Re: Pyrénées Cathares-Catalán

von: veloträumer

Re: Pyrénées Cathares-Catalán - 13.12.11 19:12

Es geht weiter mit Sommerlichem in der Adventszeit...

TEIL 5 Riesencroissants, Modernisme, Felsenwunder und Mountain Banking: Von der Serra del Cadí-Moixeró nach Andorra

Im Folgenden handelt es sich eigentlich um zwei unterschiedliche Landschaftstypen, die sich durch die Talenge auf dem Weg nach Andorra sogar gut abgrenzen lassen. Aus pragmatischen Gründen fasse ich aber beide Teile zu einem Kapitel zusammen. Die Serra del Cadí-Moixeró ist von Felsschichten geprägt, die zu Bergen empor gedrückt wurden. Ein bedeutender Teil besteht dabei aus rotem Gestein. Der markanteste Berg ist der Pedraforca mit seinem Doppelgipfel, der gewissermaßen mitten in dem Naturpark steht, der wesentliche Teile des Gebirges umfasst. Senkrecht aufsteigende Felswände sind ebenfalls typisch. Es gibt zahlreiche Pässe, die relativ einfach zu fahren sind, aber auch ein paar sehr schwierige Nischenpässe – u.a. weil die Spanier zunehmend entlegene Pisten zu Straßen ausbauen, um sie für neue Skigebiete zu erschließen. Dazu kommen noch zahlreiche Pisten, deren Zustand wohl auch teils reiseradgeeignet sind – ich konnte jedoch keine solcher Pisten richtig testen. Trotz eines zaghaften Sommertourismus in der Region ist der Verkehr äußerst gering.

Andorra ist bekannt für sehr schmale, tief, eingeschnittene Täler, an deren Hängen bis in geradezu „artistische“ Steillagen gebaut wird. Trotzdem sind aufregende Felslandschaften selten und die Landschaft weit weniger spektakulär, die Vegetation bescheidener als in den Nachbarregionen. Für den durchreisenden Radler ist Andorra oft nur ein notwendiges Übel, ein kommerzielles Verkehrsmoloch mitten in den Bergen. Dass dieses exotisch anmutende Steuerparadies und Bankenrefugium durchaus auch seine schönen Seiten im Landesinnern hat, soll meine Route belegen.

Fr 1.7. Toses - Collada de Toses (1800m) - (La Molina) - Coll de la Creueta (1900m) - Castellar de N'Hug - La Pobla de Lillet - La Consolacio - Figols - Coll de Fumanya (1647m) - Coll de Pradell (1728m) - Coll Ginebrer (1740m) - Coll de la Trapa (1321m) - Saldes - Camping Repos del Pedraforca
91 km | 11,6 km/h | 7:43 h | 1.980 Hm
W: sonnig, eher heiß, abends kühl
B: Fonts des Llobregat 0 €, Jardins Artigas 4 €
E: Kart.kroketten m. Sauce, Rw, Hähnchenbrust, PF, Salat, Eis, Cafe 17,30 €
Ü: C Repos del P. 19,90 €

Es sei darauf hingewiesen, dass der Collada de Toses eine gestreckte Passhöhe ist, die man einerseits über die gleichmäßig leicht ansteigende, am Hang verlaufende N 152 erreichen kann, aber auch über die Regionalstraße GIV-4016, die zunächst unterhalb in der Talsohle neben der Eisenbahn verläuft und ab Toses (Bahn durch Tunnel) stärker ansteigt und dabei eine halboffene Berglandschaft empor führt, um oben auf die Querverbindung von der N 152 nach La Molina zu treffen. Hier steht auch ein Passschild, vermutlich steht wenig weiter an der N 152 auch eines.

