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#653021 - 11.09.10 21:08 Von der Isar nach Israel
Wandering-Spirit
Mitglied
Themenersteller
abwesend abwesend
Beiträge: 82
Unterwegs in Deutschland

Dauer:3 Monate, 23 Tage
Zeitraum:2.9.2010 bis 23.12.2010
Entfernung:6600 Kilometer
Bereiste Länder:bgBulgarien
deDeutschland
ilIsrael
joJordanien
hrKroatien
atÖsterreich
rsSerbien
skSlowakei (Slowakische Republik)
sySyrien (Syrische Arabische Republik)
trTürkei
huUngarn

Von der Isar nach Israel (Teil I, München-Wien, 11.09.2010)

Hat man sich erst einmal losgerissen, alle Hürden und Hemmnisse überwunden, sich von Skeptikern und Bedenkenträgern unbeeinruckt gezeigt und sich endlich nach Wochen der Vorbereitung auf den Weg gemacht, verlieren all diese Dinge rasch an Wichtigkeit und es stellt sich eine - angesichts des nicht unerheblichen Gepäcks - erstaunliche Leichtigkeit ein. "Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen", um mit Hermann Hesse zu sprechen. Durch sein schriftstellerisches Werk und gesamtes Leben zog sich sich als Roter Faden bis ins hohe Alter der immer wieder- kehrende Neubeginn. "...denn jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und hilft zu leben."
Die Philosophie dieses bedeutenden Schriftstellers, die auch ich mir zu eigen gemacht habe, möchte ich meiner Reise zugrunde legen, einer Radreise von der Isar nach Israel, wo ich meine Schwester besuchen werde.
Abgesehen von dem physichen Aufbrechen von einem Ort und dem Ankommen an einem anderen, jedoch, wird dies - das spüre ich schon während der ersten Tage sehr deutlich - vielmehr eine Reise zu mir selbst werden.
Von dem einen wie dem anderen möchte ich in diesem Forum in den nächsten Wochen und Monaten berichten. Ich werde das nach Möglichkeit alle sieben Tage, gegen Ende der Woche, tun. Es würde mich freuen wenn mich der eine oder die andere Leser/in auf meiner Tour auf diese Weise begleitet und sich mitreißen lässt von dieser Fahrt ins Ungewisse...

Von München aus führt mich mein Weg zunächst an der Isar entlang. Ab Landau zweige ich von der Isar ab und steuere nun etwas weiter südlich auf die Vils zu, der ich bis Vilshofen folge, wo sie in die Donau mündet.
Die Donau, Europas zweitlängster Strom (nach der Wolga), entsrpingt in Donaueschingen im Schwarzwald und mündet, nachdem sie neun Länder durchflossen und ca. 2.880km zurückgelegt hat, ins Schwarze Meer. Dem Verlauf dieser Wasserstraße - ihr Oberlauf ist auf 2.400km schiffbar und trägt diese Bezeichnung somit zu Recht - werde ich nun für einige Wochen folgen.


1.Tag, 02.09.2010:
Müllersches Volksbad/München bis Moosburg
Km: 63,5

Hier stehe ich also an der Isar in München, mein Radtacho zeigt 0,00km an.
"Die ersten paar Kilometer einer langen Tour sind die schlimmsten", höre ich oft,
"bis du deinen Rythmus gefunden hast, dann läuft es wie geschmiert". Oder: "Auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt."
Also setze ich mich in den Sattel, versuche die Gepäcklast auszubalancieren und wage die ersten Pedalumdrehungen. So geht es los und ich finde mehr und mehr in einen gleichmässigen Tritt. Mein Weg führt mich auf zunächst altbekannter Strecke nach Norden aus München heraus bis Freising. Hier fahre ich zügig weiter Richtung Moosburg, bis sich ca. 6km hinter Freising der Weg zusehens zum Pfad verengt und ich mir durch wildes Gestrüpp und stellenweise arg sumpfigen Boden mein Fortkommen erkämpfen muss. Immer wieder blockieren auch umgefallene Bäume die Route, die mit meiner erheblichen Zuladung nur schwer zu passieren sind. Nach mehreren Kilometern dieses mit Reisegepäck kaum fahrbaren Parcours erreiche ich endlich wieder einen breiteren Weg, der mich schließlich nach Moosburg bringt, wo ich mir aufgrund der vorgerückten Stunde früher als geplant einen Schlafplatz suche.

2.Tag, 03.09.2010
Moosburg bis Landau/Eichendorf
Km: 90,8

Nachts ist leichter Regen gefallen, doch morgens ist es wieder trocken. Mein erster Zeltplatz nahe einer Sportanlage gelegen war sehr ruhig und bequem. Nach 20km erreiche ich Landshut, die Durchfahrung der Altstadt nutze ich für die Mittagspause. Die Freunde, die ich hier eventuell treffen wollte, haben sich leider nicht mehr gemeldet. Der wei-tere Weg an der Isar entlang führt vorbei an den Stauseen Altheim und Niederaichbach.
In weitem Bogen umspannt hier der Weg die Wasserflächen, die Umfahrung gestaltet sich reizvoll. Dann taucht er plötzlich wie aus dem nichts auf: ein massiver Kühlturm mit einer entsprechenden Austrittswolke darüber - das AKW Ohu: Beinenergie trifft hier auf Nuklearenergie - ein ungleicher "Kampf".
Dingolfing zieht von mir unbemerkt vorbei, kurz vor Landau entdecke ich einen Hinweis am Wegrand: "Naturdenkmal Wachsender Felsen" und sehe nach, was es damit auf sich hat. Zum Vorschein kommt eine sich am Hang hinziehende schmale Felskante, mit Moos überdeckt, an deren Oberkante ein Wässerchen verläuft. Daneben führt eine Treppe hinauf, sodass man das Kuriosum auch von oben betrachten kann. Durch eine Quelle wird dieser Fels offenbar ständig bewässert, was wohl zu Kalkablagerungen führt, die ihn wachsen lassen. Möchte ich aber noch genauer recherchieren.
Bei Landau verlasse ich die Isar und zweige südlich ab in Richtung Vils, suche mir wieder einen "wilden" Zeltplatz nahe bei Exing. An diesem Abend beschleicht mich erstmalig ein mulmiges Gefühl, wohl auch weil ich solange einen geeigneten Platz suche, was ich mir denn da eigentlich so vorgenommen habe mit dieser Tour und wo sie mich wohl noch hinführt...

3.Tag, 04.09.2010
bei Exing bis Passau
Km: 73,5

Nach einem Einkauf und dem Frühstück in Eichendorf überrascht mich ein kräftiges Gewitter. Ein Glück, dass ich direkt bei einem Unterstand bin, so kann ich die Zeit nützen, um mein Gepäck umzusortieren und komplett wetterfest zu machen. Allmählich klingt der Regen wieder ab und ich bewege mich im Vilstal wechselweise auf idylilschen Radwegen und auf kaum befahrenen Straßen auf Vilshofen zu, das ich am Nachmittag schließlich erreiche und damit bin ich an der Mündung der Vils in die Donau. Ab hier geht es noch 25km in rasanter Slalomfahrt und bei leichtem Auf und Ab fast durchgehend über Radwege bis Passau. Das Wetter hat sich komplett gewandelt und ich radle bei bester Laune die letzten paar Kilometer in die Drei-Flüsse-Stadt. Da ich mich hier ja eine Weile aufhalten will, um die Stadt anzuschauen, und ich die beiden ersten Nächte wenig geschlafen habe, miete ich mich kurzentschlossen in der Jugendherberge hoch über Passau auf der Veste Oberhaus, einer Burgfestung, ein. Das kostet mich allerdings noch einige Schweißtropfen, denn die Straße hinauf hat eine Steigung von 22%, auf Kopfstenpflaster, wohlgemerkt. Jedoch entschädigt mich der phantastische Blick auf die Stadt. Hier lerne ich abends noch einen "Asiaten" kennen, der wie ich solo mit dem bike unterwegs ist und eine ähnlich lange Route geplant hat, übers Schwarze Meer nach Istanbul,... erstmal.

4.Tag, 05.09.2010, Passau

An diesem weiteren traumhaft schönen Tag lasse ich das Bike mal stehen und schlendere entspannt durch Passau, lasse die Atmosphäre der Stadt auf mich wirken. Im Stephansdom beginnt gerade die Messe als ich eintrete, ich nehm mir die Zeit dafür, eine gute Gelegenheit zur Ruhe zu kommen und Gedanken revue passieren zu lassen. Nebenbei bekomme ich hier die größte Domorgel der Welt zu sehen und zu hören. Zufällig entdecke ich im Innenhof einen kleinen Nebenraum, in dem gerade eine bulgarisch-orthodoxe Kirchengemeinde ihren Gottesdienst abhält, mit authentischen Riten, Gewändern und Gesang. Ein kurzer Vorgeschmack auf Bulgarien, das ja auch auf meiner Reiseroute liegt. Direkt am Innufer gelegen: die moderne Universität, mit ihren einzelnen Fakultäten. Verlassen und verwaist finde ich hier alles vor, ach ja, es sind Semesterferien. Bei einem Abstecher zur Passauer Dult, die gerade auf dem Messeglände stattfindet, besuche ich einen Zimmernachbarn aus der Jugenherberge, der hier einen Stand hat. Niederbayerische Lebensart, Biergartenkultur vermischt sich hier mit modernem Fun-Kommerz. Wies`n in Miniaturformat, die bleibt mir ja dieses Jahr erspart...
Bier wird in Passau übrigens gleich an vier Orten gebraut. Es gibt das Hacklberg-Bräu, die Löwenbrauerei, Innstadt-Brauerei und die Peschl-Brauerei. Soweit ich probiert habe, alles gut trinkbar. Unweit des Rathauses, etwas versetzt nach innen, fällt das Scharfrichterhaus ins Auge, die bekannte Passauer Kabarettbühne. Größen aus der Szene wie Bruno Jonas und Sigi Zimmerschied, beides gebürtige Passauer, sowie Lisa Fitz und Sissi Perlinger kommen mir da spontan in den Sinn. Beim näheren Blick aufs Programm entdecke ich, dass sie alle in nächster Zeit hier auftreten. Leider werde ich dann schon anderswo sein. Am Nachmittag reizt mich noch der Aufstieg zur markanten Mariahilf-Wallfahrtskirche in der Innstadt, 321 Stufen führen über die Mariensteige hinauf. Von dort aus bietet sich mir wieder ein wunderbarer Ausblick auf die Stadt, genau gegenüber auf meine Unterkunft, der Veste Oberhaus und auf den Zusammenfluss der drei Flüsse Donau, Inn und Ilz. Dort an der äußersten Spitze dieser Halbinsel beschließe ich auch diesen erlebnisreichen und beschaulichen Tag in der sehenswerten Stadt Passau.


5.Tag, 06.09.2010
Passau bis Feldkirchen a.d.Donau
Km: 92,3

Beginn der "klassischen" Route Passau-Wien entlang der Donau. Diese Strecke ist so bekannt und wird von so vielen Radlern - Alleinreisenden, vor allem aber organisierten Gruppen (Masse zieht Masse an) - frequentiert, dass ich nicht allzu viele Worte darüber verlieren werde. Europaweit zählt er wohl zu den gängigsten Radrouten überhaupt. Der interessierte Leser und Radwanderer kann sich über unzählige Quellen, Internet, etc. über Sehens- und Erlebenswertes informieren. Ich werde nur einige Orte herauspicken, die mich persönlich beeindruckt haben, bzw. wo ich besondere Erlebnisse hatte und die in Erinnerung bleiben werden. Sie haben mich mehr als bestätigt in meiner Wahl entlang der Donau zu fahren. Um mich "warmzutreten" und vorzubereiten auf meine lange Tour durch Südosteuropa und in den Nahen Osten.

Das erste was ich ab Passau feststelle: das Wasser fließt in meine Richtung, der Wind bläst mir entgegen. Doch das kann mich nicht verdrießen, ich komme trotzdem zügig voran und genieße einen weiteren herrlichen Spätsommertag. Beim Grenzübertitt nach Österreich zeigt mein Tacho 257 gefahrene Kilometer an. Ich nähere mich nun einem der wohl landschaftlich reizvollsten Abschnitte für den die gesamte Donauberadelung bekannt ist: der Bereich zwischen Waldkirchen und Aschach, der seinen Höhepunkt in der Schlögener Schlinge findet. Der Fluss mäandert hier über einige Kilometer völlig naturbelassen (abgesehen vom allgegenwärtigen Schiffsverkehr) in malerischer Idylle. Die intensive Nachmittagssonne vom stahblauen Himmel tut hier ihr übriges und läßt die Szenerie fast märchenhaft wirken... Nach jeder Biegung taucht wieder überraschend eine neue Kulisse auf. Recht häufig gibt es Übersetzmöglichkeiten ans andere Ufer für Radler per Fähre, je nachdem auf welcher Seite es gerade besser vorangeht, reizvoller ist, bzw. wo die Ortschaften liegen. Bei untergehender Sonne fahre ich die letzen paar Kilometer und erreiche nach diesem wahren Traumtag einen Campingplatz bei Feldkirchen a.d.Donau.

6.Tag, 07.09.2010
Feldkirchen über Linz bis Perg
Km: 80,8

Morgens lasse ich es erstmal gemütlich angehen. Schuld daran, dass ich heute Zeit brauche, um in die Gänge zu kommen, ist wohl auch ein nächtlicher Zwischenfall. Irgenwann mitten in der Nacht höre ich plötzlich ein intensives Rascheln unmittelbar vor meinem Zelt, gefolgt von einem nicht minder deutlichen Saug- und Schmatzgeräusch. Da schießt mir in den Sinn, dass ich eine Packung mit Portions-Kaffesahne draußen hab liegen lassen. Ein Blick aus dem Zelt hinaus bestätigt meine Vermutung - ein nächtlicher Räuber in Gestalt eines Igel hat sich emsig über das gefundene Fressen hergemacht! Am morgen finde ich um Umkreis von zwei Metern ein Dutzend zerfetzte und ausgesaugte Sahnebehälter. Gut, dass ich die Dinger los bin, waren eh nur Ballast und haben Sauerei angerichtet. Bei dem nahegelegenen Feldkirchener Badesee kann ich natürlich nicht widerstehen - mein erster "Wassergang" bisher - und so mache ich mich erst gegen Mittag auf die Socken, die letzten 20km bis Linz zurückzulegen. In der Stadt angelangt, deponiere ich mein Gepäck im Schließfach und begebe mich auf kurze Besichtungstour. Das stellt sich aber als kaum lohnend heraus, das Wetter ist trüb, zuviel Gewimmel und Kommerz in der Innenstadt, also breche ich am Spätnachmittag wieder auf. Ab Au a.d.Donau beginne ich die Quartiersuche, was sich heute schwierig gestaltet. Ich habe mich diesmal für ein Zimmer entschieden und das einzige freie, das sich nach zwei Stunden, um 21Uhr, nachdem schon leichter Nieselregen eingesetzt hat, finden lässt, befindet sich in einem 3-Sterne Gasthof in Perg und kostet 45€. Nun ja, wird wohl meine teuerste Unterkunft während dieser ganzen Reise gewesen sein.

7.Tag, 08.09.2010
Perg bis Melk
Km: 82,4

Am bemerkenswertesten war für mich heute das Städtchen Grein mit seinen malerischen historischen Gebäuden und schmucken Fassaden. Besonders zu erwähnen: am Hauptplatz steht das "älteste originale Stadttheater Österreichs" aus dem Jahre 1791. Am Nachmittag erreiche ich das weltberühmte Benediktinerstift Melk. Hier mache ich noch einen kurzen Rundgang durch den Park, kurz bevor er schließt, verschaffe mir einen Eindruck von der stattlichen, imposanten Anlage, werfe einen Blick in die Stiftskirche. Von alldem bin ich dann doch so angetan, dass ich entgegen meinem ursprünglichen Plan, gleich weiter zu fahren beschließe, die Nacht hier zu verbringen und morgen das Kloster ausführlich zu besichtigen. In unmittelbarer Nähe von Melk an der Donau findet sich ein Campingplatz, wo ich "alte Bekannte" vom vorherigen Übernachtungsplatz wiedertreffe, eine Familie aus München.


8.Tag, 09.09.2010
Melk bis Tulln
Km: 92,7

Morgens mache ich noch die Bekanntschaft von Janusch, einem Polen, der in Los Angels lebt, und extra hierher gekommen ist, um mit alten Freunden eine Donauradtour bis Budapest zu machen. Die Besichtigung des Benediktinerklosters/Stifts Melk hat sich auf jeden Fall gelohnt. Natürlich würde es hier zu weit führen, auf Einzelheiten einzugehen, denn die ganze Anlage ist einfach zu gewaltig und komplex, seine Geschichte geht bis ins Jahr 1089 zurück. Es handelt sich um eines der schönsten und bedeutendsten Bauwerke der Epoche des Hochbarock weltweit, sowohl was das Kloster, als auch die Stiftskirche angeht. Letztere wurde sehr kunstvoll ausgestattet und verziert, es wurde jede Menge Marmor verarbeitet. Wie bei einer solchen Sehenswürdigkeit zu erwarten, ist allerdings der Touristenandrang gewaltig, ja phasenweise gar als penetrant zu bezeichnen. Die Besucher, hauptsächlich leicht bis mäßig gehbehinderte Herrschaften ab 70 aufwärts, werden in Gruppengrößen entsprechend den Buskapazitäten von Raum zu Raum regelrecht durchgeschleust. In jedem Raum eine andere Sprache und ein anderer Tourguide. Etwas Vergleichbares habe ich bisher nur auf Herrenchiemsee erlebt. Obwohl ich sonst solche Massenaufläufe prinzipiell meide wie etwa "der Teufel das Weihwasser", habe ich es doch nicht bereut, weil ich es wirklich sehenswert fand.
Auf meiner weiteren Radroute bis nach Tulln sehe ich ein Schild mit einer abgebildeten hier vorkommenden Natternart und tatsächlich ca. 10 Meter dahinter liegt das erste Exemplar zusammengekringelt am Wegrand. Ein Wunder, dass sie noch nicht von einem der immer wieder auftretenden Massenradlerpulks verscheucht wurde. Und dann - ein paar hundert Meter weiter, schon wieder eine, diesmal komplett ausgebreitet mitten auf dem Weg! Wieder so ein Glück, dass ich hier als erster vorbeikomme.
Das Wetter, in der Nacht hatte es geregnet, und war eigentlich auch nicht so gut angesagt, bessert sich zusehens, wird richtig sonnig und ich genieße die Fahrt durch ausgedehnte Apfelplantagen und Weinstöcke, überladen mit satten, reifen Früchten in vollen Zügen. Die optimale Jahreszeit um hier durchzufahren, es ist Erntezeit!
In Tulln, einem sympathischen Städtchen mit historischem Zentrum und Donaubühne beziehe ich Quartier auf dem Campingplatz, diesmal ist es ein richtig großer.


9.Tag, 10.09.2010
Tulln bis Wien
Km: 50,1

Vienna calling! Die letzen paar Kilometer bis zur österreichischen Donaumetropole und Hauptstadt rollen dahin. Noch führt der Weg durch üppiges Grün, unverbaute Donauauen. Doch allmählich tauchen die ersten Vorboten der Großstadt auf. Vorbei an Klosterneuenburg passiere ich bei Km 30 die Stadtgrenze. (Beim Gebäude der Fernwärme-Gesellschaft hat sich Hundertwasser gestalterisch verewigt). Es folgt ein Labyrinth aus Brücken, Über- und Unterführungen, ständig wechselt nun der Radwegverlauf und der Straßenverkehr nimmt rasant zu. Plötzlich bin ich mittendrin im Moloch der Wiener City kurz vor der rush hour am Freitagabend. Schließlich lande ich am "Gürtelradweg" und folge ihm entlang des Verkehrsstroms bis zum Westbahnhof. Nachdem das Gepäck im Schließfach verstaut ist, radelt sichs völlig unbeschwert durch die Stadt. Mein nächster Weg führt mich zum erstbesten Internetcafe, erstmalig seit Beginn der Tour sehe ich meine E-mails ein und so erfahre ich, dass eine "alte" Freundin zufällig in der Stadt ist. Ich mache mit ihr aus, dass wir uns morgen am alteingesessenen Wiener Kaffeehaus Westend treffen. Als Unterkunft für die nächsten drei Nächte habe ich mich schließlich für das Westend City Hostel entschieden, direkt am Westbahnhof und einen Katzensprung vom "Haydn-Haus" entfernt.


10.Tag, 11.09.2010
Wien

Heute treffe ich besagte Freundin. Ich freu mich sehr sie zu sehen, wir haben uns ewig nicht gesehen, daher gibts viel zu erzählen. Über meinen Tourenverlauf und weitere Pläne sowieso. Zusammen radeln wir kreuz und quer durch die Wiener City, lassen uns ein bisschen treiben und besuchen den äußerst sehenswerten "Naschmarkt" mit einer schier unübersehbaren Fülle aller erdenklichen Lebensmittel, vieles mutet hier schon sehr orientalisch an. Richtig schwindlig werden kann einem hier. Um einfach mal Irgendwas zu probieren, nehme ich ein Tüte getrocknete Papaya.
Direkt angrenzend befindet sich ein wunderbarer Wiener Flohmarkt. Schließlich landen wir am Prater bei einem guten Essen.
Hat sehr gut getan, sich auf dieser Tour mal wieder mit einer vertrauten Person über alles mögliche, auch Tiefgründiges auszutauschen und vor allem mal wieder richtig gut zu lachen. Danke dir, Steffi!


11.Tag, 12.09.2010
Wien

Diesen letzten Tag in Wien verbringe ich noch ziemlich ungezwungen. Klar, gereizt hätte mich noch so vieles hier, aber ich mache mich nicht verrückt, die Stadt ist auf jeden Fall nochmal einen längeren Aufenthalt wert. Ich kann mich auf meiner langen Tour ja auch nicht so verzetteln. So streife ich einfach mit dem Bike durch die Innenstadt, gehe in den Stefansdom und erwische dort gerade eine Messe. Wieder etwas Abstand gewinnen zu dem ganzen Rummel hier tut gut. Anschließend mache im mich daran, diesen Bericht hier fertig zu schreiben und dann - weil ich dringe ein Pause brauche - auf zum Zentralfriedhof! Ambros lässt grüßen! So "zentral" ist er allerdings nicht, die Fahrt dahin zieht sich gewaltig. Endlich angekommen "stehe ich vor" drei Millionen(!) Gräbern, muss mich also erstmal orientieren, denn eigentlich wollte ich hier nur ein paar namhafte Persönlichkeiten, wie Musiker, Komponisten, Schriftsteller, etc. finden. Schließlich werde ich auch fündig mit Beethoven, Schubert, Brahms, Strauss, ein Denkmal Mozarts, Nestroy, Kreisky, Wittgenstein und so einige andere.
Gesucht habe ich bis zum Schluss, leider aber nicht gefunden einen gewissen Hans Hölzel, besser bekannt als - Falco. Sein "Amadeus, Amadeus" und "Vienna Calling" hab ich noch manchmal im Ohr. Gerade jetzt wieder.


(Anmerkung des Autors: von Zeit zu Zeit werde ich unter dem Titel VELOSOPHIE ein paar spezielle Gedanken loswerden, die mir auf der Langen Meile so in den Sinn kommen)


Teil II: Wien - Budapest, 20.9.2010

So sehr scheint mich diese Stadt in ihren Bann gezogen zu haben, dass sie mich jetzt nicht mehr loslassen will. Doch der Grund warum ich erst mittags aufbreche, ist vielmehr ein weiteres Treffen mit Steffi auf einen letzten gemeinsamen Kaffee und um so einigen Ballast bei ihr abzuwerfen. Das heisst ich habe eine ganze Menge nutzloser Dinge, die mich nur belasten und mein zügiges Vorankommen erschweren, zusammengepackt und sie nimmt sie mir freundlicherweise mit zurück nach München.

[VELOSOPHIE] - Denn auch darum gehts mir bei meiner Reise vor allem: Ballast abzuwerfen - physisch wie mental - sich von belanglosem, entbehrlichem Materiellem zu trennen, loszulassen und damit freier zu werden für die essentiellen Werte und Inhalte. Denn man ist umso reicher, je mehr Dinge man liegen lassen kann.
Meine Bikepumpe, die ich seit Linz vermisse, bildet da allerdings eine Ausnahme.

12.Tag, 13.09.2010, Wien bis Petronell/Carnuntum
Km: 83

Wie schon bei der Ankunft in Wien laufen auch jetzt beim Verlassen der Stadt wieder hunderte Wege kreuz und quer durcheinander, bis sich letztlich alle bündeln und zu dem einen richtigen reduzieren, entlang der Flussrichtung des immer gleichen Stroms, dem ich nun schon seit 500 Kilometern folge. Scheinbar immer gleich, aber doch auch immer wieder anders. Selbst der Wind ist mir jetzt gewogen, er bläst mir in den Rücken. Da auch die Sonne, wie meistens, wieder scheint, ziehe ich frohen Mutes dahin. Vorbei geht es zunächst am Naherholungsgebiet der Wiener, das heisst Seitenarme der Donau, ohne Schiffverkehr, die sich bestens zum Sonnenbaden, Schwimmen und für sonstigen Wassersport eignen. An einer der vielen Plattformen mit Leiter nehme ich die Gelegenheit wahr und hechte erstmals in die Donaufluten. Das Wasser ist angenehm frisch und sauber.
Ab der Lobau führt der Weg etwas weg vom Fluss und im weiteren Verlauf schnurgerade über etliche Kilometer über Orth und Schönau durch den Nationalpark Donauauen.
Die Route verläuft erhöht auf einer Art Damm und seitlich tauchen häufig Tümpel und kleine Seen auf. Kurz vor Hainburg gehts über eine lange Brücke ans rechte Ufer, wo mich ein Hinweisschild auf einen Campingplatz die Entscheidung treffen lässt, heute dort mein Nachtlager aufzuschlagen. Camping Petronell ist zwar wegen Urlaub unbesetzt, dennoch zugänglich und somit kostenlos. Obendrein liegt er nahe bei römischen Ausgrabungs-stätten, der historischen römischen Siedlung Carnuntum, worauf hier an jeder Ecke hingewiesen wird.


13.Tag, 14.09.2010, Petronell bis Gabcikovo/Slowakei
Km: 93,7

"Du sprechen slowakisch, bisschen slowakisch?"
Heftige Sturmböen zerren nachts an Zeltplane, Gestänge und Heringen, doch das Material hält stand. Schon das Zeltaufstellen war nicht ganz einfach, ich musste schnell die Heringe setzen, bevor mir die Plane auf und davon flog. Auf die römischen Ausgrabungen, die sogar heute noch im Gange sind, werfe ich einen kurzen Blick, kann aber auch sie gut "liegen lassen", zumal ich nicht gewillt bin, 9 Euro Eintritt zu zahlen, ausserdem ruft die Ferne. Bratislava zieht sich dann auch mehr als erwartet, genau bei Km 800 passiere ich die Grenze zu Slovenska Republika. Keinerlei Grenzkontrolle, ich fahre einfach durch. Somit bin ich 543km durch Österreich unterwegs gewesen. Ein paar Kilometer weiter laufe ich in der slowakischen Hauptstadt ein, zu deutsch Pressburg. Schon von weitem fällt das markante Wahrzeichen der Stadt, die Burg, ins Auge. Weit oberhalb der Donau thront sie, mit ihrem quadratischen Grundriss, in jeder Ecke ein Turm.
Hier bin ich überrascht zu erfahren, dass auch die Slowakei seit 2009 den Euro eingeführt hat, umso besser, dann brauche ich nicht zu wechseln für die zwei Tage, die ich etwa im Land sein werde. Sprachlich habe ich leider hier nichts mehr zu melden, so sehr ich mich auch bemühe, den gelesenen, bzw. gehörten Worten Ähnlichkeiten mit mir Bekanntem abzuringen. Wenigstens in Bratislava geht noch bisschen was mit Englisch, hie und da auch ein paar Brocken Deutsch. Die Stadt reizt mich nicht genug, hier länger zu verweilen. Historische Bauten, Geschichte und Sehenswürdigkeiten gibt es zwar zuhauf, leider aber auch die entsprechenden Touristenschwärme dazu. Von beidem habe ich nach mehr als 500 Kilometern Donautour nun schnell genug. Da suche ich wieder die Begegnung mit der Einsamkeit und Weite, die vor mir liegen. Im Einzugsbereich der Hauptstadt treffe ich auf zahlreiche Radler und vor allem Inlineskater, die sauber asphaltierte Route eignet sich bestens dazu. Immer wieder gibt es Versorgungsstationen, ähnlich heimatlichen Biergärten, manche wirken wie regelrechte Skater-Clubs. Das Wetter spielt wieder eifrig mit, die Sonne strahlt über all den sportbegeisterten Slowaken. Mit wachsender Entfernuung von Bratislava wird die Route immer einsamer, bald bin ich wieder solo auf weiter Flur.
Der Weg verläuft nun in weitem Bogen um ein gewaltiges Donaubecken herum. Mein Ausschauhalten nach einem Campingplatz ist nicht von Erfolg gekrönt, deshalb frage ich im erstbesten Dorf, das endlich auftaucht. Statt einem Platz fürs Zelt finde ich so ein Zimmer in einem Privathaus, sehr geräumig und ruhig. Welch ein Kontrast zum 12-Bett-Zimmer in Wien! Der "Wirt", mit dem ich noch "ins Gespäch" komme, versorgt mich sogar noch mit hauszubereitendem Fisch und einer Flasche lokalem Weisswein, der erste auf meiner Tour bisher. Ein Glas trinkt er noch mit, nebenbei stellt sich heraus, dass er morgen Geburtstag hat. Als er geht, lässt er mir die restliche Flasche da. So nimmt der Abend seinen Lauf...


14.Tag, 15.09.2010, Gabcikovo bis Radvan (20km nach Komárno)
Km: 89

Erfrischt uund wunderbar ausgeruht nach einer schlafreichen Nacht (die vorangegangene im sturmgepeitschten Zelt war nicht annähernd so geruhsam) mache ich mich nach ausgiebiger Körperpflege starklar, noch in vager Hoffnung auf ein Frühstück, mein "Gastfreund" machte diesbezügliche Andeutungen. Hatte ihn aber wohl missverstanden. Stattdessen packt er mir den ganzen Rucksack voll mit leckeren, erntefrischen Äpfeln.
Zunächst muss ich zurück zu dem gewaltigen Wasserwerk, an dem ich gestern schon vorbei bin und dort die Uferseite wechseln. Bis nach Komárno, meiner nächsten grossen Destination heute, sind es ca. 60km. Die Route führt mich durch zahlreiche kleine verschlafene slowakische Dörfer. Ich bin jetzt mehr auf der Strasse unterwegs, denn der Donauweg ist immer wieder unterbrochen und nicht durchgehend mit Gepäck fahrbar.
Am frühen Nachmittag betrete ich in einem dieser Orte den einzigen Dorfladen mit der Absicht, mich mit einer Brotzeit einzudecken. Das Sortiment hier beinhaltet auf ca. 20m2 Ladenfläche so ziemlich alles Überlebensnotwendige, von der Thunfischdose, über Obst, Spirituosen, Putzmittel und Streichhölzer. Die junge Verkäuferin will mir zuerst mehr als das Doppelte berechnen, korrigiert sich dann aber schnell aufgrund meines unmissver-ständlichen Unmutes. Während meines gesamten Aufenthaltes dort fällt kein einziges für uns beide verständliches Wort, nicht einmal bei einem "hello" oder "thank you" kommen wir uns nähher. Schon erstaunlich, immerhin befinden wir uns hier in einem EU-Land, kaum mehr als 100km von der österreichischen Grenze entfernt.
Anders als gestern halte ich früher nach einem "Kemping"platz(die hiesige Schreibweise) Ausschau und werde auch bald fündig. Die Beschilderung führt mich zu einem Marina-Yacht-Club. Dort finde ich mich als einzigen Camper wieder, ein möglicher Grund dafür wird mir bald mit aller Härte bewusst. "Ssssss-ssss" tönt es plötzlich von allen Seiten. Es wimmelt hier nur so von blutrünstigen Moskitos! Der kleine beschauliche Teich, der sich hier ausser der Donau noch befindet, hätte mich gleich misstrauisch werden lassen müssen...! Wenn ich etwas abgrundtief hasse, dann diese vampirgleichen Mistviecher!
Nun, jetzt bin ich hier, da muss ich irgendwie durch. In Windeseile baue ich das Zelt auf, verstaue mein gesamtes Gepäck, koche Spaghetti, öffne blitzschnell das lebens-rettende Moskitonetz, springe mit allem was ich brauche hinein und verschliesse es ebenso blitzartig wieder. Geschafft. Endlich Stille. Entspannt beobachte ich wie die Blutsauger in Scharen von aussen auf dem Netz landen, unfähig ihrem sadistischen Werk zu frönen und geniesse zufrieden meine wohlverdienten Spaghetti mit einem kühlen Bier.


15.Tag, 16.09.2010, 20km nach Komárno bis Budapest
Km: 120

Die Nacht bringt viel Regen, der auch morgens nur phasenweise nachlässt. Das Positive, das ich versuche diesem Umstand abzuringen: je mehr Regen, desto weniger Moskitos.
Das Zelt muss ich nass einpacken, auch Isomatte und Schlafsack haben was abgekriegt.
Ich spute mich und mache mich aus dem Sumpf, je mehr Fahrt ich aufnehme, desto weniger Chancen haben die gierigen Stechrüssel, die Verfolgung aufzunehmen. Der Regen begleitet mich mehr oder weniger den ganzen Tag, zum ersten Mal seit meinem Start vor zwei Wochen. Jetzt kommen sogar meine Neopren-Schuhüberzieher, die sich gut bewähren, zum Einsatz. Mittags in Komárno passiere ich dann die ungarische Grenze und lande auf der anderen Donauseite in Esztergom bei Km 995. Somit bin ich 195km durch die Slowakei unterwegs gewesen. Neues Land, neues Glück! Einige Kilometer weiter setze ich mit der Fähre wieder über, um einen besseren, durchgehenden Radweg bis Budapest zu haben. Hier treffe ich zwei sympathische junge Ungarn aus der Hauptstadt, die einen Radltagestrip am Fluss entlang machen und nun auf der anderen Seite wieder zurückfahren. Sie sind mir willkommene Begleiter und lokale Tourguides für meine letzte Etappe in die Metropole. Die letzten Kilometer ziehen sich schier endlos, in ewigem Zickzack geht es dahin, bis zuletzt gibt es eine Radwegbeschilderung nach Budapest. Wir sind auch in der Stadt noch lange unterwegs, weil sich die Jungs selbst häufig orientieren müssen. Nach 120km schliesslich lotst mich einer von ihnen noch zu einem Hostel mit dem Namen "The Groove" in bester zentraler Lage in einem alten Herrschaftshaus. Spannende Begegnungen erwarten mich hier, wie die nächsten Tage zeigen werden. Es ist 21:00, what a day, welcome to Budapest!


Leider ist mir gestern ein übles Malheur passiert: erfreut darueber, dass es auf der ungarischen Tastatur ja diese ganzen Umlauttasten gibt, da diese Sprache ja geradezu vollgestopft ist mit Umlauten, hab ich kurzerhand alle UEs, OEs und AEs umgewandelt, was fatalerweise zur Folge hatte, dass sie nicht akzeptiert wurden und ich jetzt den ganzen Text gespickt mit Hyroglyphen habe! Ich hoffe sehr, dass das seitens des Administrators behebbar ist, und der durchgehende Lesefluss in den nächsten Tagen wieder möglich wird. In der Voransicht erscheint der Text nämlich völlig normal, insofern kann ich das einfach nicht vorausahnen.


Tage 16-18, 17.-19.09.2010, Budapest

Wieder ist ein grösseres Etappenziel erreicht, reichlich neuer Erlebnisstoff hat sich angereichert, drängt danach, zu Papier gebracht zu werden. Zeit für Teil II. Der Regen nistet sich am Freitag richtig ein in Budapest, also eine ideale Gelegenheit mal "ruhiger zu treten", Organisatorisches zu erledigen, Wäsche zu waschen, Emails zu checken und zu beantworten, sowie den weiteren Routenverlauf ins Visier zu nehmen. Für all das bietet das Hostel "The Groove" mitten im Zentrum nahe der "Margit Hid"/Brücke den idealen Rahmen. Man braucht nur aus der Haustür zu gehen und ist mittendrin im Geschehen dieser quirligen, pulsierenden Stadt, wo die Post-Kommunismus-Ära auf topmoderne, superchique Einkaufszentren trifft, wo sich inzwischen internationale Ketten häufen und sich ein kommerzverwöhntes Klientel die Klinke in die Hand gibt. Rund um die Uhr sind hier die Strassen belebt, manchmal ist um 4:00 morgens mehr los als mittags, es gibt zahlreiche 24h-Läden und bei vielen Restaurants und Kebapbuden stehen die Leute um 5:30 Schlange. Einmal bin ich hier auch solange unterwegs, habe das Budapester Nachtleben in vollen Zügen ausgekostet mit einer buntgemischten Gruppe von Leuten aus aller Welt, die ich hier im Hostel kennengelernt habe. Sie stammen aus Australien, Neuseeland, Portugal, England, etc. Zusammen sind wir unter anderem über ein Strassenfestival gelaufen, haben viel geredet und gelacht und eine Menge Fotos gemacht. Tut auch gut mal wieder richtig ins Englische reinzukommen, zumal mit Muttersprachlern.
[VELOSOPHIE] Diese Begegnungen ergeben sich wenn man offen und flexibel dafür ist, sich Zeit nimmt und neuen, enorm bereichernden Kontakten zuliebe bereit ist, den einen oder anderen Sightseeing Spot sausen zu lassen. Diese Zusammmentreffen mögen rein zufällig erscheinen, doch irgendwie scheint mir manchmal sowas wie "Fügung" oder "Schicksal" mit im Spiel zu sein. Man kann sich selbst auch als Magneten betrachten, der (je nachdem wie er gepolt ist) sehenden Auges unterwegs ist ins Ungewisse, unvoreingenommen und frei, langsam genug und gelassen, um wahrzunehmen was es rechts und links des Weges zu entdecken gibt. Dies sind übrigens Erfahrungen, die ich immer wieder mache, gerade wenn ich alleine unterwegs bin. Übers Alleinreisen werde ich an anderer Stelle noch weitere Anmerkungen machen. Meine in Budapest neu gewonnenen Freunde Luke (Australien), Emily (Neuseeland), German (Portugal), und Peter (England) sind übrigens alle wie ich solo unterwegs.
Zwei von ihnen haben übrigens hier zufällig den Dalai Lama getroffen, einem von ihnen hat er sogar zugewunken. Fand ich sehr spassig, als ich das hörte! Ich wusste, dass "Seine Heiligkeit" in der Stadt ist, hatte sogar erfolglos versucht, Karten für seinen Vortrag zu bekommen.
Ein alter Münchner Freund von mir, ist mit einer Ungarin verheiratet. Die Stadt werde ich mir also sicher nochmal ausführlicher anschauen.
Sehr beeindruckt haben mich unter anderem die St. Stephan Basilica (grösste Kathedrale Ungarns), das Parlament, direkt am Donauufer gelegen und das Budaschloss (Achtung: zeitweise Touristenalarm!), nicht zuletzt der prachtvolle Blick von dort oben aus auf ganz Budapest und die Donau, die hier Duna heisst, und deren langem Verlauf ich von hier aus weiter bis Belgrad folgen werde... Bin nun gespannt auf die Fahrt nach Belgrad.


19.Tag, 20.09.2010, Budapest bis Doemsoed
Km 56,7

Letzte Nacht ist es wieder spät geworden, ich war lange mit Schreiben beschäftigt. Leider gibt es dabei noch Komplikationen, was Zeit kostet. Daher heute spätes letztes gemeinsames Frühstück in unserem schon vertrauten Team, das leider immer mehr bröckelt und sich auflöst, bestehend aus Luke, Peter, German und meiner Wenigkeit. Es entsteht wieder ein lebendiger Austausch über Reiseerlebnisse aber auch vieles andere. Und es könnte wohl nochmal stundenlang so weiter gehen, doch irgendwann ergreife ich die Initiative und hake ein, sonst komm ich hier gar nicht mehr weg.
VELOSOPHIE Denn da muss man aufpassen, sobald man mal an einem Ort Wurzeln geschlagen hat, gute Leute kennengelernt hat und sich schon ein Stück heimisch fühlt, stellt sich Trägheit und Anhaften ein. Dann wirds höchste Zeit, die Zelte wieder abzubrechen, den neuen Freunden auf die Schulter zu klopfen, sich vielleicht zu verabreden für nächsten Monat in Istanbul oder in einem Jahr in Australien und sich wieder dem Horizont zuzuwenden.
Dennoch begleitet mich eine leichte Wehmut als ich schliesslich Budapest verlasse, denn jetzt ist es erstmal wieder vorbei mit dem turbolenten und geselligen Stadtleben, da draussen erwartet mich nun wieder Einsamkeit und Auf-sich-selbst-gestellt-sein, aber auch Selbstgenügsamkeit - sich selbst genügen. Gerade das macht eben auch den Reiz einer Solotour aus - der immer wiederkehrende Wechsel zwischen diesen beiden Extremen.
Ich kämpfe mich durch den dichten Verkehr und das Touristengewimmel, immer auf der Suche nach dem EuroVelo6, der ja weiter bis ans Schwarze Meer führen soll. Mehrmals wechsle ich die Uferseite, das bringt aber auch nicht viel. Mal taucht die Beschilderung auf, verliert sich aber kurz darauf wieder bei der Umfahrung des soundsovielten Werksgeländes. Fragen bringt kaum was, wenn die Leute überhaupt ein paar Brocken Englisch können, die Radroute kennt praktisch keiner. Obwohl sie ja eigentlich sozusagen an ihrer Haustür vorbei führt. Manche wollen sich gar mit der Lage der Duna nicht festlegen,...liegt sie nun rechts oder eher links? So lande ich schiesslich auf einer leider stark befahrenen Hauptstrasse, muss mehrmals aufpassen, dass mich die dicht vorbei donnernden Trucks nicht in den Strassengraben katapultieren, weiss aber jetzt, dass die Route stimmt. Die nächste Brücke und damit wohl der Weg zur EuroVelo6-Seite kommt erst wieder in Dunaujvaros, meine nächste Etappe. Bald nach 18Uhr taucht ein Camping-Schild auf, kurz darauf finde ich mich an einem lauschigen Flecken mit kleinem See und untergehender Sonne wieder. Der nette Campingplatzwart, der etwas deutsch spricht, kann zwar nicht mit einem Abendessen aufwarten, spendiert man aber dafür ein Bier. Was folgt ist eine idyllische Abendstunde mit schlichter Brotzeit am See und - Löwenbräu!


20.Tag, 21.09.2010, Doemsoed bis Kalocsa
Km 110,7

Platsch...platsch...platsch! Auf jeden meiner Schritte am Ufer des Teichs folgt hier der kollektive Sprung von ca. einem Dutzend Frösche ins Wasser. Es wimmelt hier von den kleinen Amphibien. Soviele hab ich noch nirgendwo gesehen.
Sogar zu Kaffeemilch fürs späte Frühstück komme ich hier noch. Der freundliche Verwalter bringt mir auf Anfrage einen halben Liter, holt sie sogar mit dem Auto. Der Platz hier ist ziemlich feucht und erdig, so dauerts eine Weile bis die allmählich an Kraft gewinnenden Sonnenstrahlen meine Sachen trocknen.
Später wieder auf der Strasse kommt es zur Begegnung mit einer Raupe. Sie hat sich vom Strassenrand aus tapfer auf den Weg gemacht, wild entschlossen, die Strasse zu überqueren. Dafür wird sie wohl ca. so lange brauche wie ich für die Durchquerung Ungarns. Na ja, nicht ganz, dafür hab ich mich zu lange in Budapest aufgehalten. Hoffentlich schafft sie es auf die andere Seite, ohne vorher dem Erdboden gleich gemacht zu werden.
VELOSOPHIE Auf meiner Tour versuche ich, so wenig wie möglich andere Lebewesen in Mitleidenschaft zu ziehen. Das bedeutet immer wieder Slalomfahren zwischen Nachtschnecken hindurch, kreuzenden Raupen auszuweichen, oft sitzen auch Heuschrecken scheinbar reglos auf dem Weg. Libellen, die hier auch häufig vorkommen, weichen aus, bevor sie Tuchfühlung mit meinem Vorderrad aufnehmen. All das schult ein offenes Auge für die kleinen Dinge am Wegrand. *Klein* sind sie ja auch nur rein subjektiv für uns und in Relation zu unserem Grössenempfinden. Nur bei Ameisen im Zelt oder Mücken kenne ich in der Regel kein Erbarmen. Bei letzteren handle ich aber aus reiner - Notwehr.
Mein Fernziel heute ist die Gegend um Baja, und obwohl ich gut Strecke mache - ich bin praktisch nur auf der Hauptroute 51 unterwegs - ist es zu weit für heute. Die Strasse zieht sich meist schnurgerade hin durch die weite Ebene, immer wieder sehe ich grössere überschwemmte Flächen, regelrechte kleine Seen manchmal. Es hat hier, wie ich später erfahre, im Sommer reichlich geregnet, heute aber ist wieder ein strahlender Sonnentag.
Als ich am frühen Abend in Kalocsa eintreffe, mache ich mich auf Quartiersuche, die sich hinzieht. Schliesslich fällt meine Wahl auf eine Pension, nicht ganz billig, aber mit üppigem Freuhstück und online-Zugang, den brauche ich heute noch, um Teil II zu Ende bringen.


21.Tag, 22.09.2010, Kalocsa bis Mohacs/Camping
Km 84,9

Bis spät in die Nacht war ich online beschäftigt und dann dieses kräftige, ziemlich fleischlastige Frühstück. Nachdem es nun schon mal vor mir steht - bestellt hätte ich mir das ausser dem Omelett nicht - werfe ich meine vegetarischen Ambitionen temporär über den Haufen. Die dadurch bedingte spätere Abfahrt mache ich durch zügiges Vorankommen wett. Bei Km 20 fällt mir ein Gegenstand in meiner geräumigen linken Hosentasche auf. Was mag das sein... - der Schlüsselbund nebst Lederanhänger von der Pension! Da ein Zurückfahren nicht in Frage kommt, ich aber zufälligerweise eine Broschüre des Gasthofs mit der Adresse mitgenommen habe, führt mich mein erster Weg in Baja, wo ich an am späten Mittag eintreffe, zur Post. Somit hat sich dieses Schlüsselerlebnis erledigt. Ein schmuckes Städtchen übrigens, dieses Baja. Schön herausgeputzt mit repräsentativen Gebäuden erstrahlt die Stadt unterm stahlblauen Nachmittagshimmel. Der ideale Platz für beschauliches Verweilen und mittägliches Pausieren. Ausserdem gibts hier für mich ein Wiedersehen mit meiner alten, aber in letzter Zeit etwas untreu gewordenen Radlgefährtin - der Duna. Der EuroVelo6 erwacht hier auch wieder zu neuem Leben und nach kurzer Orientierung flitze ich wieder auf der verkehrsberuhigten Biketrasse und auf bester Fahrbahn dahin, der tiefer sinkenden Sonne entgegen...lonesome cowboy, yeah, yeah. Gelegentlich ist der Asphalt unterbrochen, der Weg aber durchwegs eben und gut fahrbar. Ein Camping-Schild erregt meine Aufmerksamkeit. Nach weiteren ca. 15km unter langsam einbrechender Dämmerung, weist mir die Befragung einiger Leute schliesslich den Weg nach Mohacs, zum Zeltplatz direkt am Donauufer. Meine einzige Campergesellschaft hier besteht aus einem netten, jungen österreichischen Pärchen. Auch vor Ort ist aber ebenfalls eine Schar von Fröschen, die hier kreuz und quer über die Wiese hüpfen.

22.Tag, 23.09.2010, Mohacs bis Osijek/HR,Kroatien
KM 80,4

Es scheint mir jetzt der richtige Zeitpunkt zu sein, um eine kurze Ungarisch-Deutsche Wörterliste einzufügen, um den/der Trans-Ungarn RadlerIn den Umgang mit dieser in Europa exotisch anmutenden Sprache und damit das Überleben hier etwas zu erleichtern. Die Auswahl der Worte ist etwas willkürlich, sie umfasst Begriffe, die mir unterwegs so begegnet sind. Die im Ungarischen so häufigen Umlaute kann ich zunächst nur mit ae, oe und ue darstellen, wird aber wohl noch umgewandelt.

koeszuenoem - danke
etterem - Restaurant
soer - Bier
soeroezoe - Bierkneipe/-garten
edelmiszer - Lebensmittel
klayer - Brot
viz - Wasser
tej - Milch
sajt - Käse
kiado - frei
szoba kiado - Zimmer frei
penzvaltas - Geldwechsel
kerekparut - Radweg
hid - Brücke
elado - zu verkaufen

usw.
Auf Akzente, die sicher wichtig sind, habe ich der Einfachheit halber verzichtet.
Wünsche allen sprachlich ambitionierten Radlern viel Freude dabei, ihre eignen Erfahrungen zu machen.


Anne und Johannes, seit langem die ersten Donau-Fernradler, denen ich in dieser Gegend noch begegne, und ich kommen beim Frühstück ins Gespräch und tauschen so manche wissenswerte Information aus. Sie fahren nach dem Bikeline, einem sehr detaillierten Routenführer entlang der Donau und ich bin dankbar für die Gelegenheit, mir zumindest die nächsten Orte bis Belgrad rauszuschreiben. Die Orientierung und Routenführung soll in Kroatien und Serbien nicht eben einfach werden. Die zwei sind unterwegs ans Schwarze Meer, an die Mündung und ihr Zeitlimit reicht bis zum 10.Oktober. Gemeinsam setzen wir mit der Fähre nach Mohacs über, decken uns noch mit Essbarem ein und machen uns daran, die letzten paar Kilometer bis zur kroatischen Grenze hinter uns zu bringen. Meine überflüssigen Forintmünzen drücken mich noch im Säcklein, habe also vor, sie an der Grenze noch über Bord zu werfen. Da es dort nichts mehr zu kaufen gibt, versuche ich meine 230FT einfach jemandem zu schenken... keine Chance! Meine spendable Geste stösst hier auf völliges Unverständnis. Schliesslich fühlt sich die Gruppe der eher tatenlos ihren Tag zubringenden Grenzer auch noch in ihrer Berufsehre verletzt - das hier sei doch kein *Bueffe*, sie seien ehrbare Beamte, die kein *Backschisch* annehmen! Wie gern würde ich jetzt einem *unehrenhaften* Obdachlosen begegnen...! Dobrodosli a Hvratska!
Mein Tacho zeigt 1.350km an, ich habe also 355km in Ungarn zurückgelegt.
In Kroatien entspricht die Ruta Dunav dem EuroVelo6 und führt mit ziemlich regelmässig auftauchenden kleinen blauen Schildern mit Radlersymbol durch die Lande. Ein Guide ist also auch hier nicht unbedingt vonnöten, es sei denn freilich, um sich hie und da mit kulturell und historisch interessanten Hinweisen weiterzubilden. So erfahre ich zum Beispiel von meinen neuen österreichischen Guides Wissenwertes über in der Grenzgegend zu Serbien häufige Kriegsschauplätze. Die Donau bekommen wir auf der Ruta Dunav kaum noch zu sehen, dafür umso mehr schwerlastigen Transitverkehr, der hier fast ungebremst durch die Ortschaften donnert. Die Radroute deckt sich hier mit der Hauptstrasse, also schön sich auf den Seitenstreifen konzentrieren und die Luft anhalten, wenn von hinten wieder ein unheilverkündendes Dröhnen lauter wird. Mit meinen temporären Partnern radelts sichs gut, wir haben ein ähnliches Tempo und erreichen schliesslich am frühen Abend Osijek, wo wir gleich am Ortseingang einen Hinweis auf das Hostel Tufna sehen und uns dort für die Nacht einquartieren. Das Haus ist ebenfalls eine Diskothek/Night Club mit fast permanenter Beschallung, wie sich bald herausstellt...


23.Tag, 24.09.2010, Osijek bis 20km vor Ilok
Km 70,7

Der Musikschuppen unter uns war abends okay und eine willkommene Abwechslung. Nicht mehr allerdings wenn man gegen 2-3Uhr morgens doch mal ganz gern ein Auge zutun würde, die gnadenlos weiter wummernden Technorhythmen das aber vereiteln. Dazu kam eine Horde Halbstarker, die sich im Nebenzimmer breit machte und in den frühen und späteren Morgenstunden mit militant anmutendem kroatischem Kampfgeschrei und Gelächter systematisch darin gingen, uns noch die letzte Hoffnung auf ein bisschen sauerverdiente Nachtruhe zu rauben. Entsprechend verzögert sich unsere Abfahrt heute bis zum frühen Mittag und nach einer kurzen Besichtigung der erhaltenen Stadtmauer. Immer wieder sieht man hier Einschusslöcher in den Häuserfassaden.
Das übliche Geplänkel bis man seinen Weg hinaus aus der Stadt und die richtige Route findet. Die Bikeroute führt leider weiter entlang der Hauptverkehrsader, und so heisst es die Augen auf den Seitenstreifen fokussieren, und sich keinen zu grossen Linksschlenkerer erlauben, will man nicht wie einer der unachtsamen, arglosen Kleinsäuger enden, die hier immer wieder als *Asphaltteppiche* ein elendes Bild abgeben.
Dann - in der Ortschaft Sarvas (vergl. bayer.*Servus*) blicke ich mich nach meinen Begleitern um - sie sind spurlos aus dem Blickfeld verschwunden! Ein paar Minuten gebe ich ihnen, als sie aber nicht auftauchen, mache ich kehrt und treffe sie ca. 2km zurück am Strassenrand wieder. Panne! Annes Hinterradnabe hat sich auf rätselhafte Weise *gefressen* und lässt sich nicht mehr so justieren, dass sie wieder frei beweglich wird. Da hilft alles nichts, für Johannes bedeutet das, sich das Hinterrad unter den Arm klemmen und zurück nach Osijek trampen, zum nächsten Bikeshop. Eine Weile leiste ich der verwaisten Anne noch Gesellschaft, dann muss ich sie ihrem Schicksal überlassen, nicht bevor wir handynummern ausgetauscht haben, um uns nochmal zu kontaktieren. Ziemlich zügig erreiche ich daraufhin Vukovar, ebenso wie Osijek eine vom Krieg gebranntmarkte Stadt, auch hier Einschusslöcher sowie halbverfallene Baracken und Ruinen. Besonders bizarr - ein ca. 40 Meter hoher Turm ragt hier - wohl als Mahnmal stehengelassen - weithin sichtbar in die Luft. Arg zerschossen und baufällig ist sein kopflastiges Oberteil. Ein stummer Zeuge des Jugoslawienkrieges, der hier beklemmende Spuren und tiefe Wunden hinterlassen hat. Umso erfreulicher die Begegnung, die ich hier beim Turm habe - ein Mann spricht mich auf der Strasse an, ich solle mal 3 Minuten warten. Sprichts, geht ins Haus und kehrt kurz darauf mit einem kühlen Bier in der Hand zurück! Mein Getränk fürs frühe Abendessen ist somit gesichert, ich geniesse es zusammen mit einer Pizza in der intensiven Spätnachmittagssonne. Bald schon halte ich Ausschau nach einem geeigneten Schlafplatz und werde auch bald unweit der Strasse auf einem Grassstreifen fündig. Die umherschwirrenden Moskitos haben diesmal keine Chance bei mir, ich schmiere mich gründlich ein. Heftig soll mir in dieser Nacht der Wind um die Ohren blasen.




24.Tag, 25.09.2010, zw. Vukovar und Ilok bis Sremski Karlovci/Serbien
Km 87,3

Ein Wispern und Flüstern schleicht nachts ums Zelt... und das - waren das nicht gerade Schritte, die durchs Gras schlurfen? Da raschelt doch was - macht sich da gerade wieder ein nächtlicher Räuber über meine Vorräte her? Es ist doch alles gut verstaut... oder? Reflexartig versucht das Gehirn Erklärungen zu finden für jedes dieser seltsamen Geräusche. Letztlich kommt es zu dem Fazit: all das verursacht der Wind, der seine tollen Spielchen treibt mit der Zeltplane. Immer wilder und ungestümer wird er im Laufe der Nacht, sodass ich schon wieder bangen muss, ob die Heringe in diesem Ackerboden auch halten. Dazu kommen Schüsse(?), alle paar Minuten abgefeuert, vielleicht einige hundert Meter von hier, noch bis zwei Stunden nach Einbruch der Dunkelheit(anderntags sehe ich die Erklärung dafür: Jägersteige am Waldrand). Die Moskitoplage hatte ich diesmal dank meines Einschmiermittels gut im Griff, ausserdem hatten sie bei dem Wind sowieso keine Chance. Doch diesen nächtlichen Geräuschen bin ich ausgeliefert, sie öffnen der Phantasie Tür und Tor.
Die Fahrt in den Grenzort Ilok am frühen Morgen mit leerem Magen gestaltet sich mühsam, es gilt nun so einige Höhenmeter zu überwinden, zudem ist der heftige Wind gegen mich. In Ilok interessiert sich der nette, gut englischsprechende Cafebesitzer für meine Tour und mein Bike. Es gelingt mir hier, die restlichen Kuna-Münzen abzustossen und mich noch mit Lebensmittel einzudecken und so steht meiner Einreise nach Serbien nichts mehr im Wege, abgesehen vom Sturmwind, der mir aus diesem neuen Land ins Gesicht peitscht.
Von der Dunavbrücke aus sehe ich aufgewühltes Wasser und fast sowas wie - Schaumkronen. Mit gemischten Gefühlen passiere ich die Grenze. Am Grenzposten dann hohes Verkehrsaufkommen, ineinander verkeilte Trucks und ein riesiges Willkommensschild für Donauradler mit dem kompletten Routenverlauf hier im Land, einem herzlichen "Welcome to Serbia!" und dem wohlmeinenden Satz: "Enjoy your ride through Serbia, and may the wind always be at your back!" An diesen Satz werde ich in den nächsten Tagen noch mit bitterem Beigeschmack zurückdenken. Später lese ich auf einem Radlwegweiser auch noch:
"All people smile in the same language." Dieses Lächeln lassen zumindest die Gesichter der stetig an mir vorüberdonnernden Luftverpester hämisch vermissen! Der gemeine serbische Fahrzeuglenker hupt stattdessen. Er meint das aber nicht bös. Es ist vielmehr als freundliche, warnende Geste, die sein unerbittliches Herannahen ankündigt, zu verstehen. Die oft schlaglochübersähte Piste, das penetrante Verkehrsaufkommen, sowie die erwähnte steife Brise von vorn, geben selbst dem ambitioniertesten Fernradler manchmal den Rest. Hier kommt mir AC/DC in den Sinn. Mit ihrem Hit "Highway to hell" müssen die Serbien gemeint haben. Irgendwie schaffe ich es dann doch, mich bis Novi Sad, die erste grössere Stadt durchzuschlagen. Meine restlichen Kuna-Scheine, sowie Forint sind hier flugs gewechselt, und so kann ich mein Säcklein mit den landesüblichen Dinar füllen. Der Wechselkurs zum Euro: 1 Euro = ca. 105 Dinar, einfach zu rechnen.
Als mich dann 10 Kilometer weiter auch noch der Regen erwischt, schlage ich mein Zelt nach erfolgloser anderweitiger Quartiersuche auf einem schwach beleuchteten Spielplatz in dem schönen Städtchen Sremski Karlovci auf.
Zu erwähnen bleibt noch das üppige Abendessen bestehend aus einem gut gewürzten grossen Suppentopf mit Fischeinlage(allerdings gespickt mit fieseligen Gräten), zwei Fladenbroten und Bier für ganze 400 Dinar.


