Tour de Jura du Nord (Suisse)5 Tage | 539 km (Mw 108 km/d) | 11205 Hm (Mw 2241 Hm/d) | (Mw 13,8 km/h/d) | (Mw 7:41 h/d) | Budget: ca. 270 € inkl. Bahnfahrten (Mw 54 €/d)
Eine Saisonabschlussreise gestaltete sich in diesem Jahr schwierig. Nachdem ich einige Warmtage im Oktober aus beruflichen Gründen nicht nutzen konnte, gab es in der zweiten Oktoberhälfte in den Alpen gleichwie in den umliegenden Mittelgebirgen einen ziemlich derben Wintereinbruch. Die Wetterprognosen nährten dann doch noch Hoffnung Richtung Allerheiligen-Wochende – im Westen mehr als im noch verschneiten Allgäu. Ich nahm mir zwei Tage frei für eine eine 5-Tage-Runde. Ziel war das bei Radreisenden doch etwas stiefmütterlich behandelte Jura – in diesem Fall einen Teil des Nordens und begrenzt auf die Schweiz. Bisher kannte ich überwiegend nur das französische Jura.
Ausgerechnet also die Schweiz. Ich überlegte erst, die beiden Lowrider mitzuführen, da man entsprechend viele Goldsäckchen mitführen muss, um bei den Eidgenossen überleben zu können.
Der Frankenkurs hatte sich gegenüber meiner Herbst-Kurzreise in 2008 um immerhin 8 Prozentpunkte weiter verschoben. Statt der Faustregel 1/3 vom Frankenpreis abzuziehen, um dem Europreis zu erhalten, durfte ich nunmehr nur noch 1/4 abziehen (genauer Bankkurs war letztlich etwas günstiger, demnach 26,67 % abzuziehen).
Der Franken ist hoffnungslos überbewertet, nicht nur weil die Kaufkraft entsprechend gering ausfällt, sondern auch weil die Schweizer Wettbewerbsfähigkeit massiv darunter leidet. Ist die Schweizer Wirtschaftsstruktur doch sehr gut vergleichbar mit der Baden-Württembergs, müsste die Schweizer Wirtschaft mindestens ähnlich wie die nicht-südlichen Nachbarländer boomen. Nichts dergleichen, die Züricher Börse bewegt sich im Minus, während Deutschland, Frankreich, Österreich etc. teils zweistellige Wachstumsprozente vermelden. Die Schweiz also in einem Atemzug mit den europäischen Verlierern – Italienern, Spaniern – und Griechen. Das ist neu. Und noch kurioser: Die Schweizer verdanken es mitunter den Griechen, die wiederum mitverantwortlich für die Euroschwäche (= Frankenstärke) sind. (Abgesehen von den immer noch gängigen Steuerfluchtgeldern aus aller Welt.) Natürlich ist das alles komplizierter, denn die Spinner-Spekulanten, die in unregelmäßigen Abständen den Euro für Tod erklären (jüngst hörte man sogar, das ganze, weltweite Papiergeld sei dem Tod geweiht!), haben hier einen gewaltigen, luftgeblasenen Anteil dran. Leider gibt es immer noch zu viele Affen, die solchem Geschrei nachlaufen.
Und dann ist da noch die Sache mit dem Lohn. Die Schweizer bleiben unbeirrt auf höchstem Lohnniveau, koppeln sich aus dem globalen Lohndumping immer noch aus. Das kulturell wohl europäischste Land mit einer Wirtschaft jenseits von Europa? Einerseits hoffnungsvoll für die Eidgenossen selbst – doch wie lange kann ein solches Bollwerk dem Wettbewerbsdruck standhalten? – Oder vielleicht doch das ultimative Modell gegen die wachsende Verarmung der kleinen Leute allenthalben auch in Europa? – Demgegenüber der deutsche Underdog-Reiseradler, seinerseits aus einem der europäischen Land mit der geringsten Reallohnentwicklung der letzten Jahre. Nun, also eine Luxusreise ohne Luxus.
Es reichten die beiden Backpacker, allerdings prall gefüllt, denn ich musste genügend warme Kleidung vorhalten. Immerhin gilt das Jura als das Sibirien der Schweiz und ist bekannt für sein raues Klima. Das Jura: Das nördliche Tafeljura ist geologisch-tektonisch als Schichtengebirge mit der Schwäbischen Alb verwandt, wenngleich der größere Teil aus dem Faltenjura besteht und damit dem Aufbau der Alpen als Faltengebirge entspricht. Unabhängig von solchen Feinheiten war ich aber erstaunt, wie ähnlich sich das Jura zur Schwäbischen Alb im Herbst präsentiert: Viele Kalkfelsen ragen aus den bunten Laubwäldern heraus und sorgen für wunderbare Farbkontraste. Im Vergleich zum nördlichen französischen Jura gibt es auch mehr große Schluchten und zudem mehr „echte“ Pässe im Schweizer Teil.
Bereits die nördlichsten Ausläufer im Aargau und Basel-Land bilden ein hübsches Hügelland mit teils anspruchsvollen Auf und Abs. An diesen grünen Weidehügeln mit bunten Laubhainen und kleineren Weinbergen kann ich mich kaum sattsehen. Die nächste Steigerung sind die Ausblicke. Bei guter Sicht kann man bereits von der Sissacher Flue die Alpen erblicken, spätestens am Passwang sticht die Alpenkette aber in breiter Panoramafront ins Auge. Diese Ausblicke ergeben sich folgend auf allen den Alpen zugewandten Höhen und Hängen. Natürlich rückt die Alpenkette südlicher noch näher ran, deswegen hatte ich die besten Alpenblicke am südlichen Wendepunkt der Tour - vom Col de la Vue des Alpes und auch vom Bieler See.
