Szenen aus WestafrikaTo bedeutet See, Go bedeutet Ufer. Alles irgendwie da drüben auf dem Hügel. Ich glaube, wir begeben uns ans Ufer.
Am Seeufer in Togoville, Ort des ersten „Schutzvertrags“ mit den Deutschen, gibt es eine große Freilichtbühne. Aber Togo, dieses kleine schmale Land in Westafrika zwischen Ghana und Benin, bietet in jeder Sekunde faszinierendes Theater für Neulinge aus Europa, Togo selbst wird zur Bühne.
1. Szene: Kurz nach 6 Uhr morgens beginnt es zu regnen. Die Zeit, in der die Sonne aufgegangen ist. Um 7 Uhr ist der Regen stärker geworden und die leere Regentonne, die wie durch Zauberhand plötzlich im Hinterhof unter dem Dachabflussrohr steht, wird gegen 12 Uhr bis zum Rand gefüllt sein. Dann hört der Regen auf, sie läuft nicht über.
Es ist Montag, am Sonntag haben wir zwei Räder gekauft, die wir heute abholen möchten. Wir wollen dann losradeln, Start Kpalimé, Ziel ist Niamtougou, da gibt es ein großes Fest. Aber es schüttet erstmal. Erste Anzeichen der Regenheit, es ist Ende März. Die Räder sind neu und nicht fertig montiert und wir haben keine Ahnung von Rädern. Als es nur noch nieselt, schieben wir sie zum Radmann 500 m rechts die Straße runter. Auf der linken Seite unter einer Baumgruppe hat er seinen Holzverschlag und ein Holzbrett als Sitzbank. Das Werkzeug bringt er in seiner großen Werkzeugkiste mit und in den folgenden 4 Std. wird er immer wieder erstaunliche Dinge daraus hervorzaubern.
Wir sitzen unter dem Holzdach und fühlen uns gut unterhalten, auch wenn unser Französisch recht rudimentär ist. Es nieselt immer noch. Vom Gebäude 10 m entfernt biegt regelmäßig jemand um die Ecke und nimmt den Pfad schräg über das Plätzchen. Hinten ist die Schule, dazu ist es wohl eine Abkürzung zum Markt. Schulkinder und vor allem Frauen, die immer adrett und elegant farbenfroh gekleidet in Flip-Flops vorbeiflanieren. Oder schlurfen. Doucement. Bei der allgemeinen feucht-heißen Wetterlage die richtige Einstellung. Immer Zeit für ein Schwätzchen. Fast immer ein Kindchen auf dem Rücken dabei. Eine Schüssel auf dem Kopf, so hat man die Hände frei. Manche schauen nur: was machen die Yovos hier?
Jeanette
2. SzeneEin Wort, das man schon kennt, bevor man in Togo gelandet ist, lautet Yovo – Weißer – Fremder. Fängt man an, nach Informationen über dieses leicht zu übersehende Land da in Westafrika zu fahnden, stolpert man rasch über die Karawane der „weltwärts“- u. a.-Freiwilligen, die sich dort alljährlich abwechseln. Peace Corps Volunteers ebenfalls. Diverse Vereine begehen ihr 40-Jähriges Bestehen.
Kirche in Kpalimé, einst von Deutschen errichtet, zuletzt irgendwann renoviert.
„Yovo, yovo, bonsoir“ wird in jedem Blog erwähnt. Man fällt offensichtlich auf. Es ist ein Lied, das die Kinder kennen, und nicht zuletzt deshalb rufen sie es strahlend. Die Kleinsten fangen dann an, sich zu erinnern, und sind stolz, wenn sie es können. Yovo, Yovo, Bonsoir! Ça va bien? Merci! Die Strophe ist übersichtlich. Manchmal wünscht man sich mehr Text. Und ab und an folgt mal „cadeau“. Geschenk. Das ist Französisch bis auf yovo, das ist Mina, eine andere verbreitete Sprache. Die Liste der noch lebenden Sprachen in Togo ist lang. Vorsichtshalber notiere ich vorab diesen Satz, wie man das ausspricht, ist eine andere Frage:
nkonye menye yovo-o... nkowode? Ich heiße nicht Yovo, wie heißt du? Das ist Ewe, bis auf das Wort yovo. Die Ewe sind die größte Volksgruppe und leben vor allem im Süden, noch über die Grenzen links und rechts verteilt – ‚Dank‘ der Kolonialzeit.
