Re: Von Vancouver nach Halifax 2011

von: rayno

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 08.03.12 15:50

Freut mich, Jürgen, dass er Dir gefallen hat. Es fehlt noch der letzte Teil; da bin ich wieder in Kanada:

Durch die maritimen Provinzen Kanadas

Gefahrene Route: http://www.gpsies.com/map.do?fileId=yzvdlmhhfvdkclyk
Fotos: ab https://picasaweb.google.com/103249798526464290620/Nordamerika2011#5662607089038762962

Von der Grenze musste ich also auf dem autobahnmäßig ausgebauten Highway nach New Brunswick hinein, der ersten maritimen Provinz auf meiner Reise. Wenige Kilometer hinter der Grenze ging ein Abzweig zu einer Touristeninformation steil eine Anhöhe hinauf. Wieder einmal ein Beispiel dafür, dass die Straßenplaner nicht an Radfahrer gedacht haben können. Mindestens 15 % hatte diese Steigung. Ich sah schon von Weitem, dass es schwer werden würde, dort hinauf zu kommen und bin mit ordentlichem Schwung die Rampe hinauf. Ganz bis oben habe ich es aber doch nicht geschafft, ohne abzusteigen und die letzten Meter zu schieben. Letzteres fiel schwer genug.

Gelohnt hat es sich aber. Die beiden freundlichen Damen versorgten mich mit Informationsmaterial über New Brunswick und erklärten mir auch den Weg zu einem der beiden Campingplätze in Woodstock, der ersten Stadt, durch die ich kommen musste. Ich weiß nicht, durch wie viele Orte mit diesem Namen ich gekommen bin; das berühmte Woodstock war noch nicht einmal dabei.
In Woodstock fand ich dann sehr schnell den Campground und richtete mich ein; diesmal auf einer größeren Freifläche mit bestem Grasuntergrund und nicht in einem abgegrenzten Stück im Wald.

Zielort des nächsten Tages war die Hauptstadt dieser Provinz, Fredericton. Die Fahrt dahin verlief ohne besondere Höhepunkte über kleine, sehr verkehrsarme Nebenstraßen. Die Landschaft unterschied sich merklich von der in Maine. Weniger Wildnis, mehr Kulturlandschaft, d.h. landwirtschaftlich genutzte Flächen, die aber immer wieder mit Wald durchsetzt waren. Hügelig war es aber weiterhin.

Kurz von Fredericton wechselte ich auf eine größere Straße, weil wieder mal eine Motelübernachtung an der Reihe war. Am Stadteingang von Fredericton fand ich auch gleich ein passables Motel.

Die Durchfahrt durch die nicht sehr große Hauptstadt von NB war problemlos, dank der guten Unterlagen der Touristeninformation. Mein Plan, am Stadtausgang auf die andere Seite des breiten St. John River zu wechseln, scheiterte, da die dafür angesteuerte Brücke wegen Renovierung gesperrt war. So blieb ich auf der stärker frequentierten Straße, die aber immer noch eine recht ruhige Nebenstraße war. Auf den parallel verlaufenden Transcanada-Hw musste ich dann hinter Oromocto doch noch wechseln, weil der über die einzige Brücke über den hier sehr breiten St. John River führte. An der Tankstelle vor der Brückenauffahrt erkundigte ich mich, ob ich überhaupt mit dem Rad über die Brücke dürfe. Die Auskunft lautete: „Sie (die Hw-Police) haben es nicht gerne, aber lassen es zu.“ So fuhr ich die große Schleife zur Brücke hinauf, und was sah ich unmittelbar vor der Brücke? Natürlich das bekannte Schild mit dem durchgestrichenen Fahrrad. Ich fuhr trotzdem weiter, aber an der nächsten Abfahrt wieder auf eine Nebenstraße. Auf der war ich dann praktisch allein unterwegs. Sie verlief in teilweise sehr großem Abstand vom Transcanada-Hw durch lichte

Waldlandschaft ohne erkennbare Besiedelung. Obwohl also kaum Verkehr herrschte, handelte es sich um eine sehr breite Straße mit zusätzlich sehr breiten geschotterten Seitenstreifen. Offensichtlich war es der alte Transcanada-Hw, bis er durch den neu angelegten weiter südlich verlaufende autobahnmäßig gebauten Highway abgelöst wurde.