Trotz vorsichtiger Planung hatte ich die kürzer werdenden Tage mal wieder unterschätzt. 100 Kilometer sind ohne Dunkelfahrten bei diesem Höheprofil nicht mehr möglich. Wer noch mehr besichtigen möchte, dürfte kaum über 70 km kommen – eher weniger, wenn der Tag einen halbwegs vernünftigen Rahmen haben soll. Der zweite Tag wurde zu einem großen Pässe-Streichkonzert, zudem opferte ich die Stadtbesichtigungen von Neuchâtel, Biel und Solothurn zugunsten späterer Touren. Trotz meines fortlaufenden Knieschadens (chronische Schleimbeutelentzündung) gelang mir eine doch recht anspruchsvolle, geradezu rekordverdächtige Bergtour mit ca. 30-35 Pässen (meiner Zählung nach sind es 32 offizielle) und einer Höhenmeterleistung, die ich nicht mal im Sommer zu schaffen wagte. Das ist mal wieder eine Sache von äußerster Zähigkeit und effektiver Planung gewesen. Das Knie habe ich zweimal abends etwas gespürt, auch doppelt aufgezogene Langhosen sorgten in morgendlicher Kälte für einen ungünstigen Druck auf die empfindliche Stelle.
PrologDie Anreise erfolgte per Zug. Da unter der Woche ein BaWü-Ticket erst ab 9 Uhr gilt, wäre der Preis für das Personenticket in der Frühe doppelt so hoch gewesen. Entsprechend beschloss ich, am Mitwochabend anzureisen, samt Minimalverpflegung, und in den mir unbekannten Rheinufern in Rheinfelden zu campieren. Ein Versuch im Übernachtungswerk des Radreiseforums misslang leider. Dem schmucklosen badischen Rheinfelden steht das weitaus hübschere schweizerische Rheinfelden gegenüber. Eine Brückenverbindung gibt es nur für Velos und Fußgänger, Autofahrer müssen weite Umwege fahren. Ein Wäldchen am Rhein bietet zwar nicht ideale, aber doch Gelegenheiten, ein kleines Zelt aufzustellen. Wenig weiter auf der Halbinsel gäbe es auch einen Campingplatz, den ich aber für eine erste Nacht ohne Etappe nicht für nötig hielt. (Ob geschlossen bzw. unzugänglich amspäten Abend wusste ich auch nicht.)
Do, 28.10.
Rheinfelden - Buuseregg (581m) - Rickenbach - Rickenbacherhöchi (658m) - Wintersingen - Wintersingerhöchi (603m) - Sissach - Liestal - Haglenfeld (704m) - Gempen-Pass (670m) - Seewen - Sabelhöhe (?m) - Nunningen - Nunningerberg (885m) - Oberbeinwil - Passwang (943m) - Scheltenpass (1051m) – Courchapoix94 km | 13,5 km/h | 6:52 h | 2160 Hm
Ü: C wild 0 €
AE: Warmer Schinken, PF, Salat, Rw 22,50 €
Trotz Rhein im Herbst kein Nebel, weil es nachts relativ windig war. Zelt nahezu trocken. Bei ca. 3 °C erstmal zum Kaffee nebst Maronenschnitte in den Migros. Kleinere Einkäufe für die Tagesration. Besonders Fleischprodukte wie Trocken-, Pferdefleisch, Salami, Schinken sind sehr teuer, Käse ebenfalls. Immer noch recht günstig sind einige Kekse, Schokoladen, Joghurts und Brot bei sehr guter Qualität.
Zwischen den beiden sehenswerten, pittoresken Städtchen Rheinfelden und Liestal fahre ich durch liebliches Hügelland, intensives Grün, Kühe, Schafe, Ziegen, bunte Herbstwälder, teils mit kleineren Kalkfelsen, teils mit Weinbergen und kleinen charmanten Weinorten (Buus, Rickenbach, Wintersingen). Es ist meist heiter, aber gelegentlich auch dunstig und sogar etwas leichter Niesel (Liestal). Mit 12-14 °C bleibt es tagsüber ein wenig kühl.
Auf einem eher entlegenden Waldparkplatz jenseits von Liestal treffe ich auf einen deutschen Menschenrechtsaktivisten, der zwischen zwei entsprechenden Veranstaltungen unterwegs ist. Sein Generalthema: Die Benachteiligung des Mannes. Sein Ziel ist es, Frauenprivilegien in Beruf und Familie abzuschaffen. Darüberhinaus sucht er noch spezielle Autoteile bei Schweizer Autobastlern. Nun ja, er ist doch recht einseitig geschwätzig und vergisst sein Hähnchen zu essen, das alsbald kalt ist. Ich muss mich etwas unsanft losreißen.
Bei Gempen erinnert das Jura erstmals besonders an die Schwäbische Alb. Das erste Pässe-Highlight des Tages ist jedoch der Nunningerberg. Erst windet er sich steil mit Blick auf das grüne Weideland nach oben, zuweilen durch Wald. Dann biegt man über eine Kurve oberhalb einer Schlucht ein, sieht nur schemenhaft die großen Felsriffe, Kiefern an der Straße wirken geradezu mediterran. Die Südseite ist dann ein eng geschnittenes Wiesental mit vielen Kalkfelsen und die besagten Ähnlichkeiten zur Alb – allerdings „alpiner“.
