(k)ein Brevet in England, Januar 2013

von: Andreas

(k)ein Brevet in England, Januar 2013 - 21.01.13 16:52

Wie schon in den beiden vorangegangenen Jahren, wollte ich im Januar 2013 den »Willy Warmer« fahren. Wer den Begriff googelt, wird in die Irre geführt, denn Willy bezieht sich auf den Willesden Cycling Club. Die Fahrt ist ein so genannter Brevet. Das sind Langstreckenveranstaltung zwischen 200 und 1400 km, bei denen es darum geht, eine bestimmte Strecke in einer bestimmten Zeit zu schaffen. Jeder fährt sein eigenes Tempo. Die Fahrten sind zwar sportlich, aber ausdrücklich keine Rennen. Im Winter werden natürlich nur die »kurzen« Strecken gefahren.

In Kontinentaleuropa geht die Saison von März bis August, dazwischen gibt es praktisch keine Brevets. Nur im Dezember einen sehr flachen in Holland. Die Briten sind da anders gestrickt. Auf der Insel beginnt die Saison Neujahr und geht bis Weihnachten. Eigentlich fahre ich im Winter nur kurze Strecken, da ich weder Kälte über mehrere Stunden mag noch das Fahren bei Dunkelheit - aber im Rahmen so einer Veranstaltung fahre ich auch gerne eine Winterbrevet. Der Willy Warmer ist traditionell gut besucht, es gab in diesem Jahr fast 100 Anmeldungen.

Die Wettervorhersagen waren nicht wirklich gut, neben Kälte war auch leichter Schneefall vorhergesagt. Besser als stundenlanger Starkregen. Also bin ich hin. Und zwar mit dem Zug. Leider wohl das letzte Mal, denn für Fahrkarten, die ab 2013 gekauft werden, gelten neue Gepäckbestimmungen im Eurostar. Keine Seite der Tasche darf länger als 85 cm sein, und das ist nur mit Faltrahmen machbar.


Fast genau sieben Stunden dauerte die Hinfahrt. Um keine Zeit zu verlieren, habe ich das Rad diesmal schon im Zug aus der Tasche genommen und die Laufräder eingesetzt. Das hatte außerdem den Vorteil, dass bei der Aktion niemand mein Gepäck nehmen und weglaufen konnte.


Angekommen in London-Mitte, erwartete mich mittelstarker Schneefall, der im Laufe des Tages immer weiter abschwächte und gegen drei Uhr aufhörte.

Aber erstmal musste ich raus aus der Stadt, denn der Brevet fand in einem Vorort statt, etwa 35 km westlich der Stadtmitte. Und genau für mich passend war der Grand Union Canal, dessen Treidelpfad fast durchgehend mit dem Rad befahrbar ist.


Auf dem Weg zum Kanal (gut ein Kilometer) habe ich ein Fahrrad als Krankenwagen gesehen.


Der Grand Union Canal.


Der Weg war Abschnittsweise gut geräumt, an einigen Bereichen lag auch eine dünne Schneedecke. Mit der nötigen Vorsicht waren auch diese Stellen gut passierbar, obwohl ich das Rennrad genommen habe, und das hat nur 23 mm breite Slicks. Hier der pittoreske Markt an der Camden-Schleuse.


In Großbritannien ist das Wohnen in Booten nicht ungewöhnlich. Diese Boote bildeten sogar eine kleine Siedlung mit einer Art Vorgarten neben dem Weg.


Vielleicht wäre dieses Rad einfacher gewesen bei dem Wetter schmunzel


Optimal für den Wassersport: Von der Haustür direkt in den Kanal.


Ring with to tings.


So kam ich recht gut voran. Das schöne am Kanal ist auch, dass er niedriger ist als die meisten Straßen und man deswegen wenig vom Verkehrslärm hört.


Je weiter ich mich von der Innenstadt entfernte, desto weniger geräumte Abschnitte gab es. Hier wurde der Schnee auch noch mehrere Zentimeter tief, was mit dem Rennrad kaum noch zu bewältigen war.


So habe ich den Kanal bei Wembley verlassen und bin noch etwa fünf Kilometer über Hauptstraßen zu meinem ersten Zwischenziel gefahren. Einer britischen Extremradfahrerin, die vor langer Zeit als erste Britin 100.000 km nur mit Brevets absolviert hat (natürlich im Laufe mehrerer Jahre). Nach einem netten Plausch ging es noch 15 km weiter nach Chalfont St. Peter, wo der Brevet starten sollte und wo ich eine Schlafgelegenheit über ein Übernachtungsnetzwerk gefunden hatte. Die Fahrt dahin war weitgehend problemlos, aber eine schmale, etwa zwei Kilometer lange Straße hatte es in sich. Viel Schnee, etwas Eis, sehr vorsichtiges Fahren war angesagt. Das letzte Stück bergab musste ich schieben.