25.Tag, 26.09.2010, Sremski Karlovci bis Belgrad
Km: 106,8

Abgesehen von einem Besucher mit Hund am frühen Morgen verlief die Nacht ruhig. Sogar das Zelt ist trotz Regen fast trocken, wohl dank des kräftigen Windes. Am Hauptplatz der Stadt geniesse ich einen wunderbaren Kaffee und beobachte das lokale Leben. Das Personal des Nachbarcafes ist eifrig dabei, die Stühle und Tische trocken zu wischen. Das letzte Regenwasser der Nacht wird aus den Schirmen geschüttelt, bevor sie geöffnet werden. Fast zeitgleich lugen die ersten Sonnenstrahlen des jungen Tages durch die Wolkenschicht. Am Tisch neben mir lassen sich die Besitzer benachbarter Läden auf ein Schwätzchen nieder, ihre Läden fest im Blick, falls die erste Kundschaft auftaucht. "Dober dan, dober dan." Praktisch jeder Passant wird gegrüsst, Neuigkeiten werden ausgetauscht. Hier kennt wirklich jeder jeden aus dem Ort. Da geht plötzlich das Tor des grossen Gebäudes gegenüber auf und herausströmen ca. 100 adrett in Sonntagsanzügen gekleidete junge Männer und marschieren in Reihe und Glied direkt in die Kirche zum sonntäglichen Gottesdienst. Inzwischen sind die Ladenbesitzer in ihre Läden zurückgekehrt und auch für mich ist die Zeit des Aufbruchs gekommen, um die letzten Kilometer bis nach Belgrad hinter mich zu bringen. Gleich zu Beginn gerate ich in eine saftige Steigung und der Verkehr hat mich wieder. Die schier endlose Ebene, die noch in Kroatien und Ungarn landschaftsbestimmend war, wird nun abgelöst durch hügeliges Gelände, so scheint es. Bald nach der ersten längeren Gefällestrecke zweigt die Bikeroute nach links ab und führt erfreulich verkehrsberuhigt in regelmässigem Auf und Ab durch zahlreiche kleine Ortschaften. In einer der nächsten Senken überhole ich lässig mit vollem Schwung einen lahm vor sich hin tuckernden Traktor. Doch bald bahnt sich die nächste Steigung an und unweigerlich wird das Tuckern hinter mir wieder lauter und lauter... ich kämpfe - noch hab ich die Kiste nicht in der Nase, ihr Tuckern aber umso mehr im Ohr - muss mich aber schliesslich geschlagen geben und sehe die Fuhre wieder quälend langsam an mir vorüber ziehen. Beim nächsten Gefälle hole ich wieder zum Gegenschlag aus, doch da "kneift" das Gefährt, biegt auf einen Feldweg ab und ist weg.
Am nächsten Wegekreuz sind sie plötzlich da, aufgetaucht wie aus dem Nichts, Liz und Ollie, long distance biker aus England, die, wie sich herausstellt, schon quer durch Frankreich gestrampelt sind, bevor sie sich daran machten, den zweitlängsten Strom Europas von seinem Ursprung bei Donaueschingen bis zur seiner Mündung ins Schwarze Meer bei seinem wechselvollen Verlauf per bike zu begleiten. Bis Istanbul wollen sie jedenfalls auch noch und scheinen keine feste deadline für ihre Heimkehr zu haben. Es gibt natürlich eine Menge zu erzählen und Erfahrungsberichte auszutauschen. Ich freu mich sehr, so spät auf der Donauroute noch auf Gleichgesinnte zu treffen, diesmal sogar Leute, die schon um einiges länger unterwegs sind als ich selbst. Noch dazu so ein symphatisches englisches Pärchen. Meine letzten Gefährten, die Österreicher, sind mir ja leider "abhanden gekommen". So fahren wir eine zeitlang gemeinsam, ich geniesse nach den langen Soloetappen sehr die Gesellschaft und die Gemeinsamkeiten, die wir entdecken. Der Wind nimmt stetig an Intensität zu und seine Richtung erwischt uns immer mehr frontal. Der Strassenbelag lässt zunehmend zu wünschen übrig. So arbeiten wir uns kilometerweise voran und ein paar Stunden später trennen sich unsere Wege leider schon wieder. Zuvor erfahre ich aber noch, dass die beiden auch einen Tourenreport schreiben und wir tauschen gegenseitig die Adressen der Foren aus. So können wir unsere Routenverläufe aus der Ferne mitverfolgen. " Man trifft sich immer zweimal im Leben", wär schön wenn das auch für Liz und Ollie gilt.
Es bleibt noch ein ganzes Stück Arbeit, um bis ins Zentrum/die Altstadt von Belgrad vorzudringen, mein Tacho zeigt am Ende weit über 100km an. Zunächst passiere ich die üblichen langgezogenen Vororte, dann folgen kilometerweite monotone, graue Betonwohnsilos, einer hässlicher und namenloser wie der andere. Erschreckend auch die Müllberge, die sich immer wieder an den Strassenrändern häufen. Das ist Novi Belgrad, die "neue", wohl nach dem Krieg errichtete Stadt. Auffallend ist hier auch: es gibt keinerlei Wegweiser, ins Zentrum oder zu anderen Destinationen. Dafür vorbidlich ausgebaute Radwege. Schliesslich passiere ich die lange angekündigte Brücke über die Sava und lande am Bahnhof und im eigentlichen Zentrum, bzw. der Altstadt. Turbolent gehts hier zu, wie in einem Ameisenhaufen, die angeschriebene Touristeninfo ist nicht zu finden. Ein paar Adressen von Hostels habe ich von den Engländern, lande aber schlieslich per Zufall im Hostel40, nahe des Bahnhofs. Hier stimmt alles: das schöne Ambiente, die relativ ruhige Lage, die netten Leute und sogar der Preis. "Dobrodosli a Beograd."


26.Tag, 27.09.2010, Belgrad

Ich finde mich wieder in einer wuseligen, quicklebendigen Stadt, an jeder Ecke ein Kiosk, eine Imbissbude. Die Menschen strömen kreuz und quer, der Verkehr ist dicht, selbst LKW-Kolonnen schieben sich zähfliessend durch die Strassen. Dazu kommen die Busse und Trambahnen. Der Lärm ist allgegenwärtig. An jeder Kreuzung sammeln sich Menschentrauben, die auf rote Ampeln starren. Was ich hier zum ersten Mal sehe - über dem roten Fussgängersymbol läuft eine LED-Anzeige, die die Sekunden angibt, bis es wieder grün wird! Ist es dann soweit, läuft sie auf grün weiter, leider nur knapp halb so lang wie die Rotphase. Nun, jedenfalls keine Stadt für entspanntes Radeln. Ich lasse also das Bike im Schuppen stehen, streife zu Fuss durch die Strassen, um mir einen ersten Eindruck zu verschaffen und Einkäufe zu erledigen. Ich finde auch einen passablen Bikeshop, kaufe die längst fällige Pumpe, schaffe sie und so einige andere Konsumgüter zurück ins Hostel. Muss aufpassen, hier nicht einem gewissen Konsumrausch und der Schlemmerei zu verfallen, das Preisniveau ist schon ziemlich niedrig hier. Abgesehen von internationalen Markenprodukten, die kosten wohl überall so ziemlich das gleiche.
Den Rest des Tages verbringe ich hauptsächlich mit Schreiben auf der gemütlichen Gartenterasse im hostel und online. Es ergibt sich auch das eine oder andere interessante Gespräch, vor allem mit David, einem jungen italienischen Fotografen. Zum Abendessen - Hot Dog mit Salat für 90 Dinar!


27./28.Tag, 28./29.09.2010, Belgrad

Statt/-dt VELOSOPHIE Man kann diese Stadt - wie wohl so manch andere Grossstadt auch - lieben oder hassen, es scheint kaum etwas dazwischen zu geben. Nach ein paar Tagen Aufenthalt hier tendiere ich mehr zu letzterem. Trotzdem, ich als durchreisender Transitbiker will mir auch kein vorschnelles Urteil erlauben. Die Stadt hat sicher ihre Qualitäten. Aber das hat sie auf jeden Fall auch - Lärm, Luftverschmutzung, Überfluss, Müll, etc. Wie leicht ist es hier, sich zu verlieren im Strassenlabyrinth mit einem überbordenden Angebot an Kulinarischem, Elektronikshops und geballtem Kommerz, um hinterher auf einsamer Bikeroute durch die Landschaft und Natur, wieder reduziert auf die wenigen, wesentlichen Dinge - sich wiederzufinden.
Chaotisch gefahren und geparkt wird hier, manchmal auch noch auf dem letzten Quadratmeter auf dem Bürgersteig. Beeindruckt hat mich die Belgrader Burgfestung Kalemegdan in einem grosszügig angelegten Park von dem aus man die ganze Stadt überblickt. Den besten Blick geniesse ich von einem Turm aus, besonders auch auf den Zusammenfluss von Sava und Dunav mit einer kleiner Insel mittendrin. Beim anschliessenden Kaffee und Spaziergang durch den Park erhole ich mich von Hektik und Grossstadtlärm und geniesse die Aussicht an diesem makellosen Sonnentag.
Bei der Touristeninformation erhalte ich überaschend gutes Kartenmaterial und erfahre, dass der nächste und für mich letzte Donauabschnitt nochmal sehr reizvoll wird, auf ca. 100 Kilometer sogar durch Nationalparks, sowohl auf serbischer, als auch auf rumänischer Seite führt. Damit steht mein Entschluss fest, meine Route doch entlang der Donau, wie ursprünglich geplant, bis zum bulgarischen Lom fortzusetzen. Florian hat mir aus Sofia eine Karte Bulgariens geschickt, also ist meine Orientierung bis dahin gesichert. Morgen früh werde ich aufbrechen. Freu mich schon drauf, wieder auf Achse zu sein, mich der schon wieder einsetzenden lähmenden Gewöhnung zu entraffen!
Auf zurück in die Natur und nach Sofia!


29.Tag, 30.09.2010, Belgrad bis Crkva
Km 126

Kreisverkehrchaos übler als in Rom. Gedränge, Geschiebe und Gehupe von allen Seiten. Lasst mich hier raus, ich bin ein Transitbiker! Raus will ich, einfach nur hier raus. Pancevo heisst das "Zauberwort", meine erste grössere Destination. Wenn ich Wegweiser dorthin gefunden habe, kehre ich diesem Moloch hier den Rücken zu und habe meine Haut gerettet. Nach mehrmaligem Fragen gelingt mir das auch. Kurz darauf überquere ich die Dunav, die Route geht kerzengerade zweispurig dahin. Es folgt nun eine Reihe ziemlich austauschbarer serbischer Ortschaften, viel marode Industrie, hässliche Bebauung und vor allem Müll, Abfallhaufen am Strassenrand, Plastik, Plastik und nochmals Plastik. Hie und da die obligatorischen plattgewalzten Kleinsäuger. In Kovin lege ich am Spätnachmittag eine Brotzeitpause ein, die Verständigung hier ausserhalb Belgrads läuft wieder mit Händen und Füssen. Zügig breche ich erneut auf, möchte es heute noch bis Bela Crkva schaffen, zu einem auf der Karte eingezeichneten Campground. Der Wind ist jetzt voll auf meiner Seite, meist sause ich mit 25-30km/h dahin. Dieses Belgrad scheint wie ein umgepolter Magnet zu funktioneren: man kämpft und strampelt sich ab, um hinzukommen und fliegt hinterher geradezu wieder weg von der Stadt. Trotz der späten Abfahrt mache ich also richtig gut Strecke. Kurz vor meinem Ziel erwischt mich dennoch die Dunkelheit, doch die Route läuft gut ausgebaut, schnurgerade und kaum mehr befahren dahin. Ein einsamer entgegen kommender Biker aus Belgrad begrüsst mich herzlich und gibt mir den Tipp, mich in einer nahegelegenen günstigen Pension mit Frühstück einzuquartieren. Leider ist diese aber nicht auffindbar und dann taucht irgendwann doch noch das Schild mit dem Zeltsymbol aus der Dunkelheit auf, bei Tachostand 125km. Idyllisch liegt er da, direkt an einem kleinen jezero(See). Da er offiziell angeblich bereits seit Anfang September geschlossen ist, kostet er nicht einmal was. Ein feines Abendessen finde ich einen Kilometer weiter.


30.Tag, 01.10.2010, Bela Crkva bis Golubac
Km: 59

Der Oktober kündigt sich mit dichtem Nebel über dem See an. Die Nacht war so sternenklar und nun erahne ich kaum das andere Ufer. Empfindlich frisch ist es geworden, klamm sind meine Glieder und feucht ist das Zelt. Das wird dauern bis es trocknet, so habe ich Zeit für ein ausgiebiges Frühstück. Zumal ich gestern ja so einen Marathon absolviert habe. Nachdem ich mich in der Stadt mit allem Notwendigen eingedeckt und einen Kaffee genossen habe, mache ich mir es auf einer Bank am See bequem. Die nun schon wieder kräftige Sonne lässt einen Vorgeschmack auf einen goldenen Oktober aufkommen. Zu verlockend ist dieser -ohnehin seltene - idyllische Seeaufenthalt, alsdass ich voreilige Ambitionen habe, in die Pedale zu treten. Gar ein Sprung ins belebende Nass ist hier längst überfällig. Es wird daher ein überschaubar kurzer Radltag. Zudem ich bei Batanska Palanka nach Ram über den Fluss übersetzen muss, was insgesamt ca. eine
3/4h dauert. Vorbei an Valinka Gradiste, erreiche ich am frühen Abend Golubac, wo ich mich in Ermangelung anderer Optionen im erschwinglichen
2-Sterne Hotel des Ortes einmiete. Vor allem auch weil ich jetzt dringend eine Foto-DVD brennen muss, denn mein Speicherchip ist voll. Ausserdem muss ich Akkus laden, bzw. brauche neue, denn jetzt nähere ich mich dem Nationalpark Derdap und dem vielgepriesenen "Iron Gate" und dafür muss meine Kamera fit sein. Nachdem es sich mit Internet und Brennen zunächst schwierig gestaltet, habe ich Glück und finde einen PC-/Elektronikshop, wo mir der sympathische, auch noch gut englischsprechende Inhaber diesen Service letztlich sogar umsonst leistet(wohl nachdem ich ihm von meiner Route erzählt habe und er auch ein paar von den Bildern gesehen hat).


31.Tag, 02.10.2010, Golubac bis
Milanovac
Km: 100,2, Hm: 587

Dieses "Hotel" lässt an allen Ecken und Enden zu wünschen übrig. Um 8:00, Samstagmorgen, fangen die Bauarbeiten mit vehementem Getöse direkt vor meinem Fenster an. Das "Frühstück" spottet jeder Beschreibung, die "Rezeptionistin" scheint von nichts auch nur die geringste Ahnung zu haben. Ein Wunder, dass sie ein paar Takte Englisch kann. Zu allem Überfluss stellt sich, entgegen ihrer Aussage heraus, dass es eben keine Bank in diesem Kaff gibt und ich schliesslich eine Fleissrunde von 40km absolvieren muss, zurück nach Valinka Gradiste, um mir noch Dinar fürs Hotel zu besorgen. Heute scheint nicht mein Tag zu sein. Hier zeigt es sich erstmalig, dass es ratsam ist, eine Handvoll Euro parat zu haben, denn Wechselstuben gibt es hier in jedem zweiten Haus. Bankautomaten aber, können in kleineren Orten rar werden. Könnte mir eventuell in Griechenland, falls ich dorthin komme, oder - noch besser - vom Florian in Sofia ein paar Euro besorgen. Meine Emails zu lesen, was mir hier im "Hotel" zugesichert wurde, klappt leider auch nicht, die "Managerin" ist selber im Internet beschäftigt, hat leider keine Zeit und die Empfangsdame weiss nicht wie man das macht - ins Internet gehen! Nichts wie weg hier, endlich Boden gewinnen. Gleich zu Anfang zieht mich die Festung Golubac mit ihren insgesamt zehn, mehr oder weniger gut erhaltenen Türmen in ihren Bann. Majestätisch und trotzig steht sie noch heute da. Seit dem 15.Jahrhundert kam keiner, der stromauf oder -ab wollte, ungesehen und ungeschoren an diesen Türmen vorbei. Bedrohlich wirken sie, ein Bollwerk mittelalterlicher Macht. Eigentlich sollte hier irgendwo der Nationalpark beginnen, es kommt aber keinerlei Hinweis darauf und ein besonderer Unterschied lässt sich auch beim besten Willen noch nicht feststellen. Einzig der Müll an den Strassenrändern scheint etwas weniger zu werden...Es ist jetzt stärker bewaldet hier, hügelieger und stellenweise hat das Donautal schon schluchtartigen Charakter. Ich passiere nun erstmalig zahlreiche Tunnels und die Route führt mich nach einer langen, zähen Steigung auch hoch über die Donau hinaus. Leider ist das Wetter heute etwas trüb, sonst wäre der Blick sicher noch beeindruckender. Nach einer entsprechend langen Abfahrt erreiche ich nach ein paar weiteren Kilometern den Ortsrand von Danji Milanovac und da es schon stark dämmert, folge ich dem erstbesten Sobe-/Zimmer-Schild, das ich sehe. Das Haus ist sehr ordentlich und offenbar ziemlich neu, bewohnt von einer netten Familie, der Preis bescheiden. Hier soll es mir heute abend an nichts mangeln. Später kommt sogar noch Billy Wilders "Some like it hot" in Originalfassung im Fernsehen.
Jetzt bin ich einen Monat auf Achse!


32.Tag, 03.10.2010, Danji Milanovac
bis Vidin(BG)
Km: 118, Hm: 1.190

Der erste Blick nach draussen lässt trübe Aussichten vermuten, es ist stark bewölkt, ich glaube gar feinen Schnürlregen zu erkennen. So dehne ich das Frühstück in dieser gemütlichen, ruhigen Unterkunft noch etwas aus. Heute scheint einer dieser Tage ohne besondere Entdeckungen und Highlights zu werden. Man will einfach vorwärts kommen und die Strecke hinter sich bringen. Obwohl ich ja immerhin in diesem angeblichen Nationalpark unterwegs bin...na, mal sehen. Je weiter ich komme, desto fragwürdiger erscheint mir dieser sogenannte Nationalpark. Der Zauber des überaus farbenfrohen Touristenprospekts erschliesst sich mir in keiner Weise. In Serbien nimmt man die Voraussetzung für NP-Kategorisierung wohl nicht besonders ernst. Hier wird eine Gegend offenbar schon zum NP erklärt, wenn die Frequenz und das Volumen der Müllberge am Strassenrand etwas geringer wird.


Vielleicht muss man ja, um vom Park etwas mitzukriegen, weg von der Strasse, rauf in die bewaldeten Hügel, damit einem die Wölfe, Luchse und Bären über den Weg laufen. Für den Transitradler mit Gepäck wiederum etwas schwierig. Ausserdem ist das Wetter, wie gesagt, alles andere als dazu angetan, noch irgendwelche Extraspritztouren zu unternehmen. Circa zehn Kilometer nach Donji Milanovac gabelt sich die Route, links nach Kladovo, weiter der hier wieder stark mäandernden Dunav entlang, rechts der direkte Weg nach Negotin, Richtung bulgarische Grenze. Letzteren wähle ich, um Strecke und Zeit zu sparen. Raus aus diesem "grandiosen Nationalpark". Nun geht es in stetem Auf und Ab durch kleine Dörfer. Bis zum Abend werde ich so knapp 1.200 Höhenmeter überwinden, die bei weitem meisten Steigungen bis jetzt. Immer häufiger beobachte ich hier wie grosse Mengen Holz gesammelt und gelagert werden, wohl für die bevorstehende Heizperiode.
Oft sehe ich hier auch igluförmige Öfen aus Ziegelstein, aus denen es heftig qualmt. Auffällig sind auch die sorgfältig gepflegten und geschmückten, ausgedehnten Friedhöfe, häufig begegnen mir Gedenktafeln am Strassenrand, manchmal alle paar hundert Meter. Alles Opfer des Strassenverkehrs, oder wohl eher Gefallene des Jugoslawienkrieges?
Statt - VELOSOPHIE
Wirklich bizarr was mir hier auffällt: unmittelbar ausserhalb der herausgeputzten, üppigen und sauber gestalteten Friedhofsdekoration, vor der Umzäunung liegen überall Müll und Berge von Plastikflaschen herum. Sauberkeit, Pflege und Ordnung für die Toten hier - hässliche, giftige, allgegenwärtige Spuren des Konsums, Dreck und Chaos für die Lebenden dort. Verkehrte Welt! Ausser mich scheint das aber kaum jemanden zu stören oder gar aufzuregen. Nur - ich lebe noch nicht mal hier, fahre nur durch, bin morgen wieder weg. Die Menschen hier haben aber diesen Sauhaufen täglich vor Augen! Jahrzehnte werden nicht ausreichen, diesen nicht organisch abbaubaren Mist zu beseitigen, giftige Rückstände werden ins Grundwasser gelangen und es verseuchen, gar nicht zu reden von der widerwärtigen Verschandelung der Landschaft. Es ist schwer, sich im Laden, nicht im wieder neue Plastiktüten, für jeden auch noch so kleinen Mist andrehen zu lassen. Man muss sich manchmal regelrecht mit Gewalt widersetzen und einfach NEIN sagen. Die Tüten haben eine "Halbwertszeit" von maximal 24 Stunden, dann haben sie ihr nützliches Leben ausgehaucht und landen auf dem Müll, bzw. in der Landschft, die meisten von ihnen wohl schon wesentlich früher. Wenn es uns nicht gelingt, den tagtäglich massenweise hergestellten Verpackungswahnsinn in den Griff zu kriegen und umweltgerecht zu entsorgen, dann wird das System immer mehr aus dem Gleichgewicht geraten und letztlich kippen und kolabieren. Dann sägen wir uns mehr und mehr den eigenen Ast ab. Dann kann diese Industriegesellschaft nicht auf Dauer überleben! Nun, hier ist nicht die Zeit und der Raum, sich noch weiter über dieses hochbrisante Thema auszulassen, nur ist es halt gerade so eine Radreise, die einem diese erschütternde Gewissenlosigkeit, abgrundtiefe Dummheit und Kurzsichtigkeit immer wieder vor Augen führt. Man ist langsam genug, um diese Sauereien zu sehen. Und das bleibt hängen, es brennt sich ein ins Gedächtnis...Mir kommt dieser Tage immer wieder ein alter Sting-Song noch aus der Ära des Kalten Krieges in den Sinn:"...believe me when I say to you - I hope the Russians love their children too."
Sinngemäß will ich sagen: "ich wünschte die Serben, Bulgaren und alle anderen würden die Natur und Umwelt auch lieben". Und sei es auch nur in letzter, eigennütziger Konsequenz: weil es ohne sie auch kein Überleben für uns gibt. Auch diese Weisheit finde ich in diesem Kontext sehr passend: "Der Mensch hat das Netz des Lebens nicht gewoben. Alles, was er dem Netz antut, tut er sich selbst an."


In Stubik ist es Zeit für die Mittagspause. Etwa hier habe ich meine ersten 2.000km zurückgelegt. Wie so oft leisten mir hier streunende Hunde Gesellschaft und hoffen darauf, dass was für sie abfällt. Früher als erwartet erreiche ich Negotin, kaufe ein, versuche angesichts der Nähe zu Bulgarien meine letzten Dinar auszugeben. Ortsausfahrt Negotin: überall abgebrannte Flächen, Müll sowieso, zwei junge Frauen suchen in alldem Unrat irgendwas zusammen, als sie mich sehen, rufen sie mir auf deutsch zu, woher ich käme - alles ziemlich seltsam hier. Weiter gehts über stetige Berg- und Talfahrten und eine Nebenstrasse in den Grenzort Mokranje, wieder einige Kilometer danach, schon bei Dunkelheit ist endlich die Grenze erreicht. Der Abschied aus diesem Serbien fällt nicht schwer, rein nach Bulgarien, wieder in die EU, mein siebtes Land. Grenzübertritt bei
Km 2.047, ich war somit 537km durch Serbien unterwegs. Meine Hoffnung, gleich im Grenzort was zum Übernachten zu finden zerschlägt sich. Noch fast 30km fahre ich auf nicht enden wollender gerader Strecke durch die Dunkelheit dahin, fast kein Verkehr, fast gespenstisch wirkt das hier. Bin im Nachhinein froh, dass hier keine toten Tiere auf der Strasse lagen, die ich vielleicht übersehen hätte, ebenso üble Schlaglöcher... Bei einer Essenspause an einem beleuchteten Werksgebäude sehe ich zwei leuchtende Augen mich permanent anstarren - wieder ein Anwärter auf Speisereste. Bei Nacht löst das doch noch etwas andere Gefühle aus...
Endlich komme ich nach Vidin, die erste grössere Stadt, sie wirkt wie ausgestorben, eine Geisterstadt. Ich checke in das einzige Hotel ein, das ich finden kann. Erst hier stelle ich fest, dass es in Bulgarien schon eine Stunde später ist, ich habe die erste (und einzige) Zeitzone meiner Reise passiert.


33.Tag, 04.10.2010, Vidin bis Montana
Km: 116, Hm: 779

Nun, neues Land, neues Glück, wie ich zu sagen zu pflege. Die am Abend so ausgestorben wirkende Stadt hat sich nun doch deutlich belebt. Ich entdecke sogar noch so einige Hotelalternativen in nicht allzu grosser Entfernung, wahrscheinlich wären die aber alle so etwa in derselben Preiskategorie gewesen, und meines war ganz okay. Ausserdem hatte ich gestern abend weiß Gott nicht mehr den Nerv, noch weiter rumzuschauen. Nicht weit von meinem Domizil entdecke ich eine bulgarisch-orthodoxe Kirche, der ich einen Besuch abstatte. Wie es der Zufall so will, findet gerade ein Gottesdienst statt, obwohl Montag ist. Interessant, was es hier doch für Unterschiede gibt zur katholischen Kirche bei uns. Der Priester steht in einem Seitenschiff der Kirche mit dem Rücken zur überschaubar großen Gläubigengemeinde (ca. 20 Leute) und trägt einen stimmlich auf- und abgehenden Singsang vor, der keinen Anfang und kein Ende zu haben scheint. Die Kirche ist reichlich mit tiefhängenden Kronleuchtern und Ikonen ausgestattet, wohin auch das Auge blickt. Auch das sehe ich in einer Kirche erstmalig: eine Kinderspielecke, mit allem, was so dazu gehört.
Nachdem ich meine Packtaschen mit Lebensmitteln aufgefüllt habe (im hiesigen Supermarkt entdecke ich doch tatsächlich Öttinger Wiessbier! Das muss natürlich mit. Kurioserweise sind diese importierten Biersorten, namentlich Münchner Biere und auch Beck`s sogar oft billiger als einheimische Sorten!) gehts raus aus Vidin in Richtung Lom, dem Ort an dem ich nach 2.100km Donaufahrt dem zweitlängsten Fluss Europas nun endgütlig den Rücken zukehre. Geplant war hier eigentlich noch ein demonstratives "Abschiedsphoto", allerdings hat sich die Dunav hier mal wieder rar gemacht, ist hinter monströsen, maroden Hafenanlagen und rostigen Kränen verschwunden. Also gut, soll sie doch dahin weiterfliessen wo der Pfeffer wächst, das heiss irgendwann ins Schwarze Meer, ohne mich. Ich trinke einfach mein Öttinger Weissbier in einem kleinen Park und gedenke der schönsten Stunden mit ihr, wohl irgendwo an ihrem lauschigen Ufer zwischen Passau und Wien bei strahlender Sonne...ach ja. Davon ist hier leider nicht mehr viel zu erkennen. Ich bin hier umgeben von abgewrackten, maroden, grauen Fabrikruinen, sowie baufälligen, abgrundtief hässlichen Wohnblöcken, eine Beleidung für das sensible Auge. Zumindest für das nicht schon völlig abgestumpfte des Transitradlers. Also nichts wie weg hier, weiter, weiter die letzten 50 Kilometer bis Montana. Zäh geht es heraus aus diesem Dreckloch, lausiges Kopfsteinpflaster verbunden mit heftiger Steigung, der übliche Verkehr mit Auspuffschloten. Doch als ich endlich den Ortsrand erreiche, ist die Route wieder eben und eine schnurgerade, wunderbar breite Piste breitet sich vor mir aus. Es ist dunkel als ich in Montana eintreffe. Ein Hotel ist schnell gefunden, andere günstigere Optionen entdecke ich nicht. Will hier mal wieder was anderes essen, statt immer nur Brotzeit mit der üblichen Kost, finde aber nichts Geeignetes, letztlich lande ich bei einer Imbissbude, wo ich mir auch noch dolmetschen lassen muss, um einen durchaus schmackhaften "Hamburger" zu bekommen.


34.Tag, 05.10.2010, Montana bis Sofia
Km: 133,8 Hm: 1.597

"Wo bitte ist die nächste Ausfahrt aus der Hölle?"
"Where is the next exit from hell, please?"
"English, a little English,....no?"

Dieser Biketag wird sich für alle Zeiten in mein Gedächtnis einbrennen als der Tag der Superlative was widrige Umstände angeht, bezüglich der auf eigener Körperkraft basierenden Fortbewegung auf zwei Rädern. Obwohl es sogar noch übler hätte kommen können... Es fehlen zum Beispiel heute massiver Gegenwind und schlaglochübersähte Pisten (wie beides schon dagewesen, namentlich in Serbien), wäre das noch dazugekommen, ich hätte das Tagesziel, endlich Sofia zu erreichen, wohl in den Wind schreiben müssen. Wie auch immer, die Bedingungen, so mies wie sie waren, haben bei mir im Laufe des Tages ein ganzes Feuerwerk an Verwünschungen und Flüchen, an Hisstiraden ausgelöst, adressiert an jeden einzelnen der mal wieder viel zu knapp an mit vorbeidonnernden Trucks, die mich einhüllen in eine Wolke aus Spritzwassergischt und Abgasen. Dieser heutige Tag ist es, der mich schon fast wünchen lässt, ich hätte dieses Land per Rad nie angesteuert und der mich im Geiste die Empfehlung an Nachmir-Radelnde formulieren lässt: "Fernradler durch Südosteuropa - macht einen großen Bogen um Bulgarien!" Nun, die folgenden Tage im Land, nach angemessener Erholungsphase und mit mehr Informationen und Eindrücken von Land und Leuten werden mich dieses in den ersten zwei Tagen gebildete, harsche Urteil revidieren lassen. Doch solange man mittendrin steckt im Schlamassl und sich alles gegen einen verschworen zu haben scheint, neigt man schnell dazu zu sagen: "Dieses Land ist so - zur Hölle mit diesem Land!" Das führt dann schon mal dazu, dass ich zu knapp vorbeibretternden Fahrern wilde, wirkungslose Flüche hinterher schreie, oder auch mal zum "Mittelfinger-Symbol" greife. Zu Letzterem lasse ich mich auch einmal hinreissen, als mir die am Strassenrand herumlungernden, unmissverständlich aufgetakelten Bulgarinnen zu penetrant werden. Nonverbale Verständigung, die weltweit eine deutliche Sprache spricht.


Alle paar Kilometer stehen sie hier am Straßenrand im Regen rum, neben Müllhaufen und machen mit Zurufen und Winken auf sich aufmerksam. Die Vertreterinnen des horizontales Gewerbes sind weitverbreitet in Bulgarien und arbeiten mit allen Mitteln. Wie ich gehört habe, müssen die Freier auf der Hut sein, nicht von den Zuhältern, die im Hinterhalt lauern, ausgeraubt zu werden. Vor ein paar Wochen noch beschauliches Donauradeln auf vorbildlichen Wegen mit organiserten Senioren-Ausflugsgruppen, jetzt knallhartes Solobiken auf verkehrsverseuchter Schlaglochpiste, gesäumt von vor sich hinrottenden Müllhaufen, und jetzt auch noch Straßenstrich! Eine an Kontrasten wahrlich nicht arme Tour. Verbissen kämpfe ich mich Kilometer um Kilometer weiter. Heute will ich wie noch an keinem anderen Tag zuvor - ankommen. Einfach nur endlich ankommen in diesem Sofia, das mich inzwischen fast fünf Wochen und 2.300km Anfahrt gekostet hat. Irgendwann geht die Strecke in Autobahn über, spätestens hier ist klar, dass ich die falsche Route erwischt habe, es gibt aber jetzt kein Zurück mehr. Noch knapp 50Km bis zur bulgarischen Hauptstadt. An einem Autobahn-Rastplatz wärme ich mich auf und genieße Kaffee und Gebäck. Telefonat mit Florian - er würde mich jederzeit abholen, wenn ich ihm meinen Standort nenne. Doch zunächst will ich mich noch selber durchschlagen. Dann kommt aber bald womit ich nicht gerechnet habe: der erste Tunnel... Nun, Tunneldurchquerungen mit Gepäck auf bulgarischen Autobahnen mit massivem Verkehrsaufkommen, dadurch bedingter sich potenzierender Dezibel- und Abgasbelastung, mit 30cm oder weniger "Gehweg", sind durchaus geeignet, vor allem nach 120Km und 1.600Hm, auch dem hartgesottensten Fernbiker den Radlspaß irgendwann zu vermiesen. An Fahren ist hier freilich nicht mehr zu denken. Ich bin heilfroh, die Fuhre hier schiebenderweise durchzubringen, meine Haut zu retten und irgendwann das Licht am Ende des Tunnels zu erblicken und diesem Hexenkessel zu entrinnen. Drei von der Sorte sind es, der letzte und längste, 1.100m lang. Danach halte ich genervt nach der nächsten Ausfahrt Ausschau, die ewig nicht kommen will. Lasse dann aber doch noch die nächsten beiden Ausfahrten sausen, es geht wieder flott bergab. Nach einer weiteren Weile - es ist längst dunkel und regnet, durch die in der Brille reflektierenden Lichter sehe ich auch schon nicht mehr viel - heisst es für mich bei Km 133: raus hier, Schluss mit dem Wahnsinn. Binnen zehn Minuten ist der Florian da mit seinem Pickup - selten im Leben hab ich mich so gefreut, jemanden zu treffen, wir fallen uns in die Arme. Zum ersten Mal seit über einem Monat sitze ich in einem Auto. Kurz darauf passieren wir das Sofia-Schild und erreichen die Wohnung von Florian und Tui im Stadtteil Dianabat. Nur noch mein Zeug abladen, das Bike in der Garage verstauen und einfach da sein. Ich bin wieder mal angekommen. Nach dieser bisher schlimmsten Tortur meiner Radreise. Hurra, ich lebe noch!
Statt - VELOSOPHIE
Erwartung und Ernüchterung. Vorfreude und Enttäuschung.
Insgesamt kommt Serbien in meiner Einschätzung als Radlland leider nicht gut weg. Massive Gegenwinde (klar, nur temporär, aber trotzdem) und abartiger Verkehr. Der Donauradweg, der zwar meist erstaunlich gut beschildert ist, führt selten an der Donau entlang, aber praktisch immer auf der Hauptstraße. Novi Beograd ist ein hässlicher, grauer Wohnblock-Moloch, der an düsterste Sozialismuszeiten erinnern lässt, dafür gibts großzügige Radwege. Letztere in der Altstadt nicht, dafür aber erlebenswertes Gewusel und Vitalität. Der "Nationalpark" ist für den Radler nicht als solcher zu erkennen. Die geheimnisvoll auf Hochglanzbildern angekündigte Gegend um das "Iron Gate", Europas größte Flussschlucht, kommt mir - zumal bei dem trüben Wetter - eher wie ein schlechter Witz vor. Mögen andere Radler bei günstigeren Bedingungen und mehr Zeit positivere Erfahrungen machen und die versteckten Wunder hier entdecken. Mir blieben sie verborgen.
Was bleibt als bitterer serbischer Beigeschmack ist die leider omnipresente Vermüllung der Landschaft, kaum sieht man mal am Straßenrand saubere zehn Meter. Darüber konnten mich auch die stets freundlichen und hilfsbereiten Menschen, (mit denen ich zwar kaum eine gemeinsame Sprache fand, doch Gesten drücken ja oft mehr aus als Worte) nicht hinwegtrösten. Schließlich sind sie es ja, die diesen Sauhaufen verursachen und darin leben. Vor allem der Plastikmüll ist ein Fluch, der auf diesem Land lastet, wie ich es zum Beispiel nicht einmal in Süd- oder Mittelamerika schlimmer erlebt habe. Mein erster Bulgarieneindruck ist nun, wie beschrieben, leider auch vernichtend. Mit einer umfassenden Einschätzung halte ich mich aber natürlich noch zurück, bis ich die Grenze in die Türkei passiere. Jetzt bin ich erstmal gespannt und freue mich unvoreingenommen auf Sofia.


Weiter gehts dann voraussichtlich am 20.Oktober mit Teil V: Sofia bis Istanbul


Tage 35-39, 06.-10.10.2010, Sofia

VELO-SOFIA

Das geraeumige, komfortable Appartment hier verleitet richtig zum Faulenzen und zum Muessiggang. Gut, das habe ich nach den letzten
Tagen auch bitter noetig. Das Wetter und die Umgebung sind auch nicht uebermaessig einladend, um ueberhaupt einen Fuss vor die Tuer zu setzen. So verlasse ich am ersten Tag gar nicht das Haus, sondern geniesse einfach die Ruhe und Bequemlichkeit in vollen Zuegen. Florian, der jetzt seit etwa fuenf Jahren im Land ist und fuer eine oesterreichische Baufirma arbeitet, konnte sich diese Woche leider nicht freinehmen. So ist nur seine Frau Tui da, mit der ich gelegentlichen Gedankenaustausch habe und die mich sogar noch lecker asiatisch "bekocht".
Jetzt habe ich auch zum ersten Mal Gelegenheit, laenger zu telefonieren, da es sehr billig ist. So melde ich mich mal ausgiebiger zu hause und bei einigen Freunden. Ausserdem speichere ich meine erste Foto-DVD auf USB-Stick und auf Florians Festplatte.
Am Abend gibts ein Festessen mit gebratenen Kanickeln, die einer der Gaeste mitgebracht hat, Salat und andere Koestlichkeiten, selbstgekelterten bulgarischen Wein, sowie Bier Marke Eigenbraeu und zu guter Letzt auch noch Rakja, der aus den Rueckstaenden aus der Weinherstellung gewonnen wird. Florians Freund Peter, mit der er die Spirituosenherstellung betreibt, hat lange in Deutschland gelebt und spricht sehr gut deutsch. Es wird ein interessanter, erkenntnisreicher Abend. Jetzt bekomme ich erstmalig tiefere Einblicke in Land und Leute und beginne meine anfaenglichen negativen Eindruecke von Bulgarien zu revidieren. Die Menschen hier verstehen anscheinend wie man lebt und feiert. Sehr ausgepraegt sind hier - wie praktisch auch in allen anderen Laendern, die ich durchquert habe -der Fleischkonsum, was mir persoenlich vor allem mit fortschreitender Lektuere des mitgefuehrten Buches "Eating Animals" immer mehr gegen den Strich geht - und eine ausgelassene Trinkfreudigkeit. Beides will ich aber gerne waehrend der Dauer meines Aufenthaltes in Sofia (noch)als Gastfreundlichkeit "durchgehen" lassen. Am Wochende wollen die beiden bei guenstiger Wetterlage zwei bekannte Weinbaugebiete nahe Plovdiv, sowie im Sueden, nicht weit von der griechischen Grenze ansteuern, um Trauben einzukaufen und damit die beiden 350l-Tanks zu fuellen, die Florian in der Garage gelagert hat. Da komme ich natuerlich mit, bin gespannt auf diesen beiden Trips quer durchs Land und die Berge, ausnahmsweise mal bequem zurueckgelehnt in einem motorbetriebenen Fahrzeug.
Am zweiten Abend steht ein kurzes Sightseeing auf dem Programm. Wir klappern mit dem Auto die wichtigsten Sehenswuerdigkeiten der Altstadt ab, steigen ein paarmal aus, Florian zeigt und erklaert mir dies und das. Die beruehmte orthodoxe Kathedrale, das Wahrzeichen Sofias, mit einer in der Welt einzigartigen Ikonensammlung, eine russisch-orthodoxe Kirche, eine kleine Moschee und die Synagoge, sowie den Parlamentspalast. Einen kurzen Blick werfen wir auch in eine moderne Markthalle. Hier mitten im Zentrum der Altstadt befanden sich einst roemische Baeder, noch heute sind Thermalquellen hier fuer jeden frei zugaenglich. Hier wird kostenlos Trinkwasser in grossen Behaeltern abgefuellt. Auch Florian und Tui versorgen sich hier. Eine gute Sache, um der sonst allgegenwaertigen Plastikflaschenlawine entgegen zu wirken. Anschliessend geniessen wir reichhaltiges Abendessen in einem typisch bulgarischen "Balkan"-Restaurant mit traditioneller Live-Musik und Tanz.
Man sieht hier auffallend viele Mercedes, BMW, Audi, manchmal gar Porsche. Florians Kommentar dazu:"Mafiosi". Korruption soll in Bulgarien immer noch weitverbreitete Praxis sein, um das Durchschnittsgehalt von circa 300 Euro/Monat aufzupeppen. Die Volksgruppe der Roma, die ja besonders in Rumaenien ud Bulgarien vertreten sind - Florian und Peter beharren auf der Bezeichnung "Zigeuner" - seien grundsaetzlich faul und arbeitsscheu, wuerden angebotene Jobs durchwegs ablehnen, stattdessen sich aufs Klauen spezialisieren, ihren Nachwuchs von klein auf darin unterrichten. Alles was nicht niet-und nagelfest sei, wuerden sie mitgehen lassen, speziell Metallteile, vorzugsweise bei Nacht und Nebel. Mir ist diese Generalverurteilung zu platt und unreflecktiert. Allerdings muss ich feststellen, dass in Bulgarien sehr haeufig Gullideckel am Strassenrand fehlen, die sollen auch auf das Konto der Zigeuner gehen... Radler passt auf und richtet eure Augen in bulgarischen Staedten und Ortschaften immer auf den Strassenrand! Wenn ihr eines der offenen Gulliloecher ueberseht - wegen des Verkehrs oder Schlagloechern kann man oft nicht weit genug nach links ausweichen - eine schrottreife Vorderfelge oder gar ein Salto mortale koennen leicht die Folge sein! Bei mir wars manchmal knapp, ist aber zum Glueck nie was passiert.
Bei meiner eigenen Erkundungstour auf zwei Raedern durch die Stadt brauche ich zunaechst Zeit, um mich zu orientieren und meinen Weg ins Zentrum zu finden. Ausschilderungen, sowie korrekte Entfernungsangaben liegen den Bulgaren eben einfach nicht so. Manchmal faehrt man in eine bestimmte Richtung - das Schild Sofia 50km taucht auf. Man freut sich, fein nur noch 50km. Zehn Kilometer weiter heisst es ploetzlich Sofia 52km! Hm... ist man nun rueckwaerts gefahren, oder was?
Ich betrete im Zentrum einige der erwaehnten Kirchen, schaue mir die Sofiastatue (Namenspatronin der Stadt) an, passiere den Vitoschaboulevard (vieles international, modern und herausgeputzt) und das Museum of Natural History mit sehr sehenswerten Fotographien von Voegeln, einer Vielzahl von Mineralien und Wildtierexponaten aus aller Welt. Dabei belasse ich es mit Sofia-Sightseeing fuer diesmal. Sicher gaebe es vieles Sehens- und Erwaehnenswertes - es ist schiesslich eine sehr alte, historisch bedeutende Stadt. Aber die Zeit draengt jetzt, ich komme sicher nochmal ausfuehrlicher, auf einer separaten Reise nach Bulgarien, zumal wenn Florian noch eine Weile im Lande ist. Vor allem die vielgepriesene Natur und die Berge interessieren mich. Es gibt ja mehrere eigenstandige Gebirgszuege hier: Das Vitoschagebirge und der Balkan noerdlich von Sofia, das Rila- und Piringebirge suedlich. Auch der Winter wuerde mich hier mal reizen, etwa um Skitouren zu machen.
Samstagmorgen brechen wir dann auf in das erste Weinbaugebiet bei Plovdiv. Kaum sitzen wir zehn Minuten im Auto und mitten im dichten Verkehr, faellt mir siedendheiss ein, dass ich fatalerweise vergessen habe, nachdem wir die Weincontainer aus der Garage geholt und auf Florians Pickup verladen haben, dieselbe wieder abzusperren. Sie steht also jetzt sperrangelweit offen, mein Bike, unabgesperrt - fuer jeden Vorbeikommenden sichtbar - darin! Das werden die stressigsten, nervenkitzligsten 20 Minuten der gesamten bisherigen Tour. Wir stecken auch noch uebel im Verkehr fest - bis ich endlich mit Schweissperlen auf der Stirne zurueck zum Garagentor komme,...ich traue mich gar nicht hinzusehen - das Rad steht noch unberuehrt da! Wie leicht haette jetzt das Gegenteil der Fall sein koennen. Habe mich schon im Geiste durch Sofia streifen sehen, auf der Suche nach einem neuen brauchbaren Bike, um meine Tour fortzusetzen, mir schon ausgemalt was ich der Versicherung erzaehlen werde.
Angekomen im Weinbaugebiet - Florian, Tui, Peter und meine Wenigkeit sind mit von der Partie -suchen sich die Experten erstmal den besten, vertrauenswuerdigsten Anbieter. Cabernet Sauvignon und Merlot Trauben gedeihen hier praechtig. Sobald die edlen Fruechte nach einigem Hin- und Herschauen, Vergleichen und Feilschen ausgewaehlt sind, gehen wir daran, die Dutzenden Kisten eine nach der anderen in die voluminoesen Container auf dem Pickup zu verfrachten. Zuletzt wird nur noch hineingestopft was geht. Auf mich machen die zwei Hobbykelterer einen ziemlich unersaettlichen Eindruck. Komme mir schon vor wie in Kishons Geschichte "Im Supermarkt":"...noch meeeehr!" Nun ja, immerhin soll der Ertrag wieder fuer ein Jahr reichen. Zurueckgekehrt zu Peters Landdomizil nahe bei Sofia, erwartet uns dort die eigentliche Hauptarbeit. Die Trauben muessen nun komplett entstielt werden. Bis zum spaeten Abend sind wir, vor allem natuerlich Florian und Peter damit beschaeftigt.
Am Sonntag gehts dann ganz nach Sueden, zur kleinsten Stadt Bulgariens, nach Melnik. Das Wetter ist jetzt bestens, sonnig und warm und die dreistuendige Fahrt schon ein Erlebnis fuer sich. Zuletzt quaelt sich das Auto durch enge, steilste, holprige Gassen. Dort werden wir sehr gastfreundlich von den Weinbauern und ihrer Familie empfangen und mit reichlich Trauben und Rakja bewirtet. Die Arbeit geht ungleich schneller vonstatten, sie haben hier wie angekuendigt eine Maschine, die mittels einer Foerderschnecke die Trauben komplett entstielt. Aus der Maschine fuehrt ein Schlauch, dessen anderes Ende direkt in einen der Container muendet. In circa einer dreiviertel Stunde sind beide voll.
Diese Ausfluege in Bulgariens Weinbaugebiete, inclusive Demonstration der Verarbeitung, zumindest der ersten Schritte, und unmittelbarer Kontakt zur laendlichen Bevoelkerung waren ein gelungener Abschluss meines Sofiaaufenthaltes. Wie schon erwaehnt, Bulgarien werde ich mir sicherlich nochmal ausfuehrlicher anschauen.
Auf meinen Rueckweg von Israel im Dezember per Bahn - falls ich wieder ueber Sofia fahre - kann ich vielleicht eine Kostprobe des fertigen Weines haben und vielleicht sogar schon den kleinen Sebastian begruessen, den Tui und Florian dann erwarten.



40.Tag, 11.10.2010, Sofia bis Samokov
Km: 62,7, Hm: 578

Prolog: "Brrr! Brrr!"

Bevor es heute richtig losgeht, fahre ich mit Florian morgens auf einen Sprung zu "seiner" Asphaltmischanlage raus, lasse mir eine Fuehrung von ihm geben, treffe einige seiner Kollegen und fahre anschliessend mit dem Bike, das wir auf seinem Pickup mitgenommen haben, durch halb Sofia zurueck. Auf dieser Rueckfahrt entstanden die eingangs zum Ausdruck gebrachten Klagelaute angesichts zapfiger Kaelte! Es hat gefuehlt etwa minus 20 Grad und meine Finger sind buchstaeblich Eiszapfen! Leider hatte ich das voellig unterschaetzt und bin daher viel zu leicht bekleidet. Erst ganz allmaehlich loest sich ueberhaupt der dichte Nebel auf und ich bekomme wieder langsam etwas Waerme in die Glieder...


"This is a thing I've never known before - it's called easy biking!"

In leichter Abwandlung laesst sich dieser Uriah Heep Klassiker durchaus auf die Strecke Sofia -Samokov uebertragen. Denn nachdem ich mir erstmal meinen Weg aus Sofia heraus Richtung Sueden gesucht habe - nach Florians Beschreibung und zweimaligem Fragen gelange ich ohne grosse Probleme auf die Strasse nach Samokov - laeuft es angenehm verkehrsberuhigt dahin. Aus der Stadt rauszukommen ging diesmal viel schneller und reibungsloser als in Belgrad, freilich war dort mein Ausgangspunkt auch viel zentraler. Lange habe ich gebraucht, um mich von hier loszureissen und mich wieder auf Achse zu begeben. Weniger wegen der Stadt Sofia, mehr wegen der Annehmlichkeiten der grossen Wohnung (bequemes Bett, deutsches Fernsehen, Internet, etc.). Solange wie hier war ich bisher noch nirgends, also hoechste Zeit wieder die Segel zu setzen. Bewusst habe ich diese zwar etwas laengere, aber deutlich weniger frequentierte Route gewaehlt. Im starken Kontrast zu meiner Anfahrt nach Sofia erlebe ich jetzt ein ganz anderes Bulgarien. Es wird hier auch viel zivilisierter und langsamer gefahren, schon aufgrund der kurvenreichen und abwechslungsreichen Strecke. Es geht jetzt durch dichten Wald, an mehreren Stauseen vorbei, der letzte, der Iskar Dam, ist von beachtlicher Groesse. Ich naehere mich nun dem Rilagebirge, im Winter ein beliebtes Skigebiet. Allmaehlich gewinne ich auch an Hoehe, nach einer Kurve geht der Wald ploetzlich zurueck und eine Hochebene breitet sich vor mir aus. Im Hintergrund das Rila-Massiv, dessen hoechste Erhebung, der Musala, gleichzeitig der hoechste Berg der gesamten Balkanhalbinsel ist. Seine Gipfelzone ist schon mit weissen "Puderzucker" ueberzogen.
In Samokov zeigt mein Hoehenmesser 917m an, es ist empfindlich frisch geworden und ich habe Glueck bei der Quartiersuche. In einem Privathaus mit dem Schild "Hotel Mycana" werde ich fuendig. Die Wirtsleute sind sehr nett, das Zimmer ist eine holzverkleidete Dachstube. Mein Gastgeber "Lugo" kommt spaeter sogar noch rauf, um eine Runde Rakja mit mir zu trinken. Ausserdem versorgen mich seine Frau und er mit einem koestlichen Abendessen - ohne Aufpreis, selbstredend. Mit dem bisschen Deutsch, das er versteht und spricht, entwickelt sich ein reger Austausch zwischen uns. Spaeter kommt sogar noch ein alter "Streifen" mit Robert de Niro und Harvey Keitel als Youngsters im Original im Fernsehen.
- At the end of a perfect day -.


41.Tag, 12.10.2010, Samokov bis Pazardzhik
Km: 95,4 Hm: 501
Max.Hoehe: 1.283m

Lugo gibt noch einen Kaffee aus, wir geniessen ihn in seinem Wohnzimmer. Anschliessend begebe ich mich auf die Suche nach einem Fruehstueck, daraus wird eine Ortsbegehung des freundlichen Staedtchens. Es gibt sogar ein "Guest House" hier. Bei Lugo und seiner Frau habe ich aber sicherlich die bestmoegliche Wahl getroffen. Eine Privatunterkunft bei so netten, aufgeschlossenen Leuten, sogar mit leckerer Gratisverkoestigung, Rakja, Kaffee und vor allem - Gesellschaft und Kontakt zur lokalen Bevoelkerung - was will man mehr? Genau das ist es, was ich suche und bevorzuge; findet man aber leider nicht immer so leicht. Eigentlich sowieso nur in kleineren Staedten und Ortschaften. Auch hier kommt die Stunde des Aufbruchs, Lugo und seine Frau werden in Erinnerung bleiben...
An dieser Stelle wuerde ich gerne einen Klassiker eines Liedermacher-Veteranen einfuegen, der mir waehrend meiner Tour immer wieder in den Sinn kommt. Obwohl der Text nicht auf meinem eigenen Mist gewachsen ist, ueberschreibe ich ihn - weil es einfach so gut passt - mit
VELOSOPHIE

Fremden Text in Link umgewandelt:
Heute hier morgen dort

Hannes Wader


Nun, so ganz kann ich mich damit natuerlich nicht identifizieren, denn ich ziehe nicht jahrelang ziellos durch die Lande und fuehre (ausschliesslich) ein Vagabundenleben. Aber immerhin - fuer eine bestimmte Zeit tue ich es. Zudem gefaellt mir einfach die Melancholie und das Bewusstwerden der Vergaenglichkeit aller Dinge, die hier zum Ausdruck kommt.


Die Strasse zieht sich weiter und weiter nach oben, bis ich den mondaenen Skiort Borovets - so etwas wie das "St.Moritz Bulgariens", mit 1.283m den hoechsten Punkt der gesamten bisherigen Tour - erreiche. Liftanlagen sehe ich hier zwar keine, aber dies ist das Tor zum Rilagebirge, zu einem der Skiparadiese Bulgariens, schenkt man den zahlreichen Werbeplakaten mit winterlichen Traumbedingungen Glauben. Jetzt im Oktober ist der Ort noch verwaist und ich ziehe einsam meine Spur... Da springt mich ploetzlich aus dem Hinterhalt ein Hund an. Das passiert hier alle nasenlang, dass einem klaeffende Koeter hinterherlaufen, die meisten ist man nach ein paar Hundert Metern wieder los, wenn man tuechtig in die Pedale tritt. Dieser aber hier ist hartnaeckig, er bleibt mir kilometerlang dicht auf den Fersen, selbst bei 35km/h. Gut, dass es ab hier abwaerts geht und ich beschleunigen kann. Der Nebel aber ist dicht, ich muss mich konzentrieren. Immer wenn ich zu langsam werde, laeuft mir der Hund quasi ins Rad und will mir scheinbar in den Vorderreifen beissen. Da helfen nur lautstarke Verwuenschungen und Geschwindigkeit. Als ich mich schliesslich nochmal umschaue, ist auch dieser fitte Vierbeiner in der weissen Nebelwand hinter mir verschwunden. In rasanter Fahrt verliere ich nun wieder jede Menge Hoehenmeter, ich passiere die Orte Dolna Banya und Kostenets, wo die Nebenroute 82 in die, aus Sofia kommende, Hauptroute 8 einmuendet. Es folgen unter anderen die Orte Belovo und Zvanichevo, schliesslich komme ich nach Pazardzhik, wieder eine groessere Stadt. Hier quartiere ich mich nach langer Suche - es sind hier einfach keine Unterkuenfte zu finden - im Hotel Acropolis ein.


