Nachdem ich 2021 die Zipfeltour unternahm und dabei den süd-, west-, nörd- und östlichen Zipfel Deutschlands abfuhr, brach ich 2022 zur Gipfeltour auf, die 3.621 km und 25.950 Höhenmeter umfasste. Bis auf die Zugspitze erklomm ich die jeweils höchste natürliche Erhebung pro Bundesland mit dem Fahrrad. Natürlich, weil zum Beispiel in Bremen der eigentlich höchste Punkt eine alte, bepflanzte Deponie ist. Und Erhebung, weil der höchste Punkt nicht immer ein Berg, sondern zum Beispiel auch eine leichte Erhebung im Gelände sein kann. Wie schon im Vorjahr war die Fahrt zweigeteilt (Teil 1 vom 31. Juli. bis 15. August, Teil 2 vom 24. August bis 3. September). Weil keiner mitkommen wollte, fuhr ich alleine. Diese Karte markierte dabei die anzusteuernden Ziele (ich fand aber auch Websites von Radlern, die schon alle Punkte erreichten und die mich zu dieser Tour inspirierten):
Hier also mein Reisebericht. Wer einen ausführlichen Film auf YouTube dazu anschauen will, wird unter diesem Link fündig:
Tag 1 Ottobrunn – Garmisch-Partenkirchen (96km, 630 Hm)
Kurz vor der Tour habe ich Zweifel, ob ich überhaupt starten kann, da alle Familienmitglieder nacheinander krank sind. Am Sonntag, den 31. Juli 2022, kann ich dann doch symptomfrei zur Gipfeltour aufbrechen. Ich fahre die Strecke im Uhrzeigersinn; so habe ich die großen Klopse gleich zu Beginn. Als ich die Isar bei Wolfratshausen überquere, haben die Flößer wohl noch Pause, während das Schlauchbootvolk schon beim Stapellauf ist.
Isar bei Wolfratshausen
Auch ohne vorheriges Training komme ich gut in den Rhythmus, erreiche die Berge und schließlich Garmisch-Partenkirchen.
An der Loisach entlang geht‘s gen Zugspitze
Dort darf ich mich dann mit gefühlt hundert anderen Leuten an der Rezeption anstellen und werde mit einem schönen Platzerl für mein Zelt entschädigt.
Hauptsaison am Campingplatz zu Fußen der Zugspitze
Tag 2 Garmisch-Partenkirchen – Wertach (77 km, 910 Hm)
Ich wache früh auf und schwinge mich auf mein Fahrrad, um in gut 45 Minuten zur Talstation der Zugspitzbahn zu strampeln. Mein Gepäck und Zelt wartet auf dem Campingplatz auf mich. Mit der ersten Seilbahn um 8 Uhr, die noch mehr Personal als Touristen mit sich führt, erreiche ich die vernebelte Zugspitze (das hatte der Wetterbericht aber anders verkündet). Von dort kraxel ich gleich zum Gipfelkreuz. Zumindest bekomme ich keine Höhenangst, weil man aufgrund der Nebelsuppe eh nichts sehen kann.
Zugspitze im Nebel
Dann fahre ich eben zum Zugspitzplatt runter. Da gibt es wenigstens keinen Nebel.
Zugspitzplatt mit Blick Richtung Österreich
Schmelzende Gletscher auf dem Zugspitzplatt
Auch wenn es mir da oben gut gefällt, muss ich mich aufgrund der Zeit auf den Rückweg machen. Dafür nehme ich die Zahnradbahn.
Mit der Zahnradbahn wieder zurück
An der Talstation angekommen bin ich bergab in nullkommanix mit dem Radl am Campingplatz, packe meine Siebensachen, und habe für den Rest des Tages noch 60 km vor mir. Auf rund 1.000 Höhenmeter erreiche ich den Plansee in Österreich.
Plansee in Österreich
Nach einer schönen Abfahrt erreiche ich Reutte mit dem Lech.
Am Lech
Nach dem Abstecher in Österreich komme ich über Pfronten wieder Deutschland an und erreiche den Campingplatz am Grüntensee in der Gemeinde Wertach.
Tag 3 Wertach – Bodman-Ludwigshafen (146 km, 820Hm)
Gleich in der Früh komme ich am Grünten vorbei, – dem Wächter des Allgäus – den ich schon bei der Zipfeltour im Vorjahr passiert habe.
Blick auf Sonthofen
Ich muss sagen, dass meine Motivation am Anfang der Tour gar nicht so groß ist und ich wiederholt zweifle, ob ich das überhaupt durchhalte.
Nach einigem rauf und runter erreiche ich das Obstanbaugebiet des Bodensees, und ein Zeppelin deutet an, dass Friedrichshafen nicht mehr weit ist.
Friedrichshafen am Bodensee
Am nordwestlichen Zipfel des Bodensees erreiche ich dem Campingplatz und mir wird eine Premiumparzelle direkt am Wasser zugewiesen.
Entspannt auf dem Campingplatz am Bodensee
Tag 4 Bodman-Ludwigshafen – Hinterzarten (100 km, 1.250 Hm)
Ich verlasse den Bodensee und drehe auf dem Weg zur Donau eine viertelstündige Ehrenrunde im Wald, da ich einen Abzweig verpasst habe. Bei Immendingen erreiche ich, in der Nähe der Donauversickerung, die schmale Donau.
Donau bei Tuttlingen, kurz nach der Donauversickerung
Flussaufwärts wird sie wieder voller, und ich gelange zum Donauursprung. Von dort ist es nicht mehr weit zur Donauquelle in Donaueschingen.
Donauquelle in Donaueschingen
Dann führt mich die Route in den Schwarzwald. Bei Titisee, gefüllt mit vielen internationalen Touristen, schlage ich mein Zelt auf.
Titisee im Schwarzwald
Tag 5 Hinterzarten – Kehl (138 km, 980 Hm)
Knapp 20 km und über 600 Höhenmeter trennen mich morgens vom höchsten Berg Baden-Württembergs. Bereits um halb acht sitze ich auf dem Fahrrad und arbeite mich langsam nach oben. Ein Mal muss ich schieben, da mein Trekkingrad mitsamt 14 kg Gepäck nicht für diese Steigung ausgelegt ist und das Vorderrad bereits abhebt. Es ist halt nicht so einfach, die optimale Strecke am PC zu planen.
Hinauf zum Feldberg
Oben angekommen bin ich euphorisch, dass es gut geklappt hat mit dem Aufstieg. Als einzige Person auf dem Gipfel genieße ich den Rundumblick.
Feldberg – höchste Erhebung Baden Württembergs
Dann beginnt die wohl beste Abfahrt auf der gesamten Tour überhaupt. Bis auf eine kleine Steigung am Anfang geht es bis ins 30 km entfernte Freiburg 1.200 Höhenmeter nur bergab, wobei ich auf den für Fahrräder ungeeigneten Wanderwegen häufig bremsen muss. Erst später, als ich die Straßen erreiche, kann ich die Erdanziehungskraft besser nutzen.
Im fahrradfreundlichen Freiburg drehe ich eine Runde.
