Re: Pyrénées Cathares-Catalán

von: veloträumer

Re: Pyrénées Cathares-Catalán - 16.12.11 21:02

Nun denn der kritischste Teil meiner Reise...

TEIL 8 Ist meine Radtour beendet? Wer klaut meine Schuhe? – Die gemein(sam)e Verschwörung der spanischen Polizei und Füchse: Von Aragonien zurück in die Serra del Cadí

So 10.7. Plan - Collado Cozairon (1797m) - Cerro Marradetas (2018m) - Puerto de Sahún (1989m) - Chia - Castejón de Sos - Collada de Fadas (1470m) - Collado de Espina (1407m) - Pont de Suert - Viu de Llevata (1230m) - Coll de Creu de Perves (1335m) – Senterada
100 km | 11,7 km/h | 8:26 h | 1.850 Hm
W: sonnig,recht warm, aber nicht zu heiß
E (Camping-R.): Hähnchen, PF, Salat, Schokotorte, Rw, Cafe 21,10 €
Ü: C Senterada 10 €

Der Puerto de Sahún bildet eine (etwas kürzere) Pistenalternative zur Asphaltroute, die von Bielsa über Ainsa und den Collada de Foradada nach Castejón de Sos führt. Die Strecke wird auch von wenigen Autos befahren und bildet mit einer Abzweigung etwa auf halber Höhe der Auffahrt eine weitere Verbindung zum Rio Ésera (nach Seira, über Barbaruéns). Der Pass liegt zwar knapp unter 2000 m, aber der höchste Punkt liegt in Sichtweite kurz vorher auf über 2000 m. Überraschend ist dieser eher flache Bereich mit Betonplatten befestigt. Die oberen Pistenbereich sind auf beiden Seiten angenehmer zu fahren, in den mittleren oder unteren Bereichen ist der Pistenzustand schlechter. Zwar hat die Piste ausreichend Härte, aber es gibt doch viel Schotter, auf dem ich immer wieder herumgerutscht bin. Insbesondere die Abfahrt war dabei langwieriger als geplant (wechselndes Gefälle). Es gibt auch Rennradler, die hoch fahren, die meisten haben aber Crossreifen aufgezogen – alles andere ist Leichtsinn.

Landschaftlich sind beide Seiten grundverschieden. Die Westseite ist relativ schattig und bietet vergleichsweise wenig Panorama. Zwischendrin gibt es Wiesen mit Steinblöcken und mit Wasserlilien sowie einen Brunnen, bei dem man eine weiten Ausblick nach Süden hat. Ab dem höchsten Punkt überwiegt offene Berglandschaft, Weideland für Kühe, Ziegen und Schafe. An der Passhöhe gibt es informative Tafel zu den Bergen, die man hier im Blick hat. Nach Nordost schaut man ins Valle de Benasque mit dem vergletscherten Maladeta-Massiv, das der höchste Gipfel der gesamten Pyrenäen krönt, der Aneto (3408 m). Das Panorama bleibt auf der Abfahrt erhalten. Dazu kommen sensationelle Bergteppiche aus niedrigen Ginsterbüschen, die weite Teile des Osthanges in nicht nur leuchtendes, sondern auch duftendes Gelb tauchen. Von weitem betrachtet wie etwa von der folgenden Auffahrt zum Collada de Fadas glaubt man einen Schwefelberg zu sehen. Damit übertrifft der Puerto de Sahún mein bisher imposantestes Ginstererlebnis vom Coll de Canto (La Seu – Sort) noch mal deutlich – einfach sensationell!

Ich hatte abends ein paar Italiener im Restaurant kennengelernt, die auch mit Reiserädern über den Pass fahren wollten (leichteres Gepäck). Zwei von ihnen holten mich irgendwo bei der Auffahrt ein und meinten, ich wäre wohl sehr früh losgefahren. Eigentlich hatte ich sie weiter unten erwartet, aber ein Italiener ist halt kein Frühaufsteher. lach Ich war sehr langsam unterwegs, wegen des Schotter, aber auch wegen der Fotos. Zunächst dachte ich, sie fahren mir davon, dann konnte ich aber doch wegen der besser werdenden Piste bis zur Passhöhe mithalten. Ein weiterer Kumpel lag noch zurück, auf den die beiden dann oben warteten. Auf der Abfahrt haben sie mich auch noch mal eingeholt – die sind da ziemlich brutal runter gebrettert. Irgendwo machten sie dann aber doch eine wohl längere Pause, sodass ich sie dann jenseits von Chia nicht mehr gesehen habe. Sie hatten auch noch einen Hund dabei – das war aber nicht ihrer, sondern ein Hund des Dorfes, der ausdauernd bis zur Passhöhe mitgelaufen ist.

