Re: Pyrénées Cathares-Catalán

von: veloträumer

Re: Pyrénées Cathares-Catalán - 14.12.11 22:20

In Antwort auf: Bremerin
anstatt einem Roten gibts dazu vielleicht einen Port schmunzel (ok falsches Erzeugerland zu diesem Bericht aber trotzdem lecker lach )

Hallo Nicole,
ich fürchte, für das nächste Kapitel musst du dir was Stärkeres einschenken - es wird jetzt kriminilogisch.
teuflisch wein

Dank einiger Resturlaubstage jetzt schon ...

TEIL 6 Ein unheimliches Dorf und der Felgenriss: Über das Vall d’Aneu und Vall d’Aran ins Luchon

Die Geschichte von Tor

Das auf 1790 m Meereshöhe gelegene Dorf mit 13 Häusern, einer Kirche und Pfarrhaus lebt heute noch mit einer offenen Kriminalgeschichte. Im Jahre 1995 wurde einer der beiden Platzhirsche – namentlich Sansa – ermordet. Der Mörder konnte bis heute nicht überführt werden. Verdächtige gibt es genügend, etwa eine Gruppe von Hippies, die zeitweise in Diensten des Hofherren lebten, oder Sansas Gegenspieler Palanca im Kampf um das Eigentumsrecht des Berges an dem Ort, oder ein obskures Schmuggelpaar oder oder… Damit ist die blutige Geschichte Tors noch nicht zu Ende erzählt, denn bereits 1980 kamen bei einer Schießerei zwischen Leibwächtern zwei von Palancas Leuten ums Leben. Beim Kampf zwischen Maquisarden und Guardia Civil brannten1944 vier Häuser ab und führte zur Flucht der meisten Familien des Dorfes. Auf mysteriöse Weise ereigneten sich die blutigen Vorfälle alle immer im Juli. Nun war ich ja auch im Juli dort… teuflisch

Der Jounalist Carles Porta hat für das katalanische Fernsehen eine Reportage über diesen Mordfall gemacht. Die wurde mehr zu einer einfühlsamen Studie über Menschen mit verschlossenen Charakteren, die in einer rauen, ziemlich unberührten Bergwelt leben. Nicht zufrieden mit dem Extrakt, den eine Fernsehreportage zulässt, vertiefte Porta seine Recherchen in einem Buch. Ich wusste zwar um die Geschichte und das Buch schon vor der Reise (steht bei quaeldich.de, ein klein wenig fehlerhaft zusammengefasst), habe die Lektüre aber erst im Nachhinein mir in diesem Spätsommer zu Gemüte geführt. Das Buch wirkte auf mich im ersten Moment in der Sprache etwas spröde, doch schätze ich es mittlerweile sehr, weil es ein Beispiel für sehr minuziöse Recherchearbeit ohne einen Anflug von Sensationsgeheiche ist.

Porta versucht sich den abweisenden Dorfbewohnern und den skurrilen Personen, die andernorts mit dem Fall beschäftigt sind, sehr geduldig zu nähern. Am Ende bleiben die Menschen ein Stück weit unnahbar – so wie das Dorf das Geheimnis weiter mit sich herum trägt. Dabei bleibt er immer auf der Ebene der vorhandenen Tatsachen, greift nie zu weit in verführerisch naheliegende Verdächtigungen und Vorverurteilungen. Es ist also auch ein Buch, die die Sorgfalt der journalistischen Arbeit hochhält – ein Buch, das zeigt, wieviel Geduld und Zeit ein gute Arbeit in den Medien braucht, ohne ein „echtes“ Ergebnis – etwas, was im heutigen Fernsehen kaum noch möglich scheint, schaut man mal auf den mittlerweile in alle journalistischen Genres eindringenden Quotenhype – auch in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Die stigmatisierenden Pauschalierungen von Radfahrern als Verkehrsrüpel in einigen Medienbeiträgen der letzten Zeit sind nur Beleg für diese unreflektierte Art des modernen Fastfood-Journalismus. böse

Die Hauptursachen für die Probleme in dem Dorf liegen einerseits in dem Schmuggel, der über die bestehende Piste von/nach Andorra blüht und an dem sich offenbar auch einige Personen in der Justiz und bei der Polizei ein einträgliches, korruptes Nebengeschäft erlauben. Schon der Bau dieser Piste (von Sansa 1967 veranlasst) führte zu Streit im Dorf – und die meisten sagen noch heute, dass das der Beginn des Unfriedens gewesen wäre. So gesehen nimmt es nicht Wunder, dass der Ausbau zu einer durchgehend asphaltierten Straße nach Andorra auch heute noch blockiert wird. Erst 2008 wurde ein erneuter Versuch von Bauarbeiten blockiert. Palanca soll ein totes Pferd vor die Baumaschinen gelegt und damit Ängste wiederbelebt haben, die das Projekt der Asphaltstraße auf ungewisse Zeit verschoben hat.