Der Passwang ist wieder stärker befahren, die Auffahrt deutlich offener. Zunächst mit ähnlichem, aber etwas weniger eindrücklichem Landschaftsbild wie der Nunningerberg, öffnet sich nach dem Pass-Tunnel am Gasthof Alpenblick der eben so zu bezeichnende Ausblick. Ein weite Kette von Schneezipfeln markiert den Horizont. Wieder weites Weideland hinunter. Noch vor Ramiswil zweigt die Scheltenstraße ins obere Guldental ab. Eher langestreckt, langsam dunkel werdend, weitgehend auf Bachlaufhöhe und durch Wald. Oben Abendrotblick auf die Jurahöhenzüge.
Die Westseite ist schluchtenartig, leider bereits im Dunkeln versinkend. Nunmehr befinde ich mich im Kanton Jura, alles ist französischsprachig. Die Straße wird schlechter, die Orte wirken etwas armseliger. Weites, längliches, bäuerliches Tal, ab Mervelier auch verstärkt diverses Gewerbe. Auf der Suche nach Gaststätten sehe ich viele leere Räume. Die Frage stellt sich, ob die teueren Essenspreise die Essenskultur eher behindern.
Schließlich beende ich in Courchapoix die Etappe. Hinter der Kirche habe ich eine kleines Wäldchen neben einer Kuhweide fürs Zelten ausgespäht. Das Restaurant im Ort ist einfach, dafür sind die Preise noch erschwinglich. Qualität und Sattwerden stehen aber hinten an – „unfranzösisch“. Die Mentalität ist aber eher „französisch“. Der Wirt begrüßt mich per Handschlag. Nach dem Essen stößt ein junger Einheimischer zu mir, ist selbst ein wenig Radler und staunt über meine Tour. Zwar scheitert ein intensiveres Gespräch an den nicht kongruenten Sprachkenntnissen, aber es ist mal wieder erstaunlich, mit wie wenig Vokabeln man wieviel nette Plauderei betreiben kann.
Die Bilder des Tages
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Fr, 29.10.
Courchapoix - Moutier - les Ecorcheresses (913m) - le Pichoux - Bellelay - Prédame - Etang de la Gruère - les Breuleux - Bellevue (1073m) - la Chaux-de-Fonds - Col de la Vue des Alpes (1283m) - Neuchâtel - le Landron - Gampelen - le Landron - Twann139 km | 16,4 km/h | 8:24 h | 1545 Hm
Ü: C wild 0 €
AE: chin. Teigtaschen, Mandarinen-Ente, Reis, Rw 33,25 €
Kaltstart bei 0 °C (gegen 8:20 h) und Raureif und mit dicken Hosen und Handschuhen. Zelt ist immerhin fast trocken. Nach einer kurzen Strecke über offenes Weideland beginnt bei Courrendin eine eindrucksvolle, tief eingeschnittene Schlucht, die bis Moutier andauert (dort eigentlich nur unterbrochen, weil weitergehend nach Court, was aber nicht mehr meine Route ist). Zahlreiche Felszapfen staken aus dem bunten Herbstwaldhängen heraus. Unten verläuft neben dem Fluss die vielbefahrene Straße und die Eisenbahnlinie, diese durch viele Tunnels. Zum Fotografieren heißt es dauernd: Handschuhe aus, Kamera raus, und Handschuhe wieder an.
Auch in Moutier ist es noch kalt genug, um der Verführung eines warmen Kaffees zu erliegen. Doch bereits ein Kilometer außerhalb Moutier wärmt die Sonne im offenen Hügelland so, dass ich die lange Hose ablege. Bei den Kühen auf der Passhöhe les Ecorcheresses könnte ich mich sogar nackt in die Sonne legen trotz des aufkeimenden Windes. Diese Warmluft erreicht bis zu 18 °C am Nachmittag auf ca. 1000 m Höhe – allerdings unter Verstärkung des Windes. Teils fahre ich sogar kurzärmelig.
Nochmal hinunter im offenen Hügelland, wendet sich die Straße am Schluchteingang von le Pichoux wieder nach oben, eher gemäßigt. Die Schlucht nach Norden wollte ich ursprünglich fahren, musste ich aber streichen (verspricht sehr eindrucksvoll und eng zu sein). In Bellelay stoße ich auf ein ehemaliges Kloster (psychiatrische Klinik heute), in welchem der Fromage de Bellelay bzw. Tête de Moine (Mönchskopf) erfunden wurde. Es ist der einzige AOC-geschützte Käse des Juras und darf entsprechend nur in einem eng begrenzten Gebiet hergestellt werden, die da sind die Amtsbezirke Franches Montagnes, Moutier, Porrentruy und Courtelary. Aber das war ja bereits Thema im
Bilderrätsel Nr. 668.
Nunmehr folge ich bei leichterem Auf und Ab auf einer typischen Jura-Hochebene. Zunächst durch bunten Laubwald, bei les Genevez dann über mystisch anmutende Moos- und Waldwiesen mit lichten Nadelwäldern, unter denen sich nicht abgrenzbare Quellgebiete befinden. Ein landschaftliches Kleinod ist der Etang de la Gruère. Der umwanderbare Hochmoorsee verströmt geheimnisvolle Stimmungen aus der Stille.
Es folgt weitere Hochebenenfahrt gegen sehr starken Wind – allerdings sehr warm. Ich muss weitere Zeiteinbußen einrechnen. Entsprechend kann ich in Richtung la Chaux-de-Fonds nur noch die Hauptverkehrsroute wählen (besser wäre die Route am Mont Soleil vorbei). Die Stadt mit ihrem Schachbrettstraßenmuster ist in der Bodenperspektive eher unübersichtlich. Die Wirkungen des großen Sohnes der Stadt - Le Corbusier – schlagen sich in vielen Gebäuden wieder. Der großstädtisch-plane Charakter gefällt mir aber nicht und mit Rücksicht auf die fortschreitende Zeit bin ich nach ein paar zufällig eingefangenen Fotomotiven wieder schnell aus der Stadt.