Ohne Höhenmeterverlust gelangt man über eine Höhenstraße zum Abzweig zum Coll de la Creueta in Richtung Süden, La Molina bleibt dabei zur Rechten mit seiner wohlgeordneten Chalet-Bauweise im Zeichen eines Skiortes unten im Tal liegen. Der Creueta-Pass ist ein sehr mäßig ansteigender Pass, an dem man sich durch die offenen, grünen Grasteppiche der Bergwelt panoramareich bewegt. Anfangs stören noch ein paar Liftanlagen, die aber schnell aus dem Blickfeld verschwinden. Bei den Liftanlagen erhalte ich in einem Bistro Kaffee und Sandwich, anbei gibt es geräumige Toilettenanlagen. Das ist auf meiner Route auf ca. 50 Kilometer die einzige Verpflegungsinsel!

Noch bei der Auffahrt sehe ich meine ersten Pyrenäen-Murmeltiere. In den Alpen sind sie auf meinen Touren in den Höhenlagen immer präsent gewesen – auf meinen bisherigen Pyrenäen-Touren hingegen blieben sie immer versteckt, um nicht zu sagen, dass ich sie nicht mal gehört habe. Das ist doch etwas verwunderlich, gelten die Pyrenäen doch als wilder und unberührter als die Alpen. Sind Murmeltiere in den Pyrenäen seltener als in den Alpen? – Oder liegt es ggf. daran, dass es weit weniger Pässe gibt, die in Murmeltierhöhe vorstoßen?

Mit der Passhöhe am Creueta beginnt der Naturpark Cadí-Moixeró (Symbol: Schwarzspecht, leider nie gesehen). Die Landschaft ist nun felsiger wie schon oben beschrieben, erste Eindrücke nach dem Pass erinnern sogar an das Campo Imperatore im Apennin. Schon weithin sichtbar gelangt man über weitläufige Kehren nach Castellar N’Hug. Das schmucke Örtchen fällt mit seinen kulinarischen Spezialitäten auf. Neben Wurst, Honig, Marmelade, Käse u.a. gibt es sog. Croissants gigantes, von denen eines einer ganzen Familien ausreichend Frühstück liefern würde. Sie sollen bis ca. 1 kg wiegen – also nichts für den Reiseproviant. grins Etwas abseits des Ortes steht eine riesiges Monument moderner Kunst – ein stilisierter katalanischer Schäferhund. Er spielt auf den alljährlich Ende Juli dort stattfindenden Schäferhundewettbewerb an.

Etwas weiter unterhalb von Castellar N’Hug bei einem Hotel befinden sich die Quellen des Llobregat, die sich über mächtige Wasserfälle ins Tal ergießen. Dazu muss man einen kurzen Stichweg einfahren, der bis zu den Wasserfällen führt, die man per kleinem Fußweg bewandern kann. Noch im Gemeindebereich von Castellar, aber bereits näher am nächsten Ort, liegt rechter Hand ein riesiger, scheinbar verfallener Bau am Berg. Es ist das ehemalige Zementwerk Asland, ein Industriebauwerk des Modernisme und heute Zementmuseum. Außer über den oben gelegenen Abzweig kann man auch von La Pobla de Lillet mit einem Touristenbähnchen zu ausgewählten Zeiten dort hingelangen. Dieses Bähnchen fährt auch am Jardins Artigas vorbei, ein sehenswerter Fantasiegarten des Modernisme, von Antoni Gaudí und seinen Schülern gebaut. Jüngst für den Tourismus wieder instand gesetzt, bietet dieser Platz eine anregenden Umgebung am Llobregat und zwischen Bergen. Man kann auch auf dem asphaltierten Weg entlang der Schienen des Touristenbähnchens bis zum Garten mit dem Rad fahren (aber nicht weiter zum Zementmuseum). Der Garten und das Bähnlein war bereits Gegenstand des Bilderrätsels 225.

