Re: Von Vancouver nach Halifax 2011

von: rayno

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 05.03.12 14:49

Jetzt wieder in den USA:

Durchs nördliche New York und Neuengland

Gefahrene Route: http://www.gpsies.com/map.do?fileId=bvsgdnnrdzcpbtol
Fotos ab: http://picasaweb.google.com/103249798526464290620/nordamerika2011#5662534551127372466

Aus den kanadischen Ontario kam ich also erst im zweiten Versuch in die USA, nämlich über die beiden Brücken von Cornwall, ON nach – ja wohin? - auf US-Seite des St. Lorenz-Stromes war keine größere Ortschaft. Es ging gleich auf einen Highway, entweder nach Westen oder nach Osten. Ich entschied mich für die östliche Richtung. Schon auf den ersten Kilometern fielen mir eigenartige neue Gebäude auf. Ich dachte erst an moderne Kirchbauten, dann aber sah ich an den großen Aufschriften und Leuchtreklamen, dass es sich um Bingohallen handelte. Angeschlossen waren denen zumeist auch Motel- bzw. Hotelanlagen. Die auffällige Häufung hier an der Grenze zu Kanada zeigt, dass man es wohl auf die Besucher aus dem Nachbarland - oder besser gesagt, deren Geld – abgesehen hat. Mit Erfolg offensichtlich; auf der Straße und auf den Parkplätzen waren die Autos mit kanadischen Kennzeichen in der übergroßen Mehrheit.

Von diesem in West-Ostrichtung verlaufenden stark frequentierten Highway bog ich nach wenigen Meilen nach Süden auf eine Nebenstraße ab. Nach dem Wegweiser war Bombay die nächste Ortschaft. So bin ich auch noch nach Bombay gekommen. In der nächsten Ortschaft sah ich ein Motel, welches nach dem äußeren Eindruck wohl nicht zu den teuren gehören dürfte; für mich gerade richtig, zumal gleich gegenüber auch noch ein Liquorshop war, den ich zuerst ansteuerte, um mir eine Dose Lightbier zu gönnen. Die nette ältere Dame sagte, mit Bier könne sie nicht dienen, bei ihr gäbe es nur richtige alkoholische Sachen, wie Wein und Spirituosen. Bier gäbe es etwas weiter die Straße runter in der Tankstelle. Aha, neues Land, neuer Staat, neue Vorschriften. Im Staat New York sieht am es offensichtlich lockerer als anderswo. Hier – wie übrigens auch in den später durchfahrenen Neuenglandstaaten - ist man also recht liberal und macht es den Bürgern nicht unnötig schwer, sich mit Bier zu versorgen. Eine Sorge also weniger.

Aber zurück zum Motel. Dort hing an der verschlossenen Officetür ein handgeschriebener Zettel
„bin eben nach Malone und bald zurück“. Also fuhr ich zuerst zur Tankstelle, kaufte eine große Dose BudLite und setzte mich damit auf die Veranda vor dem Motel-Office. Und wartete, und wartete. Nichts tat sich. Ich sah mich etwas um und stellte fest, dass das Motel seien besten Tage schon hinter sich hatte. Auch die dort schon – und offensichtlich auch schon länger - einquartierten Gäste machten einen etwas seltsamen Eindruck.
So entschloss ich mich, nach Malone weiter zu fahren und mich dort nach einer Unterkunft umzusehen. Ich fand dort auch schnell ein nettes Motel.

Nun war ich also in New York. Was wollte ich dort eigentlich? Natürlich nicht in die Stadt New York; nicht auf einer Radreise. Mein Wunsch seit langem war schon, einmal die Adirondacks zu durchqueren. Und die hatte ich jetzt vor mir. Schon gleich nach dem Start in Malone sah ich verschwommene Konturen der Berge, die auf mich warteten. Bald war auch die Grenze zum Adirondack-NP erreicht. Wiesen und Felder wichen zunehmend dichtem Wald; und die Straße ging - kaum sichtbar, aber doch spürbar – stetig bergauf. An einer Kreuzung “ Smith's College“ machte ich Pause an einem Verkaufswagen und genehmigte mir ein Hotdog und ein Sprite. Mit dem netten älteren Herrn hatte ich eine angenehme Unterhaltung. Er gab mir auch Tipps für die weitere Fahrt.
Nach wenigen weiteren Meilen tauchte neben mir ein Rennradfahrer auf. Tom, 62jähriger pensionierter Marinesoldat, war auf seiner sonntäglichen Trainingstour in der Gegend, in der er seinen Alterswohnsitz genommen hatte. Auch er gab mir zahlreiche Tipps. Einen nahm ich dann gleich auf. Die Empfehlung nämlich, an der Straßenkreuzung in Harrietstown, über die meine Route führte, Halt zu machen und von dem „besten Eis“ der ganzen Gegend zu kosten. Es war wirklich sehr lecker; und die Besonderheit bestand darin, dass es an jedem Tag nur eine Sorte Eis gab. Es wird nämlich vor Ort ganz frisch von zwei Frauen gemacht. Die Sorte, die es an diesem Tag gab, schmeckte mir ausnehmend gut. Es war Vanille mit irgendetwas anderem noch drin. Beim Eisessen saß ich mit anderen Kunden auf der Bank vor der Eisbude mit wunderschönem Blick über ein weites, bewaldetes Tal zu den Berggipfeln nördlich LakePlacid mit dem Whiteface Mtn im Zentrum.

