Re: Ach so, nur Schweiz

von: veloträumer

Re: Ach so, nur Schweiz - 13.06.12 21:39

In Antwort auf: kettenraucher
Wir tasten uns Meter für Meter voran und nur ein paar Minuten später stehen wir vor den Gebäuden der Passstation. Nebenan drei parkende Autos. Ein Wegweiser zeigt zur Via tremola. Sonst nichts. Stille. Nebel. Nichts.

Hallo Stefan,
da wage ich kaum der Poesie des Nichts etwas entgegenzusetzen. Zumal ich das Gefühl kenne - das Gottahardmassiv hat sich da mehrfach in meine Erinnerung geschraubt. Die Nordseite erlebte ich noch sichtbar, und auch auf der Passhöhe gab es noch was zu sehen, obwohl gleichwohl auch bei meiner Reise im Sommer 2005 das Wetter wohl nicht freundlich gesonnen war. Auf der Passhöhe hättest du eigentlich einen warmen Kaffee trinken können - zumindest damals gab es ein SB-Restaurant dort (gibt es das nicht mehr?).

Damals lernte ich ein Schweizer Radelpaar kennen, die auch ihren ersten Pass bezwungen hatten. Die Wetterfront schreckte sie ab und sie luden ihre Räder in den Postbus - traurig darüber, nicht das Erlebnis der Passfahrt zu erhalten, bei der sich das Adrenalin zur Hormonausschüttungen freudiger Gefühlswelten entlädt, die sich in der Anspannung auf der Auffahrt angesammelt haben. Das Geleistete des Aufstiegs wird so erst offenbar, wenn die Talfahrt trotz teuflischer Geschwindigkeiten kaum ein Ende findet - und doch man nur ein Tal erreicht, nicht mal das Meer.

So gesehen war es wohl recht, wie du umzukehren oder wie das Radlerpaar in den Postbus zu steigen, denn es ist dabei auch nicht ganz ungefährlich. Ich selbst stürzte mich in die undurchsichtige Wand - eine Wassersäule wie für Ortlieb-Taschen-Tests gemacht (und hatte nur halbdichte Vaude-Taschen). Manchmal ahnte ich die Kurven nur, meine Cantilever-Bremsen reduzierten mich auf ein Geschwindigkeit marginal vor der Aquaplaninggrenze - wirklich zum Stehen wäre ich kaum gekommen, wenn sich ein lebensmüdes Mumeltier vor meine Reifen geworfen hätte. Im Tale kurz vor Airolo lichtete sich das Himmelswasser etwas und ich schütte erst mal das Wasser aus meinen Schuhen - in rechten wie im linken je eine Maß - leider kein Bier, nur Tessiner Wasser. Ich dachte nicht, dass es in dieser Gegend noch schlimmer kommen kann, aber einige Jahre später war es nahezu Winter mitten im Sommer am Lukmanier - Gewitter, Kälte, Wind und Regen ließen mich zwischen schneegezuckerten Bergen erzittern.

So sei dir mein Mitgefühl dargelegt. Der eigentliche Sinn meines Anliegens ist ja hier die fotografische Begleitung deiner Reiseerlebnisse - zur Belohnung für das Geschaffte hier die historische Postkutsche am Gotthard (in wohl dir bekannten Wetterverhältnissen) - Symbol für den planmäßigen Kutschenverkehr (etwa 1840-80) und der damals neuen Gotthardstraße und einer neuen Reisefreiheit. Es gab auch noch früher Kutschenfahrten, auch zu Goethes Zeiten, doch die mussten an schwierigen Passagen zerlegt werden und waren alles andere als eine Reise wert. Der alte Goethe nahm da lieber sein eigenen Füße (nicht aber am Brenner, auf seiner italienischen Reise) - wohl hätte er lieber ein Fahrrad gehabt? Doch egal wie wir reisen, wir alle lernen auf solchen leidvollen Wegen: Egal was wir schaffen, wie auch immer wir rackern - die Berge sind noch größer, die Krallen der Natur noch stärker - der Mensch immer wieder an der Schwelle zum Nichts. Damit bin ich doch noch zurück bei deiner Poesie des Nichts.