Freiburger Münster Hinter Freiburg besuche ich für eineinhalb Stunden einen Kumpel. Er arbeitet im Home Office, und wir müssen unsere Unterhaltung aufgrund seiner beruflichen Verpflichtungen für eine halbe Stunde unterbrechen. Freundlicherweise überlässt er mir währenddessen seinen Kühlschrank, so dass ich mich bei gut über 30 Grad Temperatur mit dem Inhalt von sechs kleinen Bierflaschen von innen her abzukühlen versuche. War im Nachhinein vielleicht keine so gute Idee, aber hat in dem Moment vorzüglich geschmeckt. Ich radle im Anschluss, anfangs in leichten Bögen, weiter, erreiche den Rhein und folge ihm bis zum Campingplatz in Kehl. Abends liege ich im Zelt nur auf dem Schlafsack, weil die Temperaturen so hoch sind, dass der Wetterdienst der Nacht das Attribut „tropisch“ verleiht.
Tag 6 Kehl – Saarbrücken (148 km, 900 Hm)
Geweckt werde ich von einem heftigen und kurzen Regenschauer. Noch bevor das Campingplatztor um 7 Uhr öffnet, bin ich startklar. Von Kehl aus muss man nur über den Rhein, und schon ist man in Straßburg. Schick ist natürlich die historische Altstadt …
Straßburg
… und ein paar europäische Institutionen.
Europäisches Parlament in Straßburg
Ich verlasse die Stadt entlang des Rhein-Marne-Kanals und fahre durch die Vogesen, bis ich auf die Saar stoße.
Links der Saarkanal, rechts die Saar (bei Zetting)
Der Fluss bringt mich nach Saarbrücken auf einen Campingplatz, der nur einen Steinwurf an der französischen Grenze liegt.
Tag 7 Saarbrücken – Kirn (130 km, 1.730 Hm)
Hinter Saarbrücken geht es laufend rauf und runter. Nach 60 km gelange ich zur Nonnweiler Talsperre und mache mich auf zum Dollberg.
Keltischer Ringwald Otzenhausen vor dem Dollberg
Das Berg in Dollberg ist etwas übertrieben, denn es ist ein langgezogener Bergrücken ohne viel Steigung, der irgendwo seinen höchsten Punkt hat. Der Weg vor dem Ziel wird steiniger, so dass ich Angst vor einem Platten bekomme und meinen Drahtesel mitsamt Gepäck immer mal wieder trage. Vorbildlich ist die Ausschilderung des höchsten Punktes im Saarland.
Dollberg – höchste Erhebung des Saarlands
Einen Kilometer danach bin ich schon in Rheinland-Pfalz und mache mich daran, die nächste Erhebung zu erklimmen. Auf einem perfekten Fahrradweg erreiche ich den Erbeskopf, der auch der höchste Punkt im Hunsrück ist.
Windklang auf dem Erbeskopf mit tollem Ausblick
Gleich nebenan der Erbeskopf.
Erbeskopf – höchste Erhebung von Rheinland-Pfalz
Im Anschluss kann ich wieder eine schön Abfahrt genießen und fahre durch Idar-Oberstein.
Die eingerüstete Felsenkirche in Idar-Oberstein
Eine Stunde hinter der Stadt kehre ich auf einen Campingplatz in Kirn ein.
Tag 8 Kirn – Hanau (166 km, 540 Hm)
Zwei Nächte zuvor erlebte ich tropische Temperaturen, und hier friere ich mir bei nur 8 Grad den Hintern ab. Liegt wohl auch am nahe gelegenen Bach. Mit meinem leichten Sommerschlafsack bin ich auf solche Kältegrade gar nicht eingestellt. Aber nachdem ich meine Regenjacke angezogen habe, geht’s einigermaßen. Ein Pullover oder lange Hose wäre vielleicht auch hilfreich gewesen, doch sowas habe ich aus Gewichtsgründen nicht dabei.
Nach der ungemütlichen Nacht habe ich tagsüber mit Gegenwind zu kämpfen. Der kommt aus dem Osten und ärgert mich auch in den nächsten Tagen immer wieder.
An der Nahe vor Boos
Die Gegend scheint ja sehr gesund zu sein, da ich innerhalb von gut 20 Kilometern durch Bad Sobernheim, Bad Münster am Stein-Ebernburg und Bad Kreuznach komme.
Auf der Theodor-Heuss Brücke, die von Rheinland-Pfalz nach Hessen bzw. Mainz in den Landkreis Wiesbaden führt, stand ich auch schon auf meiner Zipfeltour.
Über den Rhein bei Mainz
Ab Wiesbaden geht’s immer am Main entlang.
Frankfurt am Main
Mainstaustufe Mühlheim
In Mühlheim wechsle ich die Mainseite, drehe eine Runde in Hanau, und erreiche um 20:40 Uhr den Campingplatz. Mit dem letzten Licht baue ich mein Zelt auf.
Tag 9 Hanau – Ehrenberg (112 km, 1.310 Hm)
Zum heutigen Routenverlauf hier die Beschreibung für Naturliebhaber: Knapp 60 Kilometer fahre ich parallel zum Fluss Kinzig bis nach Schlüchtern. Und nun der Routenverlauf für Autofreunde: Etwa 80 Kilometer fahre ich parallel zur A66 bis fast nach Fulda.
Nach Schlüchtern komme ich am rund 200 Meter hohen Kaliberg vorbei, auch bekannt als Monte Kali oder Kalimandscharo.
Kaliberg bei der Gemeinde Neuhof
Drei Stunden bevor ich oben sein werde, sehe ich zum ersten Mal die Wasserkuppe in 18 km Entfernung. Meine Route hinauf führt abenteuerlich durch schmale und teilweise zugewachsene Trampelpfade, die von Brennnesseln gesäumt sind. Die meiste Zeit bin ich nur am Schieben (und Fluchen).
Fliegerdenkmal auf der Wasserkuppe, höchste Erhebung von Hessen (ist zwar nicht der höchste Punkt auf der Wasserkuppe, aber pittoresker)
Zwei Minuten vor dem offiziellen Rezeptionsschluss erreiche ich gerade so den Campingplatz.
Tag 10 Ehrenberg – Wangenheim (143 km, 1.440 Hm)
Um warm zu werden, beginnt die heutige Route mit 250 Höhenmetern. Da kommt eine kleine Pause ganz recht, um diesen Frühaufsteher zu fotografieren.
Hoppelhäschen in der Wiese
Die Rhön verlasse ich über Ostheim und erreiche im Anschluss Thüringen.
Ostheim vor der Rhön mit Deutschlands größter und wohl besterhaltener Kirchenburg
Kurz vor Suhl
In Suhl kämpft eine Wespe mit meinem Hosensaum und sticht mich in den Oberschenkel. Ausgerechnet jetzt, wenn 600 Höhenmeter im Thüringer Wald anstehen. Aber anscheinend hat sie mich nicht richtig erwischt. Die Haut schwillt kaum an, und obwohl es etwas pocht, schränkt es das Radeln nicht ein.
Hinauf Richtung Rennsteig
Schließlich stoße ich auf den Rennsteig mit Plänckners Aussicht.