Der folgende Pass wäre keine Erwähnung wert, wenn man die autobahnähnliche Auffahrt zum Col de la Vue des Alpes betrachtet. Der Verkehr ist trotzdem gering, denn die Autos haben noch einen Tunnel erhalten, um noch schneller durch den Berg nach Neuchâtel zu gelangen. Die Sensation ist aber die Passhöhe selbst – besser gesagt das Alpenpanaroma dort. Eine Tafel benennt alle Gipfel. Die Bergkette scheint schier endlos, ob Jungfrau, Mönch und Eiger oder gar das Mont-Blanc-Massiv – alles liegt im Blick des Auges. Grandios!
Die Abfahrt ist etwas tückisch, denn die Schlucht nach Neuchâtel steht exklusiv nur den Autos zur Verfügung (Autobahn). Der Radler muss einen Zwischenhügel einschieben und braucht entsprechend etwas mehr Zeit. Für dieses Autoprivileg durch eine natureindrückliche Schlucht vergebe ich eine gelbe Zitrone an die Verantwortlichen.
Sodann in der Dämmerung über dem Neuenburger See, fahre ich gleich von den Außenbezirken Neuchâtels in Richtung Bieler See weiter. Die Dunkelfahrt ist bei den milden Temperaturen recht angehm. Eigentlich unweit meines Etappenziels erkunde ich Landeron, ein mittelalterliches, schmuckes Städtchen, in dem gerade ein Laternenumzug mit Guggenmusik zugange ist. Hier verliere ich am Ortsausgang mangels Ausschilderung die Orientierung und fahre eine Weile in die falsche Richtung. Das fehlende Seeufer und Hinweise auf Bern machen mich schließlich stutzig und so komme ich auf einige Extrakilometer im Flachen.
Auch der Nachbarort von Landeron, la Neuveville, ist mittelalterlich und anheimelnd, in der Dunkelheit kann ich jedoch keine gescheiten Fotos mehr machen. Auch hier trotz Seeort und Wochenende viele leere Restaurants. Es folgen noch die schönen, kleinen Weinorte Chavannes und Ligertz, schließlich Twann. Ich empfehle, die Route aber bei Tageslicht zu fahren, denn es ist die schönste Strecke am Bieler See mit den direkt aufsteigenden Rebenhängen, die andererseits bis zum Seeufer reichen. Leider haben die Verkehrsplaner zu viele Rechte hier erhalten, und Schnellstraße wie Eisenbahntrasse bilden eine nur selten über- bzw. unterbrückbare Trennlinie.
In Twann finden sich einige Restaurants mit Preisen jenseits aller guten Geister, in Vinotheken treibt sich weiteres reiches Volk herum. Eine ehemalige Weinstube entpuppt sich als China-Restaurant mit noch vertretbaren Preisen. Die Mandarinenente ist köstlich, der extra zu bezahlende Reis aber eine Zumutung, weil für Schweizer Zwergmägen gedacht. Zum Glück habe ich noch Brotreste für weitere Kohlenhydrate. Wie erwartet ist das hiesige Strandbad abgesperrt und wegen der privaten Villen und der seenahen Weinberge sind nahezu keine Lücken für ein Zeltplätzchen zu finden. Hinterland gibt es nicht, denn die Straße steigt gleich steil in den Weinberg auf. Doch zufällig ist im „Delta“ des Twannbachs eine kleine Ecke mit Bank und Bäumchen – gerade ausreichend, um einen Premium-Zeltplatz direkt am See zu erhalten.
Die Bilder des Tages
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Sa, 30.10.
Twann - Lamboing - Nods - Col du Chasseral (1502m) - Col des Pontins (1132m) - St-Imier - Col du Mont Crosin (1227m) - Tramelan - Col de Pierre Pertuis (827m) - Biel - Grenchen - Unterer Grenchenberg (1300m) 94 km | 13,1 km/h | 7:07 h | 2655 Hm
Ü: H Bergrestaurant Unterer Grenchenberg 25,50 €
AE: Farmersteak, Rösti, Salat, Eis, Rw, Espresso 38 €
Bei 7-8 °C war die Nacht sehr mild, das Zelt trotz See anbei wieder fast trocken. Der Tag wird eher zum Gegenteil des Vortages: Zwar auch reich an Wind – diesmal allerdings im Rücken (wie selten ist das bei mir!), aber meist dicht bewölkt und ziemlich kühl (max. 12-14 °C). Der Morgen aber ist ein Traum an Stimmung: Morgenrot mit Blick auf die Berner Alpen und sentimentaler Seeromantik. Na bitte, das sind ja die Reisemomente, die ich suche!
Nach dem Kaffee in der Dorfbäckerei und ein paar nachgeholten Fotos vom Ort geht es anfangs gleich steil durch Weinberge hinauf. Der Blick fällt auch hinüber über den See auf die St-Petersinsel, auf der kein Geringerer als Jean-Jacques Rouseau seinen Gedanken nachging. An der ersten Kurve befindet sich ein Abzweig, über den man unmittelbar den Zugang zur Twann-Schlucht findet. Die Schlucht ist begehbar (in der Saison gegen kleinen Eintritt), aber nicht radelbar. Ich beschränke mich auf einen kleinen Ausschnitt zu Beginn, darunter fällt auch die Fledermaushöhle, in der 5 verschiedene Arten Vampir-Segler ihre Wohnstatt haben sollen. Geht man die Schlucht ganz durch, gelangt man weiter oberhalb auf die Straße nach Lamboing.
