Re: Frustration Radreise

von: veloträumer

Re: Frustration Radreise - 14.11.12 16:45

Hallo David,
so dramatisch habe ich noch keinen Einbruch gehabt - einen kleinen aber schon. Das Knie war es auch bei mir. 2010 habe ich mir an kalten Ostertagen eine Schleimbeutelentzündung zugezogen (Kälte, Wind, untrainiert), die - nicht rechtzeitig erkannt und nicht recht behandelt - chronisch wurde. Operation oder verminderte Leistungsfähigkeit oder komplette Ausheilung nach langer Zeit waren die denkbaren Szenarien. Operation ist auch mit Risiken behaftet - der Orthopäde neigte zu Abwarten, ich als gefürchteter Skeptiker auch.

2010 fiel zunächst mal die gesamte "Trainingsphase" des Frühjahrs aus. Die ursprünglich geplante Pyrenäenreise im Sommer hatte ich gestrichen weil zu anspruchsvoll. Die Ersatztour durch die Ostalpen zwischen Salzburg, Wien und Maribor war zwar erheblich leichter als einige Vorjahrestouren, wäre aber für Flachfahrer immer noch eine Tortur gewesen. Seltsamerweise hatte ich mit dem schlechten Knie immer noch bessere Karten beim Bergfahren als bei Rasereien in der Ebene - was mir ohnehin nicht liegt. Ich habe vor allem die Etappen kürzer gehalten, das Tempo mittlerweile dauerhaft vermindert - sicherlich auch eine Altersfrage.

Schmerzen hatte ich eigentlich nicht, zu bestimmten Zeiten konnte ich aber das Knie "spüren" - vor allem beim Durchstrecken, bei Kälte und nach größeren Radlleistungen. Irgendein nicht näher definierbares "Kribbeln". Der Zustand blieb, änderte sich aber positiv. Die Winterpausen sorgten für zusätzliche Entspannung. Die letztjährige Pyrenäentour war eigentlich keine Kindergartenfahrt und Knieprobleme blieben eigentlich aus. Eher gab es schon eine Bremse im Hinterkopf.

Nach nunmehr gut zwei Jahren - mit Beginn meiner Korsika-Reise im Sommer - habe ich mein Knie nie wieder "gespürt" (noch zuvor im Frühjahr schon mal noch). Ob es vollständig ausgeheilt ist, weiß ich aber nicht. Zwischenzeitlich ist allerdings mein Durchschnittsniveau auf vielen Ebenen gesunken - insbesondere die Geschwindigkeiten auf flachen Strecken, aber auch in den Bergen (ich führe penible Tabellen mit Statistiken). Nicht zuletzt auch aus Genussgründen sind die Etappen aber ohnehin kürzer - die Zeit für mehr Kilometer fehlt, wenn man dem Auge mehr Zeit einräumt. Auf Radreisen sind Etappen über 100 km schon fast nicht mehr machbar, auch ohne Gepäck strebe ich nur noch selten mehr als 120/130 km an. 2000 Hm überschreite ich nur noch selten, der Schwierigkeitsgrad - in Hm/100 km gemessen - ist aber immer noch extrem hoch - eigentlich dort kein Einbruch. Ob ich wieder mehr schaffen könnte, wenn ich mehr "durchziehen" würde, weiß ich nicht - interessiert mich aber auch nicht. Mehr Leistung bedeutet letztlich auch weniger Reise-, weniger Trödelzeit, weniger Besinnlichkeit. Diesen Trend zu mehr Muße möchte ich auch nicht mehr umkehren. Also auch ein kleiner Sinneswandel. Für manchen Außenstehenden bleibt man trotzdem ein "Extremsportler" - solch kleiner Wandel ist da schwer vermittelbar.

Letztlich liegt das Problem darin, wie man seine Ansprüche definiert. Es gibt ein ganze Reihe jugendlicher Sportiver, die immer frustriert herum laufen, weil sie ihre selbst gesteckten sportlichen Ziele nicht erreichen (können). Es macht Sinn, die eigenen Ansprüche an die tatsächliche Leistungsfähigkeit anzugleichen und nicht einem Leistungsphantom hinterherzuhecheln. Alter und/oder Krankheit erfordern, die Erwartungen immer wieder nach "unten" anzupassen. Ob das ein Verlust oder Gewinn ist, bestimmst du selber. Das Leben beschränkt sich nicht nur auf eine Olympiade der Muskelzellen.