Castejón de Sos bietet bessere Versorgungsmöglichkeit als das Bergdorf Chia. Castjeón war 1997 Austragungsort einer WM für Paraglider und nicht nur deswegen ist die Region ein Hochburg für diesen Fliegersport. Der Collada de Fadas hat ein paar Ähnlichkeiten zum Sahún-Pass, kann aber mit dessen Üppigkeit nicht annähernd mithalten. Das Maladeta-Massiv wirkt von hier aus aber noch imposanter. Den Espina-Pass erreicht man über eine eher trockene Weidehochebene. Einige ungewöhnliche Felsen sieht man in Richtung Vall del Noguera. Hier führt meine Route kurz über die sehr stark befahrene N 230 – die Verbindung aus dem Vall d’Aran durch den Vielha-Tunnel nach Lleida im Süden. Die Attraktion von El Pont de Suert ist ein Ei grins genauer gesagt ein Ei, das eine Kirche ist. Es handelt sich um eine kurioses Bauwerk aus dem Jahre 1955 der Baumeister Torroja und Rodriguez Mijares.

Schöne Blicke auf den Stausee Escale erhascht man auch noch von der Straße zum Coll de Creu de Perves. Mit seiner teils Espen-gesäumten Schlucht auf der Westseite, den Kehren und Tunnelfelsen und der mittelalterlichen Burgruine in dem malerischen, auf einer Zwischenhöhe gelegenen Dorf Viu de Llevata ist auch dieser Pass eine Empfehlung. Der Camping mit Pool liegt sehr erholsam ruhig ortsausgangs von Senterada ins Vall Fossa hinein.


Mo 11.7. Senterada - Alt de Montcortès (1112m) - Gerri de la Sal - Congost de Collegats - La Pobla de Segur - Tremp - Isona - Coll de Faidella (1250m)
87 km | 12,1 km/h | 7:08 h | 1.210 Hm
W: sonnig, heiß, auch windig
E: SV
Ü: C wild 0 €

Das untere Vall Fossa kann man mit seinen Pferdewiesen, Feldern und Hainen als verträumt hübsch beschreiben. Schlicht spektakulär sind aber die roten Felsen auf der Auffahrt nach Montcortès, in denen man Figuren zu erkennen glaubt oder die schlicht durch das Farbspiel am Morgen imponieren. Auf der Passhöhe bietet ein See eine stille Oase zum Verweilen.

Schon auf der Abfahrt nach Gerri de la Sal prägen riesige Felswände das Tal, das nach Süden geradezu verschlossen scheint. Gerri de la Sal war einst eine bedeutende Salzstadt. Aus dieser Zeit stammen Wachtürme, die damals dem Schutz des weißen Goldes dienten, als das schlichte Natriumchlorid noch wertvoll war. Die Salzquelle und ein paar symbolische Salinen bestehen auch heute noch. Reichtum ist heute nicht mehr zu finden – das bescheidene Angebot in den Lebensmittelgeschäftchen zeugt eher vom Absterben des Ortes.

Es wäre zu schön, dass nun ungebrochen weitere Naturwunder folgen. Doch stand ich wenig weiter am frühen Mittag kurz vor dem Abbruch der Reise. Und das wäre einem gelangweilten Polizisten zu verdanken gewesen, böse dessen Zugriff auf mein Rad ich zum Glück letztlich unter Vorspiegelung falscher Absichten entkommen konnte. Diese Lappalie um die ebenso unsinnige wie widersprüchliche spanischen Helmpflicht habe ich ja eingangs schon besprochen. Nicht ahnen konnte ich noch, dass bereits in der kommenden Nacht die katalanischen Füchse gemeinsame Sache mit Polizei machen wollten, um mich an der Weiterreise zu hindern. böse grins verärgert weinend Wie aus dem Prolog bekannt, überstand ich aber beide Krisen. schmunzel

