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#1067212 - 10.09.14 11:26 Mit Claudia über die Via Claudia
joeyyy
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abwesend abwesend
Beiträge: 999
Dauer:10 Tage
Zeitraum:22.8.2014 bis 31.8.2014
Entfernung:730 Kilometer
Bereiste Länder:deDeutschland
itItalien
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chSchweiz
Externe URL:http://www.gondermann.net

Tiberius Claudius Caesar Augustus Germanicus, Pontifex maximus, Tribuniciae potestatis XIV, Consul V, Imperator XXVII, Pater patriae (kurz: Claudius - nicht zu verwechseln mit Augustus) war ein vorausschauender und in Zusammenhängen denkender Mensch. Hungersnöte der Römer brachten ihren Kaiser, der dem tyrannischen Caligula folgte und dem der Nero folgte, auf den Gedanken, die fernen römischen Provinzen über durch Fuhrwerke befahrbare Transportwege an Rom anzubinden.

Zum wichtigsten Weg zwischen süddeutschem und norditalienischem Raum wurde die Via Claudia, ein Karrenweg über Fern- und Reschenpass, der den Namen des Emperators aus dem ersten Jahrhundert trägt. Er war schlicht der einfachste Weg von der Donau über die Alpen zur Adria. Und ist es heute immer noch.

Und somit für Radtouren im Allgemeinen und Tandemtouren im Besonderen besonders gut geeignet.

Somit ist unsere Tandem-Reiseplanung 2014 der Weitsicht eines römischen Kaisers zuzuschreiben: Mit Claudia über die via claudia.

Für alle Nicht-Lateiner: Adjektive (Eigenschaftswörter) wurden hinter die Substantive (Hauptwörter) gestellt und nahmen deren Genus (Geschlecht) auf. Daher "via claudia" und nicht "via claudius" - via heißt Weg/Straße und ist feminin (weiblich).

Los geht es am 22. August 2014 um 8 Uhr in Lüneburg. Wir haben ein Fahrradticket für den Intercity nach Augsburg gebucht. Eigentlich könnten wir auch eine Stunde später in Hannover los fahren, aber meine Erfahrung auf dieser Strecke sagt mir, dass sich in genau diesem Zug während der Feriensaison mit den Radfahrern am hannoverschen Bahnhof ganze Dramen abspielen. Daher will ich das Tandem schon vor Hannover im Zug haben. Und das ist genau gut so.

In Hannover helfe ich dann den ganzen Radlern, ihre Räder in das Radabteil zu hieven, in dem halt auch mein Tandem steht. Das dauert gute zehn Minuten und hat einige Dellen, abgerissene Rücklichter und zerfetzte Nerven zur Folge. Ich frage mich immer wieder, warum die Bahn nicht einfach einen Rad-Waggon in die Mitte eines jeden Intercity hängt, der einfach nur eine große Tür mit Einstieg auf Bahnsteigebene hat. Andere Länder können das doch auch und die Nachfrage bei uns ist riesengroß. Die Zugbegleiterin antwortet mir auf diese Frage, dass "die da in Berlin" Radfahrer einfach nicht wollten. Am liebsten sei denen, die Züge würden nur noch von Berlin in die großen Metropolen fahren und zwischendurch nirgendwo halten. Ein Radfahrer im Fernverkehr sei ein Störfaktor und führe zu Verspätungen. Daher wolle man sie raushalten und weite das Angebot nicht aus.

So ehrlich sagte mir das noch niemand. Und da steht mal wieder die Wirklichkeit in krassem Gegensatz zu den Sonntagsreden der Politiker, die ja über den Bund Haupteigentümer der Bahn sind und das schnell und sicher ändern könnten.

Na ja, mein Tandem steht verzurrt und verrutschsicher an der Seite des Abteils, da es - wenn ich es in den dafür reservierten Ständer stelle - das Abteil blockiert. Die Zugbegleiterin nölt zwar etwas, aber ich frage sie nach einer Alternative. Sie hat keine und geht weiter.

In der Gegend um Würzburg schallt dann eine Durchsage durch den ganzen Zug: "Der Besitzer des Tandems Kennendöhl möchte bitte zu seinem Fahrrad kommen - es liegt eine Nachricht vor!" Ich ahne Schlimmes...

Das Zugpersonal hat gewechselt und nun muss ich mich mit einer resoluten Mittvierzigerin auseinandersetzen, die mir klar macht, dass das Tandem an seinen dafür reservierten Platz gehängt werden müsse und sie ansonsten in Fulda gar nicht erst los gefahren wäre, wenn sie das dort schon gesehen hätte. Und auch sonst sollten Fahrräder und erst Recht Tandems in den Schnellverkehrszügen ganz verboten werden. Ihr genervt blickender Kollege weiß, dass das gar nicht geht und sagt ihr, dass er sich mit mir darum kümmern würde. Ich hänge das Tandem an einen Platz, der nicht reserviert ist und kläre den Rest mit dem genervten Kollegen.