42.Tag, 13.10.2010, Pazardzhik bis Haskovo
Km: 128 Hm: 421

Der Tag beginnt verheissungsvoll - blauer Himmel und Sonne. Das Hotel bleibt leider weit hinter den Erwartungen, die der Preis weckt, zurueck. Fruehstueck kostet extra, die Klospuelung ist defekt, die Matratzen sind viel zu weich. Am Ende verstricke ich mich noch in eine Diskussion wegen der nicht nachvollziehbaren Fruehstuecksabrechnung, die natuerlich wieder den ganzen Laden mobilisiert, um die englischsprechende Managerin aufzutreiben. Ausserdem vergesse ich hier auch noch fatalerweise mein Lieblings T-Shirt, eines von den beiden, das ich dabei habe (kurz darauf habe ich dem Hotel gemailt, dass sie es mir bitte zuschicken moechten, ich wuerde sie dann auch weiterempfehlen(ha ha!), aber noch nichts von denen gehoert). Ich will nun so schnell wie moeglich weiter, noch sind es knapp 40 Kilometer bis Plovdiv, den Erzaehlungen und Beschreibungen im "Reise KnowHow Bulgarien" nach zu urteilen, eine bedeutende Kulturstadt, die aelteste des Landes. Erste urkundliche Erwaehnung und Besiedlung reichen 8.000 Jahre zurueck. Bevor ich allerdings in den Genuss komme, mir mit eigenen Augen ein Bild zu machen, ereilt mich das Schicksal, ausgehend von meinem Hinterreifen. Er fuehlt sich zunehmend schwammig an und erzeugt immer mehr Rollwiderstand. Schnell ist die Erkenntnis da: bei Km 2.566 habe ich meine erste Reifenpanne. Nur gut, dass seit Belgrad wieder eine Pumpe fester Bestandteil meiner Ausruestung ist. Sie ist superleicht, wiegt 90 Gramm, hat eine Teleskopfunktion und bewaehrt sich bestens.
Plovdiv ist dann in meinen Augen leider wieder eine Enttaeuschung. Zunaechst die ewiggleiche Fahrerei durch die Aussenbezirke - Industrie, Autofirmen, graue Wohnblocks, etc. bis man sich mal Richtung Zentrum vorgearbeitet hat. Dann Verkehr von allen Seiten auf drei Spuren. Alle, die ich nach dem Zentrum befrage, das anfangs nirgends ausgeschildert ist, schuetteln den Kopf, in Ermangelung jedwedes fremdsprachlichen Artikulierungsvermoegens, und mit Begriffen wie "Old City" oder gar "historical" koennen sie natuerlich erst rechts nichts anfangen. Bestenfalls erhalte ich vage Handzeichen von Taxifahrern in eine bestimmte Richtung. Nun, denen scheinen die Touristen ja nicht gerade "die Bude einzurennen", auf der Suche nach einer der bekanntesten und aeltesten historischen Kulturstaetten wahrscheinlich der gesamten "suedoestlichen Hemisphaere". Mir liegen noch die schwaermerischen Worte des Guides im Ohr, was fuer eine zauberhafte Prachstadt Plovdiv doch sei, auf Schritt und Tritt bekaeme man den Mund nicht mehr zu vor Staunen und Ehrfurcht, quasi die Perle, ja die Kroenung aller menschlichen Zivilisation! Nun, da mag schon was dran sein, die irgendwo existierende Altstadt ist sicher absolut sehenswert und ich moechte das Ganze auch nicht zu sehr ins Laecherliche ziehen. Nur leider erschliessen sich mir diese Schaetze nicht, aufgrund der komplett fehlenden "touristischen Infrastruktur", die dort hinfuehrt. Was ja auch wieder ein Vorteil sein kann - weniger Touristengewimmel. Ausserdem hielte sich das Vergnuegen einer Altstadtbesichtigung wohl sowieso in Grenzen, waehrend ich das bepackte Rad durch die Menschenmassen schiebe. Fazit: entweder man nimmt sich mehr Zeit, checkt komplett oder wenigstens das Gefaehrt irgendwo ein, oder lohnende kulturelle oder historische Spritztouren bleiben dem Fernradler eben vorenthalten, will er nebenbei auch noch seine Nerven schonen und irgendwann auch mal sein (Fern-)ziel erreichen. Bezueglich Bulgarien habe ich hier laengst meine Entscheidung getroffen - ich werde das Land nochmal separat bereisen und dann all das sicherlich Sehenswerte nachholen.
So rauscht der Verkehr also dreispurig an mir vorueber, ich bin im sogenannten Zentrum, es gibt kaum Wendemoeglichkeiten wegen dieser daemlichen Gehsteiggitter ueberall. Nach einem Mittagsimbiss heisst es fuer mich also...hit the road again!
Auf in Richtung Svilengrad. Die Tuerkei ist nicht mehr fern. Habe ich erstmal meine Route raus aus Plovdiv gefunden, komme ich auf brettlebener Piste zuegig voran. Es stoert mich nicht einmal mehr sehr der vorbeirauschende Verkehr - ich bin ja wieder auf der Hauptroute - vielmehr lasse ich mich von dem Sog mitreissen, immer weiter in Richtung Horizont.

VELOSOPHIE
Ein Sog erzeugt uebrigens von Zeitgenossen, die bequem in ihren Blechkisten sitzen, abgeschirmt von Wind und Wetter, aufs Gaspedal latschen, dadurch Emissionen verursachen, die die Luft verpesten und den Klimawandel mitverursachen, die Mitverantwortung daran tragen, dass immer mehr Oelquellen weltweit erschlossen und ausgebeutet werden und dass Katastrophen wie die am Golf von Mexiko passieren. (Wovon man in den Medien im uebrigen schon wieder nichts mehr hoert, so als ob nun alles wieder irgendwie in Ordnung waere...) Waehrend ich praktisch geraeusch- und emissionsfrei unterwegs bin, Kilometer um Kilometer aus eigenem Antrieb zuruecklege, einzig basierend auf der Grundlage der Mechanik und Muskelkraft und der Inspiration, der Freude am langsamen, bewussten und umwelfreundlichen Reisen. So fuehrt mich meine Route weiter und weiter gen Suedosten und schon ist das Morgenland nicht mehr fern...

So radle ich dahin bis es daemmert und dunkelt. Schliesslich taucht irgendwann ein Licht in der Finsternis auf, wird heller und heller und ich komme in die Stadt Haskovo, wo ich eine optimale Unterkunft nahe des Busbahnhofs finde.

43.Tag, 14.10.2010, Haskovo (Xackobo)

Da das Wetter heute stark zu wuenschen uebrig laesst, es regnet durchgehend, beschliesse ich einen Pausentag einzulegen und noch eine Nacht in diesem idealen Hotel zu bleiben. Zeit zum Einkaufen(Penny), Schreiben, Mails erledigen und Nachdenken. Eine Bemerkung ueber die schwierige Kommunikation hier kann ich mir nicht verkneifen: Sowohl im Hotel(!) als auch beim internationalen Diskounter muss ich mich buchstaeblich mit Haenden und Fuessen verstaendigen und selbst das klappt nicht richtig. Es handelt sich hier durchwegs um junge Leute zwischen 20 und 30.

Statt-VELOSOPHIE
Werden eigentlich hier im Land irgendwelche Fremdsprachen unterrichtet, wenn ja welche? Englisch, die zweifellos wichtigste, scheint jedenfalls nicht dazu zu gehoeren. Das soll ueberhaupt keine generelle Kritik an den Menschen hier sein, sie sind durchaus stets freundlich und hilfsbereit. Dennoch - Bulgarien ist seit 2007 Mitglied der EU. Was fuer Kriterien muss eigentlich ein Land erfuellen, um in die EU aufgenommen zu werden? Umweltbewusstsein und Recyclingkonzepte, sowie banalste Fremdsprachenkenntnisse scheinen nicht dazu zu gehoeren. Auch Korruption ist angeblich nach wie vor weit verbreitet.
Leider ist auch die Volksgruppe der Roma keineswegs in die Gesellschaft integriert, sondern fuehrt ein Schattendasein am Rande derselben. Auf den weitverbreiteten Vorwurf, die "Zigeuner" seien eben einfach von Natur aus faul und arbeitsscheu und leben ausschliesslich von Diebstaehlen, werde ich hier nicht weiter eingehen. Ich mache mir dieses Vorurteil jedenfalls nicht zu eigen, bevor ich ueberhaupt einen dieser Menschen kennen gelernt habe und mehr ueber ihre Standpunkte und Lebensumstaende erfahren habe.



44.Tag, 15.10.2010, Haskovo bis Edirne (TR)
Km:133,5 Hm: 561 Grenzuebertritt Tuerkei: Km 2.780 Durchfahrt Bulgarien: 733Km

Es tut gut, nach einem Pausentag wieder auf Achse zu sein. Leider zeichnet sich noch keine Wetterbesserung ab. Die Strecke ist weiter unspektakulaer. Kontinuierlich arbeite ich mich voran und erreiche am Nachmittag Svilengrad. Sympathisches Staedtchen, wenn auch der Strassenbelag hier saumaessig ist. Ich habe mehrere nette Begegnungen und Gespraeche, mache Rast und spaete Mittagspause mit Kaffee, etc. Einen kurzen Abstecher nach Griechenland bilde ich mir noch ein, nehme selbst bei Regen den kilometerlangen Umweg in Kauf. Es gibt dort die Aussicht auf eine Handvoll Euro und vielleicht in einem netten kleinen griechischen Staedtchen (moeglichst mit Ouzo und Syrtaki... ha ha) zu uebernachten. Stattdessen kommt es permanent feucht von oben und als ich bereits etwas durchweicht und genervt die griechische Grenze erreiche, muss ich hoeren, dass der erste (noch so kleine) Ort 15 Kilometer entfernt liegt. Also adieu Alexis Sorbas! Grade fuer ein Foto von "Welcome to Greece", halbversteckt hinter regentriefenden Bueschen, reicht es noch. Ich war in Griechenland! - Immerhin hergeradelt. Aber Spass beiseite, und zurueck nach Svilengrad. Dauerregen und ein zaehes Ringen auf autobahnaehnlicher Route, bis die Grenze endlich in Sicht kommt. Eine monumentale Abfertigungsanlage erwartet mich hier, ich muss vier bis fuenf Kontrollpunkte passieren, bis meine Reifen endlich auf tuerkischem Boden rollen duerfen. Teppiche liegen hier zwar noch keine aus, die sollen aber bald kommen. Kaum habe ich die Grenze ueberquert, hoere ich auch schon den ersten Muezzin von der Grenzmoschee zum Abendgebet aufrufen. "Hosgeldiniz a Turkiye" - "Welcome to Turkey". Der Regen allerdings, fuehlt sich hier auch nicht anders an. Die erste Stadt, Edirne, circa 15 Kilometer entfernt, muss ich noch erreichen, um ein Quartier zu finden. Der Verkehr ist erfreulich gemaessigt, der Strassenbelag gut. Bald ist auch dieses Ziel erreicht und ich checke in das erstbeste Hotel ein. Fuer das lausige Zimer wollen die hier 45 Tuerkische Lira (etwa 24 Euro!) No way, nicht mit mir. In diesem Land wird endlich gefeilscht. Noch weiter suchen kommt auch nicht in Frage, also handle ich auf 30TL unter, immer noch mehr als genug. Die drei Motorradfahrer, die ich schon an der Grenze gesehen habe, sind auch hier abgestiegen. Sie sind unterwegs nach Suedafrika.

Anmerkung: In dem tuerkischen Willkommensgruss - "Hos-geld-iniz", verbirgt sich - wie wir hier ganz klar erkennen - das deutsche Wort "Geld". Dieser scheinbare Zufall sollte dem Tuerkei-Novizen zu denken geben...Spaetestens in Istanbul ist dann der Fall voellig klar.


VELOSOPHIE
Ankunft im Morgenland. Wo der Orient auf den Occident trifft (Hopefully no accident!). Ich naehere mich nun dem magischen Bosphorus, der Bruecke zwischen Europa und Asien. Die Turkei - das einzige Land der Welt, das zwei Kontinente in sich vereint - Istanbul (frueher Konstantinopel) die Stadt, in der diese beiden Hemispheren aufeinander treffen. Nur drei Prozent des Landes gehoeren zu Europa, die restlichen 97 Prozent zum asiatischen Kontinent. Istanbul, diese 20-Millionen-Metropole, pulsierender Schmelztiegel der Ethnien und Kulturen ist nun mein naechstes grosses Ziel.


45.Tag, 16.10.2010, Edirne bis Lueleburgaz
Km: 88 Hm: 850

Kein besseres Wetter erwartet mich an meinem ersten Morgen in der Tuerkei, dafuer mein erstes tuerkisches Fruehstueck mit den Motorradfahrern aus Holland und England. Wir kommen ueber dies und das ins Gespraech, es gibt mit anderen Langstreckenfahrern natuerlich immer spannenden Erfahrungsaustausch. Schliesslich erfahre ich, dass sie ihre Fahrt auch mit einer Art Projekt kombinieren und wir geben uns gegenseitig unsere Webkontaktadressen.
Im Zentrum von Edirne stehe ich dann staunend vor meinen ersten grossen und praechtigen Moscheen dieses Landes. Bei der ersten betrete ich den fast voellig verwaisten Innenhof ohne jegliches Touristengewimmel. Ein imposanter Ausblick bietet sich mir auf zahlreiche Minarette, Saeulen, Boegen, Gewoelbe und kunstvolle Mosaike und Verzierungen. Ich ziehe die Bikeschuhe aus, nehme den Helm ab und finde mich wieder im Inneren der Moschee, es herrscht absolute Stille. Respektvoll wandere ich ein paar Schritte umher, kann meinen Blick kaum von der gewaltigen, kunstvoll ausgestalteten Kuppel abwenden. Das zweite islamische Gotteshaus von Edirne ist noch groesser und reichhaltiger ausgestattet. Es handelt sich hier um die beruehmte Selimiye Moschee, die auf Anweisung von Sultan Selime II. von 1568 - 1575 errichtet wurde. Baumeister Sinan selbst bezeichnet das Bauwerk als sein Meisterwerk. Die Moschee spiegelt den Hoehepunkt osmanischer Architektur wider.
Die Weiterfahrt dann gestalt sich muehsam, es geht ueber eine schier endlose Kette von Huegeln, ein ewiges Auf und Ab. Dazu Gegenwind und immer wieder Naesse von oben. Landschafltich noch nicht viel Veraenderung. Endlose Felder wechseln sich mit Industriebetrieben ab, besser erhalten und moderner als in Bulgarien. In der Stadt Babaeska mache ich Rast, decke mich in einem Laden mit Essbarem ein. Eine Traube von Maennern, die sich da versammelt hat, ich mit Radl und Gepaeck bin der Exot unter ihnen. Sie fragen woher und wohin. Ein paar Jungs leisten mir bei der Brotzeit Gesellschaft, sie koennen ein paar Brocken Englisch. Ueberall treffe ich auf Offenheit, Interesse und Hilfsbereitschaft. Fast aus jedem zweiten Auto wird gehupt oder man winkt mir vom Strassenrand aus oder ruft mir etwas zu. Ein Lang-streckenradler ist in dieser Gegend eben ein rarer Vogel. Am fruehen Abend erreiche ich Lueleburgaz, eine Stadt mit 100.000 Einwohnern und beschliesse hierzubleiben. Die Quartiersuche zieht sich mal wieder. In der Stadt ist die Hoelle los. Nach langem Durchfragen werde ich schiesslich doch fuendig, ich war einfach in der falschen Gegend unterwegs. Das erste Hotel ist zu lausig, das zweite zu teuer, das dritte passt. Sogar mit Fruehstuecksbueffet. Dafuer muss ich aber noch einen 50 Euro-Schein wechseln. Habe leider seit kurzem ein VISA-Card Problem und muss deswegen schnellstmeoglich ein Fax an meine Bank schicken. Bis das geregelt ist, sollte ich den Guertel enger schnallen. In der Wechselstube nebenan krieg ich - wie ich leider erst spaeter feststelle einen miesen Kurs, 1,80 TL/Euro. In Ermangelung bessseren Wissens habe ich mich leider ueber den Tisch ziehen lassen, der offizielle Kurs in Istanbul ist 1,95. Das Preisniveau in der Tuerkei ist ohnehin deutlich hoeher, als ich erwartet habe. So kauft man im Laden durchwegs teurer ein als bei uns, ein Bier kostet fast das Dreifache wie in Deutschland! Bier gibts sowieso nicht ueberall, das hat wohl mit der muslimischen Kultur zu tun. Grosse Diskountketten, wie in allen Laendern zuvor, gibt es hier so weit ich gesehen habe, ueberhaupt nicht. Wie sich die Bevoelkerung das leisten kann, ist mir ein Raetsel. Beim Abendessen habe ich noch ein nettes "Gespraech" mit einem jungen Kellner. Fast ueberall treffe ich auf Gastfreundschaft, freilich oft gekoppelt mit unterschwelligem Geschaeftsinteresse.

46.Tag 17.10.2010, Lueleburgaz bis kurz vor Silivri
Km: 88 Hm: 650

Ausgiebiges tuerkisches Fruehstuecksbuffet mit Tomaten, Gurken, Oliven, Kaese und Cai (tuerkischem Tee). Die Konversation laeuft mit Haenden und Fuessen.

Statt-VELOSOPHIE
Vorgenommen habe ich mir ja, eine Woerterliste zusammenzustellen, fuer die wichtigsten Alltagssituationen. Selbst in den Staedten ist es schon schwierig, sich mit Englisch zu verstaendigen, auf dem Land ist es quasi unmoeglich. Obwohl ich mir natuerlich nicht die Sprachen der etwa zehn Laender, die ich passiere, aneignen kann, die wichtigsten Floskeln will ich versuchen mir einzupraegen. Allein schon der Respekt vor den Menschen hier, erfordert es, sie nicht einfach mit einer Fremdsprache zu ueberrollen. Schliesslich bin ich es als Transitradler, der in ihr Land kommt und nicht umgekehrt. Ausserdem kriegt man erst richtig Einblick in die Lebensart und Kultur, wenn man sich auch auf die Sprache einlaesst. Schliesslich ist sie ein wichtiges Kulturgut. Meine vorangegangenen Aeusserungen zu Bulgarien, greifen hier nicht in gleichem Masse, die Tuerkei wirkt auf mich nicht mehr sehr europaeisch, vielmehr orientalisch. Obwohl ich totzdem der Ansicht bin, dass sich jeder Weltbuerger die Grundlagen, zumindest einer Fremdsprache aneignen sollte. Das erweitert einfach die Moeglichkeiten, sich mit mehr Menschen weltweit auszutauschen.

Heute komme ich zuegiger voran, der Gegenwind hat abgeflaut, das Land wird ebener und sogar der Himmel reisst auf, es wird sonnig und warm. Das fuehlt sich schon eher wie Tuerkei an. Als ich einmal kurz anhalte, um ein Foto von einer Efes Brauerei zu machen, bin ich im naechsten Augenblick umringt von einer Gruppe radelnder Jungs. Aufgeweckte, offene Gesichter - "What's your name? - Where you from?"
Ploetzlich taucht hinter einem Huegel Wasser auf - die Kueste des Marmarameeres rueckt ins Blickfeld, meine erste Beruehrung mit dem Meer auf dieser Tour. Immer wieder halte ich Ausschau nach einem geeigneten Zeltplatz, die werden hier aber immer rarer, stattdessen die Besiedlung und Industrie zunehmend dichter, so kurz vor dem urbanen Moloch, dem ich mich unaufhaltsam naehere. Sein Einzugsgebiet ist gewaltig. Noch 70 Kilometer bis dorthin. Schon habe ich beschlossen, mir in Silivri eine Unterkunft zu suchen, da stosse ich unverhofft auf ein Campingschild. Kurz darauf stehe ich inmitten von Wohnwaegen direkt am Marmarastrand. Mein erster Campingplatz seit 17 Tagen (Serbien), der sogar noch geoeffnet hat. Zeitgleich mit mir tauchen hier zwei Jungs mit hoch aufgepackten Ruecksaecken auf. Wie sich herausstellt, sind es zwei Brueder aus Holland, die doch tatsaechlich seit April von Uetrecht aus zu Fuss unterwegs sind. Sie haben es sich zum Grundsatz gemacht, dabei auf keinerlei oeffentliche Fortbewungsmittel zurueckzugreifen, haben das auch bisher so durchgezogen. Auch sie sind auf dem Weg ins Gelobte Land, nach Israel. Dafuer haben sie insgesamt ein Jahr eingeplant. Das sind vielleicht die extremsten, puristischsten Zeitgenossen, die mir je ueber den Weg gelaufen sind! Crazy Dutchmen! Diese Begegnung ist ein Grund zum Feiern. Ich besorge uns ein paar Bier und wir sitzen noch stundenlang am Strand und tauschen unsere Erlebnisse, Erfahrungen und Abenteuer aus. So manche ihrer Beobachtungen habe ich auch gemacht und umgekehrt. Dabei gibts auch immer wieder viel zu Lachen. Durch ihre Langsamkeit haben sie natuerlich unzaehlige Male "hautnahen" Kontakt zur lokalen Bevoelkerung gehabt. Sogar von einer Zeitung wurden sie unterwegs schon interviewt. Ich bin sehr gespannt und interessiert, wie es ihnen weiterhin ergeht und wuerde mich sehr freuen, ihnen nochmal ueber den Weg zu laufen/fahren.


47.Tag, 18.10.2010 kurz vor Silivri bis Istanbul
Km: 71 Hm: 799

Bei einem spartanischen Fruehstueck mit Kaffee vom Benzinkocher, sponsered by the Dutch Brothers, tauschen wir noch so manche interessante Information aus. Es geht vor allem um das Beobachten von Menschen, Fotografieren und ums Eingeladenwerden, was ihnen offenbar schon ziemlich oft widerfahren ist. Gern waere ich hier noch ins Meer gesprungen, die Gelegenheiten zum Schwimmen waren bisher nicht gerade haeufig, aber es hat nachts geregnet und der Sand ist nass und klebrig. Ausserdem ist es schon spaet und es kommt heute noch einiges an Arbeit auf mich zu. So muss der Wassergang also bis zum Schwarzen Meer warten. Herzliche Verabschiedung von den Hollaendern, nicht ohne vorher Webkontaktadressen auszutauschen, sie schreiben auch eine Art Reisebericht. Dann begeben sich die Jungs wieder auf "Schusters Rappen" und auch ich ziehe meiner Wege. Kurz darauf sehe ich sie nochmal wie sie am Rand der Hauptstrasse einen Schritt vor den anderen setzen. Das nenne ich: die Entdeckung der Langsamkeit. Also Endspurt in die Stadt am Bosphorus. Die Strecke zieht sich nochmal ganz schoen, bei etwa Km 30 suche ich mir die Adresse meines gebuchten Hostels im Internet. Der Vekehr hat inzwischen massiv zugenommen, bis ich mich allmaehlich in einem wahren Hexenkessel wiederfinde. Dazu kommen nicht unerhebliche Anstiege und Gefaellestrecken. Ausserdem gibt es mal wieder Niederschlag. Im Grunde weiss ich nicht so recht, wie lange das noch so weiter gehen soll, mal wieder keinerlei Beschilderung Richtung Zentrum, Old City, geschweige denn Sultanahmet, meine letztendliche Destination. Also halte ich mich stur geradeaus und versuche verbissen, dem abartigen Verkehr zu trotzen und mich von der Reizueberflutung rechts und links nicht so sehr ablenken zu lassen. Wenn Abzweige kommen, muss ich immer wieder die Spur wechseln und dabei hoellisch aufpassen, um nicht vom nachfolgenden Verkehr platt gemacht zu werden. Als ein langer Stau entsteht, freut mich das regelrecht, denn jetzt bin ich hier der King. Im Slalom schlaengele ich mich durch die Blechlawine. Wenn ich allerdings rechts ueberhole, lauert eine weitere Gefahr - bei einem ploetzlichen Rechtsschlenkerer wuerden mich vor allem die Busse und Lkw an die Leitplanke druecken und zum einem Doener verarbeiten. Survival im Dschungel der Grossstadt. Irgendwann nach etlichen weiteren Kilometern - ich befinde mich jetzt nahe des Flughafens - fahre ich rechts ran und frage einen Busfahrer nach dem Weg. Er macht sich die Muehe, mir die Route so gut wie moeglich zu erklaeren, gibt mir sogar einen Stadtplan mit. Nach so einigem weiteren Durchfragen und unterschiedlichen Auskuenften, gelange ich an einen Bahnhof. Hier erfahre ich, dass immer noch 30 Kilometer bis zu meinem Ziel fehlen, was zehn Bahnstationen, etwa 40 Minuten Fahrzeit entspricht. Da es nun fast dunkel ist und weiter regnet, verspuere ich keine uebermaessige Lust, mich weiter auf zwei Raedern durch den urbanen Moloch zu quaelen, sondern entscheide mich fuer letztere Option. Ein netter junger Einheimischer ist mir mit meinem Bike treppauf- und ab und beim Ticketkauf behilflich. Er zeigt mir auch wo ich aussteigen muss und wartet sogar noch mit mir, bis der Zug kommt. Cankurtaran heisst meine Station. Kaum ausgestiegen, finde ich mich in einem Labyrinth von erstaunlich gehobener touristischer Infrastruktur wieder. Praktisch jedes Haus beherbergt Hotels, Hostels und /oder Restaurants. Stolzes Preisniveau hier. Dies hat wohl nicht viel mit dem Rest der Tuerkei zu tun. Da sehe ich drei Motorraeder vor einem Hostel stehen. Kommen mir bekannt vor...ich schaue mich um, und entdecke in einem tiefergelegten Raum das Trio aus Edirne auf ihrem Weg nach Suedafrika! Natuerlich gibts ein grosses Hallo. Mit den "richtigen" Leuten kreuzen sich die Wege eben manchmal oefters, sogar in einer 20-Millionen Metropole. Spaeter lerne ich im selben Hostel noch ein nettes radelndes Schweizer Paerchen kennen - Martin und Katharina aus Zuerich. Sie sind unterwegs nach Damaskus und versorgen mich noch mit einigen guten Tipps. Reingefahren nach Istanbul sind sie ueber den Bosphorus, ich werde das nun auf meinem Weg heraus auf der asiatischen Seite so machen. Ich freu mich wieder mal, in dieser Gegend noch Gleichgesinnte zu treffen, was ja kaum noch vorkommt. Schliesslich komme ich beim Metropolis Hostel an, wo mich Luke, "good old Australian buddy from Budapest", bereits erwartet. Wieder gibt es so einige Stories zu erzaehlen. Er ist seit dem 13.Oktober hier, fliegt uebermorgen weiter nach Thailand und zehn Tage spaeter zurueck nach Down Under. Mein Bike kann ich hier leider nicht ins Haus stellen, muss es davor ansperren. Auch mein nasses Zelt kann ich nachts nirgends ausbreiten, das Gebaeude ist ziemlich schmal und entsprechend eng und verwinkelt der Innenraum.
Aber egal, ich habs geschafft und bin hier.
So - welcome to Istanbul!


Teil VI: Istanbul bis Aksehir
Vom Schwarzen Meer durch Westanatolien

56.Tag; 27.10. Istanbul bis Polonezkoey
Km: ca. 55 Hm: so einige

"Lasst mich hier raus, ich bin ein Fernradler!"

Abends bin ich noch lange mit "old buddy" Ross beim gemuetlichen Bier im "Sultans" gesessen. Wir haben ueber allerlei philosophiert und viel ueber Photographie geredet. So gemuetlich und entspannt wirds wohl erst mal wieder eine Weile nicht mehr sein.
Nun noch ein letztes Fruehstueck mit Ross und dem sympathischen Franzosen. Als sich schliesslich auch der Australier aus dem Staub gemacht hat, zurueck nach Down Under, haelt mich hier auch nichts mehr.
Ich habe es mir ja stur in den Kopf gesetzt, ueber die gigantische Bosphorus Koeproesue/Bruecke symboltraechtig von einem Kontinent zum anderen zu fahren und nach Asien einzureisen. Zunaechst nehme ich mal die Kuestenstrasse bis zur Galata Koeproesue, ueberquere sie, halte mich dann rechts und arbeite mich langsam aber sicher an die bald in der Ferne auftauchenden monumentalen Brueckenpfeiler heran. Als ich schon fast darunter bin, zweige ich links ab und mache mich auf die Suche nach der Brueckenauffahrt. Angeblich soll sie ja fuer Biker und Fussgaenger tabu sein, aber mal sehen, bevor ich ein Verbotsschild vor Augen habe, lasse ich mich von solch vagen Aussagen nicht abschrecken. Die Auffahrt will und will aber nicht kommen, ewig fahre ich aufwaerts, bin nun schon weit ueber dem Brueckenniveau. Nach mehrmaligem Fragen, glaube ich mich vergewissert zu haben, endlich auf der richtigen Route zu sein. An einer wieder chaotisch stark befahrenen, mehrspurigen Strasse muss ich "bloss noch" wenden und dann immer geradeaus. Der Regen, der schon seit letzter Nacht anhaelt, hat inzwischen wieder Prasselstaerke erreicht, unter einer Bruecke lege ich also volle Montur an. Im Zickzack arbeite ich mich durch den zaehfliessenden Verkehr vorwaerts, erwartungsfroh nun auf der Interkontinentalroute zu sein. Es geht wieder ordentlich abwaerts, irgendwann kommt auch wieder Wasser in Sicht, nur bald ist klar, das fuehrt mich nur ein ums andere Mal zum Bosphorus selbst, nicht aber auf diese verdammte, offenbar fuer mich unerreichbare Bruecke, die ihn ueberquert! Also sag ich zu mir selbst "sch... drauf" und das Projekt ist gescheitert. In einer halben Stunde bin ich per Faehre nach Ueskuedar und damit nach Asien uebergesetzt. Tatsaechlich faehrt es sich hier gut, endlich komme ich nach all den vergeudeten Kilometern gut voran, immer mehr oder weniger am Bosphorus entlang. Bald erreiche ich die Aussenbezirke Istanbuls (geschafft! Auch diese Stadt ist also irgendwie mit dem Rad zu bezwingen), irgendwann ist Sile, mein naechstes Ziel auch angeschrieben. Ein freundlicher Baecker laedt mich in seinen Laden ein und erklaert mir die Route. Ueber Beykoz gelange ich schliesslich bis nach Polonezkoey (zwei weitere Einladungen erwaehne ich der Kuerze zuliebe nicht mehr ausfuehrlich, der obligatorische Cai, ein gut deutschsprechender Gastgeber ist dabei, mit dem ich ein interessantes Gespraech habe). Hier finde ich bei einbrechender Dunkelheit Unterkunft in einer netten Familienpension. Man laedt mich ein zu einem reichhaltigen Abendessen. Der Herr des Hauses hat gejagt, es gibt Wildschwein. Die laufen hier in den Waeldern herum. Bis spaet in den Abend sitzen wir zusammen. Die Familie ist polnischer Abstammung, die Frau spricht ganz gut deutsch.


57.Tag, 28.10., Polonezkoey bis Sile
Km 48 Hm 738

Der Ortsname bedeutet "Polendorf". Hier haben sich im Jahre 1842 Polen angesiedelt, auf der Flucht vor russsischer Unterdrueckung. Gemeinsam mit den Tuerken kaempften sie in der Armee Abdul Mecids I im Krimkrieg von 1853-56. Zum Dank dafuer wurden sie von der Steuerpflicht befreit und durften sich hier niederlassen, das Dorf wurde nach ihnen benannt - Polonez-koey. Manche von ihnen konvertierten zum Islam.
Ein bitterer Kampf mit den umbarmherzigen Elementen steht mir heute bevor. Der Himmel ueber dem Nordwesten der Tuerkei ist weiterhin finster und trueb, keine Spur von Halbmond. Die ganze Nacht hindurch hat der Regen angehalten und es wird den ganzen Tag so bleiben. Meine Sachen sind noch so schoen trocken und es ist noch so schoen behaglich hier, deswegen zoegere ich so lange aufzubrechen. Da es aber nicht danach aussieht, als wuerde es sich bessern, fahre ich schliesslich um 13Uhr los, hinaus in den stroemenden Regen. Diese drei Stunden Fahrt bis nach Sile sollen eine harte Belastungsprobe fuer Mensch und Material werden. Anfangs laeuft es ganz gut dahin, die sprichwoertliche Ruhe vor dem Sturm. Noch bin ich trocken und guten Mutes. Doch mit der Zeit nehmen die Steigungen zu - am Ende sind es immerhin 738Hm - der Regen wird insgesamt heftiger und der Wind legt gewaltig zu. Immer oefter ist nun die Strasse regelrecht ueberschwemmt, vorbeikommende Fahrzeuge, die dann da durchrauschen, bescheren mir eine zusaetzliche Dusche vom Scheitel bis zur Sohle. Auf beiden Seiten schwillen Rinnsale zu reissenden, erdfarbenen Sturzbaechen an. Ich komme mir schon vor wie in Goethes Zauberlehrling -

"...walle, walle manche Strecke, dass zum Zwecke Wasser fliesse...die Geister, die ich rief, werde ich nun nicht mehr los!"

Um Pfuetzen muss ich einen weiten Bogen machen, tueckische Schlagloecher koennten sich darin verbergen. Allmaehlich merke ich wie meine Regenausruestung den manchmal sintflutartigen Attacken von unten und oben nicht mehr gewachsen ist. Vor allem die Schuhe sind bald trotz Neoprenueberzieher voellig durchweicht. Auf der naechsten Kuppe peitscht ploetzlich eine ausgewachsene Orkanboe von links auf mich ein und fegt mich fast von der Strasse. Und mit einem Mal sehe ich auch den Ursprung dieser gewaltigen Wetterfront. Braungefaerbte Wogen donnern in schaeumender Gischt an den Strand, die Vorboten von noch gewaltigerem Unheil. Zu meiner Linken tobt das Schwarze Meer, keine fuenfzig Meter entfernt. Zum ersten Mal bekomme ich es jetzt zu Gesicht. Der Wind nimmt nun Sturmstaerke an, muehselig kaempfe ich mich Meter um Meter voran. Auf flotten Abfahrten muss ich aufpassen, nicht von der Fahrbahn geschwemmt oder geblasen zu werden. Laengst bin ich nun voellig durchneasst. Jetzt muendet die Nebenstrasse in eine zweispurige Piste, noch zehn Kilometer bis Sile, vielleicht die laengsten zehn Kilometer meines Lebens. Ich quaele mich weiter. Als ich endlich Sile erreiche, will ich nur noch irgendwo rein, rein, egal wo. Hauptsache raus, raus aus diesem Schlamassl! Dem erstbesten Hotelschild folge ich auf einen Huegel, die letzten Meter nur noch schiebend, gegen den massiven Gegenwind ankaempfend, frontal auf das Schwarze Meer zu. Der Regen prasselt mir waagrecht entgegen. Dann geht igendwo eine Tuer auf, ich hoere Stimmen, man nimmt mir das Rad ab, hilft mir ins Haus. Ein Heizstrahler wird eingeschaltet, jemand reicht mir einen heissen Cai. Aaaah! Gerettet. Nur raus aus den nassen Klamotten und in was Trocknes, Warmes schluepfen. Endlich angekommen. So was hab ich auf dem Bike noch nicht erlebt. Der Sturm nimmt im Laufe des Abends und der Nacht immer mehr zu und erreicht Orkanstaerke, wuetet die ganze Nacht hindruch. Es ist schon ein Wagnis, die Haustuer oder ein Fenster zu oeffnen, hinauszugehen ist nur was fuer hartgesottene Survivor. Wenn ich es nicht mit eigenen Augen und Ohren gesehen und gehoert haette...


58.Tag, 29.10., Sile

Ein Pausentag hier ist unvermeidbar. Bei dem was sich hier gerade abspielt, werde ich froh sein ueberhaupt nochmal von hier wegzukommen. Bis zum Mittag lassen Sturm und Regen nur geringfuegig nach, dann erst wird es allmaehlich ruhiger ud man hoert erstmals das Meer rauschen, das nur hundert Meter entfernt ist. Zeit zum Lesen und Schreiben. Gegen Abend kommt sogar kurz dıe Sonne raus, es gibt sie also noch. Endlich mal wieder raus aus der Bude und einen ersten Erkundungsspaziergang am Strand machen. Spaeter, beim Inspieren des Rades stelle ich fest, dass der Hinterreifen zum zweiten Mal platt ist.


59.Tag, 30.10., Sile bis Kandira
Km: 82,5 Hm: 1.576

Kaum losgeradelt, nachdem ich mich von den netten Gastgebern des Klas Otel verabschiedet habe, drueckt mich was in meiner linken Hosentasche und ich stelle fest, dass ich nun zum vierten Mal versehentlich den Schluessel einer Unterkunft mitgenommen habe! Diesmal aber rechtzeitig.
In Sile steht der groesste Leuchtturm der Tuerkei. Ich belasse es aber bei diesem Wissen, denn erstens bin ich seit Istanbul mit Superlativen erstmal mehr als gesaettigt und zweitens will ich nun wieder Strecke zuruecklegen, Richtung Sueden. 40 Kilometer gehts jetzt in staendigem Auf und Ab und endlosen Kurven immer in Sichtweite der Schwarzmeerkueste durch idyllische Landschaft und Ortschaften bis nach Agva. Das Schwarze Meer hat die Wildheit des ersten Eindrucks verloren und zeigt sich nun von seiner malerischen Seite. Vorgelagerte kleine Felsinseln, Steilkueste, unverbaute Straende und vertraeglicher, wohl vor allem tuerkischer, Tourismus. Zu dieser Jahreszeit ist hier ohnehin kaum noch was los. So ziehe ich hier in aller Ruhe als einziger Durchreisender meine Runde.
Agva – ein quirliges Staedtchen, es gibt hier viele Wochenendausfluegler aus Istanbul. Die Szenerie hat sich komplett gewandelt, dem Wind ist die Puste ausgegangen und die Sonne gewinnt wieder an Kraft, taucht die Landschaft in ein magisches Herbstlicht.

VELOSOPHIE:
Fremden Text entfernt. Bitte keine fremden Texte in das Forum kopieren. Gruß, Uli

So pedaliere ich froehlich dahin bei nun optimalen Radlbedingungen auf wenig befahrener, abwechslungsreicher Route. Auf muehsam, stetig erarbeitete Hoehenmeter folgen rasante Abfahrten, der Fahrtwind pfeift mir um die Ohren. Auf jeder Kuppe eroeffnet sich mir der Ausblick auf die naechste Huegelkette, dann die naechste und wieder die naechste. Am Abend zeigt mein Hoehenmesser knapp 1.600 Meter an. Die bergigste Etappe ueberhaupt bis jetzt. Bei Km 80 ist Kandira erreicht, wo ich ein leckeres vegetarisches Mahl geniesse. Kurz ausserhalb der Stadt in Richtung Kaynarca/Sakarya suche ich mir einen lauschigen Zeltplatz, gerade rechtzeitig, der Abendhimmel faerbt sich bereits glutrot und die Daemmerungsphase ist hier schon merklich kuerzer.


60.Tag, 31.10., Kandira bis zw. Sakarya und Bilecik
Km: 95,6 Hm: 706

Die Naechte werden jetzt schon empfindlich frisch, mein Daunenschlafsack ist inzwischen mein bester Freund und Reisebegleiter. Wird Zeit, dass ich in suedlichere Gefilde vordringe. Die Nacht war sternenklar, der neue Tag begruesst mich mit strahlendem Sonnenschein. Optimal, um das triefendnasse Zelt trocknen zu lassen. Dann gehts auf in einen wunderbaren Herbsttag (In diesen Breiten ist aber noch erstaunlich viel Laub an den Baeumen).
Dem Schwarzen Meer habe ich nun den Ruecken zugekehrt und mich auf direkten Suedkurs begeben. Wenn alles glatt laeuft und ich hoffentlich nicht nochmal so einen gewaltigen Wettersturz erlebe, rechne ich damit, es in etwa einer Woche bis zum Mittelmeer zu schaffen. Bei der Routenwahl bin ich aber noch flexibel, man weiss ja nie was sich unterwegs noch als lohnend und reizvoll herausstellt. Aber natuerlich muss ich auch langsam den Gesamtreiseverlauf im Auge haben, denn die Mittelmeerkueste, eventuell Kappadochien, Syrien, Jordanien und schliesslich Israel liegen ja noch vor mir und es ist mittlerweile Ende Oktober. Ich habe mir inzwischen ueberlegt, dass mein “offizieller” Zielort Jerusalem sein soll – also “die Reise nach Jerusalem” – und von dort aus wird mich dann die letzte Etappe nach Abirim, ganz in den Norden, zu meiner Schwester fuehren.
In Kaynarca suche ich eines der vielen Lokale auf, um einen Kaffee zu trinken. Zuckersuess. Wenn man hier wenig oder keinen Zucker will, muss man das ausdruecklich dazusagen.

VELOSOPHIE:
Wohin man hier auch kommt, man sieht praktisch nur Maenner auf den Strassen und in den Bars. In den Moscheen werden die repraesentativen Hauptgebetsraeume nur von Maennern frequentiert. Ausschliesslich maennliche Stimmen sind es auch, die ueber die Lautsprecher als Muezzine fungieren und fuenfmal am Tag zum Gebet aufrufen.
Die Frauen sind vom oeffentlichen, gesellschaftlichen Leben weitgehend ausgeschlossen. Sie sind hauptsaechlich bei der Feldarbeit, beim Einkaufen und im haeuslichen Bereich anzutreffen. Gewusst habe ich natuerlich, dass das in muslimischen Laendern so laeuft, aber wenn man durch so viele Doerfer und Staedte kommt und so langsam unterwegs ist, dass man es bewusst mit eigenen Augen sieht, ist das nochmal was ganz anderes. Es sind demnach auch fast nur Maenner, mit denen ich diesen gastfreundlichen, herzlichen Kontakt habe. Die Frauen, wenn sie sich ueberhaupt blicken lassen, sind zurueckhaltend, wirken verschlossen, erwidern kaum einen Gruss, laecheln wenig. Vielleicht haben sie in dieser extrem maennerdominierten Gesellschaft auch einfach wenig zu laecheln.

Gut dreissig Kilometer sind es bis Sakarya, die naechste groessere Stadt. Auf einer Flachpassage auf gut ausgebauter meist zweispuriger Stasse ueberholt mich ein Auto mit Nuernberger Kennzeichen! Das Fahrzeug wird langsamer, faehrt neben mir her, der Beifahrer kurbelt das Fenster herunter. Es stellt sich heraus, dass sie sogar aus einer Gegend kommen, wo ich auch mal eine zeitlang gewohnt habe! Ist schon manchmal schoen, hier noch auf Landsleute zu treffen. Kurz darauf komme ich wieder auf eine Bergstrasse und werde Zeuge eines Radrennens. Jede Menge Sicherheitsposten saeumen die Strecke, ich halte mich ganz rechts. Das ist auch ratsam, denn im naechsten Augenblick kommt mir ein rasender Pulk von etwa 50 bis 60 Racern entgegen, die die ganze Fahrbahnbreite beanspruchen. In Sakarya schliesslich, ist die Orientierung schwierig, meine Destinationen Tarakli und Bilecik sind nicht angeschrieben, ich muss mich immer wieder durchfragen. Doch irgendwann ist die Route klar, Eskisehir und sogar schon Antalya sind jetzt ausgeschildert. So gehts nun flott auf zweispuriger Piste dahin. Bei der Mittagsrast am Strassenrand habe ich wieder einige freundliche Begegnungen (das Hupen manchmal jedes zweiten Autos zaehle ich freilich laengst nicht mehr mit). Ein aelterer Mann, den ich nach dem Weg frage, schenkt mir zwei dieser typischen Gebaeckkringel, ein Motorradfahrer haelt an und beginnt ein Gespraech mit mir.

Fuer einen Tuerken ist ein Fremder ein Freund, den er nur noch nicht kennengelernt hat.

Dieser Eindruck bestaetigt sich nochmals als ich mir einen gemuetlichen Schlafplatz ein paar hundert Meter abseits der Strasse suche. Die beiden Maenner im nahegelegenen Haus, die ich frage, ob ich hier zelten kann, laden mich zum Abendessen ein. Hier erfahre ich auch ueber die Fernsehnachrichten, dass es in Taksim/Istanbul, wo ich vor einer Woche noch war, einen Terroranschlag gegeben hat. Naehere Umstaende kann ich aber nicht ergruenden.
Trotzdem war es ein wunderbarer Tag und Oktoberausklang.


61.Tag, 01.11., zw. Sakarya und Bilecik bis Yenikoey
Km: 83 Hm: 651

Der November, mein dritter Radlmonat beginnt mit dichtem Nebel, der sich im Laufe des Morgens aufloest. Es wird der beste Tag seit langem, ein Himmel wie blaue Seide, der von keinem noch so kleinen Woelkchen getruebt wird. Gemuetliches Fruehstueck am “Autobahnrastplatz”, allerdings ziemlich unverschaemter Kaffeepreis und fuer hiesige Verhaeltnisse unfreundliche Bedienung. Es zeigt sich mal wieder: am gastfreundlichsten sind die einfachen Leute vom Land, die selbst nicht viel haben. Mit steigendem Wohlstand wird die Freundlichkeit eher businessorientierter. Nun komme ich schon mehr und mehr in die Berge und die Kulisse wird zunehmend interessanter und spektakulaerer. Bizarre Felsformationen und kleine Schluchten ruecken ins Blickfeld. Den Hintergrund dazu bildet ein tiefblauer Himmel, dadurch ergeben sich wunderbar klare Farben, starke Kontraste. Dazu ein Wetter wie aus dem Bilderbuch, ideal zum Fotografieren, wenn auch noch eine Moschee dazukommt – wie aus 1001 Nacht. Die Steigung ist moderat, der Verkehr maessig auf dieser Hauptroute, ein wahrer Traumtag zum Radeln. Zwei Tunnels gilt es zu passieren, doch dank des geringen Verkehrs sind sie kein Problem. Der zweite ist zweieinhalb Kilometer lang, ueber eine weite Strecke bin ich fast allein darin unterwegs. Dann wird in der Ferne hinter mir ein leises Droehnen hoerbar, wird allmaehlich lauter und lauter, nimmt beachtliche Phonstaerke an, bis der erste Sattelzug – mit reichlich Abstand – an mir vorbeidonnert. Aufpassen muss ich gerade in den Tunnels, wo der Platz begrenzt ist, auf die Gullideckel. Deren Schlitze verlaufen naemlich tueckischerweise(tuerkischer weise) mal quer, oft genug aber auch laengs zur Fahrtrichtung, sodass meine schmalen Reifen darin leicht verschwinden koennten. Mein heutiges Pausenziel heisst Bilecik, eine sehr malerisch gelegene Stadt, kurz nach 15Uhr erreiche ich sie. Hier gibt es leckere vegetarische Kost bei einer sympathischen Familie, eine liebe Mama mit Sohn, die sehr wissbegierig sind. Ich werde hier wunderbar satt, voellig fleischlos, zu sehr moderatem Preis und bei bester Gesellschaft. Das Zauberwort heisst “et yemiyorum” – “ich bin Vegetarier”. Kaum hat man das gesagt, dann tun sich einem auch hier in der Tuerkei neben dem notorischen Doener kulinarische Welten auf. Von Bilecik aus nehme ich einen Abzweig nach Soeguet, eine Nebenstrecke und Abkuerzung nach Eskisehir, meinem morgigen groesseren Ziel. Nach ein paar Kilometern finde ich abseits einer Nebenstrasse einen idealen Platz fuers Zelt im hohen Grass. Es ist erst 17Uhr, aber daemmert schon wegen dem Beginn der Winterzeit, die mich auch hier eingeholt hat. Was fuer ein grandioser Radltag, an dem mir wieder so manch wunderbarer Gedanke gekommen ist. Zwei Monate on the road!


62.Tag, 02.11., Yenikoey bis Eskisehir
Km: 81 Hm: 1.186

Romanze auf Tuerkisch:
Heute hat mich zum ersten Mal eine huebsche junge Tuerkin auf offener Strasse ganz ungezwungen und natuerlich angelaechelt! Es geschah in einem westanatolischen Bergdorf, dessen Namen ich vergessen habe, an diesem herrlichen Sonnentag, genau in dem Augenblick als ein kecker Sonnenstrahl ihr wunderschoen orientalisches Gesicht zum Leuchten brachte. Just in diesem Moment radelte ich vorbei, unsere Blicke trafen sich und da schenkte sie mir ein spontanes Laecheln. Mir – dem fremden Fernradler! Von diesem Augenblick an war ich verzaubert und bin es noch jetzt…She made my day!

Frueher Aufbruch, erstmals hat sich Rauhreif am Zelt gebildet. Meine Finger sind klamm und steif. Ich will nicht solange warten, bis die Sonne das Zelt trocknet, in diesem Tal hier wuerde das zu lange dauern. Jede Menge Hoehenmeter liegen heute wieder auf meinem Weg. Doch jeder einzelne, hart erarbeitete Meter ist es wert, denn er wird belohnt mit phantastischen Ausblicken auf dieser relativ einsamen Route und immer wieder berauschenden Abfahrten.

VELOSOPHIE:
Keinen Auto- oder Motorradfahrer beneide ich hier um sein Gefaehrt, muss er doch nur bequem gasgeben, um hier hochzukommen. Er hat keine Ahnung was es bedeutet, diese Huegel aus eigener Kraft zu ueberwinden, die Stille und Urspruenglichkeit um sich herum zu spueren und dann irgendwann oben zu stehen, wo der Blick ins naechste sonnendurchtraenkte Tal, auf die naechste Huegelkette faellt.

Nach 15 Kilometern erreiche ich Soeguet und goenne mir ein ausgedehntes Fruehstueck mit einem herzlichen Gastgeber, der sich am Ende zu mir setzt und einen Cai mit mir trinkt. Anhand der Karte und meines Guides besprechen wir meine Route und ich erfahre so einiges Wissenswerte. Er kann ein paar Takte Englisch, ich ein paar Takte Tuerkisch. Den Rest erledigen Haende und Fuesse. Wieder so eine freundschaftliche, unvergessliche Begegnung.

VELOSOPHIE:
Die Menschen hier koennen nur den Kopf schuetteln, angesichts einer Tour, wie ich sie mache. Sie selbst kaemen kaum je auf so einen Gedanken, vielleicht sich ueberhaupt nur aufs Rad zu setzen. Das hat nichts mit ihrer Lebensrealitaet zu tun. Dennoch bewundern sie ein solches Vorhaben aufrichtig, staunen manchmal lautstark und freuen sich darueber, dass man auf diese Art ihr Land bereist.

Nachmittags packe ich Zelt, Isomatte und Schlafsack aus und lege alles in die Sonne. Vor allem das Zelt ist patschnass von letzter Nacht. Am Stadtrand von Eskisehir findet sich dann nach laengerem Suchen gerade noch vor Einbruch der Dunkelheit ein passabler Zeltplatz.


63.Tag., 03.11., Eskisehir bis Emirdag
Km: 109 Hm: 655

Dieser wegen angehender Finsternis in aller Eile gewaehlte Platz war ein Gluecksfall. Seine exponierte erhoehte Lage bescherte mir einen Rundumblick auf die Lichter der Stadt, sowie auf die funkelnden Sterne ueber mir. Das allgegenwaertige Hundegeklaeff war nur gedaempft aus der Ferne zu hoeren, ausserdem erschien die Sonne hier viel frueher, und ich musste nicht lange warten, um das Zelt diesmal trocken einzupacken. Beides im Gegensatz zu gestern. Gut, dass ich noch ein paar Vorraete fuer ein spartanisches Fruehstueck habe, denn die Gelegenheit zur naechsten Nahrungsaufnahme ist weit, erst 45 Kilometer weiter, in dem freundlichen, sonnendurchfluteten Staedtchen Mahmudiye gibts ein fruehes Mittagessen. Die Etappen werden in dieser Gegend immer groesser, die Landschasften immer einsamer und spektakulaerer, haben schon manchmal steppenaehnlichen Charakter. Mein Blick wandert ueber die sanft geschwungen Huegel, ganz vereinzelt tauchen winzige Doerfer auf, die sich an die Haenge schmiegen. Miniaturmoscheen duerfen natuerlich auch hier nicht fehlen. Ich kann mich kaum sattsehen an diesem Panorama. Stop an einer Tankstelle zum Wasserauffuellen. Letzte Moeglichkeit wie es scheint, denn danach breitet sich wieder unabsehbare Weite bis zum Horizont aus. Wie so oft werde ich eingeladen, vom Tankwart, diesmal zu einem Kaffee. Sogleich bildet sich wieder ein Grueppchen neugieriger Gespraechsteilnehmer, zwei deutschsprechende sind auch darunter. Doch bald ist fuer mich wieder Zeit zum Aufbruch. Ich will heute noch bis Emirdag kommen und die Sonne steht schon tief. Ein paar Kilometer bevor ich die Stadt erreiche, faehrt ein Auto rechts ran, das Fenster wird herunter gekurbelt, der Fahrer spricht mich auf franzoesisch an, wieder sehr sympathisch. Das Interesse an bepackten Fernradlern ist enorm in diesem Land – das heisst wohl eher an dem einzigen der hier auf weiter Flur noch seine Bahn zieht. Als ich den erstbesten Laden in Emirdag betrete, um mich fuer den Abend einzudecken, daemmert es schon. Es ist schon halb dunkel, als ich schliesslich einen erhoeht gelegenen Platz am Stadtrand finde. Er ist eine Notloesung. Der Boden ist fast kahl, und ich muss ihn erst von Glasscherben und sonstigem Unrat saeubern. Doch bald habe ich mich so bequem wie moeglich eingerichtet und geniesse das wohlverdiente Abendessen.

VELOSOPHIE:
Zelten – My tent is my castle
Nach einem anstrengenden und erlebnisreichen Tag voller neuer Eindruecke und Erfahrungen, nach hundert Kilometern oder mehr, die zwischen mir und meinem letzten Rastplatz liegen, muss ich mich immer wieder zurueckziehen und abschalten. Jetzt ist es Zeit, wieder ein Stueck Abstand zu gewinnen, den Tag revue passieren zu lassen und zu verarbeiten. Dazu sind meine mitgefuehrten vier Waende unentbehrlich. Habe ich nun einen Platz gefunden, der meinen Anspruechen genuegt, lasse ich mich dort nieder. Sobald der Reisverschluss des Aussenzeltes geschlossen, eine Trennwand zwischen mich und die Aussenwelt geschoben ist, habe ich mir meinen privaten Schutzraum geschaffen und fuer diesen Abend und diese Nacht mein Zuhause gefunden.

Dieser Schutzraum wurde letzte Nacht gestoert. Zum ersten Mal seit der gesamten Reise spuerte ich so etwas wie Gefahr aufsteigen. Schon bei meiner Ankunft hier bemerkte ich in etwa hundert Meter Entfernung ein im Dunkeln geparktes Auto. Deshalb legte ich mir vorsichtshalber gleich meine kleine “Selbstverteidigungswaffe” fuer Notfaelle zurecht. Dabei handelt es sich um einen sogenannten Signalraketenstift. Im Notfall kann man zum Beispiel in den Bergen oder auf See damit eine Rakete abschiessen und somit auf sich aufmerksam machen. Ob jemand in dem Auto sass, konnte ich nicht erkennen. Was macht man nachts in einem unbeleuchteten Auto an diesem gottverlassenen Ort? Ich mit meiner Stirnlampe musste ja zwangslaeufig Aufmerksamkeit erregen. Doch ich verdraengte diesbezuegliche Gedanken und lenkte mich mit anderen Dingen ab. Das Geraeusch einer aufgehenden und ins Schloss geworfenen Autotuer holt mich gleich darauf wieder in die Realitaet zurueck. Dann hoere ich wie sich ein zweites Auto naehert. Werden hier duestere Drogendeals abgewickelt? Oder ist das der geheime Strassenstrich unter den allgegenwaertigen Augen Allahs? Die Ankunft des zweiten Autos hat fuer mich aber die Situation wieder etwas entspannt und ich gebe mich wieder eigenen Gedanken hin.
Bis sich ploetzlich ein drittes Fahrzeug naehert, diesmal in unmittelbarer Naehe meines Zeltes. Es haelt an, jemand steigt aus, Schritte kommen naeher. Meine Lampe habe ich laengst ausgeschaltet, was natuerlich auch nichts bringt, das Zelt ist schliesslich auch so sichtbar. Die Schritte verharren. Die Zeltwand wird von aussen beruehrt und in Schwingung versetzt. Schliesslich – ich bin drauf und dran selber was zu sagen, um die Spannung aufzuloesen – eine Stimme. Englisch bringt hier nicht viel. Mit gemischten Gefuehlen oeffne ich den Reisverschluss. Zunaechst sehe ich nur Schuhe und Beine, dann faellt der Lichtkegel meiner Lampe auf das Gesicht. Ein Typ mittleren Alters, nicht ungepflegt, scheint aber eine Alkohlfahne zu haben. Es geht so zehn Minuten mit Gestikulieren hin und her, ohne dass mir klar wird, was er will. Ich werde das Gefuehl nicht los, dass er es auf Geld abgesehen hat. Nachdem er mehrmals scheinbar ins Zelt greift, mache ich ihm unmissverstaendlich klar, dass ich jetzt meine Ruhe haben wolle und damit das Gespraech fuer mich beendet sei. Meine “Notwehrwaffe” halte ich griffbereit. Dann ruft er jemanden an, reicht mir nach einer Weile das Handy. Eine junge Stimme gibt sich in gebrochenem Englisch als Neffe zu erkennen und erklaert mir, sein Onkel wolle mich zu sich nach hause einladen, er koenne unmoeglich zulassen, dass ich an diesem kargen Ort in diesem duerftigen Zelt hausen muesse. Nachdem nun die Karten auf dem Tisch liegen, kann ich meinen naechtlichen Besucher nur mit Muehe davon ueberzeugen, dass das alles hier voellig okay fuer mich sei und er sich um mein Wohlergehen keine weiteren Sorgen zu machen brauche. Er gibt sich aber schliesslich geschlagen. Fast ueberwiegt jetzt bei mir schon wieder sowas wie Ruehrung angesichts solcher gastfreundschaftlicher Fuersorge, aber ich musste anfangs natuerlich einen gegenteiligen Eindruck gewinnen. Zu einem frueheren Zeitpunkt, bevor ich mich haeuslich niedergelassen hatte, haette ich seine Einladung wahrscheinlich sogar angenommen.
Nun, so weit kann tuerkische Gastfreundschaft gehen.


