Von Vancouver nach Halifax 2011

von: rayno

Von Vancouver nach Halifax 2011 - 20.02.12 17:15

Nachdem ich verschiedentlich gebeten worden bin, einen Bericht von meiner Reise vom Pazifik zum Atlantik hier im Forum einzustellen, will ich mich diesem Wunsch nicht verschließen, obwohl ich den Bericht zunächst nur meiner Familie und einigen engen Freunden zukommen lassen wollte.
Ich hatte den Bericht in Teilen von unterwegs nach Hause gemailt und ihn dann später überarbeitet und ergänzt.
Anfangen will ich mal mit einer ganz kurzen Fassung, die ich für die hiesige Tageszeitung erstellt hatte. Wenn dann größeres Interesse am vollständigen Bericht deutlich wird, bin ich gerne bereit, die ausführliche Fassung in Teilen (es sind acht) hier nach und nach einzustellen.


Vancouver – Halifax

Dauer der Reise: 22. Juni bis 10. September, 81 Tage, einschl. Hin- und Rückflug
Radfahrtage (ganze und halbe) : 70
Tage, an denen nicht gefahren wurde: 8
An- und Rückreisetage: 3
Insgesamt gefahrene Rad-Kilometer: 8 069
davon in Kanada: 2 891
in den USA: 5 178
Kürzeste Tagesetappe: 37 km; längste Tagesetappe: 204 km
Durchschnittliche Tagesleistung: 115 km
Mein Gewicht bei Abreise: knapp 80 kg
nach Rückkehr zu Hause: exakt 69 kg
Warum diese Reise?
Schon seit vielen Jahren hatte ich mir vorgenommen, einmal in Nordamerika von Küste zu Küste zu fahren. Dabei hatte ich zuerst natürlich nicht daran gedacht, eine solche Reise mit dem Fahrrad zu unternehmen. Nachdem ich nach meiner Pensionierung seit 2006 im Sommer jeweils eine mehrwöchige Radreise gemacht hatte, z.B. auch zum Nordkapp, stand jedoch fest, für die Reise vom Pazifik zum Atlantik (C2C) das Rad als Transportmittel zu nehmen.
Die großen Städte und Ballungsgebiete wollte ich möglichst vermeiden bzw. großräumig umfahren. Um herauszufinden, welche Route für mich am ehesten in Frage kommen könnte, habe ich in den letzten 2 Jahren zahlreiche Berichte über C2C-Radreisen, vor allem in „crazyguyonabike.com“, studiert. Dabei kristallisierte sich schnell heraus, dass für mich eine eher nördlich verlaufende Route, etwa entlang der amerikanisch-kanadischen Grenzlinie, in Betracht kommt
Wie auf meinen Reisen nach und in Skandinavien hatte ich auch für diese Reise keine genaue Route festgelegt, an die ich mich dann halten wollte. Offen gelassen hatte ich vor allem, welche der möglichen Routen im Bereich der Großen Seen ich nehmen sollte. Erst in Minnesota entschied ich mich dann für die (längere) nördliche Variante, also durch Ontario. Festgelegt waren durch die schon frühzeitig gebuchten Flüge (Düsseldorf-Vancouver und Halifax-Frankfurt) der großzügig bemessene Zeitrahmen. Ich war von einer Gesamtlänge von gut 7000 km ausgegangen und abzüglich von etwa 10 Ruhe- und Besichtigungstagen etwa 70 Fahrtagen, also einer Tagesleistung von rund 100 km.
Da ich im letzten Winter gerade 70 Jahre alt geworden war, stand meine Reise also unter dem Motto: Mit 70 in 70 Tagen 7000 km von Küste zu Küste.
Tatsächlich wurden es dann rund 1000 km mehr, weil ich einige Abstecher in Süd-Nord-Richtung gemacht habe und mich in Minnesota für die erheblich längere nördliche Umfahrung der Großen Seen entschieden hatte.
Routenverlauf
Dann war zu entscheiden, ob die Route von Ost nach West oder von West nach Ost verlaufen sollte. Beim Studieren der vielen Reiseberichte fiel mir auf, dass die Einheimischen, also Amerikaner und Kanadier, weit überwiegend von Westen nach Osten fahren, die Europäer in der Mehrzahl von Osten nach Westen. Ich entschied mich sehr bald für die West-Ost-Richtung; einmal, weil ich immer lieber in Richtung Heimat unterwegs bin, aber auch, weil man im der Weite des mittleren Westens, den Great Plains, eher mit unterstützendem Rückenwind rechnen kann. (Was sich auf meiner Reise leider nicht bewahrheitete. Ich hatte an den 12 Tagen im östlichen Montana und in Nord Dakota nur an einem Tag Rückenwind; sonst kam der Wind immer aus östlicher Richtung.)
Start also in Vancouver, dann über Vancouver Island nach Anacortes, WA, zum Startpunkt der Northern Tier-Route; auf der durch den Norden von Washington mit den Pässen in der Northern Cascades; durch Idaho nach Montana; dort zunächst südöstlich über Missoula zu den Rocky Mountains, an denen entlang nach Norden zum Glacier Nationalpark; dort über die kontinentale Wasserscheide zu den Great Plains im östlichen Montana und in Nord Dakota; danach diagonal durch den Norden von Minnesota zum Lake Superior; dann nördlich der Großen Seen durch Ontario(Kanada) bis zum Ottawa-River (Grenze zu Quebec); dann südöstlich und über den St. Lorenz-Strom ins nördliche New York; dort durch die Adirondacks nach Süden und dann durch die nördlichen Neuenglandstaaten Vermont (mit Green Mountains), New Hampshire (White Mountains) und Maine. Dort in nordöstlicher Richtung wieder nach Kanada; durch die maritimen Provinzen New Brunswick, Prince Edward Island (PEI) nach Nova Scotia mit Halifax als Endpunkt der Radreise.

Die Highlights (aus meiner Sicht)

Die Fahrt über die Pässe der Northern Cascades

Sehr gute Straßen mit wenig Verkehr, langgezogene gemäßigte Anstiege, herrliche Abfahrten,

Etappen von Missoula zum Glacier Nationalpark

Entlang einer Kette von Seen eingerahmt von den schneebedeckten Gipfeln der Rocky Mountains Hauptkette im Osten und der Mission Range im Westen

Der Glacier Nationalpark an der Grenze zu Alberta/Kanada

Eindrucksvolle Hochgebirgslandschaft mit anspruchsvoller Bergstraße (Going-to-the-Sun-Road)

Die Fahrt über die Great Plains

11-12 Radfahrtage in der Prairie, eintönig eindrucksvolle Landschaft; zahlreiche Begegnungen mit netten Menschen (andere Radfahrer, motorisierte Biker, Trucker und natürlich Einheimische)

Lake Itasca-National Park im nördlichen Minnesota

Der interessante Ursprung des Mississippi

Fahrt durch die Gebirge in den östlichen USA

Adirondacks in New York; Green Mountains in Vermont und White Mountains in New Hampshire
wunderschöne Berglandschaften mit hübschen Dörfern und Städtchen, teilweise sehr anstrengende Steigungen und herrliche Abfahrten, die interessanten „covered bridges“,
nette Begegnungen mit und Einladungen von Einheimischen

Ausrüstung

Für die Reise hatte ich mir schon frühzeitig ein relativ leichtes, aber stabiles 28“-Langstreckenfahrrad zusammengebaut und auf einer Tour zum Nordkapp im Sommer 2009 erfolgreich getestet. Von den Halbtagesetappen abgesehen habe ich täglich 7 bis 10 Stunden beschwerdefrei im Sattel gesessen.
Da ich überwiegend auf Campgrounds übernachten wollte, hatte ich eine komplette Zeltausrüstung dabei, die ich zum Teil erst in Vancouver komplettiert habe. Insgesamt wog meine Ausrüstung rund 25 kg.

Von einigen Reifenpannen abgesehen hatte ich unterwegs keine Probleme! Es fielen keinerlei Reparaturen an, und es mussten auch - für mich unerwartet – keine Verschleißteile, z.B. Reifen, Kette, erneuert werden.


Übernachtungen

Wie schon er erwähnt, wollte ich überwiegend im Zelt übernachten. Zu etwa drei Vierteln kam es auch dazu; überwiegend auf Campgrounds, aber auch einige Male nach Einladungen auf privaten Grundstücken. Am Startort Vancouver und am Zielort Halifax hatte ich frühzeitig Übernachtungen in Hostels gebucht, ebenso in Charlottetown auf PEI in den Tagen, als der Tornado an der Ostküste entlang zog. Zwischendurch bin ich dann etwa wöchentlich einmal in Motels abgestiegen.


Link zu den Fotos: www.picasaweb.google.de/elrayno/nordamerika2011
Link zur exakten Route: http://www.gpsies.com/map.do?fileId=tonftiavcsxyesab
von: ro-77654

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 20.02.12 18:30

Hallo Lothar!
Gerade musste ich schmunzeln: Mittags stell ich meine Fahrt ins Forum - "unten" von West nach Ost durch die USA - nun du deine "oben" entlang.
Wenn die langen Berichte schon fertig sind, veröffentliche sie doch hier. Es kann ja jeder entscheiden, ob er die Kurz- oder Langversion lesen möchte.

PS: starke Tagesleistung!
von: Juergen

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 20.02.12 19:11

In Antwort auf: rayno
Wenn dann größeres Interesse am vollständigen Bericht deutlich wird, bin ich gerne bereit, die ausführliche Fassung in Teilen (es sind acht) hier nach und nach einzustellen.

Hallo Lothar,
nachdem ich mir nun alle Photos mit Fern-Weh angeschaut habe, möchte ich auch die Geschichten dazu lesen. Bitte schreib weiter, ich finde deine Leistung einfach sensationell. Nein, die Storys durfen nicht im Outlook Ordner vergammeln. schmunzel

Lieben Gruss
Jürgen
der gerade von Vancouver - Toronto von vor 22 Jahren träumt verliebt
von: rayno

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 21.02.12 08:21

Also dann:

Teil 1

Vancouver und durch Washington und Idaho nach Montana

Route: http://www.gpsies.com/map.do?fileId=uwyphzjhmkgjbxfi

In Vancouver pünktlich mit AirBerlin angekommen, begab ich mich gleich zu dem schon Monate zuvor gebuchten Hostel. Das liest sich einfacher als getan. Mit dem Rad vom Airport ins Zentrum zu gelangen, ist nämlich gar nicht so einfach. Mit den Hinweisen anderer Radler habe ich das Hostel dann aber recht schnell gefunden. Auf dem Weg dahin war ich auch noch bei MEC, um meine Ausrüstung zu vervollständigen. Einen neuen Helm brauchte ich, außerdem auch noch das MSR Hubba Hubba, da ich für die amerikanischen Zeltplätze mit ihrem oft harten Untergrund ein Zelt mitnehmen wollte, das auch ohne Häringe aufgestellt werden kann. Einiges an Kleinkram kam dann noch hinzu.

Den nächsten Tag, Donnerstag, 23.06, verbrachte ich mit einer Rundfahrt um und durch den Stanley-Park, sowie mit weiteren Erkundungen im Zentrum von Vancouver.

Am Freitag ging es dann mit dem Rad los. Wieder vom Zentrum am Airport vorbei weiter zum Fährterminal Tsawwassen; und das mit Hindernissen. Einmal musste ich ein kräftiges Gewitter in einer Straßenunterführung abwarten; dann auf den Shuttle durch den Tunnel unter dem Frazer-River warten, schließlich habe ich mich auch noch verfahren, sodass ich eine spätere Fähre nach Vancouver Island (Swartz Bay) nehmen musste. Von Swartz Bay ging es dann mit einem kleinen Umweg weiter zum Fährterminal in Sidney, zur Fähre nach Anacortes. Bis zu deren Abfahrt hatte ich noch reichlich Zeit und verbrachte sie in dem hübschen Ferienort Sidney. Um auf die US- Fähre zu kommen, musste ich mich der üblichen Einreiseprozedur mit Fingerabdrücken etc. unterziehen. Die Fahrt durch die Inselwelt im Pugetsund dauerte mit drei Stunden recht lange, war aber dennoch wegen der schönen und immer wechselnden Aussichten recht kurzweilig.

In Anacortes angekommen, war es inzwischen recht spät am Abend. Auch hier wollte die US-Einwanderungsbehörde noch einmal wissen, was ich hier eigentlich wollte. Zudem monierte die strenge Beamtin meinen mit Ductape geflickten Deckel der Lenkertasche. Ich musste das Klebeband teilweise entfernen; weiß der Himmel, was sie dahinter vermutet haben mag. Sie ließ mich dann aber endlich doch auf' das US-Festland, wo ich die nächste Campmöglichkeit, den Washington-Park in Anacortes ansteuerte. Der war nicht weit vom Terminal entfernt. Schon im Dunkeln baute ich mein neues Zelt auf, was überraschend schnell und einfach vonstatten ging. Ich schlief auch recht gut; etwas störend war jedoch der von den anderen Zeltplätzen ausgehende Geruch nach brennendem Holz. Ami-Camper müssen offensichtlich immer Feuer machen, auch wenn sie in ihren RV´s alles an Bord haben. Zu jedem Zelt- bzw. Stellplatz gehört eine Feuerstelle, und das Feuerholz wird immer gleich mit angeboten.

In Anacortes sollte also meine Reise auf der Northern Tier – Route von ACA (Adventure Cycling Association) richtig losgehen. Vom Washingtonpark fuhr ich am nächsten Morgen gleich in die Stadt, um Einkäufe zu tätigen und mich mit US-$ einzudecken. Da der Einstieg in die Radroute am Ende des großen Parkplatzes vor dem Safeway lag, machte ist dort erst mal einen Stopp, um einige Dinge einzukaufen. Zuvor allerdings gönnte ich mir im benachbarten Starbucks einen großen Milchkaffee sowie einige Donuts. Ich nutze die Pause auch dazu, die schon in Deutschland gekaufte Cellion-SIM-Karte in mein Nokia einzusetzen und die erste ACA-Radkarte zu studieren.
Ich hielt auch Ausschau nach anderen Radlern, dachte ich doch, dass sich am Einstiegspunkt in die NT-Radroute auch noch Andere auf den langen Weg begeben würden. Leider vergeblich. Als ich vor dem Einkaufscenter die eingekauften Sachen in meiner Küchentasche verstaute, kam ein Auto mit Schwung auf mich zugefahren, ein junger Mann sprang heraus. Ich war erschrocken und dachte, etwas Unrechtes gemacht zu haben. Er wollte aber nur ein Foto von meinem Fahrrad machen. Für seinen Vater, wie er sagte; der habe auch einen LHT, aber nur einen von der Stange und nicht mit den edleren Komponenten, mit denen ich mein Bike ausgestattet hatte. Es sollte nicht das einzige Mal bleiben, dass ich auf mein Rad angesprochen wurde. Und man war immer sehr überrascht, wenn ich sagte, dass ein Surly-LHT in Deutschland ein durchaus gängiges Reiserad ist.

Nach einigen Suchen fand ich dann den Einstieg in die Radroute, die mich durch ein Gewerbegebiet aus dem weitläufigen Anacortes herausführen sollte. Sie verlief abseits der Hauptstraße in Ufernähe an der Fidalgo Bay in süd-östlicher Richtung. Als ich aus dem bebauten Gebiet in freiere Natur kam, merkte ich, dass die Radroute über eine aufgelassene Bahntrasse ging, die sich immer mehr dem Ufer näherte und schließlich auf einem Damm verlief, welcher in spitzem Winkel auf die Bay hinausging. Zu beiden Seiten hatte ich jetzt Wasser, und nach etwa einer knappen Meile wurde aus dem Damm ein auf Stelzen aufgebauter Bohlenweg. Der war noch recht neu und wurde auch von anderen Radfahrer und vor allem Joggern frequentiert. An der anderen Seite der Fidalgo Bay ging es erst auf einer Nebenstraße zum nahen Highway 20. Auf dem musste ich etliche Meilen nach Westen fahren, weil man nur auf dem die beiden Mündungsarme des Swinomish River überqueren konnte. Es war für mich sehr ungewohnt, auf einem autobahnartig ausgebauten vierspurigen Highway mit dem Rad zu fahren. Zum Glück hatte der Highway einen sehr breiten Seitenstreifen, auf dem man in sicherem Abstand von dem recht starken Verkehr radeln konnte. Kurz nach Überquerung des zweiten Flussarmes musste ich vom Highway auf eine Nebenstraße abbiegen.
Dazu musste ich die beiden Fahrbahnen überqueren und mich auf der linken Abbiegespur vor der Ampel einordnen. Bei dem starken Verkehr dauerte das eine ganze Zeit. Als ich mich endlich ganz links eingeordnet hatte, stand ich bald am Kopf einer immer länger werdenden Schlange von Trucks, Vans und Pickups, die alle auch abbiegen wollten.

Ich war froh, als ich das geschafft hatte und auf einer ruhigen Nebenstraße jetzt am Ostufer der Padilla Bay nach Norden fahren konnte. Die Straße führte durch eine Marschlandschaft. Nach wenigen Meilen sollte ich nach der Routenbeschreibung von dieser auf einen geschotterten Weg durch die dicht mit Schilf bewachsene Uferlandschaft abbiegen. Auf diesem Wanderweg waren in Abständen Rastplätze mit Info-Tafeln, auf denen die dort beheimateten Vogelarten beschrieben waren. Im Gelände sah man dann auch Leute mit Fotoausrüstung herumlaufen; offensichtlich handelte es sich um ein bei Birdspottern beliebtes Wandergebiet.

Nach einigen Meilen führte der Wanderweg wieder zur Straße zurück. In der ersten Ortschaft Bay View musste ich nach rechts, also nach Osten abbiegen. Ich fand auch gleich die Josh Wilson Rd., auf der ich die Küste also verlassen sollte. Inzwischen hatte ich mich auch schon ganz gut auf die Orientierung mit Hilfe der ACA-Radkarte eingestellt. In den USA fehlen an Kreuzungen und Abbiegungen zumeist Wegweiser, an denen man sich orientieren kann. Dafür stehen überall die Straßennamen. Man ist also auf eine detaillierte Karte ( oder ein GPS-System) angewiesen.

Ich war also jetzt endlich auf dem Weg vom Pazifik zum Atlantik im noch ganz fernen Osten.
Die ACA-Route führte mich dann in einem nach Norden verlaufenden Bogen um das Ballungsgebiet der beiden Städte Burlington und Sterling. Das Gelände war fast eben und zum großen Teil landwirtschaftlich genutzt. Etwas überrascht war ich davon, dass es sich um eher kleine Farmen handelte, überwiegend Milchwirtschaft. In einem Waldgelände machte ich eine kurze Rast und probierte zum ersten Mal in den USA mein Mobiltelefon, in dem ich ja jetzt die amerikanische SIM-Karte hatte. Es klappte auf Anhieb.

Als Ziel meiner ersten US-Etappe hatte ich Rockport ausgesucht. Nach der nördlichen Umgehung von Burlington und Sterling ging es in süd-östlicher Richtung nach Sedro Woolley. Jetzt nicht um den Ort herum, sondern mitten hindurch. Das war aber unproblematisch. Der Ort war (oder ist immer noch?) wohl ein Zentrum der Holzindustrie. An der zu überquerenden Bahnstrecke war ein kleines Museum, das an die wohl besseren Zeiten der Holzwirtschaft erinnerte. Das Ortszentrum bestand aus der typisch-amerikanischen breiten Straße mit den üblichen Geschäften und sonstigen Etablissements auf beiden Seiten; und natürlich den auf beiden Straßenseiten in Quer-Richtung geparkten Vans und Pickups. Von der Ortsmitte führte mich die Radkarte vom Highway 20 nach Süden über den Skagit River auf die am südlichen Flussufer verlaufende Nebenstraße. Durch dichten Mischwald ging es immer am Skagit entlang nach Osten. Ich war bis zur nächsten Ortschaft praktisch allein unterwegs. Und das war ein ganzes Stück, nämlich 26 Meilen. Dann ging es über den Skagit wieder zurück zur Hauptstraße, dem Highway 20. Als ich auf diesen einbog, sah ich etwas, was ich in etlichen Reisebeschreibungen auf Fotos gesehen hatte, die alten Zementsilos von Concrete. Der kleine Ort erhielt seinen heutigen Namen, als 1905 die Portland Cement Company in der damaligen Ortschaft Baker ein großes Zementwerk errichtet hatte. Heute erinnert nur die Ruine der großen Silos an diese Epoche.

Von Concrete, wo ich gegenüber den alten Silos an einer Gasstation Mittagspause gemacht hatte, ging es weiter den Skagit entlang, jetzt auf der Hauptstraße, nach Rockport, wo ich im Howard Miller Steelhead Park auf dem Campground einen wunderschönen Platz für mein Zelt in einem für Hiker/Biker reservierten Teil des großzügigen Parkgeländes fand. Dort waren schon drei kleine Zelte aufgebaut, auch sah ich drei abgestellte Reiseräder und bald auch drei junge Burschen, die sich dort niedergelassen hatten. Es waren Studenten, die in den Sommerferien auf einer Radtour vom heimischen Seattle nach New York unterwegs waren. Sie waren also für die nächsten Wochen auf derselben Route; dennoch habe ich sie nicht wieder gesehen.

Als ich nach dem Zeltaufbau duschen wollte, hatte ich ein kleines Problem. Der noch ganz neue Münzautomat wollte entweder mit einer 1 Dollar-Münze oder mit 4 Quarters (=25 Cent-Münzen) gefüttert werden. Ich hatte nur eine einzige 1 Dollar-Münze, und zwar eine, die offensichtlich frisch aus der Münzprägeanstalt in den Verkehr gekommen war. Der Automat warf sie aber immer wieder aus. Ich ging dann zum Haus des Parkwärters, um die Dollarmünze in Quarters einzuwechseln.
Der Mann schaute sich die Münze, offensichtlich überrascht, sehr aufmerksam an und rief dann seine Frau aus dem Haus zu sich und zeigte ihr die Münze. Er erklärte, dass er eine solche Münze zum ersten Mal in der Hand halte und dass es die erst seit Kurzem gäbe.
Ich hätte die Münze behalten sollen; sie scheinen eine Rarität zu sein, denn ich habe in der ganzen Zeit, die ich in den USA verweilte, keine zweite gesehen.

Die nächste Etappe ging von Rockport zum Tagesziel Diablo; zunächst weiter entlang dem Skagit River, der sich durch ein zunehmend enger werdendes Tal schlängelte. Die Straße ging mit leichter Steigung das Tal hinauf; die umliegenden Berge erreichten hier schon über 2 000m Höhe und hatten schneebedeckte Spitzen. Nach 12 Meilen erreichte ich Marblemount, wo auf einem Schild darauf hingewiesen wurde, dass hier die letzte Versorgungsmöglichkeit für die kommenden rund 70 Meilen sei. Ich machte bei einer Pause gerne davon Gebrauch.
Bis zum Diablo Lake, wo ich auf dem Colonial Campground übernachten wollte, war es dann noch ein langer Weg. Die Straße ging mit zunehmender Steigung das enge Tal hinauf; der Skagit, dessen Verlauf sie immer noch folgte, verschwand stellenweise aus dem Blickfeld, auch war ein erster Tunnel zu durchfahren. Vorbei ging es auch an einem Wasserkraftwerk in Newhalem, welches nach der Info-Tafel die Stadt Seattle mit Strom versorgt. Endlich erreichte ich den Diablo Damm und bog von der Straße zum Campground ab.

Nach einer ruhigen Nacht, in der ich nur von einigen Eichhörnchen gestört wurde, die sich an meinen in einer Netztasche im Vorzelt untergebrachten Essensvorräten zu schaffen machten, ging es dann am nächsten Morgen richtig zur Sache; der erste Pass der Northern Cascades, der Rainy Pass 1480 m, war anzugehen. Gut 30 Meilen ging es mit gleichmäßiger Steigung auf breiter Straße hinauf. Nach nur kurzer Abfahrt ging es gleich zum nächsten Pass, dem Washington Pass, der mit 1669 m so viel höher ist, dass dort noch Schnee lag. Nicht auf der Straße natürlich, sondern im Gelände; und teilweise meterhohe Schneewälle an den Rändern. Es war aber weiterhin sonnig und warm. Da nach dem Pass eine sehr lange und steile Abfahrt kam, zog ich mir beim kurzen Halt auf der Passhöhe eine Windstopper-Weste über das kurzärmelige Trikot. Dann kam eine wunderschöne, 12 Meilen lange Abfahrt , die ich bei der gut ausgebauten Straße in hohem Tempo angehen konnte. Ich kam nach Mazama, wo ich in einem urigen Country Store eine längere Pause machte. Es gab z.B. auch frisch gebackenes Brot und natürlich Bier. Einige Meilen weiter dann übernachtete ich auf kleinem C-Platz „nur für Biker“; ich war einziger Gast, und hatte eine interessante Unterhaltung mit dem Besitzer!

Am nächsten Morgen war es nur ein kurzer Weg zur nächsten Ortschaft Winthrop; einer kleinen Stadt, wie man sie aus Western-Filmen kennt. Mit einem großen Becher Kaffee saß ich einige Zeit auf der Veranda eines Western Saloons und beobachtete den durchfahrenden Verkehr, der neben den allerorts zu sehenden großen Pickups aus riesigen Lumber Trucks bestand, die sich durch die enge Ortsdurchfahrt schlängelten.

Auch an diesem Tag stand wieder eine Pass auf dem Programm, der Loup Loup Pass. Der Anstieg war recht kurz und nicht besonders beschwerlich; die Abfahrt dafür recht lang und steil.
Jetzt, hinter den Pässen der Northern Cascades hatte die Landschaft ein ganz anderes Gesicht. Der dichte Wald war einer offenen Landschaft gewichen. Auch war es nicht mehr so grün; offensichtlich herrscht hier ein trockeneres Klima.

Hier traf ich Tom aus Boston, 56 Jahre, gerade aus der US-Airforce verabschiedet. Er hatte einen Platten am Hinterrad behoben und dazu das Rad auf den Kopf gestellt. Verzweifelt versuchte er, die Kette wieder aufzulegen. Er hatte in seiner Not schon nach dem Sherriff um Hilfe gerufen, der ihm aber auch nicht helfen konnte. Ich stellte das Rad wieder auf die Räder, und mit leichter Nachhilfe ließ sich die verwickelte Kette wieder entwirren und auflegen, sodass man das Hinterrad einsetzen konnte. Zusammen fuhren wir dann nach Okanogan, wo wir in einem Bikeshop Stopp machten. Tom kaufte einen neuen Schlauch; ich sah mich im Shop um und nachdem ich dem Inhaber erzählt hatte, dass ich in einem Fahrradgeschäft aufgewachsen bin, hatte eine interessante Unterhaltung mit ihm. Anschließend fuhren wir die wenigen Meilen weiter nach Omak; dort bauten wir in einem riesigen Sportgelände unsere Zelte aus. Dort hatte sich schon ein anderer Radreisender, Henk aus Holland – 70 Jahre, aus Alkmaar – häuslich eingerichtet. Er war am Vortag ein Teilstück mit Tom zusammen unterwegs gewesen und Tom hatte sich mit ihm hier in Omak verabredet.

