Re: Jakobsweg mal wieder

von: Fricka

Re: Jakobsweg mal wieder - 17.08.12 06:53

37. Tag

Eigentlich möchten wir jetzt in Santiago ankommen. Von weiteren Highlights ist nicht so recht die Rede. Die speziellen Herausforderungen haben wir bewältigt. Es sind noch knapp 150 km, also zwei Tage. Passende Campingplätze sind nicht mehr in Aussicht. In Sarria wäre noch einer, aber das ist nur einen Ort weiter. Also mal sehen. Der Bruckmann-Führer bezeichnet das, was nun noch kommt, als „entspanntes Ausrollen über Galiziens grüne Hügel“. Wir stellen allerdings bald fest, dass diese Hügel so in etwa Harzformat haben und sehr, sehr zahlreich sind. Zudem geht es meist durch den Wald, so dass von Landschaft und Aussicht wenig die Rede ist. Und ein großer Teil der Strecke, wird auf einer stark befahrenen Straße zurückgelegt. Der Jakobsweg ist größtenteils hier für unsere Räder nicht befahrbar. Zu schmal. Zu steil. Zu steinig. Und zu bevölkert. Auf dem letzten Stück sind ganze Heerscharen von Pilgern unterwegs. Überwiegend Spanier.

Eine Bergkette nach der anderen baut sich vor uns auf und will überklettert werden. Die Straße führt meist im Bogen drüber. Zunächst ist sie noch relativ wenig befahren. Es gibt auch einen Seitenstreifen. Und an den Steigungen wird es dreispurig. Das ist machbar, ohne dass es allzu eng wird.

Sarria erweist sich allerdings nicht mehr als hübsches Örtchen, wie wir sie bisher hatten. Eher Ponferrada in klein. Plattenbauten. Verkehr. Und viele Geschäfte. Nachdem wir im ersten Supermarkt gleich eingekauft haben, weil wir bisher selten an welchen vorbeigekommen sind, passieren wir einen nach dem anderen. Eine lange gerade Straße durchquert den Ort. Am Ende überqueren wir eine große Kreuzung bevor es wieder steil nach oben geht. Bis wir an den Stausee von Portomarin abfahren, bleibt die Landschaft unverändert. Ab und zu treffen wir die Niederländer, mit denen wir immer mal wieder zusammen gezeltet haben. Alle wollen jetzt ankommen. Langsam aber sicher reicht es. Durchhalteparolen werden ausgegeben.

Der Stausee liegt ganz nett da. Wir überqueren mehrere Brücken, wollen aber weiter. Portomarin sieht in erster Linie schon mal vergammelt aus. Wir lassen es liegen und machen uns an die nächste Steigung. Irgendwie fühlt sich das heute so an, als ginge es ausschließlich bergauf. Ab Portomarin ist das definitiv der Fall. Ab und zu geht es durch ein Gewerbegebiet. Die Straße ist von Autos nun fast unbefahren. Daneben führt der Fußweg durch die Büsche. Er ist hier ausgesprochen ungepflegt. Das Gras wuchert hoch. Oder es ist gerade gemäht aber das Mähgut liegt noch drauf.

Fünf MTBs werden auf die Straße getragen. Sie haben sich im Gras verfangen. Ihre Fahrer versuchen, die langen Halme aus Schaltung und Speichen zu ziehen. Die Wanderer lachen sich tot und fotografieren sie dabei. Die Sportradler zwischen den Fußgängern sind nicht besonders beliebt. Ein Rad hat es erwischt. Es hat einen bösen Achter im Hinterrad. Kein Problem, der Besenwagen erscheint. Die Fahrradwerkstätten fahren mit Vans und Fahrradträgern beständig Patrouille.

Mit uns mühen sich viele, viele Radfahrer die Dauer-Steigung hinauf. Alle ohne Gepäck. Dazu werden die unterschiedlichsten Techniken benutzt. Die Männer schieben ihre Frauen hoch. Väter ihre Töchter. Das sieht ziemlich anstrengend aus. Unser eigenes Geheimrezept lautet: Zurückschalten und geduldig treten. Sehr geduldig heute. Hier wird man auch weder mit schönen Ausblicken belohnt, noch gibt es nette Bars am Wegesrand. An einer einzigen kommen wir vorbei. Keiner fährt oder läuft dran vorbei ohne Einzukehren.

An einer Kreuzung verlieren wir die Straße. Eigentlich hätten wir nur geradeaus fahren müssen, aber es gab kein geradeaus. Wir übersehen einen schmalen Abzweig und sind Sekunden später erheblich tiefer auf einer ganz anderen Straße. Wir beschließen, nicht umzukehren, sondern Feldwege quer über die Hügel zu benutzen, um auf den Jakobsweg zurückzukehren. Sofort landen wir in einer landwirtschaftlichen Idylle. Richtig schade, dass wir dank der Hilfe der Anwohner sehr bald wieder auf der richtigen Strecke sind.

Die ist nun ein winziges Sträßchen geworden, das durch winzige Dörfchen verläuft. Eine echte Verbesserung. Die Steigung ist auch verschwunden. Wir kommen an eine Säule neben einem Rastplatz. Der Ort wird mit „Pilgerfriedhof“ bezeichnet. Unheimlich. Die Säule ist mit Totenköpfen verziert. Der ideale Ort für ein gemütliches Picknick. Es sieht eher wie eine Gerichtssäule aus. Also diese Dinger, die auch als Pranger und Galgen benutzt wurden.

Wir durchfahren Ligonde und erreichen Einaxe. Nun sind wir endgültig im ländlichen Spanien angekommen. Wir kehren erst einmal in die einzige Bar ein, die urgemütlich ist. Ein Bier führt zum nächsten. Hier sitzen bereits jede Menge alte und neue Bekannte. Der Regen hört auf. Die Sonne kommt durch. Warum weiterfahren?

Gegenüber gibt es eine Pension mit zwei Zimmern. Die sind schon vergeben. Und ein Refugio. Darin ist noch Platz. Es ist modern, neu und sauber. Trotzdem würden wir lieber draußen schlafen. Wegen der frischen Luft. Wegen der Ruhe. Und wegen der angedrohten Bettwanzen. Wir fragen, ob wir unser Zelt aufbauen dürfen. Und falls ja, wo. Egal. Wir sollten die normale Übernachtungsgebühr bezahlen. Dann können wir zelten und im Refugio duschen. Toiletten sind sowieso nie ein Problem. Es gibt überall welche. Und man muss nicht „Gast“ sein, um sie zu nutzen.

Das einzige Stück Rasen ohne Kuhfladen ist der Dorfplatz. Da stellen wir unser Zelt hin. Nebenan weiden die Kühe bis sie neben unserem Zelt getränkt werden und ins Dorf laufen. Ein Pilger mit Esel pflockt das Tier neben uns an, um auch im Refugio zu übernachten. Sehr malerisch das alles. Komplettiert noch durch einen Hund in Stiefeln mit Rucksack und eigenem Pilgerpass. Nichts fehlt mehr.