstaut wären. Wem der Sitzabstand von 81 cm zu knapp ist - z. B. aufgrund seiner Körpergröße - habe die Möglichkeit, in der Business-Class zu buchen. Dort betrage der Sitzabstand 100 cm, allerdings müsse der Passagier mehr bezahlen.
Die Beklagte trägt vor, sie habe 1999 40 Millionen Passagiere befördert. Kein Fall einer Thrombose sei ihr bekannt geworden.
Daß längere Bewegungslosigkeit generell und nicht nur in Flugzeugen zur gesundheitlichen Beeinträchtigung führen kann, wisse Jedermann. Sie - die Beklagte - reagiere in Langstreckenflügen durch einen den Passagieren vorgespielten medizinisch-sportlichen Film von 10 Minuten Dauer, in dem Bewegungsübungen für Füße und Beine vorgeschlagen werden. Dieser Film lief auch in beiden Flügen des Klägers.
Schon in den 90er Jahren habe die Beklagte eine Doktorarbeit der Medizinischen Fakultät der Universität Frankfurt am Main unterstützt, die die Thrombosegefahr bei Flügen zum Gegenstand gehabt hat. Ergebnis dieser Arbeit sei es gewesen, daß es kein über das übliche Risiko hinaus gehendes gibt. Das Risiko einer Thrombose betrage in Deutschland im Schnitt auf Lebenszeit 1:1000.
Im übrigen bestreitet die Beklagte, daß der Kläger eine Thrombose bzw. Embolie erlitten habe, jedenfalls aber die Kausalität zu dem Flug.
Der Kläger legte einen Artikel aus der Ärztezeitung vor (BI. 65 d. A.), ausweislich dessen 1.000 Passagiere von 42 Millionen Flugreisenden von einer Thrombose befallen werden.
Die Beklagte verweist auf einen Artikel des ADAC, wonach es zu den beschriebenen Symptomen auch bei längeren Busreisen und Autofahrten kommen kann.
Die Dissertation von A. R. der Medizinischen Fakultät Frankfurt am Main 1996 vorgelegt, ist Gegenstand des Verfahrens.
Auf den übrigen Aktenstand wird ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage war abzuweisen.
Artikel 17 WA (Warschauer Abkommen) greift vorliegend nicht, da es sich bei dem von dem Kläger behaupteten Schadensbild nicht um einen Unfall nach dem Verständnis des WA handelt (vgl. Abramson v. Japan Airlines, Entscheidung des United States Court of Appeals vom 19.07.1984, Transp.R. 85/391 f.). Artikel 24 WA eröffnet deshalb die Möglichkeit, nationales Recht anzuwenden.
Vorliegend käme ein Anspruch aus positiver Forderungsverletzung in der Form der Verletzung einer nebenvertraglichen Pflicht, insbesondere einer Verkehrssicherungspflicht, in Betracht. Ein Pflichtverstoß führte theoretisch zu einer auch deliktischen Haftung mit der Folge eines Schmerzensgeldes (vgl. Palandt/Thomas, BGB 60.Aufl. § 823 Rd.Nr. 202 f mit Nachweisen).
Die Kammer kann aber angesichts aller Tatumstände keine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht erkennen.
Selbst unterstellt, der Kläger hat sich während beider Flüge nicht bewegt und infolge dessen eine Thrombose und bedingt hierdurch eine Lungenembolie erlitten, ist dies doch nicht der Beklagten anzulasten.
Nicht zuletzt durch die in den Medien breit herausgestellte Rechtsprechung in den USA zur Produkthaftung hat sich auch in Deutschland zunehmend die Einstellung verfestigt, es gebe kein allgemeines Lebensrisiko mehr. Dies verkennt, daß unsere Umwelt durch zahlreiche Entdeckungen und Erfindungen auf dem Gebiet der Chemie und Technik im höchsten Grade gefährlich geworden ist. Von diesen Gefahren weiß jeder mündige Bürger, der Zeitung liest, Fernsehen schaut und seine Umwelt aufmerksam beobachtet. Chemie in Form von z. B. Medikamenten, aber auch Technik aller Art bietet im täglichen Leben ungeahnte Erleichterungen, Bequemlichkeiten, wirken u. U. lebensverlängernd, aber nur, wenn man die ihnen zwangsläufig innewohnenden Gefahren sorgfältig im Auge behält und vermeidet.
Die heute geltenden Produkthaftungsgesetze verpflichten die jeweiligen Hersteller lediglich, keine außergewöhnlichen Gefahren zu schaffen und auf Fährlichkeiten hinzuweisen, die der normalverantwortungsbewußte Konsument nicht bei gehöriger Obliegenheitssorgfalt auch selbst erkennen muß.
Keinesfalls ist es den Produktherstellern anzusinnen, den Verwendern jedes Lebensrisiko abzunehmen, sie gewissermaßen Unmündigen gleichzustellen.
An diesen Maßstäben sind die Sorgfaltspflichten im vorliegenden Fall zu messen.
Zunächst ist einmal festzuhalten, daß eine Flugreise immer gefährlich ist, wie gerade wieder die jüngsten Ereignisse drastisch gezeigt haben, allerdings statistisch weniger gefährlich, als das Auto, auf das deshalb gleichwohl niemand verzichten will. Weiter zeigt der gegenwärtige wirtschaftlich bedrohliche Rückgang an Flugreisen, daß eine Vielzahl solcher Reisen keiner zwingenden Notwendigkeit entspringen. Der Kläger trägt hierzu nichts vor. Handelt es sich aber lediglich um ein Freizeitvergnügen, sind die damit verknüpften Fährnisse auch anders zu betrachten, als etwa bei Geschäftsreisen. In diesem Fall wäre an einen Arbeitsunfall zu denken und dem Arbeitgeber der Vorwurf zu machen, den billigsten Flug gewählt zu haben.
