Re: Magura HS33

von: OliOliOla

Re: Magura HS33 - 15.08.11 15:39

In Antwort auf: Holger2003

Fall b) elastische Verformung der Gabel. Dementsprechend längerer Hebelweg, aber System nach Verformung dann auch stationär.

Hallo Holger,
das sehe ich auch so. Sobald du ein stationäres System daraus machst, spielt die Elastizität keine Rolle mehr, nur die Reibung. Aber wer fährt schon stationär? Der Bremsvorgang ist doch i.d.R. etwas dynamisches, ein Anziehen und Loslassen und kein starres Festhalten. Und gerade bei einer Notbremsung geht es doch darum, wieviel von deiner Handarbeit gleich von Anfang auf die Felgen wirkt.

Ich versuch mal meine Gedanken näher auszuführen.
Zuerst mal, der physikalische Begriff „Kraft" kann korrekterweise nur bei rein statischen Betrachtungen als einzige Größe betrachtet werden. Sobald irgendwas einen Weg gegen eine Gegenkraft zurücklegt, beschleunigt wird, gespannt wird, erwärmt wird… ist die Betrachtung über Arbeit/Energie vollständiger.
Mechanische Arbeit ist nun mal Kraft * Weg (besser das Intergral davon über die Zeit)und Energie entspr. geleisteter Arbeit. Das heißt, wo von mechanischer Arbeit/Energie gesprochen wird, ist immer auch die Kraft mit im Boot, im einfachsten Fall besteht ein linearer Zusammenhang.

Nun betrachte das Ganze mal von der Arbeit-/Energieseite aus. Du erbringst am Bremshebel eine Arbeit. Diese Arbeit verteilt sich auf verschiedene Punkte, zumindest 3 sind wesentlich.
1.) Die elastische Verformung des und die Reibung im Bremszug/Bremssystem.
2.) Die elastische Verformung der Felge (natürlich minimal) und des Bremsgummis (durch das Ineinanderpressen der Rauheiten von Felge und Gummi entsteht ja erst die Reibung)
3.) Die elastische Verformung von Gabel oder Rahmen, ohne Booster gut sichtbar.

Jedesmal gilt natürlich die Formel Kraft * Weg.
Die Arbeit, die für 1.) und 3.) aufgewendet wird, kann nicht zusätzlich an der Felge ankommen, das schließt der Energieerhaltungssatz aus. Da für die Durchführung der Arbeit ein Teil der Kraft benötigt wird, die du am Bremshebel aufbringst, kommt weniger Kraft an der Felge an.
Solange du den Bremsgriff weiter in Richtung Lenker ziehst, solange geht ein Teil deiner Handarbeit(Handkraft * Bremshebelweg) in 1.) und 3.).
Lässt du nun locker, dann entscheidet die Trägheit der elastischen Elemente und der Anteil der Reibung über das weitere Bremsverhalten. Verwendest du ein System mit Seilzügen, dann muss z.B. die Haftreibung zwischen Zug und Hülle überwunden werden und in Gleitreibung übergehen (Gleitreibung ist wesentlich niedriger als Haftreibung). Das System reagiert träge. Hydraulische Systeme sind hier direkter.
Mit dem Loslassen wird auch die gespeicherte Energie freigesetzt, das System sozusagen entspannt.
Ich vermute, dass der Reibungsanteil (quasi im Stahl – Erwärmung) bei 3.) vernachlässigbar klein ist, die Energie also beim Loslassen fast vollständig in Richtung Felge freigegeben wird.
Dieses Verhalten hat zur Folge, dass die Arbeit/Kraft, die auf der Felge ankommt beim Anziehen des Bremshebels kleiner und beim Loslassen größer ist, als die aus den Hebelverhältnissen theoretisch errechnete. Aus der Kurvenlinie wird eine Hysterese.
Wenn du also „dynamisch“ bremst, heißt den Hebel anziehst und wieder loslässt, spürst du immer die Elastizität.
Wichtig auch, dass die benötigte "Handarbeit" bei einer Notbremsung größer ist, dafür das Loslassen bei wegschmierendem Vorderrad langsamer Wirkung zeigt.
Anderes müsste bei einer Dauerbremsung/Schleifbremsung gelten. Sobald der Bremshebel in einer Stellung verharrt, keine weitere Verformung entsteht, müsste die ganze Kraft, (abzüglich der Reibung des Systems), die zum Halten des Bremshebels aufgewandt wird, an der Felge ankommen. Die Elastizität des Rahmens dürfte keine Rolle mehr spielen (mal abgesehen davon, was das rotierende Laufrad mit dem Rahmen macht).
Gerade die Dauerbremsung wird aber i.d.R. ja vermieden. Stotterbremsen ist angesagt. Bremssysteme, die für Schleifbremsungen konzipiert sind, wie z.B. die Arai-Trommelbremse, sind mit ausgeprägter Hysterese leichter zu handhaben.

Man kann das Ganze bestimmt auch mit Kraftvektorfeldern erklären. Immerhin ist es ja so, dass die Cantisockel parallel zur Felge und nicht senkrecht dazu stehen. Ohne Booster kommt es immer zur Verwindung, Reactio (Kraft von Felge weg) muss immer durch ein Kräfteparallelogramm entstehen/die Resultierende des Parallelogramms sein. Die Kraft in Richtung „Material“ also größer als Reactio sein. Actio (Kraft auf Felge) wird also bei gleichbleibender Handkraft geringer. Mit jeder weiteren Verwindung ändert sich das Parallelogramm …. . Mit Booster bleibt es flacher, die Verwindung fällt lang nicht so ins Gewicht.