Re: Andalusien Ostern 2011

von: Tom72

Re: Andalusien Ostern 2011 - 27.01.13 18:19

11. Tag (18.04.2011), Ronda-Jimera de Líbar, 34 km

Beim ersten Blick aus dem Zelt die große Enttäuschung: Der Himmel ist grau, und es sieht aus, als würde es heute noch regnen. Mit dem herrlichen Wetter, das mich nun seit über einer Woche begleitet, ist es wohl erstmal vorbei. Zelt abbauen, packen und zurück in die Stadt, um erstmal zu frühstücken.

Leichter Nieselregen setzt ein, also Regenjacke an und die Lenkertasche mit ihrer im Taschenboden verstauten Regenschutzhülle versehen. Ich schaue ich mich zunächst noch ein wenig in Ronda um, vor allem noch mal im Bereich der Puente Nuevo zwischen den Stadtteilen La Ciudad und El Mercadillo. Das Felsplateau, auf dem die Altstadt steht, fällt hier steil ab, und man hat tolle Ausblicke in die umliegende Landschaft und die sich mitten durch die Stadt ziehende Schlucht mit der darüberführenden Puente Nuevo. Ein Weg führt an der Felskante entlang, auf dem man auch an der Stierkampfarena vorbeikommt.



Schließlich kommt, was kommen muß, und heftiger Regen setzt ein. Ich finde Unterschlupf unter der Markise eines Bistros, trinke einen Kaffee und warte ab. Schließlich wird der Regen so stark, daß ich mich ins Innere des Cafés verlagere. Hier läuft ein Fernseher, und der gerade laufende Wetterbericht enthüllt das ganze Ausmaß meines Pechs: In ganz Andalusien wird es die kommenden Tage regnen, ohne Aussicht auf Besserung. ¡Mierda! Ich bestelle erstmal ein Bier und überlege, was ich nun machen soll. Heute hierbleiben? Mich noch eine weitere Nacht auf dem Campingplatz einquartieren oder am besten gleich in einer festen Unterkunft? Macht es Sinn, heute noch weiterzufahren? Ich beschließe, hier erstmal abzuwarten.

Schließlich, nach fast zwei Stunden, hört der Regen auf, und ich entscheide, es zu wagen und loszufahren, wenigstens ein paar Orte weiter, am besten bis Jimera de Líbar, wo es einen Campingplatz gibt (sofern das Wetter das Zelten nicht völlig unmöglich macht); das ist noch weniger als die gestrige Stecke. Also rolle ich gegen drei Uhr die Straße abwärts, auf der ich gestern in die Stadt gekommen bin, und zweige auf ein winziges Sträßchen, das in meiner Karte keine Nummer hat, ab, das mich, zunächst lange bergab, zurück in die Sierra de Grazalema führt, ins Tal des Río Guadiaro, durch das auch die Bahnlinie Ronda-Algeciras führt. Meine Stimmung steigt wieder, immerhin bin ich „on the road again“, und es bleibt erstmal trocken. Die Landschaft ist wieder genauso reizvoll wie gestern und vorgestern.



Im gegenüberliegenden Hang sieht man den Eingang zur Cueva del Gato, einer Höhle, über die ich in meinem Reiseführer lese, sie zähle zu den Attraktionen der Gegend. Die Zeit, sie zu besichtigen, habe ich aber nicht, außerdem entnehme ich meinem Reiseführer auch, man solle sie auf keinen Fall alleine besichtigen, sondern nur im Rahmen einer im Voraus zu buchenden Führung; es habe schon Tote gegeben. Warum im Vordergrund ein Fernseher in der Landschaft steht, weiß ich nicht – handelt es sich um Landschaftskunst oder, wie zu vermuten, doch eher um eine nur bedingt naturverträgliche Lösung, um Platz für einen neuen Plasmabildschirm zu schaffen?



Die Straße Richtung Südwesten durch das Tal des Guadiaro führt ständig auf und ab, mal unten im Tal, mal weiter oben am Hang.