Der zweite Hauptgrund für die Streitigkeiten liegt in den Eigentumsrechten des Berges. Dieses wurde zeitweilig allen Bürgern des Dorfes zugesprochen, aber auch immer wieder von Einzelnen beansprucht. Kurz vor Sansas Tod hatte dieser das Alleineigentumsrecht erwirkt. Mittlerweile hat ein Gericht dies Urteil wieder rückgängig gemacht. Ungeachtet dessen nahmen sich aber auch die Platzhirsche des Dorfes exklusive Nutzungsrechte heraus, die juristisch nicht gegeben waren. Diese Machtspiel äußerte sich häufig in Blockaden der Piste (Räumgeräte lahm gelegt, Baumstämme quergelegt). Eine Folge des Streites sind auch die beiden Pisten, die ich bei der Verzweigung gesehen habe. Der eine Weg ist „Palancas Weg“ (auch mein Weg gewesen) und der andere „Sansas Weg“.

Die Eigentumsrechte sind aber kein Selbstzweck, sondern wiederum Hintergrund für die Nutzungsrechte in der Zukunft. Und da sind in der Region, wie bereits auf andorranischer Seite des Port de Cabús kräftig gebaut, Skianlagen geplant. Die Spieler im Hintergrund sind weniger echte Andorraner, sondern mehr Spanier und Engländer, die in Andorra leben – also eine durchaus internationale Verflechtung, bei der Natur- und Heimatschutz nicht gerade die größte Rolle spielt. Man könnte geradezu das Verschrobene und Störrische der Bewohner Tors belobigen, wenn es dem weiteren kommerziellen Ausverkauf in diesem Teil der Pyrenäen Einhalt gebietet. Anderseits würde ich als Radler ja eine durchgehende Straße sehr wohl begrüßen.

Wer mehr lesen möchte: Carles Porta (vollst.: Carles Porta i Gaset) „Tor. Das Verfluchte Dorf“, Berliner Taschenbuch Verlag, ISBN 978-3-8333-0574-0 (9,90 €, ggf. nicht mehr lieferbar, dann gebraucht über Internet versuchen).

Mo 4.7. Tor - Alins - Llavorsi - Esterri d'Aneu - Alòs d'Isil - Puerto de Beret (1860m) - Baqueira – Salardú
100 km | 12,1 km/h | 8:10 h | 1.215 Hm
W: morgens & abends sonnig, sonst bewölkt, mehrfach leichter Regen, abends kalt
E: Kartoffelauflauf, Rw, gebr. Apfel, Cafe 18,30 €
Ü: H Rifugio C.E.C. 15 € (ähnlich JH, inkl. Cafe)

Hätte ich das Buch vorher gelesen, hätte ich wohl bei Sisquetas Haus geklingelt, denn es heißt da, dass sie jedem ein gutes Mahl bereitet, der bei ihr klingelt. Einem nass tropfenden Radler, der sich im Juli in dunkler Nacht in diesen Ort wagt, hätte sie es wohl erst recht nicht versagt – vielleicht auch ein Bett angeboten. Doch der Morgen lässt hoffen, denn nach dem Abdampfen der Regenfeuchte glitzert und leuchtet der nunmehr asphaltierte Teil nach Alins in vielen Farben. Die Schlucht ist allerdings sehr eng und deswegen auch noch teils lange schattig. Müsste ich den Port de Cabús zwischen Erts und Tor bewerten, so fiele das Urteil nicht so umwerfend aus. Es ist überwiegend grasgrüne, typische offen Pyrenäenbergwelt, aber eher blumenarm – keine felsigen Highlights oder Wasserfälle. Ganz anders dieser untere Teil nach Alins mit kleinem Zwischenanstieg nach einer Brücke – es ist eine berauschend abwechslungsreiche Fahrt durch hautnah voll sprühende Natur – purer Genuss!