Als Tagesziel hatte ich das Städtchen Salisbury ca. 20 km vor Moncton geplant. Nach meinen Unterlagen war dort kein C-Platz, also hielt ich nach einem Motel Ausschau. Dabei machte ich einen Fehler, indem ich in Salisbury auf die Nebenstraße südlich des Flusses weiter in Richtung Moncton fuhr. Der Durchgangsverkehr lief über die beiden nördlich verlaufenden größeren Straßen. Und dort haben sich aus verständlichen Gründen die Motels angesiedelt. Ich fand keines; und zurück wollte ich auch nicht, hatte ich an diesem Tag doch schon bald 200 km zurückgelegt. In Moncton spätestens würde ich schon was finden.

Um nach Moncton zu gelangen, musste ich auf meiner südlich verlaufenden Route erst durch das unmittelbar an Moncton angrenzende Riverview. Dort hielt ich kurz an einer Tankstelle, um mir etwas Verpflegung für den Abend und den nächsten Morgen zu besorgen. Beiläufig fragte ich, ob in der Nähe ein Campground oder ein Motel sei. Nein! War die Antwort. Erst in Moncton jenseits des Flusses. Dann ging die Kassiererin zu einem Brett mit allerlei Aushängen und zeigte mir ein Kärtchen mit der Adresse einer B&B-Unterkunft ganz in der Nähe. B&B-Unterkünfte hatte ich bei der Planung eigentlich ganz ausgeschlossen, weil sie nach meinen Informationen in Kanada recht teuer sind. In der Situation, in der ich mich jetzt nach 200 km befand, fand ich die Idee, es einmal dort zu probieren, aber nicht so abwegig, zumal die Adresse keine 100 m weiter die Straße hinunter in Richtung Moncton lag.

Ich nahm das Kärtchen also dankend entgegen und fuhr die paar Meter weiter zu dem schönen weißen und noch recht neuen Haus. Der freundliche Hausherr sagte, er habe schon zwei Gäste, aber im Untergeschoss habe er eine kleine abgeschlossene Wohnung, die ich haben könne. Der Preis sei 95 $, inklusive Frühstück natürlich.
Ich nahm die Wohnung und richtete mich ein. Da die recht geräumige Wohnung eine voll eingerichtete Küche hatte, bereitete ich mir auch ein aufwändigeres Abendessen als sonst üblich. Dazu fuhr ich auch noch einmal zur nahen Tankstelle zurück, um mir ein paar Dinge dafür zu besorgen.

Zu einer B&B-Übernachtung gehört nun auch das morgendliche Frühstück. Und auf das war ich besonders gespannt. Abends hatte uns die Hausfrau den Frühstücksraum für die Hausgäste gezeigt und eine Zeit ausgemacht. Ich erschien pünktlich um 08:00 Uhr; die beiden anderen Hausgäste, ein Ehepaar aus Charlottetown, PEI, waren schon anwesend. Es gab ein, wie man mir sagte, typisch kanadisches Frühstück. Zuerst ein großer gefüllter Pfannkuchen, danach Obst und Joghurt. Dazu natürlich Kaffee und Orangensaft. Zu meiner Überraschung keinerlei Brot. Beim Abschied gab mir die Hausherrin noch ein großes Stück Apfelkuchen für unterwegs, wie sie sagte.

So habe ich also auch eine kanadische B&B-Übernachtung kennengelernt. Gut, aber auch recht teuer.

Auf meinem weiteren Weg durch New Brunswick musste ich zunächst durch Moncton. Dazu hatte mir der Hausherr von der B&B-Unterkunft eine Streckenbeschreibung gegeben, nach der ich dann gefahren bin und die recht große Stadt problemlos durchquerte. Die Stadt machte überhaupt einen sehr aufgeräumten großstädtischen Eindruck, und man würde in ihr eher die Hauptstadt der Provinz vermuten als das kleinstädtische Fredericton.

Dieser Tag sollte der letzte volle Tag in New Brunswick sein. Geplant war eine Übernachtung in der Nähe der langen Brücke zu Prince Edward Island. Um dahin zu gelangen, musste ich von Moncton zunächst nach Shediac , wo ich erstmals zum Atlantik kommen würde. Der Fischer- und Touristenort Shediac war auch schnell erreicht. Am Ortseingang musste ich eine ganze Zeit am Straßenrand Halt machen, um eine Kolonne von wohl einigen 100 Motorradfahrern , zumeist auf Harley Davidson-Maschinen, passieren zu lassen. (Einige Tage später erfuhr ich von einem Motorradfahrertreffen mit über 10 000 Bikern irgendwo in der Gegend.)