Wer zum Pedraforca auf eher leichte Weise gelangen möchte, muss kurz unterhalb von Guardiola de Berguedà von der C 16 nach Saldes abzweigen. Meine Route zweigt weiter unten (etwa 1 km nach einer alten Bogenbrücke) , aber noch vor dem Stausee Baells in La Consolacio nach Figols ab. Der Berg ist hier von Bauten der ehemaligen Kohleminen geprägt. Wie auch weiter oben zu beobachten, bemüht man sich um eine Restrukturierung, etwa für touristische Zwecke (Bergbaumuseum in Cercs). Alte Bergarbeiterhäuschen werden renoviert und auch neue Bauplätze sind zu sehen. Die Straße zum Fumanya-Pass ist heftig steil, verläuft weitgehend offen. Besonders im ersten Teil imponiert der Mehrseenblick auf den Stausee des Llobregat-Flusses nach Süden hin. An der Passhöhe entsteht offenbar ein neues paläontologisches Besucherzentrum, wie eine Bautafel und ein übergroßes Dinosauriermodell aus Roststahl verraten. Hier finden sich an offen gelegten Felshängen zahlreiche Relikte aus den Erdfrühzeiten. Auch wenig weiter bereits am Coll de Pradell (nach kurzer Zwischenabfahrt) findet sich ein See, der mitten in einer paläontologischen Fundgrube liegt.

Man sollte am Fumanya-Pass noch nicht alle Körner verbraucht haben, denn am Pradell-Pass warten noch schlappe 20 % Steigung. Mitten in dieser Steigung befindet sich ein Bahnübergang (!) lach wirr - es handelt sich um die Schienen zu einem Kohlebähnchen, das auf der einen Seite quasi in der Luft endet, auf der anderen irgendwo wohl in den Berg führt. Es ist offensichtlich Bestandteil des vorgenannten Bergbaumuseums. Die heftigen Hauptsteigungen muss man in zwei Stufen bewältigen. Oben angekommen, wartet ein Passschild, dass exakt die Farbkomposition meines Fahrrades und der Radtaschen wiedergibt! – Das ist offensichtlich der Pass, der extra für mich gebaut wurde. verwirrtgrins

Landschaftlich beginnt jedoch erst mit der Abfahrt der Höhepunkt. Zunächst durchfährt man eine Art Feenwald mit herumgewürfelten Steinblöcken und zahlreichen Picknickplätzen, dann öffnet sich der Blick auf eine riesige Arena aus Gestein in verschiedenen Farben und Formen – da helle Gesteinsblöcke, dort eine pastellrote Wand, wilde Geröllhänge dazwischen, unwirklich gekrümmte Urbäume und dann der im Abenddunst leicht vernebelte Pedraforca als Kulisse nach Norden. Die gesamte irrwitzige Modellierung der Gesteinslandschaft sieht man dann am besten vom Col de la Trapa, der nur kurz oberhalb der Einmündung von der Pradell-Straße liegt.

Zum Zwecke des Campings und um den Pedraforca am nächsten Tag in voller Pracht zu sehen, muss ich über den Trapa-Pass ein kleines Stück zurück nach Osten (Saldes) radeln, denn Gósol liegt jetzt zu weit weg. Allerdings entpuppt sich der Camping in Saldes (unten) als „Privatcamping“. Genau verstehe ich das nicht, denn laut Reiseführer und Wanderkarte soll auch hier ein offizieller Camping sein. Ein paar der „Privatgäste“ sagt mir, ich müsse weiter fahren – eben zum Camping Repos del Pedraforca. Dieser Platz liegt knapp 2 km jenseits von Saldes (über Brücke und östlich der Tankstelle) mitten auf der Strecke – ohne Ort. Allerdings ist der Camping extrem kommerziell, sehr dicht belegt, hat aber zu meinem Vorteil ein noch geöffnetes Restaurant. Meinen kritischen Kommentar zum Platz habe ich ja bereits eingangs dieses Berichtes abgegeben.