Ich wusste, dass Bahnfahren mit dem Rad immer eine nervige Angelegenheit ist. Hier muss die Bahn dringendst nachbessern, wenn sie den Zug nicht verpassen will. Denn es werden von Jahr zu Jahr mehr Radler, die mitfahren wollen.

In Augsburg entscheiden Claudia und ich, dass wir uns das Flachland nicht antun wollen und fahren mit einem Schienenbus noch ein Stück weiter bis Landsberg am Lech. Dort beginnt unsere Fahrradtour.

Über die lieblich hügelige Landschaft des Voralpenraums brauche ich nicht viel schreiben - es ist paradiesisch, hier zu radeln. Fahrradwege und kleinere Sträßchen sorgen für einen Auto-armen Genuss.





Kurz vor Füssen finden wir am Forggensee einen Zeltplatz, auf dem wir uns dann an das Schlafen im Zelt gewöhnen können.

Samstagfrüh kommen wir so gegen zehn Uhr wieder los. Das ist auch so unser Rhythmus: Abends lieber ein wenig länger aufbleiben und morgens keine Hektik. Schließlich haben wir keinen Druck und ich habe alle Orte mit Bahnhöfen in meiner Karte markiert, damit wir - falls wir mal etwas langsamer fahren wollen oder was dazwischen kommt - notfalls auch mit Zügen die eine oder andere Etappe überbrücken können.

Die Strecke Augsburg - Landsberg wird allerdings die einzige Zug-Etappe bleiben.



In Füssen stärken wir uns nochmal mit einem Kaffee und dann geht es am Schloss Hohenschwangau und hunderten von asiatischen Fotoapparathaltern vorbei endlich in die Berge. Und das gleich heftig. Gleich hinter dem Schloss führt ein steiler Wanderweg am Alpsee vorbei in Richtung Reutte, auf dem wir erstmalig das gemeinsame Schieben üben können.



Reutte selbst kenne ich nur vom Vorbeifahren in Richtung Gardasee. Das Städtchen ist ganz nett und hat einen lustigen Bio-Laden, in dem die Besitzerin gerade einer Kundin von irgendeiner Gesichtscreme vorschwärmt. Die Herstellerin dieser Creme sei bereits über 80, lächelt von einem gephotoshoppten Bild auf der Verpackung und dient als Referenz: "Und schaugn Sie sich a mol deren Haut an... Na? Da siagt man nix!" Ich stehe mit meinem Müsli an der Kasse und greife in das Gespräch ein: "Ich bin Hundertzehn und schmiere mir absolut gar nichts an meine Haut. Und schauen Sie sich mal MEIN Gesicht an!"

Die beiden Damen lachen, ein junger Angestellter kommt angeflogen und ich kann mein Müsli zahlen, ohne dem Frauengespräch weiter beiwohnen zu müssen.



Auf der Weiterfahrt wird das Wetter dann immer schlechter - hin und wieder nieselt es, obwohl Kachelmann im Internet für diese Woche Temperaturen von bis zu 30 Grad vorausgesagt hat. Ich glaube mittlerweile, der wird von der Tourismus-Industrie finanziert.

Der Fernpass "ereilt" uns dann so einfach. Wir kennen ihn ansonsten nur von der Bundesstraße her, die Via Claudia führt jedoch wunderbar über die alten römischen Karrenwege parallel zur vielbefahrenen Urlaubsroute. Daher sind wir überrascht, als wir nach der Durchfahrt durch das Schloss Fernsteinsee schon wieder bergab rollen können.

Die alte Via Claudia zeigt sich immer mal wieder in Form von dicken Steinbrocken, in die sich die Karrenräder der Römer eingefräst haben. Der Weg sieht dann immer aus wie ein Schienenweg, nur dass die Schienen Kerben sind, in denen die Räder geführt werden. Beim Anblick dieser Relikte von vor zweitausend Jahren fragen wir uns, wie die Leute damals mit ihren Fuhrwerken Landschaft und Wetter getrotzt haben, um ihre Waren von vor den Alpen nach hinter den Alpen zu bringen. Uns so langsam waren die damals gar nicht: Caesars Armee schaffte im Schnitt 30 Kilometer am Tag mit allen Kämpfern und der gesamten Logistik, im Eilmarsch sogar bis zu 40 Kilometer.

Bergab wird das Wetter immer übler und wir warten nachmittags einfach mal einen heftigen Regenschauer unter Bäumen ab. Unser Etappenziel soll heute Landeck im Ober-Inntal sein. Kurz vor diesem Ort sehen wir ein Schild an einem Straßenabzweig: Gasthaus Kronburg, 1,6 Kilometer, Radler und Wanderer willkommen. Wir haben keine Lust auf Zelten im Regen und biegen ab.

