Hallo!
Meine selbst genähte Regenkombi für das Liegerad hat auf meiner Slowakei-Tour einen ziemlich ausgiebigen Praxistest gut überstanden. (Die normale Regenbekleidung, die ich letztes Jahr in Bosnien verwendet hatte, war fürs Liegerad bestenfalls suboptimal.)
Falls jemanden von euch meine Lösung interessiert, stelle ich sie hier, zusammen mit den wichtigsten zugrunde liegenden Überlegungen vor:
So schaut das Regengewand aus, nicht schön, aber praktisch und vielseitig:
Dazu wäre noch ein bisschen was zu schreiben:
Diese Regenkombi ist ein Prototyp ohne Schönheitsfantasien. Sie soll ihren Dienst tun, und das ohne all zu großem Designaufwand. Ich habe einfach Schnitte, die ich noch von früher her hatte, für die neue Aufgabe adaptiert. Wenn ich die nächste Regenkombi nähen muss, kann ich mich ja weiter im Optimieren üben.
Der Einsatzbereich liegt v.a. bei Radtouren, vom Klima her muss auch kaltes und sehr nasses Wetter damit überstanden werden können, also auch stundenlanges Radeln im Dreckswetter in Norwegen (nicht überall findet sich eine gemütliche Unterkunft) oder nasses Radeln im Herbst.
Das führt zu weiteren Anforderungen: Unter die Hose muss auch eine relativ dicke Thermohose passen, unter den Anorak müssen ein dickes und ein dünnes Vlies passen. Die Regenhose muss oben so weit sein, dass die Vliesjacken in die Hose gesteckt werden können. Sonst saugen sie sich von unter her voll und werden nasser als nötig. Das macht die Regenbekleidung nicht laufsteg-tauglich.
Beim Liegerad besteht das größte Problem darin, dass das Wasser v.a. in der "falschen" Richtung auftrifft, also in Fahrtrichtung von vorne unter die Regenbekleidung gedrückt wird. Ein weiteres mögliches Problem habe ich darin gefunden, dass es am Liegerad einen Luftzug zwischen den Beinen gibt, der am Upright nicht vorkommt. Wenn es kalt ist, kann das eine Blasenentzündung oder Schlimmeres bewirken.
Mein Konzept einer Regenkombi schaut so aus: In Ländern, in denen es oft regnen und kalt werden kann, fahre ich mit knöchelhohen, wasserdichten Schuhen. Die Regenhose habe ich oben wie unten deutlich länger geschnitten, damit sie wirklich zuverlässig den Schuh oben abdichtet. (Da schwächeln die mir bisher bekannten Regenhosen trotz meiner durchschnittlichen Figur und Länge alle. Die größeren Größen sind breiter, aber nicht länger als die kleineren. Ich bin kein Elefant, ich habe nur mittellange Beine.)
Da Übergänge zwischen Bekleidungsteilen immer ein Dichtigkeitsproblem darstellen, ziehe ich darüber Gamaschen, die die Sohle, abgesehen von den Schuhspitzen, frei lassen. Sie lassen sich auch leicht von der Schuhspitze lösen, daher kann ich auch gut damit zu Fuß gehen.
Die Regenhose habe ich Obelix-stylish in der Art einer Fischerhose geschnitten, damit kein Wasser von vorne über den Bund hinein gedrückt werden kann.
Der Schnitt des Anoraks stammt von einer uralten Windbluse zum Schifahren, er ist so einfach, dass er kaum verbesserbar ist. Auch den Anorak habe ich am Bund und an den Ärmeln etwas länger geschnitten, da am Liegerad eine gewisse Tendenz zum Hochrutschen besteht. Um den Anorak flexibel einsetzbar zu machen, habe ich einen durchgehenden Reißverschluss verwendet. Anders als bei Outdoor-Anoraks verläuft er schräg. Er ist "wasserdicht". Das bedeutet de facto so gut wie wasserdicht, aber ohne Perfektionsanspruch. Der RV ist mit einer Lasche abgedeckt.
