Re: Käse mit Milben und Autos mit Abi

von: radius

Re: Käse mit Milben und Autos mit Abi - 05.02.12 14:41

(Fortsetzung und Schluss)
Von der kurzen Etappe von Calbe an der Saale nach Magdeburg (40 km) gibt´s nicht viel zu erzählen. Bei Schönebeck, einer Stadt kurz vor Magdeburg, treffe ich wieder auf den Elbe-Radweg. Ein paar Kilometer lang geht es durch eine öde verlassene Vorstadt von Magdeburg, wo links und rechts ehemals schöne Häuser vergammeln, mit blinden Fensterhöhlen oder eingeschlagenen Scheiben. Aber sauber vergammeln, denn einige eifrige Sammler heben jeden Fetzen Abfall oder Papier auf und stopfen ihn in mitgeführte Säcke - offensichtlich Ein-Euro-Jobber im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms, erkläre ich mir dieses Phänomen. Zwei-, dreimal kommen mir junge Kleinfamilien entgegen, sie mit brennender Zigarette im Mund, Kleinkind auf dem Arm, der zugehörige Vater über und über zutätowiert. Ossi-Prekariat? Man hat ja sonst keine Vorurteile, nicht wahr?

Es wird immer grauer am Himmel, bis schließlich ein heftiger Regen einsetzt. Bei solch einem Wetter will ich nicht weiterfahren, weshalb ich mich schon mittags im Hotel Stadtfeld in Magdeburg (55 Euro) einquartiere. Kaum habe ich meine nassen Sachen im Zimmer zum Trocknen drapiert, hört draußen der Regen auf und fast schon kommt die Sonne raus. Na gut, dann mach ich eben nochmal eine ausgedehnte Stadtbesichtigung.

Wer im Physikunterricht besser aufgepasst hat als im Biounterricht, weiß was "Magdeburger Halbkugeln" sind und kommt nicht auf dumme Gedanken: Otto von Guericke ließ im 17. Jahrhundert zwei eiserne Halbkugeln luftleer pumpen. Zwei vorgespannte Pferde konnten die zusammengefügten Halbkugeln nicht auseinanderziehen, weil sie vom Luftdruck von außen zusammengepresst wurden. Hundertwasserhaus und Magdeburger Dom sind weitere Attraktionen der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts. Im angesagten Ausgehviertel rund um den Hasselbachplatz esse ich ein einsames Kartoffelgericht und liege bereits um 8 Uhr im Bett.

Die lange Nacht endet um 6 Uhr. Im appetitlich eingedeckten Frühstücksraum sitze ich zusammen mit 3 sehr dunkelhäutigen Männern und einer sehr dunkelhäutigen Schönheit - und bald darauf schon um 20 nach 7 im Sattel. Es ist aber auch einfach zu herrliches Wetter, um noch eine Minute länger zu warten! Ich überquere die Elbbrücke, sehe, zurückblickend, den Magdeburger Dom als graue Nebelsilhouette. Als ich mir meines Ohrwurms bewusst werde, muss ich unwillkürlich lachen: "Auf, du junger Wandersmann...!" säuselt es in mir. So mach ich mir selber Spaß.

Die Straße führt ziemlich lange ziemlich schnurgerade, immer strikt nach Osten, 87 km bis zu dem hübschen Ort Belzig, besser: BAD Belzig. Mit Burg und mit (mir zu teurem) ADFC-empfohlenen Hotel. Anfangs radle ich durch eine Landschaft ohne Namen, später durch den "Naturpark Fläming" und den "Hohen Fläming". Das nennen die Berliner und andere Flachländer dann "Berge". Tatsächlich erklärt mir der Kellner am späten Nachmittag in meinem Hotel auch voller Stolz, dass man sich hier auf der höchsten Anhöhe Brandenburgs befinde, nämlich auf sagenhaften 201 Meter!

Dieses Hotel! Leute, ich sage euch: so wunderschön liegt es, sooo romantisch im tiefen Walde, mit Mühlenrad, mit Mühlenteich, auf dem sogar Schwäne und Enten glücklich aussehen, mit aufmerksamer Bedienung an sauberen Tischen draußen wie drinnen, mit leckerem Essen und mit blitzsauberen neuen Zimmern. Bezahlbar ist es auch: Springbach -Mühle, Belzig (Einzelzimmer 56 Euro mit Frühstück). Hier müsste man nochmal zu zweit hinfahren, und wenn man beim Hinfahren noch nicht verliebt war, verliebt man sich vor Ort bestimmt. Und sei es in die Umgebung.

Das Radeln an meinem letzten Radeltag ist eigentlich eher Nebensache. 55 km sind´s nur bis Potsdam, durch den Ort Belitz, aus dem ganz Berlin seinen Spargel zu den entsprechenden Zeiten bezieht und wo es sogar ein Spargelmuseum gibt. Ärgerlich teilweise, dass die Radroute hier in der Belitzer Gegend manchmal über sehr sehr sandigen Untergrund führt; da mahlen die Räder oder rutschen einfach so weg, dass man ins Straucheln gerät. Auf solchen Wegen möchte ich nicht bei Regen fahren. Da versinkt man vermutlich im Schlamm.

In Potsdam besteige ich die Regionalbahn und fahre bis Berlin-Hauptbahnhof. Ich habe heute keine Lust mehr, mich durch den Stadtverkehr bis nach Berlin Mitte durchzuschlagen. Außerdem habe ich ja noch ausreichend Zeit in den folgenden Tagen, die Berliner Umgebung radelmäßig abzufahren. (Dass es ab jetzt vier Tage lang nur regnet, nur so schüttet, kann ich ja zu dieser Zeit nicht ahnen.) Zur Mittagszeit fertige ich das ultimative Beweisfoto an: Ich und der Reichstag. Oder umgekehrt. (s. Titelbild)

Für die Fahrt zurück nach München miete ich mir einen Wagen bei Avis, einen Opel-Corsa, in den mein Rad, nachdem ich das Vorderrad ausgebaut habe, ganz prima reinpasst. Eine Zugfahrt mit Fahrradmitnahme war jetzt, in der Hauptferienzeit, kurzfristig nicht mehr zu bekommen.

Es war eine schöne Reise, durch Höhen und Tiefen; die insgesamt gefahrenen 877 Radkilometer - bewältigt in 11 Etappen - haben mir 67jährigen alten Mann körperlich, seelisch und geistig gut getan! Na klar fehlten mir manchmal Gesellschaft und Ansprechpartner, aber besser keiner als der falsche. Ich würd´s jederzeit nochmal machen! Kommt jemand mit?