Die Congost de Collegats ist eine bizarre Felsschlucht aus Kalkgestein, die in aufregenden Farbmustern aus dunkeln und hellen Grau- sowie Rost- und Ockertönen gepinselt ist. Unweigerlich wirken einige Plateaus mit den senkrechten Abbruchkanten wie eine Wildwest-Landschaft. Die Felsen sollen Gaudí zum Bau der Sagrada Familia in Barcelona inspiriert haben. Die Straße führt durch einen Tunnel, dessen Durchfahrt per Velo offiziell verboten ist. Bei solcher Traumkulisse auf dem Umgehungsweg (asphaltiert) verzichtet man allerdings gerne auf eine Dunkelfahrt.

Von der dicht befahrenen Straße zwischen den beiden geschäftigen Städten La Pobla und Tremp kann man immer wieder mal de Stausee Sant Antoni sehen – allerdings liegt meistens die Bahnlinie dazwischen und der See ist nur an wenigen Stellen zugänglich. Weiter im offenen Feld- und Wiesenland setzt mir die große Hitze zu, ein spärlicher Flusslauf bietet kaum Abkühlung. Erst am frühen Abend liefert der Brunnen von Isona die dringend ersehnte Erfrischung. Nach Isona führen mittlerweile zwei Straßen, ausgeschildert ist die neue Umgehungsstrecke, die ich leider nahm – besser wäre die Route über Conques gewesen weil abwechslungsreicher.

Mir bestätigen zwei entgegen kommende Reiseradler (Niederländer), dass die nächste Verpflegung erst in Coll de Nargó möglich ist (sie haben dort in einem Hotel übernachtet) – also 40 km Einsamkeit. So lege ich mir eine Notration zu und plane die Irgendwo-in-den-Bergen-Übernachtung. Ich wäre sicherlich noch ein Stück weitergekommen als bis zum Coll de Faidella, wenn ich mich nicht einer längeren Beobachtung der Geier bei der Passauffahrt gewidmet hätte. Zu beiden Talseiten krächzte je eine gesellige Geierkolonie und immer wieder wechselten einzelne Vögel offenbar in freundlicher Absicht die Seiten. Leider kam ich nicht nah genug heran, um vernünftige Fotos schießen zu können, zumal die Dämmerung bald einsetzte. Trotzdem war es ein eindrückliches Naturerlebnis.

Di 12.7. Coll de Faidella - Boixols - Coll de Bóixols (1380m) - Coll de Nargó - Alinya - Collet de Bas (?m) - Col de Boix (1320m) - Oden - Cambrils - Coll de Jou (1480m) - Sant Llorenç de Morunys - Coll de la Mina/Coll de Jouet (1240m) – Berga
119 km | 13,7 km/h | 8:26 h | 1.875 Hm
W: schwül heiß, mehr Wolken als Sonne, starkes Gewitter abends und in der Nacht
E (ind. Rest.): Überbackene Vorspeisen m. Saucen, Lammcurry, Reis, Früchte m. Eis, Cafe 28 €
Ü: C wild 0 €

Der Tag begann mit einem tiefen Aufatmen, nachdem ich den zweiten Radschuh wiederfand. Wie schon der Faidella ist auch der folgende Bóixols-Pass keine große Herausforderung. Das kleine Dorf Bóixols liegt in einer kleinen Mulde zwischen den Bergen, hat aber keinerlei Infrastruktur. Auf der Ostseite des Coll de Bóixols gelangt man unten in eine nicht allzu stark ausgeprägte Schlucht.