Plänckners Aussicht mit Blick auf Suhl
Circa zehn Meter höher als der Aussichtspunkt ist der Große Beerberg dahinter, dessen Gipfel allerdings im Naturschutzgebiet liegt und nicht betreten werden darf. Alternativ radle ich zum höchsten Punkt des Rennsteigs, der gleich in der Nähe ist.
Da der höchste Punkt Thüringens – der Große Beerberg (983 m) – im Naturschutzgebiet liegt, muss der höchste Punkt des Rennsteigs (973 m) für das Foto herhalten
Auf dem Weg aus dem Thüringer Wald komme ich durch Oberhof.
Rennrodelbahn in Oberhof
Im Anschluss führt die Route durch das hübsche Gotha.
Schloss Friedenstein in Gotha
Vor dort ist es nicht mehr weit zum Campingplatz mit seinem sehr heiteren und hilfsbereiten Platzwart.
Tag 11 Wangenheim – Braunlage (134 km, 1.470 Hm)
Heute geht’s in den Harz, wo morgen dann zwei weitere Gipfel warten. Davor kann ich aber einige schöne Seiten von Thüringen kennenlernen, wie Bad Langensalza oder Mühlhausen.
Mühlhausen in Thüringen
Einen weiteren Kaliberg findet sich bei Haynrode, allerdings mit dunklerer Färbung. Das Werk wurde 1993 geschlossen.
Kali-Abräumhalde
In dieser Gegend gibt es wenig ebenes Gelände.
Rauf und runter – und der Harz im Hintergrund wartet
Hinter Mackenrode erreiche ich Niedersachsen und werde daran erinnert, dass sich hier die innerdeutsche Grenze befand.
Ehemalige innerdeutsche Grenze
Nach wenigen Kilometern tauche ich in den Harz ein und komme an der Klosterruine Walkenried vorbei.
Kloster Walkenried
Wie in so vielen deutschen Mittelgebirgen schaut auch im Harz der Baumbestand wirklich traurig aus. Bei meiner Route an der Warmen Bode entlang ist es zwar meist grün, aber neben dem Weg sind unzählige gefällte und offensichtlich abgestorbene Bäume für den Abtransport vorbereitet. Auf dem Boden liegt auch viel geschnittenes und scharfes Geäst, so dass ich zum ersten Mal seit über neun Jahren bzw. seit über 30.000 Kilometern mit dem Fahrrad wieder einen Platten habe. Saublöd. Da der Campingplatz Braunlage noch etwa zwei Kilometer entfernt ist und bald schließt, schiebe ich das Fahrrad dahin, checke um 19:30 Uhr ein, baue das Zelt auf, und wechsle den Schlauch. Dachte ich zumindest. Denn erst jetzt merke ich, dass das Ventil nicht passt und damit der neue Schlauch nutzlos ist. Flickzeug habe ich nicht dabei. Da bin ich Hirsch aufgrund der langen pannenfreien Zeit wohl etwas fahrlässig geworden. Dummerweise befindet sich laut Internet auch kein Fahrradladen im Ort.
Tag 12 Braunlage – Bad Karlshafen (138 km, 1.450 Hm)
In meiner Not fiel mir am gestrigen Abend noch ein, dass neuerdings der ADAC auch Fahrradreparaturen für Mitglieder anbietet. Da dachte ich mir, das probiere ich mal aus. Der freundliche ADAC-Mitarbeiter am Telefon schlug vor, dass am nächsten Morgen, also heute, um 9 Uhr jemand kommt. Deshalb habe ich alles zusammengepackt und warte vor der Campingplatzeinfahrt. Pünktlich taucht der ADAC auf, hat aber ebenfalls keinen passenden Schlauch. Deshalb wird mein Fahrrad hinten aufgeladen und fachmännisch fixiert, während ich dann vorne mit Gepäck beim Fahrer einsteige.
Gepäck vorne, Fahrrad hinten; ab nach Bad Lauterberg
Und so beginnt der zwölfte Tag mit einer ADAC-Fahrt zum nächsten Fahrradladen in Bad Lauterberg. Nachteil: der Ort liegt 1. 15 km talwärts, 2. 300 Höhenmeter niedriger und 3. genau in der entgegengesetzten Richtung, in die ich möchte. Für den ADAC ist nach Ablieferung vor dem Fahrradgeschäft der Auftrag erledigt und mein sympathischer ADAC-Helfer braust zum nächsten Hilfsbedürftigen. Im Laden kaufe ich den passenden Schlauch plus einen Ersatzschlauch und entschließe mich dann kurzfristig, ihn dort gleich wechseln zu lassen. Der Mitarbeiter bietet netterweise an, gleich loszulegen. Die Reparaturzeit nutze ich für ein Frühstück beim Supermarkt und, nach kurzer Überlegung, zur Organisation eines Taxis für die Rückfahrt. Das für heute geplante Tagesziel Bad Karlshafen wird nur schwer zu schaffen sein, wenn ich zurück zum Campingplatz in Braunlage radeln müsste. Ich nehme freudestrahlend mein Fahrrad wieder in Empfang und das Taxi ist auch schon da. Für viel Geld, aber dafür mit einem netten Gespräch, bringt mich die Fahrerin wieder zurück zu meinem Ausgangspunkt von heute Morgen.
Schön zur Mittagszeit aufgrund des verspäteten Starts und größtenteils in der prallen Sonne darf ich also die über 400 Höhenmeter auf den Wurmberg, den höchsten Berg Niedersachsens, in Angriff nehmen. Bis kurz unter dem Gipfel sind die Wege gut, aber bei den letzten einhundert Höhenmetern lag ich bei der Planung mal wieder völlig daneben und muss das Fahrrad mitsamt Gepäck über Geröll schieben. Von der anderen Bergseite wäre es besser gewesen.
Wurmberg – höchster Punkt Niedersachsens
Das nächste Ziel habe ich schon im Blick.
Und jetzt noch rüber auf den Brocken
Zum etwa 170 Meter höheren Brocken geht es erst mal 200 Höhenmeter abwärts, bevor es dann wieder bergauf geht. Erneut an der ehemaligen innerdeutschen Grenze vorbei stoße ich auf die Gleise der Harzer Schmalspurbahn mitsamt Zug. Dann ist es nicht mehr weit auf den höchsten Berg in Sachsen-Anhalt. Ich bringe etwas Geduld mit, bis alle Zugfahrenden ein Foto vom Gipfel geknipst haben, und mache schließlich selber mein Bild.
Der Brocken – höchster Punkt Sachsen-Anhalts
Um 14:10 Uhr kann ich Abfahrt beginnen. Zum heutigen Ziel Bad Karlshafen ist es noch ein gutes Stück, aber mit der freundlichen Rezeptionistin am Campingplatz kann ich später ausmachen, mein Zelt abends aufzubauen und am nächsten Morgen zu bezahlen.
Kirche im Harz
Innerhalb von 60 Kilometern fahre ich von über 1.100 Meter auf 130 Meter hinab und kann deshalb ein zügiges Tempo vorlegen. Die Baustelle für eine Eisenbahnbrücke kostet mich noch etwas Zeit, aber ich kann einen größeren Umweg vermeiden und erreiche den Campingplatz kurz vor 21:30 Uhr.