Nach der Fahrt durch bunten Herbstwald, reich an Pilzen, vorbei an einer Glasbläserei mit Bistro, erreiche ich bei Lamboing eine offene Zwischenebene, erneut mit dem – nun allerdings doch stark getrübten – Alpenpanorama. Der unscheinbare, schmucklose Ort – man vergleiche ihn mit fast verlassenen Schurkenorten in Western – ist ein gewichtiger Ort in der Romanhandlung eines Verbrechens: Friedrich Dürrenmatt verortete hier den Kriminellen Gastmann, der nur eines Verbrechens überführt werden konnte, dass er gar nicht begangen hatte. Selbiger Mord geschah im Bereich der Twann-Schlucht.
Nach der Spurensuche in fiktiven Verbrechensorten von „Der Richter und sein Henker“ wechsle ich in Nods wieder zu den üblichen Herausforderungen dieser Radtour: Steile Anstiege. Weithin sichtbar ist der Fernsehturm des Chasseral, der Berg nur wenig höher als der zugehörige Pass, der der höchste des Juras ist – aber sicherlich nicht der schönste. Lange Geraden führen durch den schon weitgehend entlaubten Wald, der weit nach oben reicht, nur ein kleiner Teil verläuft in der offen Berglandschaft zum Pass. Für das Zählen der Kurven braucht man nicht mehr als eine Hand. Von Nods bis zu einer einer großen Kehre im Wald radele ich zwischen einer 7-8-köpfigen MTB-Gruppe, deren Leistungsvermögen sehr heterogen ist. Freundlicherweise macht einer von ihnen noch ein Foto von mir, bevor sich unsere Wege zwischen Waldpiste und Asphalt trennen. Wer bei guter Alpensicht etwas essen möchte, sollte den Abstecher zum Bergasthof am Chasseral machen – ich habe ihn ausgelassen, zumal der kühle Wind hier oben sehr ungemütlich wurde.
Bevor es bei sehr starkem Gefälle nach St-Imier hinunter geht, gibt es noch einen kleinen Zwischenanstieg. Die Landschaft hier verströmt Bergeinsamkeit, Felsfindlinge auf den Bergwiesen wirken entrückt von der Zeit, archaisch. Ein bärtiger, hagerer Schweizer berichtet mir am Col des Pontins von 7 Gemsen, die er gesehen hat. Leider kann ich das nicht berichten, dafür muss man sich dann doch zusätzliche Wanderzeit nehmen.
In St-Imier halte ich Mittagspause ab – es macht aber bei Wind wenig Spaß, das im Freien zu tun. Der folgende Anstieg führt durch bunten Laubwald, dem offenes Bergland folgt und dann über die vom Vortag bereits bekannte abfallende Hochebene über Tramelan nach Tavannes – mit einer kleinen Zwischenhöhe. In Tramelan kann ich in der Laterie erkennen, dass wie schon tags zuvor beim Einkauf in les Breuleux die heimischen Bergkäsesorten durchaus zu erschwinglichen Preisen zu haben sind. (Zuweilen wird die 2-Euro-Marke für 100 g unterschritten, was für vergleichbare Käse auch in Deutschland eine Seltenheit darstellt.)
Von dem mit ein paar netten Häusern ausstaffierten, quasi in einer Mulde liegenden Tavannes ist die folgende Passauffahrt geradezu geschenkt. Dennoch ist der kurze Abschnitt reizvoll mit einem neben der Straße liegendem Felsbogen und einladenden Wandergebieten ab dem Col de Pierre Pertuis. Die Südseite des Pierre Pertuis ist verkehrstechnisch etwas schwierig. Es gibt keine durchgehende Abfahrt, sondern immer wieder Zwischenebenen. Teile des Tales sind aber extrem eng, sodass im unteren Teil nur noch eine (geteilte) vierspurige Schnellstraße (mit Radspur) existiert, die durch Tunnels führt. Da es sehr viel Verkehr gibt, sind diese nicht angenehm zu fahren – besser gesagt: runter geht, aber wer aufwärts fahren möchte, sollte lieber die Bahn benutzen. Das Problem haben die Verantwortlichen erkannt und deswegen stehen wiederholt Schilder, die auf die Möglichkeit der Radmitnahme mit dem Zug verweisen – zum reduzierten Preis von 1 CHF (dürfte sich exklusiv auf das Radticket beziehen). Empfindsame Radgenossen sollten auch runter die Bahn wählen.
Biel lasse ich als eine der größeren Schweizer Städte unbeachtet und nehme gleich Kurs auf Grenchen. Trotz der einseitigen Geraden ist dank des zur Linken aufragenden Jurahöhenzuges samt Herbstwäldern die Strecke einigermaßen nett zu fahren. Grenchen ist neben la Chaux-de-Fonds, le Locle und Biel eine der vier bedeutendsten Uhrenstädte der Schweiz. In einem Verkehrskreisel weist dann auch gleich die übergroße Swatch-Uhr auf einen von mehreren Uhrenherstellern in der Stadt hin. Allerdings steht diese Kreiselkunst im pastellenen UN-Blau auch für die UN-Menschenrechte und einer Swatch-Serie, deren Erträge in diverse UN-Menschenrechtsprojekte geflossen sind. Der Bedeutung der Uhrenindustrie angemessen verfügt Grenchen auch über einen Flughafen.
Noch innerhalb der Stadt steigt die Straße Richtung Grenchenberge steil an. Die äußeren Wohngebiete der Stadt liegen sehr hübsch mit Panoramablicken Richtung Berner Alpen und über das Aaretal. Die Auffahrt wechselt zwischen dichten Herbstlaubarkaden, felsbrüchigen Straßenfassaden und Fensterblicke ins Aaretal und zu den Berner Alpen. Ein Intermezzo mit Hochweiden bildet Stierenberg samt Gasthof. Jenseits von Grenchen verlaufen viele Passagen mit gemäßigter Steigung, eine kleinerer steilerer Anstieg liegt in dem offenen Weideland zum Finale nach Untergrenchenberg. Mit dem Auslassen der Stadtbesichtigung Biel gelingt mir eine gewünschte Zielankunft auf dem 1300 m hoch gelegenen Bergasthof Unterer Grenchenberg zu Einbruch der Dunkelheit.