In der Nacht plötzlich heftiger „Regen“! Er kam aus der auf dem gesamten Gelände installierten Sprinkleranlage; am nächsten Morgen gab es eine Entschuldigung vom zuständigen Mann der örtlichen Verwaltung und die Rückzahlung der 15 $ Übernachtungsgebühr. Mein Hubba Hubba hat die „Regenprobe“ bestanden.

Am nächsten Tag, Mi. 29.06., ging es zu Dritt weiter nach Wauconda. Vor der Passhöhe wurde auf einem einfachen Campground gezeltet. In der nahe gelegenen Gasstation mit Shop/Restaurant haben wir bei reichlich Bier gut gespeist.

Nach der ACA-Karte sollte es dann auf der NT-Route weitergehen über den Sherman-Pass, den letzten Pass westlich der Rocky Mountains. Im Wauconda-Restaurant hatte ein einheimischer Radsportler einen Flyer hinterlegt, in dem eine alternative Route, empfohlen wurde, Die war zwar etwas länger, sollte aber geringere Steigungen aufweisen als die Route über den Sherman-Pass. Tom wollte unbedingt diese Alternative nehmen; er hatte eine für mich nicht nachvollziehbare Abneigung gegen einen weiteren hohen Pass; vier Pässe seien vorerst genug, meinte er. Nachdem sich auch Henk für die alternative Route ausgesprochen hatte, schloss ich mich dem an. Die neue Route führte von Wauconda erst ein Stück nach Norden in die Nähe der kanadischen Grenze. Es war eine landschaftlich sehr schöne Strecke, auf der wir in Curlew eine Mittagsrast einlegten. In dem Restaurant an einer Straßenkreuzung, von der es zur Grenze ging, kamen wir ins Gespräch mit einem Paar aus dem nahen BC, das uns einen weiteren Umweg über Kanada empfahl. Wir folgten auch dieser Empfehlung und fuhren in Danville über die Grenze nach Alberta und nach gut 20 km in BC in Laurien wieder zurück in die USA. Von der Grenze an fuhren wir entlang dem Kettle River nach Kettle Falls. Dort fanden wir einen einfachen und billigen (5 $) C-Platz.

Jetzt wieder auf der NT-Route ging es am Freitag, 01.07., weiter nach Colville. Dort ging uns Henk verloren; er musste zum Optiker, Tom zu einer Fahrradwerkstadt, ich zu einem Sportgeschäft, um eine Short zu kaufen. Am Ortsausgang Richtung Ione wollten wir uns wieder treffen. Tom habe ich getroffen; zusammen sind wir nach einer langen Tagesetappe in einem Motel in Ione abgestiegen, aber nach Henk hatten wir den ganzen Tag vergeblich Ausschau gehalten.

Sehr früher Start am Samstag; in Usk fand ich in einer Tankstelle eine Nachricht von Henk, ihn selbst haben wir aber nicht wieder getroffen. Mit Tom ging es über die Grenze nach Idaho mit dem Ziel Sandpoint. Auf dem Weg dahin stießen wir auf ein Paar auf seinem Ausflug mit Moutainbikes. Die beiden luden uns ein, bei ihnen im Garten zu zelten. Wir nahmen die Einladung gerne an. Auch die zum gemeinsamen Abendessen und zum Frühstück am nächsten Morgen.

An dem ging es zunächst nach Sandpoint, der einzigen größeren Stadt in diesem nördlichen Teil von Idaho. Nach einem kurzen Stopp in einem Fahrradgeschäft ging es weiter zur nahen Grenze zu Montana. Das nördliche Idaho war also schnell durchradelt; kein Wunder, es besteht hier auch nur aus einem schmalen Schlauch, dem sog. Panhandle.

Nach dem Grenzübergang fanden wir nach kurzer Fahrt auf der ruhigen Straße durch schöne Berglandschaft einen schönen Zeltplatz in Noxon, wo sich unsere Routen trennten; Tom fuhr weiter auf der Northern Tier-Route nach Norden (Libby), ich abweichend davon nach Südosten auf dem Hw 200 mit dem Ziel Missoula.


Montag, 04. Juli, Independence Day!, Ich war wieder allein unterwegs. Auf dem Highway 200 ging es durch das weite und offene Tal des Clark Fork nach Südosten. Über Trout Creek und Thompson Falls kam ich am späten Nachmittag nach Plains. Da es sehr heiß war, entschloss ich mich, nicht noch weiter zu fahren, sondern hier Station zu machen. Nach der Karte gab es in Plains keinen Campground; also suchte ich nach einem Motel. Am südlichen Ortsausgang fand ich auch eines, offensichtlich das einzige. Als ich nach einem Zimmer fragte, erhielt ich von dem perfekt bayerisch sprechenden Manager nur als Antwort „Independence Day! will heißen, alles voll oder „no vacancy“. Er sagte dann aber in seinem bayerisch, das er in über 20 Jahren bei der Army in Bayern gelernt hatte, warte mal!“ und griff zum Telefon. Nach kurzer Unterhaltung mit einen offensichtlich guten Bekannten, nahm er einen Zettel und malte eine Streckenbeschreibung zum Fairground auf der anderen Seite des Clark Fork River. Dort sollte ich zelten können.

Schnell hatte ich den Fairground gefunden; schon auf dem Weg zum Motel hatte ich das große Hinweisschild gesehen. Am Eingang zum Gelände wurde ich gleich von einem älteren Mann in Empfang genommen, der mich mit seinem Elektrokart durch das riesige Gelände zu einer großen frisch gemähten Grasfläche bugsierte. In der Mitte war ein großes Sanitärgebäude, das eigens für mich aufgeschlossen wurde. Ich baute mein Zelt auf und blieb die ganze Nacht über allein auf dem Gelände.

Am Dienstag ging es dann nach Missoula! Die Fahrt ging durch eine wunderschöne Berglandschaft mit verstreut liegenden Farmen. Die letzten Meilen von Ravalli waren recht nervig und anstrengend. In Missoula fand gleich ein einfaches und preiswertes Motel. Obwohl ich an diesem Tag bereits 126 km gefahren war, war erst früher Nachmittag. Ich machte mich daher nach der Einquartierung gleich auf und fuhr mit dem jetzt unbeladenen Rad weiter ins Stadtzentrum, wo ich schnell die Zentrale von ACA fand, welche in einem noch relativ neuen Gebäude untergebracht ist, das ursprünglich als Kirche gebaut und auch eine Zeit lang genutzt worden ist. Den Rest des Nachmittags hielt ich mich dort auf, nutzte die Bibliothek und hatte interessante Unterhaltungen mit den Mitarbeitern und den anderen Radreisenden, die dort ein- und ausgingen. Auch kaufte ich in dem kleinen, aber gut sortierten Shop eine neue Lenkertasche, deren Adapter ich gleich vor Ort am Lenker meines LHT montierte.

Am nächsten Morgen kam ich auf meinem weiteren Weg wieder bei ACA vorbei und kehrte erneut ein, um den freien Internetzugang zu nutzen. Nach einigen Besorgungen in einem Supermarkt machte ich mich dann gegen Mittag auf den Weg in Richtung Rocky Mountains. Dazu musste ich wieder auf Highway 200 ein Stück weiter nach Osten in Richtung Great Falls fahren. Die ersten Meilen aus Missoula heraus auf einer Nebenstrecke, auf der ich nach 10-12 ml glaubte, mich verfahren zu haben. Ich fuhr folglich wieder zurück und nahm einen neuen Anlauf. Dabei stellte ich fest, dass ich doch auf dem richtigen Weg gewesen war; somit war ich gut 20 Meilen umsonst geradelt. Schon bald begann die Straße zunächst leicht, dann immer stärker anzusteigen. In der Ferne tauchte auch bald die Silhouette der Rocky Mountains mit den schneebedeckten Spitzen auf.

Da mein nächsten Ziel der Glacier National Park im Norden von Montana war, bog ich nach etwa 20 Meilen vom Hw 200 nach Norden auf Hw 83 ab und erreichte nach weiteren 15 mein nächstes Etappenziel Seeley Lake. Wie die Ortsnamen entlang dieser Strecke schon verraten, führt die Straße an einer Kette von kleinen und mittelgroßen Seen entlang. In Seeley Lake konnte ich hinter einem Motel in einem lichten Waldstück mein Zelt aufbauen und Dusche und Toilette im Motelgebäude nutzen. Zudem gab es dort Wasser aus Plastikflaschen, dann man sich aus einer mit Trockeneis gefüllten Box holen konnte, ohne dafür etwas zahlen zu müssen. Bier gab es leider nicht umsonst, aber im benachbarten Tankstellenshop zum üblichen Preis.

Weiter ging es am nächsten Morgen auf dem wunderschönen Hw 83. Zur Rechten immer im Blick der Rocky Mountains, zur Linken die Mission Range, jeweils mit schneebedeckten Gipfeln. Unterwegs begegnete ich einem Radler, der mit MTB und Hänger eigentlich auf der Continental-Divide-Route nach Süden wollte, aber wegen zu viel Schnee auf den tiefer gelegenen Highway ausweichen musste. Ich radelte auf fast ebener Straße durch ein weites Tal entlang einer Kette von Seen; auf beíden Seiten die schneebedeckten Dreitausender.

In Condon, auf etwa halber Strecke zum Tagesziel, sah ich ein Post Office. Spontan entschloss ich mich, anzuhalten und einige Teile meiner Ausrüstung, auf die ich nach den bisher gemachten Erfahrungen glaubte verzichten zu können, nach Hause zu schicken. Mit Hilfe der netten Dame im Post Office packte ich einige Sachen in einen mittelgroßen Karton und war ich anschließend mit 7 kg weniger unterwegs. Sicher nicht schlecht für die bald kommende Überquerung der Rocky Mountains.

Swan Lake war mein Tagesziel. Nach einigen Reiseberichten, die ich in „crazyguyonabike.com“ gelesen hatte, wusste ich, dass man hinter dem dortigen Trading Post sein Zelt aufstellen und übernachten konnte. Das tat ich dann auch; zuvor allerdings gönnte ich mir aber ein kühles Bier., denn er war wieder ein sehr heißer Tag. Mein Zelt war das Einzige auf dem weiträumigen bewaldeten Gelände, auf dem etliche Hütten standen, in denen vor allem Angler einquartiert waren, die im nahen See ihr Glück versuchten.

Schon früh am Abend kam das angekündigte Gewitter, von dem ich – vergeblich, wie sich später herausstellte - etwas Abkühlung in den folgenden Tagen erwartete.

Im Trading Post konnte ich die Zeit vor und nach dem Abendessen mit meinem Netbook verbringen. Hier klappte es endlich mit dem Internetzugang. Die in großer Zahl eingegangenen E-Mails wurden bearbeitet bzw. gelöscht; der Reisebericht konnte endlich in Angriff genommen werden.

Gegen Abend stellten sich immer mehr Gäste ein, und ich lauschte interessiert den Gesprächen, die sich vor allem um das Angeln im nahen See, aber auch um die in der Gegend immer häufiger herumstreunenden Schwarzbären drehten.

Die junge Frau, die im Laden und kleinen Cafe`-Restaurant bediente, war übrigens eine Lehrerin, die, wie sie erzählte, in der Ferienzeit kein Gehalt bekam und sich daher mit anderer Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen musste.

Fotos: www.picasaweb.google.de/elrayno/nordamerika2011
von: gustavson

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 21.02.12 08:28

bravo bravo

.... ich freu mich schon auf den nächsten Teil, hab gerade geöffnet und du gerade den Bericht eingestellt!
Bin mal gespannt wie es weitergeht, gleichzeitig möchte ich dir danken, das du den Bericht veröffentlichst.

mfg Gustavson
von: JohnyW

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 21.02.12 08:45

Hi,

In Antwort auf: rayno
eher mit unterstützendem Rückenwind rechnen kann. (Was sich auf meiner Reise leider nicht bewahrheitete. Ich hatte an den 12 Tagen im östlichen Montana und in Nord Dakota nur an einem Tag Rückenwind; sonst kam der Wind immer aus östlicher Richtung.)

Ach das war schon immer so: Wind ist unplanbar, daher sollte man diesen bei der Planung nicht berücksichtigen, hattest ja noch bessere Gründe

In Antwort auf: rayno
Von den Halbtagesetappen abgesehen habe ich täglich 7 bis 10 Stunden beschwerdefrei im Sattel gesessen.
tja, dann würde ich auf Halbtagesetappen verzichten grins
von: rayno

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 21.02.12 09:30

Danke Thomas! Dieser Lapsus war bisher noch niemand aufgefallen.
von: otti

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 21.02.12 12:41

Aber Lothar, tu doch nicht so. Dir geht es doch nur wirklich gut, wenn Du dem Rad sitzt. eigentlich dürftest Du gar nicht absteigen.
von: MapaMundi

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 21.02.12 13:32

Tolle Reise. Ich finds gut, auch so eine lange Reise allein zu machen, aber wo die "amerikanisch-kanadische Grenzlinie" ist, das musst du mir erklären!!
Liegt die in der Ecke der europäisch-französischen oder der asiatisch-chinesischen Grenze???
saludos
DonChori
von: ro-77654

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 21.02.12 13:42

Ich antworte mal stellvertretend für den Threadstarter oberlehrerhaft dem Herrn Oberlehrer:

Eine Grenze kann doch nicht in der Ecke liegen! Das muss "in der Gegend" oder "Region" heißen. Eine Ecke wäre nur ein Punkt, Grenzen sind Linien.

Dreifache Fragezeichen entsprechen nicht den Rechtschreibregeln!

-----------
Im Ernst: Der Verzicht auf "us" bzw. USA oder "Vereinigte Staaten von Amerika" und die Verwendung von "Amerika", "amerikanisch" und "Amerikaner" ist im Sprachgebrauch üblich, wenn einmal klar benannt wurde, dass es um die USA geht.
von: MapaMundi

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 21.02.12 14:02

Es geht dem Oberlehrer auch nicht darum, ob dabei Missverständnisse entstehen oder nicht, ich kann diese Art Ignoranz nicht leiden, mehr als 3/4 der Fläche und immerhin noch 2/3 der Bevölkerung dieses Kontinentes zu übergehen.
Wie gesagt hat das nichts mit dem Schreiber der tollen Reise zu tun, aber ich reagiere auf so etwas allergisch.
von: windundwetter

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 21.02.12 14:14

Prima, Lothar, ich freue mich auf die Fortsetzung. schmunzel

Ach ja, mich würde noch interessieren, aus welchem Grund Du Dich für die nördliche Vorbeifahrt an den großen Seen entschieden hast. Und vielleicht auch noch, wieso es generell eine so weit nördlich liegende Route geworden ist.
von: Thomas1976

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 21.02.12 14:15

Zitat:
Wie gesagt hat das nichts mit dem Schreiber der tollen Reise zu tun, aber ich reagiere auf so etwas allergisch.


Kannst Du den Oberlehrer bitte nicht in diesem tollen Reisebericht raushängen lassen böse
von: kettenraucher

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 21.02.12 14:30

Wow! Phänomenal und aus tausend Gründen absolut großartig.

Wie schön, dass Du uns die detaillierte Fassung gönnst.

Natürlich habe ich ein paar tausend Fragen. Will mich an dieser Stelle aber auf nur eine beschränken: War es OK alleine zu fahren oder hättest Du zwischendurch gern mal ´nen Kumpel dabei gehabt?
von: rayno

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 21.02.12 14:50

Zur "nördlichen Vorbeifahrt" äußere ich mich noch in einem späteren Teilbericht. Generell bin ich schon eine - nach meinen Vorlieben - südliche Route gefahren. Ursprunglich wollte ich noch viel weiter nördlich, alos nur in Kanada, den Kontinent durchqueren.
von: rayno

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 21.02.12 14:55

Für mich kann von vornherein nur eine Alleinfahrt in Betracht, vor allem bei einer so langen Reise. Das war auch auf den früheren Reisen so, schon zur Schülerzeit in den späten 50ern. Ich war aber nicht immer allein, sondern hatte zeitweise Begleiter, die auf derselben Route unterwegs waren. Das wird in den nächsten Teilen des Berichts auch noch deutlich.
von: rayno

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 21.02.12 15:09

@DonChori,
ich bin gerade von einem Spaziergang mit meinem Hund zurückgekommen und habe dabei zweimal die deutsch-holländische Grenze überquert; einmal hin und dann wieder zurück. Dabei gibt es garkeine gemeinsame Grenze zwischen Deutschland und Holland; dennoch spricht hier jeder davon, dass er eben nach Holland fährt, um Kaffee zu kaufen oder um Diesel tanken.
von: luckyloser

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 21.02.12 16:07

geniale Tour, wünderschöne Bilder! Ach! Muss gleich mal ne runde Träumen... unschuldig
Danke fürs Vorstellen!!
Magst du eine ungefähre Hausnummer nennen, was dich der Trip gekostet hat?
von: rayno

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 21.02.12 16:22

Bei der Planung stand meine Tour unter dem Motto "mit 70 in 70 Tagen 7000 km". Die 7000 km trafen dann tatsächlich nicht zu. Dafür könnte ich eine mit 7 beginnende glatte Zahl, aber mit einem anderen Bezug, nennen. Das lass ich aber lieber.
von: Pedalpetter

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 21.02.12 19:07

Hallo Lothar,

danke, dass Du doch einen Reisebericht einstellst. bravo
Ich freue mich schon auf die nächsten Teile.
(Auch, um einmal eine europäische Sicht der Northern Tier zu lesen)
Gruß
Volker
von: rayno

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 22.02.12 08:43

Teil 2

Über die Rocky Mountains

Es geht also weiter mit der Übernachtung im Zelt hinter dem Trading Post in Swan Lake.
In den Abendstunden gab es das angekündigte Gewitter. Im Zelt habe ich davon nicht allzu viel mitbekommen. Die Nacht verlief dann ruhig.
Am nächsten Morgen beim obligatorischen Kaffeetrinken, zu dem sich die Bewohner der Cabins und auch einige Männer, die in Cabins in der näheren Umgebung untergebracht waren, im Trading Post trafen, wurde ich von einer Frau mit der Frage angesprochen, ob ich keine Angst gehabt hätte. Wieso Angst? Und wovor? fragte ich zurück. Vor dem großen Schwarzbär, der sich in den frühen Morgenstunden durch das Gelände hinter dem Trading Post herumgetrieben habe, auch um mein grünes Zelt herum. Ich sage, dass ich davon nichts mitbekommen habe, weder was gehört, noch etwas gesehen. Wahrscheinlich hat der Bär mich nicht weiter belästigt, weil mein grünes Außenzelt – für Bären – immer noch entsetzlich nach Chemikalien stank. Dieser Geruch muss den für Bären anziehenden Geruch nach Essenswertem überdeckt haben, denn meine Küchentasche mit den Essensvorräten hatte ich unvorsichtigerweise im Zelt untergebracht. Mich hatte auch niemand gewarnt und auf den möglichen nächtlichen Besuch von Bären hingewiesen, obwohl die Gespräche unter den Einheimischen im Trading Post sich oft um die starke Zunahme der Schwarzbärenpopulation in der Gegend drehten.

Das war also meine erste Begegnung mit einem Bären; leider - oder soll ich besser sagen: Gott sei Dank! - habe ich davon nichts mitbekommen.

Die Weiterfahrt am nächsten Morgen, also am 08.07. verlief unspektakulär mit dem Tagesziel Glacier Park. Das letzte Stück dahin auf dem stark frequentierten Hw 2 war etwas nervig. Am Nachmittag erreichte ich dann endlich West Glacier. Als ich mich im Ort nach einer Einkaufmöglichkeit umsah, sah ich auf der anderen Straßenseite drei Radler, zwei davon mit bepackten Reiserädern. Beim Überqueren der breiten Straße erkannte ich zwei Bekannte, mit denen ich zusammen auf dem Campground Noxon eine Woche zuvor übernachtet hatte: das nette Paar aus Neuseeland.
Sie erzählten mir, dass die Going-to-the-Sun-Straße noch nicht geöffnet sei, man sie aber bis einige Meilen vor dem Logan Pass mit dem Rad befahren könne. Und als Tipp gaben sie mir mit, den langen Anstieg bis zur Loop mit den dauernd hin und herpendelnden Shuttlebussen zu machen.
Ich fuhr dann in den Park, zahlte die 12 $ Eintritt und baute mein Zelt im Campground Apgar auf.

Am nächsten Morgen dann in aller Frühe zum Startort der Shuttlebusse; übrigens Mercedes Sprinter mit Dodge-Aufmachung. Pro Bus können bis zu zwei Räder mitgenommen werden, und zwar auf an der Fahrzeugfront angebrachten Trägern. Die Auffahrt von 1 ½ Stunden Dauer kostete nichts; dieser Service war mit den 12 $ Eintrittsgebühr schon abgegolten.

Unterwegs im Shuttlebus dachte ich immer wieder, „gut dass du da nicht ganz mit dem Rad rauf musst“; denn die Auffahrt zunächst entlang dem Lake McDonald, dann durch den dichten Wald war erheblich länger als ich sie mir nach dem Kartenstudium vorgestellt hatte. Die Steigung nahm dabei erst oberhalb des McDonald merklich zu, sollte ab da aber konstant 6 % betragen, wie ich in einer Broschüre zum Glacier NP lesen konnte.
An der Loop, der großen Spitzkehre, die ich lange für die Passhöhe gehalten hatte, wurden alle Passagiere ausgeladen; neben mir als einzigem Radler noch ein halbes Dutzend Fußgänger. Alle machten sich daran, gleich Fotos von der beeindruckenden Bergwelt zu machen. Ich setzte mich aufs Rad und begann, die restlichen Meilen zum Logan Pass in Angriff zu nehmen, soweit die Straße für Fußgänger und Radfahrer befahren werden konnte. Ohne das sonst immer mitgeschleppte Gepäck fielen mir die 6 % Steigung, recht leicht; und ich überlegte immer, wie ich da mit der gesamten Ausrüstung hochgekommen wäre. Immer wieder hielt ich an, um weitere Fotos zu machen; so wie es auch die anderen Passanten taten. Etwa 3 Meilen nach der Loop war Schluss. Man sah vor sich in Richtung Passhöhe die Baustelle. Man war offensichtlich dabei, die talseitigen Befestigungen zu erneuern, eine Arbeit, die wohl in jedem Sommer vor der Eröffnung zu erledigen ist, in diesem Jahr sollte es wohl besonders gründlich geschehen.

Auch am Ende der Auffahrt, wo sich mit der Zeit etliche Personen, zumeist Fußgänger, nur zwei Radfahrer, eingefunden hatten, wurden eifrig Fotos gemacht. Ein Damenclub von der Ostküste interessierte sich auffällig für meinen LHT. Für mich schon überraschend, dass sich offensichtlich gutsituierte Damen zwischen 50 und 60 nach Details meines Surly.Bikes erkundigten. Eine der Damen erbot sich dann auch, Fotos von mir samt Rad zu machen.

Die Abfahrt machte ich dann natürlich ganz mit dem Rad. Wieder war ich überrascht, wie lang sie sich hinzog. Ich konnte sogar im unteren Teil die Sperrzeit für Radler (11 a.m. - 4 p.m.) nicht einhalten. Um 11.30 Uhr war ich immer noch in diesem Streckenbereich unterwegs. Aber ganz so eng sieht man das wohl nicht, denn aus dem Fahrzeug der Park Ranger wurde mir vom Beifahrer mehrmals fröhlich zugewunken.

Unten auf dem Campground in Apgar wieder eingetroffen, war zu entscheiden, was zu tun sei. Da es noch früh am Tag war, entschied ich mich zu sofortigem Aufbruch, so wie es auch die Neuseeländer tags zuvor gemacht hatten. Also zurück nach West Glacier und dann auf dem Hw 2 zum südlicher gelegenen und nicht so hohen Passübergang, Marias Pass. Für diesen Übergang über die Rockies hatten sich früher die Eisenbahnbauer entschieden. Die Straße, also Hw 2, folgt dieser Route. Ganz bis zum Pass schaffte ich es an diesem Tag nicht mehr, sondern machte etwa auf halber Strecke dahin Station, in Stanton, einer Kombination aus Restaurant und C-Platz. Frequentiert hauptsächlich von Anglern, die im nahe gelegenen See ihr Glück versuchten.

Nach sehr kalter Nacht ging es bei sehr frischen Temperaturen weiter. Gegen 12 Uhr war ich auf der Passhöhe; die Auffahrt war in der Tat nicht schwer. Oben kurzer Stopp mit Studium der Info-Tafeln zur Geschichte des Bahn- und Straßenbaus über die Rocky Mountains und der kontinentalen Wasserscheide.

Dann die schöne und lange Abfahrt. Wie beim Aufstieg von Westen war auch der Abstieg nach Osten recht gemächlich; man konnte das Rad einfach laufen lassen ohne bremsen zu müssen; die Eisenbahn musste den Übergang ja auch bewältigen können. Dass jene damit genug zu tun hatte, konnte man daran sehen, dass die langen Güterzüge nicht nur vorn die üblichen drei Dieselloks hatten, sondern auch hinten noch zwei. Manche sogar eine weitere Lok in der Mitte. Die Loks haben übrigens die Aufschrift BNSF, was bedeutet: Burlington Northern Santa Fe. Vor einiger Zeit ist offensichtlich eine Fusion der Burlington Northern mit der Santa Fe erfolgt. Einige Loks und vor allem Waggons tragen auch noch die alten Bezeichnungen, also nur BN oder Santa Fe.

Zu Ende ging die Abfahrt in East Glacier, wo ich kurzen Nachmittagshalt machte, dann aber noch ein Stück hinaus in die Prairie fuhr, und zwar bis Cut Bank. Auf dem Weg dahin hatte ich dann meine ersten Reifenpannen, zuerst hinten, dann schon in Sichtweite des Tagesziels auch noch vorne.
Davon ziemlich genervt, stieg ich in Cut Bank im erstbesten Motel ab, einem der Kette Super 8.
von: olafs-traveltip

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 22.02.12 14:18

Wer mehr zur BNSF erfahren möchte, finde es hier:
BNSF
von: rayno

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 22.02.12 16:29

Hier noch im Nachtrag die genaue Route zum Teil 2 des Reiseberichts:

http://www.gpsies.com/map.do?fileId=uuuefmemhnuiyqwp
von: luckyloser

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 24.02.12 17:50

Danke! grins
von: rayno

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 25.02.12 08:45

Und jetzt geht es über die Prairie:

Reisebericht Teil 3

Über die Prairie

Ja die Prairie; welche Vorstellungen verbinden sich damit: Hügelige, grasbewachsene Weite und – natürlich – Büffel. Letztere habe ich nicht gesehen. Dazu hätte ich in eines der Reservate fahren müssen, zu denen ich Wegweiser gesehen hatte. Grasbewachsene Weite: Ja , und natürlich auch Hügel, d.h. für Radfahrer recht knackige Steigungen. Die Prairie, die ich durchradelt habe, umfasst den östlichen (größeren) Teil Montanas von East Glacier bis östlich Culbertson; ca. 700 km, und Nord Dakota von westlich Williston bis zur Grenze zu Minnesota am Red River ca. 500 km; insgesamt also rund 1200 km.