Da ich zur Mittagszeit in Shediac ankam, machte ich eine längere Mittagspause und fuhr etwas in dem von Touristen wimmelnden Städtchen herum. Immer wieder wurde ich angesprochen und mit dem „von wo?“ und „wohin“ konfrontiert. Zum Mittagessen leistete ich mir erstmals Hummer, nicht weil ich darauf unbedingt stehe, sondern weil er hier überall angeboten wurde, sogar bei McDonalds und BurgerKing.

Die weitere Fahrt ging jetzt an der Küste entlang über eine schmale Straße, von der man immer wieder einen schönen Blick auf den Atlantik und auf das weit hinten schemenhaft erkennbare PEI hatte. Immer wieder kam mir der Gedanke, „jetzt hast du es eigentlich geschafft.“ Von Küste zu Küste in Nordamerika wollte ich fahren, vom Pazifik zum Atlantik. Am Pazifik war ich gestartet, jetzt fuhr ich am Atlantik entlang. An dessen Küstenlinie wechselten sich felsige und steile Abschnitte mit flachen ab, die mit Kieseln unterschiedlicher Größe, aber auch mit feinem, gelblichen Sand gefüllt waren. An manchen Stellen reichten landwirtschaftliche genutzte Flächen bis unmittelbar ans Ufer.

Wenige Kilometer vor der langen Brücke, die man an manchen Stellen schon am Horizont erahnen konnte, fand ich einen State Campground. Durch die Erfahrungen, die ich mit solchen Campgrounds gemacht hatte, hatte sich bei mir eine gewisse Abneigung breit gemacht. Mangels Alternative fuhr ich jedoch den kurzen Abzweig zum State Park. Und war diesmal nicht enttäuscht. Keine abgegrenzten Sites in dichtem Gestrüpp, sondern eine offene, weite Fläche, auf der ich mein Zelt aufbauen konnte. Da unmittelbar am Strand und in offenem Gelände, war nur der Wind ein wenig hinderlich. Zum Essen begab ich mich daher jeweils in eine Art Scheune, wo ich vor dem Küstenwind geschützt war.

Die lange Brücke immer stärker ins Blickfeld kommend, fuhr ich am nächsten Morgen zur Brückenauffahrt. Diese, wie die Brücke selbst, gehört zum Transcanada-Hw, auf den ich also von meiner Küstenstraße wechseln musste. Dass ich die 12,9 km lange Brücke nicht per Rad befahren durfte, war mir bekannt. Man muss den von der Provinz PEI eingerichteten Shuttle-Service in Anspruch nehmen. Dazu sollte man, wie ich gelesen hatte, an der INFO im Cafè vor der Brücke telefonisch den Shuttle ordern. Also bog ich zur INFO an der Brücke ab. Ich war noch in der Biegung, als mir aus der ein VAN mit einem Anhänger
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entgegen kam. Der Fahrer stoppte und fragte, ob ich über die Brücke wolle. Natürlich wollte ich. Schnell war mein Rad samt Gepäck verladen und schon ging es Richtung Prince Edward Island, der nächsten maritimen Provinz Kanadas.

PEI (Prince Edward Island)

Da vor der Brücke der gerade losfahrende Shuttle meinen Cafébesuch verhinderte, musste ich den hinter der langen Brücke natürlich nachholen. Nach Auskunft des Fahrers sollte das Angebot an Einkehrmöglichkeiten dort auch reichhaltiger sein. Und tatsächlich; gleich hinter der Brücke boten sich zahlreiche Möglichkeiten an, eine Frühstückspause zu machen. Aber auch, sich über die Insel zu informieren. Ohnehin leistet sich die kleine Provinz einen großen Aufwand, Touristen auf die Insel zu holen und ihnen dort etwas zu bieten. Offensichtlich mit Erfolg, denn der Touristenrummel war gerade hier hinter der Brücke nicht zu übersehen.