Was wir nicht wissen, ist, dass die einskommasechs Kilometer mit gefühlten tausend Höhenmetern gekoppelt sind. Schon nach rund fünfzig Metern müssen wir absteigen und schieben. Und der Regen fängt wieder an, stärker zu fallen. Und wir kommen schon gar nicht mehr mit den Fersen auf den Boden beim Schieben. Und wir fragen uns, ob man nicht auf das Schild schreiben müsste, dass es steil werden würde. Und wir fragen uns, was wir machen, wenn dort heute geschlossen ist. Und wir beschließen, dass wir das dann einfach ignorieren würden. Und dass die das dann ja wohl auf das Schild unten hätten schreiben müssen. Und wir schieben weiter und geraten völlig außer Puste. Und wir fangen an zu zweifeln, dass es das Gasthaus überhaupt gibt. Und wir glauben fest daran, dass es hinter der nächsten Kurve flacher wird. Und wir merken den Regen schon gar nicht mehr. Und wir erreichen dennoch den Gasthof. Und er hat geöffnet.

"Wenn die voll sind, schlafen wir hier draußen auf der Wiese. Ich will nur eine Dusche, ein Abendessen und morgen früh einen Kaffee." Ich kann Claudias Wunsch akzeptieren und erkläre mich einverstanden. Dennoch fragen wir nach einem Zimmer. Uns kommt eine der barmherzigen Schwestern des heiligen Vinzenz von Paul entgegen, sieht unseren Zustand, unser Tandem, das Wetter und bittet uns erstmal herein. Wir könnten ihr gleich erstmal all unsere nasse Wäsche geben, die Waschmaschine sei groß genug und über Nacht werden die Sachen im Trockenraum auch wieder trocken, sagt sie. Und sie hätten im Klösterle ein einfaches Doppelzimmer, das noch frei wäre.

Wir fühlen uns nicht nur willkommen sondern von einer Minute auf die andere wirklich aufgenommen. Die Herzlichkeit, die diese Schwester ausstrahlt, ist für mich bemerkenswert und völlig ungewohnt.

Nach dem Duschen finden wir uns im Gastraum des Gasthauses ein und bestellen unser Essen. Frische Steinpilze hätten sie gepflückt, sagt der Wirt. Wir bestellen Steinpilzschaumsuppe und ich Hirschmedaillons. Wenn ich jetzt professioneller Kochmützen- oder Sterne-Autor wäre, würde ich sicher eine halbe Seite schwärmen können. Aber das bin ich nicht und so bleibe ich sprachlos beim Gesamteindruck dieses Essens.

Im Klösterle selbst ist es absolut still. Ich meine, nicht nur ruhig, sondern wirklich still. Ich bin Agnostiker, das heißt: Weder glaube ich an Gott noch glaube ich nicht an Gott. Für die Fragen, die ich mir stelle, ist Gott irrelevant. Ich kann Fragen auch unbeantwortet lassen, insofern brauche ich keinen konkreten Gott. Aber ich glaube daran, dass wir nicht einfach nur Körper und Geist sind. Und dass die 7,5 mal 10 hoch 27 Atome in mir in einer mysteriösen Art und Weise zusammenspielen und mich zu mir machen. Und dieses Mysterium kann ich einfach nur akzeptieren.

Und hier und jetzt führt mich dieser Ort, dieses Essen, diese Menschen, diese Ruhe, dieser Augenblick zu den Fragen nach dem Höheren, das es geben kann. Claudia geht es ähnlich.

Irdisch ist an diesem Moment jedoch auch die Müdigkeit, die uns befällt. Und der geben wir gern nach, verschieben das weitere Fragen auf die kommenden Tage, an denen wir noch genügend Zeit auf dem Tandem haben. Für Fragen, für Antworten, für keine Antworten.

---

Fortsetzung folgt...

Geändert von joeyyy (10.09.14 11:37)
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Betreff von verfasst am
Mit Claudia über die Via Claudia joeyyy 10.09.14 11:26
Re: Mit Claudia über die Via Claudia Mikel265 10.09.14 12:11
Re: Mit Claudia über die Via Claudia Mooney 10.09.14 12:24
Re: Mit Claudia über die Via Claudia Landradler 19.10.14 10:26
Re: Mit Claudia über die Via Claudia Juergen 10.09.14 12:58
Re: Mit Claudia über die Via Claudia joeyyy 10.09.14 13:46
Re: Mit Claudia über die Via Claudia veloträumer 10.09.14 13:15
Re: Mit Claudia über die Via Claudia joeyyy 10.09.14 13:41
Re: Mit Claudia über die Via Claudia joeyyy 10.09.14 15:07
Re: Mit Claudia über die Via Claudia Jule_Schaefer 10.09.14 19:04
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Re: Mit Claudia über die Via Claudia joeyyy 11.09.14 11:27
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Re: Mit Claudia über die Via Claudia derharzbiker 03.12.14 09:34
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Re: Mit Claudia über die Via Claudia philipp_k 28.01.15 17:06
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