Re: Langer Weg ans Meer

von: Anonym

Re: Langer Weg ans Meer - 27.09.10 09:22

Sa 18.September

Es schauert, große trockene Abschnitte. Ich versuch auf die Regenkleidung zu verzichten und mich lieber immer mal 5-10min unterzustellen.
Bei einem der vielfachen Schauer suche ich Schutz unter einem Baum an einer Weide. Binnen Minuten kamen wirklich alle dieser Rindviechter an den Zaun und beobachteten mich beim Rauchen. Kennt jemand die Folge der Simpsons, wo die Kühe süchtig werden nach Tomaten die Nikotin enthalten?

In Travemünde auf dem Zeltplatz erging die Warnung vor einer lauten Jugendgruppe. Da hab ich mich halt einfach rangewanzt. Nette Gespräche. Der Zeltplatzbesitzer war darauf bedacht, dass die Leute zwar nicht zu laut wurden, aber trotzdem feierten. Wer Umsatz generiert bestimmt in der Nebensaison offenbar die Regeln etwas mit zwinker.

So 19.September

Die Sonne scheint!
Ab jetzt fahre ich den Ostseeküstenradweg. Ich komm bloß nicht weit, in Boltenhagen erwische ich an einer plötzlichen Steigung den Gang nicht richtig, kippe um. Will mich wieder aufsetzen und weiterfahrn, plötzlich geht gar nichts mehr. Fiese Geräusche von hinten.

Inspektion ergibt: Schaltwerk extrem verdreht, Schaltauge stark verbogen. Wir erinnern und, da gabs ja einen Sturz 1,5Wochen vorher und einen verstellten Endanschlag. Ich denke seitdem war das Auge schon vorgeschädigt.
Der blödsinnig versuch es geradezubiegen führt natürlich zum Bruch. Das Fahrrad zum Laufrad umfunktioniert rolle und schiebe ich die 2km bis Boltenhagen zurück und quartiere mich aufm Zeltplatz ein.

Mo 20.September

Anruf beim Hersteller, die schicken das Schaltauge. Leider per DHL, so musste ich noch paar Tage warten.

Mo 20.September-Mi.22 September

Die Sonne scheint weiterhin wie blöd und ich liege faul rum und lese viel (ca. 1 Buch pro Tag), lass mich in Restaurants verwöhnen, gönne mir ne Massage, mach Strandspaziergänge im Mondschein und sowas.

Do 23.Spetember

Schon am Mittwoch stand ich frühmorgens zur Abfahrt bereit und wartete auf die Post und das Schaltauge. Post kam aber immer erst gegen Mittag.

Donnerstag war es dann da. Ich komme kurz nach der Mittagzeit vom Zeltplatz weg und mache noch 100km an dem Tag. Im großen und Ganzen tolle Wegequalität. Die Steilküsten und Dünen führen zum ständigen Auf und Ab, aber ich genieße es jetzt. Die Ruhetage haben meinen Muskeln sehr gut getan und an den ersten heftigen Steigungen schaue ich aufs Rad ob ich Gepäck vergessen hab.
Der angekündigte Regen bleibt aus.

Kurz hinter Rostock finde ich einen Waldparkplatz mit überdachtem größerem Häuschen. Sah alles ziemlich jägermäßig aus.
Ich sitz noch keine halbe Stunde beim Essen, hält ein Wagen, schaltet Motor und Licht aus, und spielt dann in _extremer_ Lautstärke Stücke aus der aktuellen Ring-Inszenierung (lief im Radio). Ich erstmal an sonstwas gedacht und mit dem aufgeklappten Opinel-Messer aus dem Unterholz beobachtet.

War dann eine ältere Dame, Amerikanerin, seit Jahrzehnten in Deutschland, ehemals Opernsängerin, Gründungsmitglied bei den Grünen. Ist allein vom Taunus an die Ostsee gefahren, schaute sich die Vögel-Rastgebiete an. Schlief meist wild in ihrem Kleintransporter. Nette Gespräche beim Abendessen und Frühstücken.

Schöner Vollmond mit Nebel und Tiergeräuschen.