Neben dem Tourismus spielen Fischerei und Landwirtschaft auf PEI eine gewichtige Rolle. Kartoffeln scheinen eine besondere Spezialität zu sein. Überall sieht man Kartoffelfelder und Verkaufsstände mit PEI-Kartoffeln aus neuer Ernte. Wenige Kilometer auf dem Weg zur Hauptstadt kam eine offensichtlich noch recht neue große schneeweiße Fabrikanlage ins Blickfeld. An einem etwas höheren Gebäudeteil war in großen Lettern der Schriftzug McCain zu lesen. Aha, da werden also PEI- Kartoffeln zu den Chips und anderen Kartoffelprodukten verarbeitet, die man überall in den Läden und Tankstellenshops in den schrecklichen Rascheltüten hängen sieht, und die von den Amerikanern und Kanadiern in für mich unverständlich großen Mengen konsumiert werden. Zusammen natürlich mit Cola, und die aus den Riesenflaschen! Ist das mit ein Grund, warum man so viele dicke Menschen, vor allem auch Kinder, herumlaufen sieht?

Meine weitere Fahrt zum Tagesziel Charlottetown, der Hauptstadt der Inselprovinz, wo ich eine Unterkunft in einem Hostel gebucht hatte, verlief ohne nennenswerte Ereignisse. Mit einer Ausnahme: Als ich in Cornwall, dem letzten Ort vor Charlottetown ankam, wurde dort gerade eine Straßensperre aufgehoben. Der Grund war eine Parade, die gerade zu Ende gegangen und das Vorspiel zu einer Versammlung auf einem großen Sportgelände war. Auf großen Plakaten war auch überall der Grund zu sehen: Ein erfolgreicher Sportler, natürlich im Eishockey, sollte für den Gewinn des Stanley-Cups mit seiner Mannschaft, den Boston-Bruins, von seiner Heimatgemeinde geehrt werden. Es ist Sitte, dass jeder Spieler den Siegerpokal für 24 Stunden mitnehmen und seinen Freunden und Anhängern zeigen kann. Und das geschah an diesem Sonntag in Cornwall auf PEI. (Ob es wohl das Original war? Oder gibt es gleich für jeden Spieler eine Kopie?) Zur Siegermannschaft aus Boston gehört übrigens auch ein deutscher Spieler namens Seidenberg.

In Charlottetown ging dann die übliche Suche nach der Unterkunft los. Ich hatte zwar eine, wusste auch, dass sie downtown, also mitten im Zentrum liegt; aber welche Straße führte dahin? Wieder keinerlei Wegweiser oder Hinweise an den Kreuzungen und Abzweigungen.
Also hieß es wieder einmal, anhalten und Karte studieren und nach den Straßennamen Ausschau halten. Als ich das an einer Tankstelleneinfahrt tat und mit meiner nicht sehr differenzierten Karte nicht recht weiter wusste, hielt neben mir ein PKW; der Fahrer kurbelte das Fenster an der Beifahrerseite herunter und fragte, ob er helfen könne. Natürlich konnte er. Er reicht mir dann auch noch einen riesigen Stadtplan von Charlottetown aus dem Fenster. Auf dem war nun wirklich jede Straße und Gasse verzeichnet.
Danach fand ich sehr schnell zum Hostel. Ich musste fast ganz zum Ende einer der Hauptstraßen, fast bis zum Wasser, hinunterfahren.

Die Hostelunterkunft hatte ich auch aus dem Grunde gebucht, weil an dem Wochenende die Ausläufer des tropischen Wirbelsturms IRENE den Nordosten Amerikas durchqueren sollten. Ich habe davon allerdings kaum etwas mitbekommen; am Sonntag nur etwas Regen und am Montag war es etwas stürmisch, bei sonst schon wieder sonnigem Wetter. Meine australischen Freunde, mit denen ich in Norddakota und in Minnesota etliche Tage zusammen unterwegs war und die einige Tage später als ich durch die Neuenglandstaaten fuhren, konnten allerdings weiter westlich in New Hampshire nicht auf der geplanten Northern Tier – Route fahren, weil dort etliche Straßen und vor allem Brücken durch die Schäden, die IRENE angerichtet hatte, unpassierbar geworden waren.

Ich nutzte die beiden Tage in Charlottetown zu Besichtigungen in der Stadt und zur Materialpflege. Außerdem ist es immer wieder mal interessant, sich mit anderen Reisenden auszutauschen; vor allem, wenn man etliche Tage allein unterwegs gewesen ist.