Ich hatte vor Beginn der Tour ein Bett im Massenlager des Berggasthofes reserviert, denn in dieser Höhe hätte es doch empfindlich kalt werden können. Noch wenige Tage vorher gab es dort eine geschlossene Schneedecke. Mittlerweile war alles weggeschmolzen bis auf ein paar symbolische Reste bei Obergrenchenberg. Da der Übernachtungspreis auf „gehobenen“ Jugendherbergsniveau noch erschwinglich ist, hatte ich diese einzige Gasthofübernachtung bewusst angestrebt. Auch die hausgemachte Fleischkost versprach ein gutes, bodenständiges Mahl. Ein weiteres Highlight sollte der sogenannte Hot Pot werden, ein warmer Badezuber unter dem Sternhimmel in den Bergen.
Leider muss ich ein paar deutlich abwertende Bemerkungen dazu machen. Es gab nur wenige Gäste, im Massenlager war ich der einzige, sodass ich mich nicht beklagen kann. Trotzdem war es doch eher zu warm, sodass ich schlecht schlafen konnte. Das Essen war sehr einfach, der Salat in einer zu kalten Theke, das kleine Farmersteak alles andere als ein Gourmet-Erlebnis (trotz Biosiegel), immerhin gab es dazu einen ordentlichen Berg Rösti. Die Zubereitung aber lieblos. Das eigenhergestellte Bio-Eis wiederum eine Enttäuschung, nahezu geschmacklos und auch nicht überzeugend in der Konsistenz. Ausgleichend kann ich das Frühstücksbuffet positiv hervorheben mit diversen Joghurts und einer großen Auswahl sehr schmackhafter Käse.
Die große Enttäuschung – um nicht zu sagen Unverschämtheit – war aber die Sache mit dem Hot Pot. Ein solcher ward angeworfen (mit Holz geheizt). Ich fragte, ob dieser zugänglich sei, was mir die Gastwirtin bejahte. Offenbar hatte sie im Schwyzerdütsch noch miss- und unverständlich erwähnt, dass ich erst später dort hinein könne. Denn ein ebenfalls anwesendes Paar hatte den Hot Pot für über 1,5 Stunden (?) reserviert. Nun denn, die Gastwirtin bot mir an, ab 23 Uhr das Bad solange wie ich will nutzen zu können. 10 Minuten vor dem ersehnten Bad erwähnte sie schließlich, dass der Hot Pot 35 Franken (25,50 €) kosten würde! Na, dafür bekomme ich in nahezu jeder Therme, die ich kenne, mindestens eine Tageskarte oder besser gesagt meistens zwei Aufenthalte zwischen 2-4 Stunden – samt einem hochwertigen Bade- und Wellness-Gesamtangebot ohne seltsame Wartezeiten. Selbst in der Schweiz ist dafür bzw. günstiger ein ausgiebiger Thermenbesuch möglich. Wohlgemerkt: Es geht hier weder um eine Therme, noch um eine sonstwie aufwändige Sauna, sondern nur um einen schlichten, aufgewärmten Badezuber. Ich habe bisher auch nur in Gasthöfen übernachtet, wo solche ergänzenden Angebote (Sauna, Schwimmbad, Whirlpool) im Preis enthalten waren – wenngleich ich nur wenige solcher Betriebe kennengelernt habe.
Insgesamt gesehen kann ich den Gasthof daher nicht empfehlen. Die geringe Besucherzahl trotz langem Wochenende (Kanton Solothurn hatte montags Feiertag) und passablem Herbstwetter ist auch bedenklich und wohl nicht ganz zufällig. Wer am selben Berg mal unterwegs sein sollte, prüfe mal in Stierenberg ein wenig vor Untergrenchenberg den Gasthof mit Übernachtungsmöglichkeiten. Als ich dort vorbeifuhr, war sehr viel Trubel, was für eine gewisse Beliebheit sprechen könnte.
Unter dem Eindruck der Bergpanoramen und dem vermeintlichen Warten auf den Hot Pot verfasste ich folgende semi-poetischen Zeilen:
Der Berg
Kalt, steht still, lackiert in Weiß,
in Ketten vereint, als Gipfel vereinzelt,
fern dem Auge, nah dem Betrachter,
Zierde des Horizonts, Menetekel in Fels und Eis,
um Schönheit nicht verlegen, aber ungezähmt verbleibend,
trägt stolze Namen und ebensolche Höhen,
ist ein Bekannter, gleichwohl ein Fremder,
wird Freund, wird Feind – stets mit Leidenschaft,
birgt rauschenden Groll, spendiert verlegenes Schweigen,
und bleibt doch immer sein Eigen.Die Bilder des Tages
(bitte auf Bild klicken):
So, 31.10.
