Re: Mit dem Fahrrad über den Ätna

von: Dietmar

Re: Mit dem Fahrrad über den Ätna - 25.07.11 22:00




Wir sammeln wieder fleißig Höhenmeter, wobei die Schwankungen immer so um die 50 bis 100 m betragen. Für die letzten 4 km des Tages haben wir wieder eine Bergwertung mit knapp 200 Höhenmetern im Programm. Das einzige Hotel in Delianuova hatten wir mittags telefonisch festgemacht. Den recht üppigen Preis von 70 € hatte ich mangels Alternative geschluckt. Außerdem muss das „Grand Hotel dell’Aspromonte“ ja was Besonderes sein. Naja, der Ausblick in den Nationalpark ist ganz toll.



Ansonsten erfreuten wir uns am JH-Niveau. Immerhin ist alles recht sauber und die Räder schlafen sicher in der Tiefgarage. Abends im Hotelrestaurant unterhalten wir uns mit einem holländischen Paar, das in Palermo gestartet ist, Georg mit dem Auto und Lilly mit dem Rad.

Heute haben wir uns eine Kurzetappe mit immerhin 500 m Höhendifferenz zwischen Start und Ziel vorgenommen. Die Fahrt geht weiter auf der 112, immer entlang der Nationalparkgrenze. Hier sind wir schon ca. 100 m oberhalb der Startlinie, haben aber immer noch den letzten Etappenort im Blick:



Dieses Casa cantoniera wird als Kuhstall nachgenutzt. Die Viecher lassen sich durch uns nicht stören. Auch sonst ist es hier sehr ruhig. Auf ca. 20 km begegnen wir gerade mal 5 Autos.



Der Blick in die Karte ist hier etwas fotomotivbedingt. Wir fahren die ganze Zeit nach einem gpsies-Track, der an wenigen Stellen kleine Zweifel verdrängt und uns immer sagt, wie viele Kilometer noch vor uns liegen.



In Cippo Garibaldi machen wir Rast in einer Bar. Brot oder Panini gibt’s nicht, dafür Kaffee, Käse und Mortadella. Wir haben noch eine eiserne Ration dabei, so wird’s ein üppiges Mittagessen. Das Hotel dahinter hat einen gewaltigen Internetauftritt, sieht aber aus wie eine Baustelle. Im Erdgeschoss befindet sich ein Restaurant im Betriebskantinenstil. Im 1. Obergeschoss sind die Hotelzimmer. Das 2. und 3. OG ist Rohbau und die Fenster sind mit Brettern zugenagelt.



Kurz darauf erreichen wir unseren höchsten Punkt des Tages mit 1324 m im Ortsteil Rumia.



Eigentlich wollten wir uns ein Hotel ein paar Kilometer weiter im Urlaubsort Gambárie suchen. Dem Tipp von Lilly folgend ändern wir unseren Plan und fahren weiter über Melia Richtung Villa San Giovanni.



Die Straße liegt landschaftlich sehr schön zwischen Wiesen und Wäldern. Mit schnellem Tempo geht es fast ohne Antrieb hinab bis auf Meereshöhe. Unterwegs gibt es schöne Ausblicke. Hier sehen wir zum ersten Mal Sizilien. So eng haben wir uns den Stretto nun doch nicht vorgestellt.



In Villa San Giovanni wird’s etwas eng. Mit den Schildern traghetto a Messina finden wir schnell zum Fährhafen. Die Überfahrt kostet 2,50 € für Radler und Rad. Das Schiff vor uns legt gerade ab. Macht nix, das nächste fährt in 30 min.



Wir genießen die 30minütige Überfahrt mit einem Blick zurück ins Aspromonte



und einem voraus auf die Insel.



In Messina sind wir erst einmal positiv überrascht. Nach den doch etwas gräulichen Eindrücken in Kalabrien kommt uns die Stadt sehr viel bunter vor. Die zahlreichen wunderbar restaurierten Häuser aus der „guten alten Zeit“ (Belle Époque) verschaffen der Stadt ein schönes Antlitz. Trotz des Bebens von 1908 und der alliierten Bombenangriffe, die die Mehrzahl der Gebäude zerstörten, gibt es ungewöhnlich viele schöne Bauten der Vergangenheit. Unser Hotel, auch in einem attraktiven Gebäude untergebracht, darf etwas mehr kosten. Außerdem dürfen unsere Räder mal wieder im Foyer übernachten.

Ab jetzt fahren wir auf der 9. Giro-Etappe vom 15. Mai Richtung Ätna. Allerdings benötigen wir 4 Tage für eine Etappe. Zunächst verlassen wir die Stadt auf der SS 114, die im morgendlichen Berufsverkehr schön voll ist. Wir fühlen uns zum ersten Mal richtig heimisch, denn hier wird endlich mal richtig gehupt. Nein nein, nicht unseretwegen. Meist müssen die vorn stehenden Autofahrer „geweckt“ werden, die nicht bemerkt haben, dass die Ampel bereits drei Sekunden auf Grün steht. Das Telefongespräch ist doch viel wichtiger. Also erst beenden, dann weiter fahren.