Tag 13 Bad Karlshafen – Brilon (130 km, 1.630 Hm)
Am Morgen checke ich am Campingplatz gleichzeitig ein und aus, verabschiede mich von der Weser, der ich am Vortag eine Zeit lang folgte, und widme mich dem Fluss Diemel, der mich ins Sauerland führt.
Bad Karlshafen
Manchmal lohnt es sich, anders zu sein
In Brilon schlage ich mein Zelt auf und fahre ohne Gepäck ins Rothaargebirge zum 15 km entfernten Langenberg. Ab Willingen geht’s steil bergauf und der Weg wird immer schmaler. Während ich länger keine Menschenseele mehr getroffen habe, hat es sich auf dem höchsten Punkt Nordrhein-Westfalen ein Pärchen gemütlich gemacht. Er pennt und sie hört laut Musik mit ihrem Handy. Beide lassen sich nicht von mir stören.
Mit dem 14. Tag ist bereits die Hälfte der Radltage um. Die Route führt nach Paderborn.
Rathaus Paderborn
Abends erreiche Bad Salzuflen, wo ich bei einem Kumpel übernachten kann und mal wieder ein festes Dach über dem Kopf habe.
Tag 15 Bad Salzuflen – Bremen (150 km, 490 Hm)
Morgens ist noch Zeit für eine Runde im Kurgarten von Bad Salzuflen.
Wie’s da auf dem Foto steht
Nicht richtig einordnen kann ich das Ortsschild von Bad Salzuflen.
Ersatzortstafel?!
In Vlotho stoße ich erneut auf die Weser und folge ihr eine Weile. Unterwegs komme ich an der Porta Westfalica vorbei.
Porta Westfalica mit Kaiser-Wilhelm-Denkmal
Nach knapp 150 Kilometern komme ich in Bremen an. Ich entscheide mich recht spontan, für die letzte Übernachtung dieses ersten Teils der Gipfeltour ein günstiges Hotel aufzusuchen und auf den Campingplatz zu verzichten. So kann ich meinen Krempel für die Zugheimfahrt besser vorbereiten und muss auch nicht am Morgen zum Verpacken das Zelt trocknen lassen, was mitunter länger dauert.
Tag 16 Stadtrundfahrt Bremen und Heimfahrt (119 km, 350 Hm)
Der 16. Tag ist der letzte von Teil 1 der Gipfeltour. Da der Zug nach Hause erst abends fährt, mache ich neben dem Erreichen der höchsten Erhebung der Hansestadt noch eine ausführliche Tour in der Umgebung. Mein Fahrrad kann ich freundlicherweise bei meinem Cousin mit Familie in Bremen unterbringen, die gerade im Urlaub weilt. Deshalb steuere ich am Morgen erst sein Haus an, um mich von unnötigem Gepäck zu befreien. Nach einer ausführlichen Runde stehe ich im Friedehorstpark auf Bremens höchster natürlicher Erhebung. Zumindest muss sie hier irgendwo sein. Es gibt sogar ein Kreuz, aber ich kann nicht sagen, ob es das Gipfelkreuz ist oder vielleicht ein Haustier beerdigt wurde. Egal, Punkt zählt.
Namenlose höchste Erhebung in Bremen im Friedehorstpark – mit 33 m die niedrigste Erhebung aller Bundesländer
Ich setze meine Bremer Runde fort und erreiche den heutigen Wendepunkt– die Bunkerruine Valentin. Mit über 400 Metern Länge und knapp 100 Metern Breite ist es der größte freistehende Bunker Deutschlands, dessen Bau unzähligen Zwangsarbeitern das Leben kostete. Hier hätten später U-Boote gebaut und durch diese Schleuse entlassen werden sollen.
Bunker Valentin
Anschließend kehre ich zurück zum Haus von meinem Cousin, stelle mein Fahrrad und etwas Gepäck ab, fahre mit der Straßenbahn in die Stadt und nehme den Zug um kurz vor 21h, der mich nach München bringt. Am Dienstag, den 16. August, komme ich pünktlich gegen 6 Uhr am Hauptbahnhof an und steige in die S-Bahn nach Hause. Nach Begrüßung meiner Familie und einer Dusche darf ich im Home Office um 8 Uhr den Laptop hochklappen. Teil 1 der Gipfeltour ist somit nach 16 Tagen, 2.068 Kilometern, 16.580 Höhenmetern und einer Panne beendet.
Tag 17 Bremen – Großensee (159 km, 600 Hm)
Nach einer Woche daheim sitze ich für den zweiten Teil meiner Gipfeltour mit erholtem Hintern am Dienstag, den 23. August wieder kurz vor 22 Uhr in der Bahn und erreiche gegen 7 Uhr den Bremer Hauptbahnhof. Mit den Öffentlichen fahre ich zu meinem Cousin für ein kurzes Frühstück und breche auf. Sieben Stunden später komme ich in die Harburger Berge und das heutige Ziel rückt näher. Die Strecke führt von der vielbefahrenen Straße weg und ein paar Höhenmeter aufwärts. Laut meiner Anzeige bin ich schon höher als das eigentliche Ziel Hasselbrack, dem höchsten Punkt Hamburgs, aber bin eben noch in Niedersachsen. An einer Abzweigung fahre ich aus Versehen vorbei, kehre zurück und mir dünkt, dass absichtlich Steine bzw. Äste und sogar Baumstämme in den Weg gelegt wurden. Ich schiebe und trage mein Rad und kämpfe mich weiter nach oben, bis ich endlich den Hasselbrack erklimme.
Höchste Erhebung Hamburgs
Auch der Weg hinaus aus diesem unübersichtlichen Wald ist nicht so einfach, aber dann erreiche ich Hamburg und schließlich Großensee, bei dessen Campingplatz ich um 19:30 Uhr ankomme.
Tag 18 Großensee – Scharbeutz (133 km, 690 Hm)
Ich stelle fest, dass nicht nur mir manchmal tagsüber die Luft ausgeht, sondern nun auch des nächtens meiner Luftmatratze. Nach einiger Zeit ist so viel Luft entwichen, dass mein Körper den Boden berührt und ich spätestens dann aufwache. Das bedeutet, dass ich ab heute für eine ausreichend luftgefüllte Schlafunterlage regelmäßig pusten darf.
Aufgrund meiner Affinität zu Süßigkeiten habe ich extra den Marzipan-Fabrikverkauf in Lübeck in die Route integriert. Nach sorgfältiger Überlegung nehme ich 500 Gramm gemischte Bruchstücke. Allerdings ist wider Erwarten nur eine Marzipan-Geschmackssorte drin, die mir wenig zusagt. Aber wegschmeißen bringe ich nicht übers Herz, und verschenken ist zu peinlich, zumal ich es mit meinen schmutzigen Finger schon angegriffelt habe. Deshalb bleibt mir nur die Verkostung während meines Lübeckbesuchs. Ich halte wacker durch.