Ameyibo (ah-may-ee-bo) bedeutet Schwarzer, wohl eher im Sinne schwarzer Mann. Es ist ein Schimpfwort, in diversen Blogs heißt es, damit hält man eventuell allzu eifrige Guides und andere in Schach. Grundsätzlich aber: freundlich bleiben. Wie war das, bei uns spielt man „Wer hat Angst vor’m schwarzen Mann.“ Nicht jedes Kind strahlt, einer, der uns mit Mama begegnet, bekommt Angst.
Das könnte aber auch am Fotoapparat liegen. Fotografieren ist irgendwie schwierig. Fragt man die Leute, erhält man gewöhnlich eine bejahende Antwort. Manchmal möchte man dann hinterher ein cadeau, also Geld. Das scheint mir völlig legitim zu sein, ist kein Geschenk. Man fordert etwas ein, wenn man etwas geboten hat. Bis, ja bis man in die Nähe des Weltkulturerbes kommt. Da kommen wohl regelmäßiger Yovos vorbei und meinen es gut. Da schallt es dann im Vorbeifahren gleich mal „cadeau“ von oben aus dem Baobab.
Den beiden Damen am Pumpbrunnen gebe ich je 100 CFA. Der dritten, die fix dazukommt, auch. Dann sind die Münzen alle. 16 ct.
Als vor ca. 140 Jahren auch die Deutschen Kolonialisten in Afrika werden wollten, verirrten sie sich u. a. nach „Togoland“. Zu diesem „Musterschutzgebiet“ gehörte einst noch ein Teil von Ostghana, die Volta-Region. Vor 100 Jahren war es dann mit der deutschen Kolonialherrlichkeit vorbei, Togoland wurde aufgeteilt, Teile fielen an Ghana, und erst 1960 wurde Togo in die Unabhängigkeit entlassen. Kokosbahn, Kakao- und Baumwollbahn fahren nicht mehr. Die Gleise wiederum liegen noch da (wir haben sie immer in Bussen passiert, keine Fotos).
Es gibt wenig Schilder in Togo, mal ein Stop, mal ein Halteverbot, wo ein Bus halten will (Rakieta ist so eine Art offizielle Togolinie, größere Busse im eher westlichen Stil) und: die Bahnschienen werden angekündigt, wie es sich gehört, noch 300 m, noch 200 m, Achtung, Dampflok. Ein Zug soll noch an der Küste fahren, der Phosphat transportiert, so ziemlich das Einzige, was in Togo industriell abgebaut wird.
Chinesen beginnen, Straßen zu teeren.
Neben all den Helfern gibt es auch andere. Nana Benz nennt man die Frauen, die den Stoffmarkt von Lomé regieren, der zentrale Umschlagplatz für Westafrika. Resolute Chefinnen, denen man Platz macht, wenn sie mit dem Statussymbol vorfahren: ihrem Mercedes-Benz. Aber auch das wandelt sich – man muss dem Staatschef nicht mehr gönnerhaft sein Auto leihen, was nach der Unabhängigkeit wohl ab und an vorkam, denn er hatte kein standesgemäßes Fahrzeug,, und teils bröckelt wohl das Monopol. Billigware verdirbt das Geschäft und da sind ja noch die Helfer mit ihren Kleiderspenden. In Lomé ist die Kleiderordnung teils etwas „westlicher“, aber die bunten Tücher der Frauen in diversen Drapierungsvarianten sind doch weit verbreitet. Ich staune, wie die Muster- und Farbkombinationen hier so wunderbar zusammenpassen. Sporttrikots kann man auch dazu tragen.
Nana Benz. Ihre Kollegin fuhr gerade im schicken Mittelklassewagen mit meinem Begleiter durch die Gegend auf der Suche nach einem geöffneten Laden mit Wasser. Wir waren ausnahmsweise mal wirklich früh und die 5 Liter vom Vortag schon recht aufgebraucht.