Bescheidener ist das Vall Ferrera ab Alins, kleines Dorf mit grundlegenden touristischen Einrichtungen mit 2 (?) Hotels und einem Camping, allerdings für Selbstversorger nur dürftiges Angebot. Die Strecke zwische Llavorsi und Esterri d’Aneu überschneidet sich mit meiner 2004er-Tour und ist unter Reiseradlern als Teil der Route über den recht beliebten Port de la Bonaigua ebenso vertraut wie Pyrenäen-Wanderern, die hier über Espot eine der bekanntesten Wanderstützpunkte in die Pyrenäen finden mit dem Nationalpark Aigüestortes.

Eine recht selten vermerkte Alternative zum Bonaigua bietet der Puerto de Beret, sofern man mit einer weitgehend gut fahrbaren Piste auch ohne Asphalt auskommt. Diese Route ist keine typische Passroute. Es ist eine sehr langer Weg um ein Bergmassiv herum, davon ist ein Gutteil ziemlich flach. Noch über Alós d’Isil hinaus reicht der Aspahlt, immer auf Höhe des Bergflusses. Bei einem Parkplatz mit (geschlossener) Hütte und einem Wasserfall endet der Asphalt und die allgemeine Verkehrserlaubnis. Mit Fahrrad darf man aber weiter. Auch nun dauert es noch eine Weile bis man zum ersten steilen Anstieg gelangt. Kurz vor dem Anstieg findet sich auch wieder eine Mahntafel für die Flüchtenden der Resistance aus Spanien wie Frankreich. Mit einem steilen Anstieg ist aber dieser Pass nicht abgeschlossen. Es folgt ein unerwartetes, extrem kräftezehrendes wie langwieriges Auf und Ab, ohne dass man eine Vorstellung hat, wann der Pass erreicht ist. So von mir deutlich in der Länge unterschätzt, wird es schon bei der Auffahrt dunkel. Die Passhöhe kann ich nur erahnen, weil es eine vollkommen offene Fläche mit Skiareal ist und der Hochpunkt auf der nunmehr wieder asphaltierten Straße liegt. Unmerklich neigt sich die Straße nach unten, bis sie dann alsbald flott in Kehren zu Tal stürzt. Finger fast tot, Nacken wie ein Eisblock. traurig

Di 5.7. Salardú - Arties - Vielha - Bossòst - Melles - Col d'Artigascou (1351m) - Ger de Boutx – Col de la Clin (1245m) - Col de Menté (1349m) - St-Beat
80 km | 12,5 km/h | 6:18 h | 1.425 Hm
W: sonnig, aber nicht so heiß
E: Rw, Entenfilet, Salat, Käseomelett, Crêpes, Cafe 22 €
Ü: C Municipal 0 €

Gab es am Vortag nur eine kurze Sonnenphase mit Dunst, so herrscht heute Kaiserwetter. Damit entfaltet das Vall d’Aran seine ganze Schönheit samt den schneebedeckten Berge am Horizont. Im Vall d’Aran finden sich malerische Orte mit regionaler Bauweise und die Küche genießt eine guten Ruf. Der Touristische Andrang ist daher auch recht groß, zumal auch Aktivurlauber hier gerne ihre Zelte aufstellen (Wandern, Mountainbiken, Rafting, Paragliding usw.).

Noch kommerziell umkämpft ist das grenznahe Städtchen Bossòst auf spanischer Seite, mit dem Abzweig zum Col d’Artigascou taucht man aber in idyllische Abgeschiedenheit ein. Bereits die ersten Kilometer nach Melles sind harte Pedalarbeit. „Wäre ein wunderbarer Ort, um einen Roman zu schreiben“, denke ich. Sagenhaftes Panorama, ein paar Hühner, ein plätschernder Brunnen, ein paar schmucke Häuschen, ein Restaurant, Gîte und Hotel, Blumen, auch ein botanischer Garten und danach wieder Natur pur. Es beginnt eine Fahrt durch ein Meer aus grünem Farn. Immer wieder Bergpanorama, weiße Gipfel irgendwo fern. Der heftige Anstieg geht auch im oberen Teil weiter, wo die Asphaltdecke sehr brüchig und lückenhaft wird. Für Rennradler schon etwas kritisch. Nach der Passhöhe (Farne, Farne) folgt alsbald eine Verzweigung. Linke Hand geht es etwas bergauf, die Piste scheint akzeptabel – sie führt direkt als Höhenstraße zum Col de Menté. Rechte Hand hinunter, zunächst ähnlich. Dann aber taucht man in dunklen Nadelwald, irgendwie Schwarzwald, und die Piste (route forestière) entwickelt sich äußerst miserabel – entgegen der Kartenmarkierung nicht asphaltiert! Irgendwo gibt es dann erste Blicke in ein tatsächlich auch durch die Häuser anmutendes Schwarzwaldtal und die Straße hat endlich wieder ersehnten Asphalt.