Lake Placid, die alte Olympiastadt, war dann auch mein nächster Zielpunkt. Dort wollte ich mich etwas länger aufhalten. Bis dahin waren es aber noch etliche Meilen. Über Saranac Lake kam ich in die kleine Ortschaft Ray Brook, wo unmittelbar an der Straße- was selten der Fall ist - ein kleiner State Park mit Campground war. Zudem war dort gerade eine Art Ortsfest, welches hauptsächlich darin bestand, in einem großen Zelt mit Livemusik Hummer und andere Leckereien zu speisen.
Ich blieb natürlich dort, baute mein Zelt auf und gönnte mir ein großes Steak samt zwei großen Bieren. Die Bedienung war übrigens eine junge Studentin aus Bulgarien.
Auf dem Campground hatte ich mich gleich für zwei Übernachtungen eingecheckt; denn am nächsten Tag stand der Besuch in Lake Placid auf dem Programm.

Bei leichtem Nieselregen fuhr ich am nächsten (späten) Morgen hinauf zur alten Olympiastadt. Es ging wirklich kräftig hinauf. Als ich in der Stadt angekommen war und die Hauptstraße langsam entlangfuhr, dachte ich so, ganz nett der Ort, schöne Hotels und Geschäfte. Auch einen Fahrradladen sah ich, in dem ich mir gleich einige Kleinigkeiten besorgte. Die Straße weiter ging es noch mal kräftig hinauf und zudem um eine enge Kurve. Und da kam erst das Ortszentrum.
Und da sah es schon fast aus wie in den mir bekannten alten Olympiastädten wie St.Moritz, Garmisch-Partenkirchen oder Cortina; die ja alle einen gewissen Charme haben, der den neueren Großstädten, in denen olympische Winterspiele stattfanden, gänzlich abgeht. In Vancouver z.B. war davon nichts zu spüren.

Ziemlich am südlichen Ortsende fand ich dann auch meinen eigentlichen Zielpunkt, das Olympia-Eisstadion mit dem Museum. In der Halle war allerhand Betrieb; neben den zahlreichen Besuchern auch zahlreiche junge und auch etwas ältere Mädchen in Eislaufmontur; zwei oder drei junge Herren müssen sich etwas verloren unter den jungen Damen vorgekommen sein. Auf der Eisfläche war gerade die Eismaschine im Gange. Also ging ich erst durch die Wandelhallen, die gleichzeitig Museum waren. Alle Medaillengewinner von 1932 und 1980 waren auf zwei Tafeln verewigt. Dazu natürlich viele, viele Fotos. Auf der Tafel 1932 war z.B. der Name Sonja Henie zu lesen, das Gegenstück 1980 – also Goldmedaille Eiskunstlauf – Anett Pötsch, East Germany. Wie überhaupt 1980 bei den deutschen Medaillengewinnerinnen und -gewinnern vor dem Germany zumeist das East stand.

Als ich vor den Tafel mit den Medaillengewinnern 1980 stand, stand neben mir ein Paar mit einer fast erwachsenen Tochter, die sich in einer osteuropäischen Sprache unterhielten; ich vermutete polnisch. Ich lag richtig mit meiner Vermutung. Die hübsche Frau um die 50 etwa sagte, sie sei 1980 mit der polnischen Mannschaft dabei gewesen und jetzt das erste Mal wieder in Lake Placid.

Unmittelbar neben der Eishalle befand sich das Stadion für die Eisschnellaufwettbewerbe. Diese Anlage wird heute offensichtlich von einer Schule genutzt. Ich machte mich auf den Weg zurück zum Campground; dachte bei der teilweise rasenden Abfahrt schon mit Schrecken daran, dass ich am nächsten Tag den Weg rauf noch einmal machen müsse, und dann mit schwer beladenem Rad.
Am Campground fuhr ich aber erst mal vorbei wieder zurück nach Saranac Lake, wo ich auf dem Weg vor zwei Tagen einen ALDI-Markt gesehen hatte. Dass es ALDI in den USA gibt, war mir bekannt, selbst gesehen hatte ich aber noch keinen. Also auf zu ALDI. Außen und innen sieht es genauso aus wie bei ALDI in Deutschland. Drinnen sieht man dann aber schnell, dass man sich – natürlich – auf die doch etwas anderen Konsumgewohnheiten der US-Amerikaner eingestellt hat. Die Produkte sind auch weit überwiegend amerikanischen Ursprungs; aber auch mir bekannte Marken und Produkte, wie die Schokolade, waren zu sehen. Ich kaufte einige Sachen, die ich ohnehin brauchte; vielleicht etwas günstiger als ich sie sonstwo bekommen hätte.