Sa 2.7. Camping Repos del Pedraforca - Saldes - Coll de la Trapa (1321m) - Col del Cap de la Creu (~1420m) - Gósol - Col de Josa (1620m) - Josa - Tuixen - Cornellana - Coll de Bancs (1404m) - Adraén - Coll de Creus (1520m) - Coll de Laguén (~1500m) - La Collada (1125m?) - La Seu d'Urgell - Andorra La Vella – Anyos
103 km | 12,8 km/h | 7:56 h | 1.675 Hm
W: sonnig, anfangs sehr kühl, danach heiß
E: Champignons, Entrecôte, PF, Crème Catalan, Rw 35,60 €
Ü: C wild 0 €

Vieler Worte bedarf es für die Strecke mitten durch die Cadí-Landschaft bis La Seu nicht, denn die Bilder sprechen für sich – zumal das Panorama-Wetter heute mitspielt. Die Fahrt sollte man nicht unterschätzen, denn es gibt zahlreiche Anstiege – keiner von denen ist wirklich schwer, aber wegen der offenen Landschaft muss man unter der Mittagshitze schon mal etwas ächzen. Die längste Zwischenabfahrt hat man vom Col de Josa an Josa vorbei nach Tuixen. Tuixen und Josa liegen auf kleinen Hügeln, die man separat erklettern müsste, was ich aber nicht gemacht habe. Gósol hingegen liegt direkt an der Strecke und ist wohl auch der logistisch bedeutendste Ort, was aber noch weit jenseits von irgendeiner Art von Trubel ist. Es gibt letztlich nur kleine Dörfer hier. 1906 verbrachte Picasso gemeinsam mit dem Bildhauer Enric Casanovas in Gósol einen Sommer lang und schuf dabei einige bedeutende Kunstwerke, weil ihn die Landschaft sehr inspirierte. In einem kleinen Museum gibt es zwar u.a. Reproduktionen von Picasso-Werken zu sehen, aber die Öffnungszeiten sind für Durchreisende ziemlich exotisch (nur Hochsommer + Wochenende + Mittagszeit) – hieß für mich falsche Uhrzeit.

An dieser Stelle sei noch mal an die Grundidee meiner Tour erinnert: Auch hier bewege ich mich auf den Spuren der Katharer. Auf einem weithin sichtbaren Hügel mit einer teils noch erhaltenen Burg befinden sich die Überreste des mittelalterlichen Gósol (11. Jh.). Die Katharer fanden hier bei den Baronen von Pinós Unterschlupf auf ihrer Flucht aus dem französischen Ariège. Es gibt sogar explizit einen Fernwanderwanderweg (GR-107), der diese Fluchtroute nachgezeichnet – von Foix aus zum Heiligtum Queralt bei Berga. Teile davon entsprechen den heutigen Straßenwegen, andere Abschnitte sind nur per Fuß, Pferd oder ggf. Mountainbike passierbar. Die Route führt quer durch L’Alt Urgell und den Naturpark Cadí-Moixeró. Auch in Saldes findet sich die Ruine einer solchen Fluchtburg. Konkret orientiert habe ich mich an dieser Fernwander- und Pilgerroute nicht, aber logischerweise gibt es zahlreiche Überschneidungen.

Mit La Seu d’Urgell an den Ufern der Segre erreiche ich mir bereits bekanntes Gebiet, habe ich doch 2004 nach der Durchfahrt Andorras (über den Port d’Envalira) im nahe gelegenen Montferrer campiert und mir in La Seu ein gutes Abendessen schmecken lassen. Das empfehlenswerte Restaurant Cal Pacho gibt es immer noch – diesmal mache ich aber nur ein Erinnerungsfoto von außen. In La Seu lässt sich wunderbar in den von Arkaden gesäumten Gassen bummeln oder auf Plätzen unter Platanen nachdenken über Dinge wie: Warum Andorra ein Fürstentum ist, aber keinen eigenen Adel in die Staatsämter schickt – der Bischof von La Seu gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten Staatsoberhaupt von Andorra ist, und dabei das religiöse Oberhaupt aus Spanien ebenso wie der demokratisch legitimierte Vertreter aus Frankreich nicht von Adel sind, aber doch die monarchische Amtsbezeichnung Fürst von Andorra tragen dürfen – warum die geteilte französisch-spanische Herrschaft nur eine offizielle Amtssprache (Katalanisch) zulässt – warum man zwar mit Euro bezahlt, aber nicht zur EU gehört usw. verwirrt