Man ist mit dem Rad also schon etliche Tage unterwegs; und jeden Tag fast dasselbe Bild: Grüne, fast baumlose Weite, und jeden Tag die Eisenbahn. Ja, wenn die nicht wäre! Dann wäre es noch eintöniger als ohnehin schon. Aber gerade die Eintönigkeit ist es, die mich herausgefordert hat. Abwechslung in die Monotonie brachte in der Tat die Eisenbahn. Meine Route, der Hw2, verläuft entlang der Eisenbahntrasse, die in den 90ern des vorigen Jahrhunderts angelegt worden ist, und die den mittleren Westen mit Chicago, Minneapolis etc. mit dem Nordwesten der USA verbindet. Der Eisenbahnverkehr ist heute fast ausschließlich Güterverkehr. Kolossal beeindruckt war ich immer wieder von der Länge der Güterzüge. Es dauerte oft 15 bis 20 Minuten, bis ein in meiner Richtung fahrender Güterzug mich in voller Länge überholt hatte. Die Güterzüge kündigten sich immer mit einem Höllenlärm an. Kein Pfeifen, da Dieselloks, sondern ein Geräusch, das mich immer an Märchen erinnerte, in denen der Drachen aus seiner Höhle hervorkommt. Und ich fragte mich oft: Warum dieser Lärm? Es ist doch niemand da, der gewarnt werden müsste; zumeist jedenfalls.
Wenn die Straße besonders nahe an der Bahntrasse verlief, konnte man in der ersten Lok den Lokführer sehen und ihm zuwinken. Meistens bekam man auch eine Antwort, entweder ein Zurückwinken oder ein kurzer Stoß aus der Krachmaschine.

Bei der Fahrt über die Prairie wurden die Güterzüge von drei Loks gezogen, manche auch nur von zwei. Weiter im Westen, also im Gebirge kamen oft zwei Schiebeloks am Ende hinzu. Ein besonders langer Zug, der offensichtlich Kohle geladen hatte, hatte vorne vier Loks, hinten zwei und in der Mitte noch eine.

Personenverkehr findet auf der Strecke auch statt. Die Amtrak unterhält einen regelmäßigen Verkehr von Chicago/Minneapolis nach Seattle. Dreimal bekam ich einen dieser Amtraks zu sehen. Leider immer erst so spät, dass ich keine Fotos von den schnelleren und weniger Krach machenden Personenzügen schießen konnte, zumal sie auch immer in meiner Richtung unterwegs waren. Ich konnte nur den mir zuwinkenden Passagieren zurückwinken.

Die Güterzüge waren also die eine Abwechslung. Eine andere – weniger häufige – waren die Begegnungen mit anderen Radlern. Man sah sich schon von Weitem; und selbstverständlich hielt man an, um sich auszutauschen.
Eine Begegnung ist mir besonders in Erinnerung geblieben, weil ich mich immer wieder frage, wie es dem jungen Norweger wohl weiter ergangen ist. Aber der Reihe nach. Zunächst begegnete mir ein junger Amerikaner aus Connecticut, der gleich davon sprach, das bald noch ein Radler aus östlicher Richtung kommen würde. Er sei mit einem jungen Norweger einige Tage unterwegs gewesen, der aber an diesem Morgen wegen eines Problems an seinem Hinterrad in Havre erst zu einer Fahrradwerkstatt gefahren sei.
Etwa zwei Stunden später sah ich Torleif mir entgegenkommen. Ich sprach ihn auf Norwegisch an, bzw. was ich darunter verstand. Er war ganz aus dem Häuschen ob dieser Begrüßung und stellte sich als Torleif Markussen aus Tromsö vor. Auf sein Problem mit dem Hinterrad angesprochen zeigt er mir den Defekt an der Felge, den der Mechaniker in Havre leider nicht beheben konnte. Es handelte sich um einen Materialausbruch im Bereich eines Nippelsitzes. Ein mir bekanntes Problem, welches auftritt, wenn dem Einsatzzweck nicht entsprechendes Material verwendet wird. Hier handelte es sich darum, dass in einem sehr hochwertigen und entsprechend teuren Fahrrad Downhill-Systemlaufräder eingebaut waren, die für den Einsatz in Reiserädern nicht konzipiert sind. Der Mechaniker konnte lediglich die benachbarten Speichen etwa fester anziehen, um einen gewissen Ausgleich für die wegen des Materialbruchs ausgefallene Speiche zu erreichen.
Mir ist in den folgenden Tagen oft durch den Kopf gegangen, wie es Torleif wohl ergangen ist; ob er mit dem behelfsmäßig reparierten Hinterrad über die Prairie und die Rockies bis nach Whitefish gekommen ist, wo meines Wissens der nächste Bikeshop ist, der ihm mit einem neuen Hinterrad weiterhelfen könnte.

Was kann ich sonst über die Prairie berichten? Ich kann die Orte aufzählen, in denen ich Station gemacht habe. Das sind der Reihe nach: In Montana: Cut Bank, Chester, Havre, Malta, Glasgow, Culbertson. In Nord Dakota: Williston, Stanley, Minot, Rugby, Lakota, Cooperstown.
Die Aufzählung der Übernachtungsstationen zeigt schon an, dass man mit dem Rad etliche Tage braucht, um die rund 1200 km über die Great Plains zu schaffen. Dabei hatte ich auch noch das Pech, an fast allen Tagen nicht den erwarteten Rückenwind zu haben, sondern zumeist Gegenwind. Und in einer fast baumlosen Gegend ist der Wind für Radfahrer besonders deutlich spürbar; das im Negativen, aber auch im Positiven. Dennoch war die lange Fahrt über die Prairie für mich ein unvergessliches Erlebnis und einer der Höhepunkte meiner Reise.

Gab es besondere Vorkommnisse in der Prairie? Eigentlich nicht, wenn man von den Thunderstorms absieht, die sich regelmäßig nachmittags oder abends einstellten. Wohl eine Folge der hohen Tagestemperaturen. Mein Thermometer zeigt an den meisten Tagen schon ab 10 Uhr 30° C und mehr an. Ich habe mich gewundert, dass mir diese mir ungewohnte Hitze beim Radfahren wenig ausgemacht hat. Ich schreibe bewusst Thunderstorms und nicht Gewitter, weil sie mit meiner Vorstellung von Gewitter wenig gemein haben und die Betonung auf dem zweiten Teil des Wortes gelegt werden muss. Zum Glück konnte man sich immer rechtzeitig und verlässlich in den Raststätten über die Wetterlage informieren.

Auffällig freundlich und interessiert waren die Menschen, denen man unterwegs begegnet ist. Zumeist in den Raststätten, wo sich Einheimische mit Truckern und den wenigen Bikern bei Frühstück, Imbiss oder auch nur Kaffee treffen. Immer wurde man gefragt, woher und wohin und zum Schluss immer das „be carefull“.
Mit den Truckern hatte ich entgegen mancher Warnungen auch auf dem Highway keine Probleme. Sie waren mir gegenüber immer rücksichtsvoll und freundlich. Gefährliche Situationen habe ich selbst in der Erdölregion im westlichen Nord Dakota mit den oft in dichter Aufeinanderfolge fahrenden Tanklastern nicht erlebt.

Meine Fahrt über die Prairie endete mit einem Museumsbesuch in der Nähe von Cooperstown im Südosten von Nord Dakota. Weil ich einen kleinen Umweg machte, kam ich zufällig an einem großflächigen, flachen Gebäude vorbei, das sich nur durch unübersehbare Hinweisschilder als Museum zu erkennen gab. Worum geht es in dem Museum? Es geht um die neuere Geschichte, nicht nur der USA. Die Great Plains spielten (und spielen immer noch, wenn auch eine gewandelte) eine entscheidende Rolle im sogenannten Kalten Krieg. Als Standort der strategischen Interkontinentalraketen bildeten die Great Plains die Basis für das Raketenabschreckungssystem der USA, und damit des Westens, gegenüber der Sowjetunion. In den 70er und 80er Jahren wurden in Montana, Wyoming und eben Nord Dakota rund 1000 Minuteman-Raketen mit atomaren Sprengköpfen aufgestellt. Jeder Sprengkopf mit der 300fachen Wirkung der Hiroshima-Atombombe, wie bei der Museumsführung berichtet wurde. In Umsetzung des START-Abkommens haben die USA einen Teil dieser Raketen abgebaut, darunter die im Bereich Grand Forks im Osten von Nord Dakota.

Das Museum in Cooperstown war früher eine der Leitstellen der im Bereich Grand Forks installierten 150 Minuteman-Raketen. Von dieser Leitstelle wurden 15 Minutemans überwacht und wären im Ernstfall von hier gestartet worden. Die Raketen selbst waren im Abstand von etlichen Meilen an verschiedenen Standorten in Silos untergebracht. Auch von diesen Silos ist eines quasi als Außenstelle des Museums erhalten geblieben, natürlich ohne Inhalt, dafür umgeben von zahlreichen Schautafeln.

Die Anlage Cooperstown wurde nach dem Abbau der Minutemans von der US-Airforce dem damals gegründeten Museum unverändert überlassen. Oberirdisch sieht die Anlage aus wie ein normales Gewerbegebäude; die wichtigen Anlagen befinden sich Stahlkontainern 15 m unter der Erdoberfläche. Alle technischen Installationen sind noch erhalten. Auf meine Frage, ob man die Anlagen fotografieren darf, hieß es „selbstverständlich“. Ich wunderte mich ohnehin ein wenig, wie offen auch über die heute noch 450 intakten – und natürlich auf den aktuellen Stand der Technik weiterentwickelten – Raketen berichtet wurde. Die Museumsführerin zeigte zum Beispiel eine Karte, auf der nicht nur die inzwischen aufgelassenen Raketenstandorte eingezeichnet waren, sondern auch die Standorte der verbliebenen 450 Minutemans, nämlich in Montana, Wyoming und in Norddakota in der Gegend um Minot. Sie wies auch darauf hin, dass diese 450 Raketen nicht mehr einseitig auf das Gebiet der früheren Sowjetunion ausgerichtet seien, sondern auch und vor allem auf Ziele in anderen Regionen; und dass für jede einzelne Rakete täglich eine neue Zielprogrammierung erfolge. Ob man das als beruhigend empfindet, man jeder selbst beurteilen.

Für mich interessant auch, wie die im Originalzustand erhaltenen oberirdischen Anlagen, die Schlaf- und Aufenthaltsräume mit ihrem gesamten damaligen Inventar, wie Bücher, Zeitschriften, Radios, Fernseher, auch die Küche, die sanitären Anlagen (können von den Besuchern genutzt werden), welche nach relativ kurzer Zeit schon heute einen nostalgischen Charakter haben.

Route: http://www.gpsies.com/map.do?fileId=bvbqvcfcrzsjkktu

Fotos: : www.picasaweb.google.de/elrayno/nordamerika2011
von: SuseAnne

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 25.02.12 13:08

Hallo Lothar,

beeindruckende Reise, toller Reisebericht, einfach mal wieder Forumslektüre zum Verschlingen.

Guck mal: ist der hier Dein Norweger?

Suse
von: otti

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 25.02.12 14:44

Hallo Suse,

das muss er sein. Alle Angaben stimmen mit denen von Lothar überein. Er kann uns allerdings erst morgen antworten, weil er heute außer Haus ist.
von: rayno

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 26.02.12 10:12

Ja, das ist Torleif!
Hier ein Foto, das er von mir bei unserem Treffen gemacht hat.
von: vgXhc

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 28.02.12 13:45

Auch von mir noch ein Danke für den schönen Bericht und die schönen Bilder. Radfahren in den Green Mountains steht bei mir hoch auf der To-Do-Liste, aber mal schauen, ob es dieses Jahr noch klappt. Weit ist es ja nicht von Montreal aus.

Gruß,
Harald.
von: rayno

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 28.02.12 15:38

Auf den verlinkten Fotos aus Torleifs Blog bin ich auf dem Zweiten; auf dem Dritten ist Torleif selbst (von mir mit Torleifs Kamera gemacht); und auf dem Vierten sind die beiden Aussies Pat & Geoff, die ich einige Tage später an der Grenze zu Norddakota getroffen habe und mit denen ich dann - mit Unterbrechungen - etliche Tage in ND und Minnesota zusammen unterwegs war.

Meine Reise ging weiter nach..


Minnesota

Die Fahrt durch Minnesota wird mir nicht gerade als Highlight in Erinnerung bleiben. Sie begann schon mit einer langwierigen Suche nach einer Unterkunft, die schließlich in einem Hotel in Moorhead endete, einem Ort, den ich eigentlich gar nicht auf meiner Route hatte; und das nach 197 km. In meinem Notizblock habe ich diesen Tag als Horrortag vermerkt. Gestartet in Cooperstown, meiner letzten Station in Nord Dakota, fand ich im einzigen Motel meines eigentlichen Etappenziels Hillsboro (noch Nord Dakota) keine Unterkunft; der örtliche Citypark war nicht für Übernachtungsgäste bestimmt; er wurde um 10 p.m. geschlossen. Also fuhr ich weiter über die nahe Grenze nach Minnesota. Dort war überhaupt nichts zu finden; einfach keine Touristengegend und die „Städte“ haben Einwohnerzahlen von 100 bis 200. Daher also weiter entgegen meiner eigentlichen Fahrtrichtung zur nächsten größeren Stadt; und das war eben Moorhead. Dort fand im Travelodge eine angesichts des Gebotenen günstige Unterkunft.

In Moorhead war ich nun in der Südwestecke von Minnesota gelandet und meine Route sollte in die Nordostecke zum Lake Superior gehen. Also diagonal durch Minnesota.

Am nächsten Tag wollte ich in einem kleinen Städtchen namens Calloway im dortigen Citypark Station machen. Die Fahrt dahin verlief nach spätem Start recht angenehm. Nach der Wegbeschreibung in der ACA-Karte landete ich am südlichen Ortsrand von Calloway auf einem Sportgelände, auf dem auch zwei transportable Klos aufgestellt waren. Ich konnte aber weder eine Duschmöglichkeit, noch überhaupt eines Möglichkeit, Wasser zu zapfen, finden.
An das Sportgelände grenzten gleich die ersten Wohnhäuser des Ortes. Beim nächstgelegenen Haus saß ein etwas korpulenter Mann mittleren Alters unter einem Baum im Sessel. Unter Hinzeigen auf das Baseballgelände fragte ich ihn, ob das der örtliche Campground sei. Er sagte „ja“, und ergänzte „gestern waren zwei Radfahrer da. Da hinten hatten sie ihre Zelte.“ Und Wasser?, fragte ich zurück. „Wasser gibt es hier.“ war seine Antwort; „und Bier auch“ ergänzte er und reichte mir eine Dose Budlight, die er aus seinem neben ihm stehenden Kühlkasten genommen hatte. „ Und Duschen kannst du bei mir auch, und dein Zelt kannst du auch hier bei mir neben dem Haus aufstellen. Nebenan, auch in seinem Vorgarten, war seine Frau gerade dabei, den Grill mit leckeren Sachen zu befüllen. „Mit uns essen kannst du natürlich auch.“ Das war doch ein Angebot. Ich baute mein Zelt neben der Garage auf, ging duschen und nach dem leckeren Abendessen mit diversen Dosen Budlight habe ich wunderbar geschlafen.

Der nächste Tag, ein Sonntag, verlief weniger schön. Eigentlich hätte es eine angenehme Fahrt durch hügeliges Gelände werden können. Die Gegend wurde auch zunehmend waldreicher, die von Montana und Nord Dakota gewohnte Weizenmonokultur wich einer abwechslungsreicheren Mischkultur aus Wald, Wiese und Getreideanbau, wobei der Weizen zunehmend durch Mais abgelöst wurde. Wenn da nicht der Plattenteufel gewesen wäre!! Dreimal musste ich anhalten und den vorderen Schlauch wechseln bzw. flicken. Dann kam noch hinzu, dass es auf der gesamten Strecke über kleine Nebenstraßen keinerlei Versorgungsmöglichkeiten gab.

Ich landete schließlich, wie geplant, im Itasca State Park; ich wollte nämlich zum Ursprung des Mississippi. Den habe ich auch gefunden. Es handelt sich dabei um den Abfluss aus dem Lake Itasca, also keiner Quelle im üblichen Sinne. Ganz nett anzuschauen; für Kinder – große wie kleine – ein richtigen Planschbecken und ein schönes Gefühl, mitten im größten Strom Nordamerikas zu stehen.
Ärgerlich war nur, dass es auch hier im State Park außer den überall stehenden Getränkeautomaten keine Einkaufsmöglichkeiten gab. Und das einzige Restaurant, direkt am Mississippi Headwater, machte um 6 p.m. zu; und das an einem Sonntag in der Sommerhochsaison!
Ich verbrachte also die Nacht im Zelt auf dem mir zugewiesenen Stellplatz (20 $) mit knurrendem Magen.

Zeitig am nächsten Morgen verließ ich den State Park und – das musste ja nun kommen – gleich außerhalb befand sich eine Tankstelle mit dem dazugehörigen kleinen Laden samt Cafe. Wenigstens jetzt ein ordentliches Frühstück! Der nächste Tag war gerettet.

Das war er dann auch. Auch wenn ich eine Abzeigung verpasste und mit einem kleinen Umweg nach Bemidji kam. Dort habe ich mich ein wenig verfahren; nicht schlimm; ich landete im Universitätsgelände am See und wunderte mich über den für eine nach unseren Vorstellungen kleine Stadt (ca. 30 000 Einwohner) großen Komplex an Instituten, Gebäuden, Sportanlagen, die offensichtlich zur Minnesota State University, Standort Bemidji, gehörten.


Ich fand auch recht bald zur Route, jetzt wieder Hw 2, zurück. Mit Rückenwind und entsprechend flott ging es über Cass Lake nach Bena (nach Ortsschild 89 Einwohner). Kurz vor dem Ort wurde ich von Geoff und Patsy, den beiden Aussies, eingeholt. Zusammen bauten wir unsere Zelte auf dem kleinen Campground hinter einer Tankstelle auf. Mein bisher bester Übernachtungsort! Im Shop gab es nämlich nicht nur etwas zum Essen, sondern auch BIER!! Und zwar in Flaschen, wie ich sie in der Größe noch nie gesehen hatte, ca. 1 ½ Liter. Und billig dazu noch. Der Abend war gerettet. Und dann gesellte sich auch noch Helmut aus Vorarlberg hinzu. Er war im Mai in Alaska gestartet und will Anfang Dezember in Florida sein.

Am nächsten Morgen führen wir nacheinander, aber nicht zusammen, weiter auf Hw2 nach Osten; ich war der Letzte.
Bald aber traf ich die drei anderen wieder, nämlich in Grand Rapids. Hier trennten sich unsere Wege; Geoff und Patsy wollten auf der Northern Tier Route nach Südosten, ich eigentlich weiter auf dem Hw 2 nach Duluth. Wohin Helmut wollte, wusste ich bis dahin nicht. Im Gespräch stellte sich heraus, dass er nach Nordosten über Hibbing hinaus zu einem Ferienhaus im Norden Minnesotas wollte, wo er sich mit seinem Schwager, der am folgenden Tag aus Minneapolis kommen sollte, treffen wollte, um dort einige Tage zu verbringen. Da kam mir die Idee, mit ihm zu fahren und von Hibbing weiter über eine kleine Nebenstraße, die ich auf der Minnesota-Karte entdeckt hatte, zum Lake Superior zu kommen. So habe ich es dann auch getan. Wir verabschiedeten uns von den Aussies und führen also zunächst nach Hibbing, dem Geburtsort von Bob Dylan übrigens. Auf dem Weg dahin entdeckten wir einen markierten Radwanderweg, der in Teilstrecken auf einigen der vielen inzwischen stillgelegten Bahnstrecken verläuft. Hier im Nordosten Minnesotas ist nämlich ein altes Bergbaugebiet, wie man an den vielen inzwischen wieder bewachsenen Abraumhalden überall sehen konnte. Auf einer Schautafel wurde auch erklärt, woher die Name Hibbing kommt. Das Städchen im Zentrum des alten Bergbaugebietes wurde nach einem Deutschen benannt, der als Prospektor den großen Berg entdeckt hat, aus dem seit vielen Jahren Eisenerz und andere Metalle abgebaut werden, und das auch heute noch, wie man an den Haubenlastern, die ununterbrochen aus einem tiefen, riesigen Loch, das früher mal der Berg gewesen ist, Gestein nach oben karren. Auch sind längst nicht alle Bahnstrecken stillgelegt, wie man sehen und hören konnte.

Die Spuren, die der Bergbau in der Landschaft hinterlassen hat, die vielen großen und kleinen Seen und die hügelig/bergische Landschaft, erinnerten mich dann doch ein wenig an Schweden, wobei noch hinzukommt, dass auf den Briefkästen an den Hauseinfahrten oft schwedische Namen zu lesen sind.

In Hibbing hielten wir uns dann noch eine ganze Zeit in einem Museum auf, das ich dort nicht vermutet hatte; das Greyhound-Museum. In großen Hallen konnte man die ganze Palette der Greyhound-Busse sehen, die von dem Unternehmen in Nordamerika zum Einsatz gekommen sind.

Inzwischen war später Nachmittag, und ich machte mir langsam Gedanken, wo ich die kommende Nacht verbringen könnte. Von Campingplätzen hatte ich in dieser Gegend bisher nichts gesehen. Und wohin Helmut nun genau wollte, war mir auch nicht klar. Auf jeden Fall wollte er noch ein Stück weiter nach Nordosten, nach Virginia. Dort wollte er über Internet mit seinem Schwager Kontakt aufnehmen und sich nach der Adresse des Ferienhauses erkundigen, welches etwa 10 Meilen nördlich von Virginia an einem See liegen sollte. Also auf nach Virginia. Dort einen C-Platz zu finden, glaubte ich schon nicht mehr. Aber ein Motel sollte es dort wohl geben. In Virginia angekommen trennten wir uns; Helmut suchte ein Lokal mit WiFi auf, ich mich auf den Weg zu einem Hotel, das mir ein Einheimischer empfohlen hatte. Im Hotel war gerade noch ein Zimmer frei, auf das aber eine unmittelbar vor mir angekommene Dame den ersten Zugriff hatte. Sie zögerte, weil es ein Raucherzimmer war, machte dann aber den Vorschlag, zwischen und beiden zu losen. Leider habe ich dabei verloren. Die Empfangsdame hängte sich aber gleich ans Telefon und erkundete, ob in einem anderen Hotel noch was frei war. Das war es; und zwar in einem Hotel, an dem wir kurz vor Virginia vorbeigekommen waren. „Es sind ja nur 5 Minuten“, sagte sie, meinte natürlich mit dem Auto. Mit dem Rad dauerte es dann etwas länger, zumal es auch noch bergauf ging. Im Hotel, einem von der etwas nobleren (und teureren) Sorte erwartete man mich schon. Auf die Frage, wohin mit dem Rad?, hieß es „mit ins Zimmer!“ Und ob der Aufzug wohl groß genug für mein beladenes Rad sei: „kein Problem!“
So schob ich also meinen beladenen LHT durch die Empfangshalle über mit Teppichen ausgelegte Flure zum Aufzug. Und in der Tat, der war groß genug. Auch im Zimmer war Platz genug. Die in der Halle sitzenden Gäste schauten interessiert zu und machten aufmunternde Bemerkungen. So wurde es dann doch noch eine gute (und teure) Nacht.

Am nächsten Morgen nieselte es. Nach reichlichem Frühstück fuhr ich los, um über die kleine Nebenstraße aus dem Bergbaugebiet Minnesotas zum Lake Superior zu kommen. Nach der Karte müsste mein Sträßchen in Silver Bay auf den Hw 61 stoßen, welcher Duluth in Minnesota mit Thunder Bay in Ontario/Kanada verbindet und immer am Superior entlang verläuft. Unter Einheimischen scheint diese Straßenverbindung weitgehend unbekannt zu sein, denn als ich in einer Tankstelle mich danach erkundigte, konnten weder die Frau an der Kasse, noch die anwesenden anderen Kunden mir genaue Auskunft dazu geben, wie ich auf den Hw 101 – so die Bezeichnung in meiner Karte – gelangen konnte. Ein junger Mann gab mir dann einen Tipp, gab aber gleichzeitig zu, dass er die Straße eigentlich nicht kenne. Ich fand sie dann aber doch recht schnell und war bass
erstaunt, als sie sich nicht als schmales, kurviges Sträßchen entpuppte, das sich durch Waldgebiete schlängelte, sondern als breiter Highway mit Seitenstreifen, die so breit waren wie die Fahrbahnen, und der daneben auch noch geschotterte, sanft zum dichten Wald abfallende breite Böschungen hatte. Verkehr fand auf diesem Highway aber so wie keiner statt, und ich fühlte mich recht einsam. Es handelte sich immerhin um ein Straßenstück von 70 km Länge, und das ohne Ortschaften. Nicht ganz, auf der Karte fand ich einige finnische Namen. Und tatsächlich tauchten nach ca. 40 km einige vereinzelt stehende Häuschen auf mit finnischen Namen an den Briefkästen, die ja immer am Straßenrand stehen. Auch eine gar nicht mal so kleine Kirche im finnischen Stil war zu sehen.

Über diesen unbekannten Highway gelangte ich dann zum Superior. Die letzten ca. 30 km sogar im Sausetempo, denn es ging immer nur bergab. Ich hatte mich im Bergbaugebiet schon über die spärliche Vegetation gewundert, die mich auch an Schweden, und zwar an die nördlicheren und höher gelegenen Regionen erinnert hatte. Es ging also immer schön bergab, konnte mir nur recht sein. Unten in Silver Bay angekommen machte ich mich wieder auf die Suche nach einer Bleibe. Leichter Regen hatte eingesetzt. Irgendwo an der Uferstraße wird sich etwas finden lassen. Vom Ufer bzw. See war noch nichts zusehen, man konnte ihn nur vermuten. Zwischen dem Highway und dem Lake Superior war immer ein Geländestreifen, bebaut mit schönen Villen, Hotelanlagen, aber auch Naturparks. Nach ca. 20 km fand ich ein kleines und einfaches Motel, wo ich mich sehr wohl gefühlt habe. Abends saß ich eine ganze Zeit auf der Veranda zusammen mit einem (motorisierten) Biker aus Milwaukie, der auf einer Mehrtagestour um den Superior war.