Der mit aalglatten, mustergültigen Kehren ausstaffierte Col de Menté (Restaurant auf Passhöhe) wäre kaum der Erwähnung wert, wenn mich dort nicht auf der Abfahrt ein ungutes Gefühl beschleicht. Ich verspüre beim Bremsen ein deutliches Ruckeln – das kann nur die Warnstufe der Hinterradfelge sein. Der eingangs beschriebene Defekt wird dann noch den folgenden Tag prägen und zu einem Umweg führen, den ich durch weitere Streckenstreichungen wieder kompensieren muss.

Mi 6.7. St-Beat - Marignac - Bagnères-de-Luchon - Cascade Montauban-de-Luchon - Cierp-Gaud - Siradan - Mauléon-Barousse - Refuge de Saubette
69 km | 11,7 km/h | 5:49 h | 965 Hm
W: morgens sonnig, danach bewölkt, Berg in Wolke, leichter Regen, kühl
E: SV
Ü: C wild 0 €

Die ungeplante Route nach Bagnères-de-Luchon ist doch erfreulich schön zu fahren. Man hat eine teils dichte Talbewaldung, und später lange die hohen Berge im Süden von Luchon im Blick. Für die Einfahrt nach Luchon wechselt man am besten bei Salles-et-Pratvie auf die Nebenstraße, weil weniger Verkehr. Das Radoriginal Miguel liegt dann auch gleich noch vor der Einkaufszone in Einfahrtsbereich von Bagnères. Wenn schon mal dort ist, nehme ich bei der Ausfahrt auf der Ostseite den Wasserfall in Montauban-de-Luchon mit. Ist praktisch direkt anfahrbar per kurzer Stichstraße.

In Esténos befinde ich mich wieder auf meiner geplanten Strecke, aber es ist nicht nur spät geworden, sondern auch kalt und nieselig. Dazu quält mich noch Müdigkeit. Schlechte Voraussetzungen, um den nächsten Pass noch zu bezwingen. Zunächst kommt ein Zwischenhügel, der mir scheinbar die letzten Körner raubt (nicht so steil, aber meine Physis ist im Keller). Mauléon-Barousse ist ein romantisches Dorf mit einem Schlösschen aus dem 11. Jahrhundert. Irgendwie weigere ich mich, die Aussichten des Tages realistisch einzuschätzen. Der Berg liegt in dichten Wolken – das wird nass werden. Und dann: Wo übernachten? Die Vorräte würden immerhin reichen für ein Essen in der Wildnis. So quäle ich mich über den teils gut bewaldeten, recht anspruchsvollen Aufstieg zum Col de Balès. Irgendwann meine ich, ich müsste jetzt vom Rad absteigen und das Zelt gleich neben die Straße im Regen aufstellen. Oder mich hinlegen und sterben. traurig

Doch manchmal kommt es unerwartet. Ich sehe nach der nächsten Kehre durch die Wolke hindurch eine unbewirtete Wanderhütte, großer Tisch, ein paar Stühle, Schlafebene auch im oberen Gebälk. Eine etwas seltsame Außentoilette ohne Wasser, die man nur sehr umständlich erreicht. Das Fahrrad muss ich ohne Taschen über eine Absperrung heben. Nicht sehr einladend, aber gut genug, um das Essen aufzutischen. Den Schlafsack lege ich mit Unterlage auf den Boden. Es ist kalt und ungemütlich, kein Licht außer Stirnlampe, kein Regung von Leben, nur Stille, notdürftig satt, aber kein Wein traurig – und doch: immerhin trocken. Also doch glücklich, ich werde bescheiden. schmunzel

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Fortsetzung folgt