Auch hier gilt das Nase-vorn-Prinzip. Einfach unerschrocken losfahren, sonst kommt man nicht in den laufenden Verkehr rein, auch mal akzeptieren, dass einer von der Seitenstraße rein muss. Leben und leben lassen. Außerdem ist die Straße ja nicht nur zum Fahren da. Der ambulante Einzelhandel benötigt natürlich Fläche



Ob Fisch oder Knoblauch, Gemüse oder sonstwas.



Auch Autowerkstätten, Waschanlagen und Tischler benötigen öffentlichen Raum, um ihrem Geschäftszweck nachzugehen. Nach ein paar Kilometern verlassen wir die SS 114 und fahren meist parallel durch kleine Vororte.



Irgendwann sind die auch zu Ende, so dass wir wieder auf der Uferstraße landen. Außerhalb der Ortschaften ist die nur wenig befahren, so dass wir die Ausblicke aufs Meer und die letzten Blicke aufs Festland mit Réggio di Calábria genießen können.



Am Nachmittag erreichen wir Taormina, den überlaufenen Touristenort, der sich bis 250 m über der Küste erhebt. Faul wie wir sind, haben wir ein Hotel unten am Meer geordert. Glücklicherweise gibt’s ja die funivia, die uns für 3,50 € die 190 Höhenmeter hinauf zur Stadt abnimmt. Noch am Abend wälzen sich Massen von Touristen durch die Stadt, aber darf man sich beklagen, ist ja selber einer. In einem ristorante etwas über der Stadt probieren wir einigermaßen preiswert lokale Gerichte. Dazu gibt’s etwas sizilianische Musik.



Aber auch nach dem Dunkelwerden ist es noch ordentlich voll, naja, einmal halten wir das aus. Planmäßig legen wir einen Badetag ein. Auch Anfang Juni hat die Saison noch nicht begonnen. Nur die Ausländer springen in das 20° kalte Wasser. Am Abend ruft nochmal die Stadt auf den Hügel. Das Wetter ist etwas weniger trüb und wir hoffen auf den berühmten Ätna-Blick vom teatro greco, das eigentlich ein römisches Theater ist.



Aber auch heute kann man den Ätna, der üblicherweise einen tollen Bühnenhintergrund abgibt, nur ahnen. Wir müssen noch eine Weile warten, bis die Abendsonne endlich die Konturen klarer werden lässt.



Am nächsten Morgen nehmen wir den ersten Teil unserer Ätna-Besteigung in Angriff. Wir wollen es bis Linguaglossa auf 550 m schaffen. Zunächst fahren wir durch Giardini Naxos, eigentlich ein schöner Ort, aber auch sehr touristisch überlaufen, bisschen ballermannmäßig. Wir kaufen Wasser und Gemüse ein



und verkrümeln uns ins Hinterland, immer noch auf der Giro-Etappe. Die schmale Straße führt durch Zitronen- und Olivenhaine im Tal des Alcántara, einem Flüsschen, dessen Bett gelegentlich durch einen Lavaausbruch verlegt wird.



Kurz vor Castiglione sehen wir den Ätna nun etwas klarer, aber immer noch ein wenig im Dunst. Die Dampfwolken sind aber schon gut auszumachen.



Hier muss ich erst einmal lachen. Preisfrage: Welches Verkehrsschild ist absolut überflüssig?



Klar, bereits nach 200 m hupt der erste Autofahrer, Scheibe runter, Daumen hoch, wir winken zurück.



Nächste Preisfrage: Wie erreicht man diesen Parkplatz? Vier Mann, vier Ecken?



Auch in diesem Ort liegen Anfang und Ende mindestens 100 Höhenmeter auseinander. Zum Schluss gibt’s nochmal 10 % und einen schönen Blick zurück.



Doch damit nicht genug, wir müssen noch den 700 m-Pass bezwingen, bevor wir die



angepeilten 550 m in Linguaglossa erreichen. Wie so oft in Italien, geraten wir mal wieder in eine Hochzeit.



Doch wie findet man die Via Paolo Borsellini? Kennt hier keiner. Die Straßen im Neubaugebiet sind noch nicht in den digitalen Karten enthalten. Also anrufen, wir sind an der Kreuzung Garibaldi/Umberto, ja wir holen Sie ab. 10 min später fahren wir hinter dem Auto der Gastgeber hinterher.

Unsere B&B-Unterkunft erweist sich als toller Tipp - mit Ätna-Blick, das Pizza-Restaurant im centro dagegen als seltener Reinfall. Macht nichts, wir freuen uns auf den nächsten Tag. Unsere kürzeste Etappe über 15 km (!) soll uns 875 m höher bringen. Mit großem Respekt gehen wir Flachlandhelden diese Herausforderung an. Auf der Strada di Mareneve schrauben wir uns in zahllosen Serpentinen hinauf. Die Steigungen sind moderat, meist 4 bis 6%, nur kurz mal 10 bis 12 %, das schaffen wir gerade so!