3. SzeneWir sind ohne Sporttrikot unterwegs. Doucement. Pro Rad keine 15 kg Gepäck, 4-6 davon Wasser und dazu ein kleines Zelt, welches wir aber nie aufstellen werden – es gibt immer eine Auberge. Das Moskitonetz erweist sich als praktisch und die Gepäckspinnen als Aufhängkonstruktionshilfen auch.
Je nördlicher man kommt, desto günstiger werden die Unterkünfte. 11.000 in Lomé, 7000 in Kpalimé, 5000 Richtung Atakpamé oder waren es schon 3500. Währung CFA. Essen im Bar-Restaurant bekommt man ab 1000, allgemein eher 1500, und dafür erhält man schon einen leckeren Fisch. Den gibt es sowieso immer, wir wissen nur nicht genau, woher er kommt. Aber wenn da mal ein Fluss ist im Landesinneren, dann ist er angeblich immer fischreich – wie das Meer. Alle lachen und sagen, pas de problème, immer was im Netz und Krokodile auch keine Gefahr, die sind angeblich immer schon satt vom Fisch.
Fische werden hier komplett aufgegessen, lernen wir. Oft sind sie halbiert, dann erhält man meist das Kopfstück. Der Müll, der entsteht mal wieder mit der Warenwelt. Wasser wird in 0,5-Liter-Beuteln verkauft, es gibt auch Flaschen, aber die sind wesentlich teurer, 300-500 CFA. Das Tütenwasser schmeckt ekelhaft nach Chemie, nicht „nur“ nach Plastik. Mamas geben es ihren Babies, vielleicht, weil sie glauben, dass es sauber ist. Abgesehen von uns hat anscheinend niemand eine Wasserflasche dabei. Manchmal nuckelt ein Motorradfahrer während der Fahrt ein Wassersäckchen aus, das hängt dann im Mundwinkel. So unpraktisch, wie sie uns zunächst erscheinen, sind sie also nicht. Wieder hat man die Hände frei.
Schulkinder tragen Bücher immer mal auf dem Kopf – sieht pittoresk aus. Der Grund: Sie besitzen keinen Rucksack oder überhaupt eine Tasche.
Die Tiere sind alle weg. Mitte der 90er Jahre gab es größere Unruhen, und dabei sind wohl die letzten erlegt worden. Die Voodoo-Culture lebt aber fort und der Geist bzw. die Stärke jedes Tieres wird nach wie vor beschworen. Wie das auf Dauer funktionieren soll, wenn rundum nur noch Geckos und ein paar Vögel sind, bleibt mir unklar. Den Fetischmarkt in Lomé lassen wir aus.
4. SzeneWir mogeln mit dem Bus und fahren dann von Kara wieder Rad nach Niamtougou. Dort lernen wir: Niamtougou, das sind irgendwie mehrere Dörfer in der Gegend und unser Fest ist noch 15 km weiter. Naja, das ist ja keine Entfernung, auch wenn wir täglich selten mehr als 35 km fahren. Man steht in Togo sowieso schnell früh auf, die Morgenstunden und die kurze Blaue Stunde ab 17 Uhr bis Sonnenuntergang irgendwann nach 18 Uhr sind definitiv die besten Zeiten des Tages.
Verkehrsteilnehmer
Typische Radsituation
Gegen 8 Uhr haben wir unser heutiges Tagesziel erreicht. Es fühlt sich an wie 12 Uhr. Wo ist das Fest, es gibt ein großes wehendes Banner und die Trommelgruppe erklärt uns, dass wir den Berg wieder rauffahren müssen, den wir bereits fröhlich heruntergerollt sind. Ihren Fußweg können wir angeblich nicht nehmen. Es wird etwas hektisch, und wenn etwas nicht immer so einfach ist, dann von einem Togoer eine klare Aussage zu bekommen, wie und wo oder wann etwas geht. Bzw. man bekommt eine klare Aussage, vom nächsten aber eine gegenteilige klare Aussage. Am Ende hat man drei unklare Optionen, die für sich genommen relativ klar klingen (reicht von: keine Ahnung bis ihr könntet so oder ihr könnt so, ihr könnt aber auch so, was wollt ihr, wirklich? Oder es sei so und der nächste meint, es ist aber so).