Am nächsten Tag, Dienstag, 16. August, musste ich mein klatschnasses Zelt abbauen; es hatte in der Nacht geregnet , und leicht regnete es immer noch. Ich macht mich also in Regenjacke auf den beschwerlichen Weg nach Lake Placid. Dort wollte ich noch einmal im Radladen vorbei, um mir ein am Vortag anprobiertes wärmeres Trikots zu kaufen. Der Laden machte aber erst um 9.00 Uhr auf; und da es erst halb neun war, setzte ich mich erst mal ins benachbarte McDonalds zu einem zweiten Frühstück und konnte auch einige Dinge im Internet erledigen.

Das Wetter wurde dann im Laufe des Vormittags immer besser, sodass ich die weitere Fahrt durch die Adirondacks richtig genießen konnte. Hinzu kam, dass die Berge, zwischen denen ich auf einer kurvigen Straße entlangfuhr, zwar noch etwas höher waren als die nördlich Lake Placid, die Straße aber überwiegend sanft abfallend verlief. Die Talgründe im Bereich von Lake Placid liegen auf einem höheren Niveau als weiter südlich. Bei der Ausfahrt aus Lake Placid kam ich auch am Skistadion und den beiden Sprungschanzen vorbei. Alle Wettkampfstätten liegen also recht nahe beieinander; ganz im Unterschied zu den neueren Olympischen Winterspielen.

Ich kam auf meinem Weg nach Süden durch einige nette kleinere Orte mit einladenden Geschäften, Bäckereien und Cafes. Auf einer ruhigen Nebenstraße parallel zur benachbarten Interstate ging es nach Süden. Bald stieß ich auch wieder auf die Northern Tier-Route, der ich bis nach Maine hinein folgen wollte. Nächster Etappenort sollte Ticonderoga sein, der alte Festungsort an der Grenze von New York zu Vermont. Ganz schaffte ich es an diesem Tag nicht mehr bis dahin, sondern machte
ca. 20 km westlich davon im Paradox State Park Station.

Dann, am Mittwoch, 17. August, ging es folglich erst nach Ticonderoga. Um von dort nach Vermont zu kommen, muss man eine Fähre über den südlichen Teil des Lake Champlain nehmen. Auf dem Weg zur Fähre kommt man an der alten Festung vorbei. Für Amerikaner ein geschichtsträchtiger Ort. Wer da auch alles gegen wen gekämpft hat: Die Siedler gegen die Indianer, die Briten gegen die Franzosen – mit einem großen Sieg der zahlenmäßig weit unterlegenen Franzosen übrigens - , die Franzosen oft verbündet mit den Indianern; dann natürlich in den Unabhängigkeitskriegen die Amerikaner gegen die Briten. Und – wie ich irgendwo gelesen habe – fast auch noch die New Yorker gegen die Vermonter. Die New Yorker wollten sich nämlich früher einmal Vermont einverleiben.
Interessant ist, dass alle Seiten, Briten, Franzosen und Amerikaner ihren früheren Kriegshelden auf dem großräumigen Festungsgelände Denkmäler gewidmet und Erinnerungstafeln an die früheren Schlachten aufgestellt haben.
Mit der Fähre ging es dann bei schönstem Wetter über den Lake Champlain nach Vermont.
Waren es in New York die Adirondacks, so sind es in Vermont die Green Mountains, die ich durchqueren wollte. Die Green Mountains sind ein zu den nördlichen Appalachen gehöriger Bergzug, der dem kleinen Staat auch seinen Namen gegeben hat.

Vermont empfing mich dann gleich so, wie ich es erwartet – und befürchtet – hatte. Die Landschaft erinnerte mich an das Allgäu; grüne, hügelige Weiden mit Milchvieh drauf und kräftige Steigungen auf den kurvenreichen Nebenstraßen, über die meine ACA-Route führte. Anders als im Allgäu allerdings die Bauernhöfe oder – besser gesagt – die Farmgebäude. Dazu gehörten auch die typisch nordamerikanischen runden Vorratstürme mit ihren kugeligen Dächern.

Der erste Ort, der den Namen Ort verdient, war Shoreham. Dort machte ich Mittagspause in der einzigen Gasstation. Dann ging es weiter zum bedeutend größeren Middlebury. Mir bekannt nur im Wortzusammenhang Middlebury-Gap; eine von Radreisenden gefürchtete sehr lange Steigung mit Steigungsprozenten von weit über 10 % in einigen Streckenabschnitten. Sonst bekannter allerdings ist Middlebury als Standort einer sehr renommierten Universität, worüber mich Amerikaner aufklärten.

Es war für mich immer wieder überraschend, welch große Universitäten, wenn man Größe an den Gebäudekomplexen festmacht, in den USA anzutreffen sind. Die Uni hat ihren Schwerpunkt im Bereich der musischen Disziplinen sowie der Lehrerausbildung und hier auch ihren guten Ruf erarbeitet.