Holsteiner Tor in Lübeck
Nach dem halben Kilo Marzipan muss ich die zugenommene Energie wieder abgeben und trete in die Pedale mit Ziel Bungsberg, dem höchsten Punkt Schleswig-Holsteins. In Ratekau stoppe ich für die ungewöhnliche Feldsteinkirche.
Feldsteinkirche Ratekau
Am Bungsberg angekommen steige ich erst mal auf den Fernmeldeturm und blicke auf die Ostsee. Dann lege ich die letzten Meter zum höchsten Punkt zurück.
Bungsberg – höchste Erhebung in Schleswig-Holstein
Am Bungsberg befindet sich übrigens der nördlichste Skilift Deutschlands mit 220 Metern Piste, der allerdings seit 2013 still steht. Zur Ostsee und Scharbeutz ist es nicht mehr weit und ich treffe abends eine ehemalige Kollegin, die mittlerweile dort wohnt.
Strand von Scharbeutz
Tag 19 Scharbeutz – Krakow am See (161 km, 720 Hm)
Aufgrund der löchrigen Matratze wache ich früh auf und sitze um kurz nach sieben auf dem Fahrrad. Die ersten 70 km fahre ich am Ostseeradweg bis Wismar entlang.
Damengruppe in der Ostsee
Kurz nach dem Übersetzen mit der Fähre über die Trave nach Priwall bin ich in Mecklenburg-Vorpommern und habe mit sandigem Boden zu kämpfen.
Sandiger Fahrradweg hinter Priwall
Nach 45 Kilometern mache ich in Boltenhagen ein Essenspäuschen am Trafohäuschen.
Originelle Bemalung im Ostseebad Boltenhagen
Vor Wismar löst sich der Nebel auf und die Sonne kommt durch. So macht die Stadtrundfahrt doch gleich mehr Spaß. In dieser größeren Stadt suche ich auch eine neue Luftmatratze, kann aber in den Geschäften der Stadt leider keine geeignete finden.
Wismar
Von Bützow nach Güstrow fahre ich am Bützow-Güstrow-Kanal.
Bützow-Güstrow-Kanal (ich mag diesen Namen)
Aufgrund des drohenden Regens überlege ich, mir in Güstrow ein Zimmer zu nehmen, beschließe dann doch die Weiterfahrt ins 20 Kilometer entfernte Krakow am See. Schlechte Entscheidung. Anfangs ist noch alles wunderbar, aber dann komme ich in einen Wald mit einem miserablen Weg. Bei der Planung am Computer war das als Fahrradweg ausgewiesen. Und es kommt noch schlimmer. Am Feld rechts (s. Foto unten), führt meine Route entlang, und in der Zwischenzeit hat leichter Regen eingesetzt, der stärker wird. Mir bleibt nichts anderes übrig, als das Fahrrad am Wald entlang zu schieben. Der Regen verwandelt den Acker in kurzer Zeit in schönen Matsch. Etwas bergauf geht es auch noch. Leise vor mich hinfluchend schiebe ich das Fahrrad einen halben Kilometer und fast 40 Höhenmeter über den Acker. Kurz danach stelle ich fest, dass es einen komfortablen Fahrradweg durch den Wald gegeben hätte. Es ist wohl Zeit, meine Deutschlandkarte auf dem PC zu aktualisieren.
Da rechts am Ackerrand verläuft meine Route
Knapp zehn Kilometer später erreiche ich mit panierten Beinen meinen Campingplatz und baue bei strömenden Regen das Zelt auf.
Tag 20 Krakow am See – Neubrandenburg (97 km, 410 Hm)
Gestern hat es zum ersten Mal seit Straßburg geregnet, und die Natur hat es nach der langen Trockenperiode wirklich nötig. Der Wetterbericht hat heftigen Niederschlag für heute angekündigt. Das Positive daran: 1. soll es am Tag drauf schon wieder trocken bleiben, und 2. steht mit 96 Kilometern die kürzeste Etappe und mit 430 die geringsten Höhenmetern auf diesem 2. Teil der Gipfeltour an. Jedenfalls kündigt sich der Regen an diesem trüben Morgen schon früh an und setzt auch eine Stunde später ein. Ist aber von der Menge her noch erträglich, als ich durch den Wald radle.
Durch den Wald
In Waren durchquere ich auf einer Brücke die sogenannte Verlandungszone und der Regen und ich machen Pause.
Waren (Müritz)
Die Gegend zieht nicht umsonst unzählige Touristen an und auch mir gefällt die Landschaft mit den vielen Seen und Wäldern bestens.
Essenspause in Waren (Müritz)
Eine halbe Stunde nach Waren geht der Regen wieder los – dieses Mal stärker als vorher. Ich stelle mich in einem Bushäuschen unter und versuche Kontakt mit dem Wettergott aufzunehmen. Allerdings gibt es wohl atmosphärische Störungen und nach einer knappen halben Stunde des Wartens akzeptiere ich das Unvermeidliche und ergebe mich in mein Regenschicksal. Ehrlich gesagt geht’s dann eigentlich. Ich bin zwar nass, habe aber meine Regenjacke an und die Klamotten trocknen ja auch schnell wieder. Allerdings schüttet es auf ein Mal wie aus Eimern, als ich zwischen zwei Ortschaften bin und keine Möglichkeit zum Unterstellen habe (später finde ich eine Bushäuschen und warte, bis sich der Regen wieder beruhigt). Nach zehn Sekunden bin ich bereits klitschnass. Nur der Teil von meinem Hintern auf dem Sattel bleibt verschont, und meine Schuhe werden erst zwei Tage später wieder trocken sein.
Regenpause – aber egal, ist eh schon alles nass bis auf meinen Hintern
Sieh Dich um!
Aber ehe ich mich’s versehe, erreiche ich um 15 Uhr den Campingplatz am Tollensesee, kann sogar in einer Regenpause das Zelt aufbauen, mich in der Dusche aufwärmen und mit der lustigen Truppe der Dauercamper abends Fußball gucken.
Auf dem Campingplatz am Tollensesee
Tag 21 Neubrandenburg – Birkenwerder (164 km, 680 Hm)
Auf meinem Weg zu den Helpter Bergen, dem höchsten Punkt Meck-Pomms, schließt sich mir für eine halbe Stunde ein fitter, älterer Radler an, der in der Gegend aufgewachsen ist und mir einiges von hier berichten kann.
Hinauf auf die Helpter Berge
Die Wege sind in den Helpter Bergen teilweise etwas zugewachsen, aber ein Schild weist mir den Weg, bevor es richtig steil wird und ich schieben muss.
Oben angekommen gibt’s sogar Gipfelkreuz und tibetische Gebetsfahnen. Selbst eine kleine Hütte lädt zum Verweilen ein – aber ich fühle mich nicht angesprochen, da mich nach dem feuchten Wetter der letzten Tage unzählige Mücken für ihre Blutmahlzeit auserkoren haben. Also flüchte ich schon bald und folge meiner geplanten Route. Bei den ersten Baumstämmen hebe ich das Fahrrad noch drüber, kapituliere aber dann bei den Sträuchern, die hier wohl dichter sind als bei Dornröschens Schloss. Deshalb nehme ich nach zehn Minuten des Rumstolperns bergab den gleichen Weg wie bergauf. Sozusagen als Wiedergutmachung kann ich dafür danach den perfekten Radweg auf einer alten Bahntrasse nutzen. Neben den ehemaligen Gleisen werden zudem leckere Äpfel angeboten, die einen willkommenen Reiseproviant darstellen.