Wir haben die Piste, auf die wir abbiegen müssen, schon auf der Hinfahrt gesehen, ich stoppte da auch kurz. Wenn es sich anbietet, ziehen wir es vor, einen LKW ohne Überholmanöver vorbeiziehen zu lassen. Die wollen nach Burkina Faso, gerade durch vom Hafen in Lomé an der Küste nach Norden. Oder noch weiter, mancher hat alle möglichen Afrikaflaggen am Hänger. Mir kommt der Gedanke, man sollte mit so einem mal durch „Afrika“ mitfahren.
Prophylaktische Randstopps sind mir stets ein willkommenes Päuschen. Der Verkehr ist geregelt: man halte sich am rechten Rand in seiner Spur. Die Verkehrsteilnehmer sind dann automatisch nach Größe sortiert. Hühner und Kleingetier, Kinder, Fußgänger, Radfahrer, Motorradfahrer, Autos und Kleinbusse, LKW.
Nach Geschwindigkeit nicht immer, je weiter man links rückt. Dann folgt auf LKW links noch ein Kleinbus, mal ein Auto, eher noch ein Kleinbus neben dem Kleinbus und die Fahrbahn ist somit in einer Richtung eine ganze Weile blockiert. Gegenverkehr? Alle hupen: Ich komme, ich bremse nicht, ich überhole, mach Platz oder bleib wenigstens, wo du bist.
Ein elegantes Ballett, bei dem jeder weiß, wie er zu tanzen hat. Irgendwie funktioniert das auch noch im Gewusel der großen Stadt. Aber Rad fahren möchte ich da nicht mehr. Allgemein gilt dort: nicht stehen bleiben. Und so kurven sie elegant voran und haben alles im Griff. Immer Gas geben. Kleine Kinder wissen da auch gut Bescheid. Mit Mama laufen sie straight am Rand, energisch, man muss nie fürchten, dass sie genau dann Richtung Räder rennen, wenn man vorbeifährt, wie das in Deutschland ständig passiert. Überhaupt sind Kinder hier sowieso absolut verständig, es kommt mir zumindest so vor. Man könnte natürlich auch sagen, sie haben keine Wahl.
Was nun. Das Fest hatte ich mir zum Ziel gesetzt, um der Radtour einen Grund und vor allem eine Richtung zu geben. Immer nach Norden. Hier jetzt also zurück. Es fühlt sich an wie 13 Uhr, Sonnenschein. Da war ne Bar, erstmal Pause, Lagebesprechung, schließlich wird es langsam wieder richtig heiß. Sicher, dass es da ist? Kann nur da sein. 8.30 Uhr. Es gibt nichts zu Essen, auch keinen Kaffee (Togo ist Land des Nescafés in Portionstütchen, dazu mehr Zucker als Kaffee, wenn überhaupt. Man ahnt, was Konzerne so anrichten), es gibt Cola, Fantaartiges und Bier. Cola hatten wir die letzten Tage öfters, jeder mal eben ein, zwei Liter innerhalb von 2 Stunden, das ist sehr erfrischend und möbelt auf. Also gibt es heute zur Abwechslung¬ – zu viel Zucker ist ungesund – als zweites Frühstück je ein Bier. Die Maßeinheit bei Getränken ist komischerweise eher britisch, immer gut gekühlte 0,65-Liter-Flaschen. Erst wenn die Yovo-Dichte wieder zunimmt in der großen Stadt, bekommt man für den dreifachen Preis nur noch 0,33 Liter hingestellt, noch dazu schlecht gekühlt. Am teuersten ist das Eku, aus Kulmbach, dabei ist es mitnichten besser als das, was die Togoer brauen, BB heißt die Brauerei.