Die nächste Tagesetappe sollte dann die letzte in Minnesota werden, und zwar immer am Superior entlang. Bei leichtem Rückenwind und Sonne wurde es eine schöne Etappe. In einem Städtchen mit dem Namen Schroeder fand ich eine Bäckerei, in der ich eine ausgiebige Pause einlegte. In diesem Abschnitt konnte man auch häufiger einen Blick auf den See werfen, der einem eher als Meer vorkam; die Straße verlief sogar über etliche Kilometer direkt am Seeufer entlang. Weiter ging es dann bis unmittelbar an die Grenze zu Kanada, nach Grand Portage. Dort konnte ich oberhalb einer kleinen Marina, direkt am Superior mein Zelt aufschlagen. Neben mir zeltete eine Gruppe Männer, die hier einen Angelurlaub machte und den Abend am Lagerfeuer mit Grillen verbrachte. Gegrillt wurden aber nicht die geangelten Fische, sondern mitgebrachte Steaks.

Eigentlich ist mein Minnesota-Bericht hier zu Ende. Ich will aber noch den nächsten Tag anhängen.
An dem ging es nämlich weiter am Superior entlang nach Thunder Bay. Gleich nach dem Start, d.h. nachdem ich den steilen und langen Anstieg erklommen hatte, ging es über die Grenze. Und der Grenzübergang in Nordamerika, auch zwischen so nah verwandten und ähnlichen Ländern wie die USA und Kanada, ist für mich unverständlicherweise immer noch eine größere Prozedur. Da sind wir in Europa doch ein ganzes Stück weiter. Jetzt ging es aber von den USA nach Kanada; das ist nicht so aufwändig wie umgekehrt; denn es sind wohl die US-Amerikaner – so sagte mir nämlich neulich ein Kanadier – die den Zirkus veranstalten und die Kanadier müssten mitziehen. Der junge Grenzbeamte behandelte mich sehr zuvorkommend, stellte die üblichen Fragen (auf die er die Antworten natürlich selbst wusste) und gab zu verstehen, dass er es nach seiner Dienstvorschrift tun müsse und von den Einreisenden auch jeweils eine ausdrückliche Antwort auf die gestellten Fragen einholen müsse. Die Kanadier interessieren sich dabei offensichtlich hauptsächlich dafür, ob der Einreisende Waffen mitführt. Und das kann man sogar noch verstehen, zumal die allermeisten Personen, die nach Kanada einreisen, US-Amerikaner sind.
Bei mir sah der Beamte natürlich kein Problem, stellte nur noch einige Fragen zu meinem Rad, die ich ihm gerne beantwortete. Nun war ich also – wieder – in Kanada, in Ontario. Mein erstes Ziel dort war Thunder Bay, eine Stadt deren Namen ich bisher nur in Verbindung mit Wintersportveranstaltungen bringen konnte. In Thunder Bay trifft der Hw 61 auf den Transcanada-Hw 17, auf dem ich in den folgenden Tagen weiter nach Osten radeln wollte.

Bis Thunder Bay waren es aber noch rund 100 km; hier in Kanada sind es wieder Kilometer; daran muss man erst wieder gewöhnen. Die Strecke war unerwartet hügelig und beschwerlich. Vom See sah man hier nichts mehr. Dafür sah ich etwas anderes und das ganz unvermittelt. Ich radelte etwa in der Mitte des ca. drei Meter breiten Seitenstreifens, als ich plötzlich unmittelbar neben mir etwas Schwarzes auftauchen sah. Offensichtlich hatte ich einen Bären aufgeschreckt, der direkt neben dem asphaltierten Seitenstreifen auf der abfallenden geschotterten und mit kniehohem Gras und gelb blühenden Wildblumen durchsetzten Böschung mit etwas beschäftigt gewesen war. Wahrscheinlich mit überfahrenem Getier oder mit Dingen, die von Autofahrern weggeworfen waren. Der offensichtlich noch junge, aber schon recht große Schwarzbär war wohl genauso überrascht wie ich. Wie sahen uns an; sein Kopf etwa auf Höhe meiner Schulter fuhr ich an ihm vorbei. Als ich ein Stück, vielleicht 10-12 m, gefahren war, kam mir der Gedanke, schnell ein Foto zu machen und ich wollte schon abbremsen, als mir durch den Kopf schoss „was, wenn der Kerl hinter mir herkommt?“
Zumal ich auf der Straße ganz allein war; kein Auto weit und breit zu sehen. Also doch schnell weiter. Nach etlichen Metern wagte ich dann doch, anzuhalten und zurückzublicken. Ich sah an der Böschung nur noch etwas größeres Schwarzes; der Bär war offensichtlich wieder mit dem beschäftigt, bei dem ich ihn vorher gestört hatte. Inzwischen waren aus beiden Richtungen auch PKW's aufgetaucht. Die Fahrer sahen wohl auch den Bären, denn durch wildes Hupen machten sie sich gegenseitig darauf aufmerksam. Der schwarze Kerl ließ sich aber nicht stören; der sich bewegende schwarze Schatten war weiterhin an der Straßenböschung zu sehen.

von: lytze

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 28.02.12 20:29

Deine Art zu (be-)schreiben gefällt mir sehr - ich sehe die Szenen förmlich vor mir.
Danke dafür, macht viel Spaß!!!

lytze
von: rayno

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 28.02.12 20:38

Hier noch im Nachtrag meine exakte Route durch Minnesota:

http://www.gpsies.com/map.do?fileId=sfdqcbcpfolyvumh

.. und Fotos wie bekannt hier:

www.picasaweb.google.de/elrayno/nordamerika2011
von: Flori87

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 29.02.12 14:32

Das is ja auch mal ein To do ;=)
von: rayno

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 01.03.12 11:24

Weiter geht es ; jetzt in Kanada.

Ontario


Meine Route:
http://www.gpsies.com/map.do?fileId=tigclseozqzlwotw

Wie im Teil 4 berichtet kam ich von Minnesota auf der Küstenstraße, dem Hw 61, am Superior entlang nach Thunder Bay, der ersten größeren Stadt seit langer Zeit. Weit vor der Stadt, kurz vor der Einmündung des Hw 6 in den Transcanada-Hw 17 wird man als Radfahrer auf eine Nebenstraße durch die Stadt verwiesen. Die Orientierung war zunächst etwas schwierig, weil innerstädtisch in Kanada keine Wegweiser stehen. Man muss sich schon an den Straßennamen orientieren. Dazu braucht man eine entsprechende Karte. Zum Glück sind auf meiner Ontario-Karte für die größeren Städte detailliertere Karten enthalten, so auch für Thunder Bay mit seinen 110 000 Einwohnern. Ich fand also durch die flächenmäßig sehr große Stadt zum am östlichen Rand gelegenen KOA-Campground, den ich mir schon frühzeitig ausgesucht hatte. Die KOA-Campgrounds gehören zu der besseren (und teureren) Kategorie; dafür sollen sie auch etwas mehr bieten. Ich wollte sie immer schon mal kennenlernen. Das Ergebnis für mich ist negativ. Das Zusatzangebot besteht aus Animation; und auf die kann ich verzichten. Am Tag und vor allem Abend meiner Anwesenheit wurde Weihnachten gefeiert. Ja Weihnachten! Das Personal lief mit roten Mützen mit weißen Bommeln herum. Etliche Camper, wohl Stammgäste, hatten ihre Wohnwagen und ihren Platz weihnachtlich dekoriert. Auch blieben etliche der reichlich auf dem Platz vorhandene Nadelbäume davon nicht verschont. Und aus dem Platzlautsprecher tönte weihnachtliche Musik. Naja, nun weiß ich jedenfalls, dass KOA-Plätze für mich nichts sind.

Am nächsten Morgen ging es recht früh weiter; von jetzt an für etliche Tage auf dem Hw 17, dem Transcanada-Highway. Und da gab es gleich ein kleines Problem. Der C-Platz lag unmittelbar am Hw 17; der allerdings war hier noch für Radfahrer gesperrt, weil weiter unten am Superior eine Nebenstraße lief; und auf der sollten die Radfahrer solange bleiben, bis sie in die Hauptstraße einmündete. Das war aber gut 20 km weiter östlich. Sollte ich also wieder die steile Abfahrt runter zum See und später wieder rauf zur Hauptstraße? Es war früher Samstagmorgen, und ich dachte mir, da wird die Highwaypatrol sicher noch nicht unterwegs sein. Ich fuhr also gleich auf dem Hw 17 los, und das war auch gut so, denn nichts passierte; es war auch kaum Verkehr.

Auch im weiteren Tagesverlauf blieb es eine problemlose und recht angenehme Fahrt zum nächsten Etappenort Nipigon. Dort fand ich einen netten C-Platz, auf dem sogar das I-Net funktionierte.
In den folgenden Tagen versuchte ich, möglichst viele Kilometer zu schaffen, um möglichst bald mein nächstes Zwischenziel Sault Ste. Marie zu erreichen. Die vielen steigungsreichen Streckenabschnitte machten die Fahrt aber recht mühsam. Über die Etappenorte Terrace Bay, White Lake, Wawa und Montreal River kam ich am Do., 04. August in Sault Ste. Marie an und begab mich gleich zum unter Radlern berühmten Radshop VELORUTION. Der Weg dahin war leicht zu finden. Man musste sich nur nach der in zahlreichen Reiseberichten enthaltenen Empfehlung richten und einfach den hohen weißen Wasserturm ansteuern. Wenn man an dem angelangt ist, sieht man den Radshop mit dem Fahrrad auf dem Dach. Als ich dort ankam, war das Rad aber nicht auf dem Dach, sondern es hatte an der Einfahrt zum Betriebsgelände einen neuen Standort bekommen. Auf dem Dach musste es den neu angebrachten Solarmodulen – für Kanada übrigens etwas noch recht Seltenes – weichen. Ich meldete mich an und stellte mein Zelt im großzügigen Gelände hinter dem Gebäude auf.Es war schon ein anderes Zelt aufgestellt. Mit dem zugehörigen Besitzer, einem Chilenen mit Wohnsitz Chicago, teilte ich mir das Abendessen; ich hatte im nahen Metro einen Restbestand von Hähnchenteilen in Chili, die zum herabgesetzten Preis kurz vor Ladenschluss verkauft wurden, besorgt, er ein Sixpack Bier aus dem Liquorshop gleich nebenan. Im Laufe des Abends gesellten sich noch weitere Radler dazu, insgesamt 6 Personen in vier Zelten.

Der nächste Tag war von mir als Ruhetag eingeplant. Neben einem Besuch beim Frisör stand eine Inspektion und Wartung am LHT auf dem Programm. Letzteres hatten auch die anderen Radler vorgesehen. Im Unterschied zu mir überließen sie aber die Arbeit den Fachleuten in der Werkstatt von Velorution. Velorution berechnet nur die evtl. benötigten Neuteile, vor allem ist bei den meisten Rädern eine neue Kette fällig. Für die Arbeit wird nichts berechnet. So ein Service spricht sich unter den Fernradlern schnell herum, zumal Sault Ste. Marie bei einer Transcanadatour etwa auf halber Strecke liegt, egal, ob man von Westen nach Osten oder von Osten nach Westen unterwegs ist.

Ich hatte an meinem LHT nicht viel zu tun. Das einzige Problem bestand in den häufigen Reifenpannen im Vorderrad. Ich habe daher die Bereifung demontiert und dem Werkstattchef den Conti TopContact gezeigt. Er konnte wie ich auch nicht feststellen, was der Grund für die immer wieder auftretenden winzigen Lecks sein könnte. Prophylaktisch habe ich einen neuen Schlauch eingelegt; meine drei Reserveschläuche wiesen inzwischen nämlich alle mindestens zwei geflickte Stellen auf. Eigentlich wollte ich auch eine neue Kette montieren; denn nach gut der Hälfte der Strecke mit über 4000 km sollte eine neue Kette fällig sein. Als ich jedoch mit dem Kettenverschleißwerkzeug meine Campagnolo C9 mit einer neuen SRAM 950, welche ein junger Kanadier gerade an seinem Rad montieren wollte, verglich, zeigte sich kaum ein Unterschied. Sie hatte sich nur unwesentlich gelängt. Ich ließ folglich die C9 drauf, säuberte sie lediglich und gönnte ihr ein wenig Fett. Auch sonst war kaum Wartungsbedarf. Lediglich am Vorderrad hatte die White-Nabe ein wenig Lagerspiel, was sich aber schnell beheben ließ. Außerdem habe noch den Schaltzug zum Umwerfer erneuert, weil an der Klemmstelle einige Drahtfäden gerissen waren.

Was mein Rad betrifft, konnte Velorution mit mir also kein Geschäft machen. Mit mir persönlich aber schon, denn ich brauchte dringend neue Radkleidung. Ich hatte durch das wochenlange täglich 7-9 Stunden dauernde Radfahren so viel an Gewicht und Körperfülle eingebüßt, dass mir die mitgenommenen Trikots und Radhosen in Größe L bzw. XL am Körper schlotterten. Ich kaufte mir ein neues Trikot und eine neue zweiteilige Radhose (Shorts mit gepolsterter Innenhose) in Größe M. Das war jetzt meine Größe. Ich bin mal gespannt, wie lange ich damit auskomme, wenn ich wieder in gewohnter Umgebung und gewohntem Tagesablauf zu Hause bin.

Am Samstag, 06. August, war allgemeiner Aufbruchtag. Außer mir wollten noch ein Kanadier aus Victoria und eine Engländerin in östlicher Richtung fahren. Die beiden hatten ihre Räder am Vortag der Werkstatt zur Durchsicht überlassen und mussten nun bis zur Öffnung der Werkstatt um 09 Uhr warten. Ich bin daher allein schon früher losgefahren. Es wurde bei schönem Wetter eine angenehme Fahrt am Nordufer des Lake Huron entlang, von dem man aber nichts zu sehen bekam, weil die Straße in größerem Abstand zum See verlief. Nach gut 140 km machte ich Station auf einem kleinen C-Platz in der Nähe von Blind River. Fast gleichzeitig mit mir war dort Carol aus Smithers im Norden von British Kolumbien eingetroffen, die auch an diesem Tag in Sault Ste. Marie gestartet war, dort aber nicht bei Velorution, sondern auf einem anderen C-Platz gezeltet hatte. Erst als sie in SSM war, hatte sie von VELORUTION gehört. Carol will ihr Heimatland einmal in seiner ganzen Ausdehnung von Prince Rupert im Westen bis St. John auf Neufundland erleben; und wie kann man das wohl besser als in den zwei oder drei Monaten, in denen man mit dem Fahrrad durch das große Land unterwegs ist

Am nächsten Morgen fing es an zu regnen, gerade als wir unsere Zelte abgebaut hatten, und der Regen wurde immer stärker. In Regenkleidung machten wir uns dennoch auf den Weg. Zum Glück war es recht warm, und dann macht die Nässe nicht so viel aus. Zum Regen hinzu kam die Gischt, die von den überholenden und entgegnen kommenden Autos verursacht wurde. Zur Sicherheit hatte ich mein hinteres Diodenrücklicht eingeschaltet. Wir fuhren in größerem Abstand, aber noch auf Sichtweite hintereinander her, Carol voran. Nach gut 30 km überholte mich in langsamem Tempo ein Streifenwagen der Highwaypatrol; der Beifahrer schaute mich und mein Gefährt aufmerksam an und nickte mir zu. Wenig später sah ich, dass der Wagen hinter einer Kuppe angehalten hatte und einen kurzen Moment mit vollem Blinklicht am rechten Straßenrand stand. Als ich an diese Stelle kam, stand dort nur noch Carol, abgestiegen von ihren Rad, und zwar ziemlich bedröppelt.
„Sie haben mich vom Highway verwiesen, ich soll nur noch zu der Kontrollstelle für Trucks fahren, die dort unten kommt.“

Wir sind zusammen die wenigen hundert Meter dahin gefahren, sie voran, ich mit meinem Rücklicht dahinter. An der Kontrollstelle stellten wir uns und unsere Räder erst mal unter und warteten, und warteten. Der Regen hörte nicht auf. Inzwischen hatte uns der diensthabende Beamte zu sich hinein gebeten. Er sagte, dass es nach dem Wetterbericht den ganzen Tag und auch noch den nächsten weiter regnen sollte. Und er riet uns, in einem Motel oder Hotel abzusteigen und auf besseres Wetter zu warten. Aber wo ist das nächste Motel oder Hotel? Und wie dahin kommen? Im Telefonbuch suchten wir einige Adressen aus und Carol rief bei der vom Beamten empfohlenen an. Antwort: “Kein Problem, Zimmer frei!“ Wie dahin kommen? Immerhin 18 km. “Auch kein Problem, komme mit dem PickUp und hole euch“.

So landeten wir also schon recht früh am Tag im Hotel. Auf der Fahrt dahin erzählte uns der Besitzer, dass er das Hotel erst kürzlich übernommen habe und noch dabei sei, das Restaurant einzurichten. Die Zimmer seien aber bereits renoviert und bezugsfertig. Außerdem erzählte er uns einiges über die Einheimischen, also die Bevölkerung der First Nation, wie man in Kanada sagt, welche dort gerade ihr jährliches PowWow abhielten, wie man an einer Stelle auf dem Wege an den dort aufgestellten Zelten und anderen Einrichtungen sehen konnte. Uns kam der frühe Abbruch der Tagesetappe ganz recht, konnten wir doch im Hotel bei freiem Internetzugang in Ruhe am Netbook die Mails beantworten und die Reiseberichte fortschreiben.

Auch die nächsten Tage war ich auf dem Transcanada-Highway in Richtung Osten unterwegs. Über Espanola ging es zunächst nach Sudbury, einer Industriestadt, die man möglichst schnell durchfahren sollte, was wiederum nicht über den Hw 17 möglich war, sondern für Radler nur auf Nebenstraßen. Die Stadt ist bekannt als Kupfer- und Nickelstadt; auch ein offensichtlich noch arbeitendes Bergwerk war zu sehen. Der nächste größere Ort war North Bay, eine mittelgroße Stadt, die mit ihren weiträumigen Strandanlagen am Lake Nipissing einen sehr aufgeräumten Eindruck machte. Auffällig für mich war, dass die Leute hier überwiegend französisch sprachen. Die Provinz Ontario hat einen nicht unbedeutenden Bevölkerungsanteil, der französischsprachig ist. Das gilt vor allem auch für die indianische Urbevölkerung, die von französischen Jesuiten missioniert wurden und daher auch zum großen Teil katholischer Konfession sind. Letzteres war mir auch schon ganz im Westen Ontarios an den zahlreichen katholischen Kirchen und Friedhöfen aufgefallen. Der französischsprachige Bevölkerungsanteil ist auch sicher der Grund dafür, dass die Verkehrsschilder, soweit sie Texte enthaltenen, in ganz Ontario durchweg doppelt vorhanden sind, in englisch und in französisch.

Hinter North Bay verläuft der TC-Hw noch ein Stück in östlicher Richtung, bis er in Mattawa am Ottawa River einen Schwenk nach Südosten macht und entlang dem Fluss auf die Hauptstadt Kanadas zuläuft. Bis dahin sind es aber noch einige 100 Kilometer bzw. einige Tagesetappen. Überrascht war ich von der geringen Bevölkerungsdichte im nördlichen Bereich dieses Streckenabschnittes. Die auf meiner Karte eingezeichneten Orte bestanden i.d.R. nur aus wenigen Häusern, bzw. den Briefkästen an den Zufahrten. Aufgelassene Tankstellen und geschlossene Geschäfte waren zu sehen. Auf den ersten ca. 100 km nach Mattawa gab es keinerlei Versorgungsmöglichkeiten. Dafür verlief der Highway nicht, wie von mir vermutet, schön leicht dem Ottawa River flussabwärts folgend, sondern in größerem Abstand über zahlreiche Höhenzüge. Der erste größere Ort war Petawawa, ein Städchen, das offensichtlich in erster Linie von der großen Garnison lebt. Dann ging es an Pembroke vorbei nach Arnprior, wo ich den Transcanada-Highway verließ, um auf Nebenstraßen in südlicher Richtung diesen östlichen Teil Ontarios bis zum St. Lorenz-Strom zu durchqueren.

Auf diesem Streckenabschnitt machte ich in dem kleinen Städtchen Pakenham Station. Ich war darauf eingestellt, irgendwo in einem Motel zu übernachten, weil ich in dieser Region wenig touristische Infrastruktur erwartete. Pakenham zeigt sich als idyllisches Städtchen mit typisch englischem Einschlag. Ich fand auch einen Laden, in dem es Bier gab – sogar heimatliches Grolsch aus Enschede!- und auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen anderen Laden, der mich schon von der äußeren Aufmachung interessierte, ein Tante Emma-Laden auf englisch-kanadische Art sozusagen. Ich brauchte unbedingt etwas Butter und einige andere Sachen, die ich dort zu finden glaubte. Innen war der Laden noch altertümlicher als außen. Hinter der langen Ladentheke werkelte eine ältere Dame; Selbstbedienung war nicht. Man musste ihr schon sagen, was man haben wollte. Ich fragte, ob es Butter auch in kleinen Mengen gäbe, ich sei mit dem Rad unterwegs und könne die 1 kg-Packungen nicht unterbringen. Kleinere Packungen hätte sie nicht, war die Antwort, und nach kurzem Zögern sagte sie, ich solle einen Moment warten. Sie verschwand in einem hinteren Raum und kam nach kurzer Zeit wieder mit einem kleinen Plastikdöschen, das sie mit Butter – wahrscheinlich aus ihrem privaten Kühlschrank – gefüllt hatte.
In der Wartezeit wurde ich von einem merkwürdigen Geräusch aufmerksam. Es kam von oben. Als ich hinschaute, sah ich, wie eine Eisenbahn in LGB-Größe über den Ladenregalen an den Wänden des Ladens herumfuhr. Es war eine White Pass-Bahn, von der ich glaube, dass es sie auch von Lehmann gegeben hatte. Als ich die Dame danach fragte, sagte sie, dass sie sich damit nicht auskenne. Die Anlage habe ihr verstorbener Mann vor Jahren installiert. Aber laufen würde sie immer noch, und zwar ganz automatisch, so wie sie ihr Mann damals eingestellt habe.

Mein zweites Problem an diesem späten Nachmittag war immer noch nicht gelöst. Ein Motel oder ein Hotel gab es in Pakenham nicht. Also musste ich wohl weiter zum nächsten größeren Ort, Carleton Place. Gerade hatte ich die Anhöhe südlich Pakenham erklommen, als ich links am Fluss einige Wohnwagen sah und bald darauf auch die Einfahrt zu einem kleinen Campingplatz. Ich bog gleich dahin ab. Es war nichts los auf dem Platz; die Wohnwagen waren unbewohnt, hatten aber Vorgärten mit Blumen und Gartenzwergen. Also ein typischer Platz für Dauercamper, die nur zeitweise oder an Wochenenden ihre Freizeit dort verbringen. An der Officetür musste ich lange klingeln, bis endlich ein smarter junger Mann erschien. Natürlich könne ich dort zelten. Er zeigte mir einen schönen schattigen Rasenplatz. Diese Nacht war ich offensichtlich der einzige Bewohner des Platzes. Mich hat es nicht gestört.

Für den folgenden Tag, Freitag, den 12. August, hatte ich mir den St. Lorenz-Strom als Ziel gesetzt. In Brockton sollte ich den Strom erreichen, um dann in östlicher Richtung nach Johnstown zu fahren, wo ich über die Brücke nach Okdensburg im US-Staat New York hinüber wollte. Zunächst verlief es auch wie geplant. Ich erreichte Brockton um die Mittagszeit. Die Stadt machte einen sehr gepflegten Eindruck. Die Weiterfahrt am Strom entlang auf einer Nebenstraße verlief durch Villengebiete. Gelegentlich hatte man einen freien Blick auf den Strom, dessen Größe mich schon beeindruckte. Bis zur Brücke waren es gut 20 km. Als ich zum ersten Mal die Brücke sah, kam mir gleich der Gedanke, ob ich da wohl mit dem Rad hinüber dürfe. In Johnstown machte ich Halt an einer Tankstelle unmittelbar an der Brückenauffahrt, um ein Getränk zu kaufen. Bei der Gelegenheit fragte ich auch, ob man mit dem Rad hinüber dürfe. Keine der vier oder fünf im Laden anwesenden Personen – Personal sowie Kunden – konnte mir meine Frage beantworten. Ich solle dort drüben an der Zollstelle fragen. Ich fuhr also weiter zur Brückenauffahrt. Von der Straße musste ich nach links abbiegen. Ich sah den Wegweiser “Bridge USA“ und schaute genau hin, ob da auch noch das mir bekannte Schild mit dem durchgestrichenen Fahrrad auftauchte. Tat es nicht. Ich also weiter. Nach ca. 150 m ging es nochmal nach links. Wieder das Schild “Bridge USA“, aber auch hier kein Schild mit durchgestrichenem Fahrradsymbol. Dann darf ich also wohl rüber, dachte ich und fuhr auf die Brückenauffahrt, die durch kniehohe Betonwände von der Abfahrt, an der die kanadische Einreisekontrolle stattfand, getrennt war. An der fuhr ich folglich vorbei und hinter der Biegung, die die Auffahrt machte, tauchten weitere Hinweisschilder auf. Und was war dabei? Das runde Schild mit dem durchgestrichenen Fahrradsymbol und zusätzlich darunter als Text “No bicycles“. Was tun? Einfach weiterfahren? Was sagen die Amis auf der anderen Seite? Mit denen ist nicht gut Kirschenessen, habe ich immer gehört. Ich also zurück. Aber wie? Ich befand mich auf der Auffahrtsspur; eine Rückkehr ist nicht vorgesehen. Langsam fuhr ich dennoch ganz links auf dem Seitenstreifen die Auffahrt wieder hinunter. Da musste ich wieder an der kanadischen Kontrollstelle vorbei. Gerade als ich dachte, es geschafft zu haben, kam ein gellender Ruf. Was ich dort mache, woher ich käme? Geladen wie ich war, schrie ich genauso laut zurück, was denn das für eine Ausschilderung sei. Erst zweimal kein Verbotsschild und dann, wenn es eigentlich zu spät ist, soll es nicht weitergehen??! Der Beamte war auf meine barsche Erwiderung offensichtlich nicht gefasst und hat vielleicht auch eingesehen, dass die Beschilderung nicht in Ordnung ist. Er jedenfalls bat mich in freundlicherem Ton durch einen Durchlass auf die andere Seite, wo ein jüngerer Kollege sich meiner annehmen solle. Der schaute sich meinen Pass an und war recht beeindruckt von meiner Reiseroute, die man an den Stempeln der passierten kanadischen und amerikanischen Grenzstationen nachvollziehen konnte.

Aber was tun? Sein Vorschlag war, ein Taxi zu ordern, das mich auf die andere Seite bringen solle. Er war mir auch beim Telefonieren behilflich, was aber dennoch nicht klappte, weil das Telefon keine meiner Kreditkarten akzeptieren wollte. Er versuchte es dann von einem Diensttelefon im Gebäude. Nach einiger Zeit kam er zurück mit der Auskunft, die Taxiunternehmen würden so etwas nicht machen; irgendwelcher Vorschriften wegen.

Also kein Übergang in die USA. Inzwischen war es Abend und damit Zeit, eine Bleibe zu finden. Einige km weiter in Richtung Cornwall, wo die nächste Brücke ist, sollte es ein Motel geben, so der freundliche Beamte. Auf dem Weg dahin sah ich vor mir einen anderen Reiseradler von der Straße nach rechts, also zum Fluss hin, abbiegen. Und was war dort? Ein wunderschöner Campingplatz. Natürlich blieb ich dort; und es hatten sich noch etliche andere Radler dort niedergelassen, überwiegend französischsprachige Kanadier aus dem nahen Québec.