Reiseproviant am Baum
Im Wald vor Zehdenick
Langsam nähere ich mich Berlin.
Kanal von Oranienburg
Heute gönne ich mir ein Hotelzimmer in Birkenwerder, da auf der Route kein naher Campingplatz zu finden ist. Dort mache ich mich großzügig breit, um das morgens nass eingepackte Zelt zu trocknen.
Tag 22 Birkenwerder – Golßen (153 km, 570 Hm)
Es geht in die Berliner Innenstadt, wo ich mit einem Kumpel zum Mittagessen verabredet bin.
Eichwerder Moorwiesen kurz vor Berlin
Berlin Alexanderplatz
Etwas Sorge bereitet mir mein eierndes Hinterrad, das immer mehr zu schlackern scheint. Aber wird schon noch bis daheim halten. Ich schau einfach nicht hin. Nach der Verabschiedung von meinem Kumpel ist es 13:15 Uhr und es stehen noch einige Kilometer an. Außerdem wartet auch Berlins höchster Punkt. Im Görlitzer Park bzw. Görli schaue ich mir die Drogendealer an, und steuere als nächstes das Sowjetische Ehrenmal im Treptower Park an. Kurz danach schleift im Planterwald das Hinterrad auf einmal leicht am Rahmen. Genervt steige ich ab und versuche es ein wenig zurechtzudrücken. Ohne Erfolg. Dann schaue ich mir die Speichen mal genauer an. Oh-oh, nicht gut. Die Felge ist ja total hinüber und muss ausgetauscht werden. Ich suche im Internet nach dem nächstbesten Fahrradladen und mache mich schiebend mit schleifendem Rad auf den Weg. Was übrigens unbequem sein kann, wenn die Fahrradtaschen so ausladend sind. Das nächste Radlgeschäft ist ca. 1,6 km entfernt. Nach 25 Minuten stehe ich vor dem Laden. Zefix, nur Verkauf. Also gut, schiebe ich eben weiter zur Hauptfiliale. Zehn Minuten später stehe ich vor der Werkstatt. Wegen Betriebsferien geschlossen. Wie ärgerlich! Wieder Handy gezückt und das nächste Geschäft gesucht. Den am nächsten gelegenen Händler (5 km) rufe ich vorsichtshalber an. Zumindest hat er geöffnet. So setze ich das Spazieren gehen mit Fahrrad fort. Ich habe jetzt knapp zwei Stunden das Fahrrad durch die Stadt geschoben, als ich das Geschäft erreiche. Und: Das Wunder geschieht! Der sehr engagierte Ladenbesitzer hat eine passende Felge vorrätig und bittet trotz der vielen Kunden seinen Mitarbeiter, zuerst mein Fahrrad zu reparieren. Die dafür veranschlagte Stunde nutze ich zur Neuplanung der heutigen Resttour. Da mir der Campingplatzbesitzer, den ich heute eingeplant hatte, mitteilt, dass er zu meiner erwarteten Ankunftszeit bereits geschlossen habe, mache ich ein Hotel in der Nähe ausfindig, das mir auch noch spätabends Einlass gewähren will. Freudestrahlend nehme ich im Anschluss mein repariertes Fahrrad entgegen und falle dem Fahrradhändler fast um den Hals. Mittlerweile ist es 17:15 Uhr und es warten noch knapp 100 km auf mich. Mit einem unbeschreiblichen Glücksgefühl lege ich los und bin gedopt von den Süßigkeiten, die ich in der Pause zu mir genommen; nehme Kurs auf den Großen Müggelberg und bin kurz danach auf Berlins höchster natürlichen Erhebung mit knapp 115 Metern.
Großer Müggelberg – höchste Erhebung in Berlin
Weiter geht’s; in der Zwischenzeit ist es schon fast 18:30 Uhr. Ich düse zum Ablegeplatz der Fähre, die mich nach Schmöckwitz bringen soll. Sind ja nur 800 Meter Luftlinie ans andere Ufer. Auf dem Weg zur Mole bemerke ich, dass ich gar nicht nachgeschaut habe, bis zu welcher Uhrzeit die Fähre in Betrieb ist. Meine Sorgen sind allerdings unbegründet, denn – montags fährt sie überhaupt nicht. Das bedeutet, ich muss einen Umweg von 14 km in Kauf nehmen.
Kanal in den Seddinsee in Berlin
Gegen 20:30 Uhr wird es dunkel und ich folge nur dem Schein meiner Lampe. Eine weitere Überraschung gibt es in Groß Köris – da ist nämlich die Klappbrücke aufgrund Renovierung gesperrt, was einen weiteren Umweg von knapp vier Kilometern bedeutet. Die Strecke führt, so kommt’s mir zumindest im Dunkeln vor, durch abgelegene und einsame Wälder. Jetzt bitte keine Fahrradpanne. Aber alles läuft gut; meine Unterkunft erreiche ich nach 153 km um kurz vor 23 Uhr in Golßen. Die zuvorkommende Hotelbesitzerin ist wegen mir noch extra aufgeblieben und zeigt mir mein Zimmer. Dieser Tag verlief wirklich komplett anders als gedacht, doch letztendlich hatte ich viel Glück und habe das Tagesziel erreichen können.
Tag 23 Golßen – Nossen (146 km, 800 Hm)
Erneut ist der Morgen trüb, aber noch niedriger als der Frühnebel sind wohl die fleißigen Erntehelfer beim Pflücken von original Spreewaldgurken.
Gurkenflieger bei Luckau
Danach komme ich nach Luckau.
Luckau
Im Anschluss durchquere ich den Naturpark Niederlausitzer Heidelandschaft. Den hatte ich nicht auf dem Radar und ich erfreue mich an der Umgebung.
Naturpark Niederlausitzer Heidelandschaft
In Elsterwerda entdecke ich eine kursächsische Postmeilensäule aus dem Jahr 1738, die Gehzeiten und Entfernungen zu anderen Orten angibt.
Kursächsische Postmeilensäule
Danach mühe ich mich hinauf auf die Heidehöhe, die mit über 201 Metern die höchste Erhebung Brandenburgs ist, direkt an der Grenze zu Sachsen. Dooferweise halte ich den Turm für den höchsten Punkt und mache dort ein Foto. Erst wieder daheim erfahre ich, dass die unscheinbare Stele, an der man kurz vorher vorbeikommt, den eigentlich höchsten natürlichen Punkt markiert.
Heidebergturm – in der Nähe der Heidehöhe, der höchsten Erhebung von Brandenburg
Ein paar Kilometer weiter stoße ich auf die Elbe.
Die Elbe bei Nieschütz
In Meißen bin ich sehr angetan von der Altstadt mit dem Burgberg und dem Markt.