64.Tag, 04.11., Emirdag bis Aksehir
Km: 113,5 Hm: 678

“THEO-SOPHIE”
5Uhr20: Allah! - Allaaah! – Allaaa-aaa-aaah!
Die Stimme des Muezzin erschallt eindringlich und flaechendeckend ueber Stadt und Land. Sie ermahnt die Glaeubigen zur Froemmigkeit, vor ihr gibt es kein Entrinnen, schon gar nicht in einem Zelt. Erbarmungslos dringt sie selbst in den letzten Winkel. Und das fuenfmal am Tag. Ich bin mir aber nicht so sicher wie es die Tuerken mit der Froemmigkeit heutzutage so halten. Erlebt habe ich es jedenfalls noch nicht, dass hier jemand aufspringt und seinen Gebetsteppich ausrollt, wenn Allah ruft. Zumindest nicht solange noch Cai im Glas ist (und das ist eigentlich immer der Fall) und man noch so gesellig beisammen sitzt, ins Gespraech vertieft.


Die erste Nahrungsaufnahme verzoegert sich wieder, mein Magen muss sich mal wieder 40 Kilometer gedulden. Es tut sowieso gut, sich morgens erstmal warmzutreten. Es geht weiter hinauf, bis ueber 1.100m Hoehe komme ich heute, der bisher hoechste Punkt in der Tuerkei. Das Wetter ist wieder traumhaft – das wird nun schon bald zur Gewohnheit – und die landschaftliche Schoenheit nimmt weiter zu. In Bolavdin dann, einer Stadt mit 30.000 Einwohnern herrscht ein reges Treiben, alles wuselt bunt durcheinander. Auch Pferde- und Eselfuhrwerke teilen sich die Strasse hier mit Autos und Radfahrern.
Es dauert eine Weile bis sich was Passendes gefunden hat, dafuer habe ich es damit ideal erwischt. Man stellt mir eine bunte Palette vegetarischer Kost zusammen, jeder ist mal wieder bemueht, hilftsbereit und wissbegierig. Sogar in der Sonne kann ich sitzen. So geniesse ich alles in vollen Zuegen, vor allem meinen Ausblick auf den Hauptplatz und die Einheimischen, die dort ihren alltaeglichen Beschaeftigungen nachgehen, beziehungsweise wie ich in der Sonne sitzen. Mit einem aelteren Mann komme ich ins Gespraech, er lebt seit 38 Jahren in der Schweiz und ist zu Besuch in der alten Heimat. Am Ende laesst er es sich nicht nehmen, mich einzuladen und meine Rechnung zu bezahlen. Geruehrt und bester Laune angesichts solchen Gluecks, verlasse ich Bolavdin und setze meinen Weg fort, vorbei an Cai immer in Richtung Konya.

VELOSOPHIE:
Jede Stadt, in die ich komme, ist ein Mikrokosmos fuer sich. Die Menschen hier fuehren – wie es scheint – ein recht zufriedenes, authentisches Leben, unverfaelscht und unverdorben vom Tourismus. Sie sind freundlich und offen untereinander, neugierig und hilfsbereit gegenueber Fremden. Es liegen schon Welten zwischen hier und Istanbul, wo praktisch alles auf Geschaeft und Gewinn ausgelegt ist, zumindest in den am meisten von Touristen frequentierten Stadtteilen.
So wird hier jeder, dem ich unterwegs begegne, zum Gefaehrten auf meinem Weg. Das habe ich bisher noch nirgendwo anders auf der Welt so erlebt. Die Tuerkei – fuer mich als Radler ein Paradies. Im Grunde ist sie als Transitland viel zu schade und kostbar, die Tuerkei ist ein Land zum Verweilen und einfach Dasein. Ein Land, wo man nicht nur einfach an allem vorbeifaehrt und sich wie durch eine Glasscheibe als aussenstehender Betrachter alles anschaut, sondern wo man mittendrin ist, wo man teilhat am Geschehen, wo man dazugehoert. Wenn man sich nur darauf einlaesst. Die Menchen hier machen es einem leicht. Natuerlich beguenstigt es meine Reiseform ungemein, all diese Erfahrungen zu machen.


Eigentlich hatte ich gehofft, jetzt an den ersten beiden grossen Seen der “Tuerkischen Seenplatte”, Eber Goelue und Aksehir Goelue, vorbeizukommen, stattdessen kann ich aber nur schmale blaue Streifen in der Ferne ausmachen. Die Strasse fuehrt nicht nahe genug daran vorbei. Ausserdem stimmt hier wohl der Kartenmassstab nicht so ganz. Bei Km 3.660 ereilt mich meine dritte Reifenpanne. Das wird nun tendenziell oefters passieren, die Reifen nuetzen sich ueber diese lange Strecke allmaehlich ab. Ich werde wohl irgendwann den hinteren mit dem vorderen austauschen, der ist aufgrund der geringeren Beanspruchung in deutlich besserem Zustand. Beim Abtasten der Mantelinnenseite stosse ich auf den winzigen Dorn, der das verursacht hat. So ein kleines Ding kann von einem Moment auf den anderen ueber Wohl und Weh entscheiden. Manchmal ueber Gelingen oder Scheitern eines Projektes. Das gibt mir zu denken.
Die weitere Route ist leider stark von LKWs und Baustellen dominiert. Von rechts schiebt sich schon bald eine Bergkette vor die Sonne und im Schatten beginne ich leicht zu froesteln. Als mein Blick nach einer Weile nach rechts schweift, beobachte ich gerade noch wie die letzten Sonnenstrahlen des Tages den gegenueber liegenden Berghang in ein goldenes Licht eintauchen. Was fuer ein Tag – denke ich gluecklich.
In der Ferne taucht die Stadt Aksehir auf, mein heutiges Ziel.

Teil VIa - ISTANBUL, Bruecke zwischen Occident und Orient ist noch in Arbeit und wird zu einem spaeteren Zeitpunkt hier erscheinen.


Teil VII: Von Aksehir nach Anamur/Mittelmeer

65.Tag, 05.11., Pausen-/Arbeitstag in Aksehir

Quartier bezogen habe ich im Otel Yasar im Zentrum dieser quirligen, sympathischen Stadt mit einem Nuefus (Einwohnerzahl, steht immer bei groesseren Orten/Staedten am Ortsschild) von 61.000. Sogar einen Bazaar gibt es hier mit den typischen, labyrinthaehnlichen Gassen. Nicht so gross wie in Istanbul, dafuer wird man auch nicht dauernd angequatscht, als Tourist entlarvt und im Gedraenge halb erdrueckt. Stattdessen kann man entspannt durchschlendern. Jede Menge kleiner Handwerksbuden gibts hier auch, vieles wird hier noch von Hand gefertigt. Hat hier jemand vier oder fuenf Quadratmeter Platz, macht er seine eigene Bude auf. Doch der Hauptgrund meines Aufenthaltes hier ist die Fortsetzung meines Reiseberichts. Damit beschaeftige ich mich dann auch den Grossteil des Tages. Die Tipperei geht mir leider ziemlich zaeh von der Hand. Auf dieser tuerkischen Tastatur muss man sich immer wieder neu die Tastenbelegung, bezueglich Satzzeichen zurecht suchen, was laestig ist und ziemlich aufhalten kann. Ausserdem herrscht in den meisten Internetcafes ein nicht unerheblicher Laermpegel, was die Konzentration erschwert. Am Abend geniesse ich ein sehr gutes, reichhaltiges, wenn auch etwas teures vegetarisches Mahl im Restaurant nebenan.


66.Tag, 06.11. Aksehir bis Hueyuek
Km: 73 Hm: 1.130

Osman, der Barbier von Aksehir
Bevor ich heute wieder in die Pedale trete, ist nun endlich die Kuerzung meines Haupthaares faellig. Seit Sofia habe ich das immer wieder vor mir hergeschoben. Heute kommt die Maehne runter. Osman, mein Berber – so heisst der Herrenfriseur auf Tuerkisch – nimmt sich dieser Aufgabe mit Inbrunst an. Dabei absolviert er ein beeindruckendes Komplettprogramm, dass einem Hoeren und Sehen vergeht (einem die Haare zu Berge stehen, ha ha) und das keinerlei Wuensche auch bei anspruchsvollster Kundschaft offen laesst. Ich, der ich als Transitradler natuerlich nur einen simplen Haarschnitt im Sinn hatte, weiss phasenweise nicht so recht wie mir hier geschieht. Waehrend der fast einstuendigen Behandlung kommt das gesamte Repertoire friseurhandwerklicher Untensilien gleich mehrfach zum Einsatz. Ich komme in den Genuss einer zweifachen Kopfwaesche, sowie einer intensiven Gesichts – und Kopfhautmassage. Die Haarentfernung beschraenkt sich keineswegs auf den obersten Kopfbereich, Osman greift auch noch zum Rasierapparat und rueckt jeglicher sonstiger dort oben angesiedelter Behaarung zu Leibe, gemeint sind Augenbrauen, Nasenloecher und Ohren. Bei letzteren schreitet er offenbar auch noch zur Veroedung derselben. Da bin ich aber kurz davor einzugreifen, lasse ihn dann aber doch gewaehren. Durch zunehmend deutlichere Gesten in Richtung meiner Armbanduhr versuche ich dem Ungezuegelten zu verstehen zu geben, dass ich heute auch noch irgendwann aufbrechen wollte. Osman laesst sich aber in seinem Tatendrang nur unmerklich bremsen und bringt noch flugs eine beachtliche Palette an Duftwaesserchen, sowie Hautlotion zur Geltung. Leider habe ich versaeumt, vorher einen Preis fuer diese Sultansbehandlung zu vereinbaren. Schliesslich legt Osman dann doch das letzte Werkzeug aus der Hand und ich bekomme auch noch einen edlen Cappuchino serviert. Sogar zu rauchen bietet man mir an (in der Tuerkei wird praktisch ueberall geraucht, auch beim Friseur). Osman hat hervorragend abgeschnitten. Und fuer all das will er lediglich laeppische zehn Lira. Das ist tuerkische Friseurskunst und Bescheidenheit in Vollendung.

Meine heutige Strecke zaehlt sicherlich zu den Highlights der bisherigen Tuerkeirundfahrt. Zehn Kilometer ausserhalb von Aksehir waehle ich eine kleine Nebenroute und passiere die Doerfer Engili, Cakillar und Kaaraga. Hier leben die Menschen noch wie vor hundert Jahren, die Zeit scheint fuer sie stehen geblieben zu sein. Alte Frauen mit eingefallenen, runzeligen Gesichtern sitzen am Strassenrand und warten darauf, dass die Zeit vergeht, die ueblichen Maennersitzgruppen vor den Haeusern. Ich glaube kaum, dass hier oft, wenn ueberhaupt Fremde durchkommen, schon gar nicht Fernradler wie ich. Auf sie muss ich wirken wie ein Exot aus einer anderen Welt. Dennoch, wenn man die Leute anspricht, sind sie durchwegs umgaenglich und hilfsbereit. Sehr abwechslungsreich verlaeuft diese Nebenstrecke und fuehrt mich schliesslich bis Doganhisar. Ab hier beginnt eine Bergstrecke, die mich mit stetiger Steigung hinauffuehrt in einsamste Gegenden. Die Nachmittagssonne taucht die Bergruecken in ein magisches Licht. Die Strasse windet sich hoeher und hoeher hinauf, bis sie die Passhoehe auf 1.620m erreicht, wieder ein neuer Hoehenrekord. Dort oben werde ich entschaedigt fuer die Plackerei mit einem grandiosen Ausblick ins Tal, wo sich in der Ferne der Beysehir Goelue, der groesste See der Region, abzeichnet und die Sonne praesentiert sich nochmal bevor sie hinter den Bergketten versinkt. In rauschender Fahrt gehts nun hinab nach Hueyuek, es folgt der uebliche Einkauf fuers Abendessen und Quartiersuche. Diesmal komme ich damit richtig in die Dunkelheit, finde aber mit Lampe einen ganz passablen Platz.


67.Tag, 07.11. Hueyuek bis Beysehir
Km: 35,5 Hm: 117

Kurze Etappe heute, ich will mir in Beysehir nochmal ein Quartier suchen, um in erster Linie meinen Bericht Teil VI abzuschliessen und online einzutragen. Ausserdem liegt die Stadt sehr schoen am See und hat auch sonst ein sehr angenehmes Flair. Die beruehmte Esrefoglu Moschee aus dem Jahre 1.297 befindet sich ebenfalls hier. Sie zeichnet sich aus durch ihre einmalige Holzinnenarchitektur mit vierzig Saeulen. Schon mittags checke ich hier ein in eine guenstige Pension, die optimal gelegen ist, nur hundert Meter vom See und sogar mit Internetzugang. Lange Arbeitszeiten am Computer, wie ueblich gibts Komplikationen mit der Tastatur.


68.Tag, 08.11., Beysehir bis Yesildag
Km: 35 Hm: 253

Mehrere Stunden nimmt die Schreiberei noch in Anspruch. Als schliesslich alles zufriedenstellend abgeschlossen ist, statte ich besagter Moschee Esrefoglu einen Besuch ab. Es ist erfreulich wenig los hier, keine Touristen haben sich an diesen Ort verirrt, um dieses altehrwuerdige Bauwerk mit seiner ungewoehnlichen Holzausstattung und einem Labyrinth aus Saeulen zu bestaunen. Lediglich ein paar einheimische Besucher sind da. So geniesse ich die Stille und lasse mich an besonderen Standorten zu Fotoaufnahmen inspirieren. Die heutige Bikestrecke faellt entsprechend kurz aus. Ich folge der Uferstrasse, die laut Karte stets nahe des Sees fuehren sollte, tatsaechlich aber verliere ich das Wasser immer wieder ganz aus den Augen. Schliesslich erreiche ich nach huegeliger und kurvenreicher, landschaftlich reizvoller und einsamer Fahrt den Ort Yesildag. Meine Versuche, hier noch was Essbbares fuer den Abend aufzutreiben, gestalten sich schwierig. Das Angebot ist kaerglich knapp, auch teils unverschaemt teuer. Etwas ausserhalb des Ortes finde ich dann einen idealen Schlafplatz zwischen Baeumen und Felsen im gruenen Grass. Es handelt sich hier um einen Weidegrund fuer Ziegen und Kuehe. Eine Vertreterin letzterer Spezies kommt mich sogar kurz besuchen, waehrend ich das Zelt einrichte und begruesst mich mit einem unmissverstaendichen MUH!, das ploetzlich aus der Stille heraus erschallt, bevor ich den Wiederkaeuer ueberhaupt zu Gesicht bekomme. Ich hoffe ich habe ihm nicht den Stammplatz weggeschnappt. An diesem Abend taucht zum ersten Mal ein zarter, sichelfoermiger Mond am klaren Sternenhimmel auf. Nun haben sie ihre Landesflagge auch noch in den Himmel projeziert…


69.Tag, 09.11., Yesildag bis Yahilhoeyuek
Km: 104 Hm: 985 Max.Hoehe: 1.820m

Am Abend habe ich mal die noch vor mir liegende Strecke bis Syrien durchkalkuliert und realisiert, dass ich mir eigentlich keinerlei Extratouren mehr erlauben kann, wenn ich meinen Plan einhalten will, etwa bis zum 20.11. in Syrien einzureisen. Komplikationen und Pausentage – einen Onlinetag brauche ich ja auf jeden Fall auch noch – nicht mitgerechnet. Also wird umdisponiert, ab heute nehme ich die kurzestmoegliche Route. Von hier aus werde ich nun strikt suedoestlich fahren, bis ich aufs Mittelmeer stosse, dann immer an der Kueste entlang ueber Adana und Antakya und dann oestlich nach Syrien. Der Nikolaus in Myra und auch Kappadochien fallen damit leider dem Rotstift zum Opfer und muessen warten bis zur naechsten Tuerkeireise. Das bedeutet auch knapp zwanzig der gestern absolvierten Kilometer zurueckzufahren, um auf die Route zunaechst Richtung Antalya und dann weiter oestlich nach Seydisehir zu gelangen.
Heute trennen mich siebzig Kilometer von meinem Schlafsack und der ersten ordentlichen Nahrungsaufnahme. Zum Glueck habe ich noch einen Restvorrat, um das zu ueberbruecken. Positiv ueberrascht bin ich, dass man auf der Strecke alle nasenlang an Brunnen vorbeikommt, wo man bequem bestes Trinkwasser tanken kann (zum Thema Wasser folgen spaeter nochmal spezielle Gedanken). Der Weg nach Seydisehir fuehrt ueber den hoechsten Pass (1.820m) der bisherigen Route. In schier endloser Kleinarbeit schraube ich mich Meter fuer Meter empor. Es ist sehr einsam hier oben, ich bin fast unbehelligt vom Autoverkehr. Alles was ich hier hoere und wahrnehme ist mein Pulsschlag und Atem, je nach Neigungswinkel der Strasse mehr oder weniger heftig. Irgendwann ist die Schinderei ueberwunden, ich stehe oben am Pass. Abgekaempft aber gluecklich, blicke ich hinunter auf die sich in engen Serpentinen windende Strasse auf der anderen Seite und geniesse den Ausblick und die mich umgebende Stille und dann die rauschende Abfahrt nach Seydisehir. Das durchaus reichhaltige Mittagessen in einem besseren Lokal schlaegt hier gerade mal mit 6,50TL zu Buche. Ab hier gehts brettleben und schnurgerade in der Nachmittagssonne dahin und ich lege noch dreissig Kilomter zurueck, bevor ich kurz vor Yahilhoeyuek einen ganz gemuetlichen Schlafplatz finde.


70.Tag, 10.11., bei Yahilhoeyuek bis Hadim
Km: 88,77 Hm: 1.755m Max.Hoehe: 1.733m

Die Ueberwindung meines heutigen Tagespensums, vor allem die extremen Anstiege – es waren die meisten Hoehenmeter an einem Tag bis jetzt –haben meinen Kampfgeist und mein Durchhaltevermoegen auf eine harte Probe gestellt. Zeitweilig muss ich meine allerletzten Kraftreserven aufbieten und an mein Limit gehen, um die Strecke zu bewaeltigen. Ich habe gut daran getan, heute schon um kurz nach sieben Uhr aufzubrechen, sonst wuerde ich in Zeitnot geraten, beziehungsweise koennte mir die zahlreichen Fotostopps nicht erlauben. Im Bozkir staerke ich mich erstmal mit einem ausgiebigen Fruehstueck fuer die bevorstehenden Strapazen, von denen ich zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung habe. Auf meiner Karte ist der Hoehenunterschied lediglich mit 320m bis Hadim angegeben. Nie haette ich fuer moeglich gehalten, was sich fuer Welten innerhalb von 48 Kilometern verbergen koennen! Auch Bozkir liegt schon spektakulaer in einem tiefen Talkessel. Leider verfranse ich mich bereits bei der Fahrt hier heraus und knalle mir damit unnoetig zusaetzliche Hoehenmeter in die Beine. Als ob ich sonst nicht ausgelastet waere. Was dann folgt auf der Route bis Hadim steigert sich mehr und mehr ins Atemberaubende im doppelten Wortsinne. Hier ist alles geboten was das Bikerherz hoeher schlagen laesst…

VELOSOPHIE:
Im Grunde ist es muessig, zu versuchen in Worte zu kleiden, was selbst mit den blumigsten Attributen nicht zu beschreiben ist. Die Sprache greift hier immer zu kurz. Selbst Fotos vermoegen es nur unzureichend, das zu transportieren, was das Auge wahrnimmt. Sie umfassen nie das gesamte Bild, zeigen immer nur Ausschnitte. Obendrein ist es ja nicht nur das Optische, nein auch Geraeusche, oder vielmehr deren Abwesenheit, die Stille, beeinflusst den Gesamteindruck einer Landschaft. Wer Beine hat zu radeln, der moege selbst herkommen, ein offenes Auge mitbringen und seine eigenen Er-fahrungen machen.

Die drei Ortschaften auf dieser Strecke – Uecpinar, Igdeoeren und Korualan – fuegen sich wunderbar ein in diese urgewaltige Landschaft, wirken wie natuerlich gewachsen. Besonders gefallen hat mir Korualan. Je weiter die Route geht, desto mehr hechle ich nach Luft, um meine Lungen ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen. 1.755 Hoehenmeter mit Reisegepaeck fordern einen hohen Tribut. Stellenweise bin ich so langsam, dass mich wohl die Schnecken, falls es hier welche gaebe, rudelweise ueberholen wuerden. Doch Tritt um Tritt geht es aufwaerts, immer den Blick nur auf die naechsten drei Meter vor meinem Vorderrad gerichtet und irgendwann, nach zaehem Ringen, ist auch hier der hoechste Punkt mit 1.750m erreicht.
Dieser Tag hat fuer mich alle Elemente beeinhaltet, die den Reiz eines solchen Bikeabenteuers ausmachen – einzigartige, einsame Hochgebirgslandschaften, noch weitgehend urspruenglich lebende Menschen, anspruchsvollste sportliche Herausforderungen und ein unbeschreibliches Gluecksgefuehl, wenn man alle Huerden ueberwunden hat und oben steht und die in der Nachmittagssonne leuchtenden Berghaenge um sich herum sieht.

VELOSOPHIE: das kleine Maedchen aus Uecpinar
Als ich beim Wasserauffuellen am Brunnen knie und mich umdrehe –
steht es ploetzlich da, das kleine Maedchen aus Uecpinar.
Ein Maedchen von vielleicht sechs oder sieben Jahr.
Steht einfach nur da und beobachtet mich.
Was sie sich wohl denkt – was ist das nur fuer ein Typ,
Wo kommt er nur her und was will er hier – in Uecpinar?
So einen habe ich noch nie gesehen.
Und ich habe so eine wie sie noch nie gesehen.
Sonst sind es immer die kleinen Jungs,
Die dreist daherlaufen und rufen “hello, what’s your name?”
Sie ist das erste Maedchen, das sich mal traut und stehen bleibt.
Das sich interessiert fuer den fremden Fernradler.
Und obwohl wir keine gemeinsame Sprache haben
und ich ihr nicht erklaeren kann,
Was ich da mache und warum ich es tue,
Warum ich scheinbar rastlos von Ort zu Ort ziehe,
Waehrend sie bis jetzt vielleicht nur Uecpinar kennt –
Sind sich doch – wenn auch nur fuer einen Moment –
Zwei Welten begegnet, die unterschiedlicher kaum sein koennten.

Und zieh’ ich heut so meines Weges,
Wohin ich auch fahr’
Ich denk noch oft zurueck
Ans kleine Maedchen aus Uecpinar.



71.Tag, 11.11., bei Hamid bis Basyayla
Km: 60 Hm: 935 Max.Hoehe: 1.775m

Fruehstueck in Taschkent, ein Hochgebirgsdorf mit einer phantastischen Lage, eingebettet in eine dramatische Kulisse, zwischen schroff emporragenden Felswaenden auf der einen und dem gaehnenden Abgrund auf der anderen Seite. Ich befuerchte schon, ich muesse die steilabfallende Strasse, die sich an der gegenueberliegenden Felswand entlangwindet, hinunter, nur um mich anschliessend wieder elendig emporzuquaelen – auf 1.850m – laut meiner Karte, der Pass, den es heute zu bewaeltigen gilt. Der hoechste Punkt meiner Tuerkeidurchquerung und damit wohl der gesamten Tour, denn ich glaube kaum, dass es in Syrien oder Jordanien nochmal hoeher hinaufgeht. Aber zum Glueck fuehrt meine Route nach Basyayla und Mersin gleich weiter aufwaerts und so bleiben mir solch extreme Hoehendifferenzen erspart. Es wird wieder zunehmend einsamer hier oben, die wilde und urspruengliche Berglandschaft begeistert mich immer mehr. Ein Mann mit einem Esel kommt mir entgegen und schenkt mir spontan einen Apfel. Hoeher und hoeher schraube ich mich hinauf – der Neigungswinkel ist moderat – bis ich schliesslich das Passschild mit der Hoehenangabe 1.890m erblicke. Kurz darauf bin ich da, der hoechste Punkt meiner Tour ist erreicht. Bei der Abfahrt schweift mein Blick weit ueber Hoehenzuege in allen Richtungen. Die Landschaft ist karg hier oben und hat steppenartigen – fast schon wuestenartigen Charakter, ein Vorgeschmack auf den Nahen Osten. Es folgen noch so einige Auf- und abfahrten, bis ein riesiger, momunentaler Felsbrocken meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Wind und Wetter haben ihn wohl ueber Jahrtausende so geformt und ihm seine jetzige bizarre Form verliehen. Hier zweigt die Strasse links nach Basyayla ab und fuehrt nochmals steil hinauf, durch eine kleine Felsschlucht und wieder auf 1.700m. Dann, nach einer Rechtskurve trete ich ploetzlich – wie wenn sich ein Vorhang aufgetan haette – ein in eine voellig verwandelte Welt von atemberaubender Schoenheit. Was sich vor meinen Augen auftut, wirkt wie ein riesiges, natuerliches Amphitheater. Umrahmt wird die Szenerie von abgestuften Felswaenden, die mich fast an den Grand Canyon erinnern, mit Vorspruengen und Hoehlen, sowie gigantischen Felstuermen. Im Zentrum des Kessels, quasi der Arena des Theaters oder Kolosseums, liegen weitverstreut riesige Felsbrocken. Dazwischen schlaengelt sich die Strasse hinunter in endlosen Serpentinen bis zur Stadt Basyayla, deren Daecher in der intensiven Nachmittagssonne leuchten. Ein Minarett, schlank und spitz, sticht daraus hervor. Dahinter erstrecken sich Bergketten, deren Kaemme bis zum Horizont verblassen. Ich stehe noch immer gebannt dort oben und lasse die Szenerie mit allen Sinnen auf mich wirken. Inzwischen verschiebt sich die Schattengrenze allmaehlich immer weiter nach unten und ich muss mich losreissen und mich an die Abfahrt machen, um auch weiter unten noch Sonne fuer Fotoaufnahmen zu haben. Schwer faellt es mir von hier wegzukommen, denn es ergeben sich hinter jeder Kurve immer wieder neue unverhoffte Ausblicke und Panoramen. Doch ich muss mich sputen, denn die Daemmerung kriecht schon wieder lautlos, aber unaufhaltsam ins Tal und eine weitere Nacht wird hereinbrechen und auch diesen Tag, prallvoll von unvergesslichen Erlebnissen und Eindruecken, beenden.


72.,Tag, 12.11., Basyayla bis Kazanci
Km: 68,5 Hm: 1.562

“Cai! Cai! Cai? Cai.”

Typische Strassen-kurz-kommunikation in der Tuerkei unmittelbar bevor man mit dem Gastgeber und meist einer ganzen Gruppe weiterer Anwesender gemuetlich zusammensitzt, tuerkischen Tee schluerfend. Am Cai kommt hier in der Tuerkei – keiner vorbei.
Gestern bin ich nach langer Abfahrt aus dieser grandiosen Kulisse von ganz oben durch das tiefeingeschnittene Basyayla-Tal weit, weit abgefahren, bis auf 800m. Das muss ich heute natuerlich wieder buessen. Ermenek, mein heutiges Fruehstuecksziel liegt auf 1.250m und gut zwanzig Kilometer entfernt. Freilich heisst das mal wieder nicht einfach 450m hinaufzufahren, sondern erstmal ueber einen weiteren Pass und dann wieder hinunter in die Stadt. Auf dem Weg dorthin werde ich einmal mehr mit der Schattenseite der Zivilisation konfrontiert, die auch hier in der Tuerkei allgegenwaertig ist – der Steilhang zu meiner Rechten ist eine riesige Muellhalde, an einigen Stellen sind Rauchfahnen zu sehen. Der Gestank ist entsprechend. Hier oben direkt am Strassenrand liegen halbe Tierskelette herum. Ueber Muell, Umwelt und Natur werde ich zu einem spaeteren Zeitpunkt unter VELOSOPHIE noch ein paar Gedanken einbringen. Ermenek selbst liegt zu Fuessen beeindruckender Felswaende und weit unterhalb glitzern die Wasserflaechen eines Sees. Das ueberrascht mich, denn auf meiner Karte ist er nicht eingezeichnet. Es ist ein ‘junger’ Stausee, wie ich spaeter erfahren werde. Seine Ausbreitung mit den vielen Seitenarmen und Buchten, liessen schon vermuten, dass er nicht natuerlichen Ursprungs ist. Im Bereich der Staumauer sind auch noch Arbeiten im Gange, die Konstruktion ist noch nicht abgeschlossen. Als ich hier fotografiere, werde ich prompt von einem Sicherheitsbediensteten mit Trillerpfeife zurechtgewiesen. Gibts hier was zu verbergen – etwa ein geheimes Staatsprojekt? Meine Route fuehrt mich nun in weitem Bogen um den See herum – ich bekomme ihn von allen Blickwinkeln aus zu sehen – wobei wieder allerhand Hoehenmeter faellig werden. Die naechsten fuenfzehn bis zwanzig Kilometer werden zusaetzlich erschwert durch Strassenbaumassnahmen, die hier durchgefuehrt werden. Schotterstrecken wechseln sich nun ab mit Waschbrett-/Schlaglochpisten und das hauptsaechlich aufwaerts. An einer Stelle gerate ich eine Senke und merke dabei zu spaet wie der Untergrund beschaffen ist, im naechsten Augenblick stecke ich in dem Lehmboden beinahe fest. Als ich mich muehsam befreit und den Karren aus dem Dreck gezogen habe, sind die Reifen, Schutzbleche und Bremsen mit dem Zeug verklebt. Das macht mir im weiteren Verlauf immer wieder zu schaffen, wenn etwas abbroeckelt und irgendwo zu schleifen beginnt. Ich komme nun durch ein paar kleine Doerfer, noch knapp hundert Kilometer sind es bis Anamur, meine Mittelmeerdestination. In dem ersten etwas groesseren Ort, Kazanci, will ich mich mit dem Noetigsten fuer den Abend eindecken. Die uebliche Szenerie, die alten Herren sitzen an der Strasse – merhaba, merhaba. Die Jungs laufen durch die Gegend – hello, where you from, what’s your name. Da gruesst mich einer der Alten auf deutsch und winkt mich heran – eine Runde Cai ist faellig in einer Gruppe von etwa zehn weiteren Strassensitzern. Ahmed, 72, der Gastgeber, lebt seit Jahrzehnten in Duisburg und ist fuer zehn Monate besuchsweise hier in der alten Heimat. Ein kleiner Plausch ueber dies und das, wie ueblich sammelt sich ein ganzer Pulk Schaulustiger um mich und mein Gefaehrt herum. Doch zwei Cais spaeter schwindet schon wieder das Tageslicht. Ich schwinge mich wieder auf Achse, weiter bergauf aus dem Ort hinaus und habe Muehe, einen akzeptablen Ruheplatz zu finden. Alles ist hier entweder abschuessig, felsig oder beides.


73.Tag, 13.11., Kazanci bis Anamur
Km: 86 Hm: 1.182

Schlaftrunken und geraedert von der unbequemen Nacht auf holprigem Boden rapple ich mich frueh auf – an Schlafen ist sowieso nicht mehr zu denken – um die restlichen 85 Kilometer und den letzten Pass nach Anamur an der Kueste hinter mich zu bringen. Fruehstueck ist erstmal nicht in Sicht, ich kann von Glueck reden, wenn ich in den wenigen Doerfern, die auf meiner Route liegen, ueberhaupt was zu Beissen kriege. Es geht gleich wieder knackig zur Sache, nach etwa einer Stunde harter Auffahrt erreiche ich auf 1.500m eine Hochebene. Vereinzelt tauchen ein paar meist verwahrloste Haeuser auf, kein Mensch weit und breit ist zu sehen. Gespentisch fast, die Stimmung hier. Mein Fruehstueck sehe ich in weitere Ferne ruecken. Inzwischen waere ich auch schon mit einem Stueck Ekmek (Brot) zufrieden. Kaese dazu haette ich noch. Doch dann, erscheint nach 35 Kilometern (wie eine Fata Morgana, ha ha) am Horizont ein Dorf, Abanoz, das gross genug ist fuer die ueblichen zwei Minilaeden und – oh Wunder – sogar ein ‘Lokanta’ (Restaurant), das heisst drei Tische in einer besseren Blechhuette, findet sich mit der dazugehoerigen tuerkischen Mama, die den Laden hier schmeisst. Mit Heisshunger mache ich mich ueber die von ihr dargebotenen Leckereien her, die sich nicht von der ueblichen Kost unterscheiden, doch wenn einem der Magen in den Kniekehlen haengt, schmeckt das immer wieder koestlich. Den 50TL-Schein, mit dem ich bezahlen will, kann sie dann natuerlich nicht wechseln, also laufe ich los, um das im naechsten Laden zu erledigen. Gerade als ich aufbrechen will, kommt mir noch jemand hinterher und drueckt mir zwei pralle gelbe Fruechte in die Hand. Zunaechst denke ich es seien Birnen. Doch als ich spaeter herzhaft hineinbeissen will – Fehlanzeige, das Zeug ist ungemein hart, muss man schaelen. Also wohl eher keine Birnen. In einer Kehre kurz vor der Passhoehe treffe ich auf zwei Schaefer mit ihrer Herde. Das uebliche hello, merhaba. Ich halte an und sogleich gibts Ekmek mit Schafskaese und Wasser. Zwei ganz witzige Typen, sie plappern ungebremst auf mich ein, ich bin froh, wenn ich auch mal das eine oder andere Wort einbringen kann, das auch nur halbwegs in den Kontext passt. Da stelle ich doch lieber noch geschwind mein Fotostativ auf und mache ein paar Selbstausloeseraufnahmen von uns dreien. So was kommt immer gut an, auch ohne viele Worte. Dann muessen die zwei wieder ihren Job tun und sich um ihre Schafe kuemmern. Ich wende mich wieder meinem Pass zu. Der ist so gut wie geschafft, kurz darauf ist es soweit – es liegen knapp 1.700m Downhill bis ans Mittelmeer vor und vor allem unter mir. Ein erhabenes Gefuehl. Ein Anblick ist das wie ich ihn sonst nur von Marathon-Gardaseeabfahrten kenne: ein schier endloses Strassenband laeuft in unzaehligen Windungen und Haarnadelkurven dahin, entzieht sich immer wieder meinem Blick, um woanders ploetzlich wieder aufzutauchen. Und da fahre ich jetzt runter, vierzig Kilometer (fast) nur runter. Eigentlich ewig schade, denke ich, jetzt die ueber Tage, ja Wochen muehsam erarbeiteten Hoehenmeter mit einem Mal wieder platt zu machen. Doch so ist nunmal der Routenverlauf und eigentlich auch der Lauf des Lebens – ein ewiges Auf und Ab. Ausserdem will ich ja nun endlich ans Meer. Also los! Meine Finger an den Bremshebeln entspannen sich, geben nach und die Raeder setzen sich in Bewegung. Langsam zunaechst, dann schneller und schneller. Allerdings kann ich es freilich nicht so richtig “krachen” lassen, wie bei einem Gardasee-Downhill, denn ich muss auf Schlagloecher und Unebenheiten achtgeben und darf die Bremsen und Laufraeder nicht ueberfordern. Bei einem Stopp stelle ich fest, dass die Flanken des Hinterreifens bereits schadhafte Stellen und leichte Risse aufweisen. Den muss ich wohl bei der naechsten Gelegenheit – wahrscheinlich erst in Mersin – austauschen. Nach einer der folgenden Kurven sehe ich sie endlich – die erste Palme auf dieser Tour! Jetzt weiss ich es ganz bestimmt – ich bin im Sueden angekommen, endlich.
Auch die laengste Abfahrt geht irgendwann zu Ende, nach 85 Kilometern rolle ich in Anamur, am suedlichsten Ende der Tuerkei ein. Das Hotel, das mir die Schaefer empfohlen haben, hat angeblich dichtgemacht, vielleicht auch saisonbedingt. Es findet sich aber schnell eine gute, zentrale, wenn auch ziemlich laute Alternative. Nach der Stille und Einsamkeit der letzten Tage hoch oben in den Bergen, bin ich wohl noch laermempfindlicher geworden. Ein VELOSOPHIE-Spezial zum Thema “Stille und Laerm” steht noch aus.

Die Tuerkei von Nord nach Sued, von der Schwarzmeerkueste bis ans Mittelmeer, ist durchquert. Nun bin ich gespannt wie es weitergeht, an der Kueste entlang nach Syrien. Ein mir noch voellig unbekanntes und daher besonders geheimnisvolles Land.


Teil VIII: von Anamur bis Aleppo/Syrien

76.Tag, 16.11., Anamur – Karatepe
Km: 75 Hm: 1.006

Meine Hoffnungen, es wuerde jetzt am Mittelmeer nach all den knackigen Bergpassagen der letzten Wochen mal gemaessigt flach dahin gehen, erfuellen sich leider nur am Anfang. Hier springe ich erstmals auch ins nicht zu kuehle Nass, seit “damals” am Campingplatz in Serbien ist es das erste Mal. Ich hatte schon richtige Entzugserscheinungen nach Wasser. Bald danach beginnt die Steilkueste, das bedeutet die Berg- undTalfahrten gehen wieder los, mal direkt am Meer, mal weiter im Landesinnneren. Immer wieder geht es 200 bis 300 Meter hinauf und wieder hinunter. An der Kueste ergeben sich dabei dramatische Ausblicke ueber die Klippen. Gegen Mittag gibt mir eine Familie, an deren Haus ich gerade vorbeiradle, wild gestikulierend und rufend zu verstehen, ich solle doch anhalten und mich zu ihnen gesellen. Erst bin ich entschlossen weiterzufahren, weil ich Zeit aufholen will, kehre dann aber doch um und werde herzlichst von der Familie empfangen. Besonders der Grossvater umarmt mich fast, so etwa wie einen verlorenen Sohn. Seit heute ist “Bairam” in der Tuerkei und in anderen muslimischen Laendern. Es handelt sich hier um einen relgioeses Fest, das sich wohl ueber die ganze Woche hinzieht, wie ich spaeter erfahre, so etwas wie ein Aequivalent zu unserem Weihnachten. So bekommen die Kinder auch Geschenke. Vor allem aber geht es darum, dass Tiere geschlachtet werden, fuer den Eigenbedarf. Also fuer mich als mehr und mehr ueberzeugten Vegetarier genau das Richtige! Vorher habe ich im Vorbeifahren schon mitansehen muessen, wie einer Kuh und einem Schaf die Felle ueber die Ohren gezogen wurden. Aufgehaengt werden die hingemetzelten Tiere dazu an einer Leiter. Bei meiner Gastfamilie ist man gerade dabei, Fleischbrocken zu zerkleinern und auf dem Feuer zuzubereiten. Aufgrund meiner strikten Ablehnung, die mit Unverstaendnis aber Akzeptanz quittiert wird, bekomme ich stattdessen wunderbar zubereiteten gegrillten Fisch (den ich noch gelegentlich esse) mit Salat angeboten. Einer der Soehne spricht etwas Englisch. Ich zeige ihnen meine Route und mache einige Fotos. Zum Schluss ein Gruppenfoto der gesamten Familie einschliesslich meiner Wenigkeit. Ich verspreche, sie per Email zu schicken. Diese Gelegenheit, hier ein bis zwei Stunden am typischen Familienleben teilhaben zu duerfen, geniesse ich sehr und bin tief geruehrt von der ueberschwenglichen Gastfreundschaft.
Spaeter passiere ich die Stadt Aydincik und arbeite mich weiter in wechselndem Auf und Ab an der Kueste entlang vorwaerts. Ab und zu ist der Strassenbelag unterbrochen und geht in Schotter,- Staub,- und Buckelpiste ueber. Kurz vor der Daemmerung gelingt es mir, einen lauschigen Platz am Ende eines Strandes in einer Felsnische zu finden. Etwas muehsam ist es, alles hierher zu schaffen, aber Einsamkeit, Mondschein und Meeresrauschen sind es wert.


77.Tag, 17.11., Karatepe – zw. Silifke und Erdemli
Km: 92 Hm 1.039

Traumhaft schoener Platz am Strand. Auch am Morgen bleibe ich voellig unbehelligt von ungebetenen Besuchern. Nachts war das einzige Geraeusch das Meeresrauschen. Der Tag beginnt mit einem Sprung in die angenehm temperierten Fluten. Schon nach drei Kilometern ergibt sich die Moeglichkeit zu einem Fruehstueck in einer Art Autobahnrastplatz mit self – service. Sonst ist das ja nicht mein Fall, aber es koennte laenger dauern bis sich heute was anderes ergibt, also schlage ich zu. Ich decke mich reichlich ein, aber der Preis ist dann doch etwas unverschaemt und die Konsistenz des “Brotes” spottet jeder Beschreibung. Obendrein ist dieTeigpampe auch noch in Plastik eingepackt.
Heute ist nochmal ein Tag reich an Vertikalmetern, aber belohnt werden die zackigen Anstiege mit immer wieder neuen sagenhaften Ausblicken auf das Meer…

VELOSOPHIE:
Am Anfang war das Meer – und Millionen von Jahre lang hat sich kaum etwas veraendert. Bis dann irgendwann der Mensch auf der Bildflaeche erschien und anfing, Strassen, Haeuser und Hotels zu bauen. Ausserdem ging er daran, den scheinbar unerschoepflichen Reichtum des Meeres mit immer ausgefeilterer Technik systematisch auszubeuten und zu pluendern. Innerhalb von ein paar hundert Jahren – doch wirklich massgeblich erst in den letzten Jahrzehnten – hat er es so fertiggebracht, massiv in ein Oekosystem einzugreifen, das hunderte von Jahrmillionen gebraucht hat, um sich zu entwickeln. Wenn ich heute an der Kueste entlang radle, entdecke ich hier eine stille, idyllische Bucht, dort ein kleines vorgelagertes Felseiland und versuche mir vorzustellen, wie damals alles war…


Bitte keine fremden Texte einstellen. Siehe auch hier

Mittags komme ich an einem kleinen Restaurant vorbei und will eigentlich nur Wasser auffuellen. Aber so einfach geht das natuerlich nicht, erstmal hinsetzen und einen Cai mitschluerfen. Es sind dann sogar Leute da, die etwas besser Englisch koennen und es ergibt sich eine interessante Unterhaltung ueber Bairam und die Tuerkei im allgemeinen. Doch irgendwann schlaegt wieder meine Stunde, ich muss weiter, mich mit dem Gegenwind und den heute noch anstehenden Hoehenmetern herumschlagen. Dieser Tage ist eine Menge auf den Strassen los, das liegt wohl an den Feiertagen, vor allem viele Motorradfahrer sind unterwegs. Fast immer zu zweit, oft auch zu dritt. Bedauerlich, dass mein Bikecomputer nicht auch die “Hello”-Rufe mitzaehlen kann, die so tagsueber von allen Seiten auf mich niederprasseln, sonst wuerde ich Preise verteilen. Etwa so: der 5.000ste Hello-Rufer bekommt einen Schluck aus meiner Trinkflasche, der 10.000ste darf einen Kilometer mit meinem Rad probefahren – bei 10% Steigung und Gegenwind – und der 20.000ste darf (sofern es sich um einen weiblichen Kandidaten handelt, was eher unwahrscheinlich ist) eine Nacht mit mir im Zelt verbringen, an einem Strand ihrer Wahl.
Nach Umfahrung einiger traumhaft gelegener Buchten geniesse ich ein Nachmittagsmahl inclusive Efes in wunderschoener Lage an einem Tisch direkt am Wasser bei tiefer sinkender Sonne. Anschliessend druecke ich dem Wirt (kurdischer Abstammung) meine letzten “on bes” (15) TL in die Hand und trete wieder in die Pedale, um das letzte Sonnenlicht auszunuetzen und in Silifke, der naechsten Stadt, mein Saecklein ein letztes Mal mit tuerkischen Lira zu fuellen. Ich habe beschlossen, heute noch eine kleine Abendschicht einzulegen, der Mond hat die Sonne mit fliessendem Uebergang abgeloest und weist mir meinen Weg, sodass ich nicht einmal meine Stirnlampe brauche. Zu gegebener Zeit findet sich ein lauschiges Plaetzchen auf einer kleinen Anhoehe in einem Waeldchen mit Meeresblick.


78.Tag, 18.11., zw. Silifke und Erdemli – Mersin
Km: 89 Hm: 363

Das Meer verlockt immer wieder zum erquickenden Bade, aber ich halte mich noch zurueck, erst will ich Erdemli erreichen, dort freuhstuecken und mich dann noch mediterranen Freuden hingeben. Nur noch bis Mersin verlaeuft die Strasse am Meer entlang, dann kommt meine Route bis Hatay / Antakya nur noch ein paar mal kurz in Kuestennaehe. Gleich nach Erdemli will ich nun doch endlich den schadhaften Hinterreifen mit dem vorderen auszutauschen. Dazu zweige ich von der Hauptstrasse ab und steuere auf einen Wohnblock zu, in den Schatten, um dort die Arbeit zu erledigen. Kaum bin ich in Sichtweite, da toent es auch schon von allen Seiten um mich herum: “Hello, hello, were you from, what’s your name?” Im Nu bin ich umringt von gut einem Dutzend Kinder ab etwa vier Jahre aufwaerts, die um mich herumwuseln und drauflos plappern. Jeder will was wissen, ist neugierig, will sich in Szene setzen. Fast koennte man hier eine kleine Filmszene drehen oder ein Theaterstueck daraus machen. Sie belagern mich regelrecht, sodass ich mich beim Arbeiten kaum noch ruehren kann. Unter anderen Umstaenden wird mir sowas schnell zu viel und ich muss ein Machtwort sprechen und mir Platz verschaffen. Aber das hier ist so ein lieber, aufgeweckter Haufen, wir haben richtig Spass zusammen und machen auch so einige Fotos. Zum Schluss noch eine Gruppenaufnahme mit Stativ. Als ich dann den Reifenwechsel abgeschlossen habe, klatschen sie sogar alle wie wild Applaus. Die beiden aelteren, Erwachsenen, die auch dabei sind, laden mich dann noch auf einen Kaffee zu sich ein. Sie sprechen etwas Englisch und wir haben noch einen aufschlussreichen Gedankenaustausch ueber Politik – die Tuerkei und ihre Nachbarlaender. Es stellt sich heraus, dass sie nicht so gut auf Israel zu sprechen sind, was verstaendlich ist, angesichts der juengsten Ereignisse um die Hilfslieferungen fuer den Gazastreifen. Wir tauschen sogar noch Emailadressen aus. Beim Abschied rufen und winken wieder alle und ich bin richtig geruehrt ueber diese lebendige, herzliche Begegnung. So wie hier haette ich wahrscheinlich an fast jedem anderen Punkt anhalten koennen und haette Aehnliches erlebt. Irgendwie stimmt es mich traurig, dass die Kinder hier in all dem Dreck und Muell aufwachsen muessen und in dieser Gesellschaft offenbar keinerlei Umweltbewusstsein vorgelebt bekommen. Spaeter entdecke ich, dass sie in die Orange, die sie mir geschenkt haben, ein Herz geritzt haben.
Nun bin ich aber reif dafuer, mich endlich wohlverdient in die Fluten zu hechten. Die Stadtdurchfahrt in Mersin gestaltet sich dann aeusserst nervenaufreibend, weil hier pausenlos die lokalen Busse rechts ranfahren und Leute aus – und einsteigen, und das buchstaeblich alle hundert Meter. Sobald hier einer den Daumen raushaelt, wird gnadenlos angehalten, offizielle Haltestellen gibts hier offenbar so gut wie gar nicht. Das schneidet mir natuerlich dauernd den Weg ab, drueckt mich an den Bordstein oder zwingt mich zu ueberholen. Dazu kommen die Schlagloecher und tueckischen Gullideckelschlitze. Als Radler ist man hier einfach voellig fehl am Platz. Tatsaechlich begegnen mir waehrend dieser gut ueber vierzig Kilometer langen Stadtdurchquerung zwei weitere Zeitgenossen, die so waghalsig und sportlich sind, ebenfalls dieser muskelbetriebenen Fortbewegungsart zu froenen. Nachdem ich diesem urbanen Molloch endlich entronnen bin und den Stadtrand erreicht habe, sehe ich ploetzlich an dem wie immer muellgesaeumten Strassenrand, Scharen von vierbeinigen Schatten ins Dunkel huschen – Ratten. Kaum wage ich mir auszumalen, wieviele von ihnen es hier geben mag. Nach ein paar Fehlschlaegen bei der Lagerplatzwahl, entdecke ich einen idealen Ort inmitten einer Orangenplantage im hohen weichen Grass, umgeben von Baeumen mit saftigen reifen Fruechten. Mein Vitamin C-Bedarf beim Abendmahl im Mondschein ist gedeckt.


79.Tag, 19.11., nach Mersin – zw. Adana und Ceyhan
Km: 88 Hm: 130

Gar koestlich schmecken sie diese Portakal (Orangen) frisch vom Baum gepflueckt. Ein ausgiebiges Kovaltu (Fruehstueck) mit Ekmek (Brot) mit Kaugummikonsistenz, drinnen, weil es draussen in der Sonne um 9:00 schon zu warm ist, folgt in der Stadt Tarsus. Nach weiteren dreissig Kilometern schnurgerader Fahrt passiere ich dann die Stadtgrenze von Adana, eine ca. Zweimillionen-Stadt, die mit Abstand groesste seit Istanbul. Hier lasse ich meine dritte Foto-DVD brennen und decke mich endlich wieder mit Kamerabatterien ein. Leider komme ich mit den aufladbaren Akkus nicht aus, da ich ja nun hauptsaechlich im Zelt naechtige und es dieser Tage so viele fotogene Motive gibt. Nach mehrmaligem Durchfragen und Suchen finde ich in diesem Ameisenhaufen sogar einen Bikeshop, der trotz Bairam geoeffnet hat. Es handelt sich hier allerdings mehr um eine leicht antiquierte Werkstatt, vollgestopft mit allem moeglichen Werkzeug und Fahrradutensilien, nur ein 28-er Reifen, wie ich ihn brauche, ist nicht dabei. Kein Problem, mit einem Telefonat ist das schnell geregelt und der Reifen wird wenige Minuten spaeter angeliefert. Made in Turkey, fast ohne Profil fuer ganze 13 TL (6,50 Euro). Sogar mit VISA-Card kann ich zahlen (der Nachbarladen ist entsprechend ausgestattet). Nun, damit werde ich also die restlichen Kilometer nach Israel, wieviele es auch noch sein moegen, zuruecklegen. Nach einem wunderbaren Essen mit Efes (ich muss das einfach speziell erwaehnen, weil es eine Seltenheit ist, dass man Bier in der Turkei im Restaurant serviert bekommt) auf einer Freiluftterasse mit sehr zuvorkommender Bewirtung, geniesse ich, nachdem alles Wichtige erledigt ist, die Besichtigung der beruehmten Sabanci – Moschee von Adana in vollen Zuegen. Es ist die groesste Moschee der Tuerkei und im Stil der Sultan – Ahmed Moschee (“Blaue Moschee”, Wahrzeichen von Istanbul) nachempfunden. Sie verfuegt ueber sechs Minarette, die vier um die Kuppel herum platzierten erreichen eine Hoehe von 99 Metern, die anderen zwei, 75 Meter. Die Hauptkuppel misst 32 Meter im Durchmesser und ist 54 Meter hoch. Die Innenarchitektur erinnert an die Selimiye – Moschee in Edirne. Der Bau wurde zu 50% aus Spenden aus der Bevoelkerung und zu 50% von der Industriellenfamilie Sabanci (reichste Familie der Tuerkei) finanziert. Ueberwaeltigend ist dieses architektonische Meisterwerk sowohl von aussen, als auch von innen. Ich stehe mit offenen Augen da und kann nur staunen. Perfekt versetzt das Licht der untergehenden Nachmittagssonne die Szenerie in eine geradezu magische Stimmung. Halb in Trance muss ich mich trotzdem zeitig losreissen, um noch etwas Tageslicht zu haben.
Bei der Ausfahrt aus Adana werde ich noch Zeuge eines Motorradunfalles, der – Allah sei Dank – glimpflich auszugehen scheint. Bei der Fahrweise der Masse an motorisierten Zweiraedfahrern hier – “natuerlich” alle ohne Helm und Schutzkleidung unterwegs – muss man sich wirklich wundern, dass nicht mehr passiert. Der Vorfall bestaerkt mich in meinem Bestreben umso vorsichtiger zu sein. Wie schnell koennte so etwas meiner Reise ein abruptes Ende setzen…
Wie so oft muss ich lange suchen und mich schliesslich mit einem Platz mitten auf einem Acker nur hundert Meter neben der Hauptstrasse arrangieren.


80.Tag, 20.11., zw. Adana und Ceyhan – 10km vor Iskenderun
Km: 110 Hm: 520

Dank meiner in Anamur erworbenen Ohrstoepsel – auf die Idee haette ich schon viel eher kommen koennen – verlief meine Nacht relativ ruhig, wenn auch etwas hart. Frueh schon mache ich mich vom Acker, um das Tageslicht moeglichst voll auszunutzen. Nach knapp dreissig Kilometern flotter Fahrt auf ebener Strecke bin ich in Ceyhan. Selbst hartnaeckige Anstrengungen meinerseits, hier ein Kovaltu (Fruehstueck) in einem Lokanta(si) (Lokal) aufzutreiben, bleiben aber leider erfolglos. Bairam dauert noch einschliesslich des Wochenendes an, folglich sind hier alle Speiselokalitaeten geschlossen. Wie ich spaeter noch erfahre, wird waehrend der Bairamwoche wohl ausschliesslich Fleisch aus Eigenschlachtung verzehrt. Dazu werden Schafe, Ziegen und Kuehe eingekauft und dann auf Pickups, oder sogar in Kombis und Kofferraeumen auf ihren letzten Weg, zu den Schlachtbaenken bei den Familien, geschickt.
Statt einem Fruehstueck bezahlt mir ein sehr bemuehter Einheimischer sogar einen reichhaltigen Einkauf im Laden und ich mache es mir kurz darauf im Gruenen gemuetlich.
Meine Route verlaeuft nun Richtung Yamurtalik wieder zum Meer hin und zweigt nach ein paar Kilometern nach Osten ab, um nach Passieren einiger Anstiege und einer Raffinerie an der Kueste wieder auf die Hauptroute nach Sueden, Richtung Iskenderun und letztlich Antakya zu fuehren. Bei Km 4.665 montiere ich nun endlich meinen neuerworbenen Reifen am Vorderrad. Die immer deutlicher gewordenen Laufgeraeusche sind mit einem Mal passé, der neue Reifen gleitet sauber schnurgerade dahin, bereit, mich die restlichen, vielleicht 1.500 Kilometer ans Ziel zu tragen. Die naechste Stadt heisst Doertyol, zunehmend ist hier alles mit Industrie – und Hafenanlagen zugebaut. Der Verkehr nimmt drastisch zu. Es fahren hier vor allem Lastwagen und Baustellenfahrzeuge, die eine Menge Staub aufwirbeln. Meine romantischen Hoffnungen auf einen lauschigen Ruheplatz am Strand, erstmalig mit klassisch im Meer versinkender Sonne – es liegt ja jetzt direkt im Westen – zerschlagen sich damit jaeh. Etwas melancholisch sehe ich den glutroten Ball zwischen den Fabrikgebaeuden immer tiefer Richtung Horizont sinken, muss mich dann schleunigst nach einer Alternative umschauen. Fuendig werde ich schliesslich in einem lichten Waeldchen, am Rande eines Ortes, etwa zehn Kilometer vor Iskenderun. Uebrigens habe ich heute den Golf von Iskenderun umrumdet, den oestlichsten Auslaeufer des Mittelmeeres.


81.Tag, 21.11., vor Iskenderun – Antakya
Km: 75,75 Hm: 847

Der fruehe Vogel faengt bekanntlich den Wurm. In meinem Fall heisst “Wurm” Fruehstueck in der zarten Morgensonne mit direktem Meerblick und sehr netter Bewirtung, hauptsaechlich von zwei interessierten Jungs mit Emailaustausch. Gleich anschliesslich ergibt sich noch eine wunderbare Gelegenheit fuer ein Morgenbad, vielleicht die letzte vor Israel. Dank Stativ mit Selbstausloeser bin ich dabei sogar zu sehen. Bei der Fahrt nach Antakya, meinem heutigenTagesziel, kommen nochmals so einige Hoehenmeter auf mich zu. Nachdem der hoechste Punkt dann bei etwa 700 Meter ueber dem Meer ueberwunden ist, gehts auf bester Fahrbahn wieder flott 600 Meter hinunter. Die Sicht ist heute sehr diesig und die Landschaft ziemlich eintoenig, ideal also um rasant vorwaerts zu kommen und mich schon nachmittags in Antakya einzuquartieren. In der Ebene, etwa 25 Kilometer vor der Stadt, werde ich nochmal von einer Familie am Strassenrand eingeladen, zu einer Art Flammkuchen, frisch gebacken. In Antakya dann, der letzten grossen Stadt vor der syrischen Grenze, findet sich bald eine passende Bleibe. Morgen will ich hier sehr zeitig aufbrechen, um fuer den Grenzuebertritt und die Etappe bis Halep / Aleppo, etwa 120 Kilometer, reichlich Zeit zu haben. Mehr als berechtigt, wie sich herausstellen soll…


82.Tag, 22.11., Antakya – Halep /Aleppo, Syrien
Km: 130 Hm: 921

Den ziemlich ambitionierten Plan, um 5:00 aufzubrechen, halte ich zwar nicht ein, immerhin sitze ich um 6:30 im Sattel. Die Richtungsfindung gestaltet sich unerwartet schwierig, die Halep-Beschilderung, die ich noch gestern ueberall sah, fehlt jetzt voellig. Die von mir befragten Passanten verstricken sich in widerspruechlichen Angaben. Doch bald ist auch diese Irrfahrt beendet und meine letzte Etappe im Land des Sichelmondes liegt vor mir. Am Strassenrand sitzen eine Frau und ihre Tochter, sie haben eine Kanne auf der Glut stehen – meine letzte Einladung zum Cai in der Tuerkei.