Von Charlottetown ging meine Reise durch den Südosten der Insel zum Fährhafen Wood Islands. Ich erreichte die Fähre gerade noch rechtzeitig und begab mich gleich in das Café. Die eineinhalbstündige Überfahrt nach Nova Scotia wurde durch Livemusik, bei der der junge Akkordeonspieler auch die Fahrgäste zum Mitsingen und Tanzen animierte, eine kurzweilige Angelegenheit.

Nun, am 30. August, war ich also in der letzten kanadischen Provinz, in Nova Scotia, angekommen. Von dort hatte ich den Rückflug nach Deutschland gebucht.
Nova Scotia zeigt landschaftlich ein gänzlich anderes Bild als PEI und auch New Brunswick; weniger landwirtschaftlich genutzte Flächen, mehr Wald, mit Felsen durchsetzt. Es erinnerte mich schon ein wenig an Schottland. Vielleicht haben sich auch deshalb vor allem Auswanderer aus Schottland dort angesiedelt.

Die ersten Kilometer fuhr ich auf einer breiten Straße durch kaum besiedeltes Gebiet; an Pictou vorbei in Richtung New Glasgow. Dort wollte ich Station machen, was aber mit einigen Schwierigkeiten verbunden war. In der dicht besiedelten Region um New Glasgow hat man bei der die Verkehrsführung wieder mal nicht an Radfahrer gedacht. So irrte ich zuerst einige Zeit herum, bis ich mich in einem Motel einquartierte, an dem ich auch schon eine Stunde vorher vorbeigekommen war.

Am nächsten Morgen fuhr ich auf dem schnellstmöglichen Weg durch den Ballungsraum um New Glasgow in östlicher Richtung. Dass ich dazu wieder einige Zeit auf einem autobahnartig ausgebauten Highway fahren musste, nahm ich in Kauf. Zum Glück war dieser Hw für Radfahrer nicht gesperrt. So kam ich schon gegen Mittag in der kleinen Universitätsstadt Antigonish an. Bei herrlichem Wetter wollte ich gerade in der Hauptstraße ein Café ansteuern, um dort draußen in der Sonne sitzend Mittag zu machen, als ich von zwei dort schon sitzenden Männern angesprochen wurde. Schnell stellte sich heraus, dass die beiden, Vater und Sohn, aus Bayern waren. Ich setzte mich zu ihnen. Der Ältere, Orthopäde im (frühen) Ruhestand, erzählte, dass er weiter südlich in Nova Scotia ein Haus gekauft hatte, wo er sich zur Zeit mit seiner Familie aufhalte. Überhaupt hätten sich nicht wenige Deutsche und auch Schweizer dort ein zweites Domizil gesucht, auch, weil man dort noch recht günstig und ohne große Formalitäten etwas bekommen könne.
Man gab mir auch eine Empfehlung für meinen weiteren Weg in Richtung Halifax und auch eine Anlaufadresse in Sherbrooke, ein von einem Ehepaar aus der Schweiz geführtes Hotel.

Da ich auf der Fahrt durch Antigonish unweit des Stadtzentrums einen Campingplatz gesehen hatte und bei dem herrlichen Wetter keine große Lust hatte, noch weiter zu fahren, blieb ich in Antigonish und richtete mich auf dem C-Platz ein.
Mein kleines Zelt war das zunächst Einzige auf dem Platz; außer mir nur die riesigen RV's. Am späten Nachmittag gesellte sich dann noch ein zweiter Radler, ein kanadischer Student, hinzu; zufällig mit dem gleichen grünen MSR-HubbaHubba-Zelt.

Von dem halben Erholungstag ausgeruht setzte ich am nächsten Morgen meine Reise fort. Den ganzen Nachmittag und auch noch in der Nacht hatte ich hin und her überlegt, wie es weiter gehen sollte. Sollte ich doch noch die große Schleife nach Nordosten zum Cape Breton Island machen? Oder doch hier schon auf Hw 7 nach Süden und dann entlang der Küste nach Halifax? Letztlich gab der Wetterbericht den Ausschlag. Für die kommenden Tage wurde für den Nordosten von Nova Scotia Regen und Sturm vorhergesagt; und das war ein Wetter, das ich für eine Radtour entlang der Küstenlinie auf Cape Breton nun gar nicht brauchen konnte. Also gleich auf dem Hw 7 nach Süden.