Die folgende Strecke steht unter dem Motto „Augen zu und durch“. Kaum Steigung, enge Schlucht und dazwischen ab der Grenze ein Sammelsurium von riesigen, scheußlichen Einkaufstempeln, Tankstellen, Riesenplakate für Banken und Immobilien und dichter Autoverkehr. Jeder steuerersparte Euro wird in noch mehr Benzinduft für die Einkaufstour umgelegt – so könnte man das Bild etwas sarkastisch beschreiben. Nun, ich versuche in einem geräumigen, mit Nobelmarken nur so überquellenden Radladen eine neue Radbrille zu erwerben, weil der Bügel an der alten gebrochen war und die improvisierte Reparatur doch störanfällig ist. Ich finde nichts Passendes, aber beobachte, dass zahlreiche Markenprodukte doch deutlich günstiger als bei uns angeboten werden (geringe Mehrwertsteuer). Jedes Geschäft auf dieser Einfallstraße ist Gigantismus pur. Ich komme an einem Käseladen vorbei, mehr ein Einkaustempel dem Charakter einer exklusiven Hotelempfangshalle nachempfunden, unzählige Geschenkarrangements in Auslagekörben, zig nach Käsetypen sortierte Theken, soweit das Auge blickt mit nur einer Ware: Alles Käse! schmunzel Ich verzichte etwas wehmütig auf einen Einkauf, denn in meinen Taschen warten bereits ausreichend Vorräte und bald kommt der nächste Berg.

Glücklicherweise empfinde ich La Vella diesmal etwas entspannter als vormals, es ist allerdings bereits Feierabend, die zahllosen Restaurants füllen sich, das Flanierleben der Wochenendnacht beginnt und Baustellen gibt es diesmal auch keine zu beklagen. Es lohnt sich, ein paar Seitenblicke jenseits der Hauptstraße zu wagen. Gleich finden sich kaum besuchte Refugien. Selbst am Parlamentsgebäude verläuft sich kaum ein Tourist. Die Mixtur aus traditioneller Bauweise, moderner Zweckmäßigkeit, protziger Avantgarde und künstlerischen Miniaturen löst eine Kakophonie der Sinne aus. Ist das jetzt ein bunter Strauß der städtischer Ästhetik? Ist das Leben pur? Oder ist das flüchtiger Modehype, affektierte Trubelkultur, konsumsüchtige Dekadenz, Jetset-Life in einer Glasglocke? Und: Wie passt das in diese Bergwelt hinein? – Nun die Fragen bleiben offen – Faszination und Musegefühl kämpft in mir mit der Befremdlichkeit des Ortes.

Aber: Wohin in der Nacht? Ich beschließe die Stadt zu verlassen und hoffe auf ein auswärtiges Restaurant abseits des Trubels. Doch die Ausfahrt ist heftig steil – bereits im Stadtgebiet. Ohne Tunnel geht es offenbar auch nicht, wenngleich ich weiter oben so etwas wie einen Rad-/Fußweg glaube zu sehen. Doch Umwege bringen mich jetzt nicht mehr voran. Der Verkehr ist auch hier in die Sackgasse des Binnenlandes hinein dicht, die Schlucht aber sonst unbebaubar. Nach der Enge öffnet sich das Tal etwas, an den Hängen wachsen die Lichter der Häuser und Straßen steil in die Höhe. Die Verschnaufpause ist nur kurz und es steigt weiter steil an.