VELOSOPHIE:
Weit hinten am Horizont wird im noch blassen Sonnenlicht des jungenTages ein kleiner Punkt sichtbar. Er wird ganz allmaehlich groesser und groesser, bewegt sich mit zunehmender Geschwindigkeit auf das Auge des Betrachters zu. Schon kann man erste Konturen erkennen, der Punkt nimmt Gestalt an. Ein Rad wird sichtbar, dann ein zweites. Jetzt lassen sich zwei Beine ausmachen, die sich in gleichmaessigem Tritt auf – und abbewegen. Bis schliesslich der Herannahende seine tatsaechliche Groesse erreicht hat und in vollem Schwung am Betrachter vorbeirauscht. Und diesem wird mit einem Male klar – das muss er sein, ja das ist er! Der Fernradler von der Isar auf den letzten Kilometern auf seinem Weg nach Syrien. Und noch waehrend ihm dies bewusst wird, gewinnen die beiden Raeder wieder mehr und mehr an Distanz, ruecken die beiden sich auf – und abbewegenden Beine in immer weitere Ferne, werden kleiner und immer kleiner und letztlich wieder zum Punkt, den der weite Horizont verschluckt.

Zuegig fliessen die Kilometer in der Ebene und mit guenstigen Windverhaeltnissen dahin, die paar Hoehenmeter fallen nicht mehr ins Gewicht, und ich erreiche bereits um 9:30, nach fast
50 Kilometern Reynahli, den letzten Ort vor der Grenze, Zeit fuers Fruehstueck und Gelegenheit letzte Tuerkische Lira in Nahrung umzusetzen. Erfreulicherweise erwische ich auch noch einen Freund telefonisch, die letzten Einheiten auf meiner Telefonkarte sind bestens investiert.
Ein paar Kilometer weiter, hinter einem Huegel und einer Kurve liegt sie ploetzlich da – die syrische Grenze. Nichts regt sich dort. Es ist voellig windstill. Die Ruhe vor dem Sturm…? Ploetzlich habe ich eine bestimmte Melodie von Sergio Leone im Ohr…
Ich setze mich auf einen erhoehten Felsen mit Blick in diese Richtung und lasse die letzten fuenfeinhalb Wochen Tuerkeidurchquerung vor meinem geistigen Auge nocheinmal vorbei ziehen. Als ich ein Foto mit Stativ von dieser magischen Szenerie mache, schreit mich ein Militaerposten vom gegenueber liegenden Huegel aus an und gibt mir gestikulierend zu verstehen, ich solle verschwinden. Der wird froh sein, auch mal was zu tun zu kriegen in seiner Oelgoetzenstarre dort oben. Da ich aber keinerlei Grenzanlagen fotografisch im Visier habe und mir auch keiner Spionageambitionen bewusst bin, lasse ich mich von dem Idioten in Uniform nicht aus der Ruhe bringen. Ein leichtes Lueftchen kommt nun auf und sogleich flattert eine Plastiktuete im Wind davon… ein letzter Gruss der Tuerkei.

Um 12 Uhr mittags passiere ich den ersten tuerkischen Grenzposten, dem noch so einige andere folgen sollen. Ein erstes mulmiges Gefuehl beschleicht mich nun, ob das mit meinen beiden Paessen (den zweiten temporaeren Pass habe ich fuer die anschliessende Israeleinreise eigens beantragt) alles reibungslos laufen wird. Diese Bedenken sind leider nur zu berechtigt, wie sich herausstellt. Und das aufgund eines strategischen Fehlers meinerseits, der mir bei der Einreise in die Tuerkei am 15.Oktober unterlaufen ist. Damals habe ich naemlich meinen ersten Pass vorgelegt, muss mir folglich auch in diesen Pass den Ausreisestempel geben lassen. Der zweite Pass, auf den das Syrienvisum ausgestellt ist, weist damit natuerlich keinerlei Tuerkeistempel auf, was die Syrer veranlasst, mich nicht einreisen zu lassen – denn ohne Ausreise auch keine Einreise! Den gestempelten Pass akzeptieren sie nicht, weil der eben nicht das Visum in sich traegt, obwohl es sich hier doch eindeutig um eine und diesselbe Person handelt. Und dafuer habe ich nun bereits im September 45 Euro fuer ein Sechsmonats-Visum gezahlt! Die Syrer schicken mich also nach viel Warterei und typisch schlaefrigem arabischem Arbeitstempo postwendend zurueck zu den Tuerken, um mir den Exitstempel auch in den temporaeren Pass geben zu lassen. Und genau da stellen die sich wiederum quer, der diensthabende Grenzpolizist will mir diesen verfluchten Stempel ums Ver-r-r-r-recken nicht geben! Was folgt ist ein buerokratisches Hick Hack mit Haenden und Fuessen, doch dieser vernagelte, hohlkoepfige ……….Buerokrat beharrt stur auf Dienst nach Vorschrift und seiner Machtposition. Nur EIN Ausreisestempel pro Mann und Nase. Keinen Respekt fuer den weitgereisten Fernradler!
Schliesslich verlasse ich gestlikulierend und wild fluchend die Poizeistelle – sehe mich schon mit der Deutschen Botschaft korrespondieren und an der Grenze campieren. Einen letzten Versuch unternehme ich noch, den geheiligten Stempel zu ergattern und zwar bei einem Grenzposten, bei dem ich vorher schon war, aber ohne grosse Hoffnungen. Dieser kuckt gewohnt verstaendnislos drein beim Durchblaettern des leeren Passes und greift wie vorher zum Telefonhoerer, wahrscheinlich um eben denselben Polizeideppen wieder anzurufen. Doch kurz darauf – ich traue meinen Augen kaum – macht er schliesslich in Sekundenbruchteilen die charakteristische, typische Beamten-Handbewegung und zack! – habe ich meinen verdammten Ausreisestempel nun auch im richtigen Pass! Nun, nichts wie raus aus dem Land. Zurueck zur syrischen Seite und nach so einigen weiteren typisch arabisch zaehen und zeitenlupenhaft nervtoetenden Bewegungen und Befragungen habe ich auch meine (teuer bezahlte) Eintrittskarte fuer die Arabische Republik Syrien im Saecklein.
Es folgen dann noch drei weitere Kontrollen. Bei der letzten kann ich mich nicht mehr beherrschen, zu sagen:

“Now gentlemen, would you please kindly go out of my way and stop stealing my precious time!”

Hinter dieser letzten Absperrung wartet mein neues Reiseland, mein neuntes inzwischen. So habe ich bei Km-Stand 4.860, nach 2.080 Kilometern Tuerkeidurchquerung, das Land verlassen und bin nach Syrien eingereist. Welcome to Syria! Dieses Willkommen war hart erarbeitet. Fast drei Stunden hat mich die gesamte Aktion gekostet. Mein ganzes schoenes Timing ist damit zum Teufel.
Doch endlich komme ich wieder in Bewegung und finde eine erfreulich gute Fahrbahn vor. Der syrische Wind blaest mir kraeftig in den Ruecken, wo ich ihn am liebsten spuere. So packt mich wieder der Ehrgeiz, wenigstens den Grossteil der fehlenden gut 50 Kilometer noch bei Tageslicht zu schaffen. Die Ortschaften die ich passiere, machen einen arg herunter gekommenen Eindruck, an zahlreichen Autowerkstaetten der primitivsten Art ziehe ich vorbei, grau und schwarzgefaerbt von Oel und Russ und Dreck. Die Vermuellung der Landschaft setzt sich in Syrien – wie kaum anders zu erwarten war – fort, nimmt wohl noch drasterische Ausmasse an als in der Tuerkei. Zum Beispiel sehe ich hier einen Acker, der auch schon mit Plastiktueten uebersaeht ist, die von der ueblichen Muellhalde am Strassenrand heruebergeweht werden und sich ueber die Landschaft ausbreiten. Auch das vertraute “Hello,hello!” hat mich bald wieder eingeholt. Als ich die Stadtgrenze erreiche, ist es dunkel, eine riesige gelbliche Kugel erhebt sich ueber dem Horizont – der Vollmond geht auf ueber Syrien. Als naechstes begegnet mir ein monumentales Plakat von Bashar–Al–Assad, dem Staatspraesidenten Syriens, angestrahlt von zwei gigantischen Scheinwerfern. Er grinst scheinbar mitfuehlend von da oben runter auf sein Volk und hebt leicht gelangweilt die Hand zum Gruss. Sein Konterfei soll mir nun in diesem Land auf Schritt und Tritt begegnen.
Minuten spaeter stecke ich im Stau, es geht zaehfliessend weiter in Richtung City Center. Bald stroemt der Verkehr von allen Seiten auf mich zu, immer drei, vier Fahrzeuge nebeneinander, hauptsaechlich Taxis sind hier unterwegs. Fahrspuren gibts nirgends, wo auch immer sich eine Luecke findet, wird sie gnadenlos ausgenuetzt. Es gibt im Arabischen wohl auch kein Wort fuer Vorfahrtsregelung, wer am lautesten hupt, hat recht. Hotels sehe ich zunaechst gar nicht, Auskunft und Verstaendigung sind mal wieder schwierig. Ein waghalsiger junger “Rennradler” bietet sich mir als Guide an, gemeinsam schlaengeln wir uns nun kreuz und quer durch die Blechlawine. Von der Lage der Hotelzone hat er aber offenbar auch keine Ahnung. Irgendwann ist er dann ploetzlich im Getuemmel verschwunden und ich bin mittendrin, eine Low–Budget–Absteige neben der anderen. In die naechstbeste checke ich ein, leicht entnervt, muede und hungrig von dreizehn Stunden on-the-road und 130 Kilometern. Als ich spaeter frisch geduscht und entspannt im Lokal nebenan sitze und mein Abendessen geniesse, traue ich meinen Ohren und dann Augen nicht, als ich eine weibliche Stimme meinen Namen rufen hoere. Ich drehe mich um und da sitzen sie am Nachbartisch – meine fernradelnden Leidensgenossen Katharina und Martin, das nette Paerchen aus Zuerich! In Istanbul traf ich die beiden am 18.Oktober und jetzt, nachdem wir auf unterschiedlichen Routen die Tuerkei durchquert haben, fast 2.000 Kilometer weiter, sehen wir uns nach fuenf Wochen wieder! Sowas kann doch eigentlich kaum Zufall sein. Wie ich schon einmal bemerkte – die “richtigen” Leute treffen sich immer wieder, auf Reisen, im Leben.
Noch lange sitzen wir angeregt zusammen und tauschen lebhaft unsere Abenteuer und Erfahrungen aus. Die beiden werden morgen von hier aufbrechen, ich habe sie also gerade noch erwischt, und wollen in etwa einer Woche nach Damaskus gelangen, um dort fuer drei Monate Wurzeln zu schlagen. Beim Abschied verabreden wir, uns dort wieder zu treffen.
Nun liegt, Allah sei Dank, auch diese Etappe hinter mir. Zeit fuer Teil VIII: Anamur bis Aleppo.

Syrien – das Tor zum Nahen Osten. Gespannt bin ich auf dieses geheimnisvolle, uralte Land, voll von Spuren der Vergangenheit. Gespannt auf neue Landschaften, gespannt auf die Menschen, die hier leben.


TUERKEI RESUMEE

Nach anfaenglichen Schwierigkeiten, mit dem Land warmzuwerden - Einreise bei Dauerregen und in den ersten Wochen wechselhaftes Wetter, hoher Bierpreis und ueberhaupt hohe Lebensmittelkosten, Kommunikationsprobleme, Istanbul sehr touristisch und businessorientiert - hat sich die Tuerkei in den folgenden Wochen immer mehr zum Traumradlland fuer mich entwickelt. Ab Ende Oktober hatte ich praktisch permanent blauen Himmel und Sonne, der November praesentierte sich mit Radlbedingungen par excellence. Das Landesinnere ist praktisch unberuehrt vom Tourismus geblieben (sicherlich abgesehen von Gegenden wie Pamukkale oder Kappadochien, wohin ich es diesmal aber nicht geschafft habe). Wie in keinem Reiseland zuvor durfte ich hier er-fahren was tiefempfundene, warmherzige, bedingungslose Gastfreundschaft bedeutet.
Wuerden die Tuerken doch nur halb so viel Aufmerksamkeit und Fuersorge ihrer Umwelt widmen! Leider scheinen sie keinerlei Bezug zu ihrem unmittelbaren natuerlichen Lebensumfeld, zu Resourcen und Nachhaltigkeit zu haben, sonst wuerden sie nicht so gedankenlos damit umgehen und jegliche Art Muell am Strassenrand und in der Landschaft "entsorgen". Mich wundert das umso mehr, als die Tuerken doch so ein heimatverbundenes Volk sind, viel mehr als wir Mitteleuropaer - wie koennen sie sich in all dem Dreck nur wohl fuehlen? Diese nach-mir-die-Sintflut- oder auf gut deutsch auch Scheiss-drauf Mentalitaet ist erschuetternd und bringt mich immer wieder in Rage - "wo schon ein Haufen liegt, passt ja meiner auch noch dazu!" Es ist in diesem Lande (wie leider auch in den meisten von mir vorher bereisten Laendern) quasi unmoeglich, nicht bei jedem noch so kleinem Einkauf eine oder mehrere neue Plastiktueten aufgezwungen zu bekommen, wenn man sich nicht - wie ich - buchstaeblich mit Haenden und Fuessen dagegen wehrt und einen Rucksack oder eine aufgehobene Tuete dabei hat. Dafuer ernte ich dann meist verstaendnislose Blicke und Kopfschuetteln. Ausser mir scheint sich darueber keiner Gedanken zu machen, bzw. ein Problembewusstsein zu haben. Dabei ist es immerhin IHR Land und nicht meines. Letztlich ist es UNSERE Erde. Als umweltbewusster Fernradler kann ich vor solch eklatanten Umweltsuenden einfach nicht die Augen verschliessen, sondern muss auch so offensichtliche Schattenseiten eines Landes zur Sprache bringen.
Ein ganz anderes Thema freilich ist die Rolle der Frau in der tuerkischen Gesellschaft und der Einfluss des Islam. Naeher darauf einzugehen wuerde aber hier den Rahmen endgueltig sprengen. Ausserdem habe ich in diesem Bereich laengst nicht genuegend Einblick, um mir ein Urteil bilden zu koennen. In dieser Hinsicht ist mir dieses schon sehr orientalische Land doch noch sehr fremd geblieben.
Dennoch will ich in diesem Tuerkei-Resumee keineswegs den negativen Eindruck ueberwiegen lassen. Dieses Land hat meine Radreise bereichert wie kein anderes zuvor, seine Landschaften zaehlen zum Eindrucksvollsten, was ich bisher mit dem Rad erlebt habe. Seine Menschen, vor allem die urspruenglich gebliebene Bevoelkerung auf dem Land, aber auch in den Staedten, haben mich tief bewegt und reich beschenkt durch ihre Menschlichkeit.
Die Tuerkei ist eine einzige grosse Familie - und als Fernradler gehoert man dazu.
Ich werde wiederkommen, in nicht zu ferner Zukunft. Dann aber mit mindestens Grundkenntnissen in der tuerkischen Grammatik.

Tessekuer ederim, Tuerkiye, goeruesmek uezere!
Danke, Tuerkei, wir sehen uns!


Teil IX: Aleppo bis Damaskus

Tage 83 bis 88, 23.-28.11, Aleppo

“Ich hupe, also bin ich.”

So lautet die Existenz-Maxime eines jeden Taxifahrers, der etwas auf sich haelt in dieser Stadt. Der Verkehr auf den Strassen hier wird etwa zu 80% von dieser Spezies in ihren markanten gelben Karossen bestritten. Die dreistesten dieser Gluecksritter gehen kaum mehr von der Hupe und vom Gas runter, in der kuehnen Hoffnung sich auf diese Art den besten Platz unter ihresgleichen und damit das groesste Stueck vom Kuchen im taeglichen Wettstreit um die Kundschaft zu sichern. Der unbedarfte Fussgaenger, der sich in diesem urbanen Hexenkessel mit ins Spiel bringen und behaupten will, bedarf einer gehoerigen Portion Draufgaengertum und Wagemut, um hier Strassen zu ueberqueren oder Einbahnstrassen (es gibt hier nichts anderes) gegen den Strom zu begehen. Die beste Methode besteht darin, sich beherzt ins Geschehen einzubringen, indem man unbeeindruckt von der vielspurig heranbrausenden gelben Blechlawine auf die Fahrbahn springt und sich mal spontan sprintend, mal abrupt innehaltend mit voller Konzentration und Agilitaet zielstrebig seinen Weg ans andere Ufer dieses reissenden, quasi nie versiegenden, Verkehrstroms bahnt.
Anfangs bin ich hier wieder viel mit Schreiben beschaeftigt. Als ich dann am zweiten Tag meine Emails abrufe, kann ich kaum glauben was ich da lese…Vor meiner Abreise hatte ich beim “Tagesgespraech” des Bayerischen Rundfunks angerufen und ueber meine Radreiseplaene berichtet. Vor kurzem habe ich dann eine Email an die Redaktion geschickt und ein knappes Update meines Reiseverlaufs geliefert. Und heute lese ich, dass sie mich zu einem Live-Interview ins Tagesgespreach einladen und zwar bereits uebermorgen, am 26.11.! Was fuer ein Zufall, dass ich ueberhaupt rechtzeitig diese Mail gelesen habe. Das Thema lautet: “Bis ans Ende Welt – welche Reise werden Sie nie vergessen?” Studiogast wird der bekannte Publizist, Moderator und Weltreisende Roger Willemsen sein. Es wird so laufen, dass ich im Hotel angerufen und dann live in die Sendung geschaltet werde. Natuerlich bin ich gewaltig aufgeregt und freue mich riesig, vor einem groesseren Publikum ueber meine Reiseerfahrungen berichten zu koennen. Als es dann endlich soweit ist, geht auch alles glatt ueber die Buehne. Freilich haette ich gern noch so einiges mehr zur Sprache gebracht, vieles faellt einem erst hinterher ein. Aber die Sprechzeit beim Radio und Fernsehen ist nunmal knapp bemessen. Gefreut habe ich mich besonders auch ueber gutes Feedback von Freunden. Sobald alles vorbei ist, atme ich erstmal richtig tief durch und entspanne mich und laufe befreit und gluecklich durch die Strassen, mache nun ein bisschen Sightseeing. Die beruehmte Omayyaden-Moschee steht zuerst auf meinem Programm. Der beeindruckende Innenhof bietet in der Nachmittagssonne zahllose Gelegenheiten fuer stimmungsvolle Fotoaufnahmen. Ausserdem wollen staendig irgendwelche Kindergruppen mit aufs Bild. Die Zitadelle von Aleppo ist ein monumentales Bollwerk, voellig freistehend und exponiert auf einem 40 Meter hohen Huegel und erstreckt sich ueber ein gewaltiges Areal. Ringsherum zieht sich ein tiefer Graben. Am beeindruckendsten finde ich die Aussenfassade und das gigantische Portal. Der Besuch der Innenanlage ist dagegen eher eine Enttaeuschung. Unter anderem weil hier jeder etwas verstecktere Winkel einer Muellkippe gleicht. Eine Ungeheuerlichkeit bei diesem beruehmten, uralten Wahrzeichen Aleppos, das von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklaert wurde. Wenigstens von den Sehenswuerdigkeiten bei denen man Eintritt bezahlt, kann man erwarten, dass sie muellfrei gehalten werden, wenn auch das uebrige Land fast im Dreck erstickt. Zudem muss der Muell ja hauptsaechlich von der Verwaltung selbst stammen, da ich mir nicht vorstellen kann, dass Besucher ihre Abfaelle da reinschleppen und entsorgen. Das bringe ich auch am Eingang zur Sprache, ernte dafuer aber erwartungsgemaess nicht viel mehr als emotionslose, traege Zustimmung, eher aehnelt es aber einem klassischen Schulterzucken. Trotzdem wollen sie sich “darum kuemmern”. Sehr unwahrscheinlich, dass sich hier was aendert.
Weil es mir am Tag nach der Radio-Livesendung gar nicht gut geht – habe am Abend wohl etwas zu heftig mit Starkbier gefeiert und zu wenig geschlafen, ausserdem war wohl alles ein bisschen viel in den letzten Tagen – verschiebt sich meine Abfahrt noch um zwei Tage. Mein Magen spielt verrueckt und ich habe lange auf nichts mehr Appetit. Dazu kommt Kreislaufschwaeche. Am zweiten Tag komme ich dann aber wieder langsam auf die Beine. Es wird nun wirklich Zeit, mich von diesem Chaos, Laerm und Smog zu verabschieden. Syrien und die Wueste liegen vor mir und erwarten mich.


89.Tag, 29.11., Aleppo – zw. Al Bab und Minbej
Km: 60

Meine kurze Krankheitsphase scheint soweit auskuriert zu sein, das Fruehstueck schmeckt wieder besser und ich bin wieder bei Kraeften. Eigentlich erstaunlich, dass mein Magen bei dieser ewigen Weissbrotpampe nicht schon eher und oefters rebelliert hat. In Syrien gibts ja jetzt dieses beruehmte arabische Fladenbrot. Bei jeglicher Mahlzeit knallen sie einem einen Haufen davon hin. Im Grunde noch ungeniessbarer und zaeher als das “gute alte” tuerkische Ekmek. Aber was will man machen, es gibt hier nichts anderes. Sowenig wie moeglich davon essen, ich halte mich ans Gemuese, Salate und Obst. Meine Abfahrt zieht sich wieder etwas, ein paar Dinge gibts noch im Internet zu erledigen, dann ergibt sich noch ein freundliches Gespraech mit einem Mann im Hotel in fast fliessendem Englisch. Er ist Christ und scheint eine liberalere, westlich orientierte und kritischere Einstellung zu haben. Anschliessend ist noch kurzer Fototermin an der Zitadelle mit bepacktem Bike, dann bahne ich mir meinen abenteuerlichen Weg durch das immer wieder haarstraeubende Verkehrschaos dieser Stadt. Mit dem Wort “Airport” (zunaechst meine Richtung) koennen hier nur die wenigsten, einschliesslich Polizisten und Taxifahrer, etwas anfangen. Ich muss erst die Arme ausbreiten und ein Flugzeug simulieren. Relativ bald habe ich dann aber die richtige Route und gebe ordentlich Gas. Es ist wirklich Zeit geworden, diesem Moloch zu entrinnen und wieder in ruhigere Gefilde vorzudringen. Bis etwa 16:30 komme ich ziemlich gut voran und finde auf Anhieb bei noch reichlich Tageslicht ein geschuetztes und relativ bequemes Plaetzchen zwischen Al Bab und Minbej.


90.Tag, 30.11., zw. Al Bab und Minbej – Sirreen Shamali
Km: 115,7 Hm: 593

Diverse stoerende Geraeusche vereitelten mir leider die ungetruebte Nachtruhe, so lag ich ab 2:00 die meiste Zeit wach. Nach knapp 40 Kilometern leicht huegeliger Fahrt geht es etwas abseits der Hauptroute ins Zentrum von Minbej, wo ich ein ausgiebiges Fruehstueck geniesse, in Form von fuenf quiche-aehnlichen gebackenen Teigfladen plus reichlich Cai fuer ganze 70SL. Fuer die Weiterfahrt decke ich mir hier auch noch mit Obst ein. Sogar ein paar neue Ohrstoepsel – meine alten waren mir leider in Aleppo abhanden gekommen – kann ich hier auftreiben. Die Laxheit bezueglich des Rauchens in diesem Land geht soweit, dass sie hier sogar in der Apotheke mit dem Glimmstengel herumlaufen. In den Restaurants sind die allgegenwaertigen Rauchverbotsschilder eine reine Farce. Hier qualmt auch das Personal eifrig mit. Als ich nach ein paar Dutzend weiteren Kilometer eine Huegelkuppe passiere, ist es schliesslich soweit – vor und unter mir glitzert die Wasserflaeche des Euphrat im gleissenden Sonnenlicht – ein Anblick auf den ich mich schon lange gefreut habe. Kurz darauf ergibt sich an einer wunderbar einsamen Stelle sogar eine Gelegenheit zu einem Sprung ins kuehle Nass. Das Wasser ist erfreulich klar und sauber und tatsaechlich etwas frisch. Eine Bruecke fuehrt hier hinueber ans andere Ufer und kurz darauf erreiche ich Sirreen Shamali, wo ich eingeladen werde zu einer Art Gemeindetreff in einen Versammlungsraum mit reichhaltiger Verkoestigung und interessierten Gespraechspartnern. Es sind auch einige englischsprechende Gaeste dabei. Hier und da werden auch einige Ressentiments gegen Israel geaeussert, aber kaum offene Feindseligkeit. Natuerlich huete ich mich davor, durchblicken zu lassen, dass Israel das eigentliche Ziel meiner Reise ist. Abends werde ich nochmals eingeladen, ein paar Haeuser weiter, bei einer ruehrenden Familie. Sie bieten mir sogar an, hier zu uebernachten und richten mir ein Bett her. Ein Sohn spricht recht gut Englisch, uebernimmt das Dolmetschen und wir sitzen noch lange angeregt beisammen, ich erzaehle viel von meiner Tour – auch anhand meiner Karten, und ueber Deutschland, worueber sie auch vieles wissen wollen. Wieder einmal bin ich sehr angetan von der Aufrichtigkeit, der Wissbegier und ganz natuerlichen, wie selbstverstaendlichen Gastfreundschaft der Leute hier. Welch wunderbarer Novemberausklang.


91.Tag, 1.12., Sirreen – 40 Km vor Ar-Raqqa
Km: 102 Hm: 650

Ali, Grossvater und Oberhaupt der Familie laesst es sich nicht nehmen, die Einladung auch noch auf das Fruehstueck auszudehnen und so sitzen wir noch mit einem der Enkel gesellig beieinander, bis es fuer mich wieder Zeit wird, an Aufbruch zu denken. Verweilen koennte ich gut und gerne bei diesen Menschen und in diesem Land, doch meine Zeit wird knapp. Wir schreiben heute den 1.Dezember, ich bin nun drei Monate auf Tour und mein endgueltiges Ziel, Israel, rueckt nahe. Doch weil ich nunmal den Umweg ueber Jordanien nehmen muss, mir dort eventuell noch Petra und das Wadi Rum anschauen will, muss ich meine Tage ab jetzt strikter kalkulieren. Folglich waehle ich jetzt die kuerzestmoegliche Route nach Palmyra und Krak de Chevalier, westlich von Homs, feallt dem Rotstift zum Opfer. Bis zum 7., spaetestens 8. Dezember will ich in Damaskus sein, um es bis zum 20. nach Jerusalem zu schaffen. Es geht heute ziemlich huegelig weiter, auf einsamer Nebenroute, die Landschaft hat schon stark wuestenhaften Charakter. Der Euphrat rueckt nochmal kurz ins Blickfeld, die meiste Zeit bleibt er allerdings leider verborgen. Nachmittags werde ich nochmal nett auf einen Imbiss eingeladen. Da die Sonne danach schon wieder tiefer sinkt und bald am Horizont verschwindet, suche ich mir meinen Schlafplatz, moeglichst weit weg von der Strasse, auf einer weiten kahlen, wuestenhaften Flaeche.


92.Tag, 2.12., 40 Km vor Ar-Raqqa – 10 Km vor Ar Rasafeh
Km: 97 Hm: 236

Der Komfort laesst nun naturgemaess immer mehr zu wuenschen uebrig, daher schlafe ich leider auch entsprechend schlecht und wenig. Dafuer wird es immer einsamer und exotischer, hier in der “freien Wildbahn” zu naechtigen. Eigentlich will ich ueber Qal’aat Ja’abar, womit ich erheblich abkuerzen und mir noch die historische Staette, wohl eine Burg vor der Kulisse des Assadstausees, anschauen koennte, finde aber den Abzweig nicht und so bleibts mir nicht erspart, die 40 Kilometer Umweg bis Ar-Raqqa in Kauf zunehmen. Gleich bei Beginn des Zentrums stosse ich auf die Feuerwehr, die haben hier Fahrzeuge aus Deutschland mit der Aufschrift “Feuerwehr” und dem deutschen Herkunftsort. Anlass genug fuer eine Caipause und ein kurzes Palaver mit den Feuerwehrleuten. Anschliessend Essen im Zentrum, nach langem Suchen finde ich endlich eine Imbissbude, zwei Falafel mit Ayran fuer 40SL. Es wimmelt hier wieder mal von Kleingeschaeften und Marktstaenden jeglicher Art. Es folgt ein Kurzbesuch im Internet-Café, um mich bei der Messe Muenchen wegen einem Job im Januar zu melden. In Ar-Raqqa ueberquere ich den Euphrat erneut und fahre am anderen Ufer zurueck bis Al Mansura, wo ich mich noch mit dem Noetigsten eindecke, wer weiss wann ich das naechste Mal Gelegenheit dazu haben werde, ab hier geht es wirklich in die Wueste und Einsamkeit. Bis zehn Kilometer vor Ar Rasafeh fahre ich noch, dann suche ich mir meinen Platz, diesmal mit so viel wie moeglich Abstand zur Strasse.


93.Tag, 3.12., 10 Km vor Ar Rasafeh – (vermeintlich) 40 Km vor Attaybeh
Km: 72 Hm: 524

In Ar Rasafeh finde ich zwar kein Fruehstueck vor – der Name bezeichnet lediglich eine archaeologische Staette – dafuer eine zum Teil erstaunlich gut erhaltene Stadt aus dem 5.Jahrhundert. Die Stadtmauer misst 1.8 Kilometer und war damals noch deutlich hoeher. Das Nordtor ist das am kunstvollsten ausgestaltete mit Saeulen, Torboegen und Ornamenten. Hier gibt es vieles zu entdecken, immer wieder ergeben sich neue, unverhoffte Blickwinkel. Gesteigert wird das faszinierende Erlebnis dadurch, dass es hier absolut still ist, ich bin aufgrund der fruehen Morgenstunde voellig allein unterwegs. Ideale Bedingungen fuer stimmungsvolle Fotoaufnahmen an diesem magischen Ort. Kurz bevor ich sowieso gehen will, faellt dann doch noch eine Busladung Touristen ueber die historische Staette her und die Stimmung ist beim Teufel. Man schreckt nicht einmal davor zurueck, die Gruppe auch noch mit Megaphon hier durchzuschleusen. Ein Glueck, dass ich so frueh dran war und den Ort in seiner Urspruenglichkeit fuer mich allein geniessen konnte. Nur weg jetzt, hier habe ich nichts mehr verloren. In dem anschliessenden kleinen Dorf kaufe ich ein paar Sachen und lasse mir Wasser geben. Prompt werde ich zu Brot und Cai ins Hinterzimmer eingeladen. Wohin ich den heute noch wolle und ich koenne gerne auch ueber Nacht bleiben. Lieb gemeint von den ruehrenden Leuten, aber ich muss weiter, bis Palmyra, liegt noch ein langer Weg vor mir. Die Route wird nun erwartungsgemaess immer einsamer, zunaechst passiere ich noch ein paar Siedlungen und einzelne Haeuser, zuletzt verschwinden auch sie. Die Strasse ist praktisch nicht mehr befahren, es begegnen mir noch zwei Autos, sonst bin ich allein auf weiter Flur. So ziehe ich bei tiefer sinkender Sonne meine Bahn durch die atemberaubend stille, huegelige Wuestenlandschaft. Eine wunderbare Kulisse fuer so manches Foto mit Stativ. Fast das einzige Fahrzeug, das mich nach einer Ewigkeit ueberholt ist ein Transporter vollgepackt mit Schafen, er zweigt in die Pampa ab. Die armen Schafe, die wild durcheinander bloeken, sind schon von Weitem zu hoeren, eine Staubfontaene wird aufgewirbelt vor der untergehenden Sonne – ein einpraegsames, unvergessliches Bild. Ein paar Kilometer weiter habe ich ihn gefunden – meinen Schlafplatz, diesmal in exponierter Lage, unmittelbar vor einem weiten Tal, mit phantastischem Blick. Inzwischen bin ich hier auf 650m Hoehe angelangt.


94.Tag, 4.12., (vermeintlich) 40 Km vor Attaybeh – Deir-Ezzor
Km: 163 Hm: 513 FZ: 7:10 Max-Sp.: 52Km/h


Zum wiederholten Male: Bitte keine fremden Texte einstellen. Siehe auch hier


Mitten in der Nacht liege ich ploetzlich hellwach. In die absolute Stille, die hier eben noch herrschte, hat sich etwas eingeschlichen. Ein Geraeusch, das das Gehirn fieberhaft versucht zu analysieren, um eine logische Erklaerung dafuer zu finden. Das Zelt wird eingehuellt von etwas, das sich anhoert, wie ein Wispern, ein Fluestern, ein Knabbern und Schmatzen. Mal raschelt es hier, mal dort. Minutenlang liege ich totenstill da, waehrend die Phantasie mit mir davongaloppiert. Lebewesen hier in der Einoede und Wueste? Die Einheimischen hatten mich vor “wilden Tieren” da draussen gewarnt. Ich entgegnete ihnen, dass ich nur zu gerne mal welche zu Gesicht bekommen wuerde. Darauf bin ich jetzt gerade gar nicht mal so scharf… Am Strassenrand habe ich gelegentlich tote Fuechse gesehen. Doch dann faellt mir ein, dass ich einige Heringe wegen des lockeren Bodens nicht richtig verankern konnte und die Erklaerung ist gefunden – der Wind teibt seine ungestuemen Spielchen mit der Zeltplane, was manchmal die ausgefallensten akkustischen Sensationen hervorruft, die einen an alles Moegliche denken lassen, hier draussen im Niemandsland…
Allerhand Strecke kommt heute auf mich zu, es soll die laengste Fahrt meiner gesamten bisherigen Tour werden. Bei zwei Schaeferjungen, die ich treffe, will ich mich vergewissern, dass meine Richtung stimmt. Sie koennen das allerdings nicht bestaetigen und weisen in eine andere Himmelsrichtung. Da ich mich aber stets auf dieser Hauptroute gehalten habe, und die einzigen Abzweige, die es gab, eindeutig kleinere Nebenstrassen waren, und es auch keine Ausschilderung in eine andere Richtung gab, glaube ich zunaechst noch, dass ich recht habe. Bei Km 40 dann aber, erkundige ich mich nochmal bei Arbeitern an einer Oelfoerderstelle und die rauben mir schliesslich meine letzten Illusionen. Ich bin offenbar leicht im Kreis gefahren, habe mich in der Wueste verfranst, die Orientierung verloren. Das Gebiet, in dem ich mich befinde, weist auf meiner Karte keine Strassen mehr auf, ich bin im Niemandsland und wie ich hoere jetzt 30 Kilometer westlich des Euphrat und von der dort entlang fuehrenden Hauptroute entfernt. Die Stelle an der ich schliesslich aus der Wueste herauskomme, liegt etwa 40 Kilometer oestlich von Ar-Raqqa, wo ich vorgestern war und 90 Kilometer vor Deir-Ezzor, der naechsten groesseren Stadt am Euphrat. Somit habe ich zwei Tage verloren und der Weg nach dem verheissungsvollen Palmyra zieht und zieht sich in die Laenge. Nun ja, was solls, ich habe eine atemberaubende Wuestener-fahrung mit stundenlangen Etappen ohne Autoverkehr, Stille und weiter, unberuehrter Landschaft hinter mir. Meine Syrienrundfahrt ist durch zahlreiche weitere Eindruecke bereichert worden. Um nun Zeit aufzuholen gebe ich auf der brettlebenen Hauptstrasse im Euphrattal mit nur gelegentlichen Steigungen ordentlich Gas, halte mich kaum mehr irgendwo auf und schaffe es tatsaechlich bei nur noch kurzer Fahrt im Dunkeln bis nach Deir-Ezzor. Kurz vor der Stadt erkundige ich mich schon nach einem Schlafplatz. Der gut englischsprachige Einheimische, den ich frage, bedauert aber und entschuldigt sich, ich koenne heute abend leider nicht sein Gast sein, seine Frau bekaeme gerade ein Kind und er muesse in die Klinik. Wenn es in diesem Land einmal einen Grund fuer ausgeschlagene Gastfreundlichkeit gibt, dann muss es schon ein besonderer Ausnahmezustand sein.
Nach 163 Kilometern ist dann schliesslich ein passables Hotel in Deir-Ezzor gefunden. Spaeter, als ich hier essen gehe, treffe ich auf Akram, der gerade einen Deutschkurs macht, weil er nach Deutschland will. Zusammen schlendern wir durch das uebliche Gewusel der Innenstadt. Er freut sich ueber die Gelegenheit, sein Deutsch zu praktizieren, ich mich ueber einen willkommenen Stadtguide.


95.Tag, 5.12., Deir-Ezzor – Kabajeb
Km: 58 Hm: 157

So ein paar Dinge sind hier noch zu erledigen, unter anderem hebe ich (vielleicht letztmalig) noch eine Handvoll Syrische Lira ab. Viel Geld braucht man in diesem Land ja wirklich nicht. Es klingt unglaublich, aber es gibt Tage, an denen ich mit zwei Euro wunderbar ueber die Runden komme. Das liegt freilich auch an den vielen Einladungen. Anschliessend lasse ich mich noch von dem bunten und lebhaften Marktgeschehen in den Strassen und Gassen treiben. Spaeter bei der Fahrt raus aus der Stadt begegne ich ueberraschenderweise auch mal ein paar anderen sportlich ambitionierten Zweiradfahrern – drei junge Rennradler kreuzen meinen Weg, ein seltenes Phaenomen hier im Land – und wir radeln ein paar Kilometer zusammen. Spaeter stossen sogar noch sechs weitere ihrer Kumpels dazu. Jetzt sind wir schon ein komplettes Team. Nur ich falle hier mit meiner Reiseausstattung “aus dem Rahmen”. Bald haben dann die Jungs ihr taegliches Trainingspensum absolviert, geben mir einen letzten Gruss mit auf den Weg und machen kehrt. Eine Weile blicke ich ihnen noch hinterher, leicht melancholisch, bis der letzte hinter einer Kuppe verschwunden ist. Wie schon so oft zuvor umgibt mich wieder die Stille und weiter rollen meine Reifen, nun direkt nach Westen auf die untergehende Sonne zu. Wegen meines spaeten Aufbruchs heute, habe ich vor, noch eine kleine Abendrunde einzulegen, um es dann morgen auch wirklich bis Palmyra zu schaffen. Allerdings leuchtet mir nun kein Vollmond mehr wie noch vor einigen Wochen in der Tuerkei und weist mir den Weg und es ist bald zappenduster. So einige Lastwagen donnern an mir vorueber und der Strassenrand ist nicht befestigt, sodass es mir irgendwann zu gefaehrlich wird. In der Ferne sind ein paar Lichter aufgetaucht, diesmal nicht von entgegen kommenden Autos, sondern stationaere. Bis dorthin will ich noch fahren und mir eine Schlaffstatt suchen. Die Entscheidung war goldrichtig – ich werde freundlich aufgenommen und willkommen geheissen, von der ansaessigen Familie, das heisst vielmehr von einer Schar Kinder – und darf es mir in dem angrenzenden traditionell mit Teppichen ausgelegten Raum zum Essen und Schlafen gemuetlich machen. Welch ein Land und was fuer Menschen hier in Syrien!
Als ich spaeter mein Rad aussen am Gebaeude absperren will, fahre ich ploetzlich zusammen – dicht neben mir hoere ich hektische Schritte eines offenbar grossen aufgescheuchten Tieres. Erschrocken blicke ich auf und erkenne im matten Scheinwerferlicht lange, schlanke Beine und den unverwechselbaren zum Hoecker gewoelbten Ruecken – ein Kamel! Schon bei der Ankunft glaubte ich im Hintergrund ein am Boden ruhendes Tier gesehen zu haben. Nun stelle ich ueberrascht fest – es ist eine ganze Herde, die hier zur Nachtruhe lagert. Ich freue mich immer wenn ich diese friedlichen, genuegsamen und majestaetischen Tiere sehe.
Jetzt bin ich wirklich im Orient angekommen.


96.Tag, 6.12., Kabajeb – 50 Km vor Palmyra
Km: 112 Hm: 370

- Der lange Weg nach Palmyra-

Meine Gastgeberkinder – bisher bin ich nur von ihnen in Empfang genommen worden – versorgen mich wieder, wie schon abends, mit Cai. Einer von ihnen will unbedingt meine Kamera mit Stativ ausprobieren und macht eine Menge Fotos von den Schafen, den Kamelen, von mir und den anderen Kindern. Dann ist es Zeit fuer sie, sie werden zur Schule abgeholt. Ich schwinge mich wieder in den Sattel und trete kraeftig in die Pedale, angesichts der noch gut 150 Kilometer nach Palmyra, die ich heute gerne schaffen wuerde. Die ersten paar Stunden laeuft auch alles wie geschmiert, ich liege gut in der Zeit. Das Land ist flach soweit das Auge reicht. Wueste mit nur gelegentlicher Vegetation. Mein erster Versorgungsstop heute, As Sikhneh, ist weit, fast 90 Kilometer. Es gilt also heute einfach Strecke zurueckzulegen, um endlich diese sagenumwobene Oasenstadt zu erreichen. Da ploetzlich kommt mir am Strassenrand etwas Vierbeiniges zugelaufen, das zur Abwechslung mal nicht bellt, sondern klaegliche “Maeaeh!”-Laute von sich gibt. Ein kleines Lamm, das offenbar den Anschluss zu seiner Herde verloren hat, sucht Schutz beim Fernradler und seinem Gefaehrt. Immer wenn ein Lastwagen oder Bus vorbeibraust, laeuft es voellig veraengstigt herum und drueckt sich schutzsuchend an mich und das Rad. In einiger Entfernung sehe ich eine Herde, zu der das Lamm wohl gehoert ud versuche es dorthin zurueck zu lotsen. Bald darauf haelt ein Kleintransporter an, die Tuer geht auf und nach kurzer Verstaendigung schnappe ich mir das verschreckte Lamm und hieve es hinauf in den Wagen. Man wird sich darum kuemmern, dass das Tier dahin zurueckkommt, wo es hingehoert. Dann gegen Mittag, kurz bevor ich meine erste Anlaufstelle erreiche, bahnt sich eine Wetterveraenderung an. Ich sehe eine vermeintliche Wolkenfront auf mich zukommen. Binnen Minuten verfinstert sich der Himmel, das was mir da entgegen kommt, sind aber keine Wolken. Nein, ich werde eingehuellt von einem seltsam gelblichen Nebel. Heftiger Wind kommt auf, Plastiktueten und Papierfetzen fliegen mir um die Ohren und die Sichtweite liegt bei nurmehr zehn Metern. Ich kann kaum noch geradeaus blicken ohne heftig zu blinzeln und es knirscht zwischen meinen Zaehnen. In befinde mich in einem ausgewachsenen Sandsturm. Mit knapper Not erreiche ich den Ort, kaempfe mich Meter um Meter vorwaerts, bis der Sturm allmaehlich wieder an Heftigkeit verliert. Kaum frage ich in dem Ort nach etwas Essbarem, schon werde ich von einer “Motorradgang” zu einer Familie eskortiert, wo man nur auf mich gewartet zu haben scheint. Meine Einladung zum Mittagessen ist damit besiegelt. Es ist gar nicht so leicht in einem Dorf einfach nur was essen zu gehen. Etwa ein dutzend Kinder huepfen hier um mich herum, unzaehlige neugierige Gesichter. Ich werde mal wieder fuerstlich bedient und am Ende wollen sie mich gar nicht wieder gehen lassen, dachten ich bliebe gleich ueber Nacht ihr Gast. Der Sandsturm ist zwar nun passe, aber der Wind hat sich nun gegen mich verschworen und macht mir wechselweise von der Seite und von vorne zu schaffen. Dazu gesellen sich Wolken aus denen nach ueber fuenf Wochen nun tatsaechlich auch der erste ergiebige Regen fliesst. Unter diesen Umstaenden ist das ehrgeizige heutige Tagesziel endgueltig gestorben und ich suche schon leicht durchnaesst Unterschlupf bei der naechsten Gelegenheit, wie sich herausstellt handelt es sich um eine Gasfirma. Der sympathische Pfoertner laesst mich an seinem Ofen Platz nehmen und bietet mir Matetee (Import aus Argentinien) und Suppe an. Waehrend ich mich aufwaerme und trockne, erfahre ich ueber einen englischen Newssender Neues aus aller Welt. In Europa ist offenbar ein Wirtschaftschaos ausgebrochen… Nach einigem Hin und Her und Wartezeiten in diversen Raeumlichkeiten der Firma findet sich sogar ein eigenes Zimmer fuer mich. Natuerlich laesst die naechste Einladung nicht lange auf sich warten und ich verbringe noch einen anregenden Abend mit Mohammed und Nabil, einem Christen, bei einem aufschlussreichen Gedankenaustausch bis spaet in den Abend hinein.


97.Tag, 7.12., die letzten 60 Km bis Palmyra
Km: 60

Nach einem knappen Fruehstueck in der Firmen”kantine” und wiederum einigen Gespraechspartnern, mache ich mich an die letzten paar Kilometer, die es durchaus noch in sich haben, denn der Wind blaest weiter aus Westen und erschwert mein Vorwaertskommen. Zudem schwaechle ich heute irgendwie in den Beinen, da kommt mir der halbe Tourentag sehr gelegen, an der Stadtgrenze pausiere ich erstmal ausgiebig. Nach dem Einchecken ins Hotel und einem Erkundungsgang durch die Stadt, mache ich mich nachmittags auf zu einer Inspizierung der historischen legendaeren Koenigsstadt Palmyra. Von weitem fallen bereits die unzaehligen erstaunlich gut erhaltenen Saeulen und Torboegen ins Auge. Hier erlebe ich einen phantastischen Sonnenuntergang mit allmaehlich immer hoeher wandernden Schatten an den Saeulen und in den Erkern. Noch lange verweile ich an diesem magischen Ort und wandle in einer anderen Welt von einem verlockenden Fotomotiv zum naechsten. Auch und gerade dann noch als das Tageslicht gaenzlich gewichen ist und die eingesetzte effektvolle Beleuchtung der Reliquien aus der Vorzeit fuer eine voellig neue faszinierende Stimmung sorgt.
Palmyra – ein stummer Zeuge aus einer laengst versunkenen und wieder aufgetauchten, damals bluehenden Zivilisation.


98.Tag, 8.12., Palmyra

Es ist 6:15Uhr. Ich habe saemtliche verfuegbare Kleidung angelegt und stehe dennoch leicht froestelnd – zum Fototermin in der antiken Stadt. Die Vorstellung hier um die Zeit auch nur annaehernd allein unterwegs zu sein, erweist sich schnell als illusorisch. Sogar Busse tauchen schon auf, fahren aber nur durch. Nach Sonnenaufgang schreite ich dann praktisch das gesamte Areal ab, das so einige Quadratkilometer umfasst. Das Bemerkenswerteste groesste Bauwerk ist der Ba’al Tempel mit seiner monumentalen Fassade und Aussenmauer, sowie gewaltigen Saeulen. Ausserdem gibt es ein Amphitheater, das hervorragend erhalten ist. Am meisten fasziniert es mich aber, durch den Saeulenwald zu schweifen, sowohl in der Nachmittagssonnne, als auch nachts bei Beleuchtung und in den fruehen Morgenstunden und mich in eine laengst vergangene Epoche zureuck versetzt zu fuehlen. Wie mag sich das Leben hier wohl damals abgespielt haben?
Beim Fruehstueck mache ich dann die Bekanntschaft des Fahrers der schweren Reise-BMW, die ich schon lange vor dem Restaurant hier habe stehen sehen. Mit allen erdenklichen Extras ist sie ausgestattet und auf zwei Flaechen auf den Alukoffern kleben bereits jede Menge afrikanische und europaeische Flaggen. Ronnie, aus Suedafrika, der “Herr der Laender” und Besitzer dieses imposanten Gefaehrts, ist auf dreijaehriger Weltreise. Afrika und Europa liegen schon hinter ihm, jetzt nimmt er den Nahen Osten und den Rest Asiens unter die Stollen. Ein sehr interessanter, vielschichtiger, charismatischer und er-fahrener Typ, sowie ein spannender Erzaehler. Wir haben ausschweifenden Gedankenaustausch ueber unsere Reiseabenteuer und ueber “Gott und die Welt”. Ein bisschen kommt er mir ja wie ein “country hunter” vor. Rein ins Land, ein bis zweimal dort uebernachtet, raus aus dem Land, Flagge auf den Alukoffer geklebt, abgehakt, rein ins naechste Land! Und dennoch ein aufmerksamer Beobachter und einfuehlsamer ‘High-Tech-Vagabund’ zwischen den Welten. Natuerlich trotzdem nicht vergleichbar mit dem Fernradler, der viel langsamer und intensiver unterwegs ist, der sich jeden Kilometer ehrlich und emissionsfrei erarbeitet. Ronnie schreibt ebenfalls einen sehr ausfuerlichen Bericht ueber seine Weltreise mit der Intention ein Buch daraus zu machen. Diese Begegnung ist so bereichernd gewesen, dass wir beschliessen, uns in Damaskus wieder zu treffen. Ich verlaengere meinen Aufenthalt hier noch um einen Tag und gemeinsam inspizieren wir noch ein paar archaeologische Staetten, einschliesslich der alles ueberragenden imposanten und weithin sichtbaren Zitadelle bei Sonnenuntergang. Bald nachdem die Sonne weg ist, verschwinden auch die Touristengruppen (vor allem Spanier) und man hat den Ort fuer sich allein. Die angestrahlte Festung erzeugt eine voellig neue Stimmung, ideal fuer ein paar fotografische Ablichtungen dieses jahrtausendealten Bauwerks. Bei der Abfahrt begegnen wir einem Schweizer Radlerpaerchen, das hier sein Zelt aufgeschlagen hat. Eigentlich wollten sie nach Haiti, um dort dort in einem Aufbauprojekt mitzuarbeiten, mussten aber aufgrund von Einreisekomplikationen kurzfristig umdisponieren und das Projekt aufschieben. Abends treffen wir dann noch Matthias und Gabriel, die mit einem Land Rover aus Rosenheim (out of Rosenheim) unterwegs sind. Ein halbes, bzw. ein ganzes Jahr haben sie Zeit, um als Stipendiaten archaelogische Feldforschung zu betreiben und antike Staetten rund um das Mittelmeer zu besuchen.
Die Welt und das Leben sind voll von Begegnungen, Projekten und Idealismus, wenn man sich nur die Zeit nimmt und offen dafuer ist. Dann laufen sie einem auf Schritt und Tritt ueber den Weg.
Was fuer ein Tag!
P.S. Ich habe auf naehere geschichtliche Hintergruende zu Palmyra verzichtet. Der interessierte Leser moege dazu einschlaegige Informationsquellen heranziehen, auf die ich ebenso zurueckgreifen muesste. Nach meiner Rueckkehr werde ich das auch tun.


99.Tag, 9.12., Palmyra – Al Basiri
Km: ca. 90

So lange ich gebraucht habe, diesen legendaeren Ort zu erreichen, so sehr klebt er mir jetzt unter den Fuessen. Das Fruehstuecksmeeting mit ‘good old’ Ronnie und spaeter auch noch Matthias und Gabriel zieht sich mal wieder.

VELOSOPHIE:
Meine uebliche kleine Hemmschwelle, von der Zivilisation und Gesellschaft zurueckzukehren in die Wueste und Einsamkeit. Habe ich den Schritt dann aber (wieder einmal) vollzogen, stellt sich schnell Harmonie und Zufriedenheit ein. Das ist es vor allem weswegen ich diese Reise unternommen habe – den Boden unter den Fuessen dahingleiten zu sehen, den Wind auf der Haut zu spueren, den Blick ueber die weite Landschaft schweifen zu lassen, meinen Atem und Puls wahrzunehmen im Einklang mit der stetigen, runden Bewegung des Pedalierens.

Offensichtlich zu schoen um wahr zu sein oder lange anzudauern, denn bei Km 56 wird diese Harmonie abrupt gestoert. Nachdem ich kurz angehalten habe, um ein Wuestenfoto zu machen, stoppt ploetzlich ein Jeep neben mir. Drei Maenner steigen aus, verlangen meine Kamera und meinen Pass zu sehen. Anfangs weigere ich mich und bestehe darauf ihre Polizeiausweise zu sehen, erkenne aber schnell, dass es klueger ist, zu kooperieren. Nach einigem Hin und Her – einer von ihnen fuehrt Handygespraeche – geben sie mir zu verstehen, ich solle mit ihnen zur naechsten Polizeistelle kommen. Zunaechst lehne ich ab, gebe aber schliesslich nach, zumal sie meine Kamera konfisziert haben. Nach knapp zehn Kilometern in die Gegenrichtung erreichen wir die angebliche Polizeistelle. Keiner der drei oder der weiteren hier herumlungernden Typen ist willens oder in der Lage, mir zu erklaeren was Sache ist. Eine charakteristische Situation in einer arabischen “amtlichen” Einrichtung. Alle stehen tatenlos, traege, gelangweilt herum, palavern. Aber nichts passiert, nichts geht voran, keiner ergreift die Initiative, trifft Entscheidungen und erklaert mir, was jetzt eigentlich los ist und wieso ich hier gegen meinen Willen festgehalten werde und wo das verdammte Problem liegt. Klar, es ist auch nicht ihre kostbare Zeit, die sie totschlagen, sondern meine. Derweil sinkt die Sonne gnadenlos immer tiefer. Wofuer hier eigentlich irgendjemand bezahlt wird, frage ich mich immer wieder. Schliesslich taucht ein Dolmetscher auf, der mir eroeffnet, sie muessten mich leider nach Palmyra zur Hauptpolizeidienststelle zurueckbringen, damit dort mein Pass und Fotos (die ich wohl eventuell von strategischen Einrichtungen gemacht habe) ueberprueft werden. Mein Kragen ist nun kurz davor zu platzen und ich weigere mich zunaechst strikt. Leider sind diese vernagelten, beschraenkten Zeitkiller eindeutig in der Ueberzahl und sitzen am laengeren Hebel, also bleibt mir am Ende nicht anderes uebrig, in ihre Karre zu steigen und mich mit Sack und Pack zurueck nach Palmyra fahren zu lassen. Die ganze Prozedur dauert dann nochmal zwei Stunden. Auch meinen vorherigen Speicherchip wollen sie sehen, mit saemtlichen Aufnahmen von Syrien. Ferner durchsuchen sie mein Gepaeck ohne mein Wissen und in meiner Abwesenheit, muessen dabei auf meinen Zweitpass und die Israelkarte gestossen sein. Das bringen sie aber nicht zur Sprache, noch befragen sie mich dazu. Wenigstens haben sie sich dazu verpflichtet, mich anschliessend bis nach Al Basiri zu bringen, einen Ort, den ich heute wohl selbstradelnd gerade so erreicht haette. Ein letztes Mal sehe ich die leuchtenden Saeulen von Palmyra vorbeiziehen.
Um 20:15 sind wir endlich an besagtem Ort angelangt, ich werde an einem Restaurant abgesetzt, dem “Baghdad Café”. Die Einrichtung hier ist stilvoll traditionell. Fuer eine Magenfuellung und ein Nachtlager ist hier bestens gesorgt.


100.Tag, 10.12., Al Basiri – Damaskus
Km: 170,50 Hm: 740 FZ: 7:53 Durchschn.: 21,63

- Im Fadenkreuz des syrischen Geheimdienstes -

Der heutige Tag kann in mehrfacher Hinsicht mit Besonderheiten aufwarten:
Laengste Fahrstrecke und Fahrzeit der gesamtn Tour bisher, kurz vor Damaskus erreiche ich die 6.000Km-Marke, ausserdem ist es mein 100.Tag auf Tour. Ein weiteres Ereignis des Tages zeichnet sich schon bald nach meiner Abfahrt von Al Basiri ab – nach wiederholtem Umsehen stelle ich fest, dass mir in gebuehrendem Abstand ein Fahrzeug folgt. Schnell ist mir der Zusammenhang mit dem gestrigen Vorfall klar. Ich bin den hiesigen Sicherheitskraeften auffaellig geworden, als radelnder Spion mit Kamera, der obendrein auch noch einen Zweitpass und eine Israelkarte im Gepaeck hat. Ein klarer Fall fuer eine geheimdienstlich angeordnete Totalobservation. Jedes Mal wenn ich mir erlaube anzuhalten und auch nur Anstalten mache, zur Kamera zu greifen, wird das sogleich mit Massregelung durch meine Bewacher quittiert. Anfangs nervt mich das gewaltig und ich reagiere aufbrausend, doch irgendwann drehe ich mich nicht mehr um, beschliesse meine Verfolger im Nacken einfach zu ignorieren. Mein Blick ist nach vorne auf den weiten Horizont gerichtet und die Wueste zieht stetig an mir vorueber. Um 12:00 mittags schliesslich, an der Routenkreuzung Baghdad – Damaskus bei km 56 biegt das Auto auf einen Rastplatz ab und wird danach nicht mehr gesichtet. Anscheinend ist bis zu diesem Zeitpunkt die Verdaechtigkeit des fernradelndes Staatsfeindes im Wuestenwind verweht…
Ich geniesse meine wiedergewonne Freiheit in vollen Zuegen. Befreit aus dem Fadenkreuz des syrischen Geheimdienstes atme ich wieder frisch durch und die Weiterfahrt geht mir flott von den Reifen. Der Verkehr nimmt jetzt im Einzugsgebiet der Hauptstadt allmaehlich zu, vor allem Busse und Lastwagen sind unterwegs, die ungebremst an mir vorbeidonnern. Knapp 20 Kilometer vor der Stadt Dmeir und auch danach ist die Strasse aufgerissen und es geht ueber endlose Spurrillen dahin. Immerhin bin ich so tapfer in die Pedale getreten, dass ich bei Einbruch der Dunkelheit schon fast die Stadtgrenze erreicht habe. Es geht aber noch eine ganze Meile dahin, bis ich endlich ins Zentrum und in die Altstadt vordringe. Damaskus praesentiert sich auf den ersten Blick als eine herausgeputzte, moderne und chique Stadt. Irgendwann gibt es kaum noch ein Durchkommen mit dem beladenen Bike. Drei Preisanfragen bei Hotels lassen bei mir den Eindruck entstehen, dass Damaskus ein deutlich teureres Plaster als Aleppo sei. Das erste Hotel ist ein “Loch”, das zweite erheblich zu teuer, das dritte ist unverschaemt. Schliesslich lande ich beim Ghazal Hotel, wo ich schon zuvor vorbei gefahren bin, und dieses ist goldrichtig. Der gleiche Preis wie in Aleppo, aber schoener und sogar mit Fruehstueck. Welcome to Damaskus! Ich werde sehr bald heilfroh darueber sein, dass ich es heute noch bis hierher geschafft habe…

Zeit fuer Teil IX: Aleppo bis Damaskus


D A M A S K U S, Tage 101 – 105, 11.-15.12.