Beim Liegeradeln bildet das abrinnende Wasser am Bauch leicht eine stehende Lacke. Durch den schräg eingenähten RV ist der RV aus dem gefährdeten Bereich genommen.
Vorne hat der Anorak einen einzippbaren Lendenschurz, der beim Radeln zwischen die Beine genommen wird und Wasserzufuhr und Fahrtwind ausgesprochen effektiv reduziert. Bei leichtem Regen reicht dadurch oft der Anorak alleine. Die Lehne hat eine wasserdichten Überzug bekommen, sie bleibt darunter trocken.
Als Brillenträger wechsle ich bei stärkerem Regen von der Gleitsichtbrille auf die Lesebrille, dazu stecke ich ein Kappl mit großem Schirm unter die Kapuze. Das funktioniert. Bei diesem Prototypen habe ich noch auf das Experiment mit einer an die Kapuze angenähtem Schirm verzichtet. Das dürfte eher schwierig werden, da beim Liegeradeln ein ziemlich großer Schirm nötig ist, um das Gesicht halbwegs gut zu schützen.
Für die Hände habe ich Abwaschhandschuhe, innen mit Baumwolle beflockt, mit.
Allgemein:
Alle Öffnungen und Übergänge zwischen Kleidungsstücken haben Bündchen mit Bändern mit Schnellverschlüssen, um gut verschlossen werden zu können. Ich habe mit so wenigen Nähten wie möglich gearbeitet. Jede weg gelassene Schwachstelle spart potentiellen Ärger.
Die Nähte habe ich mit aufgebügelten Nahtdichtbändern angedichtet. Auch diese funktionieren. Das Aufbügeln ist nicht schwierig.
Anorak und Hose habe ich aus wasserdichtem und atmungsaktivem Material, das ich bei extremtextil bekommen habe, genäht. Es erfüllt die Anforderungen gleich gut wie z.B. mein teurer Gore Tex-Anorak von Mammut. (Das ist natürlich nur eine subjektive Wahrnehmung, messen kann ich das nicht.)
Die Gamaschen habe ich aus Resten eines alten Zeltes genäht. Auch sie funktionieren. Der Überzug des Sitzes besteht aus relativ leichtem, wasserdichtem und nicht atmungsaktivem Nylon. Er hält offenbar einiges aus.
Praktische Erfahrungen:
Die Kombi atmet, wie sie soll. Wenn sie nass ist, kann sie das natürlich nicht. Aber die physikalischen Bedingungen kann auch Gore Tex nicht verändern, selbst wenn sie das in der Werbung gerne suggerieren. Sie bleibt auch bei langem, heftigem Regen dicht.
Seltsamer weise haben sich die aufgebügelten Bänder beim Waschen an ein paar Stellen gelöst. Das war schnell wieder aufgebügelt (sie sind dafür gebaut, dass sie mehr als einmal aufgebügelt werden können, es ist also kein Malheur), sollte aber nicht passieren. Den Grund dafür konnte ich nicht eruieren. Ich tippe am ehesten auf handwerkliche Fehler von mir. Ich werde sehen, ob sie bei der nächsten Wäsche Ruhe geben.
An der Vorderseite des Anoraks würde ich beim nächsten Modell eine kleinere Tasche aufnähen, um das Brillenfutteral hinein stecken zu können. Die Nähte einer aufgesetzten Tasche lassen sich innen zuverlässig abdichten, eine hineingeschnittene ist nie dicht zu bekommen.
Ich bin mit dieser Regenkombi zufrieden. Sie ist billig und erfüllt die Anforderungen weit besser als das Zeug von der Industrie. Dazu widerlegt sie wieder einmal die Mär, dass nur die Profis mit ihren Spezialmaschinen so etwas zusammenbringen. Eine brauchbare Nähmaschine, ein Bügeleisen und zwei nicht allzu linke Hände, dazu etwas Hausverstand genügen.
Wie lange sie halten wird, kann ich natürlich noch nicht sagen. Die selbst genähten Packtaschen verwende ich jetzt 15 Jahre, und sie sind nach wie vor robust und völlig dicht.
Vielleicht bringt dieser Kurzbericht die eine oder andere Anregung für manche von euch.
lg!
georg