5. SzeneDer blitzende Pickup, der uns entgegen kommt, hält an. Das Fenster wird runtergekurbelt, das Smartphone gezückt und der Togoer macht erstmal grinsend ein Foto. Von den Yovos, die da mit FAHRRÄDERN auf der schattenlosen Schotterpiste entlang schwitzen! Wir müssen auch grinsen. Eine der besten Togo-Szenen überhaupt. Hatte mein Rad da schon einen Platten? Der Reifen ist seitlich lang aufgerissen, wie auch immer ich das hinbekommen habe, die Piste ist schottrig und da war dann wohl eine scharfe Felskante. Wir haben sogar noch einen alten Ersatzschlauch, der nur schleichend Luft verlor, aber der ist mit dem Gepäck jetzt im Zimmer der Bar, wo wir das Bier gefrühstückt haben.
Wenn man sich in Togo erkundigt, ob dies und das vorhanden ist, geht es manchmal erstmal nicht und es herrscht große Ratlosigkeit, aber dann muss man nur kurz beratschlagen, und plötzlich geht es doch und alles ist organisierbar (fragt man die Jungs mit Motorrad, ist es oft völlig easy – kurzer Anruf, schon geregelt). Neben der Bar eröffnet sich auf einmal ein großer Innenhof mit diversen Türen, hinter denen äußerst geräumige Zimmer sind. Eins ist wohl nicht belegt, es wird schnell gehuscht und kurz geräumt, voila: Mehr als ein Bett gibt es nicht, aber mehr brauchen wir auch nicht. Perfekt. Wir radeln also ohne Gepäck zum Fest und das ist doch leichter.
Der Verkehr hat inzwischen zugenommen, Pärchen im Sonntagsstaat auf Motorrädern fahren vorbei. Busse sind voll. Wenn wir winken, kapieren sie nicht unbedingt, dass sie mal anhalten sollen, sie hupen und winken zurück. Vielleicht winken wir auch falsch, weil wir die Situation selbst etwas seltsam finden.
Wir schieben, es wären wohl noch so 5 km, irgendwann hält ein Pickup. Wie üblich in Togo, man kann gar nicht so schnell reagieren und schauen, schon ist alles geregelt. Der Mann räumt die Ladefläche etwas frei, wir kommen drauf und die Räder dazu, ab zur Fete. „Montez les deux!“ „Merci beaucoup!“ Einer der nicht seltenen Hilfsmomente ohne Bezahlung. Wir schließen die Räder bei den Motorrädern an ein Bäumchen (ich habe das Pseudo-5-Euro-Schloss von zu Hause mit, wiegt nicht viel, ist aber dafür recht groß), mein stets positiver Begleiter meint mal wieder wie unser Helfer, die Räder wären im Anschluss sicher weg, die würden sowieso gleich geklaut. Das bewahrheitet sich natürlich nicht. Ich bin fast versucht zu sagen, man hätte sie auch einfach so abstellen können! Und: in all diesen Situationen habe ich erst gar kein Foto mehr gemacht. Die folgenden sind nur ein paar Versuche, etwas auf Entfernung festzuhalten.
6. SzeneEs ist heiß, die Sonne knallt. Alle Honoratioren und Hunderte andere Leute sitzen unter einem großen Wellblechdach. Wir drücken uns an den Rand, um noch etwas Schatten mitzubekommen. Außer uns sind höchstens 5 andere Yovos da. Wir haben zu wenig Wasser mit, zu dumm, hier ist es nicht wie auf einem deutschen Volksfest: Es gibt überhaupt keine Verkaufsstände, nur ein paar wenige geschäftstüchtige Damen bzw. Kinder laufen mit den üblichen Plastikbeutelchen voller Flüssigkeiten herum. Ein Mädchen verkauft außerdem irgendwelche selbstgebackenen Dinge, wie so oft. Auch hier unterdrücktes Staunen, dass die Yovos das überhaupt kaufen möchten, und: Sie essen es sogar, und es schmeckt immer! Es sind frittierte Kleinigkeiten, mal etwas scharf, woraus auch immer, mal mit Teig gefüllt, mit Kartoffeln oder Ei. Man wird dabei von den Damen übrigens nie über’s Ohr gehauen und zahlt, was alle zahlen: 50 CFA, wenn es ein aufwendigerer Kloß ist, Manches auch 25. Offeriert wird das Ganze auf dem Kopf getragen in so einer durchsichtigen Kiste – modern in Plastik, traditionell aus Holz mit durchsichtigen Scheiben und Deckel. Wer glaubt, er verderbe sich durch solchen Streetfood womöglich den Magen, irrt.