Bereits in den fruehen Morgenstunden bricht das vorhergesagte Unwetter ueber die Stadt herein. Der Regen prasselt heftig auf das Dach des Ghazal Hotels und an durchgehenden Schlaf ist nicht mehr zu denken. Diese Intensitaet soll nun zwei bis drei Tage fast unvermindert anhalten. Ideales Wetter, um sich in die Bude zurueckzuziehen und ganz dem Schreiben zu widmen. Im Hotel hat man alle Haende voll damit zu tun, undichte Stellen des Daches abzudichten. Da Unwetter dieses Ausmasses hier hoechst selten sind, ist man darauf kaum vorbereitet und die Haeuser sind alles anderes als wasserdicht. Am Samstag gehe ich praktisch ueberhaupt nicht aus dem Haus. Jeglicher "Spaziergang" draussen haette zur Folge, dass man anschliessend stundenlang Kleider und Schuhe auf dem Ofen trocknen muss. Stattdessen mache ich in den Schreibpausen umso intensiver die Bekanntschaft der uebrigen Low-Budget-Traveller. Unter anderen ist hier ein Ukrainer abgestiegen, der fuer diverse Magazine in seiner Heimat nicht ganz alltaegliche Reiseberichte schreibt. So stehen auch Laender wie der Sudan auf seiner Reiseroute. Dort will er unter anderem historisch bedeutende Kultstaetten aufsuchen, die im Gegensatz zu Aegypten praktisch nicht vom Tourismus frequentiert sein sollen. "Gewoehnliche", leicht bereisbare, touristisch gut erschlossene Reiselaender wie Aegypten wuerden sich ja gar nicht mehr lohnen, sagt er. Da kann man geteilter Ansicht sein. Es kommt wohl vor allem auch darauf an, wie man einen Reisebericht dokumentarisch und schriftstellerisch aufbereitet. Dann kann man durchaus auch einen spannenden Bericht ueber eine einwoechige Tour in heimischen Gefilden schreiben.
Richtig gut ins Gespraech komme ich mit Kees, einem Hollaender aus Amsterdam, der einen spontanen Radltrip macht, mit einem simplen Rennrad, ohne jeglichen Ausruestungs-Schnickschnack, nur mit Rucksack. Es stellt sich heraus, dass wir eine ganze Reihe gemeinsamer Anschauungen und Ideen haben. Zum Beispiel hat auch er mein Vegetarier-Buch ("Eating Animals") gelesen und er empfiehlt mir noch ein weiteres, sehr aufschlussreiches Werk zu dem Thema, speziell ueber die gesundheitlichen Konsequenzen des Fleischkonsums. Am dritten Tag, als sich das Wetter wieder etwas beruhigt hat, stuerzt sich Kees wieder in den Verkehrsstrom von Damaskus, um ueber Aleppo nach Beirut zu fahren. Er war fuer mich eine sehr wertvolle Begegnung und ich hoffe, wir bleiben in Kontakt und laufen uns irgendwann noch einmal ueber den Weg. Am Morgen des zweiten Tages beginnt es sogar zu schneien. Erst glaube ich es kaum als es jemand behauptet, dann ueberzeuge ich mich selbst davon, dass der Schnee in dicken Flocken herunter faellt. Jetzt kommt sogar noch Weihnachtsstimmung auf. Das stuerzt die Stadt nun vollends ins Chaos. Trotzdem begebe ich mich im Laufe des Tages zusammen mit sympatischen Spaniern und Argentiniern, die ich hier kennengelernt habe, zur Deutschen Botschaft, um ein paar Fragen bezueglich der anstehenden Grenzuebertritte zu klaeren. Eine Odyssee ist es, ueberhaupt dort hinzukommen. Abgesehen von den haarstraeubenden Strassenverhaeltnissen, vor allem deshalb weil unser Taxifahrer offenbar nicht den blassesten Schimmer hat, wo es hingeht. Alle nasenlang muss er bei Passanten nach dem Weg fragen! Zu Fuss kaemen wir sicherlich besser, wenn auch komplett durchnaesst und durchgefroren, ans Ziel. Irgendwann sind die Hispanos trotzdem bei der Jordanischen, ich bei der Deutschen Botschaft. Recht viel weiter bringt mich das aber auch nicht. Auf die Beschwerden und Fragen, die ich bezueglich der syrischen Behoerden aeussere, reagiert man mit der Antwort, die Verhaeltnisse und Bestimmungen seien eben so hierzulande und ich solle mich vorsehen und hueten, dagegen zu verstossen. Angesichts dieser Einschaetzung kann ich wohl froh sein, dass ich nach meinem Wuesten-Intermezzo mit dem syrischen Geheimdienst nicht unverzueglich des Landes verwiesen wurde. Gegen Staaten und ihre repressiven Systeme ist man als Einzelkaempfer wohl einfach ziemlich machtlos – ein Kampf gegen Windmuehlen. Bezueglich meiner lezten beiden Grenzuebertritte kann man mir bei der Deutschen Botschaft nicht viel raten, dass muesse ich bei den Jordaniern oder einfach vor Ort klaeren. Offensichtlich ist inzwischen, dass mir meine zwei Paesse nichts bringen werden, wegen der Stempel der vorangegangenen Laender.
Eine vereinbarte Verabredung mit Kathrin und Martin, meinen Schweizer Radlfreunden um 13 Uhr verpasse ich knapp, Schneematsch und Vekehr halten mich zu sehr auf. Alternativ haben wir 17 Uhr ausgemacht. Ich freu mich sehr, die beiden wiederzutreffen, wir gehen in ein Lokal in der Altstadt. Ganz in der Naehe haben sie sich jetzt dauerhaft eingemietet. Es gibt freilich seit Aleppo wieder reichlich Gespraechsstoff. Wahrscheinlich sind sie diejenigen, mit denen mich auf meiner gesamten bisherigen Tour die meisten Gemeinsamkeiten und Sympathien verbinden. In puncto Reiseform, Lebensfuehrung und Weltanschauung. Der Ukrainer ist auch dabei und es wird bald klar, dass er doch andere Schwerpunkte setzt. Die Hispanos sitzen am Nebentisch, man begegnet sich in dieser Stadt immer wieder. Mit den Schweizern, verabrede ich mich fuer die naechsten Tage noch einmal, sie laden mich zum Essen zu sich in die Wohnung ein.
Entgegen meinem ersten Eindruck was die Unterkunftspreise in Damaskus angeht, ist die Stadt, vor allem hinsichtlich der Lebensmittelverpflegung unglaublich guenstig. Im Lokal, beziehungsweise an der Imbissbude, isst man billiger als wenn man im Laden einkauft. Mein "Klassiker" ist und bleibt die Falafel. Fuenf Minuten vom Hotel entfernt, kann man sich fuer 25 SL damit eindecken – manchmal ernaehre ich mich dreimal am Tag davon. Bei den Einkaeufen, als die Sintflut langsam nachlaesst, muss man staendig Pfuetzen und Vordaechern, sowie Regenrinnen ausweichen, will man nicht total durchnaesst werden. Ich befinde mich hier uebrigens im Stadtteil Souk Saroujah. "Souk" ist die arabische Bezeichnung fuer Bazaar. Ein kleiner bazaaraehnlicher Stadtteil, mit gemuetlichen kleinen Lokalen und Cafes befindet sich unweit des Ghazal Hotels, ideal um sich mit dem Notwendigsten einzudecken, ohne sich jedesmal auf den abenteuerlichen Weg in die Altstadt machen zu muessen.
Die Spanier uebrigens, Monica und Ramon, die mit mir im Ghazal Hotel wohnen, sind insgesamt ein Jahr mit dem Auto von Spanien aus unterwegs, haben schon das gesamte Mittelmeer auf seiner Nordseite umrundet, waren auch im Iran und wollen noch in einige Laender in Ostafrika, wohl runter bis Kenia und dann auf der Mittelmeersuedseite bis nach Marrokko zurueck. Als Lehrer haben sie sich ein 'Schabbat-Jahr' genommen.
Nachdem ich mein Schreibpensum erledigt habe und das Wetter schliesslich wieder gut geworden ist, besichtige ich ausfuehrlich die Altstadt, die beruehmte Omayyaden-Moschee, sowie die gosszuegige sehenswerte Anlage darum herum. Die Moschee erinnert im Stil sehr an das gleichnamige Bauwerk in Aleppo, ist hier aber noch groesser und prachtvoller ausgestaltet. Von allen historisch bedeutenden arabischen, beziehungsweise muslimischen Staedten, die ich bisher gesehe habe, gefaellt mir Damaskus am besten. Am nordwestlichen Rande der Altstadt befindet sich die Damaskus Zitadelle, die einzige Befestigungsanlage Syriens, die nicht auf eiinem Huegel oder Berg liegt, sondern ebenerdig auf Stadtniveau. Entsprechend massiv und wehrhaft ist die Mauer gebaut. Die Zitadelle stellt durch ihre beachtliche Groesse quasi eine Stadt in der Stadt dar, die zahlreiche Einrichtungen beherbergt, die ein autarkes Leben innerhalb der Mauern vermuten lassen. Derzeit ist das imposante, monumentale und weitgehend erhaltene Bauwerk allerdings aufgrund von Restaurierungsarbeiten nicht zu besichtigen.
Die Altstadt bietet ein schier endloses orientalisches Sammelsurium optischer Eindruecke, die sich – wie schon so oft vorher – der verbalen Beschreibung entziehen. Immer wieder von Neuem entdeckt das Auge des aufmerksamen Betrachters einzigartige Beipiele morgenlaendischen Kunsthandwerks, alle erdenklichen Einrichtungsgegenstaende, Stoffe und Gewaender, Teppiche, Wasserpfeifen, eine unueberschaubare Vielfalt an Gewuerzen , Suesswaren und sonstige Gaumengenuesse. Wie gut, dass es fuer mich als Fenradler nicht in Frage kommt, hier einzukaufen, abgesehen vielleicht von kleinen handlichen Mitbringseln, die nicht ins Gewicht fallen. Doch auch da halte ich mich voellig zurueck. Es ist ein gutes Gefuehl, 'nichts zu brauchen' und uebriges Geld habe ich sowieso keines… Allerdings faellt es mir nicht ganz leicht, angesichts des kulinarischen Angebots und des unschlagbar niedrigen Preisniveaus – vor allem was diesen ewigen 'Suesskram' an jeder Ecke betrifft – nicht mal wieder einem gewissen Konsumrausch zu verfallen…
Im Suedosten der Altstadt liegt Bab Touma, das christliche Viertel von Damaskus.
Hier finden sich eine Vielzahl von Kirchen, der unterschiedlichsten christlichen Gemeinschaften, darunter auch die St. Paulus Kirche. Gemaess der biblischen Ueberlieferung ist Paulus, der uerspruenglich Saulus hiess, nachdem er die Verfolgung der Fruehchristen einstellte, hier in Damaskus getauft worden und sodann in die Welt hinaus- und schliesslich nach Rom gegangen, um einer der fruehesten Prediger des Christentums zu werden.

Damaskus – eine der aeltesten, kontinuierlich bewohnten Siedlungen der Menschheit, die Stadt mit ihren zahllosen Zeugnissen vergangener Kulturen und Epochen, hat mich tief beeindruckt und ist ein hochinteressantes Reiseziel, ungeachtet der gegenwaertigen politischen Situation und der durchaus kritikwuerdigen Regierung Syriens.

An meinem letzten Tag in der Stadt treffe ich mich mittags mit Kathrin und Martin an der Omayyadenmoschee und wir gehen zum Essen in ihre Bleibe in der Altstadt. Sie bewohnen hier ein grosses Zimmer mit Blick auf einen attraktiven Innenhof und verfuegen ueber eine Gemeinschaftskueche. Mit dem fertig zubereiteten Essen gehen wir aufs Dach, wo wir wunderbar ungestoert vom lauten Stadtleben in der Sonne sitzen koennen. Fuer mich ist es das erste Mal auf meiner Reise, dass ich bei auslaendischen Privatleuten, zumal von gleichgesinnten Fernradlern zum Essen eingeladen bin, umso mehr geniesse ich es.
Wie schon bei unseren vorangegangenen Zusammenkuenften gibt es scheinbar unbegrenzten Gespraechsstoff, vor allem natuerlich ueber Reiseerlebnisse- und erfahrungen. Die beiden werden sich hier in der Stadt bis zum Fruehjahr aufhalten, Kathrin macht in dieser Zeit einen Arabischkurs. Dann wollen sie wieder mit den Raedern aufbrechen, immer gen Osten, wieder ueber die Tuerkei, durch einige GU(S)-Staaten und schliesslich ins ferne Tibet und nach Nepal. So ist ihr ehrgeiziger Plan. Auf einer Karte des gesamten Mittleren und des halben Fernen Ostens faehrt Martin mit dem Finger entlang der abenteuerlichen Route. Er hat offenbar schon erstaunlich viel Insiderwissen darueber angesammelt, welche Streckenabschnitte gut befahrbar seien und um welche Laender/Gegenden sie besser einen Bogen machen sollten. Wir reden auch noch ueber technische Details was die Bikes und Ausruestung angeht, insbesondere ueber die Verfuerbarkeit von Ersatzteilen in diesen entlegenen Weltgegenden.
Wirklich bewunders- und beneidenswert, was die zwei da vorhaben. Wuerde mich auch sehr reizen.
Wer weiss, vielleicht findet unser naechstes Treffen ja irgendwo in den Weiten des Pamir-Highways oder im Karakorum statt.
Die Wege des Fernrades sind oft unergruendlich…


106.Tag, 16.12., Damaskus – Ataman (nahe jordan. Grenze)

Km: 110 Hm: 270

Mein Kamerastativ – unentbehrlicher Reisebegleiter und bester Freund des Solo-Fernradlers – ich habe es auf der Hoteltreppe liegen gelassen, was mir erst etwa eine halbe Stunde spaeter auffaellt. So muss ich mich durch den massiven Verkehr, der von allen Seiten auf mich einstroemt, in Gegenrichtung wieder zurueckkaempfen. Als ich um die Ecke der kleinen Seitenstrasse biege, atme ich hoerbar auf, von weitem schon sehe ich das gute Stueck noch an derselben Stelle liegen.
Das ist Syrien – man nenne mir eine bliebige andere Hauptstadt der Welt – und ich haette wetten moegen: das Ding waere weg gewesen!
Knapp zehn Kilometer (was sich auf dieser Strecke abspielt entzieht sich einer realistischen Schilderung) vom Zentrum entfernt bin ich dann aus dem wuesten Verkehrschaos heraus und es geht in rasanter Fahrt auf ebener Route dahin. Die Besiedelung und Bebauung ist hier nun deutlich dichter als auf der Strecke Palmyra – Damaskus und die Landschaft bietet keine nennenswerten Reize. Irgendwann kommt der Abzweig nach Al Qunaitra, diese Stadt wurde von den Israelis in den 70-iger Jahren besetzt und arg in Mitleidenschaft gezogen. Sie ist bis heute neben den Golanhoehen Hauptgegenstand der Feindseligkeiten der beiden Laender. Besuchen und besichtigen kann man sie nur, indem man sich in Damaskus die Lizenz dafuer holt. Die Kilometer fliegen nur so dahin, ich erreiche heute den hoechsten Schnitt der gesamten Reise und trotz der spaeten Abfahrt von Damaskus komme ich nach 110 Kilometern und 4:17 Fahrzeit nach Ataman, kurz vor der jordanischen Grenze. Als es schon zu daemmern beginnt, werde ich – "wie koennte es anders sein", wird sich der geneigte Leser jetzt denken, und er hat recht – am Strassenrand bei einer Autowerkstatt zum Cai eingeladen. Daraus ergibt sich wieder einmal eine nette Gruppe interessierter Gespraechspartner und wie sich die Dinge so fuegen, ist bald klar, dass sich die Einladung ebenfalls auf Abendessen und Uebernachtung bezieht. Zeit fuer mich also zum Entspannen und Sich-Aufgehoben-Fuehlen.

VELOSOPHIE:
Fernradler – hier in Syrien bist du Koenig! Radle nur einfach friedlich dahin und sorge dich um nichts anderes, dein "Wasser und Brot" und Obdach fuer die Nacht ist nie weit von deinem Weg enfernt. Die einfachen Menschen hier bieten dir ohne zu zoegern an, was sie selbst haben. Im Austausch dafuer wollen sie lediglich, dass du erzaehlst von deinem Weg und deinem Land, aus ehrlichem Interesse am Fremden, an allem was neu ist fuer sie und das ein Stueck weit ueber das Leben hinaus weist, das sie hier in ihrem gewohnten Umfeld fuehren. Genau das ist es, was auch du gesucht hast, die einfache Bevoelkerung vom Lande zu treffen, die noch ein weitgehend authentisches Leben fuehrt und darueber im direkten Austausch zu erfahren. Kann es eine unmittelbarere Form der Voelkerverstaendigung geben? Das hat nichts, rein gar nichts mit dem Staat Syrien zu tun, dessen internationales Image bei uns zuhause, aus der Distanz, einseitig durch die Medien gepraegt wird. Sodann wird zwanghaft nach einer passenden Schublade gesucht (die es nie geben kann), um das Land dort hineinzuquetschen, es zu kategorisieren ("Schurkenstaat", G.W.Bush), um sich nicht tiefergreifend damit auseinandersetzen zu muessen. So einfach, scheinbar, laesst sich die Welt "stricken" und malen in Schwarz und Weiss, in Gut und Boese. Und wenn irgendwo eine Krise ausbricht, als Spaetfolge von mangelnder Kommunikation und Ignoranz, spricht man ein Machtwort und es werden einfach ein paar Bomben abgeworfen, damit wieder klar ist, wer hier am laengeren Hebel sitzt…

Zum Abendessen sitze ich dann zusammen mit der Familie, diesmal sogar einschliesslich der betagten Mama. Zwei der Anwesenden sprechen ganz passabel Englisch, so klappt es ganz gut mit der Kommunikation. Zwischendurch versuche ich freilich auch das eine oder andere arabische Wort aufzuschnappen und spreche es so gut wie moeglich nach. Die Themen drehen sich wie so oft um Familie, Ehe und Kinder. Sie koennen nicht so recht verstehen, wie man in meinem Alter nur unverheiratet und kinderlos sein und solo durch die Lande ziehen kannt. Man kann. Ich erklaere es ihnen so ausfuehrlich und verstaendlich wie mit der Dolmetscherei irgend moeglich. Ein bisschen fuehle ich mich wie ein Mediator/Botschafter zwischen zwei sehr unterschiedlichen Lebensweisen, Weltanschauungen und Kulturen.


107.Tag, 17.12., Ataman – Ash Shuna/Ash Shamaliyya (Jordantal)

Km: 75 Hm: 536

Auch zum Fruehstueck bewirten mich meine Gastgeber (von denen einige im selben Raum mit mir genaechtigt haben) ruehrend. Wir machen noch so einige Gruppenfotos und zum Abschied schuettelt mir jeder einzelne die Hand, mein "urspruenglicher" Gastgeber und der Grossvater, das ehrwuerdige Familienoberhaupt, umarmen mich sogar. Da stehen sie und winken mir hinterher, bis ich sie aus den Augen verliere…Dieses Bild nehme ich als letzten, wichtigsten Eindruck mit aus Syrien, einem Reiseland, das mich tief bewegt hat.
Der Grenzuebergang gestaltet sich mal wieder kompliziert, da selbst die Ausreise aus Syrien unverschaemterweise nochmals 500 SL kostet und ich damit zu wenig Bargeld fuers Einreisevisum nach Jordanien habe. An der Grenze gibt es zwar eine "Bank", allerdings nur zum Wechseln, ohne Geldautomaten. Nach einigem Hin un Her loesen wir das Problem damit, dass ich einem Grenzbeamten zwei Stangen Zigaretten vom Duty Free Shop besorge und er mir dafuer das Bargeld in Jordanischen Dinar (JP) gibt. Das Haschemitische Koenigreich Jordanien begruesst mich mit muellgesaeumten Strassenraendern. Das eklatante Fehlen jeglichen Umweltbewusstsein in muslimischen/arabischen Laendern setzt sich in Jordanien genauso, wenn moeglich noch schlimmer, fort. Kurz nach der Stadt Irbid, der zweitgroessten des Landes, wo es mit einem Male sehr huegelig wird, komme ich gar an ekelerrengenden Muellbergen, sowie an einem zweigeteilten, halbverwesten (Verzeihung, ich beschreibe lediglich was ich mit eigenen Augen sehe) grossen Hundekadaver vorbei, dicht gefolgt von vor sich hin rottenden wahren Muellgebirgen! Sogar Menschen entdecke ich, die in dem Desaster, dieser Ausgeburt menschlicher Abfallproduktion und Umweltzerstoerung herumwerkeln, beziehungsweise vor sich hin vegetieren. Die Durchfahrt hier ist nun sicherlich nichts mehr fuer sensiblere Gemueter, oder gar fuer einen Eintrag in einen Radfuehrer, etwa mit dem Titel "durchs beschauliche Jordanien", zu empfehlen. Willkommen im Koeniglichen Reich der Muellberge und Schrotthaufen! Der Koenig hat sicher Wichtigeres zu tun, als sich um diesen Dreck hier zu kuemmern. Klar, Staatsempfaenge auf Roten Teppichen und dergleichen. Eine groessere Diskrepanz zwischen abgehobener Monarchie, die im Jahre 2010 wohl kaum noch zeitgemaess ist, auf der einen und abgrundtiefer Verelendung, Armut und Bildungsmangel auf der anderen Seite, ist schwer vorstellbar.
Nach kurzen Orientierungsproblemen stosse ich schliesslich auf die Hauptroute ins Jordan-tal. Bald geht es hier dann zunehmend bergab, immer weiter und weiter fahre ich hinunter, auf die tiefste Region der Erde zu. Bei dem Ort Ash Shuna/ Ash Shamaliyya – ich bin nun schon unter dem Meeresspiegelniveau – bricht die Daemmerung ueber mich herein und ich schaue mich nach einem Platz zum Bleiben um. Mal sehen ob es in diesem neuen Land auch so einfach ist, eingeladen zu werden. Kaum habe ich den Gedanken zu Ende gedacht, hoere ich Stimmen vom Strassenrand, ich solle doch zum Cai vorbeikommen. Das lasse ich mir natuerlich nicht zweimal sagen und sitze im naechsten Moment in Gesellschaft einer Gruppe interessierter netter junger Typen und der Cai fliesst, waehrend sich mit ein paar Brocken und den ueblichen Floskeln eine Konversation ergibt. Ziemlich bald schon klingt durch, dass die Einladung – quasi selbstverstaendlich – auch fuers Abendessen und die Uebernachtung zu verstehen sei. Deshalb lehne ich mich entspannt zurueck und kuemmere mich um nichts weiter. Bis sich dann leider herausstellt, dass es aus Platzgruenden bei dieser Familie doch nicht klappt und auch das Abendessen gefloppt ist. Dafuer zeigen mir meine Gastgeber ein oeffentliches Grundstueck, wo ich mein Zelt aufstellen koenne. Allerdings ziemlich nah an der Strasse und auch sonst sehr exponiert am Ortsrand. Ein weiteres erhebliches Problem stellt sich ein, nachdem wir in den Dorfladen zum Einkaufen gegangen sind – eine wilde Horde von teils voellig unkontrollierten Strassenkids verfolgt uns laut laermend. Sie kleben wie Kletten an uns und werden sogar richtig unverschaemt. Ich bin hier natuerlich ihr gefundenes Fressen. Schnell ist klar, dass ich mich hier so flott wie moeglich aus dem Staub machen werde. Nach dem Essen breche ich quasi fluchtartig das (noch nicht aufgestellte) Zelt ab und frage im Ort vergeblich nach einer Unterkunft, beziehungsweise einem Hotel. Schliesslich bieten mir zwei Typen an, mich zu einer Uebernachtungsmoeglichkeit zu bringen. Ich folge ihrem Auto ein paar Kilometer aus dem Ort heraus. Wo wir aber schliesslich landen – eine Art geschlossene Clubanlage – ist es lachhaft teuer und viel zu laut, kommt also ueberhaupt nicht in Frage. Ich folge daraufhin der Strasse noch einen Kilometer weiter und gelange an einen ganz brauchbaren, offenbar ruhigen Platz, wo ich mich niederlasse. Die Hunderudel ganz in der Naehe fangen natuerlich wieder erst an zu klaeffen, als ich schon abgepackt habe. Vor ihnen gibt es hier sowieso weitraeumig kein Entrinnen. Als ich spaeter in einer sehr ruhigen Phase nach dieser Schlafplatzsucheodyssee im Schlafsack liege, ertoent ploetzlich laut und deutlich ein langgezogenes, hochfrequentes Heulen. Sofort kommt die Reaktion in Form von Hundegeklaeff. Dieses Heulen stammte aber wohl von Schakalen…ein fuer mich voellig neuer Tierlaut.


108.Tag, 18.12., Ash Shuna/Ash Shamaliyya – Al Kanama

Km: ca. 100 Hoehenlage: unter -300m, Tiefstpunkt der Reise

Morgens muss ich leider feststellen, dass mein Hinterreifen erneut einen auffallend platten Eindruck macht und diese Tatsache traegt dazu bei, dass meine Stimmung temporaer in den Keller sinkt. Dazu kommt, dass meine Pumpe, beziehungsweise das Ventil, oder beide nicht funktionieren. Die muehsame fast voellig vergebliche Pumperei treibt mich in den Wahnsinn und eigentlich zum ersten Mal waehrend meiner Tour verliere ich die Beherrschung. Irgendwie ist grad ziemlich die Luft raus! Mit diesem Jordanien werde ich alles andere als warm, es unterscheidet sich merklich von Syrien und ich will mehr und mehr nur noch endlich ankommen. Also weiter, weiter, wieder raus aus diesem reinen Transitland meiner Reise.
Irgendwann, nach zaehem, mit Fluechen begleitetem Ringen, gelingt es mir dann doch , halbwegs ausreichend Luft in den ausgetauschten Schlauch zu pressen und ich mache mich aus dem Sand. Bald erreiche ich das Jordantal, ohne allerdings – auch auf laengere Sicht – von dem Fluss, dessen Namen ja auch dieses Land traegt, auch nur die geringste Spur zu entdecken. Der Strassenzustand hier ist schlecht, der Verkehr dafuer umso heftiger. Die Ortschaften, die Menschen, die Kinder auf der Strasse, ihr Rufen artet oft eher in Geschrei und Hysterie aus, als dass es sich noch um ehrliche Neugier und Interesse handelt. Ja manche schrecken auch nicht davor zurueck, dem weitgereisten Fernradler Steine hinterherzuwerfen. Die Verwahrlosung und mangelnde Aufsicht durch Erwachsene ist hier allgegenwaertig. Alldas bestaerkt mich in meinem Bestreben, hier nur noch schnellstmoeglich durchzufahren. Die Sehenswuerdigkeiten Petra und Wadi Rum im Sueden sind aus Zeitgruenden sowieso schon laenger gestrichen. Rechts neben der Strasse – in der Richtung in der der Jordan angeblich liegen soll – gibt es hier ueber viele Kilometer Obst- und Gemueseplantagen, Gewaechshaus reiht sich an Gewaechshaus. Wenn man auch nur einen Bruchteil des dafuer noetigen Wassers aus dem Jordan abgezweigt hat, wird dieses Land bald ueber eine Umbennung nachzudenken zu haben, denn sein Namenspatron wird nicht mehr existieren. Auf einem Schild lese ich "Monsanto" und augenblicklich laeuft es mir kalt den Ruecken hinunter. Der weltweit im Kreuzfeuer der Kritik stehende, imperialistisch auftretende US-amerikanische Konzern, der genmanipuliertes Saatgut herstellt und den Globus damit ueberschwemmt, hat also auch in Jordanien seine schmutzigen Finger im Spiel. Noch ein weiterer Grund – nichts wie weg hier. Als die Sonne sich wieder rar macht, zweige ich rechts ab und frage bei zwei aelteren gemuetlich dasitzenden Maennern nach, ob ich mich hier irgendwo mit meinem Zelt breitmachen duerfe. Derjenige von den beiden, der dies freundlich bejaht, laedt mich aber dann doch auf sein Privatgrundstueck ein, wo ich unter Palmen wunderbar weiches Gras vorfinde. In diesem Land ist es sehr angenehm, in einem abgeschlossenem Privatbereich zu naechtigen. Das nahezu unbegrenzte Vertrauen, das ich in der Tuerkei und in Syrien hatte, hat sich in Jordanien schon in den ersten beiden Tagen verfluechtigt…


109.Tag, 19.12., Kanama – Jericho, Israel

Km: 60 Hm: 377 Hoehenlage:

Ein kurzer Morgencai mit meinen Gastgebern noch und weg bin ich wieder. Es fehlen jetzt nur noch etwa 15 Kilometer bis zum Grenzuebergang King Hussein Bridge. Am Grenzort sehe ich einen Abzweig zur Taufstaette Jesu im Jordan und ich entschliesse mich, wenigstens dort noch vorbeizufahren. Ganz so einfach gestaltet sich diese Aktion dann freilich wieder mal nicht, nach wiederholtem Fragen und einer schier endlosen Fahrerei buchstaeblich mit der Kirche ums Kreuz, gelange ich endlich zum Eintrittsbereich. Diese Sehenswuerdigkeit ist nun doch zu bedeutend, als dass sie ohne Besucherzentrum, Touristenbus und gefuehrte Tour auskaeme. Ich komme gerade noch rechtzeitig, um mein Bike abzusperren und in den Bus zu springen. Wir fahren vorbei an einigen Gedenkkirchen, die hier errichtet wurden und erreichen schliesslich den Ort, an dem Jesus durch Johannes den Taeufer getauft worden sein soll. Wasser gibt es hier heute laengst nicht mehr. Nach einem Erdbeben hat sich der Flusslauf veraendert, ausserdem gab es ja vor 2000 Jahren noch keine Massen von Monsanto-Pflanzen zu bewaessern. Immerhin kommt hier nun tatsaechlich ein traege dahinfliessendes, braeunliches Rinnsal zum Vorschein. Israel auf der anderen Talseite liegt zum Greifen nahe und Jericho laesst sich im Hintergrund erkennen. Wie einfach waere es jetzt, hier wie in alten Zeiten durch den Jordan zu schreiten und im Heiligen (heute streng abgeschirmten, bis an die Zaehne bewaffneten) Land weiterzuwandeln. Hier an diesem denkwuerdigen Ort nehme ich mir die Musse fuer ein paar besinnliche Minuten, in Dankbarkeit, dass meine Reise bis hierher so gluecklich verlaufen ist und ich nun so kurz vor meinem Ziel stehe.
Etwa zwei Stunden spaeter am jordanischen Grenzposten werde ich wieder ins Jahr 2010 und auf den Boden arabischer Buerokratie zurueckgeholt. Um die Existenz dieses zeittotschlagenden Beamtenapparates auch voll zu rechtfertigen, ist hier erstmal wieder Warten zwangsverordnet. Warten unter anderem auf einen Bus, den ich besteigen muss und der fuer die fuenf Kilometer bis zur israelischen Seite auch noch etwa sieben Euro kostet. Ferner kassieren sie fuer die Ausreise unverschaemterweise auch nochmal acht jordanische Dinar. Fuer die zwei Tage Jordanienpassage habe ich also insgesamt 25 Euro an Gebuehren berappen muessen. Von dem Geld konnte ich in Syrien manchmal bequem zehn Tage leben. Auf der israelischen Seite werde ich dann wie zu erwarten war, einer gruendlichen Kontrolle und peniblen Befragung unterzogen, unter anderem geht es natuerlich um mein Visum aus Syrien im Pass. Die Idee mit dem zweiten Pass war eine reine Farce, ich habe keine Chance, den "unbefleckten" Pass vorzuzeigen, weil der ja keinerlei Stempel der vorangegangenen Laender (ausser der Tuerkei) aufweist. Den groessten Zeitanteil macht aber die Warterei aus. Man laesst mich stundenlang rumsitzen, bevor man sich dazu herablaesst, mir endlich die Einreise zu gestatten. Nach so einigen weiteren Passkontrollen bin ich endlich durch. Ein "Welcome to Israel"-Schild empfaengt mich, hier in meinem Zielland, nicht. Das erste und einzige meiner Reiselaender, wo das der Fall ist. Nun, das habe ich nun auch nicht mehr noetig, hier leben schliesslich "meine eigenen Leute", die mich sicher am herzlichsten willkommen heissen werden. Mittlerweile ist es 19:00 Uhr und es wird mir aus "Sicherheitsgruenden" ausdruecklich untersagt, die paar Kilometer bis Jericho radelnd zurueckzulegen. Ziemlich entnervt bleibt mir nichts anderes uebrig, mich und meine Fuhre wieder in einen Bus zu verfrachten, wieder rumzustehen und zu warten und dafuer auch noch zu bezahlen. Irgendwann ist auch das geschafft und wir sind in Jericho. Mal wieder schwierige Quartiersuche, keiner kann mir hier wirklich brauchbare Angaben machen, schliesslich lande ich in einem ueberteuerten "Youth Hostel" ausserhalb der Stadt, wo ich aber immerhin auf ein ebenfalls radelndes hollaendisch/belgisches Paerchen stosse.


110.Tag, 20.12., Jericho – Jerusalem

Km: 34,5 Hm: 1.158

Aufgrund des Zeitverlusts an der Grenze und der dadurch bedingten Verzoegerung in meinem Etappenverlauf habe ich beschlossen, heute nur noch bis Jerusalem zu fahren, mir dort ein Quartier zu suchen, die Athmosphaere dort zu geniessen und die Ankunft in der Heiligen Stadt als eines meiner beiden grossen Reiseziele zu feiern. Bevor es aber soweit ist, liegt noch jede Menge Hoehenarbeit vor mir. Vom annaehernd tiefsten Punkt der Erde – ich befinde mich hier auf mehr als 300 Meter unterhalb des Meeresspiegels, das Tote Meer ist ganz nah – gilt es, mich auf etwa 800 Meter emporzuschrauben. Zeitdruck muss ich mir deswegen aber nicht machen, denn es werden nur gut 30 Kilometer sein. Also geniesse ich erst einmal ein Falafelfruehstueck mit ausreichend, halbwegs trinkbarem Kaffee. Versoehnt mit 'Israel und der Welt', nach der gestrigen eher schroffen Begruessung, mache ich mich anschliessend bester Laune daran, wieder "auf die Hoehe zu kommen", in dem feierlichen Bewusstsein , dass mich jede Pedalumdrehung, jeder ueberwundene Hoehenmeter diesem sagenhaften, historisch so bedeutenden Ort naeher bringt. Zunaechst geht es noch flach durch wuestenhafte Landschaft dahin, dann kommt aber bald der unvermeidliche Anstieg, der sich unbarmherzig kontinuierlich bis nach Jerusalem fortsetzen wird. Bei Erreichen des Meeresspiegels weist ein Schild darauf hin. Ich halte an und treffe hier einen Araber, der mit seinem reichgeschmueckten Kamel Pose steht fuer Touristenfotos und kleine Ausritte auf Meeresniveau. Auf ein Sandmeer, allerdings, schweift dabei der Blick, statt aufs Wasser.
Zwei juedisch-amerikanische Studenten tauchen aus den Sandduenen auf, ich mache noch ein paar witzige Fotos mit ihnen, dann zeigt mein Vorderrad wieder nach oben und Meter um Meter lasse ich den Meeresspiegel unter mir zurueck. Bei einer kurzer Rast begegne ich drei Kamelen, friedlich grasen sie am Strassenrand. Der Verkehr hat nun erwartungsgemaess mit der Annaehrung an die Hauptstadt stetig zugenommen, doch die Strasse ist gut ausgebaut und in bestem Zustand, so ziehe ich unbehelligt meine Bahn nach oben. Am fruehen Nachmittag, nach 1.150 Hoehenmetern, passiere ich dann die Stadtgrenze, es ist soweit – welcome to Jerusalem, Yerushalayim, Al Quds! Die Steigungen setzen sich innerhalb der Stadt ungemindert fort, sie liegt im judaeischen Gebirge, ist auf Huegeln erbaut. Schliesslich komme ich zur Altstadt, der bestens erhaltenen Stadtmauer und letztlich zum Damaskustor. Optimaler Ort und Zeitpunkt fuer ein feierliches Ankunftsfoto mit bepacktem Rad in der Nachmittagssonne. Die Reise nach Jerusalem ist abgeschlossen! Nach 6.390 Kilometern. Das Projekt "von der Isar nach Israel" ist verwirklicht und Realitaet geworden. Endlich Zeit um voellig entspannt durchzuatmen und eine ausgiebige Pause einzulegen. Den weiteren Nachmittag widme ich der wohlverdienten Rast und Nahrungssaufnahme in der tiefer sinkenden Sonne mit Blick auf die uralte Stadt, Mittelpunkt und wichtiges Zentrum dreier Weltreligionen, von denen jede einzelne Jerusalem fuer sich ansprucht, die sich die Stadt aber dennoch friedlich teilen: Judentum, Christentum und Islam. Als sie Sonne am Horizont nahe des Yaffatores verschwunden ist und es frischer wird, fange ich an, mir Gedanken wegen meiner heutigen Unterkunft zu machen. Doch ein Blick ueber meine linke Schulter genuegt – an einer Hausfassade lese ich: "The New Palm Hostel", free coffee&tea, internet. Das sieht ganz nach meiner Bleibe fuer die Nacht aus. Optimal zentral gelegen, direkt am Damaskustor. Wie sich herausstellt, ist es hier auch kostenguenstig und recht gemuetlich. Spaeter begebe ich mich auf einen ausgedehnten Streifzug durch die verwinkelten Gaesschen der Altstadt, betrete die erste (moderne) Synagoge und ploetzlich steht sie vor mir – die 'Western Wall', die Klagemauer. Dieses beruehmte uralte Monument ist seit ueber 2.000 Jahren das Zentrum juedischer Erinnerungskultur und Sehnsucht auf dem Tempelberg. Die Mauer ist der einzige bis heute erhaltene Rest, nicht – wie meist angegeben – des Grossen Jerusalemer Tempels, sondern sie ist eine der vier Waende die man um einen Huegel herum errichtet hat, um eine ebene Flaeche zu gewinnen. Sie hat als einzige der Zerstoerung durch die Roemer standgehalten und ist das wichtigste Heiligtum des Israelischen Volkes. An diesen Ort kam einst Abraham, um seinen Sohn Isaak zu opfern und Jakob schlief hier und traeumte von einer Leiter in den Himmel ('Stairway to heaven', Led Zeppelin). Erstmalig zerstoert wurde der Tempel durch den babylonischen Eroberer Nebukadnezar im Jahre 586 v.Chr. Siebzig Jahre spaeter wurde er durch Herodes wieder aufgebaut und er erhielt wieder seinen urspruenglichen Glanz. Im Jahre 70AD schliesslich fiel der Tempel der Zerstoerung durch die Roemer zum Opfer. Nur diese westliche Mauer hielt dem Angriff stand, die heutige Klagemauer. Taeglich kann man dort vor allem strengglaeubige, (ultra-)orthodoxe Juden bei ihren manchmal sehr koerperbetonten Froemmigkeitsritualen beobachten. Dazu gehoert auch, dass kleine Zettel mit Gebeten Wuenschen, oder 'Klagen' in die Mauerritzen gesteckt werden. Seltsam beruehrt bin ich von diesem ehrwuerdigen Ort, verweile hier und verbringe ein paar besinnliche Minuten. Vor allem auch das hier ist es, was ich mir unter Jerusalem vorstelle. Mein weiterer Spaziergang fuehrt mich noch ein gutes Stueck an der Mauer entlang, durch teils verwaiste verwinkelte Gaesschen, unter anderem zur armaenischen Kirche und am Holocaustmuseum (Yad Vashem) vorbei. Gerade bei Nacht und mit Beleuchtung ergeben sich hier immer wieder neue reizvolle Perspektiven. Spaeter zurueck im Hostel herrscht wieder internationals Flair. Mit einem Kanadier, einem Englaender, einem Spanier und auch Deutschen komme ich ins Gespraech.


111.Tag, 21.12., Jerusalem – bei Nablus (Westbank)

Km: 85,5 Hm: 1.244 Max.-Hoehe: 890m

Mein Vorhaben, mich morgens vor der Abfahrt noch mit Bike publikumswirksam vor der Al-Aqsa Moschee, oder dem Felsendom abzulichten, ist leider nicht von Erfolg gekroent. Die Muslime lassen mich ihr hochheiliges Territorium nicht betreten, schon gar nicht mit beladenem Fernrad. Die Puste und den Muskelschmalz, um dort raufzukommen, haette ich mir also sparen koennen. Was solls, der islamischen Welt ist es eben nicht vergoennt, den Fernradler an seinem Ziel vor einer ihrer Vorzeigemoscheen abgebildet zu sehen! Sie haben keine Ahnung was sie vesaeumen. Nach Jerusalem komme ich im Laufe meines Aufenthaltes sicher noch einmal zurueck und dann laesst sich noch einiges nachholen. Von hier gehts fuer mich direkt weiter in noerdlicher Richtung ueber Ramallah, Nablus auf der Hauptroute 60. Die Ausschilderung dorthin ist nicht eben ueppig, am ehesten noch zum Flughafen, der auch in dieser Richtung liegt. Das Auf und Ab der letzten Tage bleibt mir erhalten, das Zentrum dieses Landes besteht offenbar aus einer endlosen Huegelkette. Nachdem mir gerade wieder eingefallen ist, dass mein Zelt vor zwei Tagen nachts Feuchtigkeit abgekriegt hat, halte ich an und breite es nun schleunigst aus. In zehn Minuten ist es trocken und scheint keine Stockflecken zurueck behalten zu haben. Ramallah – ich erreiche den Standort der palaestinensischen Autonomiebehoerde bald darauf, passiere einen check point und dann eine Absperrung. Viel bekomme ich natuerlich nicht mit, von dem was sich hier drinnen abspielt, das was ich sehe, ist aber ziemlich frustrierend und erbaermlich. Ein Muellhaufen neben dem anderem. Ich taufe den Ort folgerichtig um in "Ramuellah". Nur durch hier und weg. In stetiger Berg-und Talfahrt arbeite ich mich durch dieses Land. Der Verkehr ist jetzt lebhafter als er wohl auf meiner gesamten bisherigen Fahrt war. Doch die Strassen sind gut und die Landschaft hat an Reiz gewonnen, es ist bewaldeter, kurviger und abwechslungsreicher. Am Spaetnachmittag bin ich schliesslich in Nablus und goenne mir eine Falafelpause. Anschliessend fahre ich noch bis in die Dunkelheit hinein, es geht wieder reichlich bergab, dann gibt es Unklarheiten mit dem Verlauf der Route 60. Trotz Nachfrage an einem Militaerposten ist mir noch nicht ganz klar wie ich morgen weiterfahren werde, suche mir aber jetzt erst einmal meinen Schlafplatz auf einem nahegelegenen Acker. Anruf von meinem Schwager – er raet mir dringend morgen die Westbank, in der ich mich jetzt noch befinde, zu verlassen und die Kuestenroute zu nehmen. Ich bin gerade in einer Gegend unterwegs, durch die er selbst jedenfalls nicht fahren wuerde. Zunaechst widerstrebt mir das, da es nach grobem Umweg aussieht, letztlich entscheide ich mich aber dafuer, denn damit spare ich mir wohl so einige Hoehenmeter und wenn diese Route von einem Einheimischen als wesentlich sicherer eingestuft wird, werde ich seinen Rat beherzigen. Schliesslich ist dieses letzte Land auch gleichzeitig das potentiell gefaehrlichste meiner gesamten Reise. Der Vollmond, der mich inzwischen wieder begleitet, geht als grosse gelbe Kugel auf, wies mir schon vorher den Weg und erhellt mir nun die Nacht.


112.Tag, 22.12., Bei Nablus – Haifa

Km: ca. 100 Hm: 800

"Raus aus den Federn und mach dich hier schleunigst vom Acker", das sind meine ersten Gedanken der fruehen Morgenstunde. Mein neues Etappenziel ist nun die Kuestenstadt Netanya, etwa 60 Kilometer westlich von hier. Um dorthin zu kommen befahre ich zunaechst die kleinere Route 557 und gelange ueber Sha'ar Efrayim und Qalansuwa auf die Hauptroute 57, der ich weiter nach Westen folge bis zur Anschlussstelle mit der Nord-Sued Route 4. Auf halber Strecke bei Tul Karm passiere ich einen check point und treffe auf einen netten Haufen sehr junger israelischer Soldaten beiderlei Geschlechts. Fast noch Kinder, aber schwer bewaffnet – im hochgeruestetsen Land der Welt ist man immer auf der Hut. Die Wehrpflicht fuer Jungs dauert drei, fuer Maedchen zwei Jahre. Auf mich wirkt es besonders befremdlich, diese jungen huebschen Maedels bewaffnet zu sehen. Mal wieder gibt es allgemeines Kopfschuetteln und offene Muender angesichts meiner Radlstory. Ich solle einen Radiosender kontaktieren und von meiner Tour erzaehlen und dann auch sie hier am check point Tul Karm erwaehnen. Natuerlich verspreche ich das alles, freue mich ueber den herzlichen Empfang und verabschiede mich winkend. Bald darauf finde ich ein gutes Café mit Schokocroissant und bestem Kaffee – aaaahh! So nimmt das Fruehstueck seinen Lauf.
Flott komme ich auf der 57 und schliesslich auf der Route 4 voran, welche kurz vor Netanya nach Norden fuehrt. Die Idee hier entlang zu fahren war richtig, es geht nun flach und zuegig dahin und ich bin nun endlich im "eigentlichen" Israel, das heisst im juedischen Teil. Nach ein paar Kilometern auf der Nord-Sued Route ist es ploetzlich da – zwei symetrisch geschwungene Buckel in Gelb, eines der bekanntesten und meistverbreiteten Symbole und Erkennungsmerkmale der Welt und doch bin ich in den letzten zweieinhalb Monaten davon verschont geblieben. Seit Sofia, Bulgarien habe ich soeben mein erstes McDonald's Restaurant gesichtet. In der gesamten von mir durchquerten muslimischen Welt sind diese internationalen, in der Regel amerikanischen Ketten, sowie Diskounter tabu. Es gibt dort weitgehend nur einheimische Produkte, was ich zunaechst als sympathisch empfunden und begruesst habe, da alles viel authentischer, landestypischer ist. Allerdings wird man die Vielfalt, wie man sie von zuhause gewoehnt ist, irgendwann mal schmerzlich missen. Damit meine ich jetzt freilich weniger McDonald's, als die Pizzeria an der Ecke, den Asiaten oder Mexikaner, wenn einem gerade mal danach ist. In der Tuerkei und in Syrien – selbst in den Grossstaedten – Fehlanzeige. Wie auch immer, jedenfalls naehere ich mich jetzt gerade diesem ersten gelben "m" seit Sofia, nur so interessehalber, will doch mal sehen, ob die hier schon Veggieburger haben. Haben sie natuerlich nicht. Na, dann muss eben so eine Softeiskreme her. Moechte mal wieder so richtig schoen dekadent (nach all den endlosen Wochen der tapferen Entbehrung) bei McDonald's etwas konsumieren.
Mittags kommt mir die Idee – nachdem ich es ja heute ohnehin nicht mehr bis Abirim schaffe – koennte ich meine Schwester Gabi nach Adresse und Tel.-Nr. meiner Nichte Michal fragen, vielleicht sind sie ja gerade in Haifa, dann wuerde ich diese Nacht bei ihnen bleiben und haette dann morgen noch eine gutfahrbare letzte Etappe. Gedacht, getan. Der Plan geht auf, die beiden sind da und freuen sich wenn ich komme. Auf den letzten Kilometern vor Haifa passiere ich das Karmelgebirge, wo es erst vor kurzem heftig gebrannt hat. Israel musste Loeschflugzeuge aus aller Welt anfordern, weil der Brand so schwer in den Griff zu kriegen war. Hier mache ich einen kurzen Abstecher zum Eingang des Nationalparks und pausiere in der Nachmittagssonne mit Blick auf die imposanten Felsen ringsum. Ein paar schwarze Stellen sehe ich auch hier schon. Meine Ankunft in Haifa, Israels wichtigster Hafenstadt, feiere ich mit einem wunderbaren Kaffee und einem Imbiss im 'Maxim', einem Lokal direkt am Meer (vor ein paar Jahren starben hier bei einem Bombenanschlag 15 Menschen, wie ich spaeter erfahre). Auf der Terasse beobachte ich die langsam tiefer sinkende Sonne und sinniere darueber nach, dass ich vor sechs Wochen am jenseitigen Ende dieses Meeres stand und mich fragte wie es wohl sein wuerde, wenn ich irgendwann auf der anderen, nun auf dieser Seite, waere. Nun bin ich tatsaechlich hier und "blicke" von Sueden her auf Zypern.
Bei der Weiterfahrt muss ich feststellen, dass jetzt, auf den letzten hundert Kilometern, mein Bikecomputer batteriebedingt schlappgemacht hat, und dass ich daher bei der nun folgenden Auffahrt leider keine Hoehenangabe mehr habe, um diese Knochenarbeit zu dokumentieren. (Es sind 400m, wie ich mir spaeter sagen lasse). Carmel Center heisst der Stadtteil, den ich aufsuchen muss, und eigentlich dachte ich: nun dann fahre ich da halt nochmal eben hin, kann ja jetzt wohl nicht mehr so wild sein, in Haifa bin ich ja schon. Allerdings weiss ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sich meine Kontaktadresse just am obersten Punkt dieser verflixt vertikalen Stadt befindet und dass es sich bei Carmel Center in Wahrheit um Mt.Carmel handelt, den ich als den Mt.Everest Israels bezeichnen wuerde. Es kommt jedenfalls nochmal richtig Arbeit in Form von zaehnezusammen-beissender, knackiger Hoehenueberwindung auf mich zu. Zaeh schraube ich mich Meter um Meter an diesem Moloch empor, der Neigungswinkel erreicht stellenweise sicherlich 12-15%. Das Auditorium ist mein Zielpunkt. Als ich endlich dort bin, (kurz bevor ich das ewige Eis erreiche, haha) kippe ich schier aus den Latschen. Aber geschafft ist geschafft. Dafuer ist der Blick von hier oben aus erwartungsgemaess grandios. Die Strasse ist schnell gefunden. Als Erkennungsmerkmal soll eine "Kuh auf der Tuer" sein. Wenn auch die Lage der Wohnung nicht ganz mit der Beschreibung ueberein stimmt, so finde ich doch den Wiederkaeuer am Eingang, was ich als eindeutig sicheres Indiz werte. Es ist aber entgegen der Vereinbarung niemand zuhause. Ich mache mich also wieder auf die Socken, um mit einem Bierchen eben alleine meine sauerverdiente Ankunft zu feiern. Bei der Bank, auf der ich mich niederlasse, um die Aussicht zu geniessen, entdeckt mich schliesslich Uri, der Freund meiner Nichte Michal. Ihr Haus ist doch ein anderes, nur dreissig Meter entfernt, bei ihnen stimmt die beschriebene Lage der Wohnung und – eine Kuh haben sie auch auf der Tuere, obwohl die in der Gegend eigentlich nicht so haeufig sind! Auch gut, nehme ich eben diese Kuh und diese Wohnung, mir ist heute inzwischen alles recht. Herzliche Wiedersehensfreude besonders mit Michal, wir feiern spaeter noch in einem Pub mit einer Gruppe von Freunden. Zu guter Letzt kommt auch noch meine Nichte Shachar dazu. Ich bin froh und gluecklich, nun den ersten Vorposten meiner Familie in Israel erreicht zu haben.
Uebrigens ist heute auch der kuerzeste Tag des Jahres. Ab heute wird die Sonnenscheindauer wieder laenger.


113.Tag, 23.12., Haifa – Abirim

Km: ca. 80 Hm: ca. 1000

Nun ist er also gekommen, der letzte Tag meiner Radreise "von der Isar nach Israel". Wirklich realisieren werde ich das wohl erst eine Weile nachdem ich angekommen bin.
Carmel Center ist ein quirliger, lebendiger Stadtteil von Haifa mit dieser besonderen, "abgehobenen" Berglage mit phantastischem Blick auf den Hafen und die Unterstadt. Eine herausragende Sehenswuerdigkeit hier oben stellen die "Baha'i Gardens" dar, die man auch in Akko findet. Sie geniessen den Status eines Weltkulturerbes der UNESCO. Jetzt fehlt mir die Zeit dafuer, wenn ich aber nochmal nach Haifa komme, werde ich mir diese einzigartige Anlage ansehen. Die gestern sauerverdiente Hoehenlage kostet mich heute so einiges an Bremsbelag und bringt mich wieder mal zu der Erkenntnis, dass das Leben nun einmal ein ewiges Auf und Ab sei. Haifa zieht sich wie ein endloser Schlauch dahin, ich passiere die gewaltigen Hafenanlagen, dann die Vororte. Fast uebergangslos folgt Kiryat Yam, der Verkehr ist hier nun die Hoelle, alles zieht sich laenger hin als meine Karte vermuten laesst und ist mit Baustellen uebersaeht. Endlich bin ich in Akko. An einer Kreuzung hupt mich ploetzlich ein Lastwagenfahrer wie wild an. Ich ignoriere ihn zunaechst, aber er laesst nicht locker. Ohnehin leicht genervt vom Verkehr denke ich – was will der Depp?! Schaue mich um, da sehe ich ihn am Strassenrand stehen, ohne Unterlass wild hupend. Also mache ich kehrt - dem werde ich jetzt aber was erzaehlen - da sehe ich ihn eifrig gestikulierend im Fuehrerhaus sitzen, lange Maehne, ein Rauschebart wie Ruebezahl – unmoeglich, das kann nicht sein! 18 Jahre ist das her?! Mir kommt es vor wie vorgestern. Er ist es tatsaechlich – hat sich sogut wie nicht veraendert, abgesehen ein paar Faeltchen auf der Stirn – mein Schwager Is'rael, fuer mich der "Prototyp des israelischen Urgesteins". Kurz darauf liegen wir uns ungeachtet der hupenden Autos um uns herum herzlich in den Armen. Auf den folgenden letzten 50 Kilometern begegne ich ihm noch haeufiger am Strassenrand und ich komme nicht umhin, zu denken – Mann, der ist ja schlimmer als der syrische Geheimdienst! Na ja, aber viel harmloser und er bietet mir Verpflegung an und den Transport meines Gepaecks (was ich natuerlich strikt ablehne). In Nahariya, wo die flache Route schliesslich zu Ende ist und mich zu guter Letzt noch ein paar saftige Bergetappen erwarten, geniesse ich eine Pause bei Kaffee und Gebaeck in der Nachmittagssonne. Diese Entspannungsphase habe ich auch bitter noetig, wie sich bald zeigen wird. Bis Ma'alot, den naechsten grossen Ort, zieht sich die Strasse in stetiger Steigung dahin. Leider bin ich heute nicht so ganz fit, da mich seit einer Weile Magenprobleme plagen und ich auch nicht ausreichend geschlafen habe. Ab Ma'alot werden die Gefaellestrecken abschuessiger, die Talsohlen spitzer und gegenueberliegenden Anstiege immer giftiger. Die Tatsache, dass ich nur noch ein paar Kilometer von Abirim entfernt bin, bringt mir nichts, ich muss erst diese sich unter mir ausbreitende Schlucht umfahren und das bedeutend ein schier endloses Auf und Ab, mal eine rechte Haarnadelkurve, mal eine linke. In Serpentinen arbeite ich mich muehsam und zuweilen scheinbar mit letzter Kraft steilste Auffahrten empor, um sogleich wieder ein atemberaubendes Gefaelle hinabzusausen. Bei eingebrochener Dunkelheit muss ich mich auch auf den aeusserst dichten Verkehr konzentrieren. Wie schon von Is'rael angekuendigt, taucht dann an einer bestimmten Stelle auch Gabi auf, um mich die letzten Kilometer durch die Finsternis bis zu ihrem Haus zu eskortieren. Die Wiedersehensfreude ist gross, die Begruessung herzlich. Nach ausgiebiger Umarmung reicht sie mir das Bier, das sie mir mitgebracht hat. Selbst diese allerletzte Etappe hat es noch einmal in sich – die Strasse wird schlechter, unuebersichtlicher und gefaehrlicher, froh bin ich hier nun "Geleitschutz" zu haben, allein haette ich die Route auch nicht so ohne weiteres gefunden. Irgendwann erreichen wir dann den Ortseingang von Abirim, die Strasse fuehrt in einer Schlangenlinie durch die kleine Siedlung mit 45 Familien und dann ist der Augenblick gekommen – Gabi haelt vor einer Schottereinfahrt, die durch ueppige Vegetation hindurch zu ihrem Haus fuehrt. "Hallo Stefan, hier bist du richtig. Willkommen in Abirim!", steht auf einem handgeschriebenen Schild. Ich bin an meinem selbstgesteckten Ziel angelangt: Nach 6.660 Kilometern und 113 Tagen unterwegs habe ich meine Radreise "von der Isar nach Israel" wie geplant zu Ende gefuehrt.
Die Anspannung der letzten Wochen und Monate, die ich mal deutlich und mal kaum als solche empfunden habe, faellt von mir ab und ich atme tief durch. Eine Reise reich an unvergesslichen Erlebnissen und Eindruecken, tiefpraegenden Begegnungen und Abenteuern geht zu Ende. Ich bin gluecklich und auch stolz, es geschafft zu haben und freue mich jetzt auf einen entspannten, interessanten, vor allem aber geselligen und humorvollen Ausklang mit meiner "Fernfamilie" hier in Israel.