Ich hatte aber besonders die „Gap“ im Kopf; und bevor es hinter East Middlebury in die Steigung geht, musste ich mich noch einmal stärken. Hinter einer scharfen Kurve ging es dann auch gleich los. Hier musste ich das erste Mal auf meiner Reise absteigen und schieben. Selbst das Schieben meines schwer beladenen Rades fiel mir schwer. Zum Glück sind die besonders starken Anstiege hier in den Neuenglandstaaten immer nur recht kurz; zwischendurch kommen immer Abschnitte mit
gemäßigten Steigungen, sodass man einen längeren Anstieg wie diesen in einzelnen Phasen angehen kann.

In einer dieser gemäßigteren Phasen hörte ich hinter mir ein Geräusch und dann tauchte neben mir ein Radler auf, besser gesagt eine Radlerin. Christine, um die 30 schätze ich, war auf dem Weg von der Arbeit in Middlebury nach Hause. Da sie auch einen Surly LHT fuhr, hatten wir gleich einen Aufhänger für eine Unterhaltung. Und nach dem woher? Und wohin? Und wie lange? … fragte ich sie, ob sie im weiteren Verlauf meiner Route auf den folgenden ca. 20 Meilen einen C-Platz wüsste. Sie kannte keinen (und es gab dort auch keinen, wie sich am nächsten Tag herausstellte.)
Als der Anstieg wieder steiler wurde, gab ich zu verstehen, dass ich mit ihrem Tempo nicht mithalten könne und dass sie doch einfach davonfahren solle. Was sie dann auch tat.

Nach einigen Meilen, an einer Abzweigung vor dem Country Store in der kleinen Ortschaft Ripton traf ich Christine dann doch wieder. Sie wartete offensichtlich auf mich. Ihr war mein Problem mit dem C-Platz wohl durch den Kopf gegangen, denn sie sagte, ich könnte bei ihr im Garten mein Zelt aufstellen und dort die Nacht verbringen. Am nächsten Tag könnte ich dann ausgeruht den zweiten Teil der Middlebury-Gap in Angriff nehmen. Ich sagte natürlich gleich zu und fuhr mit ihr über stellenweise steil ansteigenden Schotterwege den ca. eine Meile langen Weg zu ihrem kleinen Häuschen mit sehr großen Grünflächen rundherum. Dort baute ich mein Zelt auf. Gerade war ich damit fertig, ordnete im Zelt meine Sachen, als ich durch die Zeltöffnung ein Vorderrad auftauchen sah, dann das restliche Fahrrad; wieder ein LHT, diesmal sogar im selben Grün wie meines. Es war John, Christines Mann, der – auch mit dem Rad – gerade von der Arbeit gekommen war. Er stürzte sich gleich auf meinen LHT und kommentierte die nicht so gewöhnlichen Komponenten, wie die White-Vorderradnabe, den teuren Chris King-Steuersatz und das klassisch-alte Shimano XT-Tretlager.

Was die Gesprächsthemen angeht, war der Abend also gerettet. Christine bereitete eine große Pizza zu, John und ich fachsimpelten über Fahrräder. Zufällig war er gerade dabei, für einen Freund auch einen LHT zusammenzubauen. Die einzelnen Komponenten lagen überall herum; gerade heute war der Rahmen gekommen und bei einer Nachbarin abgegeben worden.
Ich hatte immer gelesen, dass Vermont anders sein soll als die übrige USA, und die Vermonter ein besonderer Menschenschlag seien. Die beiden Vermonter, Christine und John, bestätigten das voll und ganz. Ein wenig alternativ und grün; grün wie die Green Mountains.

So verbrachte ich also die Nacht in Ripton, einer kleinen Ortschaft in Vermont, die auch bekannt geworden ist als langjähriger Wohnort des amerikanischen Dichters Robert Frost, der an der Universität im nahen Middlebury einer Lehrtätigkeit nachging.

Besonders verlief auch der nächste Morgen. Da meine Gastgeber mit dem Rad den nicht gerade kurzen Weg zur Arbeit zurücklegten – Christine knapp 20 km, John 25 km - , bekam ich sie kaum noch zu sehen. Schon ganz früh hörte ich Geräusche vom Haus und später kam John, schon auf dem Rad sitzend, zu meinem Zelt und sagte, in der Küche stände eine Kanne Kaffee für mich, und aus dem Kühlschrank solle ich nehmen, was ich sonst noch möchte. Christine sei schon weg, und er müsse sich auch sputen. Die Haustür sei nicht abgeschlossen, man könne sie auch gar nicht abschließen; das sei dort im Dorf so; die Türen hätten keine Schlösser.
So war ich also allein in einem fremden Haus. Den Kaffee ließ ich mir schmecken, vom Inhalt des Kühlschranks machte ich allerdings keinen Gebrauch, hatte ich doch meine Vorräte für das Frühstück am Vortag schon besorgt, wie ich das immer mache.