Getränkeverkäufer sind aber selten. Ich erwische eine, für jeden gibt es eine verknotete Tüte Wasser – hervorragendes Wasser, vermutlich am Dorfbrunnen abgefüllt, sehr geschäftstüchtig. Durst haben wir allerdings immer noch und schauen neidisch, wie nebenan im Schatten eine Kokosnuss geschickt geöffnet wird.
Ein Fest in Togo beginnt wie anderswo: Wichtige Leute halten Ansprachen. Die Ministerin für Culture ist da und drei wichtige Herren mit Krönchen auf dem Kopf. Es ist viel von Culture die Rede. Ich kann nur jedem raten: Passt in der Schule im Französischunterricht auf, irgendwann bereut man es sonst sehr. Dann kommen Popstars, die problemlos den Grand Prix bestreiten könnten. Gestenreiches, dramatisches Playback einer Dame um die 60, großer Jubel. Großer Jubel auch beim dynamischen jüngeren Sänger im Anzug, einem togoischen Robbie Williams. Die Auftritte werden beendet, indem die Playback-Musik aprubt herruntergedreht wird.
Dann folgen die Tanzgruppen aus diversen Döfern. Wie so eine Art Verein treten sie auf, stampfen in der Arena, trommeln, haben Schellen.
Auch einem Hasen wird gehuldigt
Unsereins kapiert nicht so ganz, was vor sich geht. Und, wie üblich in Togo, auf einmal geht alles ganz schnell. Wir haben keine Uhr, aber plötzlich ist klar: Das war’s schon, und jetzt sitzt man nicht noch gemütlich zusammen, man bricht sofort auf! Es geht alles rasend schnell.
Und wir? Wir haben unsere platten Fahrräder, denn das zweite ist inzwischen auch platt. Alle Fahrzeuge sind voll! Da ist ein Bus, vielleicht können die uns mitnehmen? Ich radebreche los, der Fahrer wirkt nicht so, als ob er wolle, ich gebe schon auf und will gehen, aber der Beifahrer stoppt, ist okay, irgendwie machen wir das. Erst sind sie ratlos und auch widerwillig, dann ist schon wieder alles geregelt. Sie wollen sogar in unsere Richtung! Wir zahlen halt ein bisschen was oder ein bisschen viel, für uns ist es wie üblich sowieso eher wenig. Räder auf’s Dach, einfach draufgelegt. Das Dach des Kleinbuses hat rundum schmale Randkanten. Wir steigen ein und fahren ungefähr 1,5 km bis zum nächsten Lagerplatz. Da sind schon andere. Alle steigen aus, verabschieden sich freundlich, wir bleiben sitzen. Was nun?
Wieder so eine Situation: Ich steige mal aus und gehe zum Gebäude 200 m runter, Schulgebäude, eindeutig. Die sind sehr geschickt gebaut, hohe Decken und luftige Wände für Durchzug.
Schon werden wir eingeladen, mein Tagesrucksäckchen möchte mir sofort eine Frau tragen, ein Brunnen ist auch da, wir füllen die Flaschen und sitzen auf einmal auf Schulbänken und trinken Rotwein aus einem Plastikschälchen, das herrumgereicht wird. Wir bekommen große Kellen mit Essen aufgehäuft. Leider isst mein Auge mal wieder zu viel mit, ich bin satt, aber möchte das andere Essen auch probieren. Probieren gibt es hier nicht, eine Ladung Fufu mit Baobab wird auf den Teller gepackt – ich schaffe nur noch zwei-drei Löffel und habe ein schlechtes Gewissen, was für eine Verschwendung, und normalerweise esse ich auch immer alles auf.