Einsame Landstraße im Hügelland

Nach eine heißen Dusche bei meinem Gastgeber kurzer Blick ins Internet: Der Brevet wurde vor zwei Stunden abgesagt. Doof. Was sollte ich machen, meine Rückfahrt war gebucht, also hatte ich quasi einen freien Tag. Das sinnvollste erschien es mir, Fahrrad zu fahren. Und warum nicht ein Stück der Brevet-Strecke? Den Track hatte ich ja.

Also bin ich am Samstag um acht Uhr los Richtung Westen.


Die Hauptstraßen waren frei von Schnee und Eis, man konnte sie völlig problemlos befahren.


Ein dickes Fell hat seine Vorteile.


Bergab habe ich trotzdem sehr viel gebremst, denn Eis auf der Fahrbahn war nicht auszuschließen. Man hatte mich vorgewarnt, ich solle englische Krankenhäuser unbedingt vermeiden...


Die Strecke ging allerdings auch über kleinere Straßen, und die waren weder geräumt noch gestreut. Und das hieß langsam. Ganz langsam. Es ist schon interessant, wie wenig seitliche Kräfte beim Radfahren wirken, solange man keine Kurven fährt. Beim Versuch, etwas kräftiger zu treten, drehte das Hinterrad sofort durch, so glatt war es. Und trotzdem bin ich nicht seitlich weggerutscht. Für 2,4 km habe ich dann 20 Minuten gebraucht. Und es ging fast nur flach oder bergab.


19. Januar 2013


Gleiche Stelle, 22. Januar 2011.


Nach 55 km habe ich mir in dem Café, in dem sonst die zweite Kontrollstelle ist, ein Sandwich frisch zubereiten lassen. Danach ging es praktisch denselben Weg zurück, aber unter Vermeidung der schneebedeckten Straßen. Der Umweg machte aus den 2,4 Kilometern 3,9, die weitgehend bergauf gingen - und trotzdem war ich sechs Minuten schneller.

Wieder zurück in Chalfont bin ich noch 13 km "umgezogen" zu einem anderen Gastgeber, der näher an London wohnt, denn mein Zug am nächsten Tag ging schon um kurz nach acht und es gibt in den meisten Londoner Vororten sonntagmorgens keine Züge. Nur die U-Bahn, und die fuhr nicht wegen Bauarbeiten.


Der Weg führte wieder über die schmale, zwei Kilometer lange Straße, über die ich am Vortag nach Chalfont gekommen war. Der steile Abschnitt war einigermaßen geräumt und befahrbar, dafür gab es einige glatte Stellen. Zum Glück war das Eis relativ stumpf.


Unterwegs habe ich noch einige Wassersportler beim Training gesehen.


Während ich in einem kleinen Anbau geschlafen habe, stand mein Rad (rechts) neben dem Rohloff-Reiserad des Gastgebers.

Am nächsten Morgen hatte ich es gut 3 km zur Overground (praktisch eine S-Bahn), die mich in 40 Minuten nach London brachte.


Dort kam das Rad in die Tasche und die Mitnahme im Eurostar und ICE war völlig problemlos. Wegen defekter Züge und Tempolimits in Frankreich und Belgien dauerte die Fahrt eine gute Stunde länger als geplant, war aber sonst ohne Probleme.

Grüße
Andreas
von: DebrisFlow

Re: (k)ein Brevet in England, Januar 2013 - 21.01.13 18:24

Hallo Andreas,
interessanter Bericht.
Hätte aber gedacht daß ein Brevet, der im Winter angesetzt ist wo Schnee und Eis ja nun nicht so ungewöhnlich sind notfalls mit Spikes als besonderer Event durchgezogen wird. Oder ist der zu erwatende Winter auf der Insel i.d.R. milder?
von: Karl der Bergische

Re: (k)ein Brevet in England, Januar 2013 - 21.01.13 18:36

Danke für den schönen Bericht. Die Fahrt mit Rennreifen über Eis und Schnee war sicher nicht einfach!
Karl
von: lytze

Re: (k)ein Brevet in England, Januar 2013 - 21.01.13 20:31

Ich merke immer mehr, was für ein kleinkariertes Weichei ich doch bin...