Dann ging es also weiter. Zunächst die kurze Abfahrt vom Haus der neuen Freunde zur Hauptstraße. Dann wieder Middlebury Gap, zweiter Abschnitt. Und der hatte es wirklich in sich; Christine hatte mich am Vortag schon gewarnt. Hier wartete wieder ein zweistelliger Prozenter, und zwar ein besonders langer. Ich ließ mir aber Zeit; machte mehrere Pausen und erreichte dann endlich die Passhöhe, die Gap. Hier war ein breiter asphaltierter Seitenstreifen, auf dem einige Autos standen. Aus einem rief mir jemand zu, ich solle aufpassen, hinter der Kurve stände ein „big Moose“., also ein großer Elch.
Ich passte auf; gesehen habe ich keinen.

Dann die Abfahrt! Herrlich! Fahren, ohne treten zu müssen. Die armen Radler, die mir entgegen kamen! Und es kamen mir sehr viele entgegen. Bei etlichen bemerkte ich das ACA-Warndreieck, das auch ich hinten über mein Gepäck gespannt hatte. Und zwischendurch kamen Vans mit diesem Warndreieck an der Wagenfront. Muss sich um eine von ACA organisierte Gruppentour mit Begleitfahrzeugen gehandelt haben. Ich wusste aus den Monatsheften von ACA, dass es so etwas gibt.

Meine Tour durch die Green Mountains von Vermont führte dann durch verschiedene kleinere Ortschaften wie Hancock, Rochester, Stockbridge, Gaysville, Bethel, Royalton in die Nähe des Connecticut-River, der die Grenze zwischen Vermont und dem Nachbarstaat New Hampshire markiert. Vorher, zwischen Sharon und South Strafford, wartete aber wieder eine fies lange Steigung. Als ich, mein Rad schiebend, an einem einsam stehenden Haus vorbeikam, wurde ich von
offensichtlich mitleidigen Bewohnern eingeladen, mich zu ihnen auf die Veranda zu setzen und mich zu erfrischen. Eine Einladung, die ich gerne annahm. Der Hausherr bot auch an, mich die letzten ca. 1 ½ Meilen zur Passhöhe mit seinem PickUp hinauf zu bringen. Obwohl in großer Versuchung, nahm ich die Einladung nicht an. Habe bisher alles ohne fremde Hilfe geschafft, werde ich dieses auch noch schaffen.

Kurz vor der Grenze, unmittelbar am Connecticut River, fand ich dann einen C-Platz, wo ich die letzte Nacht in Vermont verbrachte.

Am nächsten Morgen ging es dann gleich über den Connecticut River nach New Hampshire. Gleich nach der Brücke musste ich nach meiner ACA-Karte nach links auf eine Nebenstraße dem Fluss folgend abbiegen. Die Straße war allerdings für den gesamten Verkehr gesperrt. Ein junger Mann hatte die Aufgabe, den Verkehr zu regeln und den Autofahrern die Umleitung zu erklären. Als ich ihn fragte, ob ich mit dem Rad nicht doch über die gesperrte Straße fahren könne, sagte er, ich sollte es mal versuchen. An einer Stelle müsste ich dann allerdings ein Stück über die angrenzenden Privatgrundstücke mein Rad schieben und er wisse nicht, was die Anlieger davon hielten. Ich fuhr also die direkt am Connecticut entlang das kleine Sträßchen nach Norden. Bald kam auch der auf meiner Karte verzeichnete „non paved“-Abschnitt; das erste - und einzige – Mal, dass ich auf nicht asphaltierter Straße fahren musste. Der Belag aus Sand und feinem Schotter war aber viel besser als z.B. zahlreiche Streckenabschnitte auf dem Transcanada-Highway. Das Sträßchen führte durch dichten Wald; ab und zu ließ eine Lichtung einen Blick auf den Connecticut-River und die schönen Villengrundstücke auf der Vermontseite zu. Verkehr herrschte natürlich keiner, ausgenommen zwei Radler, die mir hier entgegen kamen; ein älteres Paar auf Rennrädern. Sie hielten an und fragten mich nach dem woher und wohin. Sie erzählten, dass sie vor einigen Jahren den Nordseeradweg gefahren seien; und da sei er auch schon über 70 gewesen; jetzt sei er gerade 80 Jahre alt und könne das Rennradfahren immer noch nicht lassen.

Die Baustelle, deretwegen die Straße gesperrt war, erwies sich als für Radfahrer problemlos. Die Rennradfahrer hatte mir auch einen Tipp gegeben, auf welcher Seite man am besten die Baustelle umfahren könne. Und so habe ich es dann auch gemacht. Ich musste nicht einmal absteigen.