7. SzeneIns Tamberma-Country darf man nur mit Guide. Wir haben Kandé früh mit unseren Rädern erreicht. Die Frage ist, bleiben wir oder fahren wir weiter nach Koutammakou. Weltkulturerbe, das merkt man daran, dass sofort ein hilfreicher Twen auf dem Motorrad parat steht und Bescheid weiß, wenn man noch diskutierend am Straßenrand steht. Ich ahne, das ist kein Guide, aber die Männer unter sich verstehen sich und man wird ihn nicht los. Also, er „zeigt“ uns den Weg, den wir eigentlich wissen. Dann kommt eine Schranke, daneben ein wichtiges Büro. Hier muss bezahlt werden und ab hier – gibt es plötzlich einen anderen Guide. Unser ‚Guide‘, der also offenbar gar keiner sein darf, ist plötzlich ganz unterwürfig und bittet um eine Spende, für ihn geht es hier nicht weiter. Der ‚richtige Guide‘ hat ein cooles Auftreten.
Wir zahlen vermutlich den zehnfachen Preis, aber der Chef hinter dem Schreibtisch lässt nicht mit sich handeln. Radeln dürfen wir, der Guide kommt dann später mit dem Motorrad hinterhergefahren. Vermutlich wundert er sich, die kommen ja gar nicht voran. Rad fahren auf Schotterpisten ist irgendwie nicht so meins, wenn die Sonne senkrecht steht. Aber wir haben ja Zeit, doucement, doucemet!
Die Siedlung ist interessant, es ist alles organisiert. Ein Haus steht museal in der Gegend, die anderen sind bewohnt und eins davon wird uns gezeigt.
Offizielles Weltkulturerbehaus am Dorfanfang
Fetische vor dem Haus
Zuvor sitzt man beim Chief, der hat ein Radio neben sich, Anschluss zur Welt. Da wir nur noch so 2 Tage Zeit haben, bevor wir zurück müssen, haben wir unseren Guide (ich habe seinen Namen vergessen) gefragt, ob man denn in Kandé irgendwo die Fahrräder loswerden könne. Kein Problem. Wir lernen, wie das hier läuft, der Chief möchte auf einmal unsere Fahrräder. Also sitzen wir nun etwas überumpelt da und handeln mal kurz was aus. Eigentlich, eigentlich hätten wir nun die offizielle Genehmigung, uns weiter in der Gegend umzusehen. Aber ohne fahrbaren Untersatz fühlen wir uns auf einmal nackt. Es geht zurück auf einem Motorrad, mit drei Leuten plus 80-l-Packsack und Tagesrucksack. Pas de problème, système d’Afrique!
Letzte Szene“I love you, too!” – “Hah?!?“ Der Gürtelverkäufer ist verdattert. „I love you“, hatte er gerufen. Grand Marché in Lomé. Ein schlaksiger langer Kerl mit breit lachendem Mund, in dem sich große Lücken zwischen einzelnen Zähnen auftun. Ich gehe etwas langsamer, als Europäer ist man hier sowieso immer zu hektisch, trampelig und steif unterwegs. Wir lachen uns an, er folgt und weiß nun nicht, wie weiter. Mit Gürteln um den Hals behängt, einige baumeln in der Hand. Ich möchte keinen Gürtel, halb zugewandt, wir bleiben nicht stehen, aber ich habe nicht gelogen: Ich mag ihn sofort, wir sind in Togo.
Jemand schrieb über den Markt: Alle sind da, aber keiner kauft was. In der Handwerkergasse lasse ich mir ein Holzfigürchen andrehen bzw. ich bin dorthin, weil ich eins haben wollte, der Besuch macht Spaß. Bloß welches. Es gibt Unmengen. Alles handcraft, hm. Auch hier sind die Händler nett. Zwar möchte jeder was verkaufen, aber sie sind nicht sonderlich aufdringleich. Jeder möchte was zeigen und für ein Schwätzchen ist auch Zeit. Der Handel – naja, ich zahle vermutlich dreimal so viel wie nötig, aber: so what. Die Holzdame steht jetzt neben dem Bildschirm auf der Fensterbank. Sie ist vergleichsweise realistisch, aber man sieht auf diesen Kunstmärkten mit Touristendingen durchaus noch, wo die Expressionisten ihre Anregungen her hatten: aus den Museen mit Mitbringseln der abenteuerlichen Afrika-Entdecker.
Wir erstehen noch Erdnüsse für zu Hause, die gibt es in großen Schnapsflaschen, und wenn man eine Banane gekostet hat, weiß man fortan, wie das alles eigentlich schmecken sollte.