Nach dem beschaulichen Coll de Nargó beginnt wieder lange Einsamkeit – bis zum nächsten Verpflegungsort Sant Llorenç de Morunys sind es immerhin über 50 km. Direkt auf der Strecke gibt es noch in Alinyá ein Restaurant, das ist aber noch im flachen Teil und nicht weit von Coll de Nargó. Bis zum Coll de Jou (schon wieder dieser Name, aber wieder ein anderer Pass!) gibt es mehrere Auf und Abs, allerdings geht es nie tief in ein Tal, mit dem Anstieg nach Alinya erreicht man eine gewisse Grundhöhe. Trotzdem gibt es auch an folgenden Anstiegen noch schwierige Passagen, ohne aber dass ich die Strecke als wirklich schwer bezeichnen würde. Etwas östlich von Oden findet sich ein Brunnen, der offenbar sehr begehrt ist – einige Spanier füllen dort Berge von Kanistern und Plastikflaschen ab. Die Landschaft ist nicht immer aufregend, aber es gibt Teile mit kuriosen Felsformationen, man könnte auch von „katalanischen Nockbergen“ sprechen – riesige Felsblöcke mit stumpfen Kuppen, die sich zu ganzen Felslandschaften zusammenfinden. Die Abfahrt ist ziemlich rasant, man hat ein Panorama auf den Stausee Llosa del Cavall, der vor den Toren von Sant Llorenç liegt.

Obwohl die folgende Strecke nach Berga auch für LKWs ideal ausgebaut ist, bleibt auch hier größerer Verkehr aus. Es gibt wiederum mehrere eher leichte Anstiege. Durch die Südrandlage zur Serra del Cadí dringt auch hier noch teilweise rotes Gestein vor. Doch bewegt man sich weitgehend durch bewaldetes Mittelgebirgsformat ohne jede Art von Panorama – also ziemlich unauffällig, aber trotzdem ganz nett zu fahren. Der Coll de la Mina führt durch einen kleinen Tunnel.

Danach beginnt eine langgezogene, berauschende Abfahrt, die ich leider nicht genießen konnte, denn es zog heftiges Gewitter auf. Als ich die Tore Bergas bei Dunkelheit erreichte, waren mir bereits Schwimmflossen gewachsen. böse grins Mit dem Gewitter waren heftige Sturmböen verbunden, die alles wegrissen, was in der Stadt nicht angebunden war. Mancher Sonnenschirm wurde zum wilden Geschoss – ganz ohne Kriegerklärung. Eine große Wahl für ein Restaurant hatte ich so nicht, denn die Altstadt liegt steil am Berg und ist von zahlreichen Treppengassen durchzogen. Der eher etwas schmuddelige Inder liegt am westlichen Ortseingang, wo ich zunächst vorbeigeradelt war.

Nach dem Essen schleiche ich mich von Unterstand zu Unterstand – immer wieder scheint der Regen abzureißen, doch nicht wirklich. Ein markantes Mosaik am Polizeigebäude weißt auf die größte Attraktion Bergas hin: La Patum, das Fronleichnamsfest. Allerhand Großköpfe und mythische Figuren (Riesen, Zwerge, Maultiere, Keulen usw.) tanzen zu dem Rhythmus einer großen Trommel (El Tabal), Feuerwerk verstärkt das farbenfrohe und laute Volkfest, dass das größte in ganz Katalonien ist und zum UN-Weltkulturerbe erkoren wurde. Die szenischen Darstellungen gehen auf das 14. Jahrhundert zurück, bei denen die Guten (Christen) gegen die Bösen (Mauren) kämpften. Anthropologen sehen im La Patum den Vorläufer des modernen Theaters.

Selbst die Hotelsuche ist unter den gewitterhaften Umständen schwierig. Ein kurzes Trockenintermezzo bewegt mich, doch aus der Stadt zu fahren. Der Camping im Süden macht wenig Sinn, denn dazu geht es runter und ich möchte ja aufwärts weiter nach Norden fortfahren. Und wenn aus Kübeln gießen sollte, kann ich eh kein Zelt aufstellen. Doch schaffe ich nicht mal den Weg aus der Stadt raus, am Stadtrand muss ich bei einer Tankstelle wieder unterstehen. Es scheint nun ein nicht endender Wolkenbruch zu werden – Blitze und Donner inklusive. Irgendwann bin ich so müde, dass mir nichts anderes bleibt, als den Schlafsack irgendwie unter dem Tankstellendach auszubreiten – möglichst so, dass ich nicht die ganze Suppe mit dem Wind abbekomme. Am nächsten Morgen werde ich vom Tankstellenwart geweckt, weil ich so ziemlich genau vor dem Ladeneingang liege. Er bleibt aber freundlich, und trotz des frühen Erwachens muss ich immer noch warten, bis der Regen endlich in leichten Niesel übergeht. Aber das ist ein neuer Tag und auch wieder ein neues Kapitel.

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Fortsetzung folgt