Re: Ach so, nur Schweiz

von: kettenraucher

Re: Ach so, nur Schweiz - 08.12.11 16:09

Der Lauf der Dinge Teil 2 oder die Fortsetzung des Fadens vom Vorabend.

Die gestöckelte Dame auf der frivolen Party war jung, blond und sehr hübsch, jedenfalls im Vergleich zu mir. Sie gluckert und zirpt so vor sich hin und sagt, sie wolle ihre von Holz- und Buschwerk umzingelte Heimat alsbald für immer verlassen. Aha. Sie denke hierbei vor allem an Köln. Jene Stadt sei ja so toll, man könne es gar nicht beschreiben. Aha. Sie erzählt auch was von Berlin, auch dort sei es reizend, aber etwas dünkelhaft und aufgeblasen. So, so. Ich bezeuge meine persönliche Sympathie für ihre Pläne, möchte ihr aber nicht verschweigen, dass mir Leute bekannt sind, die träumen schon seit dreißig Jahren von einer Flucht nach Mainz, sie wohnhaften aber nach wie vor in Worms.

Nun gut, die vorzeitige Andeutung einer wilden Nacht war übertrieben. Als Hochleistungssportler bin ich auf erholsamen Schlaf angewiesen.

Am Morgen räume ich schleunigst die Zelle und suche das Weite. Mein vom Kerker befreites Velo stimmt der nächtlichen Inspiration, nach Köln zu fahren bedenkenlos zu, denn diese unerwartete Routenkonzeption verspricht uns eine beschwingt hügelige Reise durch das pfälzische Bergland, den Hunsrück und die Eifel. Ich finde flugs das Tal des Glan, begleite ihn einen Steinwurf weit nach Norden, erklimme nun frei Schnauze einige mehr oder minder passable Anstiege über zum Beispiel Haschbach, Remigiusberg, Kusel, Breitsesterhof, Thallichtenberg, Baumholder, Reichenbach, Nohen, Kronweiler, Schwollen, Leisel und erreiche alsbald die rauen Gipfel des Hunsrücker Waldes.

Und jetzt als Radfahrer mal was für unter uns:

Die Gegend zwischen der motortouristisch erschlossenen Pfalz und der nicht minder beliebten Mosel ist relativ abgelegen, verkehrsarm und sehr beschaulich, vor allem je weiter man sich vom Pfälzer Wald kommend in Richtung Hunsrück vorwagt. Als Mittelgebirgsliebhaber ist es eine Freude entlang der vielen kleinen, kurvenreichen und ruhigen Straßen von Hügel zu Hügel zu hüpfen. Lediglich einige Verbindungsstraßen entlang der Talzüge werden von unseren motorisierten Freunden für den Besuch der nahe gelegenen Verwandtschaft und das eilige Erledigen der Alltagsgeschäfte zweckentfremdet.

Andererseits ist die Versorgung mit Gasthöfen oder gar Lebensmittelgeschäften in diesem Gelände recht bitter. Wenn man sich nicht mit dem zufrieden geben mag, was die Gräser und Kräuter am Wegesrand an essbarem Zeugs so hergeben, sollte man als sensibles Gemüt sicherheitshalber für ein paar Tage Proviant mit sich führen. Sorry für diese mal wieder unvermeidbare Übertreibung, doch im Kern ist schon was dran. Ich möchte jedenfalls mal eine Lanze für diese spröde Landschaft brechen. Egal, ob als überschaubares Ausflugsgebiet für ein längeres Wochenende oder im Transit auf der Durchreise.

Wo war ich stehen geblieben? Ach ja: Ich finde die Landschaft herrlich und das Fahren sehr angenehm. Wolkig, rau und kühl, aber trocken. Die Beine sind stark und die Kette qualmt. Ich bin einsam, aber schnell unterwegs, die Dörfer kommen und gehen, so manch Weiler kommt und geht, die Hügel nehm ich selbstverständlich mal so nebenbei. Es lebe das Leben und die Welt ist schön. Mein Velo ist glücklich und ich bin es auch.

