Re: Von Vancouver nach New York - anno 1999

von: 2blattfahrer

Re: Von Vancouver nach New York - anno 1999 - 03.03.10 21:10

ich hab die Bilder mit 400pixel eingestellt, wer sich das ein oder andere Bild genauer ansehen will: ein klick darauf verbindet mit einer grösseren Version

Teil 2 (von 6)

18.08.1999, Troja

Troy, also zu deutsch Troja, war mein heutiges Ziel. Die Öffnungszeiten von Supermärkten sind in Amerika bisweilen phänomenal. So hatte Troy, ein Dorf von rund 500 Einwohnern, einen großen Supermarkt, der von 6 Uhr morgens bis 2 Uhr nachts geöffnet hatte. In anderen Städten, die nur wenig größer waren fand ich auch welche, die 24h offen waren. Es war mir unmittelbar einsichtig, daß so ein Service notwendig ist, um 3 Uhr morgens kauft es sich nun mal am besten ein. An dem Tag hatte ich auch meine einzige Fahrradpanne auf der ganzen Reise: Der Schlauch meines Hinterreifens, bereits mehrmals geflickt und 3 Jahre alt, gab unter dem großen Gewicht des Fahrrades einfach den Geist auf. Das Ventil wurde undicht und in wenigen Sekunden war der Hinterreifen platt.

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19.08.1999, Eureka

Regen, wie so oft. Am Lake Koocanusa entlang nach Eureka. Mittags klart es etwas auf und ich kann mein Zelt zum Trocknen auslegen. Die modernen Zeltmaterialien sind herrlich, nach 20 min ist alles trocken. Täglich das gleiche Procedere am Morgen, um 6 Uhr aufstehen, meine Siebensachen in die Radtaschen zusammenpacken, Zelt abbauen, aufpacken, um 6.45 Uhr sitze ich auf dem Rad. Nach 20-30 km halte ich Ausschau nach einer Tankstelle, um einen Kaffee zu trinken.

20.08.1999, Glacier National Park

Um 11 Uhr morgens, ich strample gedankenverloren auf der kleinen Straße vor mich hin, sehe ich zwei Frauen am Straßenrand in Fahrradkleidung winken. Ich stoppe. Die beiden Frauen erzählen mir, sie seien mit einer größeren Gruppe von Radfahrern unterwegs und genehmigten sich gerade ein zweites Frühstück. Die Gruppe verfügte über einen Begleitbus und der "Organisator" hatte ein Buffet neben dem Bus aufgebaut. Auf 4 Metern Tischlänge waren Kartoffelsalat, Nudelsalat, Chips, Brot, Kuchen, Orangensaft und vieles mehr aufgebaut. Die Frauen sagten, sie hätten viel zu viel und luden mich ein, zuzugreifen. Ich schlug die Einladung nicht aus. Da ich nach meinem Woher, Wohin, Wieweit täglich, Wieviele Pannen usw. befragt wurde, hatte ich kaum Zeit, mich in einigermaßen gesitteter Weise am Buffet systematisch von links nach rechts "durchzuarbeiten". Abends zeltete ich im Glacier National Park so nah wie möglich am Logan Pass. Meinen Proviant verstaute ich übernacht in Eisenkisten, damit er vor dem Zugriff von Bären geschützt war. 5 weitere Fahrradfahrer traf ich auf dem Zeltplatz. Schwimmen in der Gumpe eines nahegelegenen Gebirgsbaches ersetzte die fehlende Dusche. Die letzte Nacht in den Rocky Mountains.



21.08.1999, Going-to-the-Sun Road

Ich sah in der Tat am frühen Morgen die Sonne, als ich mit meinem Drahtesel den Paß hinaufradelte, doch schon bald holte mich der Regen wieder ein. Der Logan - Paß liegt auf der amerikanischen Wasserscheide, alle Flüße, die westlich davon entspringen, fließen zum Pazifik, alle Quellen östlich des Passes ergießen ihr Wasser in den Atlantik. Eine Abfahrt im Regen. Nach der Überquerung von drei Bergrücken, den letzten Ausläufern der Rocky Mountains, war der Blick frei auf die Great Plains, die großen Ebenen des Mittelwestens. Ein heftiger Rückenwind und die sanft abfallende Straße machten die 80 km von Kiowa nach Cut Bank zu einem wahren Vergnügen. In 2 1/4 h mit Geschwindigkeiten von bis zu 63 km/h auf einer Schlaglochpiste, aber wer will schon bremsen, wenn man geschoben wird?

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22.08.1999, Weizen, Weizen, Weizen

... soweit das Auge reicht. Schnurgerade Straße auf mehr als 20 km. Parallel laufen die Eisenbahn, die Straße und die Telephonmasten. Parallele Geraden schneiden sich im Unendlichen, dort kann man es in Augenschein nehmen. Am Abend in Hingham übernachtet, ein Dorf mit rund 200 Einwohnern, das ich hier stellvertretend für viele Dörfer des Mittelwestens etwas näher beschreiben will: Eingeklemmt zwischen der Eisenbahn und der beschaulichen Landstraße "Highway 2", die Dorfstraßen ungeteert. Im Zentrum des Dorfes ist ein Wasserturm und der City Park, eine quadratische Grünflache mit 100m Seitenlänge. An einem Ende des Dorfes befinden sich große Silotürme, wo das Getreide der Umgebung mit LKWs angeliefert wird und bis zu seinem Weitertransport mit der Bahn lagert. Am anderen Ende, neben der Landstraße, befindet sich eine Tankstelle und eine Bar mit angeschlossenem Laden. Im City Park gibt es einige Picknick - Tische und eine öffentliche Toilette. Am Abend fahren 4 Jugendliche in einem alten Strassenkreuzer die Straßen auf und ab, verschwinden bisweilen Richtung Landstraße, drehen aber nach spätestens 15 Minuten wieder eine Runde um den City Park. Stundenlang. In den City Parks kann man im allgemeinen kostenlos sein Zelt aufschlagen; es ist jedoch keine schlechte Idee, im Dorf vorher nachzufragen. So bekam ich beispielsweise in Hingham den wertvollen Tip, daß die Sprenkleranlage des Parks zwei Kreisläufe hat und heute abend der westliche mit dem Spritzen dran ist.

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23.08.1999, Mitten in Harlem

Den ganzen Tag starken Gegenwind. Hier in den weiten Ebenen gibt es keine Hügel oder Wälder, die einen solchen Ostwind aufhalten könnten. Mit einem mittleren Gang gegen den Wind auf ebener Strecke anzufahren macht wenig Spaß. Da ich immer nach Osten fahre, bekomme ich auch nur auf meiner rechten Körperhälfte einen Sonnenbrand. In Harlem, Montana, sperrt am Abend der Sheriff für mich die Dusche des Swimming Pools auf. Eiskalt, aber dennoch schön. Sehr dankbar bin ich für mein feinmaschiges Mosquitonetz am Zelt. Eine wahre Stechmückenplage setzte heute ein.

24.08.1999, Glasgow

Meine Zeltplatznachbarn waren an diesem Abend ein Indianer und eine Architektin aus San Francisco, die zusammen ein Fest seines Stammes besucht hatten. Mit ihm trank ich mein erstes Bier in Amerika: Budweiser. Ich lobte es, lehnte jedoch ein zweites mit dem Hinweis auf meine Sportlernatur ab. "Interesting", "different", das waren so in etwa meine Worte, denn was soll man als Augustiner-verwöhnter Bayer schon viel sagen. Der Rotwein, den seine Reisegefährtin trank, sagte mir besser zu.