Ach so, nur Schweiz

von: kettenraucher

Ach so, nur Schweiz - 05.12.11 18:21

Zunächst ein Management Summary:

Dieser Beitrag ist ein Experiment. Hiermit traut sich der Autor, den ersten Teil einer bescheidenen Radreise rund um den Kirchturm vorzulegen. Weitere werden folgen – jedenfalls dann, falls sich jemand dafür interessieren sollte. Der Text ist leider ohne Bilder, also eine Bleiwüste. Dies ist bedauerlich, aber nicht mehr zu ändern.

Jetzt beginnt der Text:

Wenn es sich nicht um meine ersten Versuche im Hochgebirge handeln würde, wäre es nicht weiter erwähnenswert, aber so habe ich eine Nachricht und kann sagen: Ich war im Sommer in der Schweiz. Und jetzt möchte ich hier auch erzählen, wie es dazu gekommen ist und was ich dort so gemacht habe.

Offen gestanden, mein ruhmloser Trip berührte nur ein paar belanglose Gegenden in den nördlichen und östlichen Kantonen und war nur selten lebensgefährlich, aber trotzdem schön.

Nun ja, neulich habe ich im Forum im Faden zum Gotthardtrip gleich mal an der Auffahrt nach Andermatt rumgemosert und einige intelligente Proteste ausgelöst. Seitdem halte ich eine tiefer gehende Reflexion meiner Reiseerlebnisse für wünschenswert.

Was ich für diesen Beitrag suche und bislang noch nicht gefunden habe ist eine überzeugende Überschrift. Das Unterfangen ist nicht ganz so einfach, weil die Schlagzeile mindestens folgende Information enthalten sollte: In Luzern hat man mich gewarnt, aber ich war dämlich überheblich. Gut, dass ich später königlichen Trost fand. Dann schenkt mit irgendwo im nirgendwo eine schöne Frau ein selbstgepflücktes VIER-blättriges Kleeblatt und wünscht mir gute Reise und ein langes Leben. Auch unabhängig von der schönen Frau war ich sehr von der Schweiz beeindruckt. Zum Beispiel von dem vielen Regen und den ungewöhnlich athletischen und außerordentlich vitalen Nutztieren – das kennt man so in Deutschland definitiv nicht.

Ich bin also begeistert und werde die Schweiz alsbald wieder besuchen. Vielleicht wähle ich dann Chur als Basislager. Wir werden sehen.

Was mir in der Schweiz auch imponiert hat, ist, dass viele Tourenfahrer mit praktischen Gummistiefeln und demzufolge notgedrungen ohne Klickpedale unterwegs sind. Viele tragen dau ergänzend einen sehr, sehr langen Regenmantel mit tief ins Gesicht reichender Kapuze. In Verbindung mit einer gebückt regen- und windschlüpfigen Haltung hilft diese Basisausstattung dem fröhlichen Radlergemüt, der meterhohen Gischt zu trotzen, die vor allem dann entsteht, wenn der Regen waagrecht von vorne nässt und zeitgleich die zahlreichen Motorwagen nach Kräften von unten und der Seite spritzen. Ich fühle mich heute jedenfalls ausreichend vorbereitet, eine Autowaschanlage mit dem Fahrrad zu bereisen.

Ursprünglich wollte ich gar nicht in die Schweiz, sondern nach Berlin. Aber dann hab ich mich überreden lassen. Und das kam so.

Kettenraucher: „Ich fahre nach Berlin.“
Klugscheißer: „Das ist doch langweilig. Du musst in die Alpen. Passstraßen sind das Nonplusultra. Alle sagen das.“
Kettenraucher: „Die Alpen sind zu weit weg – bis ich einigermaßen attraktive Gebiete auf der Südseite erreiche, ist meine freie Zeit bereits Vergangenheit.“
Klugscheißer: „Nimm einfach den Zug bis Innsbruck oder so“
Kettenraucher: „Ich bin Radfahrer, kein Bahnfahrer.“
Klugscheißer: „Fahr doch in die Schweiz. Das ist nicht so weit.“
Kettenraucher: „Dort ist es kalt und nass. Ich kenne die Klimadiagramme. Vielen Dank.“
Klugscheißer: „Aber als Radfahrer musst Du mal in den Alpen gewesen sein. Sonst kannst Du nicht mitreden.“
Kettenraucher: „ Ich muss nicht quatschen, ich bin mehr für´s machen“
Klugscheißer: „Eben. Wenn Du es dieses Jahr nicht machst, tust Du es vielleicht nie.“
Kettenraucher: „OK, fahr ich mal in die Scheiß Alpen. Aber nur zum schnuppern, mal sehen, ob ich das schaffe. Und dann fahr ich nach Berlin.“

Aber bevor ich in die Schweiz fahren konnte, musste ich einen Prolog einschieben – quasi aus Trainings- und Vorbereitungsgründen. Deshalb gibt es jetzt einen Zwischenabschnitt.