Die Fahrt nach Süden war sehr entspannend. In sanftem Auf und Ab verlief die Straße durch dünn besiedeltes Gelände, das aber im Gegensatz zum Norden stärker landwirtschaftlich genutzt wurde. Größere Ortschaften mit Einkehrmöglichkeiten oder Tankstellen gab es nicht; lediglich einen Farmershop fand ich, wo ich dann auch einen längeren Stopp machte. Mein Tagesziel war Sherbrooke, in dessen Nähe nach meinen Unterlagen ein Campingplatz sein musste. Kurz vor Sherbrooke sah ich dann auch an einer Abzweigung ein Hinweisschild. Ich fuhr zum an einem See gelegenen C-Platz, der überwiegend von Anglern genutzt wurde. Zu meiner Überraschung gab es freien Internetzugang, den ich dann auch gerne nutzte. Zu mir gesellte sich ein perfekt Deutsch sprechender Niederländer, der mit seiner Frau in einem gemieteten Wohnmobil unterwegs war.

Erst spät kam ich am nächsten Morgen in die Gänge und fuhr die paar Kilometer nach Sherbrooke. Da ich auf dem C-Platz nur ein spärliches Frühstück genossen hatte, suchte ich ein Café auf. Mit einem großen Pott Kaffee und zwei Scones setzte ich mich auf eine Bank im Vorgarten. Am Tisch daneben saß ein Herr, mit dem ich schnell ins Gespräch kam. Nach dem üblichen Woher? Und Wohin? kam die Rede auf die Europäer, die sich in Nova Scotia niedergelassen hatten, zumal ich inzwischen gemerkt hatte, dass das Haus nebenan das von den Schweizern geführte Hotel war, auf das mich in Antigonish der Arzt aus Bayern hingewiesen hatte.

Da war der gute Mann gleich in seinem Element. Er war nämlich eine Art Grundstücksmakler, der schon manchen Europäern einen Wohnsitz in dieser Gegend vermittelt hatte. Er gab mir seine Visitenkarte und wollte mir auch wohl gleich etwas schmackhaft machen. Nur 5 CA-$ pro Quadratmeter für ein Grundstück direkt am Atlantik; wo gäbe es das sonst noch? Und hier in Nova Scotia ganz ohne Formalitäten und Schwierigkeiten mit Behörden; das im Unterschied zu den USA vor allem. Und ein Haus könne man von der Stange fertig kaufen; es werde nicht vor Ort gebaut, sondern in fertigem Zustand dahin transportiert. Das ginge in wenigen Tagen.
Ich fand diese Informationen schon recht interessant, gab aber zu verstehen, dass meine Interessen andere seien.

Schon während der Unterhaltung mit dem Grundstücksmakler hörte von nebenan, also von dem Hotel, ungewöhnliche Laute. Die Schweizer Hotelbesitzer verabschiedeten gerade Gäste, die offensichtlich auch aus der Schweiz kamen; denn mit wem sollte man sich hier im fernen Kanada auf Schwyzerdütsch unterhalten. Da ich mein Fahrrad unmittelbar neben der Veranda des Hotels abgestellt hatte, grüßte ich die Schweizer und bestellte ihnen auch Grüße von dem bayerischen Arzt, der gelegentlicher Gast in ihrem Restaurant ist. Schnell kam ein Gespräch in Gang und an das zweite schloss sich gleich ein drittes Frühstück an.

So war der Vormittag schon vorbei. Auf dem Hw 7, der jetzt der Küstenlinie folgte, radelte ich in Richtung Halifax, wohin es aber noch ein recht weiter Weg war. Es herrschte kaum Verkehr auf der schönen Küstenstraße, aber auch sonst war nichts los; keine größeren Ortschaften mit Einkaufs- und Einkehrmöglichkeiten. Nach einer Pause auf einem schönen Rastplatz, wo ich, obwohl Sonntag, allein war, fand ich in einem Motel in Port Dufferin eine Unterkunft.

Am nächsten Morgen ging es weiter auf der Küstenstraße; jetzt mit zunehmend stärker werdendem Ausflugsverkehr. Das um den Labor Day verlängerte Wochenende
lockte viele Kanadier hinaus, zumal es auch das letzte Wochenende in den Schulferien war und das Wetter mitspielte.

Ich war nicht lange unterwegs, als ich von unten ein vertrautes Geräusch vernahm: Ein anderer Radler hatte mich eingeholt: Richard, den ich gleich nach den ersten Worten zutreffend als Francokanadier einordnete. Wir unterhielten uns in gebrochenem Englisch, und ich war wieder überrascht, wie schlecht viele Francokanadier Englisch sprechen. Ich war bislang immer der Meinung, alle Bewohner von Quebec würden neben ihrer Muttersprache auch perfekt Englisch sprechen können. Dem ist aber offensichtlich nicht so.