Frei 24.September

Der angekündigte Regen bleibt weiter aus, und ich fahre locker dahin. Die letzten km vor Greifswald werden zur Qual. Diesen Streckenabschnitt Stralsund-Greifswald würde ich mittlerweile völlig anders fahren. Die Bundesstrasse ist gesperrt für Radfahrer, bzw. 30km/h mindestgeschwindigkeit, und der Ostseeküstenradweg verläuft auf einer alten Strasse parallel. Absolut miese Kopfsteinoberfläche, ich fühlte mich als Radfahrer ungewollt.

Ich schlafe wenige km vor Greifswald in einer Bushaltestelle auf dem Feld, bzw. dahinter, weil der Regen auch in der Nacht nicht kam.

Am Abend Krämpfe im linken Unterschenkel und Fuß.

Sa 25.September

Am Morgen hunderte Kraniche auf dem benachbarten Feld. Die schlafen noch, solche Langschläfer.

Es fängt wieder an zu nieseln. Ich muss mich entscheiden wie weit ich noch fahre. Ich hab weiterhin schmerzen im linken Bein und fühle mich insgesamt schief auf dem Rad sitzend. Muss jetzt erstmal genau inspizieren was da wo schief ist. In Usedom hatte ich keine Lust noch die 4-5h zur Grenze weiterzufahren und quartierte mich noch für eine Nacht in Ückeritz aufm Zeltplatz ein. Man kommt sich langsam vor wie der letzte Mohikaner mit seinem Zelt. Abends taucht dann eine dresdner Seminargruppe auf bepackten Reiserädern auf, wohlwollend sehen meine Augen zwei Randonneusen. Die Gruppe will noch eine Woche Richtung Polen fahren. Ich hab ihnen die Daumen fürs Wetter gedrückt und noch paar Regentips gegeben, da hatte ich ja jetzt genug Erfahrung.

So 26.September: Rückfahrt per Wochenendticket


Fazit:
  • war einfach schön, trotz des Wetters, eigentlich hats das Wetter erst richtig spektakulär gemacht, siehe Sturm
  • Ersatzschaltauge hab ich in Zukunft dabei
  • der Faltdurano kam unbenutzt mit zurück. Sieht man von den Anwenderfehlern ab, hatte ich ja nur eine Panne gleich zu Beginn die wirklich am Reifen lag. Trotzdem werd ich mit dem Reifen nicht warm.
  • Ruhetage muss ich besser verteilen
  • UDK-Lenker wird perspektivisch gegen Tiller-/Deichsellenker ersetzt. Jeder UDK ist ein bißchen schief, wie ich auf dem Treffen sehen konnte. Mich macht das aber kirre, ich merk das. Erbse unter dem Sitzpolster wie ein Mitfahrer meinte.
  • Ich brauch kein Papierkarte mehr, ich hab 3 Open-Street-Maps und eine Topo auf dem Garmin. Jede Karte hat so ihre Vorzüge und in Kombination ersetzen sie restliches Kartenwerk. Die OSM-Radfahrkarte ist z.B. genial wenn man Radrouten fährt, weil die da stark hervorgehoben werden.
    Wenn ich keine Radroute fahre, setz ich mir ein Luftlinienrouting zu einer Stadt in der richtigen Richtung und such dann auf ner anderen OSM-Karte einsamere Landstrassen die in der Nähe liegen.
  • Die Liege hat gezeigt was sie drauf hat. Ich bin fast soviel gefahren wie vor paar Jahren, als ich mit weniger Ruhetagen bei gutem Wetter und ausschließlich im Flachland mit der Randonneuse 2Mm in 3Wochen fuhr. Jetzt mit vielen Ruhetagen, mit Erkältung, Mittelgebirge und viel Regen noch >1800km zu machen, das spricht schon sehr für das Rad.


EDIT: Hab diesmal nur wenig Photos gemacht, wenn es regnete hatte ich Angst um den Apparat und wenn es trocken blieb wollte ich nur fahren. Ein bißchen kommt aber noch, z.B. ein Video des Zelts im Orkan.