Das ersehnte Restaurant lässt erstaunlich lange auf sich warten. Erst nach einigen schweißtreibenden Kehren erreiche ich das auf dieser Passstrecke einzig verbleibende Restaurant (alternativ hätte ich meine Route verlassen müssen, um das geschäftigere La Massana zu erreichen). Immerhin gibt es hier eine angenehme Außenterrasse und selbst nach Mitternacht feiert das jugendliche Volk am Nachbartisch noch weiter, obwohl mir der Wirt schon übermüdet scheint. Zum Campen gibt es kaum eine schwierigere Gegend, denn alles ist bebaut und die Steillage des Hanges bemerkenswert. Am Ortsausgang gäbe es noch eine Art Hotel, aber das dürfte nicht billig sein. Dann finde ich doch noch einen Nobelplatz: direkt an der Kirche von Anyos, unter heiligem Schutz, mit Panoramablick, die Premium-Klasse sozusagen. schmunzel

So 3.7. Anyos - Collada de Beixalis (1795m) - Encamp - Canillo - Coll d'Ordino (1981m) - Ordino - La Massana - Pal - Coll la Botella (2069m) - Port de Cabús (2301m) – Tor
71 km | 8,9 km/h | 7:54 h | 2.020 Hm
W: teils sonnig, meist aber bewölkt, auch mehrfach Regen/Gewitter, nur mittags warm
E: SV
Ü: C wild 0 €

Der Beixalis-Pass gehört sicherlich noch zu den Geheimtipps im andorranischen Bergland. Die Westanfahrt ist voll asphaltiert, noch etwas über die Passhöhe hinaus, im Osten folgt ein Pistenabschnitt, der sowohl von der Vegetation als auch vom Panorama her attraktiver ist als die Westseite. Die Fahrbarkeit der Piste ist immerhin so brauchbar, dass ich mir auch eine Auffahrt mit Reiserad zutrauen würde. Nach stärkeren Regenfällen kann es aber zu ungünstigen Auswaschungen kommen, weil der Untergrund relativ „erdig“ ist. Leider kam ich auch etwas in Regen hinein, die aufkeimende Gewitterneigung verzog sich aber wieder.

Encamp ist anders als La Vella bereits recht beschaulich – zumindest abseits der Hauptverkehrsachse und am Sonntag. Viele Häuser sind im andorranischen Baustil gehalten. Ich suche ein paar Hintergrundinformationen im Tourismusbüro. Mit der Dame komme ich gut ins Gespräch, zunächst in Englisch – als sie erfährt, dass ich Deutscher bin, möchte sie lieber auf Deutsch sprechen. Es ist eines der interessantesten Gespräche auf der Reise. Wir reden über den Straßenanbindung Andorras. Andorra möchte zwei weitere Anbindungen über den Port de Cabús nach Spanien und über den Port de Rat nach Frankreich. Doch weder die Franzosen noch die Spanier haben ein zwingendes Interesse, zeigen sich auffällig reserviert. Dabei geht es auch um die mysteriösen Hintergründe im spanischen Grenzdorf Tor. Wir sprechen aber auch über die Arbeitslosigkeit der Jugend, über die Banken- und Immobilienkrise – und inwieweit sich das auf Andorra auswirkt. Trotz des immer noch augenfälligen Baubooms seien die Zeichen der Krise auch in Andorra deutlich spürbar, meint sie. Nach dem Gespräch ist sie dankbar für das Gespräch, da es mal nicht um rein touristisches Allerlei ging. Ich war auch froh, denn mittlerweile zeigte sich die Sonne – zumindest für eine Passauffahrt. schmunzel