Ob ich umziehe?
„Nein“.
„Auswandern?“
„Junge, Du bist echt witzig.“
Zugegeben, mein Fahrrad trägt das eine oder andere Gepäckstück zu viel, aber mit Absicht, weil ich jetzt im April meine körperliche Verfassung für meine im Sommer geplante Alpenpremiere überprüfen will. Nein, nein, erzähle ich der interessierten Nachbarschaft, ich gehe heut Vormittag noch ins Büro und dann fahr ich ein paar Tage spazieren.

"Wohin?"
"Das lass ich auf mich zukommen. Heute Mittag erst mal nach Karlsruhe. Hauptsache raus und weg aus Stuttgart."
„Na dann viel Erfolg und mach´s mal gut.“
„Danke, danke. Es ist nur Training“.

Zur Mittagszeit verlasse ich meinen Arbeitsplatz und jage Richtung Norden zum Enztal. Um einen passablen Rhythmus zu finden wechsle ich bald vom Radweg auf die Straße und treffe in einem Dorf nahe Pforzheim auf eine fahrradbegeisterte Metzgerin, die mich mit Getränken, belegten Brötchen und vielen gut gemeinten Ratschlägen versorgt. Auf den letzten Kilometern in die Karlsruher Innenstadt nervt mich der Feierabendverkehr und ich bin jetzt doch froh mein erstes Etappenziel erreicht zu haben. Ich übernachte – Fragen kostet nichts und ich habe aus purer Neugier halt mal gefragt, wo ich sonst nicht gefragt hätte - in einem sehr noblen Luxushotel. Der Portier hat mir aus spontaner Sympathie einen Sonderpreis gemacht. Ehrlich, ein grandioses Zimmer in feinstem Ambiente - so preiswert, dass ich hier unmöglich den Namen des Palazzos nennen kann ohne den Job des freundlichen Komplizen zu gefährden.

Ich dusche also in meiner großzügigen Wellness-Oase, schlendere etwas durch die Stadt und sehe ein vierrädriges Fahrrad mit vier Sitzplätzen, das von den acht Beinen vier gut gelaunter junger Menschen angetrieben wird. Ich traue meinen Augen nicht: Eigentlich ein Auto, ein Pedal-Auto, das Blechkabine und Kofferraum einfach weglässt. Da fährt es dahin und bis ich meine vor Begeisterung überforderten fünf Sinne wieder beisammen hab, ist dieses saucoole Gefährt bereits hinter der nächsten Ecke verschwunden. Es ist ein Jammer, dass ich jetzt zu Fuß unterwegs bin und nicht die Verfolgung aufnehmen kann. Aber ab sofort rangiert Karlsruhe in der Hitliste meiner persönlichen Lieblingsstädte ziemlich weit oben.

In einer gegen Abend zufällig gewählten Eckkneipe, in der sich so ziemlich alles um Fußball dreht, entscheidet sich mein Etappenziel für morgen. Nach vergleichsweise schlüssiger Diskussion wird die kürzeste Distanz zwischen diesem Tresen und einem Fußballstadion der ersten Liga auf rund 100 km geschätzt. Das Stadion liegt in Kaiserslautern und das liegt im Pfälzer Wald und dort fahr ich morgen hin.

Jetzt muss ich zur Erklärung einschieben, dass ich schon ernsthaft von der Schweiz erzählen möchte. Andererseits macht es mir durchaus Spaß, meine Vorbereitungstour zu schildern.

Jedenfalls bin ich am nächsten Morgen los nach Kaiserslautern. Die Stadt ist klein und hügelig und hat außer Fußball nichts zu bieten. Unterwegs traf ich einen irritierten Schweizer, der den Radweg entlang des Rheins nach Rotterdam nicht finden konnte. Ich habe ihn ausführlich beruhigt und kompetent beraten. Und dann schaue ich mir in einem Kaiserslauterner Brauhaus solidarisch die Niederlage der ortsansässigen Erstligakicker im Fernsehen an, aber niemand lädt mich auf ein Bier oder eine Couch bei sich zu Hause ein.