Mit Dreien davon startete ich am nächsten Morgen in Richtung Cornwall, der letzten Stadt vor der Grenze zu Québec.
Im Unterschied zu mir hatten die Drei noch nicht gefrühstückt; so dauerte die gemeinsame Fahrt nur die ca. 30 km bis zum nächsten Tim Horton. Ich bin dann allein weiter in Richtung Cornwall. Einige km vor der Stadt begann ein ausgeschilderter Radweg, der nach den in Abständen aufgestellten Schautafeln direkt zur Brückenauffahrt gehen müsste. Ich nahm diesen Weg, der auch über inzwischen stillgelegte Schleusen und an einem Wasserkraftwerk vorbei führte. An der Brücke angekommen wieder dasselbe Spiel. Was sagen die Schilder? Wieder nichts zu sehen von dem runden Schild mit dem durchgestrichenen Fahrrad. Am Beginn der Auffahrt war die kanadische Mautstelle. Ich fragte hier, ob ich über die Brücke fahren dürfe. Ja, die Antwort, aber auf dem für Fußgänger gedachten Seitenstreifen, der durch eine hohe Kante von der Fahrbahn abgegrenzt war. Also mein schweres Rad hinauf gewürgt. Aber wie dort fahren oder schieben? Für ein mit Packtaschen beladenes Fahrrad war der Seitenstreifen einfach nicht breit genug. Ich habe dann einfach die Fahrbahn genommen, und kein Autofahrer hat deshalb gemeckert. Wie überhaupt die Autofahrer mir immer sehr rücksichtsvoll gewesen sind, sowohl in Kanada als auch in den Staaten.

Also über die sehr lange und luftige Brücke! Ich richtete meinen Blick immer auf die Fahrbahn und nicht auf den weit unten liegenden St. Lorenz-Strom und kam so gut auf die andere Seite. Wo aber sind die Amis mit ihrer sehr viel gründlicheren Einreisekontrolle? Da kam nichts, zunächst jedenfalls nicht. Bis ich merkte, dass ich noch gar nicht auf der amerikanischen Seite des St. Lorenz-Stromes angekommen war; denn es kam eine zweite, sehr viel höhere und auch neuere Brücke ins Blickfeld. Da erinnerte ich mich, dass der Strom in diesem Bereich aus zwei Armen bestand. Jetzt also noch der zweite Arm. Was, wenn ich diese amerikanische Brücke nicht befahren darf. Dann sitze ich im Niemandsland. Meine Bedenken zerstreuten sich jedoch bald, denn ich sah Schilder mit Hinweisen für Radfahrer. Also keine Probleme, außer dem vielleicht, dass die Brückenauffahrt sehr steil war, was mich mächtig ins Schwitzen brachte.
Diese neuere Brücke ist deswegen so hoch, weil sie über den von großen Überseeschiffen befahrenen Arm des St. Lorenz-Stromes führt.

Gleich hinter der Brücke die amerikanische Immigration. Da Wochenende, gab es lange Schlangen, überwiegend Autos mit kanadischen Kennzeichen. Wahrscheinlich auf Einkaufstour in die für Kanadier billigen USA. Vor wenigen Jahren soll es noch umgekehrt gewesen sein.

Damit bin ich also jetzt, am 13. August, wieder in den USA, im Bundesstaat New York, also schon ziemlich im Osten. Meine Fahrt durch Ontario dauerte demnach zwei Wochen mit 13 Fahrtagen und insgesamt 1 738 km.
von: Pedalpetter

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 01.03.12 18:09

Hallo Lothar,

hast Du immer noch Größe M? grins
Oder hat Dir der "Grünkohlwinter" wieder die Figur geweitet?
(ich erwarte nicht wirklich eine Antwort)
Gruß
Volker
von: rayno

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 01.03.12 19:45

Leider nein! Ich hoffe im Sommer wieder. Muss bis dahin aber noch viel trainieren.
von: rayno

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 05.03.12 14:49

Jetzt wieder in den USA:

Durchs nördliche New York und Neuengland

Gefahrene Route: http://www.gpsies.com/map.do?fileId=bvsgdnnrdzcpbtol
Fotos ab: http://picasaweb.google.com/103249798526464290620/nordamerika2011#5662534551127372466

Aus den kanadischen Ontario kam ich also erst im zweiten Versuch in die USA, nämlich über die beiden Brücken von Cornwall, ON nach – ja wohin? - auf US-Seite des St. Lorenz-Stromes war keine größere Ortschaft. Es ging gleich auf einen Highway, entweder nach Westen oder nach Osten. Ich entschied mich für die östliche Richtung. Schon auf den ersten Kilometern fielen mir eigenartige neue Gebäude auf. Ich dachte erst an moderne Kirchbauten, dann aber sah ich an den großen Aufschriften und Leuchtreklamen, dass es sich um Bingohallen handelte. Angeschlossen waren denen zumeist auch Motel- bzw. Hotelanlagen. Die auffällige Häufung hier an der Grenze zu Kanada zeigt, dass man es wohl auf die Besucher aus dem Nachbarland - oder besser gesagt, deren Geld – abgesehen hat. Mit Erfolg offensichtlich; auf der Straße und auf den Parkplätzen waren die Autos mit kanadischen Kennzeichen in der übergroßen Mehrheit.

Von diesem in West-Ostrichtung verlaufenden stark frequentierten Highway bog ich nach wenigen Meilen nach Süden auf eine Nebenstraße ab. Nach dem Wegweiser war Bombay die nächste Ortschaft. So bin ich auch noch nach Bombay gekommen. In der nächsten Ortschaft sah ich ein Motel, welches nach dem äußeren Eindruck wohl nicht zu den teuren gehören dürfte; für mich gerade richtig, zumal gleich gegenüber auch noch ein Liquorshop war, den ich zuerst ansteuerte, um mir eine Dose Lightbier zu gönnen. Die nette ältere Dame sagte, mit Bier könne sie nicht dienen, bei ihr gäbe es nur richtige alkoholische Sachen, wie Wein und Spirituosen. Bier gäbe es etwas weiter die Straße runter in der Tankstelle. Aha, neues Land, neuer Staat, neue Vorschriften. Im Staat New York sieht am es offensichtlich lockerer als anderswo. Hier – wie übrigens auch in den später durchfahrenen Neuenglandstaaten - ist man also recht liberal und macht es den Bürgern nicht unnötig schwer, sich mit Bier zu versorgen. Eine Sorge also weniger.

Aber zurück zum Motel. Dort hing an der verschlossenen Officetür ein handgeschriebener Zettel
„bin eben nach Malone und bald zurück“. Also fuhr ich zuerst zur Tankstelle, kaufte eine große Dose BudLite und setzte mich damit auf die Veranda vor dem Motel-Office. Und wartete, und wartete. Nichts tat sich. Ich sah mich etwas um und stellte fest, dass das Motel seien besten Tage schon hinter sich hatte. Auch die dort schon – und offensichtlich auch schon länger - einquartierten Gäste machten einen etwas seltsamen Eindruck.
So entschloss ich mich, nach Malone weiter zu fahren und mich dort nach einer Unterkunft umzusehen. Ich fand dort auch schnell ein nettes Motel.

Nun war ich also in New York. Was wollte ich dort eigentlich? Natürlich nicht in die Stadt New York; nicht auf einer Radreise. Mein Wunsch seit langem war schon, einmal die Adirondacks zu durchqueren. Und die hatte ich jetzt vor mir. Schon gleich nach dem Start in Malone sah ich verschwommene Konturen der Berge, die auf mich warteten. Bald war auch die Grenze zum Adirondack-NP erreicht. Wiesen und Felder wichen zunehmend dichtem Wald; und die Straße ging - kaum sichtbar, aber doch spürbar – stetig bergauf. An einer Kreuzung “ Smith's College“ machte ich Pause an einem Verkaufswagen und genehmigte mir ein Hotdog und ein Sprite. Mit dem netten älteren Herrn hatte ich eine angenehme Unterhaltung. Er gab mir auch Tipps für die weitere Fahrt.
Nach wenigen weiteren Meilen tauchte neben mir ein Rennradfahrer auf. Tom, 62jähriger pensionierter Marinesoldat, war auf seiner sonntäglichen Trainingstour in der Gegend, in der er seinen Alterswohnsitz genommen hatte. Auch er gab mir zahlreiche Tipps. Einen nahm ich dann gleich auf. Die Empfehlung nämlich, an der Straßenkreuzung in Harrietstown, über die meine Route führte, Halt zu machen und von dem „besten Eis“ der ganzen Gegend zu kosten. Es war wirklich sehr lecker; und die Besonderheit bestand darin, dass es an jedem Tag nur eine Sorte Eis gab. Es wird nämlich vor Ort ganz frisch von zwei Frauen gemacht. Die Sorte, die es an diesem Tag gab, schmeckte mir ausnehmend gut. Es war Vanille mit irgendetwas anderem noch drin. Beim Eisessen saß ich mit anderen Kunden auf der Bank vor der Eisbude mit wunderschönem Blick über ein weites, bewaldetes Tal zu den Berggipfeln nördlich LakePlacid mit dem Whiteface Mtn im Zentrum.

Lake Placid, die alte Olympiastadt, war dann auch mein nächster Zielpunkt. Dort wollte ich mich etwas länger aufhalten. Bis dahin waren es aber noch etliche Meilen. Über Saranac Lake kam ich in die kleine Ortschaft Ray Brook, wo unmittelbar an der Straße- was selten der Fall ist - ein kleiner State Park mit Campground war. Zudem war dort gerade eine Art Ortsfest, welches hauptsächlich darin bestand, in einem großen Zelt mit Livemusik Hummer und andere Leckereien zu speisen.
Ich blieb natürlich dort, baute mein Zelt auf und gönnte mir ein großes Steak samt zwei großen Bieren. Die Bedienung war übrigens eine junge Studentin aus Bulgarien.
Auf dem Campground hatte ich mich gleich für zwei Übernachtungen eingecheckt; denn am nächsten Tag stand der Besuch in Lake Placid auf dem Programm.

Bei leichtem Nieselregen fuhr ich am nächsten (späten) Morgen hinauf zur alten Olympiastadt. Es ging wirklich kräftig hinauf. Als ich in der Stadt angekommen war und die Hauptstraße langsam entlangfuhr, dachte ich so, ganz nett der Ort, schöne Hotels und Geschäfte. Auch einen Fahrradladen sah ich, in dem ich mir gleich einige Kleinigkeiten besorgte. Die Straße weiter ging es noch mal kräftig hinauf und zudem um eine enge Kurve. Und da kam erst das Ortszentrum.
Und da sah es schon fast aus wie in den mir bekannten alten Olympiastädten wie St.Moritz, Garmisch-Partenkirchen oder Cortina; die ja alle einen gewissen Charme haben, der den neueren Großstädten, in denen olympische Winterspiele stattfanden, gänzlich abgeht. In Vancouver z.B. war davon nichts zu spüren.

Ziemlich am südlichen Ortsende fand ich dann auch meinen eigentlichen Zielpunkt, das Olympia-Eisstadion mit dem Museum. In der Halle war allerhand Betrieb; neben den zahlreichen Besuchern auch zahlreiche junge und auch etwas ältere Mädchen in Eislaufmontur; zwei oder drei junge Herren müssen sich etwas verloren unter den jungen Damen vorgekommen sein. Auf der Eisfläche war gerade die Eismaschine im Gange. Also ging ich erst durch die Wandelhallen, die gleichzeitig Museum waren. Alle Medaillengewinner von 1932 und 1980 waren auf zwei Tafeln verewigt. Dazu natürlich viele, viele Fotos. Auf der Tafel 1932 war z.B. der Name Sonja Henie zu lesen, das Gegenstück 1980 – also Goldmedaille Eiskunstlauf – Anett Pötsch, East Germany. Wie überhaupt 1980 bei den deutschen Medaillengewinnerinnen und -gewinnern vor dem Germany zumeist das East stand.

Als ich vor den Tafel mit den Medaillengewinnern 1980 stand, stand neben mir ein Paar mit einer fast erwachsenen Tochter, die sich in einer osteuropäischen Sprache unterhielten; ich vermutete polnisch. Ich lag richtig mit meiner Vermutung. Die hübsche Frau um die 50 etwa sagte, sie sei 1980 mit der polnischen Mannschaft dabei gewesen und jetzt das erste Mal wieder in Lake Placid.

Unmittelbar neben der Eishalle befand sich das Stadion für die Eisschnellaufwettbewerbe. Diese Anlage wird heute offensichtlich von einer Schule genutzt. Ich machte mich auf den Weg zurück zum Campground; dachte bei der teilweise rasenden Abfahrt schon mit Schrecken daran, dass ich am nächsten Tag den Weg rauf noch einmal machen müsse, und dann mit schwer beladenem Rad.
Am Campground fuhr ich aber erst mal vorbei wieder zurück nach Saranac Lake, wo ich auf dem Weg vor zwei Tagen einen ALDI-Markt gesehen hatte. Dass es ALDI in den USA gibt, war mir bekannt, selbst gesehen hatte ich aber noch keinen. Also auf zu ALDI. Außen und innen sieht es genauso aus wie bei ALDI in Deutschland. Drinnen sieht man dann aber schnell, dass man sich – natürlich – auf die doch etwas anderen Konsumgewohnheiten der US-Amerikaner eingestellt hat. Die Produkte sind auch weit überwiegend amerikanischen Ursprungs; aber auch mir bekannte Marken und Produkte, wie die Schokolade, waren zu sehen. Ich kaufte einige Sachen, die ich ohnehin brauchte; vielleicht etwas günstiger als ich sie sonstwo bekommen hätte.

Am nächsten Tag, Dienstag, 16. August, musste ich mein klatschnasses Zelt abbauen; es hatte in der Nacht geregnet , und leicht regnete es immer noch. Ich macht mich also in Regenjacke auf den beschwerlichen Weg nach Lake Placid. Dort wollte ich noch einmal im Radladen vorbei, um mir ein am Vortag anprobiertes wärmeres Trikots zu kaufen. Der Laden machte aber erst um 9.00 Uhr auf; und da es erst halb neun war, setzte ich mich erst mal ins benachbarte McDonalds zu einem zweiten Frühstück und konnte auch einige Dinge im Internet erledigen.

Das Wetter wurde dann im Laufe des Vormittags immer besser, sodass ich die weitere Fahrt durch die Adirondacks richtig genießen konnte. Hinzu kam, dass die Berge, zwischen denen ich auf einer kurvigen Straße entlangfuhr, zwar noch etwas höher waren als die nördlich Lake Placid, die Straße aber überwiegend sanft abfallend verlief. Die Talgründe im Bereich von Lake Placid liegen auf einem höheren Niveau als weiter südlich. Bei der Ausfahrt aus Lake Placid kam ich auch am Skistadion und den beiden Sprungschanzen vorbei. Alle Wettkampfstätten liegen also recht nahe beieinander; ganz im Unterschied zu den neueren Olympischen Winterspielen.

Ich kam auf meinem Weg nach Süden durch einige nette kleinere Orte mit einladenden Geschäften, Bäckereien und Cafes. Auf einer ruhigen Nebenstraße parallel zur benachbarten Interstate ging es nach Süden. Bald stieß ich auch wieder auf die Northern Tier-Route, der ich bis nach Maine hinein folgen wollte. Nächster Etappenort sollte Ticonderoga sein, der alte Festungsort an der Grenze von New York zu Vermont. Ganz schaffte ich es an diesem Tag nicht mehr bis dahin, sondern machte
ca. 20 km westlich davon im Paradox State Park Station.

Dann, am Mittwoch, 17. August, ging es folglich erst nach Ticonderoga. Um von dort nach Vermont zu kommen, muss man eine Fähre über den südlichen Teil des Lake Champlain nehmen. Auf dem Weg zur Fähre kommt man an der alten Festung vorbei. Für Amerikaner ein geschichtsträchtiger Ort. Wer da auch alles gegen wen gekämpft hat: Die Siedler gegen die Indianer, die Briten gegen die Franzosen – mit einem großen Sieg der zahlenmäßig weit unterlegenen Franzosen übrigens - , die Franzosen oft verbündet mit den Indianern; dann natürlich in den Unabhängigkeitskriegen die Amerikaner gegen die Briten. Und – wie ich irgendwo gelesen habe – fast auch noch die New Yorker gegen die Vermonter. Die New Yorker wollten sich nämlich früher einmal Vermont einverleiben.
Interessant ist, dass alle Seiten, Briten, Franzosen und Amerikaner ihren früheren Kriegshelden auf dem großräumigen Festungsgelände Denkmäler gewidmet und Erinnerungstafeln an die früheren Schlachten aufgestellt haben.
Mit der Fähre ging es dann bei schönstem Wetter über den Lake Champlain nach Vermont.
Waren es in New York die Adirondacks, so sind es in Vermont die Green Mountains, die ich durchqueren wollte. Die Green Mountains sind ein zu den nördlichen Appalachen gehöriger Bergzug, der dem kleinen Staat auch seinen Namen gegeben hat.

Vermont empfing mich dann gleich so, wie ich es erwartet – und befürchtet – hatte. Die Landschaft erinnerte mich an das Allgäu; grüne, hügelige Weiden mit Milchvieh drauf und kräftige Steigungen auf den kurvenreichen Nebenstraßen, über die meine ACA-Route führte. Anders als im Allgäu allerdings die Bauernhöfe oder – besser gesagt – die Farmgebäude. Dazu gehörten auch die typisch nordamerikanischen runden Vorratstürme mit ihren kugeligen Dächern.

Der erste Ort, der den Namen Ort verdient, war Shoreham. Dort machte ich Mittagspause in der einzigen Gasstation. Dann ging es weiter zum bedeutend größeren Middlebury. Mir bekannt nur im Wortzusammenhang Middlebury-Gap; eine von Radreisenden gefürchtete sehr lange Steigung mit Steigungsprozenten von weit über 10 % in einigen Streckenabschnitten. Sonst bekannter allerdings ist Middlebury als Standort einer sehr renommierten Universität, worüber mich Amerikaner aufklärten.

Es war für mich immer wieder überraschend, welch große Universitäten, wenn man Größe an den Gebäudekomplexen festmacht, in den USA anzutreffen sind. Die Uni hat ihren Schwerpunkt im Bereich der musischen Disziplinen sowie der Lehrerausbildung und hier auch ihren guten Ruf erarbeitet.

Ich hatte aber besonders die „Gap“ im Kopf; und bevor es hinter East Middlebury in die Steigung geht, musste ich mich noch einmal stärken. Hinter einer scharfen Kurve ging es dann auch gleich los. Hier musste ich das erste Mal auf meiner Reise absteigen und schieben. Selbst das Schieben meines schwer beladenen Rades fiel mir schwer. Zum Glück sind die besonders starken Anstiege hier in den Neuenglandstaaten immer nur recht kurz; zwischendurch kommen immer Abschnitte mit
gemäßigten Steigungen, sodass man einen längeren Anstieg wie diesen in einzelnen Phasen angehen kann.

In einer dieser gemäßigteren Phasen hörte ich hinter mir ein Geräusch und dann tauchte neben mir ein Radler auf, besser gesagt eine Radlerin. Christine, um die 30 schätze ich, war auf dem Weg von der Arbeit in Middlebury nach Hause. Da sie auch einen Surly LHT fuhr, hatten wir gleich einen Aufhänger für eine Unterhaltung. Und nach dem woher? Und wohin? Und wie lange? … fragte ich sie, ob sie im weiteren Verlauf meiner Route auf den folgenden ca. 20 Meilen einen C-Platz wüsste. Sie kannte keinen (und es gab dort auch keinen, wie sich am nächsten Tag herausstellte.)
Als der Anstieg wieder steiler wurde, gab ich zu verstehen, dass ich mit ihrem Tempo nicht mithalten könne und dass sie doch einfach davonfahren solle. Was sie dann auch tat.

Nach einigen Meilen, an einer Abzweigung vor dem Country Store in der kleinen Ortschaft Ripton traf ich Christine dann doch wieder. Sie wartete offensichtlich auf mich. Ihr war mein Problem mit dem C-Platz wohl durch den Kopf gegangen, denn sie sagte, ich könnte bei ihr im Garten mein Zelt aufstellen und dort die Nacht verbringen. Am nächsten Tag könnte ich dann ausgeruht den zweiten Teil der Middlebury-Gap in Angriff nehmen. Ich sagte natürlich gleich zu und fuhr mit ihr über stellenweise steil ansteigenden Schotterwege den ca. eine Meile langen Weg zu ihrem kleinen Häuschen mit sehr großen Grünflächen rundherum. Dort baute ich mein Zelt auf. Gerade war ich damit fertig, ordnete im Zelt meine Sachen, als ich durch die Zeltöffnung ein Vorderrad auftauchen sah, dann das restliche Fahrrad; wieder ein LHT, diesmal sogar im selben Grün wie meines. Es war John, Christines Mann, der – auch mit dem Rad – gerade von der Arbeit gekommen war. Er stürzte sich gleich auf meinen LHT und kommentierte die nicht so gewöhnlichen Komponenten, wie die White-Vorderradnabe, den teuren Chris King-Steuersatz und das klassisch-alte Shimano XT-Tretlager.

Was die Gesprächsthemen angeht, war der Abend also gerettet. Christine bereitete eine große Pizza zu, John und ich fachsimpelten über Fahrräder. Zufällig war er gerade dabei, für einen Freund auch einen LHT zusammenzubauen. Die einzelnen Komponenten lagen überall herum; gerade heute war der Rahmen gekommen und bei einer Nachbarin abgegeben worden.
Ich hatte immer gelesen, dass Vermont anders sein soll als die übrige USA, und die Vermonter ein besonderer Menschenschlag seien. Die beiden Vermonter, Christine und John, bestätigten das voll und ganz. Ein wenig alternativ und grün; grün wie die Green Mountains.

So verbrachte ich also die Nacht in Ripton, einer kleinen Ortschaft in Vermont, die auch bekannt geworden ist als langjähriger Wohnort des amerikanischen Dichters Robert Frost, der an der Universität im nahen Middlebury einer Lehrtätigkeit nachging.

Besonders verlief auch der nächste Morgen. Da meine Gastgeber mit dem Rad den nicht gerade kurzen Weg zur Arbeit zurücklegten – Christine knapp 20 km, John 25 km - , bekam ich sie kaum noch zu sehen. Schon ganz früh hörte ich Geräusche vom Haus und später kam John, schon auf dem Rad sitzend, zu meinem Zelt und sagte, in der Küche stände eine Kanne Kaffee für mich, und aus dem Kühlschrank solle ich nehmen, was ich sonst noch möchte. Christine sei schon weg, und er müsse sich auch sputen. Die Haustür sei nicht abgeschlossen, man könne sie auch gar nicht abschließen; das sei dort im Dorf so; die Türen hätten keine Schlösser.
So war ich also allein in einem fremden Haus. Den Kaffee ließ ich mir schmecken, vom Inhalt des Kühlschranks machte ich allerdings keinen Gebrauch, hatte ich doch meine Vorräte für das Frühstück am Vortag schon besorgt, wie ich das immer mache.

Dann ging es also weiter. Zunächst die kurze Abfahrt vom Haus der neuen Freunde zur Hauptstraße. Dann wieder Middlebury Gap, zweiter Abschnitt. Und der hatte es wirklich in sich; Christine hatte mich am Vortag schon gewarnt. Hier wartete wieder ein zweistelliger Prozenter, und zwar ein besonders langer. Ich ließ mir aber Zeit; machte mehrere Pausen und erreichte dann endlich die Passhöhe, die Gap. Hier war ein breiter asphaltierter Seitenstreifen, auf dem einige Autos standen. Aus einem rief mir jemand zu, ich solle aufpassen, hinter der Kurve stände ein „big Moose“., also ein großer Elch.
Ich passte auf; gesehen habe ich keinen.

Dann die Abfahrt! Herrlich! Fahren, ohne treten zu müssen. Die armen Radler, die mir entgegen kamen! Und es kamen mir sehr viele entgegen. Bei etlichen bemerkte ich das ACA-Warndreieck, das auch ich hinten über mein Gepäck gespannt hatte. Und zwischendurch kamen Vans mit diesem Warndreieck an der Wagenfront. Muss sich um eine von ACA organisierte Gruppentour mit Begleitfahrzeugen gehandelt haben. Ich wusste aus den Monatsheften von ACA, dass es so etwas gibt.

Meine Tour durch die Green Mountains von Vermont führte dann durch verschiedene kleinere Ortschaften wie Hancock, Rochester, Stockbridge, Gaysville, Bethel, Royalton in die Nähe des Connecticut-River, der die Grenze zwischen Vermont und dem Nachbarstaat New Hampshire markiert. Vorher, zwischen Sharon und South Strafford, wartete aber wieder eine fies lange Steigung. Als ich, mein Rad schiebend, an einem einsam stehenden Haus vorbeikam, wurde ich von
offensichtlich mitleidigen Bewohnern eingeladen, mich zu ihnen auf die Veranda zu setzen und mich zu erfrischen. Eine Einladung, die ich gerne annahm. Der Hausherr bot auch an, mich die letzten ca. 1 ½ Meilen zur Passhöhe mit seinem PickUp hinauf zu bringen. Obwohl in großer Versuchung, nahm ich die Einladung nicht an. Habe bisher alles ohne fremde Hilfe geschafft, werde ich dieses auch noch schaffen.

Kurz vor der Grenze, unmittelbar am Connecticut River, fand ich dann einen C-Platz, wo ich die letzte Nacht in Vermont verbrachte.

Am nächsten Morgen ging es dann gleich über den Connecticut River nach New Hampshire. Gleich nach der Brücke musste ich nach meiner ACA-Karte nach links auf eine Nebenstraße dem Fluss folgend abbiegen. Die Straße war allerdings für den gesamten Verkehr gesperrt. Ein junger Mann hatte die Aufgabe, den Verkehr zu regeln und den Autofahrern die Umleitung zu erklären. Als ich ihn fragte, ob ich mit dem Rad nicht doch über die gesperrte Straße fahren könne, sagte er, ich sollte es mal versuchen. An einer Stelle müsste ich dann allerdings ein Stück über die angrenzenden Privatgrundstücke mein Rad schieben und er wisse nicht, was die Anlieger davon hielten. Ich fuhr also die direkt am Connecticut entlang das kleine Sträßchen nach Norden. Bald kam auch der auf meiner Karte verzeichnete „non paved“-Abschnitt; das erste - und einzige – Mal, dass ich auf nicht asphaltierter Straße fahren musste. Der Belag aus Sand und feinem Schotter war aber viel besser als z.B. zahlreiche Streckenabschnitte auf dem Transcanada-Highway. Das Sträßchen führte durch dichten Wald; ab und zu ließ eine Lichtung einen Blick auf den Connecticut-River und die schönen Villengrundstücke auf der Vermontseite zu. Verkehr herrschte natürlich keiner, ausgenommen zwei Radler, die mir hier entgegen kamen; ein älteres Paar auf Rennrädern. Sie hielten an und fragten mich nach dem woher und wohin. Sie erzählten, dass sie vor einigen Jahren den Nordseeradweg gefahren seien; und da sei er auch schon über 70 gewesen; jetzt sei er gerade 80 Jahre alt und könne das Rennradfahren immer noch nicht lassen.