Mein persönlicher Favorit in Sachen Andorra-Pässe ist der Coll d’Ordino geworden. Anders als die anderen gefahrenen Pässe (Envalira, Beixalis, Cabús) bietet der Ordino-Pass eine vielfältige Bergblumenwelt. Dabei werden die beeindruckenden, offenen Kehren auf der Ostseite von traumhaften Panoramablicken begleitet. Auf der Passhöhe liegt eine Wiese mit archaischen Bäumen. Weil die Westseite wesentlich spröder ist (bewaldet, wenig Panorama, blumenarm), sei unbedingt die Ost-West-Querung empfohlen. Mir kommen zahlreiche Rennradler entgegen – Grund: Eine Rennradler-RTF, ein echtes Rennen ist es wohl nicht. Auf der Vorhöhe zum Pass steht ein Verpflegungsauto – man fordert mich gleich auf, zuzugreifen, soviel Ballast auf dem Rad, das sorgt doch für Stirnrunzeln bei der Luff-Fraktion.

Unter den Orten macht insbesondere Ordino einen sympathischen Eindruck, La Massana ist schon ein kleiner Vorhof von La Vella. Die andern Orte sind nur nur kleine Dörfer, bei Xixerella gibt es einen schönen Camping mit einladendem Restaurant, der kleine Laden hat aber keine wirkliche Auswahl. Hier wollte ich eigentlich übernachten, aber mein Plan ist ja mal wieder weit aus dem Takt und ich hinke hinterher. Tor zu erreichen, das schien machbar. Doch aus dunkelsten Wolken fallen Regenschauern, zweimal stehe ich unter, Blitze in der Ferne lassen nichts Gutes ahnen. Ich riskiere aber den Anstieg zum Port de Cabús. Das Wetter hält dann erstaunlicherweise bei nur kleineren Regenphasen doch für die gesamte Auffahrt. Nur ist eine Übernachtung auf der Passhöhe so gut wie ausgeschlossen. Stürmische Böen bei sehr kühler Temperatur, ohne jeden Schutz in einer völlig offen Berghöhe und mit der Gefahr eines schweren Gewitter, das ist mir zu ungemütlich und riskant.

Abwärts bedeutet Dämmerungs- und Dunkelfahrt, denn nun wartet ja noch Schotter. Archaische Baumruinen prägen die Abfahrt. Der Pistenzustand ist insgesamt recht passabel, manchmal blockieren Pferde oder Kühe den Weg, bei Regen kann die Piste stark auswaschen und wohl auch teils verschlammen. Irgendwo an einer flacheren Stelle kommt eine Verzweigung, beide Pisten schauen ähnlich gut oder schlecht aus. Die Wanderkarte gibt keinen Aufschluss über eine Priorität, auf der Straßenkarte kann man bei genauem Hinsehen erkennen, dass nur die linke Variante eingezeichnet ist. Ich entscheide mich also für die linke Variante. Mittlerweile regnet es sich ein, noch dazu soll ich im Dunkeln ein Flussbett durchqueren. Flach genug, um ggf. durchzuradeln, werde ich übermütig. Prompt muss ich mich doch zwischendrin mit dem Fuß abstützen – nasser Schuh, puh – wie soll der bis morgen trocknen?!

Trostlos verlassen wirkt Tor, die meisten Häuser sehen verfallen aus, auch die Kirche zeigt Zeichen von Baufälligkeit. Lediglich ein Haus macht einen bewohnten Eindruck – das könnte auch Bewirtung haben, doch so dunkel jetzt, da vermeide ich doch zu klingeln. Ich esse schließlich meine Vorräte unter einem leicht tropfenden, baufälligen Dach an der Kirche, schiebe meinen Schlafsack in die Ecke, um ohne Zeltaufbau endlich Schlaf zu finden. Okay, das Tropfen geht weiter, auch nicht immer neben den Schlafsack und ruhig Schlafen kann man an einem solchen Ort wohl kaum. Warum genau? – Das erzähle ich im nächsten Kapitel.

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Fortsetzung folgt