Unterer Grenchenberg - Grenchenberg-Pass (1348m) - Court - Binzberg-Passhöhe (1006m) - Gänsbrunnen - Weissensteinpass (1279m) - Langendorf - Günsberg - Balmberg-Pass (1084m) - Welschenrohr - Hintere Schmidenmatt Bödeli (985m) - Vordere Schmidenmatt (1013m) - Bättlerchuchi (1074m) - Farnern - Oensingen - Balsthal - Mümliswil88 km | 11,6 km/h | 7:32 h | 2395 Hm
Ü: C wild 0 €
AE: LGH Ochsen: Kürbissuppe, Rehpfeffer, Spätzle, Maroni, Rosen-/Rotkohl, Pfirisch, Rw, Espr. 40,70 €
Auch wenn der Vortag die meisten Höhenmeter brachte, so empfand ich diesen Tag als den anspruchsvollsten, was vornehmlich an den durchgehend langen steilen Anstiegen lag. Vielleicht bot dieser Tag auch die geringste Abwechslung und ein Abstecher in eine Stadt wie Solothurn hätte wohl einen Farbtupfer gesetzt – was allerdings den Verzicht auf die Schmiedenmattstraße bedeutet hätte. Die Witterung war wieder ganztags kühl bei bedecktem Himmel, gegen Abend gab es Föhnsturm, was prekäre Abfahrtssituationen hervorrief und den dunklen Abend milder machte als den lichten Tag.
Nur unwesentlich ist der restliche Anstieg nach Obergrenchenberg, wo es noch eine Gaststätte gibt (nur Tagesbetrieb). Nach ein paar Hochweiden geht es mit starkem Gefälle durch Wald nach Court hinunter. Nocheinmal rein französischsprachige Schweiz. Seltsamerweise haben sonntags auch kleinere Supermärkte häufig auf, während Bäckereien und Konditoreien zumindest in kleinen Orten geschlossen sind. (Frische Backwaren gibt es aber eingeschränkt in den Supermärkten.) Kleine Dorfläden sind übrigens in der ländlichen Schweiz noch ziemlich häufig anzutreffen – allerdings mit geringen und nicht immer durchschaubaren Öffnungszeiten.
Nur leicht geschlängelt ist der Anstieg zum Binzberg, wieder durch herrlich bunten Herbstwald und sehr verkehrsarm. Auf der Nordostseite findet sich etwas moosträchtiger Urwald am Bachlauf. Nur kurz ist die Strecke auf der Straße Richtung Balsthal bis der Abzweig zum Weissenstein folgt. Die relativ schmale Straße führt durch Wald mit Moosböden und erreicht an mehreren Stellen die angeschriebenen 15 %. Dabei handelt es sich auf der Nordseite um die leichte Seite, denn die Südseite weißt bis zu 22 % Gefälle auf. Drei MTBer sah ich den Berg hochquälen und konnte sie beruhigen, das Ziel bald erreicht zuhaben. Selbstredend besteht eine Ampelregelung für den Verkehr. Oberhalb der Straße in Passnähe befindet sich ein großes Hotelgebäude, welches früher ein Kurhaus war. Die Molkekuren konnten irgendwann nicht mehr mit den hochwertigeren Angeboten der Alpenkurorten konkurrieren, sodass der Fortbestand nur noch als Gastbetrieb möglich war. Schon Ludwig Uhland, Tübinger Dichter und Sprachwissenschaftler, erwanderte den Weissenstein und lobte Gasthaus und Morgensonne.
Da ich nicht nach Solothurn einfahre, gelange ich unscheinbar auf die Anfahrt zum Balmberg, die zunächst quer zum Hang verläuft, aber unscheinbar doch ziemlich steil wird. Die Südseite des Balmbergs wird stärker befahren als die Nordseite, wofür es prozentige Gründe gibt, denn die Nordseite erreicht nahezu freien Fall mit immerhin 25 % (!) Gefälle. Die Passhöhe ist aber ein beliebtes Ausflugsziel mit Baumklettergarten. Auf Höhenwegen kann man über möglicherweise gute Pisten auch direkter zum bzw. vom Weissenstein fahren.
Zurück auf der Hauptstraße nach Balsthal schaut man in Welschenrohr ehrfürchtig auf zu einem Felsmassiv mit einer fast glatten senkrechten Wand und einem großen Felsloch. Ohne einen weiteren Ort zu erreichen, zweigt eine enge Waldstraße zur Schmidenmatt ab. Auf der konstant anspruchsvollen Auffahrt gibt es keine Ausblicke. Man fährt weitgehend eine Gerade mit einer großen Kehre. Eine erste Höhe erreicht man mit Waldende, nach der sich die Hochtalmulde der Schmidenmatt öffnet. Innerhalb der offenen Weiden steigt erneut die Straße, gegen Ende im Wald nur noch mäßig nochmal an. Das Bättlerchuchi ist eine markante Felsscharte, nach der sich ein weiter Panoramablick auf die Alpen ergibt. Eine Gipfeltafel ist auch hier angebracht.
Bei Dämmerung gelange ich in stürmischen Föhn und passiere mehrere einige Burgen. Die mächtigste ist Alt-Falkenstein in Balsthal, offenbar auch mit beliebten Restaurationsbetrieb. Mit Einfahrt Guldental spüre ich die Kühle der abendlichen Flussauen, aber in Mümliswil ist die Luft dann wieder etwas wärmer. Ich kann in Ortsnähe zunächst keinen geeigneten Zeltplatz finden und vertraue darauf, bergauf später was zu suchen. Der von mir im Internet rausgesucht Landgasthof Ochsen liefert dann doch noch einen kleinen kulinarischen Höhepunkt mit einem beilagenreich servierten Rehpfeffer. Das Essen war sogar für Schweizer Verhältnisse günstig, leider schlug hier der Wein mit ca. 13 Euro ungenehm zu Buche, da schon für 1 dcl 5,90 CHF fällig werden. Überhaupt 1 dcl Wein anzubieten, käme in Frankreich oder Italien einer Gotteslästerung gleich.