Die Baustelle, deretwegen die Straße gesperrt war, erwies sich als für Radfahrer problemlos. Die Rennradfahrer hatte mir auch einen Tipp gegeben, auf welcher Seite man am besten die Baustelle umfahren könne. Und so habe ich es dann auch gemacht. Ich musste nicht einmal absteigen.

Die erste Ortschaft, die ich in New Hampshire durchquerte, war Orford; dann ging es weiter über Piermont, Haverwill und North Haverwill; immer am Connecticut entlang, mal direkt am Flussufer, mal in größerem Abstand. Irgendwann musste ich mich aber entscheiden, nach rechts, also nach Osten abzubiegen, wollte ich doch die White Mountains durchqueren. Die Gelegenheit bot sich von selbst. Die Straße, auf der ich unterwegs war, der HW10, machte einige Meilen nördlich von Haverwill einen Schwenk nach Osten, also weg vom Connecticut. Ich blieb also einfach auf HW 10. Als ich in Bath am Ortsausgang gerade eine starke Steigung vor mir hatte, sah ich von hinten eine dunkle Wolke aufziehen und hörte aus der Ferne auch schon leichtes Donnern. Ein Thunderstorm im Anzug! Also gleich wieder zurück in den Ort, wo an der Kreuzung ein alter Trading Post war, also ein Laden, wie es sie früher überall in den USA in den neu und dünn besiedelten Randgebieten gab, ein Laden, in dem es alles gab, von Holzfällerkleidung bis frisch gebackenem Brot. Und heute natürlich all dem Krimskram, den man in Touristengegenden verkaufen will. Ich holte mir aus dem Laden einen großen Becher Kaffee und setzte mich auf die Veranda. Mein Rad schob ich an eine Stelle, wo es vor dem bald einsetzenden Platzregen geschützt war. So wartete ich eine knappe Stunde, bis die Sonne wieder hervorkam.

Weiter ging es auf Hw 10. Die nächste Stadt war das wegen einer das Stadtbild dominierenden Fabrik eher hässliche Lisbon. Einige Meilen weiter zweigte eine Nebenstraße nach rechts, also Richtung White Mountains, ab. Angezeigt war Franconia. Dahin bog ich also ab. Der auf meiner Karte als unscheinbares Nebensträßchen eingezeichnete Hw 117 war tatsächlich eine recht breite Straße in sehr gutem Zustand. Es ging auf ihr nur stetig bergauf. Aber mit Steigungsprozenten, die ich noch gut bewältigen konnte. Langsam wurde es ja auch Zeit, aus den Niederungen des Connecticut-Tales in höhere Lagen zu kommen. Über Sugar Hill ging es nach Franconia, wo ich auf einem C-Platz Station machte.

Am nächsten Tag sollte es nun ins Zentrum der White Mountains gehen, also dorthin, wo man den höchsten Berg Nordamerikas östlich der Rocky Mountains im Blick hat, den Mount Washington mit seinen 6288 ft, also rund 1900 m. Vom C-Platz ging es auch gleich ganz kräftig rauf, bis ich nach der Unterquerung der Interstate 93 auf Hw 3 war. Auf dem ging es dann ohne nennenswerte Steigungen nach Twin Mountains, wo sich gleich mehrere Straßen kreuzten. Ich war jetzt schon am nördlichen Rand des White Mountain National Forest und musste folglich, wenn ich das Gebiet durchqueren wollte, nach Süden fahren. Dazu bot sich der Hw 302 an, der zudem durch den mir aus der volkswirtschaftlichen Fachliteratur bekannten Ort Bretton Woods ging. Wieviele Jahre oder gar Jahrzehnte tauchte im Unterricht der Name Bretton Woods auf?! Da musste ich also hin und möglichst von dem berühmten Hotel ein Foto machen.

Die Straße war sehr breit und in bestem Zustand. Ich befürchtete weitere Steigungspassagen; die kamen aber nicht; der Straßenverlauf folgte in weiten Bögen einer Höhenlinie. Nach links hatte man freien Blick auf den Mount Washington. Mit ein wenig Phantasie konnte man sogar die Trasse der berühmten CogRail, also der auf den Gipfel führenden Zahnradbahn erkennen. Bald tauchte auch das Ortsschild Bretton Woods auf.

Wenn in Amerika ein Ortsschild am Straßenrand steht, heißt das aber noch nicht, dass jetzt ein Dorf oder eine Stadt nach europäischen Vorstellungen kommt. Es war links und rechts weiter nur Wald mit grünen Lichtungen zu sehen. Dann hinter einer langgezogenen Kurve links ein langer, asphaltierter Seitenstreifen. Und was konnte man von dort sehen? Das berühmte Hotel, das Mount Washington Resort, in dem 1944, als der 2. Weltkrieg noch in vollem Gange war, Vertreter aus 44 Ländern die Neuordnung des Weltwährungssystems für die Nachkriegszeit entwarfen.

Ich machte einige Fotos vom berühmten Hotel und seiner unmittelbaren Umgebung und setzte meine Fahrt fort; immer in Erwartung eines bald kommenden starken Anstieges zur Crawford Gap.
Aber es kam keiner. Von der Gap an, also der Engstelle an, ging es nur noch bergab. Mir konnte es recht ein. Mein Tagesziel war Conway, wo ich einen in meiner Karte eingezeichneten C-Platz ansteuern wollte. Kurz von North Conway sah ich einen Outdoorladen, bei dem ein Sonderverkauf von Artikel bekannter Marken wie North Face, Marmot usw. groß angekündigt war. Da ich unbedingt eine neue Gaskartusche brauchte, hielt ich an. Und tatsächlich! Dort hatte man außer den in den USA üblichen zu meinem Primus-Kocher nicht passenden amerikanischen Propankartuschen auch kompatible Kartuschen mit Propan-Butan-Mischung. Außerdem natürlich viele mich interessierende Artikel zu Preisen, die einem die Tränen in die Augen treiben. Leider - oder Gott sei Dank – konnte ich in meinen Taschen keine zusätzlichen Sachen unterbringen. Ich kaufte nur eine Fleecedecke aus echtem PolarTec200-Material mit schönem New Hampshire- Logo für sagenhafte 12,95 $, also wenige als 10 €. Dafür musste ich meine Billigfleecedecke entsorgen, was mir aber nicht schwer fiel.

Den C-Platz in Conway fand ich dann bald recht schnell; ganz in der Nähe konnte ich mich auch mit Bier eindecken, sodass der Abend gerettet war.

Auf dem C-Platz hatte ich wieder einen von mir ungeliebten großen Stellplatz, der von anderen durch eine Reihe Bäume und Gebüsch abgetrennt war und auf dem man auch drei oder vier Zelte aufstellen könnte. Der übliche Tisch mit Bänken an den Längsseiten gehörte auch dazu. Auf dem ließ ich nach dem Abendessen eine leere Dose (Ravioli glaube ich) und einigen sonstigen Abfall in einer Plastiktüte liegen. In der Nacht wurde ich von einem Geräusch geweckt. Ich sah gerade noch, wie etwas aus dem halb geöffneten Vorzelt huschte und dann ein Scheppern aus der Richtung, in der der Tisch stand. Ich nahm meine IXON IQ und leuchtete in Richtung des Tisches. Drei Porcupines hatten sich an meinem Abfall zu schaffen gemacht. Der helle Strahl der IXON ließ die drei Räuber aber schnell im Gebüsch verschwinden. Ich krabbelte aus dem Zelt, sammelte den umherliegenden Müll ein und hängte die Mülltüte an einen Ast in einer Höhe, die ich gerade noch erreichen konnte. Für den Rest der Nacht hatte ich dann Ruhe.

Am nächsten Tag ging es dann von Conway in östlicher Richtung über die Grenze nach Maine. Fryeburg war der erste Ort in diesem weiteren Neuenglandstaat. In Fryeburg verließ ich auch wieder die ACA-Northern Tier-Route; diesmal endgültig. Die NT-Route führt nach Südosten und endet an der Küste in Bar Harbor. Von dort ging bis vor zwei Jahren eine Fähre nach Yarmouth, Nova Scotia. Jetzt leider nicht mehr. Um nach Nova Scotia zu kommen, muss man also einen Umweg über eine weiter nördlich verlaufende Route machen. Konnte mir auch recht sein. So musste ich statt durch die mondänen Orte an der Küstenlinie durch die wenig besiedelte Mitte und den Osten von Maine fahren. Das machte ich dann auch und zwar zunächst auf kleinen Nebenstraßen bis ich auf den Highway 2 stieß, der mich dann über Bangor hinaus bis in den Nordosten begleiten sollte.



Die kleine Nebenstraßen haben für Radreisende den Nachteil, dass man dort meist keinerlei Versorgungsmöglichkeiten hat, und das über weite Strecken. Schnell mal an einer Gasstation Halt machen und einen Becher Kaffee holen, ist hier nicht drin. Auf den größeren Straßen, wie dem Hw 20, hat man diese Sorgen nicht. Gerade noch vor einem Gewitter und plötzlich einsetzendem Platzregen erreichte ich ein Motel in Farmington. Dort durfte ich auch wieder einmal einen Platten im vorderen Reifen reparieren.

Nach frühem Start vom Motel – wir haben jetzt Montag, 22.August - ging es mit leichtem Rückenwind und bei angenehmem Radelwetter weiter und zwar zunächst nach und durch Bangor, eine der größeren Städte in Maine. Ich fuhr mitten durch die Stadt, die auf mich keinen besonderen Eindruck machte. Am Stadtausgang fehlte an einer Abzweigung wieder einmal ein Wegweiser, und prompt landete ich auf der nach Norden führenden vierspurigen Interstate und nicht, wie ich wollte, auf einer parallel dazu verlaufenden Nebenstraße. Ob ich in Maine mit dem Rad auf Interstates fahren durfte, war mir nicht bekannt. Ich blieb bis zur nächsten Abfahrt darauf, und es hat sich niemand beschwert.

Die Abfahrt von der Interstate führte in das Städtchen Orono, welche ein Standort der Staatsuniversität von Maine ist. Das Stadtbild ist folglich auch geprägt durch die Gebäude und Anlagen der Universität.

Hinter, d.h. hier nördlich von Orono, war auf meiner Route nur noch wenig Verkehr. Es dominierten die langen mit Holz beladenen Trucks. Warum die in beiden Richtungen beladen unterwegs waren, ist mir nicht erklärlich, sollte man doch eigentlich meinen, dass die Holzstämme aus dem fast nur aus Wald bestehenden Norden Maines in den Süden verfrachtet werden und nicht auch umgekehrt. Meine Straße führte auch hier schon nur durch Wald, aber auch entlang eines sehr
breiten Flusses, dessen Namen mir von bestimmten Outdoorartikeln bekannt ist, dem Penobscot.
An diesem von Wassersportlern beliebten Fluss liegt auch das Städtchen Old Town, an dessen Eingang ein großes Schild darauf hinweist, dass von hier die berühmten Kanus gleichen Namens kommen. Die Kanufabrik sah ich zwar nicht, dafür aber ein riesiges Werk, in dem offensichtlich chemische Produkte hergestellt wurden.

Immer weiter ging es in Richtung Nordosten, und immer einsamer wurde die Gegend. Als ich an einer der seltenen Tankstellen in einem kleinen Ort mit dem Namen Linneus Halt machte und vor dem Gebäude mit dem obligatorischen Becher Kaffee auf einer Bank saß, hielt auf dem großen Parkplatz einer dieser Riesen-PickUps mit langem Anhänger, auf dem ein noch längeres Boot mit Außenborder war. Zwei ältere Männer stiegen aus und kamen nach wenigen Minuten wieder aus dem Shop heraus. Einer war sehr groß und kräftig gebaut, wohl so um die 60, der andere kleiner und auch älter, weniger sportlich. Der Große ging zu seinem Auto, der Kleinere kam zu mir und redete auf mich ein, was ich nicht verstand. Als er merkte, dass ich ihn nicht verstand, wiederholte seine Frage ganz langsam und zwar auf schwedisch! Das habe ich dann verstanden. Er wollte wissen, ob ich über meine Reise ein Buch schreiben wolle. Auf schwedisch antwortete ich ihm, dass ich das nicht vorhätte. Warum hier im Nordosten von Maine schwedisch? Der Mann sagte, seine Vorfahren seien aus Schweden nach hier ausgewandert, so wie nicht wenige andere auch. Deshalb auch der schwedische Ortsname. Er hieße Carl Sjoberg; in Amerika sei aus dem ö ein o geworden, er hieße eigentlich Sjöberg; so sprach er seinen Namen auch aus.
Mehrfach wiederholte er seine Aufforderung, doch ein Buch über meine Reiseerlebnisse zu schreiben. Er wolle unbedingt eines haben. Ich vertröstete ihn damit, dass ich vielleicht in einigen Monaten einen Fotobericht ins Internet stellen würde, und dass ich ihm die URL dafür auf einen
Zettel schreiben wolle. Was ich dann auch tat. Carl sagte daraufhin, dass er sich mit Computer und Internet nicht auskenne, aber Tom – so hieß der größere Mann, der im Auto auf Carl wartete – habe Internet, und an ihn könne ich auch Mails schicken. Ich versprach ihm, mich nach meiner Rückkehr aus Deutschland über Tom zu melden und auch einige Fotos zu schicken.
Beim Wegfahren stoppte Tom seinen großen GMC-PickUp neben mir und reichte mir seine Visitenkarte auf dem Fenster: TomWOLTERS, Registered Maine Guide, Stockholm, ME.
Ich konnte ihn leider nicht mehr fragen, wann seine Vorfahren aus Deutschland - möglicherweise sogar aus der Grafschaft Bentheim? - nach Maine gekommen sind.

Die beiden Ortsnamen Linneus und Stockholm zeigen, dass sich in dieser Gegend viele schwedische Auswanderer angesiedelt haben. Auf eine ganz andere natürliche Umgebung mussten sie sich hier nicht einstellen.

Es war schon Nachmittag, und ich wollte meine letzte Etappe in den Neuenglandstaaten eigentlich mit einer Übernachtung in Maine anschließen. In Houlten glaubte ich, eine Unterkunft finden zu können. Dass es dort keinen C-Platz gab, hatten mir Tom und Carl schon gesagt. Aber ein Motel müsste sich doch finden lassen, besonders auf der Ausfallstraße in Richtung der nahen Grenze zu New Brunswick. Dachte ich; dem war aber nicht so. Und so war ich schneller als geplant an der Grenze. Um über die Grenze zu kommen, musste ich von der Nebenstraße auf die Interstate wechseln. Denn nur auf der unterhalten die beiden Länder ihre aufwändigen Grenzabfertigungseinrichtungen. Da ich von den USA nach Kanada wollte, hatte ich es nur mit der kanadischen Kontrollstelle zu tun. Die nicht besonders freundliche Beamtin stellte die üblichem Fragen, ich konnte sie jedes Mal verneinen; hatte weder Waffen dabei, noch bestimmte Lebensmittel etc. Auf meine Frage, wie ich das grüne Kärtchen, dass mir ihr amerikanischer Kollege bei der ersten Einreise in die USA an der Fähre von Vancouver Island nach Anacortes in den Pass getackert hatte mit der Aufforderung, es unbedingt bei der letzten Ausreise aus den USA
an der Grenze wieder abzugeben, zu den US-Kollegen auf der anderen Straßenseite befördern könne, sagte sie, das würde sie übernehmen. Und – ehe ich es verhindern konnte – riss sie das grüne Kärtchen einfach aus meinem schönen neuen Pass, in dem jetzt auf einer Seite ein Stück fehlt.

Jetzt war ich also wieder in Kanada. Und damit am Beginn des letzten Abschnitts meiner Reise.
Beim Grenzübertritt zeigte mein Radcomputer 6 997 km; die Fahrt durch New York und die Neuenglandstaaten ging folglich über rund 1100 km.



von: Oldmarty

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 05.03.12 19:31

deswegen hast du da an der Grenze viele Kasinos
von: Jim Knopf

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 08.03.12 14:07

Hallo Lothar,

habe gerade deinen Bericht gelesen und mir deine tollen Bilder angesehen. Das ist wirklich ganz großes Kino. Vielen Dank für das Einstellen des ausführlichen Reiseberichts. Das ist so toll geschrieben wie ein spannendes Buch in Gedanken war ich immer dabei.
von: rayno

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 08.03.12 15:50

Freut mich, Jürgen, dass er Dir gefallen hat. Es fehlt noch der letzte Teil; da bin ich wieder in Kanada:

Durch die maritimen Provinzen Kanadas

Gefahrene Route: http://www.gpsies.com/map.do?fileId=yzvdlmhhfvdkclyk
Fotos: ab https://picasaweb.google.com/103249798526464290620/Nordamerika2011#5662607089038762962

Von der Grenze musste ich also auf dem autobahnmäßig ausgebauten Highway nach New Brunswick hinein, der ersten maritimen Provinz auf meiner Reise. Wenige Kilometer hinter der Grenze ging ein Abzweig zu einer Touristeninformation steil eine Anhöhe hinauf. Wieder einmal ein Beispiel dafür, dass die Straßenplaner nicht an Radfahrer gedacht haben können. Mindestens 15 % hatte diese Steigung. Ich sah schon von Weitem, dass es schwer werden würde, dort hinauf zu kommen und bin mit ordentlichem Schwung die Rampe hinauf. Ganz bis oben habe ich es aber doch nicht geschafft, ohne abzusteigen und die letzten Meter zu schieben. Letzteres fiel schwer genug.

Gelohnt hat es sich aber. Die beiden freundlichen Damen versorgten mich mit Informationsmaterial über New Brunswick und erklärten mir auch den Weg zu einem der beiden Campingplätze in Woodstock, der ersten Stadt, durch die ich kommen musste. Ich weiß nicht, durch wie viele Orte mit diesem Namen ich gekommen bin; das berühmte Woodstock war noch nicht einmal dabei.
In Woodstock fand ich dann sehr schnell den Campground und richtete mich ein; diesmal auf einer größeren Freifläche mit bestem Grasuntergrund und nicht in einem abgegrenzten Stück im Wald.

Zielort des nächsten Tages war die Hauptstadt dieser Provinz, Fredericton. Die Fahrt dahin verlief ohne besondere Höhepunkte über kleine, sehr verkehrsarme Nebenstraßen. Die Landschaft unterschied sich merklich von der in Maine. Weniger Wildnis, mehr Kulturlandschaft, d.h. landwirtschaftlich genutzte Flächen, die aber immer wieder mit Wald durchsetzt waren. Hügelig war es aber weiterhin.

Kurz von Fredericton wechselte ich auf eine größere Straße, weil wieder mal eine Motelübernachtung an der Reihe war. Am Stadteingang von Fredericton fand ich auch gleich ein passables Motel.

Die Durchfahrt durch die nicht sehr große Hauptstadt von NB war problemlos, dank der guten Unterlagen der Touristeninformation. Mein Plan, am Stadtausgang auf die andere Seite des breiten St. John River zu wechseln, scheiterte, da die dafür angesteuerte Brücke wegen Renovierung gesperrt war. So blieb ich auf der stärker frequentierten Straße, die aber immer noch eine recht ruhige Nebenstraße war. Auf den parallel verlaufenden Transcanada-Hw musste ich dann hinter Oromocto doch noch wechseln, weil der über die einzige Brücke über den hier sehr breiten St. John River führte. An der Tankstelle vor der Brückenauffahrt erkundigte ich mich, ob ich überhaupt mit dem Rad über die Brücke dürfe. Die Auskunft lautete: „Sie (die Hw-Police) haben es nicht gerne, aber lassen es zu.“ So fuhr ich die große Schleife zur Brücke hinauf, und was sah ich unmittelbar vor der Brücke? Natürlich das bekannte Schild mit dem durchgestrichenen Fahrrad. Ich fuhr trotzdem weiter, aber an der nächsten Abfahrt wieder auf eine Nebenstraße. Auf der war ich dann praktisch allein unterwegs. Sie verlief in teilweise sehr großem Abstand vom Transcanada-Hw durch lichte

Waldlandschaft ohne erkennbare Besiedelung. Obwohl also kaum Verkehr herrschte, handelte es sich um eine sehr breite Straße mit zusätzlich sehr breiten geschotterten Seitenstreifen. Offensichtlich war es der alte Transcanada-Hw, bis er durch den neu angelegten weiter südlich verlaufende autobahnmäßig gebauten Highway abgelöst wurde.

Als Tagesziel hatte ich das Städtchen Salisbury ca. 20 km vor Moncton geplant. Nach meinen Unterlagen war dort kein C-Platz, also hielt ich nach einem Motel Ausschau. Dabei machte ich einen Fehler, indem ich in Salisbury auf die Nebenstraße südlich des Flusses weiter in Richtung Moncton fuhr. Der Durchgangsverkehr lief über die beiden nördlich verlaufenden größeren Straßen. Und dort haben sich aus verständlichen Gründen die Motels angesiedelt. Ich fand keines; und zurück wollte ich auch nicht, hatte ich an diesem Tag doch schon bald 200 km zurückgelegt. In Moncton spätestens würde ich schon was finden.

Um nach Moncton zu gelangen, musste ich auf meiner südlich verlaufenden Route erst durch das unmittelbar an Moncton angrenzende Riverview. Dort hielt ich kurz an einer Tankstelle, um mir etwas Verpflegung für den Abend und den nächsten Morgen zu besorgen. Beiläufig fragte ich, ob in der Nähe ein Campground oder ein Motel sei. Nein! War die Antwort. Erst in Moncton jenseits des Flusses. Dann ging die Kassiererin zu einem Brett mit allerlei Aushängen und zeigte mir ein Kärtchen mit der Adresse einer B&B-Unterkunft ganz in der Nähe. B&B-Unterkünfte hatte ich bei der Planung eigentlich ganz ausgeschlossen, weil sie nach meinen Informationen in Kanada recht teuer sind. In der Situation, in der ich mich jetzt nach 200 km befand, fand ich die Idee, es einmal dort zu probieren, aber nicht so abwegig, zumal die Adresse keine 100 m weiter die Straße hinunter in Richtung Moncton lag.

Ich nahm das Kärtchen also dankend entgegen und fuhr die paar Meter weiter zu dem schönen weißen und noch recht neuen Haus. Der freundliche Hausherr sagte, er habe schon zwei Gäste, aber im Untergeschoss habe er eine kleine abgeschlossene Wohnung, die ich haben könne. Der Preis sei 95 $, inklusive Frühstück natürlich.
Ich nahm die Wohnung und richtete mich ein. Da die recht geräumige Wohnung eine voll eingerichtete Küche hatte, bereitete ich mir auch ein aufwändigeres Abendessen als sonst üblich. Dazu fuhr ich auch noch einmal zur nahen Tankstelle zurück, um mir ein paar Dinge dafür zu besorgen.

Zu einer B&B-Übernachtung gehört nun auch das morgendliche Frühstück. Und auf das war ich besonders gespannt. Abends hatte uns die Hausfrau den Frühstücksraum für die Hausgäste gezeigt und eine Zeit ausgemacht. Ich erschien pünktlich um 08:00 Uhr; die beiden anderen Hausgäste, ein Ehepaar aus Charlottetown, PEI, waren schon anwesend. Es gab ein, wie man mir sagte, typisch kanadisches Frühstück. Zuerst ein großer gefüllter Pfannkuchen, danach Obst und Joghurt. Dazu natürlich Kaffee und Orangensaft. Zu meiner Überraschung keinerlei Brot. Beim Abschied gab mir die Hausherrin noch ein großes Stück Apfelkuchen für unterwegs, wie sie sagte.

So habe ich also auch eine kanadische B&B-Übernachtung kennengelernt. Gut, aber auch recht teuer.

Auf meinem weiteren Weg durch New Brunswick musste ich zunächst durch Moncton. Dazu hatte mir der Hausherr von der B&B-Unterkunft eine Streckenbeschreibung gegeben, nach der ich dann gefahren bin und die recht große Stadt problemlos durchquerte. Die Stadt machte überhaupt einen sehr aufgeräumten großstädtischen Eindruck, und man würde in ihr eher die Hauptstadt der Provinz vermuten als das kleinstädtische Fredericton.

Dieser Tag sollte der letzte volle Tag in New Brunswick sein. Geplant war eine Übernachtung in der Nähe der langen Brücke zu Prince Edward Island. Um dahin zu gelangen, musste ich von Moncton zunächst nach Shediac , wo ich erstmals zum Atlantik kommen würde. Der Fischer- und Touristenort Shediac war auch schnell erreicht. Am Ortseingang musste ich eine ganze Zeit am Straßenrand Halt machen, um eine Kolonne von wohl einigen 100 Motorradfahrern , zumeist auf Harley Davidson-Maschinen, passieren zu lassen. (Einige Tage später erfuhr ich von einem Motorradfahrertreffen mit über 10 000 Bikern irgendwo in der Gegend.)

Da ich zur Mittagszeit in Shediac ankam, machte ich eine längere Mittagspause und fuhr etwas in dem von Touristen wimmelnden Städtchen herum. Immer wieder wurde ich angesprochen und mit dem „von wo?“ und „wohin“ konfrontiert. Zum Mittagessen leistete ich mir erstmals Hummer, nicht weil ich darauf unbedingt stehe, sondern weil er hier überall angeboten wurde, sogar bei McDonalds und BurgerKing.

Die weitere Fahrt ging jetzt an der Küste entlang über eine schmale Straße, von der man immer wieder einen schönen Blick auf den Atlantik und auf das weit hinten schemenhaft erkennbare PEI hatte. Immer wieder kam mir der Gedanke, „jetzt hast du es eigentlich geschafft.“ Von Küste zu Küste in Nordamerika wollte ich fahren, vom Pazifik zum Atlantik. Am Pazifik war ich gestartet, jetzt fuhr ich am Atlantik entlang. An dessen Küstenlinie wechselten sich felsige und steile Abschnitte mit flachen ab, die mit Kieseln unterschiedlicher Größe, aber auch mit feinem, gelblichen Sand gefüllt waren. An manchen Stellen reichten landwirtschaftliche genutzte Flächen bis unmittelbar ans Ufer.

Wenige Kilometer vor der langen Brücke, die man an manchen Stellen schon am Horizont erahnen konnte, fand ich einen State Campground. Durch die Erfahrungen, die ich mit solchen Campgrounds gemacht hatte, hatte sich bei mir eine gewisse Abneigung breit gemacht. Mangels Alternative fuhr ich jedoch den kurzen Abzweig zum State Park. Und war diesmal nicht enttäuscht. Keine abgegrenzten Sites in dichtem Gestrüpp, sondern eine offene, weite Fläche, auf der ich mein Zelt aufbauen konnte. Da unmittelbar am Strand und in offenem Gelände, war nur der Wind ein wenig hinderlich. Zum Essen begab ich mich daher jeweils in eine Art Scheune, wo ich vor dem Küstenwind geschützt war.