Teil XI: Aufenthalt in Israel, 23.12.2010 bis 11.01.2011

Am späteren Abend des 23.Dezember kommen auch noch Michal und Shachah aus Haifa nach und es wird für mich ein geselliger Willkommensabend in Abirim. Ein erster Erkundungsgang mit Gabi und Fistuk, einem ihrer beiden noch übrig gebliebenen Hunde (zeitweise waren es fünf), durch die nähere Umgebung erfolgt am nächsten Tag. Abirim liegt inmitten einer idyllischen, flächendeckend bewaldeten Hügellandschaft. In den 80-iger Jahren hat die Regierung hier kostenlos Land an die Bevölkerung abgegeben, um die Gegend, die nur wenige Kilometer von der libanesischen Grenze entfernt liegt, zu besiedeln. Auf dieselbe Weise sind auch die Ortschaften Matat und Charshim im näheren Umkreis entstanden. Es finden sich im Gelände immer wieder Spuren, die auf eine historische Besiedelung schließen lassen, wie zum Beispiel Wasserreservoirs, Reste von Steinbauten und dergleichen. Die Namensgebung des Ortes Abirim ergibt sich aus dem hebräischen Wort "Abir", zu deutsch "Ritter". Eine alte Festung aus Felsquadern stellt hier den Zusammenhang her. Wir kommen auch an Unterkünften für Urlauber und Wanderer vorbei. Eingebettet in die Natur kann man hier in einfachen Hütten mit Gemeinschaftsbereichen und Feuerstellen übernachten. Zahlreiche Wanderrouten führen durch die hiesigen Wälder. So kann man beispielsweise auf dem Weg vom Mittelmeer in den Süden des Landes hier Station machen. Außerdem gibt es hier ein Gestüt, auch Reitausflüge lassen sich hier äusserst reizvoll gestalten.

Wir schreiben heute den 24.Dezember, doch es weihnachtet nicht übermässig hier im `Heiligen Land´. Zumindest nicht im jüdisch besiedelten Teil Israels. Um doch wenigstens einen kurzen Eindruck davon zu bekommen, wie die christlichen Araber den Geburtstag ihres Religionsstifters begehen, fahren wir im Laufe des Abends in den Nachbarort Fassouta. Abgesehen von – selbst für mitteleuropäisch geprägte Augen – leicht kitschig anmutender Weihnachtsdekoration, wird hier der Freude über das Ereignis auch durch das Abschiessen von Feuerwerkskörpern Ausdruck verliehen. Stille Nacht, heilige Nacht? Die Kirche steht dunkel und verlassen da, immerhin ist davor eine beleuchtete Krippe aufgebaut. Im Hintergrund werden per Band Lieder abgespielt, um die weihnachtliche Stimmung zu unterstreichen. Um 23:15 soll hier eine Art Christmette stattfinden, wie wir von einer Gruppe in Santa-Claus-Outfit erfahren. Sie singen `besinnlich´: "We wish you a merry christmas..." Diesen Termin werden wir wohl nicht wahrnehmen, nicht zuletzt weil sich keine hinreichend enthusiastischen Interessenten dafür finden lassen und ich außerdem gerade heute abend erheblich mit Magen/-Verdauungsproblemen zu kämpfen habe. So machen wir uns – inzwischen ist auch Uri eingetroffen – in kompletter Besetzung einen gemütlichen Abend daheim mit reichlich Kulinarischem. Ich allerdings verbringe ich einen Großteil davon in Horizon-tallage auf der Couch. Eine CD mit Weihnachtsliedern von Bruder Norbert aus der fernen, tiefverschneiten Heimat sorgt dann doch gerade noch rechtzeitig für die angemessene Besinnlichkeit - .

Der 1.Weihnachtstag begrüßt uns mit einem Bilderbuchwetter, weshalb wir – Gabi, Is´rael und ich beschließen, einen Ausflug an die See zu machen. Sollen die daheim bei Eis und Minusgraden bibbern, wir hechten uns bei Sonne und blauem Himmel in die Fluten! Sogar ein Seekajak und einen Lenkdrachen haben wir im Gepäck. Mit ersterem steche ich auch schon bald nach ausführlicher, leicht übertriebener, Einweisung in See und nehme Kurs auf zwei kleine vorgelagerte Felsinseln. Eine tolle Tour ist das, mit ganz anderen Bewegungsabläufen, ich genieße sie in vollen Zügen. Ideale Bedingungen herrschen heute, es ist fast windstill und angenehm mild, das Wasser misst etwa 20 Grad. Vor allem habe ich endlich wieder Meer um mich herum, das ich solange missen musste. Bei einer der Inseln gibt es eine verschwiegene, geschützte Bucht. Ich lege an und springe ins blaue, kristallklare Nass. Was für ein Traum! Anschließend lege ich von Land aus noch eine ausgiebige Schwimmrunde ein. Is´rael experimentiert einstweilen mit dem Fluggerät. Zeitlich passend ist inzwischen auch eine ordentliche Brise aufgekommen, er hat alle Hände voll zu tun, das Geschoss zu maneuvrieren und einen Absturz zu vereiteln. Ein paarmal kratzt er kurz vor den Sanddünen gerade noch die Kurve. Gabi hat unterdessen Bekannte, ambitionierte Schwimmerinnen, getroffen, mit denen sie eine ausgedehnte Trainingsrunde einlegt. So lang sind sie unterwegs, dass sie anschließend zitternd kaum die angebotene Teetasse halten kann...
Abends sitzen wir nochmal alle eine Weile beisammen, bevor Michal und Uri nach Haifa zurück müssen. Mein Versuch ohne entsprechende Vorbereitungszeit ein paar Tourenbilder zu präsentieren, scheitert kläglich an örtlichen technischen Problemen, außerdem klingelt ständig irgendwo ein Handy. So kurz vor Abfahrt der beiden lässt die Aufmerksamkeit mehr und mehr zu wünschen übrig.

Das Traumwetter hält auch am 2.Weihnachtstag an. Gabi, Shachar und ich begeben uns auf eine Fußtour durch ein wunderschönes, dicht bewaldetes Tal. In dieser Gegend haben Michal, Shachar und Daniel viel Zeit während ihrer Kindheit verbracht. Wir können direkt vom Haus aus losgehen und bewegen uns immer weiter in einen Canyon mit steil aufragenden Felswänden hinein. Der Weg verläuft meist am Bach entlang. Hier und da ergeben sich verfüherische Gumpen, die zum Wässern einladen...An einer dieser Stellen, wo sich noch vereinzelt Sonneneinstrahlung findet, ist Fototermin. Als ich dann schon wieder draußen stehe und mich kräftig mit dem Handtuch trocken abrubble, fällt Gabi plötzlich auf, dass sie gerade die eben gemachten Aufnahmen versehentlich gelöscht hat, um auf ihrem Mini-Speicherchip wieder Platz zu schaffen! Also nochmal rein ins doch etwas frische Nass! Natürlich kommen nie wieder dieselben Bilder dabei raus - nun ja - such is life.
Per Zufall kommt dann auch noch zur Sprache, dass heute ja mein Geburtstag ist. Meine Bescheidenheit hat es freilich nicht zugelassen, damit von mir aus herauszuplatzen. Auf dem Rückweg aus dem Tal heraus erklimmen wir die Festung Monfort und genießen die wunderbare Aussicht in der späten Nachmittagssonne. Mein Neffe Daniel wird uns an einem vereinbarten Treffpunkt auf der anderen Seite der Schlucht mit dem Auto abholen, somit müssen wir nicht denselben Weg zurück. Kurz bevor es soweit ist, werden wir fast noch Augenzeugen der Geburt zweier Ziegen, sie sind noch ganz feucht und staksen unsicher und wackelig auf ihren dünnen Beinchen durch die Welt. Sie hätten sich keinen besseren Geburtstag aussuchen können.
Abends überraschen mich meine Gastgeber dann mit einem leckeren Geburtstagauflauf mit viereinhalb Kerzen und einer Flut von Luftballons. Nicht zu vergessen natürlich der reichlich gedeckte Tisch. Im Gegensatz zum Heiligen Abend kann ich jetzt mit zurückgewonnenem Appetit und rehabilitiertem Verdauungsapparat auch schon wieder beherzt zugreifen. - Mein Geburtstag mal ganz anders.
Die nächsten Tage ziehe ich mich wieder zurück vom Geschehen, denn es gilt eine Menge Schreibarbeit zu bewältigen. Gabi arbeitet ohnehin regulär im Kindergarten, ansonsten ist wieder jeder mit sich beschäftigt. Also nütze ich die Abgeschiedenheit und Ruhe hier, um meiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen und so manchen Gedanken in Worte zu fassen.

Am Donnerstag, den 30.12., Gabis freiem Tag, wollen wir eine Biketour machen. Schließlich hat sie eigens zu diesem Anlass ihr `leicht antiquiertes´ Mountainbike (Modell späte 80-iger Jahre) abgestaubt und ich hab ja schon fast Entzugserscheinungen, so lange bin ich nicht mehr auf meinem Velo gesessen. Es gibt einen richtigen Mountainbike-Führer und entsprechendes Kartenmaterial für Israel. Beides ziehen wir zu Rate und entscheiden uns für eine Tour mit etwa einstündiger Anfahrtszeit. Als es dann allerdings soweit ist, macht uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung, es erscheint fraglich, ob sich die weite Anfahrt lohnt. Außerdem erweist sich der Transport der Bikes auf dem montierten Heckträger als problematisch, sie lassen sich auf diesem (wohl etwas billigeren) Modell nicht richtig fixieren – jedenfalls nicht innerhalb des Zeitfensters, das wir dafür noch haben, sodass wir bei jeder der (hier äusserst häufigen) Geschwindigkeitsbegren-zungsschwellen (hoffnungsvoller Anwärter für das Unwort des Jahres in Israel!) befürchten müssen, dass es uns die ganze Fuhre um die Ohren, beziehungsweise vom Auto haut. Folglich machen wir kurzerhand wieder kehrt und beschränken uns auf eine zwei- bis dreistündige Tour über die Hügel und durch die Dörfer der näheren Umgebung. Für mich auch neu und durchaus reizvoll. Rauf und runter geht es in dieser Gegend sowieso ständig.
Meinen ursprünglichen Plan, am Sylvestertag schon früh nach Haifa zu fahren, um noch einige Besichtigungen in der Stadt zu machen, vor allen Dingen die `Bahá ì Gardens´, werfe ich über den Haufen, weil ich noch ziemlich mit Schreiben beschäftigt bin. Stattdessen machen Gabi, Shachar und ich uns am frühen Abend auf den Weg dorthin, um mit Michal und Uri in ihrer Wohnung Sylvester zu feiern. Unterwegs decken wir uns noch mit Lebensmitteln ein, zum einen fürs Abendessen und zum anderen auch schon für die folgenden Tage, die wir am Toten Meer, in der Wüste Negev und in Jerusalem verbringen wollen. Eine ähnliche Erfahrung wie mit dem Weihnachtsfest mache ich nun auch an Sylvester hier in Israel: auch der Jahreswechsel peitscht die Einheimischen nicht gerade zu emotionalen Luftsprüngen auf. Das liegt sicher auch daran, dass das jüdische Neujahr ja eigentlich in den September fällt. Wenn überhaupt dann wird lediglich in den Großstädten gefeiert, die naturgemäß westlicher geprägt sind – hier passt man sich mehr dem Kalender und den Gepflogenheiten der restlichen Welt an. Doch selbst hier in Haifa, der drittgrößten Stadt Israels, verläuft dieses Ereignis äusserst ruhig, keine Böllerei auf den Straßen und keine ausgelassenen Trinkgelage, was mir alles sehr sympathisch ist. Wir sitzen gemütlich bei leckeren Speisen beieinander. Um zwölf (in Deutschland ja eine Stunde später) wird ohne überschwengliche Emotionen angesichts des stark ergrauten und schließlich dahinschwindenden Jahres 2010 und zur Begrüßung eines blutjungen verheissungsvollen 2011 angestoßen.
Für mich persönlich geht ein außerordentlich ereignisreiches und spannendes Jahr zu Ende. Dankbar und sehr zufrieden bin ich vor allem, dass meine Radreise so gut und unfallfrei verlaufen ist und ich mich bester Gesundheit erfreue. Gespannt und guten Mutes blicke ich nun dem neuen Jahr entgegen.
Wie könnte man ein neues Jahr besser beginnen als mit einer Reise? In meinem Fall ist es sozusagen eine Reise in der Reise. Mit dem Unterschied, dass ich mich jetzt erstmalig seit vier Monaten statt auf zwei selbstangetriebenen Rädern auf vier motorbetriebenen fortbewege.
Wir setzen unseren Weg nach Süden fort, aus Haifa heraus durch die Carmel Mountains. Hier hat es vor ein paar Wochen nach einer langen Trockenperiode heftig gebrannt. Bei dem Versuch, Bewohner aus ihren Häusern zu retten, die zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr dort waren, kamen 41 Rettungskräfte auf tragische Weise selbst ums Leben. Die Universität von Haifa, die an das Katastrophengebiet grenzt, wurde geschlossen. Da die israelische Luftwaffe zwar zu den hochge-rüstetsten der Welt zählt, allerdings nicht über zivile Löschflugzeuge verfügt (!), musste diesbezüglich globale Hilfe angefordert werden. Eine Fläche von vierzig Quadratkilometern und zahlreiche Häuser sollen den Flammen zum Opfer gefallen sein. Bei unserer Fahrt durch die Region sehen wir zwar immer wieder einzelne verbrannte Stellen, nicht aber die Kernzone, in der das Feuer gewütet hat.
Als es Zeit geworden ist, für die erste Nahrungsaufnahme in diesem jungen Jahr, steuern wir einen Rastplatz an, dem gegenüber sich eine Lokalität befindet, die mit dem bekannten goldenen M gekennzeichnet ist. Die beiden Cappuccinos, die ich dort erwerbe, kommen mir verdächtig leicht vor, sie enthalten auch erwartungs-gemäß praktisch ausschließlich Milchschaum und heiße Luft, den Kaffee muss man mit der Lupe suchen. Als Gabi mit ihrem Becher fertig ist, bemerkt sie, dass bei ihr überhaupt kein Tropfen der begehrten schwarzen Flüssigkeit drin war. Das bringt nun aber das "Fass zum überlaufen", ich marschiere schnurtracks zurück in den Saftladen und reklamiere diese dreiste Mogelpackung. Dort tut man so, als würde das alle nasenlang vorkommen, bleibt gelassen, betreibt gar nicht erst den Aufwand sich zu entschuldigen und händigt mir einen neuen Becher aus, diesmal mit Kaffeezusatz, wenn auch natürlich wieder mengenmässig verschwindend gering. Nun, das chique "In-Gebräu" Cappuccino ist für mich erstmal gestorben. Falls überhaupt werde ich es mir nur noch in richtigen Cafès servieren lassen. Alles andere ist reine Schaumschlägerei. Anschliessend hole ich mir an der nahegelegenen Tankstelle noch einen "richtigen" Kaffee.

Unser erstes outdoor Ziel, der Nationalpark Ein Prat, östlich von Jerusalem, rückt näher. Nicht ganz leicht zu finden war der Ort, doch jetzt sind wir auf einer schmalen Serpentinenstraße, die uns weit hinunter in eine Schlucht führt. Die Szenerie wird zunehmend spektakulärer, schließlich erreichen wir eine kleine Oase, von wo aus wir uns zu Fuß weiter bewegen. Der Park schließt um 16:00, damit bleiben uns für unsere Erkundungstour aufgrund der späten Ankunft nur ca. zwei Stun-den. Die Zeit reicht aber aus, um den sehenswertesten Teil des Wadis zu begehen und uns von diesem Naturwunder, einer Schlucht mit imposanten Felsforma-tionen beeindrucken zu lassen. Auch ein El Dorado für Kletterer, von denen wir hier einige antreffen. Es gibt hier sogar ein kleines Kloster, das sich eng an eine Felsmauer schmiegt. Die Mönche haben sich eine ideale Eremitage gesucht für ihren Rückzug aus der Welt und innere Einkehr. Leider ist das Areal derzeit nicht von innen zu besichtigen, von einem erhöhten Standpunkt aus können wir aber zumindest einen Blick hineinwerfen.
Schon sehr angetan bin ich von diesem ersten kleinen Ausflug zu einem der Naturwunder Israels und gespannt was uns noch alles erwartet in den nächsten Tagen in der Wüste Negev und am Toten Meer. An letzterem landen wir schließlich nach langer Abfahrt und erreichen damit den tiefsten Punkt der Erde, mittlerweile über 400 Meter unter dem Meerespiegel gelegen. Das Tote Meer ist der klägliche Überrest eines Urmeeres, das einst mit dem Mittelmeer verbunden war. Jetzt, nachdem sein einziger natürlicher Zulauf, der Jordan, praktisch versiegt ist, trocknet es immer mehr aus und seine Küste zieht sich pro Jahr im Durchschnitt um einen Meter zurück. Entsprechend erhöht sich der Salzgehalt des Wassers immer weiter. Die Namensgebung geht vermutlich auf Hieronymus aus dem 4.Jahrhundert zurück. Entgegen seinem Namen ist dieses Gewässer nicht völlig tot, das Leben beschränkt sich jedoch weitgehend auf Mikroorganismen, insbesondere Bakterien, die Salpeter, Schwefel und Cellulose abbauen. Auch manche Pflanzen mit extremer Salztoleranz, sogenannte Halophyten, können in diesem Ambiente überleben.
Auf unserer Suche nach einem geeigneten Zeltplatz steuern wir aufgrund einer Empfehlung von Uris Vater eine kurvenreiche Straße hinauf und landen an einem eingezäunten Territorium, wo Übernachtungen zwar möglich wären, allerdings ist die Einrichtung vollbesetzt und nicht das, was wir uns vorgestellt haben. Also machen wir kehrt und suchen uns in Ein Gedi einen Lagerplatz, unweit der Küste. Hier hat schon jemand seine Zelte aufgestellt und ein Feuer entfacht. Sobald auch unsere mobilen vier Wände im Sand stehen, lassen wir uns zu einer bescheidenen Abendmahlzeit nieder und genießen erstmals Lagerfeueratmosphäre.

Seit zehn Tagen war das meine erste Zeltnacht und leider verlief sie nicht ruhig und schlafreich. Der Lärmpegel an diesem Ort war einfach zu hoch. Umso gelegener kommt mir das morgendliche Bad in den salzigen Fluten. Wenn man auch tunlichst vermeiden muss, hier komplett einzutauchen, was ich in normalen Gewässern prinzipiell tue. Das Wasser ist erstaunlich bewegt und schimmert grünbläulich, sodass man sich fast vorkommt wie an einem "echten" Meer. Bis man ins Wasser steigt, dann merkt man schnell, dass da "was nicht stimmt". Natürlich wäre ein Wassergang (es als "Schwimmen" zu bezeichnen, wäre vermessen) im Toten Meer nicht komplett ohne eine (möglichst aktuelle) Ausgabe der Jerusalem Post. Also balanciere ich vorsichtig über die salzüberkrusteten, teils scharfzackigen Felsen, in einer Hand die Zeitung, die selbstverständlich unversehrt bleiben soll, bis ich schließlich meine endgültige Parkposition in Rückenlage erreicht habe. Da, wie erwähnt, nicht unerheblicher Seegang herrrscht, ist dieses Unterfangen gar nicht so einfach, wenn man bedenkt, dass das Gesicht mit seinen höchst sensiblen Körperpartien keinerlei Spritzer von dieser Salzlauge abbekommen sollte. Zudem habe ich alle Hände voll – nein die eine freie Hand – damit zu tun, mich in die optimale Position zu rudern, damit Gabi vom Ufer aus auch spektakuläre Aufnahmen gelingen. Nun, nachdem wir ein eingespieltes Profiteam sind, kriegen wir das souverän hin. Diesmal löscht sie auch nicht die Fotos wieder aus Versehen, weil sie neuen Speicher braucht.

Heute steht das Wadi David bei Ein Gedi auf dem Programm. Das scheint eine der bekanntesten und sehenswertesten Destinationen in der Gegend zu sein, wie sich unschwer an den zahlreichen Besuchergruppen, in erster Linie bestehend aus israelischen Schulklassen erkennen lässt. Für den arglosen natur- und stilleliebenden Wanderer gibt es zahlreiche Abstufungen von Ärgernissen und Störfaktoren. Bei der Erläuterung derselben will ich mich hier auf den "gemeinen Störfaktor" Kind, beziehungsweise Jugendlicher beschränken. Ein einzelner Vertreter dieser Spezies kann schon lästig sein und den unverfälschten Naturgenuss beispielsweise durch Plärren oder Quengeln für den unschuldig sich in der Nähe befindlichen Zeitgenossen arg in Mitleidenschaft ziehen. Schlimmer ist es wenn sie in Gruppen auftreten. Noch schlimmer sind Schulklassen. Am schlimmsten aber, sind unbestritten - israelische Schulklassen. Vor ihnen ist niemand sicher. Ihr Rufen, Schreien und durch gruppendynamische Prozesse manchmal hysterisch aufgepeitschtes Gekreische und Gelächter ist oft kilometerweit zu hören und dringt auch noch in die entlegensten Winkel und Canyons, in denen Millionen von Jahren Stille geherrscht hat. Die erste und vornehmste Lektion, die israelische Schulklassen hier lernen sollten, ist Respekt und das Ruhebedürfnis der Natur und ihrer Besucher. Für mich, den Fernradler, der wochenlang in einsamen Berg- und Wüstenregionen unterwegs war, und der die Stille kennen- und lieben gelernt hat, haben diese akkustischen Tsunamis besonders verheerende Auswirkungen auf die Trommelfellregion.
Nun möchte ich jedoch diese Schilderung natürlich nicht so wirken zu lassen, als wären die gerade beschriebenen meine alles beherrschenden Eindrücke gewesen. Das Wadi David verdient es zweifelslos zu den grandiosesten und populärsten Landschaftshighlights dieser Region, wenn nicht des ganzen Landes, zu gehören. Der Weg, der immer wieder durch dichte, oasenartige Vegetation führt, wird von einem Bach begleitet, dessen Wasser in zahlreichen Kaskaden durch Felsspalten herabfällt und sich in Becken sammelt, die zum erquickenden Bade einladen. Sobald wir eine gewisse Höhe erklommen haben und je weiter wir in den Canyon vordringen, desto mehr kommen wir auch von den Besuchergruppen, namentlich den Schulklassen weg und desto mehr kann sich auch wieder Beschaulichkeit und Ruhe einstellen. Eine Quelle, deren glasklares Wasser einen kleinen Pool bildet, haben wir dann sogar ganz für uns allein. Ein phantastischer Ort für ein paar gute Fotoaufnahmen. Später, weiter oben, wieder in die Schlucht zurückgekehrt, führt uns die Route sogar bis ins trockene Bachbett hinab, an einer Stelle wo die Felswände zu beiden Seiten steil aufragen. Faszinierend ist es hier zu gehen, denn man muss immer wieder kletternd Felsbrocken überwinden und sich durch Felsspalten zwängen oder nach oben hieven. Mit dieser Runde über den Canyongrund beschliessen wir unseren Exkurs durch das Wadi David, machen eine Kehrtwende und bewegen uns auf einem Höhenweg wieder zurück in Richtung Totes Meer und zum Ausgangspunkt. Bei all unseren Touren in dieser Gegend müssen wir einen von der Parkverwaltung reichlich strikten Zeitplan im Hinterkopf behalten, der uns vorschreibt um 16:00 wieder draussen zu sein. Auch für bestimmte Stationen innerhalb des Wadis haben sie Zeitpunkte festgelegt, wann man dort vorbeikommen sollte, um es bis zur besagten Zeit zu schaffen. Stark übertrieben, wie wir bald feststellen. Nun, so haben wir Zeit, um an besonders beeindruckenden Stellen zu pausieren. Bisher völlig zu kurz gekommen in dieser Schilderung sind diverse Arten von Lebewesen, denen wir hier immer wieder begegnen. Sie sind jedenfalls schon viel länger hier als die israelischen Schulklassen und machen deutlich weniger Lärm. Gemeint sind zum einen relativ kleine Nagetiere, die eine vage Ähnlichkeit mit Hasen haben, bis auf die fehlenden Löffelohren. Sie tauchen stellenweise regelrecht in Scharen auf, sind aber meist schwer zu fotografieren, weil sie sich kaum von ihrem Hintergrund abheben. Zum anderen treffen wir eher im unteren Bereich auf eine Art Steinbock. Es gibt auch von ihnen ganze Herden, die Tiere sind fast zahm und erstaunliche Kletterkünstler, selbst auf Bäumen und Ästen. Ausgezeichnete Fotomotive!
Reich hat unser dieser Tag mit Eindrücken und Erlebnissen beschert und wir machen uns auf den Weg weiter Richtung Masada/Metsada, die berühmte Bergfestung, unser Ziel für den nächsten Tag. Ein Stück unterhalb davon finden wir einen guten Zeltplatz mit bereits angelegter Feuerstelle und übrigem Holz. Die Lebensmittelversorgung ist hier schon gar nicht mehr so einfach, es gibt keine Läden und unsere Vorräte gehen zur Neige. Jedoch machen wir einen Araber in seinem "Restaurant" ausfindig, der uns ein reichhaltiges Abendmahl zusammenstellt. Wir genießen es vor stimmungsvoller Kulisse am Lagerfeuer.

Bergfestung Masada (hebräisch: Metzada)

Der symbolträchtigste Ort für die Freiheit Israels erhebt sich hoch über dem Toten Meer : Masada. Damals setzten sich hier die Juden verzweifelt und letzten Endes vergeblich gegen die Übermacht der römischen Besatzer zur Wehr. Im Jahre 2001 wurde die legendäre Bergfestung zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt. Sie stellt eine der wichtigsten Gedenkstätten für Israelis dar.

Die von König Herodes erbaute Festung Masada wurde in der Zeit des "Großen Aufstands gegen die Römer" (60 bis 70 nach Christus) von radikalen jüdischen Widerstandskämpfern, den Zeloten, besetzt. Jerusalems Eroberung durch die Römer erfolgte im Jahre 70 erobert hatten, anschließlich setzte die Belagerung Masadas ein. Um der Gefangennahme durch die Römer zu entgehen, wählten die knapp 1000 Eingeschlossenen kollektiv den Freitod, erfahren wir aus dem Buch "Die Geschich-te des jüdischen Krieges" des jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus. Dieser Überlieferung zufolge gab es sieben Überlebende dieses Massenselbstmords, zwei Frauen und fünf Kinder. Sie hatten sich in einer der vielen Zisternen versteckt.

Die moderne Seilbahn, die installiert wurde, um diese bedeutende Sehenswürdigkeit den breiten Besuchermassen zugänglich zu machen, strafen wir selbstverständlich mit Missachtung – vor 2.000 Jahren gabs auch keine Seilbahn – und setzen einen Fuß vor den anderen auf dem unter dem Namen "Schlangenpfad" bekannten Serpentinenweg, um die 400 Höhenmeter bis zum Festungsplateau zu überwinden. Dabei bemühen wir uns, einen gehörigen Vorsprung zu den in der Ferne schon wieder auftauchenden israelischen Schulklassen zu erringen. Oben angekommen erschließt sich uns ein ausgedehntes Areal, wo man auf einem nummerierten Pfad von einer historischen Station zur nächsten geführt wird. Unser Bestreben, hier Abstand zu den in Scharen auftretenden Touristen-gruppen zu halten, ist auf Dauer freilich vergeblich. Allerdings ist es zeitweilig durchaus interessant, den Ausführungen des einen oder anderen Guides zu lauschen und so manches Wissenswerte zu erfahren. Besonders erstaunlich finde ich wie man es damals bewerkstelligt hat, ausreichend Wasser hier herauf zu bringen, und zwar nicht nur zum Trinken, sondern auch um die zahlreichen Badeeinrichtungen zu befüllen. Wenn man von hier oben den Blick über die Wüste schweifen lässt, kann man sich schwer vorstellen, wo all das Wasser hergekommen sein soll. Sicher, es gab Zisternen zum Auffangen des Regenwassers, doch ist es unwahrscheinlich, dass damals sehr viel andere klimatische Bedingungen als heute geherrscht haben.

Noch heute sieht man deutlich den Erdwall, der von den Römern als Umzingelung rundum das Bergmassiv aufgeschüttet wurde. Wie die `Hühner auf der Stange´ kann man die steinernen Schutzwälle von insgesamt acht Truppenlagern des römischen Statthalters von Judäa, Flavius Silva, erkennen. Die zu einer Rampe aufgeschütteten Erdschichten befinden sich im Westen. Von hier aus erfolgte schließlich der Angriff der X. Legion auf die Festung.
Ungeachtet der Tatsache, dass der Schauplatz Masada und die dortigen Ereignisse aus dem Jahre 73 nach Christus in ferne Vergangenheit versunken waren und die historische Zuverlässigkeit des Geschichtsschreibers Flavius Josephus angezweifelt werden darf, mangelte es der Überlieferung nicht an Wirkung. Die Vorstellung einer verzweifelt verteidigten Bastillion, umzingelt von Feinden, reflektierte in den 1920-er Jahren und besonders zwischen den 40-er und 60-er Jahren, während der Staatsgründung, das Selbstverständnis vieler Israelis. 1927 verfasste der jüdische Dichter und Einwanderer Yizhak Lamdan sein Gedicht "Masada", worin er die Redewendung schuf "Masada darf nie wieder fallen". Diese entwickelte sich später zum zionistischen Slogan. Masada gilt als israelische Gedenkstätte, hier spiegelt sich jüdisches Selbstverständnis wider. Dieses Selbstver-ständnis besagt, dass die Juden von den Römern gewaltsam von ihrem angestammten Platz vertrieben wurden und im Exil auf die Rückkehr in ihre historische Heimat warten, in das ihnen zugewiesene, gelobte Land. Eine kaum einnehmbare Festung hatte als Mythos besonders für die Identifikation der israelischen Armee eine große Bedeutung: über 26 Jahre, zwischen 1965 und 1991, vereidigte man auf Masada Jahr für Jahr Rekruten. Inzwischen wurde dieses militärische Zeremoniell eingestellt, jedoch haben der Mythos Masadas und die Besucherfaszination bis zum heutigen Tage überlebt.

Ein paar Stunden Aufenthalt hier oben haben ausgereicht, um uns ein Stück weit in die dramatischen Ereignisse von damals zurückzuversetzen. So treten wir mit Eindrücken gesättigt und mit einer allmählich einsetzenden leichten Müdigkeit in den Beinen den Abstieg an, immer die Silhouette des Toten Meeres in der Ferne als stummen Zeugen der Geschichte im Blick und die israelischen Schulklassen im Ohr. Jetzt haben sie sogar ein Lied angestimmt. Als ich Gabi und Shachah frage, um was für einen Text es sich da handelt, erfahre ich: die israelische Nationalhymne. Angeregt durch die Lehrerin. Etwas befremdlich für jemanden, der aus Deutschland kommt, doch umso verständlicher für diese kleine Nation, die weltweit um Akzeptanz und ihr Existenzrecht kämpfen muss. Noch verständlicher vor der Kulisse von Masada/Metzada, einem der wichtigsten Symbole für jüdische Identifikation und Freiheitswillen.

Als nächste und letzte Tour steht noch die Durchquerung eines weiteren Wadis, eines Nachbartals von Wadi David auf unserem Programm. Wir fahren also zurück Richtung Ein Gedi und halten nach einem neuen Zeltplatz Ausschau. Der Platz von letzter Nacht kommt nicht mehr in Frage, dort ist inzwischen eine ganze Zeltstadt entstanden – es ist momentan Ausflugssaison der Schulklassen, somit fallen sie wie Heuschreckenschwärme übers Land her. Einsamkeit und Ruhe für unsere letzte Nacht unter freiem Himmel müssen wir uns also anderswo suchen. Kurz darauf schon werden wir, dank Gabis untrüglichem Instikt, ein paar hundert Meter abseits der Straße, fündig. Im Umkreis eines größeren Baumes entdecken wir ideale Flächen für die beiden Zelten, sowie eine Feuerstelle mit Holz in Hülle und Fülle. Nach unserem einstimmigen Urteil ist unser letzter wohl gleichzeitig der beste Lagerplatz unserer Exkursion. Umso mehr genießen wir nochmal die laue Abendluft der Wüste im Januar und das knisternde Lagerfeuer. Der Mond trägt ein übriges zur Stimmung bei. Wer weiß wann wir etwas Ähnliches mal wieder erleben können.
Die Zubereitung von Tee im Feuer, übrigens, erfordert ein viel höheres Maß an Geduld, wovon Shachah inzwischen ein Lied singen könnte... Er schmeckt dann aber auch besser als zuhause.

Früh gehts heute aus den Daunen, damit wir das geplante Tagespensum entspannt schaffen, anschließend wollen wir ja auch noch nach Jerusalem. Mit dem letzten Rest an Verpflegung, der hauptsächlich aus Orangen, Trockenfrüchten, Nüssen und reichlich Wasser besteht, betreten wir das Wadi Arugot. Es sollte dies der wohl beeindruckendste Tag der gesamten Exkursion für mich werden. Wir tauchen ein in eine wieder ganz neue, in sich geschlossene Welt. Der Weg führt zunächst durch den oasenähnlichen Grund der Schlucht, inmitten üppiger Vegetation am Bachlauf entlang. Fast übergangslos lassen wir bald das Grün hinter und unter uns, die Wüste hat uns wieder. Hier kann auf Dauer nur überleben, wer reichlich Wasser mitführt. Für unsere Tagestour sollten wir ausreichend damit versorgt sein. An einer Wegegabelung lasse ich Gabi und Shachah vorausgehen und mache einen Abstecher zum “hidden waterfall”, der hier verheißungsvoll ausgeschildert ist. Erwartungs-gemäß führt mich der Pfad zurück in die begrünte Welt mitten hinein ins Bachbett. Von Stein zu Stein bahne ich mir hier meinen Weg durch den Wasserlauf und nach etwa fünfzehn Minuten sehe und höre ich wie der hinabstürzende Wasserstrahl in einer feinen Kaskade in ein smaragdgrünes Becken mündet. Die Tatsache, dass ich hier auch noch völlig allein unterwegs bin, unterstreicht noch den paradiesischen Charakter dieses Ortes. Kaum kann ich mich beherrschen, hier kurz in die Fluten zu springen. Doch die Zeit ist zu knapp, ich muss ja auch noch zurück auf die Hauptroute und will die anderen nicht zu lange warten lassen. Das Bild des plätschernden Wassers in dieser ansonsten ziemlich unwirtlichen, lebensfeindlichen Gegend prägt sich tief bei mir ein und macht mir wieder einmal eindringlich die Kostbarkeit dieses Lebenselixiers bewusst. Zurück bei Gabi und Shachah und auf der Hauptroute steigt der Weg zunehmend steiler an und führt uns in immer engeren Serpentinen weit nach oben immer höher über den Canyon hinaus, wo wir mit einem grandiosen Ausblick über spektakulär steil abfallende Felswände und bizarre Wüstenlandschaft belohnt werden. Von einem Hochplateau aus, das wir nach so einigen Kletterpassagen schließlich erreichen, erblicken wir weit unter uns einen zarten grünen Streifen, in dessen Herzen man das plätschernde Wasser nur noch erahnen kann. Während der gesamten bisherigen Tour haben wir lediglich zwei andere Wanderer in der Ferne gesehen. Welch ein Kontrast zu dem benachbarten, übervölkerten, aber nicht minder faszinierenden Wadi David neulich. Wir genießen den traumhaft schönen Tag Anfang Januar hier oben in der Einsamkeit in vollen Zügen. Shachah und ich posieren als Fotomodelle auf diversen ausgesetzten Felsen hoch über dem Abgrund vor atemberaubender Kulisse. Die letzte streng rationierte Portion Trockenfrüchte und Nüsse wird verteilt. So gut wie hier oben in der Wüsteneinsamkeit schmeckt so einfache Nahrung nirgends sonst. Vor uns erstreckt sich eine karge Hochebene soweit das Auge reicht. Einzig das Knirschen unserer Schritte dringt zu unseren Ohren durch, sonst umgibt uns nichts als Stille, während wir Schritt für Schritt das Plateau überqueren. Bis zum Horizont sichten wir keine Spur von gleichgesinnten Zeitgenossen - von israelischen Schulklassen ganz zu schweigen - so fühlen wir uns fernab von der Zivilisation. Zeitlich begrenzt - das ist uns klar, aber daran denken wir jetzt nicht - ist unsere Auszeit hier oben und dafür umso kostbarer. Irgendwann taucht in der Ferne vor uns dann die Kante auf, dahinter der Abstieg und die dunstig blaue Kulisse des Toten Meeres. Die Route vereint sich schießlich wieder mit der des Wadi David, wir passieren nochmals die erwähnte Quelle, kehren zurück in die Zivilisation und zum Parkplatz, der Kreis hat sich geschlossen. So nah können oft Einsamkeit und Ursprünglichkeit auf der einen Seite und menschliche Einflussnahme, ja Massentourismus auf der anderen Seite beieinander liegen. Am Besucherzentrum, wo wir uns anschließend noch mit Lebensmitteln versorgen, spüren wir letzteres Phänomen wieder sehr deutlich. Jegliche Geräuschkulisse, verursacht von Besuchergruppen, wird uns, die wir aus der Wüste kommen, nun schnell zuviel.
So begeben wir uns bald wieder auf Achse, unsere motorbetriebenen vier Räder tragen uns weit über tausend Meter höher in die Heilige Stadt, Jerusalem. Wir tauchen ein in eine völlig andere Welt, der Kontrast von der Wüstenlandschaft um das Tote Meer und der quirligen Hauptstadt Israels könnte deutlicher kaum sein. Die Antike trifft hier auf die Moderne, Flutwellen von Touristen überschwemmen die uralte Stadt, die so eine bedeutende Rolle spielt für die Weltreligionen Judentum, Islam und Christentum. Wie schon diverse Male zuvor werde ich mich jetzt nicht in wissenswerten geschichtlichen Details über Jerusalem verlieren, das würde diesen Rahmen erheblich sprengen. Der/die interessierte Leser/in kann dazu Informationen aus unzähligen anderen Quellen heranziehen.
Nun bin ich ja bereits zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit in der Stadt, somit fällt die Orientierung schon viel leichter. Gabi hat als Übernachtungstipp ein öster-reichisches Konvent in der Altstadt bekommen, nach längerem Fragen und Suchen, finde ich das Gebäude in der Via Dolorosa. Allerdings entpuppt sich die Adresse als ziemlich elegant und weit jenseits unseres Geldbeutels. Ähnliche Erfahrungen mache ich auch bei einigen anderen Anfragen innerhalb der Stadtmauer. So komme ich schließlich mit meinem "Tipp" zum Zuge - das Palm Hostel direkt am Damaskustor, wo ich schon bei meinem ersten Aufenthalt in der Stadt abgestiegen bin. Wesentlich kühler ist es hier nun aufgrund der veränderten Höhenlage und wir müssen gut in Bewegung bleiben, um auf unserem abendlichen Rundgang durch die Altstadt nicht zu frösteln.

Für heute, unseren letzten Tag unterwegs haben wir uns hier noch ein umfangreiches Kulturprogramm vorgenommen. Geplant sind - Klagemauer, Verkündigungs-kirche, Stadtführung, der Felsendom und das Israel Museum. Bei der Touristeninformation holen wir uns morgens noch letzte Empfehlungen, bezüglich Stadtführung. An der Klagemauer, der ich ja schon einen abendlichen Besuch bei meinen ersten Aufenthalt abgestattet habe, beobachten wir die immer wieder sehenswerte Szenerie nun bei Tageslicht. Nun ist auch für mich der Zeitpunkt gekommen, einen Zettel mit einem Wunsch/einer Botschaft in einer der Ritzen des altehrwürdigen Mauerwerks zu deponieren. So bahne ich mir also meinen Weg zwischen den - teils grotesk vor sich hinzappelnden - orthodoxen Klagenden hindurch und erreiche schließlich das heiligste Objekt jüdischer Wehmut und Hoffnung. Erst hier aus der Nähe erkenne ich wie vollgestopft mit Zetteln seine Ritzen und Spalten bereits sind. Na, eigentlich kein Wunder, nach zweitausend Jahren. Trotzdem finde auch ich noch ein Plätzchen für meinen Klagebeitrag. Möge er dort die nächsten zweitausend Jahre verbleiben und seiner Erfüllung harren! Gabi und Shachah entscheiden sich für einen Rundgang auf der Stadtmauer, ich schließe mich einem Stadtguide mit Gruppe an. Es handelt sich um einen Amerikaner, der seit fünf Jahren in Jerusalem lebt. In einem erfrischend unkonventionellen Stil liefert er einen lebendigen, spannenden Abriss über Geschichte und das frühe Leben in der Stadt bis hin zur Gegenwart . Zu jeder Station hat er einen sachkundigen, faszinierenden Kommentar auf Lager. So bedauere ich es richtig, mich schon vorzeitig von der Gruppe zu verabschieden, um mich in die gigantische Schlange für die Besichtigung des Felsendoms einzureihen. Die Muslime haben die Besichtigung ihres Heiligtums streng reglementiert. Nur noch zu bestimmten, stark verkürzten Tageszeiten ermöglichen sie den Zugang zu einem der Wahrzeichen Jerusalems. Als wir dann endlich innerhalb des geheiligten Areals sind - Gabi und Shachah sind inzwischen auch wieder aufgetaucht - stellt sich heraus, dass das Innere der Moschee für Nichtmuslime überhaupt nicht mehr, auch nicht ausserhalb der Gebetszeiten, zugänglich ist. Soviel zu Kommunikation und Austausch zwischen den Welt-Religionen. Während unseres Rundgangs und Fototour über den Platz, wo Felsendom und Al-Aqsa Moschee stehen, beschließen wir den Besuch des Israel Museums, unseren geplanten letzten Tagesordnungspunkt, zu streichen, die Zeit ist dafür zu knapp gewor-den und wir wollen uns nicht unter Druck setzen. Ein Highlight bei unserer Erkundung der Heiligen Stadt ist sicherlich der Besuch der Grabeskirche. Noch nie habe ich in einer Kirche auch nur annährend eine solche Vielfalt an Ebenen, Räumen, Erkern, Nischen, Altären, Ausschmückung, Devotionalien, Ikonen, Heiligtümern erlebt! Dementsprechend vehement sind hier auch die Besuchermassen. Stellenweise muss man sich regelrecht durchs Gedränge wühlen. Das unvergleichliche Erlebnis dieses Labyrinths jedoch, dieses Sammelsuriums an Neuentdeckungen, das eher wie ein Museum als wie eine Kirche wirkt, rechtfertigen den enormen Andrang. In einem der zahlreichen Gebetsräume wird gerade eine offenbar russisch-orthodoxe Messe in Originalgewändern abgehalten. Jeder versucht sich einen guten Beobachtungsposten zu erkämpfen, ohne zuviele Touristen im Blickwinkel zu haben. Unzählige Kameraobjektive sind auf das Zeremoniell gerichtet. Im hochheiligen Zentrum des Hauptraumes der Grabeskirche, schließlich, befindet sich der zentrale, ja magnetische Anziehungspunkt dieses an Attraktionen wahrlich nicht armen Gotteshauses - das (nach der Überlieferung) authentische Grab Jesu! Überflüssig zu erwähnen, dass sich eine beachtliche Menschenmasse um dieses heiligste aller Heiligtümer herum gebildet hat. In bestimmten Zeitintervallen wird jeweils etwa eines halbes Dutzend Leute eingelassen, ins Innere der Grabkammer des Religionsstifters der Christenheit, der hier - laut Überlieferung - vor zweitausend Jahren sein Leben ausgehaucht hat. Anfangs zögerlich, doch dann entschlossener reihe auch ich mich in die Schlange ein. Es zieht sich dann länger als erwartet hin, Shachahs und Gabis Geduld wird auf die Probe gestellt. Doch schließlich stehe ich in der engen Grabkammer, wo erwartungsgemäß ein ziemliches Gedränge herrscht. Nachdem ich am Jordan auch schon die Taufstätte Jesu besucht habe, in Damaskus bei der Pauluskirche war, von wo aus erste Prediger der Christenheit in die Welt hinauszog, um die Frohe Botschaft zu verkünden, stehe ich nun - für ein paar Augenblicke - am Grabmal Jesu, wenn das denn wirklich den Tatsachen entspricht und was auch immer das bedeuten mag...
Den Abschluss unserer Stadtbesichtigung Jerusalems bildet ein Rundgang auf der Stadtmauer, der uns nochmal so manche Aspekte der Stadt aus einem neuen, erhöhten, ungewohnten Blickwinkel betrachten lässt. Anschließend genießen wir in einer modernen jüdischen Shopping Mall noch einen Kaffee mit Gebäck.
Nach zweistündiger Fahrt geht auch dieser faszinierende Israel-Kurztrip zu Ende und wir kehren zurück nach Abirim, ins grüne galiläische Hügelland...

Wieder einmal komme ich zurück an einen festen Standort, einen Ruhepol und es ist Zeit zu reflektieren, die Ereignisse Revue passieren zu lassen und zu schreiben. Die Ruhe hier im Haus in der Abgeschiedenheit ist dafür prädestiniert. Die letzten Tage meines Aufenthalts hier sind gezählt, am Dienstag, den 11.Januar werde ich meine Zelte abbrechen. Mein Flug, den ich jetzt kurzfristig gebucht habe, geht am Mittwoch, den 12., frühmorgens um 5:50 ab Ben Gurion, Tel Aviv. An einem dieser Tage machen Gabi und ich noch eine schöne Kurztour zu einer kleinen Höhle in der Umgebung. Gerne würde ich noch Uris Vater, der in den Golanhöhen lebt, treffen. Er wollte mich auch gern noch speziell hinsichtlich meiner Tour sprechen. Bisher hat das leider nicht geklappt. Angedacht war auch, dass er ein paar Tage auf unsere Negevtour mitkommt. Am Wochenende, das heisst wenn ich nochmal nach Haifa fahre, um Michal und Uri ein letztes Mal zu sehen, gibt es noch eine Chance mit ihm zusammen zu kommen. Schließlich vereinbaren wir den Montag für meine Fahrt nach Haifa. Gabi leiht mir ihr Auto. In Nahariya fahre ich beim Bahnhof vorbei, um mir schon mal mein Ticket zum Flughafen für morgen zu besorgen. Die Route ist nun schon fast Routine, beim Restaurant Maxim, wo ich am 22.12. erstmalig mit dem Rad hier ankam, zweige ich links ab, rauf auf den Berg, nach Carmel Center. Diesmal finde ich schnell die richtige Straße und einen Parkplatz unweit des Hauses der beiden. Ausgemacht ist, dass Uris Vater abends auch hierher kommt. In der Zwischenzeit mache ich noch eine Sightseeing-Tour, mein Hauptziel dabei sind die schon erwähnten berühmten Bahà´ì Gardens, sowie das Bahài-Weltzentrum. Die Stätte wurde 2008 von der UNESCO zum Welkulturerbe erklärt. Diese mustergültig akkurat angelegten Gärten erstrecken sich praktisch über den gesamten Hang von Carmel Center hinunter in Richtung Hafen, davor münden sie in die German Colony.
Der Bahà ì Glaube ist die jüngste Religion der Welt. Sie entstand im Jahre 1844 und steht heute hinsichtlich ihrer Verbreitung an zweiter Stelle.
Bahà u`llàh, der Stifter des Glaubens offenbarte eine grundlegende Botschaft der Einheit. Er lehrte, dass es nur einen Gott gebe, eine menschliche Rasse und dass alle Religionen der Welt fortschreitende Stadien in der Offenbarung des Willens Gottes und seiner Absicht für die Menschheit seien.
Das gesamte Areal ist lediglich zugänglich wenn man sich einer geführten Tour anschließt. Unser Tourguide gibt seine Erläuterungen zwar in erster Linie auf Hebräisch zum besten, berücksichtigt aber ausländische Besucher auch noch mit ein paar englischen Sätzen. Als zentrales Heiligtum der gesamten Anlage wird der Schrein des Bàb verehrt, der sich repräsentativ im Mittelpunkt befindet. Es handelt sich hierbei um ein Mausoleum des `Gottgesandten´ Bàb (Siyyid `Ali-Muhammed, 1819-1850). Leider ist dieser Teil der Anlage derzeit wegen Restaurierungsarbeiten nicht zugänglich.
Eine Weile halte ich mich hier noch auf, genieße den Spaziergang durch die kunstvolle Gartenanlage. Die schon fast peinlich penibel gepflegten Beete mit teils exotischer Bepflanzung bieten das eine oder andere reizvolle Fotomotiv. Nach Verlassen der Bahà´ì Gardens führen zahlreiche weitere Stufen hinab bis zur German Colony, ein Straßenzug, der ab dem Jahre 1868 von der deutschen protestantischen Sekte der Templer besiedelt wurde. Hier präsentieren sich dem Besucher herausgeputzte Fassaden, chique Restaurants, Cafes, Boutiquen, gepflegte Originalgebäude aus der Gründerzeit. Heute hat hier unter anderem auch `Erdinger Weissbier´ Einzug gehalten. Blickt man am Ende dieser Flaniermeile zurück, spürt man mit etwas Phantasie einen Touch deutsches 19.Jahrhundert (wenn man sich anstatt der Autos auch noch Pferdekutschen vorstellt). Den geradezu perfekten Abschluss dieser Szenerie bildet im Hintergrund die, im allmählich schwindenden Tageslicht, stilvoll beleuchtete Ballustrade der sich in unzähligen Stufen auf den Hang ausgebreiteten Bahài Gardens. Diese wiederum krönt der alles überragende Schrein des Bàb, dessen vergoldetes Kuppeldach in der Spätnachmittagssonne schimmert...
Abends sitze ich mit Michal, Uri und ...endlich auch seinem Vater in einem Restaurant (er lädt uns großzügig ein) in Carmel Center ganz in der Nähe ihres Hauses mit phantastischem Blick hinunter auf das nächtlich erleuchtete Haifa und den Hafen. Kurz vor meiner Abreise hat also das Treffen mit ihm noch geklappt und er interessiert sich sehr für die Details meiner Radreise. Im Laufe des Gesprächs lässt er mit einfließen, er hätte da ein paar Kontakte zu Medien und der Presse in Israel. Irgendwann, nach ein paar Telefonaten, heißt es dann, ein Team einer israelischen Tageszeitung, bestehend aus Fotografen und Journalist, käme morgen vormittag in Abirim vorbei und würde mich zu meiner Story interviewen. Kurz darauf aber steht fest - der Fotograf kommt gleich jetzt hierher zum Restaurant und eine Journalistin wird später das Interview mit mir telefonisch führen! Zehn Minuten später sind wir mitten im Fotoshooting, wobei Michal alle Hände voll zu tun hat als Kameraassistentin. Uris Vater muss sich leider schon allzu bald wieder verabschieden, obwohl es freilich noch eine Menge zu erzählen gegeben hätte. Irgendwann wird es sicher ein zweites Treffen geben, zumal er auch viel in der Welt unterwegs gewesen ist, unter anderem auf Trekkingtouren im Himalya. Später in Michals und Uris Wohnung telefoniere ich etwa zwanzig Minuten mit einer Journalistin der Jedi´ot Acharonot, der meistverbreiteten Tageszeitung Israels. Sie wollen dann auch noch eine Anzahl Fotos von meiner Tour per Mail geschickt haben. Michal und ich mühen uns damit noch etwa bis Mitternacht ab, immer wieder unterbrochen von den ungezählten telefonischen Nachfragen der Journalistin, wann wir denn nun soweit wären, die Zeitung müsste so schnell wie möglich in Druck gehen. Immer wieder ausgebremst durch technische Probleme mit dem Computer, bin ich zeitweilig richtig genervt und frage mich, warum das denn jetzt alles auf einmal so schnell gehen muss?! Dreieinhalb Monate habe ich für meine 6.660 Kilometer Zeit gehabt, im Internet habe ich darüber über die gesamte Zeit in zehn Teilen ausführlichst berichtet und jetzt am letzten Tag vor meiner Heimreise soll das alles unter Zeitdruck in Minuten zusammengerafft werden? Wie auch immer, irgendwann kurz vor Beginn des neuen Tages, ist das letzte Bild abgeschickt, die Anrufe bleiben aus und wir atmen tief durch. Gespannt sind wir, was da morgen zu lesen und zu sehen sein wird...

Zurück im trauten Abirim, die nächtliche Rückfahrt verlief angenehm verkehrsarm, ist mein letzter Tag hier angebrochen. Morgens kommt ein Anruf von Schwager Is´rael, der aufgeregt berichtet, er hätte gerade etwas über mich im Radio gehört! Es stellt sich heraus, dass es hierzulande üblich ist, auf wichtige Zeitungsmitteilungen des Tages kurz morgens im Radio hinzuweisen. Hört, hört, jetzt steht meinem "Mediendruchbruch" in Israel offenbar nichts mehr im Wege! Am Nachmittag statten Shachah und ich der Gabi in ihrem Kindergarten in Matat einen kurzen Überraschungsbesuch ab, ich will doch unbedingt noch kurz ihr Arbeitsumfeld besichtigen. Als mein Schwager schließlich heim nach Abirim kommt, hat er eine aktuelle Ausgabe des Jedi´ot in der Hand. In der Mitte des mit 400.000 Exemplaren Israels auflagenstärksten Blattes in einem repräsentativen Bereich entdecke ich tatsächlich mein Konterfei, umrahmt von einer Kurzbeschreibung meiner Tour "von der Isar nach Israel", nebst einer Karte von Europa und dem Nahen Osten, auf der mein Routenverlauf eingezeichnet ist. Von den Tourenfotos allerdings, die Michal und ich letzte Nacht noch unter Hochdruck im Schweiße unseres Angesichts geschickt haben - keine Spur! Das hat uns dann im Nachhinein schon noch geärgert, obwohl wir insgesamt natürlich froh und zufrieden waren, dass das alles noch so kurzfristig geklappt hat. Was ich von dem Artikel lesen kann, beschränkt sich freilich auf ein Minimum, nämlich auf die zurückgelegte Entfernung, 6.660 Kilometer und meine Altersangabe. Gabi verspricht, mir bald eine Übersetzung zukommen zu lassen. Abends präsentiert uns Is´rael über das Internet auch noch eine Wiederholung der Radiomeldung von heute morgen bezüglich meines Artikels in der Jedi´ot. Das erste und einzige was ich dabei verstehe, ist mein Name. Einen besseren Abschluss meines Aufenthalts hier in Abirim und in Israel hätte ich mir kaum vorstellen können.
Neunzehn ereignisreiche, spannende und interessante Tage, die ich hier verbracht habe - sowie meine gesamte Reise - gehen damit zu Ende, ich packe meine Sachen und bereite mich auf die Heimreise vor.


Teil XII: Heimkehr und Abschließende Gedanken
Zurück an die Isar

Die letzten Stunden im mir inzwischen so vertraut gewordenen Abirim fließen dahin. Das Abschiedsgruppenfoto vor dem Haus mit Gabi, Shachah und Is´rael ist gemacht. Da ich keinen Bikekarton habe, die Beschaffung und der Transport eines solchen hätte mehr Probleme bereitet als vermieden, packen wir meinen langstreckenbewährten Drahtesel in Stretchfolie ein.
Meine ursprüngliche Entscheidung auf dem Landweg zurückzukehren – wenn es Zeit und finanzielle Mittel zugelassen hätten sogar mittels Pedalantrieb über Nordafrika und Sizilien – musste ich nun leider doch über den Haufen werfen. Von Haifa aus verkehren im Winter keine Schiffe nach Europa. Die einzige Möglichkeit, hier ohne allzu großen Umweg auf dem Landwege zurückzureisen, bestünde darin, mit dem Bus, beziehungsweise radelnd nach Eilat zu gelangen, von dort aus über die Grenze nach Ägypten und über Kairo nach Alexandria. Von dieser Hafenstadt aus gibt es eine ganzjährige Fährverbindung nach Venedig, einmal pro Woche, jeweils sonntags. Allerdings haben mich diverse Gründe dazu bewogen, von dieser Reisevariante Abstand zu nehmen. Zum einen drängt allmählich die Zeit – ich will spätestens Mitte Januar in München sein, um einen Messejob wahrzunehmen – außerdem geht mein Reisebudget dem Ende zu. Flüge sind nun einmal für ein Drittel des Preises zu haben, den ich für die Landpassage berappen müsste, Übernachtungen noch gar nicht mitgerechnet. Obwohl es meiner Überzeugung und der Philo(Velo-)sophie der Langsamkeit und Beschaulichkeit, sowie der Emissionsfreiheit (beziehungsweise dem Vorsatz möglichst geringe Emissionen zu erzeugen) dieser Reise widerspricht, bleibt mir letztlich kaum eine andere Variante als der Flug. Es findet sich auch kurzfristig ein recht günstiges Angebot mit AirBerlin. Flugzeit allerdings 5:50, am 12.Januar. Angesichts der Abgeschiedenheit Abirims bedeutet das eine durchgehende Reisenacht.