Meißen
Das Triebischtal weist mir bei leichter Steigung den Weg aus Meißen. Mittlerweile ist es schon knapp 19 Uhr, 140 km sind heruntergespult und der Campingplatz nur noch deren 10 entfernt. Da überkommt mich ein Funken Bequemlichkeit und ich suche online nach einer Unterkunft auf der verbleibenden Route. Leider erfolglos. Aber keine vier Kilometer später passiere ich eine Pension in Nossen, die zu einem günstigen Preis sogar eine ganze Ferienwohnung anbietet. Perfekt, nehm‘ ich.
Tag 24 Nossen – Oberwiesenthal (125 km, 2.220 Hm)
Bei den niedrigen Temperaturen an diesem Morgen bin ich froh, in der Pension übernachtet zu haben.
In Flöha, Ortsteil Falkenau, scheint der Bahnübergang nicht häufig genutzt zu werden.
Inverser Bahnübergang – ist stets geschlossen und wird nur auf Anfrage geöffnet
Das architektonische Highlight Schloss Augustusburg ist schon von weitem sichtbar. Ein Abstecher war gar nicht eingeplant, doch will ich es trotz des Anstiegs nicht verpassen. Das Jagdschloss wird auch die „Krone des Erzgebirges“ genannt.
Schloss Augustusburg
Weiter geht’s durch das Erzgebirge. Benutze ich Feldwege, bin ich genervt vom ständigen Auf und Ab, wechsle ich deshalb auf die flacheren Straßen, bin ich genervt von den vielen Autos. So wechsele ich ständig hin und her. Dann beginnt der Aufstieg auf den Fichtelberg. Bis zum Gipfel fehlen noch gut 30 Kilometer und knapp 800 Höhenmeter. Gemäß Udo Bölts Motto „Quäl Dich, Du Sau“ arbeite ich mich nach oben und stehe dann auf dem Fichtelberg, mit knapp 1.215 Metern der höchste Punkt Sachsens und der letzten Erhebung meiner Gipfeltour. Durchaus ein erhebendes Gefühl, aber leider ist da keiner, mit dem ich jubeln kann. Zudem ist es recht frisch, weshalb ich mich nach einem Rundumblick schnell wieder abwärts orientiere.
Fast alleine auf dem Fichtelberg, der höchsten Erhebung Sachsens
Noch die letzten Meter nach Oberwiesenthal und an den Sprungschanzen vorbei. Und dann hinein in die kleine Pension, in der ich aus Ermangelung an Campingplätzen ein Zimmer gebucht habe.
Schanzen in Oberwiesenthal
Tag 25 Oberwiesenthal – Windischeschenbach (142 km, 1.140 Hm)
Die Rita aus meiner Pension meint es gut mit mir und versorgt mich als ihren einzigen Gast mit einem opulenten Frühstück. So kann ich gestärkt meinen dreitägigen Heimweg antreten. Ehrlich gesagt ist mit dem Erreichen des letzten Gipfels ein wenig die Luft raus.
Richtung Tschechische Republik – so sieht wohl eine grüne Grenze aus
Ich fahre in die Tschechische Republik hinein mache eine lange Talfahrt. Im Anschluss komme ich raus in Joachimsthal. Übrigens war die Stadt vor einem halben Jahrtausend für ihren Silberabbau bekannt und der Prägeort für den Joachimsthaler. Der Name wurde später zum Taler abgekürzt und auch in andere Sprachen transferiert, wie z.B. im Englischen zum Dollar.
Allee an der Eger
Gleich danach erkunde ich Karlsbad und bin begeistert von den Gebäuden.
Kolonnade in Karlsbad
Weiter flussabwärts umfahre ich den Ort Loket, auf deutsch Elbogen genannt, der mit seinem Granitfelsen fast komplett vom Fluss umgeben ist.
Loket
Nach weiteren 30 Kilometern an der Eger drehe ich eine Runde im Ort Eger.
Cheb bzw. Eger
Beim ersten Stopp zurück in Deutschland muss ich aufgrund der vorgefundenen Tierwelt erst mal im Navi nachschauen, nicht vielleicht doch woanders gelandet zu sein.
Straußenfarm bei Waldsassen
Gegen halb acht packt auch die Sonne langsam ein und es wird Zeit, dass ich den Campingplatz Windischeschenbach erreiche.
Sonnenuntergang bei Bernstein – man merkt, dass die Tage kürzer werden
Ein Radler, den ich treffe, berichtet mir, wofür der Ort Windischeschenbach bekannt ist: Hier befindet sich mit über neun Kilometern das tiefste, noch existierende Bohrloch der Welt. Der 83 Meter hohe Bohrturm ist weithin sichtbar.
Tag 26 Windischeschenbach – Regensburg (123 km, 580 Hm)
Nach einer kalten und ungemütlichen Nacht im Zelt geht’s weiter an diesem vorletzten Tag. Kurz vor Windischeschenbach fließen Fichtelnaab und Tirschenreuther Waldnaab zusammen und werden zur Waldnaab. In Neustadt an der Waldnaab überquere ich in Weiden die Schweinnaab, die erst in einen Kanal und dann in die Waldnaab fließt. Später komme ich noch durch Luhe Wildenau. Vor dem Ort fließt übrigens die Heidenaab in die Waldnaab und ab da heißt das Gewässer nur noch Naab.
Nabburg
Kurz nach Regenstauf sitze ich am Kaffeetisch von einem Kumpel und seiner werten Gattin in Wenzenbach. Auch wenn ich Regensburg sehr mag, lasse ich die Altstadt außen vor, überquere die Donau und nehme mir, da ich keine Lust auf noch mal so eine Nacht im Zelt habe, ein Hotelzimmer.
Tag 27 Regensburg – Ottobrunn (147 km, 960 Hm)
Heute also Endspurt. Ab Bad Abbach fahre ich knapp zehn Kilometer an der Donau entlang – der Fluss, dessen Quelle ich genau einen Monat davor besucht hatte. Mittlerweile bin ich in der Hallertau angekommen - das größte Hopfenanbaugebiet der Welt. Bei Pfettrach erwischen mich ein paar Regentropfen. Der Wetterbericht hatte für heute Schauer angekündigt. Nicht mehr weit von meinem Ziel geht‘s los mit einem heftigen Regenguss. Zumindest habe ich einen trockenen Platz unter einer Autobahnbrücke. Allerdings steht am Abend noch ein Treffen mit ein paar Spezln an und wenn ich pünktlich sein will, habe ich keinen großen Zeitpuffer. Nachdem die Wetterapp sagt, dass der Schauer anhält, wage ich mich also doch aus der Deckung und nehme bei 14 Grad die letzten 20 Kilometer in Angriff. Wenig überraschend bin ich gleich klitschnass – eher überraschend ist, dass entgegen der Vorhersage der Niederschlag stoppt. Nach über einer Stunde im Regen bin ich aber sowieso fast in meiner Heimatgemeinde Ottobrunn und kann mich nach der Begrüßung meiner Familie gleich unter die Dusche stellen. Und zum Abendessen mit den Kumpels komme ich auch rechtzeitig. Somit geht meine Gipfeltour am 3. September nach 27 Tagesetappen zu Ende. Vielen Dank für’s Lesen!