Beim Entschließen des Rades spreche ich noch mit zwei Gästen, die mir ein Tipp zum Zelten geben. Etwa 2 Kilometer Richtung nächster Passhöhe würde ich eine offene Jägerhütte vorfinden. Und tatsächlich finde ich unweit der Straße die gut mit Tischen und Stühlen ausgestattete Hütte, ein Zeltplatz wäre ideal daneben, aber auch ohne Zelt kann ich nur mit Matte und Schlafsack ausreichend gut übernachten. Die Nacht wird nicht kälter als 7 °C.
Die Bilder des Tages
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Mo, 1.11.
Mümliswil - Breitehöchi (845m) - Langenbruck/Oberer Hauenstein (731m) - Chilchzimmersattel (991m) - Challhöchi (848m) - Unterer Hauenstein (691m) - Wisen (710m) - Oltingen - Schafmatt (820m) - Stüsslingen - Erlinsbach - Salhöhe (779m) - Wittnau - Bänkerjoch (668m) - Küttigen - Staffelegg (621m) - Staffelegg-Parkplatz (660m) - Schinznach - Villnachern - Bözberg (569m) - Bözen - Sulzerloch (579m) - Bürensteig (550m) - Etzgen - Leibstadt - Strickhöhe (390m) - Full – Tiengen124 km | 14,4 km/h | 8:32 h | 2450 Hm
AE (Singen): Dönerteller, Reis, Brot, Salat, Tee, Espr. 8 €
Der letzte Tag ähnelte in Topographie und Landschaft wieder mehr dem ersten Tag der Reise. Sanftes Hügelland, mal eng, mal weit geschwungen, mal ein markanter Flue mit weißem Fels aufragend, mit grünen Weiden, goldfarbenen Herbstwäldern und Weinreben, in das sich kleine Dörfer einbinden. Der Tag war nunmehr wieder mild und sonnig, die Mittagszeit an der Schafmatt etwa wäre durchaus für ein Sonnenbad geeignet gewesen. Der Wind war aufgrund der Topgraphie abgeschwächt.
Unter den vielen kleineren Bergen des Tages war der Chilchzimmersattel der wohl eindrucksvollste. Die Anfahrt führt an dem kleinen ehemaligen Kloster Schoenthal vorbei, welches heute die Heimat einer Künstlerkolonie bildet. Unauffällig stehen in der Weidelandschaft mit alten Obstbäumen Skulpturen von Künstlern verschiedener Nationalität. Natur und Kunst lösen sich in Symbiose auf. Während Baumhöhlen naturgegebene Altimmobilien für die Vögelwelt bieten, schauen Kühe auf eine rostbraune Gatterskulptur von Nigel Hall – mit „Spring“ betitelt, was der Wirkung im Herbst keinen Abbruch tut. Im weiteren Verlauf schiebt man sich unweit des markanten Felsen des Ankenballen zur Linken vorbei, während zur Rechten der Kuppenberg Ruchen den markanteren Belchenflue (Schweizer Belchen, Böllchen) meist verdeckt.
Zwischen einer Kehre an der Straße Chilchzimmersattel – Eptingen befindet sich ein Abzweig zu einem in den gängigen Straßenkarten nicht eingezeichneten Fahrweg, der auch asphaltiert ist. Vom Challhöchi nach Ifenthal ist das kleine Sträßlein nicht durchgehend asphaltiert, aber besteht aus einer durchaus rennradtauglichen Piste. Auch im weiteren Verlauf umfahre ich noch markante Bergkuppen, die sich aus dem Hügelland deutlich abheben: Geissflue an der Schafmatt oder Wasserflue zwischen Salhöhe und Bänkerjoch.
Zwar sind nicht alle Anstiege schwer, aber manche Hügelfahrt ist nicht zu unterschätzen: Zwischen Zeglingen und Oltingen sind beispielsweise kurz 20 % Steigung zu bewältigen. Oltingen erlebe ich als das hübscheste Dörflein des Tages. Eine Besonderheit folgt noch in Villnachern, wo es eine ebenfalls in Karten nicht enthaltene Militärstraße gibt, die teils auch nur – aber rennradtaugliche – Walpdpiste ist. Man mündet unmittelbar am Passschild Bötzberg auf die N 3.
Der Rest der Tour verläuft schon im Dämmerlicht, ab Bürensteig ist es sodann ganz dunkel und ich wähle die einfache Route talabwärts nach Etzgen und die Rheinroute statt der entlegenderen Hügelroute nach Leuggern. Da ich unmittelbar in Tiengen einen Zug nach Singen vorfinde, wähle ich diesen, um in Singen bei längerer Pause meine Hungergefühle zu stillen. Leider hat sich in Singen die Esskneipensituation eher noch verschlechtert gegenüber mir früher bekannten Zeiten aus dem letzten Jahrtausend (während im alten Konstanz die Situation noch besser geworden ist).
Die Bilder des Tages
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Fazit: Grandiose, anspruchsvolle Tour durch ein ideales Herbstreiserevier – auch noch Ende Oktober. Grüne Hügel, viel goldenes Herbstlaub, markante Felsen und Schluchten, grandiose Alpenpanoramen, archaiche Landschaftsbilder, Hochtalweiden, romantische Seestimmungen, ein paar schöne Städtchen und ländlicher Dorfcharme. Stete Hotelübernachtungen wären vorteilhaft, weil sich dann die Helligkeitsphase besser nutzen ließe. Zelten war aber unter den aktuellen Witterungsbedingungen durchaus machbar, ohne ein Survival-Abenteurer zu sein. Um etwas mehr genießen zu können, braucht man einige Franken mehr. Das Preis/Leistungsverhältnis in der Gastronomie nimmt auch weiterhin in der Schweiz einen der untersten Plätze in Europa ein. Etwas mehr städtischer Besichtungsdrang hätte nicht geschadet und ein Tag mehr die Tour komplettiert.