Die erste Ortschaft, die ich in New Hampshire durchquerte, war Orford; dann ging es weiter über Piermont, Haverwill und North Haverwill; immer am Connecticut entlang, mal direkt am Flussufer, mal in größerem Abstand. Irgendwann musste ich mich aber entscheiden, nach rechts, also nach Osten abzubiegen, wollte ich doch die White Mountains durchqueren. Die Gelegenheit bot sich von selbst. Die Straße, auf der ich unterwegs war, der HW10, machte einige Meilen nördlich von Haverwill einen Schwenk nach Osten, also weg vom Connecticut. Ich blieb also einfach auf HW 10. Als ich in Bath am Ortsausgang gerade eine starke Steigung vor mir hatte, sah ich von hinten eine dunkle Wolke aufziehen und hörte aus der Ferne auch schon leichtes Donnern. Ein Thunderstorm im Anzug! Also gleich wieder zurück in den Ort, wo an der Kreuzung ein alter Trading Post war, also ein Laden, wie es sie früher überall in den USA in den neu und dünn besiedelten Randgebieten gab, ein Laden, in dem es alles gab, von Holzfällerkleidung bis frisch gebackenem Brot. Und heute natürlich all dem Krimskram, den man in Touristengegenden verkaufen will. Ich holte mir aus dem Laden einen großen Becher Kaffee und setzte mich auf die Veranda. Mein Rad schob ich an eine Stelle, wo es vor dem bald einsetzenden Platzregen geschützt war. So wartete ich eine knappe Stunde, bis die Sonne wieder hervorkam.

Weiter ging es auf Hw 10. Die nächste Stadt war das wegen einer das Stadtbild dominierenden Fabrik eher hässliche Lisbon. Einige Meilen weiter zweigte eine Nebenstraße nach rechts, also Richtung White Mountains, ab. Angezeigt war Franconia. Dahin bog ich also ab. Der auf meiner Karte als unscheinbares Nebensträßchen eingezeichnete Hw 117 war tatsächlich eine recht breite Straße in sehr gutem Zustand. Es ging auf ihr nur stetig bergauf. Aber mit Steigungsprozenten, die ich noch gut bewältigen konnte. Langsam wurde es ja auch Zeit, aus den Niederungen des Connecticut-Tales in höhere Lagen zu kommen. Über Sugar Hill ging es nach Franconia, wo ich auf einem C-Platz Station machte.

Am nächsten Tag sollte es nun ins Zentrum der White Mountains gehen, also dorthin, wo man den höchsten Berg Nordamerikas östlich der Rocky Mountains im Blick hat, den Mount Washington mit seinen 6288 ft, also rund 1900 m. Vom C-Platz ging es auch gleich ganz kräftig rauf, bis ich nach der Unterquerung der Interstate 93 auf Hw 3 war. Auf dem ging es dann ohne nennenswerte Steigungen nach Twin Mountains, wo sich gleich mehrere Straßen kreuzten. Ich war jetzt schon am nördlichen Rand des White Mountain National Forest und musste folglich, wenn ich das Gebiet durchqueren wollte, nach Süden fahren. Dazu bot sich der Hw 302 an, der zudem durch den mir aus der volkswirtschaftlichen Fachliteratur bekannten Ort Bretton Woods ging. Wieviele Jahre oder gar Jahrzehnte tauchte im Unterricht der Name Bretton Woods auf?! Da musste ich also hin und möglichst von dem berühmten Hotel ein Foto machen.

Die Straße war sehr breit und in bestem Zustand. Ich befürchtete weitere Steigungspassagen; die kamen aber nicht; der Straßenverlauf folgte in weiten Bögen einer Höhenlinie. Nach links hatte man freien Blick auf den Mount Washington. Mit ein wenig Phantasie konnte man sogar die Trasse der berühmten CogRail, also der auf den Gipfel führenden Zahnradbahn erkennen. Bald tauchte auch das Ortsschild Bretton Woods auf.

Wenn in Amerika ein Ortsschild am Straßenrand steht, heißt das aber noch nicht, dass jetzt ein Dorf oder eine Stadt nach europäischen Vorstellungen kommt. Es war links und rechts weiter nur Wald mit grünen Lichtungen zu sehen. Dann hinter einer langgezogenen Kurve links ein langer, asphaltierter Seitenstreifen. Und was konnte man von dort sehen? Das berühmte Hotel, das Mount Washington Resort, in dem 1944, als der 2. Weltkrieg noch in vollem Gange war, Vertreter aus 44 Ländern die Neuordnung des Weltwährungssystems für die Nachkriegszeit entwarfen.

Ich machte einige Fotos vom berühmten Hotel und seiner unmittelbaren Umgebung und setzte meine Fahrt fort; immer in Erwartung eines bald kommenden starken Anstieges zur Crawford Gap.
Aber es kam keiner. Von der Gap an, also der Engstelle an, ging es nur noch bergab. Mir konnte es recht ein. Mein Tagesziel war Conway, wo ich einen in meiner Karte eingezeichneten C-Platz ansteuern wollte. Kurz von North Conway sah ich einen Outdoorladen, bei dem ein Sonderverkauf von Artikel bekannter Marken wie North Face, Marmot usw. groß angekündigt war. Da ich unbedingt eine neue Gaskartusche brauchte, hielt ich an. Und tatsächlich! Dort hatte man außer den in den USA üblichen zu meinem Primus-Kocher nicht passenden amerikanischen Propankartuschen auch kompatible Kartuschen mit Propan-Butan-Mischung. Außerdem natürlich viele mich interessierende Artikel zu Preisen, die einem die Tränen in die Augen treiben. Leider - oder Gott sei Dank – konnte ich in meinen Taschen keine zusätzlichen Sachen unterbringen. Ich kaufte nur eine Fleecedecke aus echtem PolarTec200-Material mit schönem New Hampshire- Logo für sagenhafte 12,95 $, also wenige als 10 €. Dafür musste ich meine Billigfleecedecke entsorgen, was mir aber nicht schwer fiel.

