Re: Jakobsweg mal wieder

von: Fricka

Re: Jakobsweg mal wieder - 17.07.12 17:44

10. Tag

Wir beginnen den Tag mit einer Reifenpanne, die wir bemerken, als wir vom Platz fahren wollen. Also Kommando rückwärts. Merkwürdigerweise ist es ein Vorderrad. Wir flicken den Schlauch und pumpen ihn so lala auf. Mal gucken, wo wir Luft bekommen. An den Tankstellen scheint das hier nicht so üblich zu sein und wenn, dann gebührenpflichtig. Wir sehen uns erst einmal die Stadt an. Die Altstadt ist groß und malerisch. Es gibt Läden jeder Art und viel Fachwerk. Länger verweilen wir an und in der Kathedrale. Es gibt eine interessante Krypta und Darstellungen von Christus zu Pferde. Wir bummeln noch ein bisschen herum, lassen uns bei einer Autowerkstatt den Reifendruck an allen vier Reifen kontrollieren und auffüllen.

Weiter geht es die Yonne aufwärts, bzw. an einem Seitenkanal. Daneben gibt es einen perfekt ausgebauten Radweg. Hier ist es so schön, dass wir gleich erst einmal eine Rast in der Sonne einlegen. Das Wasser fällt über eine Staustufe. Kanus sind unterwegs. Dazu Radler und Wanderer. U.a. etliche Pilger mit Muschel am Rucksack, die stramm dahinmarschieren.

Während wir das entspannte Radeln und die schöne Umgebung genießen, zieht schon wieder eine Gewitterfront auf. In Vincelles ist es soweit. Es regnet, als würde jemand Eimer über uns ausschütten. Wir retten uns beherzt in ein „Restaurant“. Zusammen mit noch einigen Radfahrern. Während wir alle noch unsere nassen Sachen über die Stühle drapieren und interessiert aus dem Fenster gucken, wie es da wohl weitergeht mit dem Wetter, bemerken wir, dass wir in einer merkwürdig surrealen Umgebung gelandet sind. Wahrscheinlich unverändert, unrenoviert und ungeputzt seit mindestens 100 Jahren. Wir entschließen uns synchron, lieber nichts zu essen und bestellen Tee. Das wärmt.

Als der Regen aufhört, fahren wir weiter. Leider können wir diesem komfortablen Weg nur bis Cravant folgen. Ab hier ist uns der weitere Weg unklar. Wir müssen die Yonne in Richtung Vezelay verlassen. Zunächst geht es noch einen ähnlichen Kanal entlang. Aber irgendwann landen wir in einer Sackgasse. Laut Karte haben wir die Wahl zwischen stark befahrener Autostraße und dem Jakobsweg. Unbefestigt über den klatschnassen Lehm in den Hügeln. Praktisch geht es überhaupt nicht weiter. Zunächst müssen wir mit einem Sprung unter die nächste Brücke, weil ein heftiges Gewitter losbricht. Blitz und Donner sind so heftig und so nah, dass ich es trotz der „Überdachung“ mit der Angst bekomme. Dann erwischt uns eine Böe, die in dem Durchgang unter der Brücke eine Art Düsenwirkung entwickelt. Einen Augenblick habe ich den Eindruck, dass wir gleich gemeinsam mit beiden Rädern darunter herausgeblasen werden. Einiges, was nicht angebunden war, fischen wir aus dem Kanal. Trotz Brücke sind wir jetzt ziemlich durchnässt und frieren.

Wir haben jetzt die Wahl. Weiter an dem Fluss entlang, an dem der Kanal endet, das sieht nach Karte stimmig aus. Geht aber nicht. Der Weg ist nicht befahrbar und nur ein kurzes Stück beschiebbar. Also zurück. Über die Brücke. Und zurück nach Cravant – wollen wir nicht. Einen ähnlichen Uferweg am Fluss wie auf der anderen Seite gibt es. In die falsche Richtung. Und noch einen Abzweig in die Hügel, der vor einer Bahnlinie endet. Sowas hatten wir auch noch nicht.

Also vorwärts: wir müssen zurück. In Accolay nehmen wir den einzigen Abzweig. Der unbefestigte Weg scheint uns in eine falsche Richtung zu führen. Aber Überraschung: wir treffen auf eine rot-weiße Markierung und kurz darauf auf einen richtigen, echten Jakobsweg-Wegweiser. Das ist er, der richtige Weg. Die Durchgangsstraße ist auf der anderen Flussseite und damit für uns im Moment sowieso nicht erreichbar. Wir folgen im Regen dem Weg. Allerdings nicht weit. Der Lehm ist völlig aufgeweicht, klebt an den Reifen und füllt den Abstand zwischen Schutzblechen und Reifen aus bis sich die Räder nicht mehr drehen. Besonders nachhaltig bei meinem Rad. Wir kratzen die Brocken heraus. Neuer Versuch. Nach wenigen Metern blockieren die Räder wieder. Beim anderen Rad schleift es zwar mit der Zeit, aber es kommt noch irgendwie voran. Es nützt alles nichts. Wir müssen da durch. Am besten auch nicht nur schiebend und schleifend. Es ist noch ein ganzes Stück bis Vezelay. Ich gebe buchstäblich mein Letztes. Schiebend, kratzend, schleifend, zerrend, im kleinsten Gang mit voller Kraft fahrend. Die Strecke zieht sich endlos. Wir nehmen die erste Brücke in Richtung Durchgangsstraße. Weder Autoverkehr noch Steigungen noch Tunnels stören mich jetzt noch. Leider kommen wir auch zu spät zur Höhle von Arcy. Und es regnet immer stärker. So richtig toll ist der Weg nicht. Ich fahre mit letzter Kraft.

Irgendwann kommt Vezelay in Sicht. Es liegt malerisch oben auf seinem Felsplateau. Das sieht toll aus. Aber arbeitsintensiv. Die Campingplätze liegen unten. Im Lehmmatsch. Nicht besonders verlockend. Wir beschließen uns ein Zimmer zu suchen. Koste es, was es wolle. Aber natürlich nicht „wo auch immer“. Wenn schon denn schon. Also die Straße nach Vezelay hoch. Wir kurbeln uns tapfer hoch bis hinter einer Kurve der Ort beginnt. Hier steht die Pilgerherberge der Fraternite de Jerousalem. Davor steht ein deutscher Pilgerkollege, der meint, wir könnten da übernachten, wenn wir uns bis 20 Uhr im Büro der Fraternite an der Kathedrale melden. Das sind noch fünf Minuten. Wir quälen uns aufwärts, legen einen sensationellen Schlussspurt hin.

Wir werden freundlich empfangen, registriert, bekommen den Türcode und die Zimmernummern, einen Stempel in den Pilgerpass und werden gefragt, ob wir am nächsten Morgen nach der Laudes einen Pilgersegen möchten. Wir sollen uns gleich entscheiden. *grübel* um 7 Uhr? He, wir sind todmüde. Na gut. Um 8 Uhr muss die Pilgerherberge sowieso verlassen sein. Unsere Räder schleppen wir in den Flur, wo die anderen auch schon stehen. Es sind überwiegend Radfahrer da. Dazu ein paar Wanderer. In einem Schlafsaal schlafen die Frauen, in einem die Männer. Alle sitzen in der Küche um einen großen Tisch. Wir essen und quatschen. Es ist sehr nett.