Re: Weltenradler und Literatur

von: Cruising

Re: Weltenradler und Literatur - 04.01.21 21:59

Hi,

dieser Faden beschäftigt mich und ging mir bislang nicht aus dem Kopf schmunzel Grund: Wir (Sybille und ich) sind beide gewaltige Fans des gedruckten und gebundenen Papiers, unsere Bibliothek umfasst sowas um die 2.500 Bücher, darunter rund 300 Reiseberichte, teils auch uralte. Radreiseberichte sind naturgemäß nicht so viele dabei, weil es einfach nicht so viele gibt, aber so um die 100 konnten wir doch zusammensammeln – mein absolutes Lieblings-Literaturgenre. Dazu haben wir jahrelang das ZVAB durchforstet; zeitweilig hatten wir auch Such-Kleinanzeigen in Sperrmüll & Co. geschaltet.

Ältere Radreiseberichte kamen in diesem Faden bislang kaum vor und sind wohl heute kaum noch jemandem bekannt. Gerade in den 50er- und 60er-Jahren, also nach der schlimmen und entbehrungsreichen Kriegszeit, ging von Fernreisen eine ungeheure Romantik aus – nicht von Radreisen speziell; viele Weltumradler haben für ihre Reise damals das Fahrrad gewählt schlicht und einfach aus dem Grund, weil sie sich kein teureres Fortbewegungsmittel leisten konnten. So etwa der weiter oben genannte Heinz Helfgen, ein Journalist, der nach dem Krieg heimkam und vor einem zerbombten Haus stand, in dem seine Frau im Keller dahinvegetierte… Er beschloss deshalb, die Welt zu umradeln, mit einem gesponsorten Fahrrad und nur ein paar Mark in der Tasche. Seine Berichte konnte er an eine Illustrierte verkaufen, und mit den Tantiemen finanzierte er das neue Haus, in das er bei seiner Rückkehr nach zwei Jahren dann einziehen konnte lach Mehr dazu hier. Mit seinen Vorträgen füllte er dann noch jahrelang große Säle.

Hier mal noch ein paar Radreiseberichte der ersten Stunde, die ich sehr gerne gelesen habe.



Walter Hamann: Mit dem Fahrrad um die Welt. Franz Schneider Verlag, 1967. Ein Jugendbuch – ich habe es seinerzeit mindestens 5-mal regelrecht verschlungen schmunzel Der Autor, aus der Region Kiel stammend, radelte mit seinem Kumpel Hagen Röder (der dann in Karachi ausstieg) ostwärts um die Welt.

Horst Stasius: Weltreise mit dem Tandem. Hans E. Günther Verlag Stuttgart, 1959. Horst und sein Kumpel Heinz, beide aus dem Hotelgewerbe, wollten eigentlich nach Japan radeln, weil Heinz sich in eine 16-jährige Japanerin verliebt hatte… Daraus wurde dann eine Weltreise, mit langem Aufenthalt in Asien, speziell in Indonesien.

Willi Wegner: Feuer für Melbourne. C. Bertelsmann Verlag 1957. Willi und sein Kumpel (gleichfalls Willi) wollten das olympische Feuer vom klassischen Olympia in Griechenland zur Olympiade 1956 nach Melbourne radeln – in einer originalen Essener Grubenlampe. Völkerverbindender Sport also; und um es vorwegzunehmen: Sie haben es geschafft zwinker

Frigga Wendlandt-Schild: Die Erlebnisse des Sahib Ebba. Verlag F. Wendlandt Stuttgart, 1975. Zwei Marathon-Fernreisen, eine 1956 (in den nahen Osten, dann bis Libyen, wo der Autor längere Zeit arbeitete) und eine 1960 gen Osten. Im Sinne der Völkerverständigung – er erteilte etwa in Japan Sprachunterricht, auch um die Weiterreise zu finanzieren. Ein Buch mit tragischem Ausgang: Franz Eberhardt Wendlandt wurde bei seiner zweiten Reise in Tokyo ermordet…

Wolf-Dieter Ahlborn: Wanderer auf vielen Straßen. Selbstverlag 1988 (ursprünglicher Erscheinungstermin nicht bekannt). Ahlborn, früher Journalist bei der „Heilbronner Stimme“, radelte mit seiner Frau Wilma Ende der 60er-Jahre mit bescheidenen Mitteln (Budget 5 Mark am Tag) in vier Jahren um die Welt. Besonders beeindruckend sind die Bilder, die einige noch heute bekannte Reiseziele wie von einem anderen Stern erscheinen lassen. Später folgten noch etliche Reisen, mit Linienbussen und immer wieder mit längerem Aufenthalt in interessanten Ländern.

Diese Bücher (und andere mehr) findet man heute noch bei ZVAB und ähnlichen Quellen. Mich hat allerdings auch schon immer interessiert, was aus diesen alten Kämpen später einmal geworden ist… Leider findet man da nur wenig im Netz, das damals natürlich noch nicht vorhanden war... Doch vielleicht weiß ja hier jemand was oder hat noch einen dieser Pioniere persönlich gekannt – ein paar Fragen und Anmerkungen also hier noch:

- Walter Hamann und Hagen Röder: Was ist aus den beiden später geworden?

- Horst Stasius: Einer der wenigen, über den ich was gefunden habe. Der engagierte sich sein Leben lang für die Völkerverständigung und später für das International Peace Bureau - ein Philantrop und ein großartiger Mensch also. Starb 2018 in Genf. Sein sehr lesenswerter Nachruf (hatte ihn leider zu speichern versäumt) ist leider aus dem Netz verschwunden.

- Willi Wegner: Gleichfalls die Frage – weiß jemand, was aus dem geworden ist?

- Franz Eberhardt Wendlandt: Weiß jemand, warum der damals ermordet wurde? Hat man wenigstens den Mörder gefasst? Und wer war (oder ist) Frigga Wendlandt-Schild? Gähnende Leere im Netz…

- Die Ahlborns allerdings sind bei uns im Süden keine Unbekannten und leben immer noch in Heilbronn. Ihre Vorträge haben wir mehrmals gern erlebt schmunzel

Hoffe, ich konnte damit ein paar Leseratten inspirieren! Und würde mich natürlich freuen, wenn jemand ein paar bislang unbekannte Infos zu diesen herausragenden Persönlichkeiten hätte schmunzel

Gruß Thomas
www.bikeamerica.de