Den C-Platz in Conway fand ich dann bald recht schnell; ganz in der Nähe konnte ich mich auch mit Bier eindecken, sodass der Abend gerettet war.

Auf dem C-Platz hatte ich wieder einen von mir ungeliebten großen Stellplatz, der von anderen durch eine Reihe Bäume und Gebüsch abgetrennt war und auf dem man auch drei oder vier Zelte aufstellen könnte. Der übliche Tisch mit Bänken an den Längsseiten gehörte auch dazu. Auf dem ließ ich nach dem Abendessen eine leere Dose (Ravioli glaube ich) und einigen sonstigen Abfall in einer Plastiktüte liegen. In der Nacht wurde ich von einem Geräusch geweckt. Ich sah gerade noch, wie etwas aus dem halb geöffneten Vorzelt huschte und dann ein Scheppern aus der Richtung, in der der Tisch stand. Ich nahm meine IXON IQ und leuchtete in Richtung des Tisches. Drei Porcupines hatten sich an meinem Abfall zu schaffen gemacht. Der helle Strahl der IXON ließ die drei Räuber aber schnell im Gebüsch verschwinden. Ich krabbelte aus dem Zelt, sammelte den umherliegenden Müll ein und hängte die Mülltüte an einen Ast in einer Höhe, die ich gerade noch erreichen konnte. Für den Rest der Nacht hatte ich dann Ruhe.

Am nächsten Tag ging es dann von Conway in östlicher Richtung über die Grenze nach Maine. Fryeburg war der erste Ort in diesem weiteren Neuenglandstaat. In Fryeburg verließ ich auch wieder die ACA-Northern Tier-Route; diesmal endgültig. Die NT-Route führt nach Südosten und endet an der Küste in Bar Harbor. Von dort ging bis vor zwei Jahren eine Fähre nach Yarmouth, Nova Scotia. Jetzt leider nicht mehr. Um nach Nova Scotia zu kommen, muss man also einen Umweg über eine weiter nördlich verlaufende Route machen. Konnte mir auch recht sein. So musste ich statt durch die mondänen Orte an der Küstenlinie durch die wenig besiedelte Mitte und den Osten von Maine fahren. Das machte ich dann auch und zwar zunächst auf kleinen Nebenstraßen bis ich auf den Highway 2 stieß, der mich dann über Bangor hinaus bis in den Nordosten begleiten sollte.



Die kleine Nebenstraßen haben für Radreisende den Nachteil, dass man dort meist keinerlei Versorgungsmöglichkeiten hat, und das über weite Strecken. Schnell mal an einer Gasstation Halt machen und einen Becher Kaffee holen, ist hier nicht drin. Auf den größeren Straßen, wie dem Hw 20, hat man diese Sorgen nicht. Gerade noch vor einem Gewitter und plötzlich einsetzendem Platzregen erreichte ich ein Motel in Farmington. Dort durfte ich auch wieder einmal einen Platten im vorderen Reifen reparieren.

Nach frühem Start vom Motel – wir haben jetzt Montag, 22.August - ging es mit leichtem Rückenwind und bei angenehmem Radelwetter weiter und zwar zunächst nach und durch Bangor, eine der größeren Städte in Maine. Ich fuhr mitten durch die Stadt, die auf mich keinen besonderen Eindruck machte. Am Stadtausgang fehlte an einer Abzweigung wieder einmal ein Wegweiser, und prompt landete ich auf der nach Norden führenden vierspurigen Interstate und nicht, wie ich wollte, auf einer parallel dazu verlaufenden Nebenstraße. Ob ich in Maine mit dem Rad auf Interstates fahren durfte, war mir nicht bekannt. Ich blieb bis zur nächsten Abfahrt darauf, und es hat sich niemand beschwert.

Die Abfahrt von der Interstate führte in das Städtchen Orono, welche ein Standort der Staatsuniversität von Maine ist. Das Stadtbild ist folglich auch geprägt durch die Gebäude und Anlagen der Universität.

Hinter, d.h. hier nördlich von Orono, war auf meiner Route nur noch wenig Verkehr. Es dominierten die langen mit Holz beladenen Trucks. Warum die in beiden Richtungen beladen unterwegs waren, ist mir nicht erklärlich, sollte man doch eigentlich meinen, dass die Holzstämme aus dem fast nur aus Wald bestehenden Norden Maines in den Süden verfrachtet werden und nicht auch umgekehrt. Meine Straße führte auch hier schon nur durch Wald, aber auch entlang eines sehr
breiten Flusses, dessen Namen mir von bestimmten Outdoorartikeln bekannt ist, dem Penobscot.
An diesem von Wassersportlern beliebten Fluss liegt auch das Städtchen Old Town, an dessen Eingang ein großes Schild darauf hinweist, dass von hier die berühmten Kanus gleichen Namens kommen. Die Kanufabrik sah ich zwar nicht, dafür aber ein riesiges Werk, in dem offensichtlich chemische Produkte hergestellt wurden.