Gegen Mittag erreichen wir das Rifugio Ragabo auf 1425 m, ein Blockhaus mit einem großen Restaurant und etwa 8 Gästezimmern. Ich hatte von zu Hause vorgebucht, was aber nicht nötig gewesen wäre. Selbst am Wochenende sind nur 2 Zimmer belegt.

Am nächsten Tag verlassen wir die Giro-Etappe und begeben uns auf eine etwas ungewöhnliche Strecke, die ich im Kettlerbuch gefunden hatte. Die Route umrundet den Ätna nördlich und westlich. Der Höhenweg schwankt dabei zwischen 1400 und 1960 m. Das ist eigentlich eine typische MTB-Strecke, mit Reiserädern und Gepäck aber überwiegend gut zu befahren. Auf gpsies gibt’s den passenden Track, worüber ich im Nachhinein sehr froh bin, da die Kettler-Beschreibung doch sehr dünn und z.T. fehlerhaft ist. Die Strecke beginnt als recht glatter Waldweg durch hochgewachsenen Baumbestand.



Nach etwa 2,5 km beginnt das Lavafeld von 1879, hier mit schöner Schneise, leider aber mit losem Schotter,



so dass wir die 10 % Anstieg nicht im Sattel überstehen.



Hier wird es wieder etwas gemütlicher, fast wie auf einem touristischen Radweg. Allerdings fahren wir jetzt fast ständig über freies Feld, also ohne Schatten.



Nun erreichen wir die Lava von 1947, noch recht frisch also, so ungefähr muss es auf dem Mond aussehen. Nachdem wir am Abzweig zum Rifugio Timparossa 1710 m erreicht haben, geht es wieder abwärts.



Immer wieder gibt es schöne Ausblicke auf die Landschaft im Norden und im Nordwesten des Ätna.



Die Lava von 1624 stellt uns vor eine besondere Aufgabe. Hier heißt es, auf dem Niveau von 1400 m entweder 1 km schieben oder auf einem Forstweg weitere 100 Höhenmeter aufgeben und neu erklimmen. Wir entscheiden uns für die „Extremstrecke“. Die Räder müssen zunächst fast einen Meter hochgehoben werden



dann geht’s auf schmalem, holprigem Pfad



durch eine wunderbare, fast menschenleere Landschaft. Immerhin treffen wir später ein paar Wanderer und ein paar Mountainbiker, die ihre Sonntagsrunde drehen.



Mit unvergesslichen Eindrücken,



schönen Entdeckungen am Wegesrand,



ständig wechselnder Vegetation und gelegentlichem Blick auf den Gipfel geht es weiter. Ab dem Rifugio am Monte Spagnolo fahren wir wieder auf Waldwegen.



Immer wieder geht es auf und ab. Die 500 m Höhengewinn des Tages müssen wir uns mit 1200 Höhenmetern „erarbeiten“.



Dafür sind wir von der Schönheit der Landschaft nahezu überwältigt. Zur Mittagpause (wir hatten uns die Taschen mit den Kleinverpackungen vom Frühstück vollgestopft) fange ich an, die Wasservorräte nachzurechnen. Unterwegs gibt’s hier keine Möglichkeit nachzutanken. Mit jeweils 3 x 1,5 l kommen wir ganz gut hin.



Auf etwa 1700 m nimmt die Vegetation „skandinavische Züge“ an.



Die Lava von 1864 durchqueren wir auf etwa 1800 m Höhe.



Nun folgen ständig kleinere Wäldchen im Wechsel mit Lavafeldern. Am Rifugio Palestra erreichen wir den höchsten Punkt des Tages mit etwa 1960 m.



Das kleine Wäldchen leidet wohl unter Wassermangel, passt aber gut in diese bizarre Umgebung.



Zum Schluss geht es wieder auf ca. 1700 m hinab. Um diese Autosperre zu überwinden, müssen wir abrüsten.



Wir helfen den italienischen Papas beim Rüberheben des Kinderanhängers. Die beiden revanchieren sich natürlich und heben unsere Ausrüstung mit allerlei Späßen und Gelächter auf die andere Seite. Die Frage nach dem weiteren Verlauf hätten wir uns sparen können „ sempre giù“. Natürlich geht es fast nur bergauf.

Nun erreichen wir die SP92, die Straße von Catania zum Rifugio Sapienza, bzw. Etna Sud. Nun nochmal 200 m aufwärts auf Asphalt inmitten der Lavafelder von 2002



und wir erreichen Etna Sud auf etwa 1920 m. Diese Etappe war mit 40 km eine unserer kürzesten, ganz sicher die anstrengendste und wahrscheinlich auch die schönste. Dank der Topografie einschließlich Schiebestrecken kommen wir auf einen Schnitt von 8,5 km/h.