Richard aus Quebec City war mit leichtem Gepäck auf einer Dreiwochentour durch die maritimen Provinzen. Als ich fragte, wo er die letzte Nacht verbracht hatte - einen C-Platz hatte ich weit und breit nicht gesehen, und im einzigen Motel war ich der einzige Radler - sagte er, dass er oft wild zelten würde und nur alle paar Tage mal eine Dusche brauche. Wie er aussah, war die jetzt wohl wieder bald fällig. Er war ein lustiger Geselle, trotz Zeltausrüstung mit relativ leichtem Gepäck unterwegs, zudem gut 20 Jahre jünger als ich. In den Anstiegen konnte ich ihm auch nicht folgen. So trennten wir uns nach einiger Zeit.

Aber nicht für lange. Als ich mir am frühen Nachmittag aus einer Bäckerei einen Becher Kaffee und ein Stück Kuchen geholt und mich damit auf die Bank vor dem Gebäude gesetzt hatte, sah ich Richard auf der anderen Straßenseite vor einer Eisbude mit einem großen Eis sitzen. Ich setzte mich zu ihm. Da wir mit Halifax dasselbe Ziel hatten, das wir aber erst am nächsten Tag erreichen konnten, sprachen wir uns ab, zusammen zu dem Hostel zu fahren und zu versuchen, dort unterzukommen, obwohl wir keine Reservierung gemacht hatten. Zuvor mussten wir aber für die kommende Nacht eine Unterkunft suchen. Richard wollte wieder irgendwo am Straßenrand sein kleines Zelt aufbauen. Ich entschied mich, einen etwas abseits an der Küste liegenden Campground in einem State Park anzusteuern. Am nächsten Morgen würden wir uns schon wieder auf dem Weg nach Halifax treffen.

Das klapptes dann auch. Die Übernachtung im State Park war schrecklich. An der Einfahrt zuerst das Schild „No Vacancy“. Kein Wunder, war es doch das um den Labor Day verlängerte Wochenende, mit dem die Ferienzeit in den USA und auch in Kanada zu Ende geht. Ich fuhr trotzdem die lange Zufahrt zum Office. Der junge Mann ließ mich trotz Überfüllung hinein, sagte aber, einen Platz für mein Zelt müsse ich mir selber suchen. Nach seinen Unterlagen sei alles voll. Aber für einen Radler mit kleinem Zelt müsse sich noch ein Platz finden lassen. So war es dann auch. In der Nacht war es furchtbar laut. Die anderen Camper feierten offensichtlich das Ende des Sommers und ihrer Ferien, nicht nur mit Lagerfeuer und Gesang, sondern auch mit Feuerwerk. Leider ließen sich die Mücken davon nicht vertreiben. War ich während meiner gesamten Reise bisher von diesen und ähnlichen Viechern verschont geblieben, so haben sie bei meiner letzten Zeltübernachtung umso mehr zugesetzt.
An nächsten Morgen verließ ich daher in aller Frühe das unwirtliche Gelände. Ich war nur wenige Kilometer auf der Hauptstraße in Richtung Halifax gefahren, kam auch schon Richard von hinten angesaust. Er hatte unweit auf einer Anhöhe neben der Straße die Nacht verbracht, war natürlich ohne Morgentoilette und – wie ich - ohne Frühstück.

Erst nach etlichen Kilometern fanden wir ein kleines Restaurant, wo wir ausgiebig frühstückten. Wir waren jetzt schon im Einzugsbereich von Halifax und Dartmouth. Dartmouth ist die Schwesterstadt von Halifax, die wir erst durchqueren mussten. Von dort ging es über eine hohe und sehr lange Brücke, die zum Glück für uns einen eigenen Fuß- und Radweg hatte, nach Halifax hinein. Um zum Hostel zu gelangen, mussten wir das Stadtzentrum auf seiner gesamten Länge durchqueren. Auf dem Weg dahin zeigte mein Radcomputer, dass ich gerade die 8 000 km-Marke überschritten hatte.