Die lange Brücke immer stärker ins Blickfeld kommend, fuhr ich am nächsten Morgen zur Brückenauffahrt. Diese, wie die Brücke selbst, gehört zum Transcanada-Hw, auf den ich also von meiner Küstenstraße wechseln musste. Dass ich die 12,9 km lange Brücke nicht per Rad befahren durfte, war mir bekannt. Man muss den von der Provinz PEI eingerichteten Shuttle-Service in Anspruch nehmen. Dazu sollte man, wie ich gelesen hatte, an der INFO im Cafè vor der Brücke telefonisch den Shuttle ordern. Also bog ich zur INFO an der Brücke ab. Ich war noch in der Biegung, als mir aus der ein VAN mit einem Anhänger
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entgegen kam. Der Fahrer stoppte und fragte, ob ich über die Brücke wolle. Natürlich wollte ich. Schnell war mein Rad samt Gepäck verladen und schon ging es Richtung Prince Edward Island, der nächsten maritimen Provinz Kanadas.

PEI (Prince Edward Island)

Da vor der Brücke der gerade losfahrende Shuttle meinen Cafébesuch verhinderte, musste ich den hinter der langen Brücke natürlich nachholen. Nach Auskunft des Fahrers sollte das Angebot an Einkehrmöglichkeiten dort auch reichhaltiger sein. Und tatsächlich; gleich hinter der Brücke boten sich zahlreiche Möglichkeiten an, eine Frühstückspause zu machen. Aber auch, sich über die Insel zu informieren. Ohnehin leistet sich die kleine Provinz einen großen Aufwand, Touristen auf die Insel zu holen und ihnen dort etwas zu bieten. Offensichtlich mit Erfolg, denn der Touristenrummel war gerade hier hinter der Brücke nicht zu übersehen.

Neben dem Tourismus spielen Fischerei und Landwirtschaft auf PEI eine gewichtige Rolle. Kartoffeln scheinen eine besondere Spezialität zu sein. Überall sieht man Kartoffelfelder und Verkaufsstände mit PEI-Kartoffeln aus neuer Ernte. Wenige Kilometer auf dem Weg zur Hauptstadt kam eine offensichtlich noch recht neue große schneeweiße Fabrikanlage ins Blickfeld. An einem etwas höheren Gebäudeteil war in großen Lettern der Schriftzug McCain zu lesen. Aha, da werden also PEI- Kartoffeln zu den Chips und anderen Kartoffelprodukten verarbeitet, die man überall in den Läden und Tankstellenshops in den schrecklichen Rascheltüten hängen sieht, und die von den Amerikanern und Kanadiern in für mich unverständlich großen Mengen konsumiert werden. Zusammen natürlich mit Cola, und die aus den Riesenflaschen! Ist das mit ein Grund, warum man so viele dicke Menschen, vor allem auch Kinder, herumlaufen sieht?

Meine weitere Fahrt zum Tagesziel Charlottetown, der Hauptstadt der Inselprovinz, wo ich eine Unterkunft in einem Hostel gebucht hatte, verlief ohne nennenswerte Ereignisse. Mit einer Ausnahme: Als ich in Cornwall, dem letzten Ort vor Charlottetown ankam, wurde dort gerade eine Straßensperre aufgehoben. Der Grund war eine Parade, die gerade zu Ende gegangen und das Vorspiel zu einer Versammlung auf einem großen Sportgelände war. Auf großen Plakaten war auch überall der Grund zu sehen: Ein erfolgreicher Sportler, natürlich im Eishockey, sollte für den Gewinn des Stanley-Cups mit seiner Mannschaft, den Boston-Bruins, von seiner Heimatgemeinde geehrt werden. Es ist Sitte, dass jeder Spieler den Siegerpokal für 24 Stunden mitnehmen und seinen Freunden und Anhängern zeigen kann. Und das geschah an diesem Sonntag in Cornwall auf PEI. (Ob es wohl das Original war? Oder gibt es gleich für jeden Spieler eine Kopie?) Zur Siegermannschaft aus Boston gehört übrigens auch ein deutscher Spieler namens Seidenberg.

In Charlottetown ging dann die übliche Suche nach der Unterkunft los. Ich hatte zwar eine, wusste auch, dass sie downtown, also mitten im Zentrum liegt; aber welche Straße führte dahin? Wieder keinerlei Wegweiser oder Hinweise an den Kreuzungen und Abzweigungen.
Also hieß es wieder einmal, anhalten und Karte studieren und nach den Straßennamen Ausschau halten. Als ich das an einer Tankstelleneinfahrt tat und mit meiner nicht sehr differenzierten Karte nicht recht weiter wusste, hielt neben mir ein PKW; der Fahrer kurbelte das Fenster an der Beifahrerseite herunter und fragte, ob er helfen könne. Natürlich konnte er. Er reicht mir dann auch noch einen riesigen Stadtplan von Charlottetown aus dem Fenster. Auf dem war nun wirklich jede Straße und Gasse verzeichnet.
Danach fand ich sehr schnell zum Hostel. Ich musste fast ganz zum Ende einer der Hauptstraßen, fast bis zum Wasser, hinunterfahren.

Die Hostelunterkunft hatte ich auch aus dem Grunde gebucht, weil an dem Wochenende die Ausläufer des tropischen Wirbelsturms IRENE den Nordosten Amerikas durchqueren sollten. Ich habe davon allerdings kaum etwas mitbekommen; am Sonntag nur etwas Regen und am Montag war es etwas stürmisch, bei sonst schon wieder sonnigem Wetter. Meine australischen Freunde, mit denen ich in Norddakota und in Minnesota etliche Tage zusammen unterwegs war und die einige Tage später als ich durch die Neuenglandstaaten fuhren, konnten allerdings weiter westlich in New Hampshire nicht auf der geplanten Northern Tier – Route fahren, weil dort etliche Straßen und vor allem Brücken durch die Schäden, die IRENE angerichtet hatte, unpassierbar geworden waren.

Ich nutzte die beiden Tage in Charlottetown zu Besichtigungen in der Stadt und zur Materialpflege. Außerdem ist es immer wieder mal interessant, sich mit anderen Reisenden auszutauschen; vor allem, wenn man etliche Tage allein unterwegs gewesen ist.

Von Charlottetown ging meine Reise durch den Südosten der Insel zum Fährhafen Wood Islands. Ich erreichte die Fähre gerade noch rechtzeitig und begab mich gleich in das Café. Die eineinhalbstündige Überfahrt nach Nova Scotia wurde durch Livemusik, bei der der junge Akkordeonspieler auch die Fahrgäste zum Mitsingen und Tanzen animierte, eine kurzweilige Angelegenheit.

Nun, am 30. August, war ich also in der letzten kanadischen Provinz, in Nova Scotia, angekommen. Von dort hatte ich den Rückflug nach Deutschland gebucht.
Nova Scotia zeigt landschaftlich ein gänzlich anderes Bild als PEI und auch New Brunswick; weniger landwirtschaftlich genutzte Flächen, mehr Wald, mit Felsen durchsetzt. Es erinnerte mich schon ein wenig an Schottland. Vielleicht haben sich auch deshalb vor allem Auswanderer aus Schottland dort angesiedelt.

Die ersten Kilometer fuhr ich auf einer breiten Straße durch kaum besiedeltes Gebiet; an Pictou vorbei in Richtung New Glasgow. Dort wollte ich Station machen, was aber mit einigen Schwierigkeiten verbunden war. In der dicht besiedelten Region um New Glasgow hat man bei der die Verkehrsführung wieder mal nicht an Radfahrer gedacht. So irrte ich zuerst einige Zeit herum, bis ich mich in einem Motel einquartierte, an dem ich auch schon eine Stunde vorher vorbeigekommen war.

Am nächsten Morgen fuhr ich auf dem schnellstmöglichen Weg durch den Ballungsraum um New Glasgow in östlicher Richtung. Dass ich dazu wieder einige Zeit auf einem autobahnartig ausgebauten Highway fahren musste, nahm ich in Kauf. Zum Glück war dieser Hw für Radfahrer nicht gesperrt. So kam ich schon gegen Mittag in der kleinen Universitätsstadt Antigonish an. Bei herrlichem Wetter wollte ich gerade in der Hauptstraße ein Café ansteuern, um dort draußen in der Sonne sitzend Mittag zu machen, als ich von zwei dort schon sitzenden Männern angesprochen wurde. Schnell stellte sich heraus, dass die beiden, Vater und Sohn, aus Bayern waren. Ich setzte mich zu ihnen. Der Ältere, Orthopäde im (frühen) Ruhestand, erzählte, dass er weiter südlich in Nova Scotia ein Haus gekauft hatte, wo er sich zur Zeit mit seiner Familie aufhalte. Überhaupt hätten sich nicht wenige Deutsche und auch Schweizer dort ein zweites Domizil gesucht, auch, weil man dort noch recht günstig und ohne große Formalitäten etwas bekommen könne.
Man gab mir auch eine Empfehlung für meinen weiteren Weg in Richtung Halifax und auch eine Anlaufadresse in Sherbrooke, ein von einem Ehepaar aus der Schweiz geführtes Hotel.

Da ich auf der Fahrt durch Antigonish unweit des Stadtzentrums einen Campingplatz gesehen hatte und bei dem herrlichen Wetter keine große Lust hatte, noch weiter zu fahren, blieb ich in Antigonish und richtete mich auf dem C-Platz ein.
Mein kleines Zelt war das zunächst Einzige auf dem Platz; außer mir nur die riesigen RV's. Am späten Nachmittag gesellte sich dann noch ein zweiter Radler, ein kanadischer Student, hinzu; zufällig mit dem gleichen grünen MSR-HubbaHubba-Zelt.

Von dem halben Erholungstag ausgeruht setzte ich am nächsten Morgen meine Reise fort. Den ganzen Nachmittag und auch noch in der Nacht hatte ich hin und her überlegt, wie es weiter gehen sollte. Sollte ich doch noch die große Schleife nach Nordosten zum Cape Breton Island machen? Oder doch hier schon auf Hw 7 nach Süden und dann entlang der Küste nach Halifax? Letztlich gab der Wetterbericht den Ausschlag. Für die kommenden Tage wurde für den Nordosten von Nova Scotia Regen und Sturm vorhergesagt; und das war ein Wetter, das ich für eine Radtour entlang der Küstenlinie auf Cape Breton nun gar nicht brauchen konnte. Also gleich auf dem Hw 7 nach Süden.

Die Fahrt nach Süden war sehr entspannend. In sanftem Auf und Ab verlief die Straße durch dünn besiedeltes Gelände, das aber im Gegensatz zum Norden stärker landwirtschaftlich genutzt wurde. Größere Ortschaften mit Einkehrmöglichkeiten oder Tankstellen gab es nicht; lediglich einen Farmershop fand ich, wo ich dann auch einen längeren Stopp machte. Mein Tagesziel war Sherbrooke, in dessen Nähe nach meinen Unterlagen ein Campingplatz sein musste. Kurz vor Sherbrooke sah ich dann auch an einer Abzweigung ein Hinweisschild. Ich fuhr zum an einem See gelegenen C-Platz, der überwiegend von Anglern genutzt wurde. Zu meiner Überraschung gab es freien Internetzugang, den ich dann auch gerne nutzte. Zu mir gesellte sich ein perfekt Deutsch sprechender Niederländer, der mit seiner Frau in einem gemieteten Wohnmobil unterwegs war.

Erst spät kam ich am nächsten Morgen in die Gänge und fuhr die paar Kilometer nach Sherbrooke. Da ich auf dem C-Platz nur ein spärliches Frühstück genossen hatte, suchte ich ein Café auf. Mit einem großen Pott Kaffee und zwei Scones setzte ich mich auf eine Bank im Vorgarten. Am Tisch daneben saß ein Herr, mit dem ich schnell ins Gespräch kam. Nach dem üblichen Woher? Und Wohin? kam die Rede auf die Europäer, die sich in Nova Scotia niedergelassen hatten, zumal ich inzwischen gemerkt hatte, dass das Haus nebenan das von den Schweizern geführte Hotel war, auf das mich in Antigonish der Arzt aus Bayern hingewiesen hatte.

Da war der gute Mann gleich in seinem Element. Er war nämlich eine Art Grundstücksmakler, der schon manchen Europäern einen Wohnsitz in dieser Gegend vermittelt hatte. Er gab mir seine Visitenkarte und wollte mir auch wohl gleich etwas schmackhaft machen. Nur 5 CA-$ pro Quadratmeter für ein Grundstück direkt am Atlantik; wo gäbe es das sonst noch? Und hier in Nova Scotia ganz ohne Formalitäten und Schwierigkeiten mit Behörden; das im Unterschied zu den USA vor allem. Und ein Haus könne man von der Stange fertig kaufen; es werde nicht vor Ort gebaut, sondern in fertigem Zustand dahin transportiert. Das ginge in wenigen Tagen.
Ich fand diese Informationen schon recht interessant, gab aber zu verstehen, dass meine Interessen andere seien.

Schon während der Unterhaltung mit dem Grundstücksmakler hörte von nebenan, also von dem Hotel, ungewöhnliche Laute. Die Schweizer Hotelbesitzer verabschiedeten gerade Gäste, die offensichtlich auch aus der Schweiz kamen; denn mit wem sollte man sich hier im fernen Kanada auf Schwyzerdütsch unterhalten. Da ich mein Fahrrad unmittelbar neben der Veranda des Hotels abgestellt hatte, grüßte ich die Schweizer und bestellte ihnen auch Grüße von dem bayerischen Arzt, der gelegentlicher Gast in ihrem Restaurant ist. Schnell kam ein Gespräch in Gang und an das zweite schloss sich gleich ein drittes Frühstück an.

So war der Vormittag schon vorbei. Auf dem Hw 7, der jetzt der Küstenlinie folgte, radelte ich in Richtung Halifax, wohin es aber noch ein recht weiter Weg war. Es herrschte kaum Verkehr auf der schönen Küstenstraße, aber auch sonst war nichts los; keine größeren Ortschaften mit Einkaufs- und Einkehrmöglichkeiten. Nach einer Pause auf einem schönen Rastplatz, wo ich, obwohl Sonntag, allein war, fand ich in einem Motel in Port Dufferin eine Unterkunft.

Am nächsten Morgen ging es weiter auf der Küstenstraße; jetzt mit zunehmend stärker werdendem Ausflugsverkehr. Das um den Labor Day verlängerte Wochenende
lockte viele Kanadier hinaus, zumal es auch das letzte Wochenende in den Schulferien war und das Wetter mitspielte.

Ich war nicht lange unterwegs, als ich von unten ein vertrautes Geräusch vernahm: Ein anderer Radler hatte mich eingeholt: Richard, den ich gleich nach den ersten Worten zutreffend als Francokanadier einordnete. Wir unterhielten uns in gebrochenem Englisch, und ich war wieder überrascht, wie schlecht viele Francokanadier Englisch sprechen. Ich war bislang immer der Meinung, alle Bewohner von Quebec würden neben ihrer Muttersprache auch perfekt Englisch sprechen können. Dem ist aber offensichtlich nicht so.

Richard aus Quebec City war mit leichtem Gepäck auf einer Dreiwochentour durch die maritimen Provinzen. Als ich fragte, wo er die letzte Nacht verbracht hatte - einen C-Platz hatte ich weit und breit nicht gesehen, und im einzigen Motel war ich der einzige Radler - sagte er, dass er oft wild zelten würde und nur alle paar Tage mal eine Dusche brauche. Wie er aussah, war die jetzt wohl wieder bald fällig. Er war ein lustiger Geselle, trotz Zeltausrüstung mit relativ leichtem Gepäck unterwegs, zudem gut 20 Jahre jünger als ich. In den Anstiegen konnte ich ihm auch nicht folgen. So trennten wir uns nach einiger Zeit.

Aber nicht für lange. Als ich mir am frühen Nachmittag aus einer Bäckerei einen Becher Kaffee und ein Stück Kuchen geholt und mich damit auf die Bank vor dem Gebäude gesetzt hatte, sah ich Richard auf der anderen Straßenseite vor einer Eisbude mit einem großen Eis sitzen. Ich setzte mich zu ihm. Da wir mit Halifax dasselbe Ziel hatten, das wir aber erst am nächsten Tag erreichen konnten, sprachen wir uns ab, zusammen zu dem Hostel zu fahren und zu versuchen, dort unterzukommen, obwohl wir keine Reservierung gemacht hatten. Zuvor mussten wir aber für die kommende Nacht eine Unterkunft suchen. Richard wollte wieder irgendwo am Straßenrand sein kleines Zelt aufbauen. Ich entschied mich, einen etwas abseits an der Küste liegenden Campground in einem State Park anzusteuern. Am nächsten Morgen würden wir uns schon wieder auf dem Weg nach Halifax treffen.

Das klapptes dann auch. Die Übernachtung im State Park war schrecklich. An der Einfahrt zuerst das Schild „No Vacancy“. Kein Wunder, war es doch das um den Labor Day verlängerte Wochenende, mit dem die Ferienzeit in den USA und auch in Kanada zu Ende geht. Ich fuhr trotzdem die lange Zufahrt zum Office. Der junge Mann ließ mich trotz Überfüllung hinein, sagte aber, einen Platz für mein Zelt müsse ich mir selber suchen. Nach seinen Unterlagen sei alles voll. Aber für einen Radler mit kleinem Zelt müsse sich noch ein Platz finden lassen. So war es dann auch. In der Nacht war es furchtbar laut. Die anderen Camper feierten offensichtlich das Ende des Sommers und ihrer Ferien, nicht nur mit Lagerfeuer und Gesang, sondern auch mit Feuerwerk. Leider ließen sich die Mücken davon nicht vertreiben. War ich während meiner gesamten Reise bisher von diesen und ähnlichen Viechern verschont geblieben, so haben sie bei meiner letzten Zeltübernachtung umso mehr zugesetzt.
An nächsten Morgen verließ ich daher in aller Frühe das unwirtliche Gelände. Ich war nur wenige Kilometer auf der Hauptstraße in Richtung Halifax gefahren, kam auch schon Richard von hinten angesaust. Er hatte unweit auf einer Anhöhe neben der Straße die Nacht verbracht, war natürlich ohne Morgentoilette und – wie ich - ohne Frühstück.

Erst nach etlichen Kilometern fanden wir ein kleines Restaurant, wo wir ausgiebig frühstückten. Wir waren jetzt schon im Einzugsbereich von Halifax und Dartmouth. Dartmouth ist die Schwesterstadt von Halifax, die wir erst durchqueren mussten. Von dort ging es über eine hohe und sehr lange Brücke, die zum Glück für uns einen eigenen Fuß- und Radweg hatte, nach Halifax hinein. Um zum Hostel zu gelangen, mussten wir das Stadtzentrum auf seiner gesamten Länge durchqueren. Auf dem Weg dahin zeigte mein Radcomputer, dass ich gerade die 8 000 km-Marke überschritten hatte.

Ich hatte für die beiden letzten Tage vor dem Rückflug vor einiger Zeit bereits eine Reservierung vorgenommen; jetzt waren wir aber schon früher da. Und Richard hatte natürlich auch keine Reservierung. Vielleicht konnten wir aber dennoch unterkommen. So war es dann auch. Zwar mussten wir etwas warten, bis man uns ein Quartier zuweisen konnte, aber es klappte.

Richard erzählte schon unterwegs, dass er in Halifax unbedingt eine bestimmte Brauerei besichtigen wollte. Die solle ein Erlebnis sein. Zudem seien im Preis von 13 CA-$ zwei große Gläser Bier eingeschlossen.

Also gleich am nächsten Tag zur ganz in der Nähe gelegenen Brauerei „Keith“.
Die Besichtigung war in der Tat ein Erlebnis. Sie fand in einer Art Theaterstück statt; die Darsteller, drei junge Frauen und ein Mann in der Tracht der Gründerzeit, bezogen auch ihre Gäste mit in die Vorführung ein, indem sie sie aufforderten, mitzusingen und zu tanzen. Ich hielt mich da verständlicherweise etwas zurück und wartete darauf, dass es endlich die beiden Biere gibt. Die gab es dann auch. Von den vier Sorten, die im Angebot waren, durfte man sich zwei aussuchen. Ich blieb bei einer Sorte, dem normalen Hellen, welches dem mir aus Deutschland gewohnten sehr nahe kam.


Richard blieb nur für eine Übernachtung im Hostel. Wir verabschiedeten uns folglich am nächsten Morgen. Er empfahl mir zum wiederholten Male, doch mal eine Radreise in Quebec zu machen. Dort sei es ganz anders als in dem Kanada, das ich auf meiner jetzigen Reise kennengelernt habe. In der Tat würde mich eine Radreise im französischen Kanada durchaus reizen. Vielleicht in einem der kommenden Jahre.

Ich konnte auch die kommenden Tage im Hostel bleiben und verbrachte meine letzten Tage mit Besichtigungen, eine längeren (95 km) Rundtour um Halifax und damit, meine Ausrüstung auszudünnen und vor allem, meinen LHT für den Rückflug vorzubereiten. Dazu besorgte ich mir vom nahe gelegenen MEC einen Radkarton, von dem ich allerdings nur die beiden großen Seitenteile zur Abdeckung des LHT nutzte. Pedale, Schaltwerk und Kette wurden demontiert. Die Kette, eine Campagnolo C9, die ich zu meiner Überraschung auf den gesamten mehr als 8000 km fahren konnte, habe ich entsorgt.

Da man zum recht weit von der Stadt entfernten Flughafen nur über autobahnmäßig ausgebaute Zubringerstraßen gelangen konnte, bestellte ich telefonisch mir einen Shuttle.
Um auch mein Rad im Taxi unterbringen zu können, musste es ein entsprechend großes Fahrzeug sein. Das sei aber kein Problem, würde nur 5 € mehr kosten.

Pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt hielt am nächsten Morgen ein Van vor dem Hostel. Mein Rad sowie die in einem großen Sack verpackten Radtaschen (mit ausgedünntem Inhalt) waren schnell verstaut und los ging es zum 34 km entfernten Airport.

Als ich im Airport mit meinem großen Gepäck neben mir auf einer Bank saß und überlegte, wie ich die Stunden bis zum Einchecken überbrücken könnte, sah ich einen anderen Radreisenden mit seinem in einer Riesenbox verpackten Rad durch die Halle schieben. Ich sprach ihn gleich an; es war René aus der Schweiz, der mit demselben Condor-Flug nach Frankfurt wollte. Zusammen brachten wir unsere Räder und das sonstige große Gepäck in der Gepäckaufbewahrung unter.
Ich nutzte einen Großteil der Wartezeit dann damit, den freien Internetzugang im Airport zu nutzen.

Mit kleiner Verspätung startete die Böing 767 zum Nachtflug nach Frankfurt. Die 6 Stunden Flugzeit gingen schneller herum als befürchtet; fast pünktlich landete die 767 in Frankfurt.

Als tolle Überraschung hatte sich auf dem Flughafen ein Empfangskomitee eingefunden: Meine Schwester mit Schwager, sowie meine Schwägerin. Sie waren mir gleich behilflich, mein Rad und die sonstige Ausrüstung so zu entpacken und umzupacken, dass ich damit den restlichen Heimweg mit der Bahn bewältigen konnte. Auch auf dem hat alles trotz knapp bemessener Umsteigezeiten geklappt.
von: gerold

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 08.03.12 17:36

Ich hab deine Berichte auch immer gerne gelesen. Mein Interesse ist umso größer, da ich selbst im Sommer in Canada den Rocky Mountain Brevet fahren und nachher noch eine Runde dranhängen werde. Danke für die ausführlichen Schilderungen und weiterhin gute Fahrt wünscht Gerold
von: gustavson

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 08.03.12 22:31

bravo bravo bravo

Schade das die Reise zu Ende ist, hätte gerne weitergelesen...

Danke fürs mitlesen dürfen
Gustavson
von: kettenraucher

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 09.03.12 06:42

Sehr, sehr schön und interessant. Auch ich hätte gerne weiter gelesen. Weil die Geschichte nun leider zu Ende ist, muss ich mit dem Lesen wohl wieder von Vorne anfangen.
Besonders gefällt mir auch Deine unaufgeregte Art des Erzählens.
Wäre aber auch auf den Schlussakkord gespannt gewesen, wenn Du vom Frankfurter Flughafen per Rad anstatt mit der Bahn nach Hause gefahren wärst schmunzel.
von: rayno

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 09.03.12 07:56

Ich habe noch etwas:

Resume:

Dauer der Reise: 22. Juni bis 10. September, 81 Tage, einschl. Hin- und Rückflug

Radfahrtage (ganze und halbe) : 70
Tage, an denen nicht gefahren wurde: 8
An- und Rückreisetage: 3


Insgesamt gefahrene Rad-Kilometer: 8 069

davon in Kanada: 2 891
in den USA: 5 178

Kürzeste Tagesetappe: 37 km
Längste Tagesetappe: 204 km

Mein Gewicht bei Abreise: knapp 80 kg
nach Rückkehr zu Hause: exakt 69 kg

Meine Route:

Schon seit Jahren hatte ich mir vorgenommen, einmal in Nordamerika von Küste zu Küste zu fahren. Die großen Städte und Ballungsgebiete wollte ich möglichst vermeiden bzw. großräumig umfahren. Um herauszufinden, welche Route für mich am ehesten in Frage kommen könne, habe ich in den letzten 2 Jahren zahlreiche Berichte über C2C-Radreisen, vor allem in „crazyguyonabike.com“, studiert. Dabei kristallisierte sich schnell heraus, dass für mich eine eher nördlich verlaufende Route, etwa entlang der amerikanisch-kanadischen Grenzlinie, in Betracht kommt. Ich orderte daher eine 2-Jahresmitgliedschaft bei ACA (Adventure Cycling Association) und den Kartensatz zur Northern Tier – Route sowie einige Einzelkarten für den Bereich der großen Seen, weil ich mir bis zuletzt offenhalten wollte, wie meine Route in dieser Region verlaufen sollte.

Dass ich in Kanada gestartet und auch von dort zurückgeflogen bin, ergab sich bei der Suche nach passenden, nicht zu teuren Flügen für die Hin- und Rückreise.

Dann war zu entscheiden, ob die Route von Ost nach West oder von West nach Ost verlaufen sollte. Beim Studieren der vielen Reiseberichte fiel mir schnell auf, dass die Einheimischen, also Amerikaner und Kanadier, weit überwiegend von Westen nach Osten fahren, die Europäer in der Mehrzahl von Osten nach Westen. Ich entschied mich sehr bald für die West-Ost-Richtung; einmal, weil ich immer lieber in Richtung Heimat unterwegs bin, aber auch, weil man in der Weite des mittleren Westens, den Great Plains, eher mit unterstützendem Rückenwind rechnen kann. (Was sich auf meiner Reise leider nicht bewahrheitete. Ich hatte an den 12 Tagen im östlichen Montana und Nord Dakota nur an einem Tag Rückenwind; sonst kam der Wind immer aus östlicher Richtung.)