Es gibt auch kein freies Zimmer in der Stadt – weil heute Heimspiel ist, ist alles ausgebucht – und so muss ich notgedrungen im Knast übernachten. Eine letzte freie Zelle gibt es tatsächlich in einem ehemaligen Gefängnis, dem heutigen Hotel Alcatraz. Den serbischen Bauarbeiter, der seit Jahren am Umbau und der Sanierung der ehemaligen Justizvollzugsanstalt beteiligt ist und alles – wirklich alles - darüber weiß, lerne ich in der so genannten Altstadt der überschaubaren Dorfgemeinschaft kennen. Er telefoniert angestrengt und sagt mir die Bestätigung der Bestätigung der ungewöhnlichen Übernachtungsmöglichkeit definitiv zu. Ich bleibe eigentlich skeptisch und lade ihn trotzdem zur Feier des Tages spontan zum ortsansässigen Nobel-Italiener ein. Wir essen gut, wanken nach Hause und verschließen mein schönes Fahrrad hinter einer unglaublich schweren stählernen Schiebetür. Ich denke, das muss der ehemalige Hochsicherheitstrakt gewesen sein.

Im Hotel Alcatraz läuft abends eine – es ist Samstag - ich weiß nicht – Single oder Swinger oder so was ähnliches Party. Jedenfalls bin ich als Radfahrer auf der Durchreise eine gewisse und für manche Zeitgenossen unverständliche Attraktion und muss – wie schon so oft - meine Standardrechtfertigung zum Besten geben, nämlich:

Das mit dem Fahrrad kam ungefähr und ungelogen in etwa so.

Die Schönste und Liebste: „Lass uns doch mal ein Fahrrad kaufen“
Ich: „Warum?“
Die Schönste und Liebste: „Wir könnten dann sonntags bei schönem Wetter mal einen Radausflug machen“
Ich: „Warum und wohin?“
Die Schönste und Liebste: „Das ist doch schön und macht Spaß, Rad zu fahren in der Natur und an der frischen Luft“
Ich: „Warum soll ich mit einem Fahrrad wohin fahren?“
Die Schönste und Liebste: „Zum Beispiel dahin … und dorthin … „ – PS: Sie nennt albern nahe Ziele im unmittelbaren Wohnumfeld, schätzungsweise im 3000 m Radius, also Ziele, die ich seit Jahren bequem zu Fuß erreichen kann.
Ich: „Dazu brauch ich doch kein Rad. Noch kann ich laufen“
Die Schönste und Liebste: „Aber es wäre doch schön, mal was anderes zu machen, Ich würde gerne mal am Wochenende mit Dir eine Radtour machen“
Ich: „Aber ich hab kein Rad Du hast auch kein Rad“
Die Schönste und Liebste: „Räder kann man kaufen“
Ich: „Wo kann man denn hier Fahrräder zu kaufen? Nirgends! Hast Du hier schon mal einen Fahrradladen gesehen? Ich nicht. Wer fährt denn überhaupt noch Fahrrad? Kein Mensch außer Rentnern fährt freiwillig mit einem Fahrrad. Und für diese Seniorengymnastik bin ich noch zu jung. In dreißig Jahren können wir noch mal drüber reden.“
Die Schönste und Liebste: „Lass uns doch mal …. “.

Nun gut, die Schönste und Liebste schenkt mir ein MTB für die bis dahin unvorstellbare Summe von 599 Euro und ich starte meine erste Probefahrt durch den Stadtpark.

Anmerkung der Chefredaktion: Bereits während des ersten Tages, den Kettenraucher mit seinem neuen Rad verbringt, geschieht in ihm eine psychologische und philosophische Transformation, die sich an dieser Stelle aufgrund der schier mirakulösen Komplexität leider nicht angemessen untersuchen und darstellen lässt. Deshalb verweisen wir auf eine ausführliche Berichterstattung in einer der zukünftigen Ausgaben unseres Magazins „ Der durchgedrehte Kettenraucher“ und bitten freundlichst um ihre Nachsicht und etwas Geduld. Vielen Dank und allzeit gute Fahrt und schöne Reise.

Die Fortsetzung des Prologs zur helvetischen Alpenpremiere folgt as soon as possible. Dann wird zum Beispiel erzählt, weshalb kettenraucher während der wilden Nacht in Kaiserslautern beschlossen hat, seine Reise in Richtung Köln fortzusetzen, aber kurzfristig auf halbem Weg zwischen Hunsrück und Eifel umkehren musste, um das Allgäu anzusteuern. Und damit kämen wir den Schweizer Bergen schon ziemlich nahe.

Vielen Dank und gute Nacht, ich bin jetzt müde.

Ende Teil 1.