Als es dann schließlich soweit ist, sage ich „Shalom“ zu Abirim und Israel nach 23 spannenden und abwechslungsreichen Tagen Aufenthalt im „Gelobten Land“, verabschiede mich von Gabi mit Dank und herzlicher Umarmung bis zum Sommer und steige kurz vor Mitternacht mit Shachah ins Auto. Sie bringt mich nach Nahariya zum Bahnhof. Von dort aus gibt es eine Direktverbindung zum Flughafen Ben Gurion nach Tel Aviv. Das erste Mitglied meiner israelischen Familie, das ich hier im Land antraf, war Michal, als letztes verabschiede ich mich nun von ihrer Schwester Shachah. Wir hatten so einige erlebnisreiche gemeinsame Tage unterwegs und auch gute Gespräche und sind uns sicher wieder ein Stück näher gekommen, was über die Distanz und die seltenen Treffen freilich schwierig ist. Fahrplanmäßig um 2Uhr50 kommt der Zug am Flughafen an, diese übertrieben scheinende extrem frühe Ankunft wird sich noch als gerechtfertigt erweisen. Als ich mich in der Abfertigungshalle auf meinen Check-In Schalter zubewege, werde ich von einer jungen Frau des Bodenpersonals angesprochen. Sie fragt zunächst nach meiner Destination und weist mich in die entsprechende Richtung. Dann will sie meinen Namen wissen. Als sie ihn hört, nickt sie wissend, sie habe mich gleich „wieder-erkannt“. Ich sei doch dieser Fernradler von Deutschland nach Israel, sie habe von meiner Geschichte morgens im Radio gehört...offenbar eilt mir mein Ruf inzwischen schon voraus. Die nächste Station allerdings ist die erste Passkontrolle und schon bald wünschte ich, die nun folgenden Mitglieder des Bodenpersonals, deren Vertrauen ich noch gewinnen muss, damit sie den letzten Schritt meiner Heimreise absegnen, würden auch nur ansatzweise einen ähnlichen Respekt vor dem durch elf Länder gereisten Fernradler an den Tag legen. Weit gefehlt. Noch nie auf irgendeiner Reise zuvor bin ich so akribisch, ja penetrant durchsucht, gefilzt, durchleuchtet worden wie hier in Tel Aviv. Leuten, die solange in Syrien unterwegs waren (dort womöglich sogar noch eine wunderbare Zeit hatten) wird eben in Israel besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
Mein gesamtes Gepäck wird mehrmals durch den Röntgenapparat geschickt (wahrscheinlich wollen sie nicht wahrhaben, dass sie beim ersten Mal nichts Verdächtiges finden,...da muss doch noch irgendwas sein!), dann wird jedes einzelne Stück per Hand aus den Taschen geräumt, quasi jede Unterhose dreimal umgedreht und bei fast jedem Teil gefragt, was das denn sei. („Das ist eine Unterhose, das sieht man doch!“). Nebenbei wird mein sorgfältig in Folie eingepacktes treues Gefährt zur Kontrolle abgeführt, dass es dazu nicht wieder komplett aufgeschnitten wird, können sie mir leider nicht versprechen. Zum Glück beschränken sie sich jedoch auf einige wenige Schnitte. Schließlich, es geht allmählich auf die letzte Stunde vor Abflug zu, werde ich zur gründlichen Leibesvisite in einen separaten Raum geführt, wo ich zunächst auf einer Wartebank Platz nehmen muss. Das zieht sich auch nochmal gut zwanzig Minuten hin, sodass ich erst gegen fünf Uhr endlich zum Check-In komme, alle drei meiner aufgegebenen Gepäckstücke laufen unter Sperrgepäck, ich verlade sie selbst auf den entsprechenden Wagen im Aufzug. Als auch das getan ist, läuft bereits die boarding time. Da die Maschine längst nicht voll besetzt ist, kann ichs mir auf einer ganzen Reihe bequem machen. Kurz darauf breitet sich Tel Aviv im Morgengrauen unter mir aus, die dicht besiedelte Küste wird abgelöst durch ein allumfassendes Blau, dessen Oberfläche sich mit sanft geschwungenen blauen Wogen präsentiert, die mehr und mehr mein ganzes Blickfeld ausfüllen, schließlich von Horizont zu Horizont reichen, ich sehe nichts mehr außer sanft geschwungenen blauen Wogen...würde ich nun an der Reling eines Schiffes stehen, würde ich das Wasser unmittelbar unter mir Plätschern hören, so wie ich über Monate den Asphalt unter meinen Rädern hindurch gleiten sah. Doch so sehe ich nur durch die Scheibe weit unten dieses undurchdringliche Blau, sich scheinbar endlos zu allen Seiten ausbreitend...
6.660 Km, zurückgelegt in 113 Tagen und 43.408 überwundene Höhenmeter. Wochen und Monate vollgepackt mit Erlebnissen und Begegnungen, Abenteuern und Erfahrungen. Lust und Frust lagen auf meinem Weg oft dicht beieinander. Sonne, viel Sonne, aber auch Sturm, Sintflut und sogar Schnee waren meine Begleiter. Für die Rückreise brauche ich knapp vier Stunden. Vollklimatisiert. Entspannt und gemütlich zurückgelehnt auf weichen Polstern. Ein abrupter Sprung über Länder-grenzen, Kulturwelten, fremde Sprachen, Klimazonen, Berge und Wüsten hinweg. Ermöglicht durch modernste Technologie und einen gewaltigen Energieaufwand, sowie enorme Umweltbelastung. Man steigt an einem beliebigen Ort ein und an einem anderen beliebigen Ort wieder aus. Ohne irgendetwas begriffen zu haben. Wahrhaftiges Reisen geht anders. Dazu muss man langsam unterwegs sein, allmähliche Veränderungen wahrnehmen, sein Bewußtsein schärfen und offen sein für alles Unbekannte und Neue, das am Wegrand liegen kann.

Seit langem sind wir nun eingehüllt in eine dichte Wolkendecke. Irgendwo da unter uns – Griechenland, Bosnien, Kroatien, Slowenien, Österreich...“Wir befinden uns nun im Landeanflug auf München, bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein, legen Sie die Sicherheitsgurte an und ... “
Der Pilot durchbricht eine Unmenge von Wolkenschichten und plötzlich tauchen heimische Felder, Häuser und Straßenzüge auf. Nach gut vier Monaten habe ich wieder deutschen Boden unter meinen Füßen.

Einmal von der Isar nach Israel... - und wieder zurück an die Isar.


Die Zeit danach... und die Gedanken kreisen weiter

So manche Themen, die mir auf der Langen Meile in den Sinn gekommen sind und die ich nun Wochen und Monate mit mir herum getragen habe, drängen nun auch noch an die Oberfläche und wollen ihren Ausdruck finden. Ansatzweise ist so einiges davon schon angeklungen, doch wollte ich unterwegs nicht den Rahmen von VELOSOPHIE damit sprengen. Jetzt, nachdem ich den Radsattel wieder mit dem Schreibtischstuhl vertauscht habe, versuche ich mich noch einmal in die Zeit und die Stimmungslage zurückzuversetzen, als die erstgenannte Sitzgelegenheit zu meinem Alltag gehörte...

Oft wurde und werde ich gefragt, warum (um alles in der Welt) allein? Manchmal habe ich mir, vor allem in der Anfangsphase, dieselbe Frage gestellt. Mir selbst habe ich diese Frage längst umfassend und zufriedenstellend beantwortet. Für alle anderen Frager und solche die noch kommen, werde ich das jetzt nachholen:


I. Vom Reiz des Alleinreisens

Während der Vorbereitungszeit dieser Tour habe ich durchaus in Erwägung gezogen, mir eine(n) Reisepartner/in zu suchen. Eine zeitlang habe ich sogar probiert über Internetforen jemanden passenden zu finden, allerdings erfolglos. In meinem näheren Freundeskreis gab es niemanden, der beide unverzichtbaren Voraussetzungen, zumindest für die gesamte Tour, mitgebracht hätte – die erforderlichen sportlichen Ambitionen und die nötige Zeit. Für Teiletappen hätte es immerhin interessierte Kandidaten/-innen gegeben. Allerdings scheiterte es dann bei ihnen allen letztlich daran, dass sie keinen Urlaub nehmen konnten, nicht einmal für ein bis zwei Wochen. Leider konnten sie sich nicht einmal für diese kurze Zeit von ihrer Alltagstretmühle befreien. Selbst wenn es bei einem von ihnen oder einem mir unbekannten Partner geklappt hätte – ob wir über diese lange Strecke harmoniert hätten und überhaupt zusammen geblieben wären, steht in den Sternen.
Denn es liegen buchstäblich Welten dazwischen ob man allein fährt oder zu zweit. Die Möglichkeit, eine solche Radreise mit noch mehr als einem Partner zu machen, habe ich definitiv ausgeklammert. Dem einfühlsamen Leser das zu veranschaulichen werde ich im Folgenden hoffentlich in der Lage sein.

Ein erster Störfaktor für eine harmonische Zweirad-Zweisamkeit wäre in meinem Fall wohl irgendwann meine Schreiberei und das Fotografieren geworden. Beides hat im Laufe der Reise immer mehr zugenommen und an Wichtigkeit für mich gewonnen. Meine Aufenthalte an den Etappenorten zogen sich vor allem wegen dem Schreiben in die Länge, erst in zweiter Linie um Sehenswertes zu besichtigen. Sicherlich, wenn man gut auf einander eingespielt ist und in diesen Bereichen ähnliche Vorstellungen, Neigungen und Ansprüche hat, kann man das vielleicht auch gemeinsam betreiben und sich ergänzen. Das kann dann sogar ein wunderbares partnerschaftliches Erlebnis werden. Allerdings muss man sich dafür schon recht gut kennen und idealerweise auch schon des öfteren zusammen längere Reisen gemacht haben – wie das Schweizer Radlerpärchen Martin und Katrin, von den beiden habe ich mehrmals berichtet – . Der Traum kann sonst nämlich schnell zum Albtraum werden...

Nun, wie dem auch sei, für mich gab es solch eine(n) Partner/in nicht und ich sollte im weiteren Verlauf mehr und mehr erkennen, was für ein Glück es doch war, allein unterwegs zu sein.
Morgens war ich allein es, der den Zeitpunkt für die Abfahrt festlegte, abends musste die Wahl des Zeltplatzes nur meinen eigenen Kriterien genügen. Wenn ich unentdeckt bleiben wollte, was immer der Fall war wenn ich nicht eingeladen wurde, konnte ich das besser allein. Die unzähligen Einladungen, die mir zuteil wurden in der Türkei und in Syrien, hätten zu zweit entweder gar nicht stattgefunden oder wären völlig anders verlaufen. Zu zweit hat man sich immer gegenseitig, allein ist man viel offener für und angewiesen auf Kontakte nach außen. Man ist gezwungen sich mit der fremden Sprache auseinanderzusetzen, wenn man kommunizieren will. Ich fühlte mich als Alleinreisender authentischer, näher an den Menschen und ihrer Kultur und ihrem Leben. Die Landschaften erlebte ich unmittelbarer, manchmal fast wie ein Teil davon, indem ich sie ich mir radelnd, Tritt für Tritt aus eigener Kraft erschloss. Zu zweit tendiert man oft dazu, über das Leben daheim zu reden, über gemeinsame Bekannte, Freunde, über Vertrautes aus dem Alltag. Wenn man allein ist, fällt das alles weg, man hängt nur seinen Gedanken nach, die natürlich auch mal über heimatliche Dinge kreisen können, müssen sie aber nicht. Es liegt einzig allein an mir selber, meine Gedanken in die gewünschte Richtung zu lenken oder auch mal gar nichts zu denken, sondern einfach nur im Augenblick und in der Umgebung aufzugehen.

Dies soll keinesfalls ein Plädoyer für ausschließliches Alleinreisen sein. Mit dem/r passenden Partner/in mit dem/r man gleiche oder zumindest sehr ähnliche Vorstellungen bezüglich des Reiseverlaufs teilt, kann man wunderbare, undendlich bereichernde gemeinsame Erlebnisse haben. Darüber hinaus bietet das paarweise Unterwegssein zweifellos einige Vorteile. Man spart Gepäck ein, weil man gewisse Dinge nur einmal braucht und sie untereinander aufteilen kann, zum Beispiel Zelt oder Kochutensilien. Wenn man im Laden einkauft oder Informationen einholt, kann immer einer draußen bei den Rädern und dem Gepäck bleiben. Unterkünfte sind in der Regel günstiger zu zweit. Ich selbst möchte auch unbedingt einmal eine gelungene Partnerreise erleben.
Und dennoch wünsche ich jedem/r und lege es jedem/r ans Herz, wenigstens einmal im Leben, die Erfahrung einer Alleinreise zu machen, sei es mit dem Rad oder auf andere Weise, sei es für ein paar Monate oder nur für eine Woche. Man wird diese Erfahrung nie mehr missen wollen. Es kommen dabei wichtige Denk- und Bewusstseinsprozesse in Gang, von denen man daheim im Alltag keine Ahnung hatte. Man gewinnt Abstand und viele Dinge bekommen aus der Distanz einen anderen Stellenwert. Man kann das eigentlich gar nicht in Worte kleiden. Jede/r einzelne muss sich selbst auf den Weg begeben und diese Erfahrungen ganz persönlich machen.

Offen gesagt – für mich ist die Solotour die authentischste Art des Reisens.


Ein anderer zentraler Aspekt auf der Reise ist für mich ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein:

II. Cycling and Re-cycling

Wie ein Roter Faden hat sich durch meine gesamte Radreise ein grüner Leitgedanke gezogen, wie dem aufmerksamen Leser nicht entgangen sein kann. Wenn man
so lange emissionsfrei unterwegs ist, sollte es auch selbstverständlich sein, dass man einen kritischen Blick wirft auf die Umwelt in den Ländern, die man bereist, beziehungsweise wie es um Natur- und Umweltschutz dort bestellt ist. Mit fortschreitendem Verlauf meiner Reise musste ich diesbezüglich leider immer erschrecken-dere, ja schockierende Beobachtungen machen. Vielfach habe ich ja schon in meinem Bericht über eklatante Umweltsünden, sowie flächendeckende Zerstörung und Verschandelung ganzer Landstriche durch Müll, vor allem Plastik hingewiesen. Dabei beziehe ich mich vor allem auf Serbien, Bulgarien, die Türkei, Syrien, sowie Jordanien. In diesen Ländern scheint noch keinerlei Umweltbewusstsein Fuß gefasst zu haben. Insbesondere tut hier eine Sensibilität für simple ökologische Zusammenhänge Not. Es bedarf keines überdurchschnittlichen Intelligenzquotients oder Bildungsniveaus um zu begreifen, dass mit hohem Energieaufwand und Umweltbelastung geförderte und zu künstlichen Verpackungsmaterialien, oder Kleidungsstücken, Autoreifen, etc. verarbeitete Rohstoffe nichts in der natürlichen Umwelt zu suchen haben. Dort rotten sie jahrzehntelang vor sich hin, ohne sich zu zersetzen, noch einem sinnvollen Wiederverwendungskreislauf zugeführt zu werden. Stattdessen gelangen Giftstoffe aus den Materialien ins Erdreich, vernichten Pflanzen und Bodenlebewesen, verseuchen Grundwasser und Öberflächen-gewässer. Den Albtraum der Plastiktütenflut habe ich bereits mehrmals angesprochen. Zu tausenden und abertausenden finden sich diese wohl typischsten Symbole eines gedankenlosen, ja hirnlosen alltäglichen modernen Massenkonsums in der Landschaft wieder. Selbst die simpelsten, logischsten und naheliegendsten Ansätze zur Wiederverwendung bleiben den Gehirnwindungen des Massenkonsumenten offenbar fern.
Mit dieser unbegreiflichen Kurzsichtigkeit, ja Blindheit und Ignoranz angesichts der allgegenwärtigen Realität, schaufeln wir uns auf kurz oder lang unser eigenes Grab, falls es hier nicht schleunigst zu einem tiefgreifenden Bewusstseinswandel kommt. Je weiter ich auf meiner Radreise voranschritt, namentlich durch die erwähnten Länder, desto mehr habe ich diese Philosophie verinnerlicht und mir zu eigen gemacht: Cycling and Recycling.


Umweltbelastung findet aber auch noch auf andere Weise statt:

III. Stille und Lärm

Als ich nach der wochenlangen Durchquerung des türkischen Hinterlandes, der regional sehr einsamen westanatolischen Berge mit ihren beschaulichen, abgeschie-denen Dörfern, wo manchmal die Zeit stehengeblieben zu sein scheint, schließlich in Anamur die Mittelmeerküste erreichte und damit in die Zivilsiation zurückkehrte, fiel er mir besonders drastisch auf - der Kontrast zwischen (und die Auswirkungen von) Stille und Lärm. Dort oben fernab ab der Hektik unserer modernen urbanen Alltagswelt, kam ich an Orte, die mich einluden, einfach nur da-zu-sein. Anhalten, sich hinsetzen, die faszinierende Bergwelt auf sich wirken lassen - Zeit und nochmals Zeit und nichts anderes zu tun haben. In der Stille pedaliere ich ungestört meines Weges, bin im Einklang mit mir und meinem Rhythmus, höre hier und da auch natürliche Geräusche aus der Umgebung und nehme die Landschaft mit den Menschen und Tieren, die hier leben, intensiv und bewusst wahr. Stille ist freilich immer ein relativer Begriff, absolute Stille im Sinne von Lautlosigkeit ist sehr selten, kommt manchmal nur in der Wüste oder abgelegenen Bergregionen vor. Gemeint ist hier vielmehr die Abwesenheit von unnatürlichen Störgeräuschen, verursacht durch Straßenverkehr, Hupen, Maschinen, Geschrei, allgemeiner Geräuschpegel erzeugt durch (laute) Konversation überall da wo geschäftiges Treiben herrscht, wo viele Menschen an einem Ort konzentriert sind. Diesen Kontrast erlebte ich auf dieser Reise immer wieder, wenn ich nach ein paar Tagen Fahrt durch einsame, manchmal menschenleere Gegenden in die nächste quirlige Großstadt kam. Anfangs war es mir noch willkommen wieder unter Leuten zu sein, nach entbehrungsreichen Passagen wieder eine größere Lebensmittelvielfalt zu genießen, für ein paar Tage ein festes Quartier zu beziehen, wieder ein - wenn auch temporäres - Zuhause zu haben, wieder Teil einer Gemeinschaft zu sein, ein Stück weit dazu zugehören. Außerdem brauchte ich diese Stationen ja auch, um meine Aufzeichnungen ins Internet zu übertragen. Gerade aber in diesen Internetcafes herrschten oft der schlimmste Lärm, Geschrei und Stimmenwirrwarr. Während ich hier im Schweiße meines Angesichts versuchte mich zu konzentrieren und mein handgeschriebenes Tagebuch, dessen Einträge ich irgendwo in der Wildnis nachts im Zelt bei Stirnlampenlicht gemacht hatte, auf die online-Plattform zu übertragen, sprangen und plapperten oft dicht neben mir wildgewordene Teenager umeinander, sich Kommandos und Kommentare zuwerfend, während sie sich den immer wieder gleichablaufenden wilden Gemetzeln auf ihren Bildschirmen hingaben. Nach derartigen Erlebnissen war ich heilfroh, wenn ich endlich die Schreibarbeit erledigt hatte, mich wieder auf Achse begab und diese manchmal gewaltverdorbenen, kommerzverseuchten und lärmverschmutzten Orte weit hinter mir lassen konnte. Wie sehr würde ich diesen virtuell degenerierten und naturentfremdeten Teenagern eine mehrtägige Radtour durch ihre so nahegelegenen Berge empfehlen. In Anamur war es auch, wo ich mir endlich ein paar Ohrstöpsel besorgte, um den leider meist unvermeidlichen Lärm der Städte und der Straße wenigstens etwas abzumildern. Im Laufe meiner Tour spürte ich, dass ich immer empfindlicher wurde gegenüber unnatürlichen Lärmquellen jeglicher Art und wie sehr ich die Stille zu schätzen lernte.
In unserer heutigen mehr und mehr durch Verkehr und moderne Technologie dominierten Umwelt herrscht Lärmverschmutzung leider meist vor und Stille ist zu einem kostbaren, schützenswerten Gut geworden.


IV. Reisephotographie

"Wie soll ich wissen wo ich überall war, bevor ich daheim bin und meine Bilder ausgewertet habe?" Dieser Satz könnte von so manchem photographiebegeisterten Zeitgenossen stammen, der unterwegs bei jeder Gelegenheit die Kamera zückt und vor allem einschlägige Sehenswürdigkeiten ausgiebig ablichtet, um nur ja nichts zu verpassen, um das Ereignis, das Motiv unbedingt im Kasten zu haben. Viele der Fotos und die zugrundeliegenden Motive betrachten diese Enthusiasten dann zuhause zum ersten Mal erst so richtig vor dem Bildschirm. Womöglich entgeht ihnen aber dadurch gerade dieser magische Moment unmittelbar bevor sie den Auslöser betätigen, solange das Motiv noch "frei im Raum schwebt", bevor es für immer auf Datenträger festgehalten ist. Womöglich versäumen sie es, seine Einzigartigkeit, seine Lebendigkeit wahrzunehmen, zu verinnerlichen und im Kopf abzuspeichern, bevor sie es auf ihrem Kamerachip verewigt haben. Für mich war es vor allem wichtig, mit offenen Augen in der Welt unterwegs zu sein, manchmal gewissermaßen die Zeit anzuhalten und im Hier und Jetzt die Eindrücke auf mich wirken zu lassen. So hatte ich das Gefühl, die Bilder im Kopf zu machen, das sind wohl auch diejenigen, die länger haften bleiben. Wenn ich darüber hinaus auch noch das eine oder andere Foto habe, umso besser, dann kann ich sie mir später nochmal unmittelbar vor Augen führen und sie auch anderen zeigen. Doch zuerst muss ich das Bild mit allen Sinnen aufgenommen haben...Davon abgesehen gibt es Situationen, die für mich nur bedingt gut photographierbar sind, zumal ich als Radler kaum eine umfangreiche und teure Fotoausrüstung mitführen kann, mit verschiedenen Brennweiten, Teleobjektiven, stabilem Stativ, etc. Mit einer technisch abgespeckten Digital-Sucherkamera gestalten sich beispielsweise die auf Reisen in fremde Kulturen so begehrten Aufnahmen von Menschen schwierig, wenn man einen hohen Anspruch hat und entsprechende Resultate erzielen will. Besonders wenn diese Fotos authentisch wirken sollen und das tun sie in den meisten Fällen nur, wenn die Person nicht merkt, dass sie gerade abgelichtet wird. Das wiederum geht nur von einem entfernten idealerweise erhöhten Standort aus mit einem guten Teleobjektiv. Es bleiben freilich immer noch reichlich Fotomodelle übrig, die sich manchmal buchstäblich um den besten Platz vor der Kamera balgen, aber es ist eben nicht dasselbe, als wenn man unentdeckt bleibt...Ein weiterer Aspekt ist, dass man als Reisephotograph sensibel seine eigene Grenze ausloten muss, wie weit man gehen will bei Fotos von Menschen unterwegs, wie nahe man herangehen will. Denn schließlich dringt man als Außenstehender und Fremder in deren Leben, Kulturkreis und Privatspäre ein, damit man später seine Reise damit dokumentieren kann, damit man die Bilder einem Publikum vorführen und sagen kann "seht her wo ich war, was für überaus exotische und fremdartige Menschen ich getroffen habe"! Das kann zweifellos sehr reizvoll sein, solange man mit viel Einfühlungs-vermögen und Behutsamkeit zu Werke geht. Ross, ein Australier aus Sidney, den ich in Istanbul kennengelernte, hat mir voller Enthusiasmus seine professionelle Spiegelreflexkamera vorgeführt und mir einen Einblick in ihre Möglichkeiten gegeben. Dazu hat er mir ein Fotobuch von National Geographic mit preisgekrönten Aufnahmen gezeigt. Es war kaum möglich, davon nicht fasziniert zu sein, aber natürlich muss man bedenken, dass selbst diese Profiphotographen für einige dieser Bilder wohl wochenlang auf der Lauer liegen und gigantischen Aufwand treiben. Diese Möglichkeiten hat man unterwegs, schon gar auf einer Radreise, natürlich nicht. Trotzdem ist damals zumindest ein Funke von Ross´ Begeisterung auf mich übergesprungen. Wenn möglich werde ich auf meine nächste Tour eine leichte Spiegelreflexkamera mitnehmen.

Die Photographie ist ein schier unendlich weites Feld, ähnlich dem Horizont auf dem Reiserad und man hört nicht auf dazuzulernen. Und trotzdem sollte man darauf achten, die Bilder der Welt zuerst mit dem Kopf aufzunehmen..


Dem gibt es nur noch dieses letzte Kapitel hinzuzufügen:

V. Auf der Suche nach Ursprünglichkeit

Unter anderem bei der Annäherung an die Stadt Plovdiv, Bulgariens zweitgrößte Stadt, kamen mir diese Gedanken, die dazu angetan sind, unsere Sehnsucht nach dem Unbekannten, dem Fremdartigen, ja die Motivation für unsere Reiselust insgesamt zu hinterfragen. Diese Stadt blickt auf eine 6000-jährige Geschichte zurück, die ursprünglich thrakische Siedlung kam im Laufe der Jahrtausende unter römische, byzantinische und osmanische Herrschaft. Die heute noch erkennbaren Spuren, die von diesen geschichtlichen Epochen Zeugnis ablegen, blieben mir als durchreisendem Fernradler aber leider verborgen. Die Gründe dafür habe ich in Teil V meines Reiseberichts schon ausführlich beschrieben. Man fährt zunächst durch ein schier endloses Gewerbegebiet mit Autohändlern, Einkaufszentren und Schnell-restaurant-Ketten. All das ist absolut austauschbar und könnte einem in einer beliebigen anderen Großstadt der Welt begegnen. Irgendwann erfolgt der Übergang zu schmucklosen in eintönigem Grau gehaltenen Wohnblöcken - auch nicht gerade das was man gesucht hat, was den charakteristischen Charme dieser uralten Kulturstadt ausmacht. Schließlich dringt man ins angebliche Zentrum vor, was allerdings lediglich zur Folge hat, dass der Verkehr noch dichter und lauter, die Luft noch ungesünder wird. Von historischen Gebäuden, vom gewachsenen alten Stadtkern keine Spur, keinerlei Hinweise oder Ausschilderung, die dort hinführen.
Schließlich machen sich bei mir die eingangs erwähnten Überlegungen breit - was suche ich, was suchen wir da eigentlich? Wir suchen eine Welt wie sie früher einmal war, wir wollen wissen wie die Menschen längst vergangener Zeiten gelebt haben, was sie bewegt hat. Das hat sicher seine Berechtigung. Vielleicht können wir aus Erkenntnissen über frühere Zivilisationen Rückschlüsse ziehen für die Gegenwart, begreifen woher wir kommen, wie wir geworden sind, was wir heute sind.
Doch kommt dabei nicht viel zu oft die Gegenwart zu kurz? Wie leben die Menschen heute, was sind ihre Wertvorstellungen, Weltanschauungen, Ziele und Träume?
Allerdings bringt mich der Bergriff Ursprünglichkeit auch noch auf einen anderen Gedanken. Was und wieviel von dem was wir in der Welt sehen ist noch echt und unverfälscht und was ist einer Kultur von außen übergestülpt, von einer sich weltweit ausbreitenden Mainstream-Bewegung überschwemmt, vereinnahmt, zu einem konturlosen Einheitsbrei verkommen - man denke hier nur an das globale Wuchern amerikanischer Fast-Food-Ketten. Was geht alles verloren an althergebrachten Sitten und Bräuchen, an traditioneller Lebensweise, Kleidung und Ernährung indem es dem unersättlichen Kraken zum Opfer fällt. Einem Ungetüm, das nach allen Seiten seine Fangarme ausstreckt in seiner Gier zu vereinnahmen, lokale Eigenheiten und individuellen Charakter auszumerzen, in seinem Bestreben nach immer mehr Profit und Kommerz. Dieses Monster trägt den Namen Globalisierung. Auf meiner Tour habe ich den Großteil der Zeit in zwei Ländern verbracht, die von diesem kommerziellen Tsunami kulturellbedingt bisher verhältnismäßig verschont geblieben sind - die Türkei und Syrien. Als sehr wohltuend habe ich dort das Fehlen jeglicher westlicher Ketten empfunden, hier kann man noch eintauchen in eine weitgehend authentisch gebliebene orientalische Welt. Die Menschen tragen dort noch viel häufiger traditionelle Kleidung und pflegen einen althergebrachten Lebensstil als anderswo. Allerdings schließt diese authentische Lebensweise im muslimischen Kulturkreis auch mit ein, dass Frauen im öffentlichen Leben nach wie vor eine kaum wahrnehmbare Rolle spielen, dass sie hier fast nur verschleiert, wie Schattenwesen, auf die Straße gehen. Von Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, ist man hier noch himmelweit entfernt, nach westlichem Verständnis sind das noch mittelalterliche Zustände.

So schweifen das achtsame Auge und das offene Ohr des Reisenden umher, nehmen wahr, lauschen und beobachten. Sie sollten dabei so unvoreingenommen wie möglich sein, objektiv Eindrücke aufnehmen und sie dem stetig wachsenden Schatz an Erfahrungen, die wir mit der Welt machen, hinzufügen. Jedoch wird das nie ganz ohne Subjektivität möglich sein. Wir werden das Gesehene und Gehörte immer auch ein Stück weit in Relation setzen zu unserem eigenen Erlebnishorizont, zu bisher Kennengelerntem und Erfahrenem, zu unserer Erziehung und unserem individuellen heimischen Kulturkreis. Wenn wir dann das für uns Fremdartige als solches akzeptieren, uns vielleicht auch damit auseinandersetzen und in einen interkulturellen Erfahrungsaustausch treten, dann haben wir die Chance zur persönlichen Weiterentwicklung, können zur Völkerverständigung beitragen und sind unserem Ziel wieder etwas näher gerückt - auf der Suche nach Ursprünglichkeit und damit zweifel-los auch auf der Suche zu uns selbst.


Mit Hermann Hesse habe ich diese Reise begonnen und mit diesem zeitlosen Schriftsteller und Freigeist möchte ich sie beschließen:

Hallo Stefan, irgendwann musst auch du es doch kapieren: Bitte keine fremden Texte einstellen! Siehe auch hier.

Hermann Hesse (aus "Stufen", 4.5.1941)


Ereignisse in den bereisten Ländern, nachdem ich dort war:

Ungarn: Giftschlammkatastrophe in der Donau
Belgrad: Schwulenparade, blutige Niederschlagung durch die Polizei
Sofia: Besuch Angela Merkel
Istanbul: Terroranschlag in Taksim;
Brand
Israel: Feuer in den Carmel Mountains;
während meines Aufenthalts: Brand im Zug Nahariya-Haifa
Jordanien: Auflehnung gegen die Monarchie
& Syrien: Demonstrationen und Auflehnung gegen das Assad-Regime - brutale
Niederschlagung durch das Militär, großes Blutvergießen;

(Vorangegangene Ausschreitungen gegen die Regime in Tunesien, Ägypten, Libyen und im Jemen;)


- Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.

- Das Rad ist rund, damit Radler ihre Freiheit erfahren können.

- Die Welt ist rund, damit am Ende alles wieder von vorne anfängt.



Ende - koniec - vège - konac - kraj - kpan - son - the end

Geändert von Maze (13.05.11 18:32)
Änderungsgrund: Bericht zusammengeführt
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#654459 - 17.09.10 16:01 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: Wandering-Spirit]
gudtom
Mitglied
abwesend abwesend
Beiträge: 35
... freue mich schon auf den nächsten Teil !!!

Gute Reise


Thomas
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#654491 - 17.09.10 19:21 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: gudtom]
india
Mitglied
abwesend abwesend
Beiträge: 7
Schön geschrieben!
Ich freue mich schon darauf, mehr zu lesen.
Viel Spaß weiterhin und eine unfallfreie Reise.
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#654526 - 18.09.10 05:58 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: Wandering-Spirit]
shaugsburg
Mitglied
abwesend abwesend
Beiträge: 43
Danke für deine Mühe - sehr schön geschrieben.

Gruß, Sara
saras-bike-travels.de
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#654551 - 18.09.10 09:26 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: Wandering-Spirit]
gatzek
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Hallo Wandering-Spirit,
ein wirklich ansprechender Reisebericht, fast schon eine Reportage. Ich persönlich finde alles sehr schön aufgebaut und formuliert, sehr stimmungsvoll erzählt. Und wer mit Hesse reist, kann zurecht seinen Fotoapparat daheim lassen.
Gruß und Spaß, Gatzek.
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#654631 - 18.09.10 23:13 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: gatzek]
Wandering-Spirit
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Danke euch allen fuer eure netten Antworten, das inspiriert mich wirklich weiterzumachen! Habe hier in Budapest, wo ich am Do.,16.09. angekommen bin, ganz tolle Leute kennen gelernt aus Australien, Neuseeland, Portugal und Augsburg. Mit ihnen war ich viel unterwegs in dieser faszinierenden Stadt, voll von spannenden und ueberraschenden Entdeckungen. Natuerlich war alles wieder zu kurz und wird dem Ort nicht gerecht, aber wie so oft ist eben weniger mehr. Dafuer hab ich ein paar neue Freunde vom anderen Ende der Welt, bzw. Europas gefunden. Weil wir hier auch richtig das turbolente Nachtleben ausgekostet haben, bin ich ein bisschen im Verzug mit meinem Bericht. Wird aber alles hier demnaechst zu lesen sein. Ich freu mich, wenn ihr dran bleibt mit der Lektuere. In Kuerze folgt Teil II: - von Wien nach Budapest.

Liebe Gruesse und bis dann

Wandering Spirit

Geändert von Wandering-Spirit (18.09.10 23:15)
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#654686 - 19.09.10 13:15 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: gatzek]
Wandering-Spirit
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Unterwegs in Deutschland

Hey Gatzek,
ich nochmal kurz. Trotz "Hesse-Background" hab ich schon eine ganze Menge Fotos gemacht und wuerde eigentlich auch ganz gern ein paar hier reinstellen, habe mich aber noch nicht richtig damit beschaeftigt und will mich damit nicht zu lang aufhalten. Werde aber zu einem spaeteren Zeitpunkt wohl auch mal ein paar Bildeindruecke hier reinstellen. Vielleicht kannst du mir ja einen tipp geben, wie ich da vorgehe?

Saludos und bis dann

WanderingSpirit
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#654905 - 20.09.10 10:26 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: Wandering-Spirit]
gatzek
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Hallo Wandering-Spirit,
da fragst Du leider den falschen. Meine Kentnisse mit dem Medium Computer und Internet sind auf absolut rudimentärem Niveau.
Sagen möchte ich, dass ich Fotos überhaupt nicht vermißt habe. Der Bericht ist auch ohne optische Unterstützung lebendig und lesenswert.
Also weiterhin viel Spaß und interessante Erlebnisse, Gruß Gatzek.
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Off-topic #654911 - 20.09.10 10:44 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: Wandering-Spirit]
natash
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wie man Bilder einfügt wurde einmal hier von bike bine gut zusammengefasst.
Vorab sucht Du Dir irgendeinen Internet-Bilder-host (Picasa, photobucket, flickr...) oder legst die Bilder auf einem anderen Server ab.
LG nat
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Off-topic #655384 - 22.09.10 14:04 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: Wandering-Spirit]
MatthiasM
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Hmm, wenn Du direkt im Forum schreibst, sollten ÄÖÜ von egal welcher Tastatur, die das kann, auch als ÄÖÜ ankommen. Wenn Du irgendeinen Texteditor oder irgendwas Word-artiges nimmst (z.B. um das alles offline zu schreiben) und dann den ganzen Text samt ÄÖÜ dann mit Cut & Paste ins Forum einbastelst, dann gehen Umlaute und sonstige Sonderzeichen manchmal (nicht immer) kaputt

lG Matthias

Geändert von MatthiasM (22.09.10 14:04)
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Off-topic #655457 - 22.09.10 19:02 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: MatthiasM]
martinbp
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Hallo, Matthias,

ich nehme an,dass der Wandernde Geist die langen ö und ü ( nicht mit Punkten, sondern mit Strichen) getippt hat. Die liegen auf der ungarischen Tastatur nämlich naheliegender, handgerechter als die kurzen, die in der Zahlenleiste zu finden sind. Das die Forumssoftware mit den langen ö und ü nicht umgehen kann, habe ich auch schon oft zur Kenntnis nehmen müssen. In der ungarischen Sprache kann die Verwechslung von langen und kurzen Vokalen zu manch seltsamer Bedeutungsänderung führen.
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#655460 - 22.09.10 19:09 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: Wandering-Spirit]
martinbp
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Hallo,
vielen Dank für Deinen Bericht, der sich auch ohne Fotos prima lesen lässt. Da ich den größten Teil auch selbst schon geradelt bin, weckt das schöne Erinnerungen.

Schade, dass ich nicht eher wusste,dass und wann Du in Budapest bist. Am Samstag und am Montag habe ich gerade mit einem anderen Forumsmitglied eine kleine Stadtbesichtigung bzw. Ausfahrt unternommen. Da hätte ein kleines Forumstreffen draus werden können.

Für Deine weiter Reise wünsche ich Dir weiter schönes Wetter, nette Mitradler und eine pannenfreie Fahrt

Viele Grüße aus Budapest

Martin
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Off-topic #655499 - 22.09.10 22:43 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: Wandering-Spirit]
Falk
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Stell doch einfach den Tastaturtreiber auf »deutsch« um. Seltsamerweise kommen auf diese naheliegende Lösung nur die Wenigsten. Es funktioniert auch in vielen öffentlichen Indernetzzugangsstellen. Schon gibt es deutsche Umlaute, die überall dargestellt werden können. ae, oe und ue sind nämlich für den Lesefluss nicht viel besser.

Falk, SchwLAbt
Falk, SchwLAbt
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#655514 - 23.09.10 07:29 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: Wandering-Spirit]
PMB
Nicht registriert
Auch ich werde neidisch und erinnere mich an meine Tour von vor 3 Wochen zurück. Habe mich auch in Budapest verliebt!
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#655694 - 23.09.10 21:32 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: martinbp]
Wandering-Spirit
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Hey martinbp,
besten Dank fuer deine sympathischen Zeilen. Ja schade, bin am Montag aus Budapest aufgebrochen und mittlerweile nach Kroatien in die historisch wohl sehr interessante Stadt Osijek vorgedrungen. Inzwischen bin ich mit einem netten oesterreichischen Paerchen unterwegs, habe die beiden gestern auf dem Campground kennengelernt. Kann mir gut vorstellen, mit ihnen ein paar Tage unterwegs zu sein, vielleicht bis Belgrad. Tempomaessig passt es ganz gut.
Habe in Budapest so einige gute Leute aus aller Welt getroffen, eine tolle Zeit mit ihnen gehabt und mich laenger als gepant aufgehalten. Wars mir aber jede Stunde wert. Einen von ihnen, den Australier, treff ich wahrscheinlich nochmal in Istanbul, bevor er von dort aus zurueck fliegt nach Down Under.
Vielleicht klappt es ja bei anderer Gelegenheit mal mit einem Treffen, wuerde mich freuen!

Bis dahin, keep the spirit!

Stefan, alias WanderingSpirit
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#655701 - 23.09.10 22:39 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: Falk]
Wandering-Spirit
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Super, danke falk. Nur, bevor ich lange rumsuche und probiere, und ohne mich zusehr als anti-pc-freak zu outen, wie mach ich das - den Tastatur-Treiber auf "deutsch" stellen? Danke nochmals fuer einen kurzen Tipp.

Gruss, Stefan
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#655817 - 24.09.10 14:43 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: Wandering-Spirit]
Falk
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Das hängt vom Betriebssystem ab. Beim meistens vorhandenen Windows lohnt ein Blick in die Systemsteuerung, unter Win 2000 dann »Tastatur«, unter den Folgeversionen müsste es unter »Sprachoptionen« sein. Sollte es Linux geben, dann ist die Phantasie der Entwickler ziemlich groß. Bei KDE brauchst Du das Kontrollzentrum (KDE3) oder die Systemeinstellungen (KDE4). Leider sind die Menüunterpunkte je nach Version ein bisschen unterschiedlich angeordnet, aber »Regionales« - »Land und Region« sowie »Hardware« - »Eingabegeräte« - »Tastatur« ist dafür zuständig. Unter letzterem lassen sich zusätzliche Tastaturtreiber aktivieren und die Umschaltung konfigurieren. Vielleicht passt es nicht jedem Betreiber, wenn man die primäre Sprache umschaltet.
Andere Systeme sind mir noch nicht begegnet, Windowsversionen dürften 98% der öffentlichen Zugangsstellen ausmachen. Dass man die Tastaturlayouts nicht ändern kann, ist nur sehr selten der Fall. Gibt es ein Sprachsymbol in der Taskleiste, dann kommst Du auch über einen Rechtsklick darauf in das Tastaturlayoutmenü. Pass auf, die Umschaltung gilt bei Windows immer nur für das gerade geöffnete und aktive Fenster.

Falk, SchwLAbt
Falk, SchwLAbt
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Off-topic #657398 - 29.09.10 18:57 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: Wandering-Spirit]
martinbp
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Szia, Wandering spirit,

Klugscheißermodus an:
Einige Ergänzungen bzw. Richtigstellungen zu Deiner Wortliste.
1. Den Buchstaben ä gibt es im Ungarischen überhaupt nicht, aber es gibt das kurze e wie in "es", welches ich hier mal durch ä ersetze
2. Wenn auf dem Vokal ein Akzentstrich ist, wird er lang gesprochen. Das ist manchmal sehr wichtig.
z. B. die Entsprechung für zum Wohl heißt egészségedre (gesprochen ägeeßscheegädrä, wenn Du stattdessen ägeeßschäggedre (mit doppel g, also langem g)sagst, bedeutet das "auf deinen ganzen Arsch"
Auch über dem ö und dem ü können statt Punkte Striche stehen, auch dann sind diese lang auszusprechen.
ansonsten
s = sch
sz= s (stimmlos)
z = s (stimmhaft)
Es gibt noch weitere Buchstabenkombinationen, deren Aussprache , aber die kommen in deiner Liste nicht vor)
Betont wird übrigens immer die erste Silbe, auch wenn die erste Silbe einen kurzen Vokal enthalt, die folgenden einen langen Vokal)
Insofern muss ich Deine Liste korrigieren:

köszönöm-danke
étterem-Restaurant (mit langem e am Anfang und einem langen t)
sör-Bier (gesprochen Schör)
söröző -Bierstube (gesprochen Schörösö,mit langem ö am Ende und stimmhaftem s)
élelmiszer -Lebensmittel (gesprochen elälmißer mit langem e am Anfang)
kenyér-Brot (sprich känjer, mit langem e in der zweiten Silbe)
víz- Wasser (mit langem i und das z als stimmhaftes s)
tej-Milch (keinen ei-Laut daraus machen)
sajt-Käse (sprich Schait, das a wie im Sächsischen, ein bisschen zum o reduziert)
kiadó-zu vermieten(langes o am Ende)
szoba kiadó (sprich ßoba kiadó)-Zimmer frei
pénzváltás (sowohl dase als auch die a werden lang ausgesprochen)
kerékpárút (nur das erste e ist kurz, alle anderen Vokále lang)
híd-Brücke (langes i)
eladó- zu verkaufen (langes o am Ende)
Klugscheißermodus aus

Was den Donauradweg südlich von Budapest betrifft, ist er zwar an jedem Abzweig ausgeschildert, aber oft ist die Anbringung der Schilder besch.... suboptimal, so dass man sich doch manchmal verfährt, wenn man nicht aufpasst. Es wird normalerweise der verkehrsärmste Weg ausgewiesen, das führt zu etlichen Wechseln der Donauseite, zu Umwegen und zu vielen unüberichtlichen Abzweigen und Kurven.
Außerdem gibt es zwei verschiedene Designs für den Donauradweg, die mit grünem Hintergrund sind ein Provisorium :p(vermutlich für 10 -20 Jahre, oder auch bis zur Ewigkeit)

Ansonsten gefallt mir Dein Bericht super, vor allem auch deine Gedanken unter Velosophie.

Weiterhin gute Reise

Martin
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Off-topic #657433 - 29.09.10 21:15 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: martinbp]
Wandering-Spirit
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Hey martin bp,
besten Dank fuer deine ueberaus akkuraten Erlaeuterungen. *Gott sei Dank* hab ich Ungarn nun schon laenger hinter mir gelassen und muss mich nicht mehr laenger mit der Exotik dieser Sprache rumschlagen! Bin zwar als Uebersetzer sprachlich nicht unbedarft, sechs Tage erstmaliger Aufenthalt im Land, wobei meine Hauptbeschaeftigung dem Radfahren galt, waren aber natuerlich ein bisschen wenig, um Einblick in diese Sprache zu gewinnen. Meine kleine Woerterliste war demnach eigentlich auch mehr als kleiner Scherz gedacht. Aber du scheinst ja Ungarisch-Experte zu sein. Lebst du im Land?

Anyway, muss jetzt endlich Teil III, Budapest bis Belgrad fertigstellen. Wuerd mich freuen, wenn du als Leser dranbleibst.

Bis die Tage,

Saludos, Stefan
alias WanderingSpirit
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Off-topic #657574 - 30.09.10 11:01 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: Wandering-Spirit]
martinbp
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Siehe mein Profil,
ja ich lebe hier und kommuniziere nun schon mehr als 35 Jahre hauptächlich in diese Sprache.
Übrigens halte ich die Auswahl, die du getroffen hast, für völlig ok. Und um nach Dingen Ausschau zu halten, braucht man ja keine Ausspracheregeln zu kennen. Also als passiver Minimalwortschatz für Reiseradler durchaus zu empfehlen. Nur eine Umschreibung von ö zu oe wird man hier nicht finden, und wenn man das Wort zwecks Nachfrage so auf einen Zettel (auf ungarisch cetli) schreibt, versteht das kein Einheimischer auch bei gutem Willen nicht.
Viele Grüße aus Budapest
Martin
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#658866 - 04.10.10 21:47 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: Wandering-Spirit]
buschwindröschen
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Lieber Stefan, hier ist die Anemone. Trete unter Buschwindröschen auf. Ich lese jede Woche Deine Radberichte, sind toll! Ich hoffe, Dir geht´s gut und ich wünsche Dir weiterhin eine schöne Reise!
Ich habe ein bisschen darüber nachgedacht, ob ich Dich fragen soll, ob es Dir recht wäre, wenn ich eine Woche lang mitradle, denn ich habe nächste Woche eine Woche lang Urlaub, aber wenn ich so Deine Bericht lese, glaube ich, es ist zu schwer für mich. Schade, dass Du manchmal auf der Hauptstraße radeln musst, an der so viel Verkehr ist. Das wäre, glaube ich, nichts für mich, da hätte ich zu viel Angst. Ansonsten hört sich Deine Reise echt toll an.
Werde Deine Radlroute im Atlas mitverfolgen.
Ich wünsche Dir alles Gute!
Gruß
Anemone
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#659942 - 08.10.10 08:11 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: buschwindröschen]
Wandering-Spirit
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Liebe Anemone,
freut mich sehr von dir zu hören! Es läuft insgesamt super auf meiner Tour, obwohl es natürlich auch den einen oder anderen "Wermutstropfen" gibt. Hast du ja alles schon fleissig hier im Forum gelesen. Bin aber gesund, weiterhin fit und unfallfrei durchgekommen, und das nun immerhin schon mehr als 2.300km. Das ist mal das Wichtigste. Am Dienstag hab ich mich nun bis Sofia, zu meinen Freunden Florian und Tui durchgeschlagen. Hier fühle ich mich grad bisschen wie die "Made im Speck" und regeneriere auf angenehmste Weise in ihrer sehr grossen, gemütlichen Wohnung mit allen erdenklichen Annehmlichkeiten. Aber die letzten ca. 300km hierhier waren sehr zäh, verkehrsreich, wettermässig bescheiden, lang und mit vielen Höhenmetern (Balkanüberquerung). Kurzum, keine Etappe, die ich guten Gewissens einem Mitradler zumuten oder gar empfehlen würde. Aber natürlich weiss ich das selber nie so genau vorher über einen bestimmten Streckenabschnitt. Klar, die Donau im September bei strahlendem Sonnenschein wäre noch was anderes gewesen! Hier ist man inzwischen als Radler auf weiter Flur allein, gilt als Exot.
Du hast nun nächste Woche Urlaub, sagst du? Das ist knapp, kannst du ihn nicht auf übernächste Woche verschieben? Am Montag, 11.10. werde ich von Sofia aus nach Istanbul aufbrechen, vielleicht über Griechenland, will versuchen, es in 7 Tagen zu schaffen. Im voraus werde ich dort eine Hostel-Unterkunft buchen. Ein Australier, den ich in Budapest kennengelernt hab, ist noch bis zum 20. dort, wenn ich also gut durchkomm, kann ich mit ihm noch ein paar Tage Istanbul "unsicher machen". Wenn du Lust auf Istanbul hättest, oder anschließend auf Schwarzmeerküste und dann durchs Landesinnere, Anatolien, Richtung Ankara? Aber da weiss ich freilich auch noch nicht, was auf mich zukommt. Auf jeden Fall ist die Türkei sehr gebirgig, wird also viele Steigungen geben. Muss ich alles noch bisschen recherchieren. Wie auch immer - meld dich einfach wieder. Ich fürchte dass es zu knapp für dich ist, deinen Urlaub zu schieben?
Du, wenn das hier jetzt nicht klappt, gehen wir aber auf jeden Fall daheim mal radeln, im nächsten Frühjahr oder Sommer, ok? Freu mich drauf wieder von dir zu hören.
Liebe Grüsse, Stefan
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#659984 - 08.10.10 10:34 Re: Fortsetzung Isar-Israel Teil I [Re: Wandering-Spirit]
gatzek
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Hallo Wandering Spirit,
da hat Dich ja in Serbien der Blues erwischt. Manchmal kommt eben halt alles zusammen: Wetter, Verkehr, Müll... Ich wünsche Dir, dass Du es trotzdem nicht so eilig hast und weiterhin Zeit findest, das Rad mal stehen zu lassen und einen Blick um die Ecke riskierst.
Friedhöfe besuchen ist auch meine Sache. Meistens sind es Oasen inmitten der Unruhe, mit altem Baumbestand und in jeder Region gibt es kleine Unterschiede in der Grabsteinkultur zu entdecken. So auch in Istanbul, worauf Du Dich bereits freuen kannst.
Gruß Gatzek
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#660384 - 10.10.10 07:23 Re: Von der Isar nach Israel [Re: Wandering-Spirit]
vinsamlegur
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Hallo Wandering-Spirit,
auch ich verfolge deine abenteuerliche Tour. Dein letzter Bericht unter anderem durch die Tunnels bekam ich Gänsehaut. Für die weiteren Touren alles Gute.
Viele Grüße aus dem Süddeutschland
Vinsamlegur
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#660601 - 10.10.10 22:00 Re: Von der Isar nach Israel [Re: Wandering-Spirit]
buschwindröschen
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Hallo Stefan,
vielen Dank für Deine Antwort. Habe mich sehr gefreut. Ich möchte Dir nur kurz Bescheid sagen, dass ich mich entschieden habe, jetzt in meinem Urlaub etwas ganz anderes zu machen, ich werde morgen mit dem Auto nach Kärtnen an den Wörthersee fahren, dort auf das Grab meiner Eltern gehen (war schon zwei Jahre nicht mehr dort), viel spazierengehen und alte Erinnerungen auffrischen. Von daher wird es jetzt mit dem Fahrradfahren in nächster Zeit nichts, den Urlaub um eine Woche zu verschieben wäre auch nicht gegangen, da ich in einem Projekt arbeite, und nächste Woche Projektferien sind, und wir alle gleichzeitig Urlaub nehmen müssen. Ich werde weiter Deine Reiseberichte lesen, an Dich denken und Dir die Daumen drücken, dass Du weiterhin eine schöne Reise hast und gesund wiederkommst. Viele liebe Grüße Anemone
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#662104 - 15.10.10 20:56 Re: Von der Isar nach Israel [Re: buschwindröschen]
Wandering-Spirit
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Fein Anemone.
Wuensche dir eine schoene Zeit bei dem was du vorhast! Ich hab mich mittlerweile in die Tuerkei bis nach Edirne durchgeschlagen und aerger mich grad bisschen mit den oertlichen i-net Konditionen herum. Aber alles halb so wild. Bin total gluecklich es bis hierher geschafft zu haben! Habe hier im Hotel grad drei Leute aus Holland kennengelernt die mit Motorraedern bis nach Suedafrika unterwegs sind! Dagegen ist meine Tour ja quasi ein Katzensprung! Ha ha! Rechne damit es bis zum 17.abends bis Istanbul zu schaffen. Bin schon sehr gespannt und aufgeregt! Liebe Gruesse und bis bald - Stefan

Geändert von Holger (16.10.10 11:43)
Änderungsgrund: Dank an MatthiasM
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#663249 - 20.10.10 09:32 Re: Von der Isar nach Israel [Re: Wandering-Spirit]
Schnoop
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Hallo Wandering-Spirit,

auch ich verfolge gespannt deine Fahrt hier im Forum.
Das lesen deiner Berichte und deiner Velosophie macht wirklich Spaß und bei dem miesen kalten Wetter hier bekommt man auch wieder richtig schönes Fernweh.
Auf hoffentlich folgende Fotos bin ich auch schon sehr gespannt.

Schnoop
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#663741 - 21.10.10 22:10 Re: Von der Isar nach Israel [Re: Wandering-Spirit]
Pfannastieler
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Hallo Wandering-Sprit

Wir (Ü 50 (ich und meine Frau))) vefolgenden nun schon eine Weile deinen "Reisebericht"
ehrfürchtig ob diesen Mutes, solch eine Reise zu unternehmen hoffen wir, dass du dein gestecktes Ziel gesund und unversehrt erreichst !!!

Ausserdem lernen wir, wie klein doch unsere "Probleme" sind, wenn wir so unsere Touren fahren.

Hat man sich erst einmal losgerissen, alle Hürden und Hemmnisse überwunden, sich von Skeptikern und Bedenkenträgern unbeeinruckt gezeigt und sich endlich nach Wochen der Vorbereitung auf den Weg gemacht, verlieren all diese Dinge rasch an Wichtigkeit und es stellt sich eine - angesichts des nicht unerheblichen Gepäcks - erstaunliche Leichtigkeit ein. "Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen", um mit Hermann Hesse zu sprechen. Durch sein schriftstellerisches Werk und gesamtes Leben zog sich sich als Roter Faden bis ins hohe Alter der immer wieder- kehrende Neubeginn. "...denn jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und hilft zu leben."

...dieser Absatz in deinem ersten Beitrag finden wir einfach "Klasse" !! wir haben ihn nun schon des öfteren gelesen !!

wir wünschen dir eine gute Reise, komm´ wieder gesund nach Hause,
und sofern du Zeit hast, halt uns (das Forum) auf dem Laufenden.

Dein Reisebericht ist besser wie viele Bücher !!


Gruss aus dem Schwabenland

Rainer und Beate

[b][/b]
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#663751 - 22.10.10 05:04 Re: Von der Isar nach Israel [Re: Pfannastieler]
rollido
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Hallo Stefan,
kann mich nur meinen Vorredner in allem anschließen.
Werde die Tour, auf ähnlicher Route, unter die Reifen meines Liegerades 2011 nehmen.
Ein paar statements zu Syrien.
Es ist neben Ägypten das faszinierenste Land Arabiens. Kreuzfahrerburgen wie Krak de Chevalier, Saladinsburg ein absolutes Muß. Außerdem Maaullah, Zentrum der Syrisch-Orthodoxen Kirche. Dort spricht man noch aramäisch, die Sprache von Jesus. Exzellenter Wein (hochprozentig). In Aleppo in den souk eintauchen, Damaskus die Omajadenmoschee und die Altstadt genießen.
Zum Abstecher nach Palmyra und an den Euphrat wird Dein Zeitfenster wohl nicht reichen.
Wenn die Zeit reicht, Abstecher nach Baalbek (Libanon), Ugarit, Latakia am Mittelmeer.
In Syrien sind die Menschen noch nicht vom allgemeinen Tourismus "verseucht" und extrem gastfreundlich, offen und neugierig.
Die Menschen sind ländlich geprägt, religiös, aber nicht fundamentalistisch.
Habe etliche Zeit in Syrien (beruflich bedingt) verbracht; würde sofort dort meinen Alterssitz aufschlagen.
Da ich auch noch in Calw, der Geburtsstadt von Hermann Hesse, zur Schule gegangen bin, habe ich seine Gedanken schon seit längerem verinnerlicht und werde sie wie Du, in die Tat umsetzen.
Insofern, radle ich schon im Geiste, von Fernweh im kalten Nordschwarzwald geplagt, mit.
'safar mu'ri:h
Gerhard
Der Umweg ist das Ziel und alle Berge im Durchschnitt flach !
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#663829 - 22.10.10 14:41 Re: Von der Isar nach Israel [Re: Schnoop]
Wandering-Spirit
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Unterwegs in Deutschland

Hallo Schnoop,
besten Dank fuer deine netten, inspierenden Zeilen! Fotos haette ich sicherlich schon ein paar reingestellt, es gibt freilich so einige, ist mir aber jetzt waehrend meiner Tour zu kompliziert, haelt mich zu lange auf, werd ich hinterher machen. Bin jetzt seit ein paar Tagen im Hexenkessel Istanbul und werde hoffentlich in Kuerze Teil V - von Sofia bis Istanbul - hier reingeschrieben haben. Also, freu mich wenn du dran bleibst!
Ein kleiner Trost - hier ist das Wetter derzeit groesstenteils auch nicht gerade berauschend.

Viele Gruesse,
WanderingSpirit, alias Stefan
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