Immer weiter ging es in Richtung Nordosten, und immer einsamer wurde die Gegend. Als ich an einer der seltenen Tankstellen in einem kleinen Ort mit dem Namen Linneus Halt machte und vor dem Gebäude mit dem obligatorischen Becher Kaffee auf einer Bank saß, hielt auf dem großen Parkplatz einer dieser Riesen-PickUps mit langem Anhänger, auf dem ein noch längeres Boot mit Außenborder war. Zwei ältere Männer stiegen aus und kamen nach wenigen Minuten wieder aus dem Shop heraus. Einer war sehr groß und kräftig gebaut, wohl so um die 60, der andere kleiner und auch älter, weniger sportlich. Der Große ging zu seinem Auto, der Kleinere kam zu mir und redete auf mich ein, was ich nicht verstand. Als er merkte, dass ich ihn nicht verstand, wiederholte seine Frage ganz langsam und zwar auf schwedisch! Das habe ich dann verstanden. Er wollte wissen, ob ich über meine Reise ein Buch schreiben wolle. Auf schwedisch antwortete ich ihm, dass ich das nicht vorhätte. Warum hier im Nordosten von Maine schwedisch? Der Mann sagte, seine Vorfahren seien aus Schweden nach hier ausgewandert, so wie nicht wenige andere auch. Deshalb auch der schwedische Ortsname. Er hieße Carl Sjoberg; in Amerika sei aus dem ö ein o geworden, er hieße eigentlich Sjöberg; so sprach er seinen Namen auch aus.
Mehrfach wiederholte er seine Aufforderung, doch ein Buch über meine Reiseerlebnisse zu schreiben. Er wolle unbedingt eines haben. Ich vertröstete ihn damit, dass ich vielleicht in einigen Monaten einen Fotobericht ins Internet stellen würde, und dass ich ihm die URL dafür auf einen
Zettel schreiben wolle. Was ich dann auch tat. Carl sagte daraufhin, dass er sich mit Computer und Internet nicht auskenne, aber Tom – so hieß der größere Mann, der im Auto auf Carl wartete – habe Internet, und an ihn könne ich auch Mails schicken. Ich versprach ihm, mich nach meiner Rückkehr aus Deutschland über Tom zu melden und auch einige Fotos zu schicken.
Beim Wegfahren stoppte Tom seinen großen GMC-PickUp neben mir und reichte mir seine Visitenkarte auf dem Fenster: TomWOLTERS, Registered Maine Guide, Stockholm, ME.
Ich konnte ihn leider nicht mehr fragen, wann seine Vorfahren aus Deutschland - möglicherweise sogar aus der Grafschaft Bentheim? - nach Maine gekommen sind.

Die beiden Ortsnamen Linneus und Stockholm zeigen, dass sich in dieser Gegend viele schwedische Auswanderer angesiedelt haben. Auf eine ganz andere natürliche Umgebung mussten sie sich hier nicht einstellen.

Es war schon Nachmittag, und ich wollte meine letzte Etappe in den Neuenglandstaaten eigentlich mit einer Übernachtung in Maine anschließen. In Houlten glaubte ich, eine Unterkunft finden zu können. Dass es dort keinen C-Platz gab, hatten mir Tom und Carl schon gesagt. Aber ein Motel müsste sich doch finden lassen, besonders auf der Ausfallstraße in Richtung der nahen Grenze zu New Brunswick. Dachte ich; dem war aber nicht so. Und so war ich schneller als geplant an der Grenze. Um über die Grenze zu kommen, musste ich von der Nebenstraße auf die Interstate wechseln. Denn nur auf der unterhalten die beiden Länder ihre aufwändigen Grenzabfertigungseinrichtungen. Da ich von den USA nach Kanada wollte, hatte ich es nur mit der kanadischen Kontrollstelle zu tun. Die nicht besonders freundliche Beamtin stellte die üblichem Fragen, ich konnte sie jedes Mal verneinen; hatte weder Waffen dabei, noch bestimmte Lebensmittel etc. Auf meine Frage, wie ich das grüne Kärtchen, dass mir ihr amerikanischer Kollege bei der ersten Einreise in die USA an der Fähre von Vancouver Island nach Anacortes in den Pass getackert hatte mit der Aufforderung, es unbedingt bei der letzten Ausreise aus den USA
an der Grenze wieder abzugeben, zu den US-Kollegen auf der anderen Straßenseite befördern könne, sagte sie, das würde sie übernehmen. Und – ehe ich es verhindern konnte – riss sie das grüne Kärtchen einfach aus meinem schönen neuen Pass, in dem jetzt auf einer Seite ein Stück fehlt.

Jetzt war ich also wieder in Kanada. Und damit am Beginn des letzten Abschnitts meiner Reise.
Beim Grenzübertritt zeigte mein Radcomputer 6 997 km; die Fahrt durch New York und die Neuenglandstaaten ging folglich über rund 1100 km.