Nach einem längeren Anstieg komme ich durch den Ort Benaoján, und hier fängt es wieder an zu regnen. Ich finde Zuflucht in einer Kneipe, in der die Zeit stehengeblieben scheint; die Einrichtung scheint seit Jahrzehnten nicht mehr verändert worden zu sein, daraus bezieht sie einen gewissen, wenn auch etwas schmuddeligen, Charme. Da ich der einzige Gast bin, komme ich schnell mit dem Wirt ins Gespräch; er kann nicht so recht verstehen, warum jemand freiwillig mit dem Rad bei diesem Wetter unterwegs ist und bietet mir an, bei ihm zu Hause zu übernachten. Ich lehne natürlich höflich ab, denn so schnell lasse ich mich von einer nicht ganz wunschgemäßen Wetterlage nicht von meinem Plan abbringen… Irgendwann hört der Regen auf, und recht bald, nachdem ich eine weitere offenbar sehenswerte Höhle (Cueva de la Pileta) rechts liegen lasse – ich sollte zukünftig doch etwas mehr Zeit für Besichtigungen einplanen – erreiche ich den Campingplatz von Jimera de Líbar, der direkt am Río Guadiaro liegt. Ich riskiere es, trotz des Wetters zu zelten (es regnet gerade nicht), schließlich gibt es auf meiner Tour recht wenige Campingplätze, und das Zeltmitschleppen soll sich ja auch lohnen.

Nach dem Zeltaufbau gilt es, ein Restaurant fürs Abendessen zu finden. An der Campingplatz-Rezeption empfiehlt man mir, es im Restaurant an der benachbarten Bahnstation zu versuchen (die Bahnlinie Ronda-Algeciras folgt nach wie vor dem Tal und dem Fluß Guadiaro), aber die könnten heute auch Ruhetag haben… Natürlich haben sie. Also muß ich mein Glück im Ort versuchen, der liegt allerdings weit oberhalb des Flusses und der Bahnlinie hoch oben am Hang, und so muß ich erst einmal eine lange Serpentinenstraße emporradeln. Der Ort wirkt ausgestorben, und ich befürchte schon, mit leerem Magen auf die Matratze zu müssen, aber dann finde ich eine geöffnete Kneipe.

Nun wird der Abend wider Erwarten sehr unterhaltsam, die Kneipe ist sehr einfach, außer mir sind zunächst noch ein paar einheimische Jugendliche dort. Ich werde freundlich empfangen, was damit beginnt, daß der Wirt mich auffordert, doch mein Rad mit reinzunehmen, damit es nicht geklaut wird. Ich nehme erstmal ein Bier und zwei Tapas. Die Auswahl ist nicht groß, wie in vielen kleinen Dorfkneipen gibt es in einer kleinen Glasvitrine drei oder vier Gerichte, von denen man eins auswählt und sich eine Portion warmmachen läßt. Das ist meistens, so auch hier, super lecker und kostet fast nichts. Nun sind außer mir alle gegangen, aber der Wirt – Pedro – läßt mich, obwohl er eigentlich schließen würde, noch lange nicht gehen. Er freut sich über die Gelegenheit, sich mal mit einem Auswärtigen unterhalten zu können, hier offenbar eine Seltenheit, und so wird es ein langer, aber sehr netter Abend. Allerdings will er die Gelegenheit auch nutzen, um sein Englisch zu üben, und so tue ich ihm den Gefallen, und statt auf Spanisch unterhalten wir uns auf Englisch, und sein Englisch bedarf tatsächlich einiges an Training; es ist anstrengend, ihm zuzuhören, aber löblicherweise bemüht er sich ja, es auszubauen.

Er erzählt mir von sich, von dem Dorf, von der hiesigen Landschaft, von seiner Kneipe, von seinen Tapas, auf deren Qualität er großen Wert legt (sie sind wirklich gut), und zeigt mir die vielen Fotos, die er in der Gegend gemacht hat und die die Wände der Kneipe zieren, einige auch vom Innern der Höhlen, deren Besichtigung mein Zeitplan nicht zuließ. Ich erzähle von meiner Reise und zeige ihm in meiner Kamera meine Bilder vom heutigen Tag, besonders amüsiert ihn der in der Landschaft stehende Fernseher. Und er spendiert mir ein Bier nach dem anderen (was ich gerne annehme; es sind ja nur die in Spanien üblichen Viertelliter-Gläschen), dann auch ein für die Region typisches oder jedenfalls irgendwie besonderes (selbstgebranntes?) Agua ardiente (Schnaps), und schließlich macht er mir noch ein weiteres seiner Tapas warm, auf das er besonders stolz ist, natürlich umsonst. Es wird sehr spät, und so sehr ich die unerwartete Abendgestaltung genieße, muß ich langsam schauen, daß ich in mein Zelt komme, denn ich habe noch die Serpentinenstraße ins Tal und zum Campingplatz vor mir. Ich kann Pedro schließlich überzeugen, daß ich nun wirklich los muß, bedanke mich für die Gastfreundschaft und rolle vorsichtig hinunter zum Zeltplatz, was trotz der ungezählten Bierchen noch recht gut geht. Ich lege mich zufrieden schlafen (ist es ein Uhr oder zwei oder später? Ich weiß es nicht mehr, spielt aber auch keine Rolle). Der Abend war interessant; gerade als Alleinreisender empfinde ich derartige Begebenheiten als „Salz in der Suppe“ des Radreisens. A propos Suppe: Die Wolken-Suppe am Himmel hat bislang keinen weiteren Regen abgesondert…