Auch vorliegend war es dem Kläger bei seiner Körperlänge unbenommen - natürlich teurer - in der Business-Class zu fliegen. Dann hätte der Sitzabstand 100 cm betragen. Die Beklagte bietet diese Möglichkeit jedenfalls an und hat in ihrer Klageerwiderung auch zutreffend darauf verwiesen.
Zu bedenken ist weiter, daß nach einer von dem Kläger selbst vorgelegten Statistik lediglich 1000 Thrombosen auf 42 Millionen Flugpassagiere kommen. Das bedeutet einen Prozentsatz von 0,000023809 und kann schon deshalb nicht Anlaß gesteigerter Verkehrssicherungspflichten sein.
Weiter bietet die Beklagte - gerichtsbekannt - filmisch auf jedem längeren Flug ein Bewegungsprogramm an, verweist also ausdrücklich auf die Notwendigkeit zur Beingymnastik. Dabei ist zu bedenken, daß diese Notwendigkeit ohnehin jedem Autofahrer bekannt ist. Auch hier sind nach längeren Strecken Bewegungspausen einzulegen. Zutreffend weist die bei der Akte befindliche ADAC-Studie (BI. 106 d. A.) darauf hin, daß das Thrombose-Problem ebenso bei längeren Bus- und Autofahrten besteht.
Es ist auch nicht so, wie es der Kläger vorträgt, daß es im Flugzeug unerwünscht ist, wenn Passagiere sich Bewegung verschaffen wollen. Schon der ab und an üblicherweise notwendige Toilettengang kann hierzu verwandt werden.
Schließlich hat sich die Beklagte schon Mitte der 90er Jahre auf den aktuellen Wissensstand zur Thromboseproblematik bei Flügen gebracht. Sie hat eine aufwendige, teure Studie finanziell unterstützt, indem sie ein Flugzeug zur Verfügung gestellt hat.
Nach der Dissertation beschäftigten sich Mediziner erstmals seit Mitte der 80er Jahre intensiver mit der Beinvenenthrombose bei Flügen und fanden vereinzelte Hinweise in Krankenunterlagen. 1992 gab es eine erste wissenschaftliche Felduntersuchung, aber ohne signifikantes Ergebnis (Vanselow). 1993 findet sich eine weitere Veröffentlichung zu diesem Thema (Tardy). Sie beschäftigt sich mit sämtlichen Reiseformen: Flug-, Auto-, Zug-, Lastwagen- und Busreisen. Tardy bezeichnete folgerichtig die Thrombose ganz allgemein als "Reisethrombose". Noch zutreffender dürfte sie als "Sitzthrombose" bezeichnet sein, denn sie kann ebensogut bei längerem Sitzen im Kino, Theater oder längeren Sportveranstaltungen eintreten.
Ursache ist in allen Fällen, das erläutert die zitierte Dissertation, die dem menschlichen Körper physiologisch nicht angepaßte Sitzhaltung. Sie staut das Blut in den abgeklemmten Beinvenen.
Der Dissertation liegen eine Reihe, nach Überzeugung der Kammer und wohl auch der medizinischen Fakultät der Universität Frankfurt am Main aussagekräftig aufgebauter Versuche zugrunde, die die Autorin während eines Fluges einer Boeing 747-400 von Seattle nach Frankfurt am Main an insgesamt 18 Versuchspersonen vorgenommen hat. Die Sitzabstände betrugen 32 Zoll (81,3 cm). Die Flugbedingungen entsprachen jenen eines normalen Linienfluges. Das Ergebnis lautet, daß bei gesunden Personen kein erhöhtes Risiko einer tiefen Beinvenenthrombose zu erkennen ist. Die Dissertation gibt lediglich einige Empfehlungen, z. B. die ausreichende Flüssigkeitszufuhr, keinen Alkohol, kein Nikotin, Vorsicht mit Ovulationshemmern. Im übrigen sollte der Hausarzt vor Flugantritt konsultiert werden - alles Ratschläge, die sich eigentlich jedem Erwachsenen, der seine eigenen Interessen vernünftig im Auge behält, aufdrängen (vgl. zum Mitverschulden gegenüber Verletzungen von Verkehrssicherungspflichten: Palandt/Heinrichs, a.a.O. Aufl., § 254, Rd.Nr. 25 ff.).
Aus alledem folgt, daß das Thromboserisiko bei Langstreckenflügen nicht höher ist, als bei jeder anderen sitzenden Tätigkeit auch, daß die Beklagte also keine gesteigerte Gefahr geschaffen hat mit der Folge gesteigerter Verkehrssicherungspflicht. Soweit von dem Flug eine Gefahr ausgeht, begegnet die Beklagte dieser in ausreichender Weise, indem sie spezielle Sitze mit größtmöglicher ergonomischer Anpassung anbietet. Außerdem weist sie auf jedem Flug durch Filme auf die Notwendigkeit gymnastischer Beinübungen. Schließlich bietet sie die Möglichkeit größerer Beinfreiheit in einer separaten Flugklasse an. Mehr ist der Beklagten nicht abzuverlangen, wohl aber den Passagieren, dem durch den Flug freiwillig übernommenen gesteigerten allgemeinen Lebensrisiko durch geeignete Bewegung zu begegnen.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Ziff. 11, 711 ZPO.
Quelle:
http://www.ra-kotz.de/thrombose_flugzeug.htm