Ich habe dennoch meine Entscheidung für die West-Ost-Richtung nicht bereut. Oftmals habe ich in den heißen Tagen im Westen in den Mittags- und Nachmittagsstunden gedacht, „Gut, dass du jetzt nicht in Gegenrichtung fahren musst. Immer gegen die starke Sonne; das ist ja schlimmer als gegen den Wind.. Mit der Sonne im Rücken fährt es sich viel angenehmer“.

Meine Route verlief wie folgt:

Start in Vancouver; 2 Tage in Vancouver
über Vancouver Island mit der Fähre nach Anacortes, WA; Startpunkt der Northern Tier – Route
Auf der NT-Route durch den Norden Washingtons mit den 5 Pässen in den Northern Cascades;
durch das nördliche Idaho Sandpoint;
von da – abweichend von NT-Route - nach Südosten mit Ziel Missoula;
von Missoula nach Osten, dann auf Hw 83 entlang der Rockies nach Norden
wieder auf NT-Route zm Glacier-NP;
auf Hw2 durch den Osten Montanas und durch Norddakota bis Fargo;
von Fargo durch Minnesota, Itasca NP, Bemidji, nördlich Duluth zum Lake Superior;
am Superior entlang nach Thunder Bay , Ontario
jetzt weiter in Kanada auf Transcanada-Hw Sault Ste Marie, Sudbury, North Bay, zum Ottawa River;
entlang Ottawa River nach Südosten bis Pembroke;
durch den Südosten Ontarios zum St. Lorenz Strom;
in Cornwall, ON über St.Lorenz Strom nach New York State;
durch die Adirondacks nach Ticonderoga;
über Lake Champlain nach Vermont;
in Vermont durch die Green Mountains zum Connecticut River;
über Connecticut River nach New Hampshire, hier am Fluss entlang erst nach Norden;
dann durch die White Mountains (Mount Washington) südlich nach Conway;
dann nach Maine hinein, dort in nord-östlicher Richtung nach Bangor;
von Bangor am Penobscot River entlang nach Norden;
von Houlten, ME, über die Grenze nach Woodstock, NB;
in New Brunswick über Fredericton und Moncton an die Atlantikküste (Shediac);
über die Brücke (12,9 km lang, Shuttle-Service) nach PEI (Prince Edward Island);
auf PEI über Charlottetown zur Fähre nach Nova Scotia;
in Nova Scotia über New Glasgow nach Antigonish;
von Antigonish nach Süde zur Küste;
auf Küstenstraße nach Halifax, Endpunkt der Reise.

Straßenverhältnisse:

Müsste ich den Zustand der Straßen, auf denen ich unterwegs war, aus Radfahrersicht in einer Schulnote bewerten, würde ich eine VIER geben; und das sowohl für die USA als auch für Kanada. Generell waren die Straßen im Westen besser als in der Mitte und teilweise auch im Osten des Kontinents. Gut waren sie in Washington und überwiegend im Westen Montanas. Die verkehrsarmen Nebenstraßen, die ich dort befuhr, waren glatt und eben, die meist fehlenden Seitenstreifen waren wegen des geringen Kfz-Aufkommens kein Nachteil. Die Steigungen, auch in den Passauffahrten der North Cascades, waren gemäßigt und gut fahrbar. Besonders angenehm empfand ich die schattigen Abschnitte auf verkehrsarmen Straßen in den dicht bewaldeten Gebieten des nördlichen Washingtons.

Auf dem stärker frequentierten Highway 2 im östlichen Montana und in Norddakota konnte ich meistens auf dem sehr breiten Seitenstreifen fahren. Der war allerdings nicht immer in gutem Zustand; Splitt, Glasscherben und sonstiger Unrat erforderten ständige Aufmerksamkeit, besonders an den Einmündungen von – meist geschotterten – Nebenstraßen und den Zufahrten zu Häusern und Farmen. Hier habe ich mir auch die Reifenpannen eingefangen.

Sehr enttäuscht, ja geradezu entsetzt, war ich von dem in vielen Abschnitten katastrophalen Zustand des Transcanada-Highway (Hw 17) im nördlichen Ontario, auf dem ich von Thunder Bay bis kurz vor Ottawa rund 1500 km unterwegs war.
Als eine Hauptverbindungsstrecke zwischen dem Westen und dem Osten des großen Flächenlandes hatte ich etwas anderes erwartet. In diesem Bereich ist der Transcanada-Highway jedenfalls derzeit keine Visitenkarte des Landes.
In weiten Abschnitten fehlen Seitenstreifen, sodass man auf enger Fahrbahn mit dem starken LKW-Verkehr zusammen unterwegs ist. Mehrere Male musste ich in die nicht befestigte Böschung flüchten; was ich den Truckern nicht anlasten kann; die verhielten sich fast immer sehr kooperativ. Hinzu kamen große und tiefe Löcher, Abbrüche an den Asphalträndern sowie Risse, die so breit und tief waren, dass meine Laufräder mit den ca. 35 mm breite Reifen bis zur Felge darin versanken. Die Reparaturversuche waren oft dilettantisch; das Reparaturmaterial lag überall herum, nur nicht dort, wo es eigentlich sein sollte.
Im Osten, also in New York und den nördlichen Neuenglandstaaten, aber auch in den maritimen Provinzen Kanadas war der Zustand der Straßen sehr unterschiedlich, insgesamt aber zufriedenstellend, teilweise, vor allem in NY, Vermont und New Hampshire, sogar ausgesprochen gut.

Wie schon erwähnt, verhielten sich die Trucker durchweg sehr kooperativ und rücksichtsvoll. Richtig gefährliche Situationen habe ich nicht erlebt. Auf den vierspurigen Highways fuhren die Trucks zumeist ohnehin auf dem linken Fahrstreifen, weil sie zu meiner Überraschung i.d.R. schneller waren als die PKW`s, PickUps und RV´s. Wenn sie auf zweispurigen Straßen wegen Gegenverkehr nicht ausweichen konnten, machten sie durch rechtzeitiges Hupen auf sich aufmerksam, sodass ich rechtzeitig Platz machen konnte.

Insgesamt war ich von dem Verhalten der motorisierten Verkehrsteilnehmern angenehm überrascht. Dazu gehört auch, dass sich die motorisierten Biker auf ihren zumeist schweren HD´s offensichtlich mehr den Zweiradlern als den motorisierten Verkehrsteilnehmern zugehörig fühlten. Man wurde von ihnen immer gegrüßt und an den Raststätten oft in angenehme Unterhaltungen verwickelt.


Ausrüstung:

Fahrrad:

28“ Surly LongHaulTrucker, 56 cm
Kettenschaltung; Shimano XT, Lenkerendschalter
Tretlager: Alte XT-4Kant.Kurbeln (M730) auf Dura Ace-Innenlager (BB7400),
TA-Kettenblätter 24/36/46Z.
Kassette: SRAM 990, 11-34 Z.
Pedale: Shimano PD 530
Kette: Campagnolo C9
Laufräder: vorne: 36Lo. White-Ind. Nabe, Mavic A719, DT- Competition,
hinten: 36 Lo. XTR-Nabe, Mavic A719; DT-Alpine III
Reifen: Continental TopContact, 37-622,
Bremsen: V-Brakes Avid Ultima
Sattel: Brooks Flyer
Lenker: Syntace, Vorbau 120 mm und Rennbügel 46 cm
Gepäckträger: Tubus Cargo und Tubus Ergo

Außer einigen Reifenpannen gab es keine nennenswerte Probleme. Keine Speichenbrüche, kein Nachzentrieren der Laufräder; kein Kettenwechsel, kein Austausch der Bremsbeläge. Die White-VR-Nabe hatte nach der Hälfte der Tour leichtes Lagerspiel, was sich aber schnell ohne Spezialwerkzeug beseitigen ließ. Ich hatte bei der vorherigen Wartung eine der drei Madenschrauben zur Fixierung des Einstellringes nicht fest genug angezogen. An den Konuslagern im Tretlager und der HR-Nabe gab es nichts einzustellen; sie liefen auch nach der Reise superleicht und spielfrei.

Bei einer gründlichen Durchsicht in Sault Ste.Marie nach knapp 5000 km, wurde lediglich der Bremszug zum Umwerfer gewechselt, weil sich im Klemmbereich einige Einzeldrähte gelöst hatten.
Insgesamt war meine Entscheidung, für die Reise den LHT zu nehmen, goldrichtig. Weder habe ich das Vorderrad mit SON-Nabendynamo, noch meine Rohloff im Hinterrad vermisst. Nicht ein einziges Mal habe ich den zur Sicherheit montierten Batterie-Scheinwerfer (IXON IQ) eingeschaltet; das Diodenrücklicht hingegen bei gewitterbedingt diesigen Sichtverhältnissen auf dem Transcanada-Hw einige Male schon; die Kettenschaltung funktionierte von Anfang bis Ende glatt und sauber; und mit den Avid Ultima fühlte ich mich auch auf den zahlreichen langen und steilen Abfahrten jederzeit sicher. Der Belagverschleiss überraschend gering; Ich habe lediglich die Schalt- und Bremszüge einige Male nachgestellt.

Nicht ganz zufrieden war ich mit den Reifen. Zwar ist der Verschleiß überraschend gering. Ich würde den Conti TopContact glatt eine zweite Reise über dieselbe Distanz zutrauen. Die Reifenpannen rechne ich nicht unbedingt den Reifen zu. Die erste Panne ereignete sich in Montana, als ich den auf dem Seitenstreifen des Highway breit zerstreuten Scherben einer Bierflasche nicht ganz ausweichen konnte. Hinten war durch einen ca. 1 ½ cm langen Schnitt der Reifen sofort platt. Vorne hatte ich mir einen winzigen Glassplitter eingefangen, der sich erst einige Stunden später bis zum Schlauch durchgearbeitet hatte. Am gleichen Tag hatte ich also beide mitgenommenen Ersatzschläuche gebraucht und dann am Abend im Motel die beiden beschädigten Schläuche zum Glück gleich geflickt. Denn am nächsten Tag ereignete sich ein Malheur, das mich bis kurz vor Ende der Reise beschäftigte. Ich hatte mit dem Vorderrad ein kleines Teilstück der vielen auf den Seitenstreifen der amerikanischen Highways herumliegenden Reste von zerfetzten Autoreifen eingefangen. Natürlich sofort angehalten und das im Reifen steckende Stück aus dem Reifen gezogen. Dabei sind offensichtlich zwei Enden der winzigen Drähte im Gummi steckengeblieben. Erst nach und nach haben sich diese feinen Drahtstücke unter Druck beim Fahren bis zum Schlauch durchgearbeitet, was winzige Löchlein verursachte, die auch nur zu einem ganz langsamen Druckverlust führten. Jedenfalls hatte ich über Wochen immer wieder nach zwei oder drei Tagen zu wenig Druck im vorderen Reifen und durfte immer wieder die winzigen Löchlein flicken.

Weil ich zuerst nicht wusste, was die Ursache für den Druckverlust im vorderen Reifen war, hatte ich zeitweise einen als Notreserve mitgenommenen Vittoria Randonneur Hyper am Vorderrad montiert. Damit gab es keine Probleme. Ungefähr 2 000 km bin ich vorne mit dem Hyper gefahren, (der auch schon vor der Reise gut 1500 km gelaufen war;) und zwar auch deswegen, weil er mir im Fahrverhalten besser gefiel als der Conti. Der TopContact reagiert offensichtlich durch die relativ weiche Gummimischung verbunden mit den recht hohen Profilblöcken nur verzögert auf Lenkeinschläge, dann aber umso heftiger, was immer wieder irritierend war. Und mit seinem hohen Mittelprofil läuft er Längsrillen im Straßenbelag nach. Den Hyper auf dem Vorderrad empfand ich jedenfalls als wesentlich angenehmer. Auf dem Hinterrad war der TopContact unauffällig und der Verschleiß überraschend gering, sodass ich auch einen eigentlich geplanten Wechsel zwischen vorn und hinten unterließ. Die verzögerte Reaktion auf Richtungswechsel machte sich aber auch am Hinterrad bemerkbar, und zwar durch gelegentliches seitliches Versetzen, was aber weniger unangenehm war als am Vorderrad.

Wenn ich noch einmal eine vergleichbare Reise machen würde, würde ich vorne den 32er Hyper (etwa gleich breit wie der 37er TopContact) und hinten (vielleicht) wieder den TopContact montieren.

Vor der Reise war ich davon ausgegangen, dass ich nach Beendigung oder sogar schon während der Tour neben der Kette auch das Ritzelpaket und vielleicht auch das eine oder andere Kettenblatt würde entsorgen müssen. Aber weit gefehlt. Die inzwischen demontierte und gründlich gesäuberte SRAM 990 – Kassette weist kaum erkennbaren Verschleiß auf; keinerlei Sägezahnbildung; von einer neuen, noch ungebrauchten 990 kaum zu unterscheiden. Auch die T.A.-Kettenblätter sind weit davon entfernt, entsorgt werden zu müssen. Dabei hatte ich für das kleinste (24 Z.) und mittlere (36 Z.) jeweils ein Ersatzblatt mitgenommen.


Sonstige Ausrüstung

Zelt:
Da ich bei der Planung der Reise immer wieder gelesen und gehört habe, man solle für die amerikanischen Campgrounds mit ihren oft sehr harten Böden möglichst ein selbst stehendes Zelt mitnehmen, habe ich keines meiner beiden Hilleberg-Tunnel mitgenommen, sondern erst in Vancouver bei MEC ein MSR Hubba Hubba gekauft. Mit umgerechnet gut 200 € plus 25 € für das Footprint auch kein allzu teurer Spaß.
Ich habe es intensiv genutzt, und es hat die Reise ohne Defekte überstanden.

Ganz selbst stehend ist es allerdings nicht. Ohne zwei Häringe lassen sich die Apsiden nämlich nicht nutzen. Auch die restlichen vier Häringe habe ich an den meisten Tagen eingesetzt. Die mitgelieferten 6 Häringe sind übrigens von sehr guter Qualität.
Nicht zufrieden war ich mit der Belüftung. Bei geschlossenen Apsiden ist sie nämlich gar nicht vorhanden. So habe ich meistens auf jeder Seite eines der Seitenteile nur teilweise geschlossen. Trotzdem hatte ich auch bei trockenem Wetter morgens oft ein klatschnasses Außenzelt.

Rückblickend muss ich sagen, dass ich mit meinem Hilleberg Nammatj2 eher besser gefahren wäre und die Investition in ein zusätzliches Zelt unnötig war.


Schlafsack und Liegematte

Mein in die Jahre gekommener Feathered Friends Swallow hat sich auch auf dieser lange Reise bestens bewährt. Ich habe ihn immer nur als Zudecke genutzt, und das auch bei den Übernachtungen in Motels. Inzwischen dürfte aber eine gründliche Reinigung fällig sein, vielleicht auch verbunden mit einer leichten Auffüllung der Daunen.
Problemlos war auch die Kaikialla-Liegematte.

Kleidung und Schuhe

Wie üblich hatte ich auch auf dieser Reise zu viel an Kleidung eingepackt. Nach etwa 2 Wochen habe ich daher von Montana ein 7-Kilopaket nach Hause geschickt. Vor allem mit Sachen für nasskaltes Wetter, welches ich zum Glück niemals hatte.
Ich konnte, von wenigen Tagen in den frühen Morgenstunden abgesehen, immer mit einem kurzärmeligen Trikot fahren; eine lange Hose habe ich kein einziges Mal getragen, von der Regenhose auf einer Fahrt bei Gewitter mal abgesehen.

Wie weiter oben angegeben habe ich auf der Reise viel Gewicht verloren; das vor allem in den sehr heißen Tagen im Westen und auf der Fahrt über die Prairie.
Nach 4 ½ tausend Kilometern habe ich mich daher in dem bei Transcanada-Bikern bekannten Radladen VELORUTION in Sault Ste Marie neu einkleiden müssen. Statt Hose und Trikot in Größe L bzw. XL passt mir jetzt Größe M. Ich hoffe, das wird lange anhalten.

Ein kleines Problem hatte ich auf den früheren Radreisen immer mit den Radschuhen, wenn ich auf langen Tagesetappen 7 oder mehr Stunden auf dem Rad unterwegs war. Nach 5-6 Stunden fingen die Füße an zu schmerzen. Mit Sandalen war das weniger schlimm. Gerne bin ich daher mit den Shimano Sandalen anstelle von normalen Radschuhen gefahren.

Kurz vor der Reise besorgte ich mir zusätzlich die gerade neu auf den Markt gekommenen Keen Arroyo Pedal; eine Mischung aus Sandale und Schuh.

In den ersten Tagen trug ich dann im Wechsel die Shimano-Sandale und die Keen Arroyo Pedal. Mit beiden kam ich bestens zurecht. Zum Laufen allerdings mit den Keen deutlich besser. Ich habe dann die Shimanos in dem Bekleidungspaket mit nach Hause geschickt.

Eigentlich hatte ich vorgehabt, mir unterwegs irgendwo noch neue leichte Sportschuhe oder Sandale zuzulegen. Die Keen Arroyo erwiesen sich aber auch beim Laufen als so bequem, dass mir der Gedanke im weiteren Verlauf meiner Reise gar nicht mehr gekommen ist.

Es ist überhaupt das erste Mal, dass ich auf einer Radreise auch nach 8 oder 9 Stunden im Sattel keine Probleme mit den Füßen hatte. Für meine breiten Treter sind die Arroyo offensichtlich genau richtig.


Radtaschen und Gepäckverteilung

Wie auf meinen vorherigen Reisen hatte ich hinten zwei Ortlieb-Bike-Packer Plus, in denen ich Kleidung und Schlafsack verstaut hatte; vorne am Lowrider zwei VAUDE-Taschen, die als Hinterradtaschen konzipiert sind, aber ideal auf dem vorderen Tubus Ergo passen. In der einen hatte ich Werkzeug, Ersatzteile und Regenkleidung, in der anderen meine Küche samt den Essensvorräten untergebracht. Beide Taschen waren damit nicht ganz voll; ich hatte somit immer Packreserven für z.B. unterwegs getätigte Einkäufe. Die aus recht dünnem Material gefertigten VAUDE´s sollten eigentlich wasserdicht sein, waren es aber von Anfang an nicht 100%ig. Zudem hatten sie von früheren Reisen etliche Löcher, die ich geflickt hatte. Auf dieser Reise kamen einige hinzu, vor allem, weil man mit den sehr weit nach unten reichenden Taschen oft an Bordsteinen entlang schrammte. Das kann man folglich den Taschen selbst nicht als Mangel zurechnen. Nach dieser Reise dürften sie ausgedient haben, und ich werde sie wohl entsorgen. Die noch neueren Ortliebs sind weiterhin makellos.

Zusätzlich hatte ich hinten – zuerst quer, später längs - einen mittelgroßen roten Ortlieb-Sack, in dem ich die recht sperrige Liegematte, sowie weitere Utensilien verstaut hatte. Das in Vancouver gekaufte Zelt hatte ich in den ersten Wochen längs zwischen den Ortliebs auf dem Cargo, sodass er den Zwischenraum, den die über den Cargo hinausreichenden Taschen frei ließen, ausfüllte. Später stellte ich fest, dass sich im zuvor nicht ganz gefüllten Ortlieb-Packsack auch noch das Zelt unterbringen ließ. Den damit dann recht prall gefüllten Sack konnte ich längs auf dem Tubus zwischen den Taschen unterbringen.

Natürlich hatte ich auch noch eine Lenkertasche, eine Ortlieb, die schon etliche Reisen und Touren mitgemacht hatte. Mit der Zeit hatte sich die innere Verstärkung des Taschendeckels nach innen, statt nach außen, wie gedacht, verbogen, sodass der Deckel immer nach unten gestülpt war, wodurch sich bei Regenwetter dort Wasser ansammelte. Meine Versuche, durch Klebeband die Plastikversteifung in die richtige Form zu bringen und dort zu halten, hatten immer nur kurzzeitigen Erfolg.

Zudem ergab sich bei der ersten Einreise in die USA ein zusätzliches völlig unerwartetes Problem. Die energische Beamtin bei Immigration-Control vermutete offensichtlich unter der mit Klebeband befestigten Deckelversteifung ein Versteck für Sachen, die man nicht in die USA einführen darf. Ich musste die Klebestreifen entfernen, sodass sie sehen konnte, ob sich zwischen Deckel und Plastikversteifung etwas Unerlaubtes befand. Es befand sich dort natürlich nichts dergleichen. Für mich war gab dieses Ereignis aber mit ein Grund, mich bei passender Gelegenheit von der alten Ortlieb zu trennen und eine neue Lenkertasche zu kaufen. Diese Gelegenheit bot sich bei meinem
Besuch in der Zentrale von ACA in Missoula. Ich hatte immer schon damit geliebäugelt, Radtaschen von Arkel aus Quebec kennenzulernen. Bei ACA hatte man solche vorrätig. Ich kaufte mir die große Version in leuchtendem Gelb.

An der gefällt mir vor allem, dass sie diverse Innen- und Außentaschen hat, man somit seinen Kleinkram besser sortiert unterbringen kann. Dass sie, da aus normalem Cordura, nicht wasserdicht ist, war mir bekannt. Bei Regen kommt folglich ein wasserfester Überzug drüber. Da ich kaum bei Regen unterwegs war, hat mich das nicht gestört. Ein zusätzlicher Vorzug im Vergleich zur Ortlieb ist, dass sich der Deckel mit einer Hand schnell und einfach öffnen und schließen lässt, was bei der Ortlieb immer in Fummelei ausartete, während der Fahrt folglich recht lästig war.

Rückspiegel

Obwohl ich normalerweise ohne Rückspiegel unterwegs bin, hatte ich mir für die Amerikareise einen Spiegel besorgt und am Lenker an der linken Seite unmittelbar unter dem Bremsgriff montiert.
Das war auch gut so! Denn auf den Highways in den Staaten wie in Kanada sollte man schon den von hinten kommenden Verkehr ständig im Blick haben, aber auch gleichzeitig den rechten Fahrbahnrand beobachten, um den Löchern und Rissen im Belag sowie dem dort oft herumliegenden Unrat ausweichen zu können.

Ich hatte einen gängigen Rückspiegel von BUMM montiert, der die gesamte Reise ohne Defekt überstanden hat. Schon vor Reiseantritt hatte ich allerdings die serienmäßige Fixierung mittels einer dicken Madenschraube aus Kunststoff durch zwei kräftige Kabelbinder ersetzt.

Kommunikation

Ich war während der fast dreimonatigen Abwesenheit fast immer per Mobiltelefon erreichbar und konnte mit meiner Familie Kontakt aufnehmen. In Kanada funktionierte das mit der normalen deutschen SIM-Karte. Zu meiner Überraschung hatte ich jedoch in einigen Regionen keine Netzabdeckung(Rogers); so in einzelnen Abschnitten auf dem Transcanada-Hw im nördlichen Ontario und später in Nova Scotia.

Für die USA besorgte ich mir vor der Reise in Deutschland eine Cellion-SIM-Karte, mit der ich unter einer normalen amerikanischen Telefonnummer nur ganz kurzzeitig mal nicht über das AT&T-Netz erreicht werden konnte. Da ich mehrfach zwischen den USA und Kanada hin und her fuhr, musste ich also gelegentlich die SIM-Karte austauschen, was aber kein Problem war.
Der Erwerb der Cellion-Karte selbst war mit keinerlei Kosten verbunden. Ich bekam lediglich für jeden Monat eine detaillierte Abrechnung über die geführten Gespräche. Und die fielen überraschend gemäßigt aus. Nach der Rückkehr habe ich den Vertrag wieder gekündigt, was auch problemlos und ohne Kosten erfolgte.

Neben dem Mobiltelefon hielt ich auch Kontakt per E-Mail. Erstmalig hatte ich zu dieser Reise ein Netbook (ASUS EeePC 1018) mitgenommen. Ich habe damit Zwischenberichte erstellt und meiner Familie und einigen Freunden per E-Mail zugestellt. Außerdem konnte ich mich über das Geschehen in der Welt und Zuhause auf dem Laufenden halten. Freien Netzzugang hatte ich an den Übernachtungsorten fast überall; ich konnte sogar auf etlichen Campingplätzen im Zelt sitzend surfen.

Ich transportierte das kleine ASUS in der linken Ortlieb am Hinterrad, wo es vom Schlafsack und der dort untergebrachten Ersatzkleidung offensichtlich so hinreichend geschützt war, dass selbst die normale Festplatte etliche Umfaller ohne Ausfall überstanden hat.
von: Hummel

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 09.03.12 15:40

Respekt! Klasse Tour! Danke für deinen ausführlichen Bericht einschließlich der Fotos.
Harald
von: misto

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 17.04.12 22:12

Sehr schöner Bericht.
Danke dafür!
von: Anonym

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 17.04.12 22:33

Sehr informative Berichte mit Auge für die Schönheit des Nordamerikanischen Kontinents. Stattlicher Tagesschnitt trotz schwieriger Bedingungen und Gepäck. Danke.
von: Dietmar

Re: Von Vancouver nach Halifax 2011 - 30.04.12 19:19

Hallo Lothar,

danke für den tollen Reisebericht. Ich lese sowas lieber im Zusammenhang, so dass sich der Rezensent erst jetzt meldet. schmunzel Hat mir sehr gut gefallen. So eine Tour steht bei mir ganz oben auf der Wunschliste, nun umso mehr.

Hast 'ne jute Schreibe und einen feinen Humor! Alte Schule eben. bier

Danke auch für die vielen Infos nebenbei und konzentriert am Schluss. Auch Deine Überlegungen, die Du Deiner Planung zugrunde gelegt hast, sind für mich sehr wertvoll. Werde mir alles mal ausdrucken und in meine „Plan-Schublade“ legen. Leider sind im Moment 81 Tage im Paket nicht drin.

Sei froh, dass Dich der Bär ignoriert hat. Dafür konntest Du bei „gutsituierten Damen zwischen 50 und 60“ punkten. Kein Wunder bei Deinem Kampfgewicht.

Nebenbei: Ich habe 1994 in Tucson, AZ eine von diesen Startrampen besichtigt. Die Interkontinentalrakete mit Kernsprengsatz war ein paar Jahre davor infolge START-Abkommen entschärft worden. Da war der Deckel nur halb drauf. Der Motor zum Deckelöffnen war demontiert und durch einen Betonblock ersetzt. Das Ganze war so angeordnet, dass es per Satellit kontrolliert werden konnte. Habe mal gefragt, was das Ziel von dem Feuerwerkskörper war. Die Antwort war, dass das niemand am Standort je wusste. Hätte mich echt interessiert. Vielleicht war die für meinen Vorgarten vorgesehen. Statt dessen soll der „halbe“ Code im roten Köfferchen im Safe hinterlegt gewesen sein. Die andere Hälfte wäre im Ernstfall aus dem Weißen Haus gekommen. Gut, dass das vorbei ist.

Freue mich auf den 7.7.

Gruß Dietmar