Ich wünsche Dir beim nächsten Mal auf jeden Fall besseres Wetter!
Danke für Deinen Bericht. Ich konnte ihn - aus dem Fenster blickend - so richtig gut nachvollziehen....

lytze
von: Andreas

Re: (k)ein Brevet in England, Januar 2013 - 21.01.13 21:14

Hallo Andy,

eigentlich sind die Winter in England deutlich milder als hier, Schnee war immer sehr selten.

Grüße
Andreas
von: Dietmar

Re: (k)ein Brevet in England, Januar 2013 - 21.01.13 21:25

Nur die Harten ... bier

Jut jeschrieben, eindrucksvoller Bericht!

Mit weicheimäßigen Grüßen

Dietmar
von: BaB

Re: (k)ein Brevet in England, Januar 2013 - 22.01.13 07:13

Hi Andreas,

da hattest du ja echt Pech mit dem Wetter, aber der Bericht ist dafür sehr schön geworden.

Viele Grüße

Bernd
von: RadOz5

Re: (k)ein Brevet in England, Januar 2013 - 22.01.13 15:15

Super Bericht, Andreas! Mein Kompliment schmunzel

Ich kann den anderen nur zustimmen. Bei der nächsten Tour lässt dich das Wetter hoffentlich nicht so im Stich!

Grüße von RadOz
von: vgXhc

Re: (k)ein Brevet in England, Januar 2013 - 22.01.13 17:01

Sehr schöner Bericht, danke.

Hier in Quebec ist die reguläre Brevet-Saison von Ende April bis September -- wir haben aber den "200km sous zero" Ende Januar/Anfang Februar. Es gelten einige besondere Regel (jeder Fahrer braucht einen Besenwagen, bei Temperaturen unter -20°C/starkem Schneefall wird der Brevet verschoben), aber ansonsten ist es ein normaler 200er. Letztes Jahr fand sich nur ein Fahrer ein; mal schauen, wie viele sich dieses Jahr finden. Angesetzter Termin ist nächsten Samstag, aber im Moment sind wir eher unter -20 und es hat recht viel Eis auf den Straßen.

Schönen Gruß aus der Kälte,
Harald.
von: gerold

Re: (k)ein Brevet in England, Januar 2013 - 23.01.13 13:04

Schade das der Brevet abgesagt wurde aber ein sehr interessanter Bericht ! Ich werde nach meiner SO-Asien-Reise im Feb. die Brevet-Saison voraussichtlich mit einem 200er im slow.-ital. Grenzgebiet eröffnen - zumindest im Vorjahr war da Ende März sehr gutes Radwetter.

Gute Fahrt !
von: Weg=Ziel

Re: (k)ein Brevet in England, Januar 2013 - 23.01.13 13:31

Tolles Vorhaben, Andreas. Mutig, mit schmalen Reifen zu fahren - du wusstest ja, dass es weiß wird. Und du hast das Beste aus der Absage gemacht lach
Hat Spaß gemacht zu lesen und zu schauen bravo

Gruß Wendel
von: kettenraucher

Re: (k)ein Brevet in England, Januar 2013 - 23.01.13 14:07

Zitat:
Auf der Insel beginnt die Saison Neujahr und geht bis Weihnachten.

Das finde ich erstens sehr bemerkenswert und zweitens überaus sympathisch. Und Dein Trip und die Fotos sind mindestens ebenso bemerkenswert und sympathisch. Einfach toll und mit viel Chuzpe gemacht. Respekt! Nach der Lektüre von Deinem Bericht verschweige ich jetzt nicht eine gewisse Sehnsucht nach London, ach London ...
von: JaH

Re: (k)ein Brevet in England, Januar 2013 - 23.01.13 14:42

In Antwort auf: kettenraucher
Nach der Lektüre von Deinem Bericht verschweige ich jetzt nicht eine gewisse Sehnsucht nach London, ach London ...

Eigentlich könnte Andreas hier denn auch noch den Bericht vom November-Brevet mit dranhängen. Meine paar Fotos, speziell auch die aus London zwinker sind nicht so dolle geworden, was mit am Wetter lag, nur war es im November halt nen paar Grad wärmer als jetzt. Album-Link
Ursprünglich wollte ich letzten Samstag ja auch mit dabei sein, aber es ergab sich leider dann anders für mich. MIt meinen derzeitigen kalte-Füße-Problemen war das vielleicht sogar besser so.
von: Andreas

Re: (k)ein Brevet in England, Januar 2013 - 23.01.13 17:37

Hallo,

meine Füße waren im November kälter - speziell nach dem Tauchgang...

Grüße
Andreas