Ich hatte für die beiden letzten Tage vor dem Rückflug vor einiger Zeit bereits eine Reservierung vorgenommen; jetzt waren wir aber schon früher da. Und Richard hatte natürlich auch keine Reservierung. Vielleicht konnten wir aber dennoch unterkommen. So war es dann auch. Zwar mussten wir etwas warten, bis man uns ein Quartier zuweisen konnte, aber es klappte.

Richard erzählte schon unterwegs, dass er in Halifax unbedingt eine bestimmte Brauerei besichtigen wollte. Die solle ein Erlebnis sein. Zudem seien im Preis von 13 CA-$ zwei große Gläser Bier eingeschlossen.

Also gleich am nächsten Tag zur ganz in der Nähe gelegenen Brauerei „Keith“.
Die Besichtigung war in der Tat ein Erlebnis. Sie fand in einer Art Theaterstück statt; die Darsteller, drei junge Frauen und ein Mann in der Tracht der Gründerzeit, bezogen auch ihre Gäste mit in die Vorführung ein, indem sie sie aufforderten, mitzusingen und zu tanzen. Ich hielt mich da verständlicherweise etwas zurück und wartete darauf, dass es endlich die beiden Biere gibt. Die gab es dann auch. Von den vier Sorten, die im Angebot waren, durfte man sich zwei aussuchen. Ich blieb bei einer Sorte, dem normalen Hellen, welches dem mir aus Deutschland gewohnten sehr nahe kam.


Richard blieb nur für eine Übernachtung im Hostel. Wir verabschiedeten uns folglich am nächsten Morgen. Er empfahl mir zum wiederholten Male, doch mal eine Radreise in Quebec zu machen. Dort sei es ganz anders als in dem Kanada, das ich auf meiner jetzigen Reise kennengelernt habe. In der Tat würde mich eine Radreise im französischen Kanada durchaus reizen. Vielleicht in einem der kommenden Jahre.

Ich konnte auch die kommenden Tage im Hostel bleiben und verbrachte meine letzten Tage mit Besichtigungen, eine längeren (95 km) Rundtour um Halifax und damit, meine Ausrüstung auszudünnen und vor allem, meinen LHT für den Rückflug vorzubereiten. Dazu besorgte ich mir vom nahe gelegenen MEC einen Radkarton, von dem ich allerdings nur die beiden großen Seitenteile zur Abdeckung des LHT nutzte. Pedale, Schaltwerk und Kette wurden demontiert. Die Kette, eine Campagnolo C9, die ich zu meiner Überraschung auf den gesamten mehr als 8000 km fahren konnte, habe ich entsorgt.

Da man zum recht weit von der Stadt entfernten Flughafen nur über autobahnmäßig ausgebaute Zubringerstraßen gelangen konnte, bestellte ich telefonisch mir einen Shuttle.
Um auch mein Rad im Taxi unterbringen zu können, musste es ein entsprechend großes Fahrzeug sein. Das sei aber kein Problem, würde nur 5 € mehr kosten.

Pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt hielt am nächsten Morgen ein Van vor dem Hostel. Mein Rad sowie die in einem großen Sack verpackten Radtaschen (mit ausgedünntem Inhalt) waren schnell verstaut und los ging es zum 34 km entfernten Airport.

Als ich im Airport mit meinem großen Gepäck neben mir auf einer Bank saß und überlegte, wie ich die Stunden bis zum Einchecken überbrücken könnte, sah ich einen anderen Radreisenden mit seinem in einer Riesenbox verpackten Rad durch die Halle schieben. Ich sprach ihn gleich an; es war René aus der Schweiz, der mit demselben Condor-Flug nach Frankfurt wollte. Zusammen brachten wir unsere Räder und das sonstige große Gepäck in der Gepäckaufbewahrung unter.
Ich nutzte einen Großteil der Wartezeit dann damit, den freien Internetzugang im Airport zu nutzen.

Mit kleiner Verspätung startete die Böing 767 zum Nachtflug nach Frankfurt. Die 6 Stunden Flugzeit gingen schneller herum als befürchtet; fast pünktlich landete die 767 in Frankfurt.

Als tolle Überraschung hatte sich auf dem Flughafen ein Empfangskomitee eingefunden: Meine Schwester mit Schwager, sowie meine Schwägerin. Sie waren mir gleich behilflich, mein Rad und die sonstige Ausrüstung so zu entpacken und umzupacken, dass ich damit den restlichen Heimweg mit der Bahn bewältigen konnte. Auch auf dem hat alles trotz knapp bemessener Umsteigezeiten geklappt.