Nachtrag
Zum Abschluss ein paar Zahlen: 2 Fahrradpannen, 4 Länder, 6,6 kg Gewichtsverlust, 14 kg Gepäck, 16 Bundesländer, 27 Tage, knapp 1.300 Euro Ausgaben, 3.621 gefahrene Kilometer, 25.950 Höhenmeter
Gratuliere zur gelungenen Darstellung deiner Tour! Es zeigt ein facettenreiches Deutschlandbild , was durch dieses ziemlich formale Kriterium der Reise zwangsläufig sich ergeben muss. Du hast offenbar auch weitgehend Wetterglück für die Erhebungen gehabt, wenn ich mal an meine komplett vernebelte Feldberg-Erklimmung im letzten Jahr denke. Frage dazu auch: Bist du vom Feldberg direkt weiter auf einem Wanderweg? Normalerweise müsste man radgerecht ja eher wieder teils zurück, mindestens z.B. über Todtnauer und St. Wilhelmer Hütte auf recht guter Piste oder noch weiträumiger, wenn es Asphalt sein soll.
Ich selber fände es aber spannender und sinniger, wenn man relevante Höhenpunkte sammeln würde, also z.B. alle höchsten Erhebungen der relevanten Mittelgebirge in Deutschland. Zum Bayern-Ziel auch noch die Frage: Hattest du nicht erwogen, den höchsten anradelbaren Punkt zu wählen statt einen Gipfel, den du ja eh nicht per Rad erreichen kannst? In klassischen Alpenländern würdest du ja mit diesem Konzept des jeweils höchsten Berges eines Bundeslandes nahezu gänzlich scheitern (z.B. höchster Berg jedes Schweizer Kantons).
Muskatreibe kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass jemand, der solch verschrobene Touren plant und erradelt, sympathisch sein muss. Und schön auch, im Bericht nachzuvollziehen, dass zwischen den Höhepunkten immer wieder Rosinen liegen, die den Weg zum Ziel machen.
Hallo Matthias, vielen Dank für Deinen Kommentar. Zu Deinen Fragen: Du hast recht, nach dem Feldberggipfel bin ich erst ca. 2 km wieder zurück und dann über die Todtnauer Hütte, St. Wilhelmer Hütte und Zastler Hütte zu einer Straße, die mich nach Freiburg führte.
Zum höchsten Punkt Bayerns gibt es ja verschiedene Ansätze: Manche schlagen vor, die Asphaltstraße bis zur Alpe Schlappold bei Oberstdorf auf ca. 1.700 m zu nehmen, andere die Roßfeldhöhenringstraße (bis zu 1.570 m) bei Berchtesgaden, andere wiederum den höchsten mit Fahrrad erreichbaren Punkt an der Zugspitze. Ich habe dann für mich entschieden, ich fahre bis zur Talstation am Eibsee und nehme die Bergbahn, zumal ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr auf der Zugspitze war. Da ich auch mit meinen Urlaubstagen haushalten musste, habe ich mich damit für die einfachste und schnellste Variante entschieden.
Deine Idee mit den Höhepunkten in Mittelgebirgen finde ich auch sehr schön. Zur Gipfeltour wurde ich inspiriert durch Websites von Radlern, die das schon gemacht hatten (aber nicht in einer Tour).
Du hast recht, nach dem Feldberggipfel bin ich erst ca. 2 km wieder zurück und dann über die Todtnauer Hütte, St. Wilhelmer Hütte und Zastler Hütte zu einer Straße, die mich nach Freiburg führte.
Ah, okay, da bin ich quasi umegekehrt rum, wobei ich den Durchstieg von der Wilhelmer Hütte zur Zastlerlhütte nicht gefahren bin, sondern nur als Sackgasse. Du bist dann durchs Zastlertal nahc Oberrioed und weiter Richtung Kirchzarten. Das ist auch die erst Empfehlung dort zum Hochfahren. Runter ist die ganze Straße ja eher eng, also nicht unbedingt zum Schnellradeln. Man kann vom Feldberpass super schnell die Bundesstraße runter nach Todtnau, dann ist man aber nicht auf der Freiburger Seite und müsste z.B. nochmal einen harten Pass (Notschrei) überwinden.
In Antwort auf: Fahrradklüngel
Deine Idee mit den Höhepunkten in Mittelgebirgen finde ich auch sehr schön.
Ich hätte noch eine Idee für dich: Die jeweiligen geografischen Mittelpunkte der Bundesländer, zum Finale zum Mittelpunkt Deutschlands.
Soviele Höhenmeter und solch lange Strecken Tag für Tag - das nötigt mir höchsten Respekt ab, zumal du ja nicht nur auf guten Wegen unterwegs warst. Die meisten Bilder abseits der Gipfel sind mir auch bekannt, aber nicht im Rahmen einer Tour abgefahren, sondern bei vielen verschiedenen. Und auch wenn ich eine solche Tour, die sich rein an irgendwelchen natur-oder historiegegebenen Eckpunkten orientiert nicht machen würde, so zeigt deine our doch ganz eindrücklich, dass Deutschland ein wunderbares, vielseitiges Radfahrland ist.
Viele Grüe aus Budapest Martin
PS: In Thüringen hättest du anstelle des gesperrten Großen Beerberges den Schneekopf mitnehmen können, wenige Meter von Rennsteig entfernt, noch mal 5 m höher, als der höchste Punkt des Rennsteigs mit Aussichtsturm und wunderbarem Panorama.
Geändert von martinbp (vor 3 h) Änderungsgrund: Ergänzung
Hallo Matthias, ehrlich gesagt hatte ich tatsächlich die Mittelpunkte aller Bundesländer als Motto für eine weitere Deutschlandtour erwogen, aber da es verschiedene Berechnungsmethoden gibt, wird oft mehr als ein Punkt pro Bundesland genannt. Deshalb habe ich es erst mal beiseite geschoben - doch wer weiß; vielleicht wäre das tatsächlich mal was :-)
Nachdem ich nach meiner Zipfel- und dann Gipfeltour festgestellt habe, dass ich die neuen Bundesländer zu wenig kenne, habe ich ein Jahr später (2023) nach einem Motto gesucht und festgestellt, dass viele Orte, deren Namen mit Z beginnen, im Osten liegen, weshalb daraus die XYZ-Tour wurde. Vielleicht erstelle ich dazu mal einen Artikel
danke für Deinen Hinweis mit dem Schneekopf anstelle des Großen Beerberg bzw. des höchsten Punkt des Rennsteigs. Bei der Planung hatte ich es ignoriert, da der Schneekopf so gar nicht auf meiner Route lag (wenn auch nur gut 3 km entfernt), aber später ärgerte ich mich etwas, dass ich den Schlenker nicht gemacht habe. Dafür war ich bei einer weiteren Deutschlandtour im Jahr darauf auf dem Schneekopf :-)
Beste Grüße ins schöne Budapest (wo ich im letzten Sommer bei der Donautour vorbeigekommen bin),