12. Tag (19.04.2011), Jimera de Líbar-Jimena de la Frontera, 67 km

Das Wetter ist wie gehabt, aber es regnet erstmal nicht. Heute steht eine Strecke von ca. 70 km auf dem Programm, über die A 373 und A 2304, über den Puerto de Galis und die C 3331 nach Jimena de la Frontera. Die Etappe verläuft durch die Parques Naturales Sierra de Grazalema und los Alcornocales über Sträßchen fast ohne Autoverkehr.

Kurz nach dem Aufbruch treffe ich auf einem Rastplatz einen niederländischen Reiseradler, der gerade auf seinem Campingkocher seinen Frühstückskaffee braut. In Cortes de la Frontera frühstücke ich und fahre weiter durch die Berglandschaft, die nach wie vor sehenswert ist, so wie die vergangenen Tage. Mit dem strahlenden Sonnenschein, den ich bis vorgestern genießen durfte, wäre es natürlich noch schöner.









Der zu erwartende Regen setzt schließlich doch ein, und zwar ziemlich heftig, aber da weit und breit kein Ort und nichtmal irgendeine Unterstellmöglichkeit ist, kommen Regenjacke, Regenhose, Regengamaschen und Regenschutz für Helm und Lenkertasche zum Einsatz, und etwa 20 Kilometer fahre ich durch den strömenden Regen. Nicht sehr angenehm, aber mangels Alternativen gilt nun „Augen zu und durch“. Es geht bergauf und bergab, aber ohne allzu anstrengende Anstiege. Kurz, bevor ich den Puerto de Galis (417 m) erreiche, hört der Regen auf, und es bleibt für den Rest des Tages trocken, bis auf vereinzelten Nieselregen.

Auf dem Paß gibt es ein Gasthaus, wo ich mich aufwärme und stärke. Weiter geht es, die Straße nach Jimena de la Frontera geht überwiegend bergab und verläuft an den Hängen des Río Hozgarganta mit tollen Ausblicken in das enge Flußtal. Nur einmal, als die Straße über eine Brücke die Talseite wechselt, geht es tief hinunter und wieder hinauf. Die Landschaft ist hier, im Naturpark Los Alcornocales, deutlich waldreicher als in der Sierra de Grazalema. Einmal sehe ich am Himmel auch einige der Geier (buitres), die charakteristisch sind für diesen Naturpark.



In Jimena angekommen, finde ich durch die Auskunft eines Einheimischen schnell eine nicht sehr preiswerte, aber sehr nette Pension (bzw. Casa Rural) (Campingplatz hätte es auch gegeben, aber nach dieser Regenfahrt steht mir der Sinn nach einer festen Unterkunft). Das sehr schön gestaltete Zimmer hat, das merkt man, leider wegen des alten Gemäuers ein recht feuchtes Raumklima, und ich bin nicht sicher, ob meine Klamotten, die ich überall ausbreite, morgen trocken sein werden. Immerhin gibt es einen kleinen elektrischen Heizkörper, den ich auf Vollgas drehe, um darauf wenigstens die wichtigsten Kleidungsstücke einigermaßen trocken zu bekommen.

Unten in der Pension gibt es eine Bar, an der ich mich nun niederlasse und wo ich schnell mit der sympathischen jungen Wirtin und einigen der Gäste ins Gespräch komme. Hier fühle ich mich bei einem guten Wein sofort sehr wohl, aber ich habe noch nicht zu Abend gegessen, und hier gibt es nichts zu essen. Ich will die gesellige Runde aber auch nicht verlassen, so bietet die Wirtin mir an, aus einer Pizzeria eine Pizza für mich zu bestellen. Dankend nehme ich an und genieße weiter den geselligen Abend. Zufrieden gehe ich schließlich schlafen. Trotz des Wetters habe ich heute die geplante Etappe geschafft.

Fortsetzung folgt…