Dann summt mein transportabler Fernsprechapparat. Die Schönste und Liebste berichtet begeistert von ihrer spontanen Idee, dass wir uns zum Wochenende am Bodensee treffen sollten. Ihr neues Rad stehe früher als erwartet zur Abholung bereit und sie sei ganz aufgeregt und könne es kaum erwarten, ihr neues, kleines, schwarzes Fahrrad mit den neuen kleinen bunten Täschchen gemeinsam mit mir einzuweihen und gebührend zu feiern.

Ähem, Bodensee? Ja, das habe ich richtig verstanden. Aber ich bin doch gerade auf dem Weg nach Köln. Ich stehe kurz vor der Mosel! Wo ist das denn? Ich erkläre die geographischen Koordinaten, die sie sofort erfasst, verarbeitet und dann die einzig logische Schlussfolgerung verkündet: Dann musst Du jetzt einfach nur umdrehen und zurück fahren.

Ja, so ist sie, meine Frau, erstens schlau, zweitens zielstrebig und drittens mit der Fähigkeit gesegnet, in allen Lebenslagen eine intelligente und für alle Seiten zufrieden stellende Lösung zu finden. Einfach umdrehen. Hinschmeißen. Aufgeben. Abblasen. Ich suche vergeblich nach einem unwiderlegbaren Argument für einen alternativen Treffpunkt und sage: Schatz, das mit dem Bodensee ist eine wirklich prima Idee, dagegen lässt sich überhaupt nichts einwenden. Ach, ich liebe Dich. Ich Dich auch. Ach, ich freue mich ja so. Ja, ich mich auch.

So sind sie halt, die Frauen, und so muss man sie nehmen: Tapfer, unverzagt und heiter. In der Praxis bedeutet diese Lebensweisheit die Befolgung der historisch unglückseligen militärischen Anordnung des „Befehl ist Befehl“ in einer listig die freie Meinungsäußerung duldenden Variation.

Anstelle der berauschenden Abfahrt zur Mosel wählen mein freier Wille und ich einvernehmlich eine Straße grob retour zurück zur Nahe. Ein hungernder Mann und ein trauerndes Velo bewegen sich jetzt also im Kreis. Don Quichotte und seine Rosinante schleppen sich mühsam voran. Sie brechen zusammen im Zentrum der Stadt. Idar-Oberstein nennt sich der trostlose Ort.


Korrektur der Chefreaktion:

Zitat aus Teil 1: „… aber kurzfristig auf halbem Weg zwischen Hunsrück und Eifel umkehren musste, um das Allgäu anzusteuern …“

Im Übereifer hat der Chronist im ersten Teil etwas durcheinander gebracht: Kettenraucher steuert zunächst zurück zum Bodensee. Das Allgäu bildet erst später den Schlusspunkt der Rückfahrt aus der Schweiz. Wir bitten mal wieder um Ihr Verständnis.

Liebe Leute,

falls noch jemand zuhört, hätte ich noch was zu sagen. Es ist nicht ganz so einfach: Je mehr ich mich erinnere an den Verlauf dieser Tour - und das tue ich zwangsläufig beim Schreiben - desto mehr fällt mir ein, desto umfangreicher wird das Material und desto zahlreicher sind die Möglichkeiten der Ausarbeitung. Was ich hier versuche, mach ich zum ersten Mal und ich bin total baff, wie aufwändig es ist, einen gezogenen Faden nicht zu verlieren. Weil ich nicht so lange rummachen will, ist dieser Abschnitt jetzt wie er ist und ich kenne zwar den weiteren Verlauf der Route, kann aber noch nicht sagen, wie es weitergehen wird. Das ergibt sich erst beim Schreiben und das ist halt auch ein richtiges Abenteuer.

Viele Grüße.