Re: Westalpen 2009

von: veloträumer

Re: Westalpen 2009 - 10.09.09 23:59

Mal wieder Neues von meiner Sommerreise. Schwül, gewittrig und leicht verhext geht es durch den nächsten Teil.

TEIL 4: SEEALPEN & LIGURISCHE ALPEN

Dieser Teil lässt sich auch gut als Rundkurs z.B. ab/bis Nizza fahren, etwa wenn man den Seealpen-Kreis mit der Rückfahrt über den Col de la Bonette schließt – oder weiter gefasst im Westen via Barcelonnette und Col de la Cayolle (oder Col d’Allos/Col des Champs) – und damit eine weitere Traumschlucht ¬¬¬– die Gorges de Daluis – einbindet. Im Osten lässt sich mit der Überfahrt über den Col de Tende (Südanfahrt Schotter) die Route auf eine reine Seealpen-Route begrenzen. Schotterspezialisten hingegen können sich auch an der Ligurischen Grenzkammstraße delektieren, um den Kreis ins Valle Stura zu schließen. Da auch der von mir gefahrene Übergang über den Colle Galezza reiseradlerisch eher als ungeeignet zu bezeichnen ist, müssen reine Asphaltfahrer sich noch weiter östlich in den Ligurischen Alpen eine Route suchen, die etwa über den niedrigen Colle di Nava ins Piemont führen kann.

Do, 2.7. Pont du Cians(+) – Beuil – Col de la Couillole (1678m) – St-Saveur-s-Tinée – Col St-Martin (1500m) – St-Martin-Vésubie – Roquebillière
C: Les Templiers 9,80 €; AE: Entrecote Roquefort, Kartoffelbällchen, Rw, Eis 24 €
88 km – 11,8 km/h – 7:24h – 2330 Hm

Die Gorges du Cians liegt anfangs noch tief im Schatten, nur oberste Felsen leuchten bereits im Sonnenlicht. Diese Traumschlucht durchstreife ich nun zum zweiten Mal, nachdem ich sie bereits 2005 von oben nach unten gefahren bin. Also langweilige Routine? – Mitnichten – ich komme auch diesmal aus dem Staunen nicht raus und muss mich zügeln, nicht die ganze Zeit mit Fotografieren zu verbraten. Der untere Teil besteht aus weißem Kalkstein, Wasser drängt überall aus den Felsen, wo sich dicke Moospolster bilden. Oben zeigen sich mächtige Felszapfen, die kunstvoll und umstürzbar waghalsig aufgestellt scheinen. Der obere Teil besteht aus rötlichem Schiefergestein, das die besondere Dramatik der Schlucht noch farblich steigert. Die Straße verläuft in der gesamten Schlucht entlang dem Flusslauf, weitgehend nur wenig höher als dieser. Im Gegensatz zur ebenfalls rötlichen Daluis-Schlucht also eine Froschperspektive – dort hat man eher eine Vogelperspektive. Es sei darauf hingewiesen, dass man die Tunnels umfahren sollte, was bei Abfahrten im Rausch der Geschwindigkeit nicht ganz leicht fällt – dort befinden sich aber die engsten Schluchtstellen und beeindruckensten Felsüberhänge.

Bei Beuil öffnet sich eine Bergwiesenlandschaft, einzeln verteilte Chalets deuten auf eine Wintersportgegend, alles ist aber noch dezenter und ruhiger als im wenig weiter westlich gelegenen Trubelort Valberg. Nach der Verpflegung in Beuil geht es Richtung Col de la Couillole, recht schön zu fahren, aber nicht spektulär, die Passhöhe schließlich offen gelegen. Diese unscheinbare Anfahrt steht ganz im Gegensatz zur Ostseite des Passes. Spektakulär winden sich hier Serpentinen nach unten, vorbei an engefasstem Kalkfelshängen, teilweise auch wieder rotes Gestein, tief eingeschnitten das Tal, Wasserfallstrahle fallen ins Tal, erfrischende Waldschatten wechseln mit sonnig-offenen Passagen, kleine Tunnels liefern launiges Abfahrtsfeeling, oben thront himmelwärts der kleine Ort Roubion im Fels. Für Radler in umgekehrter Richtung ist der Pass eine ziemlich heftige Nummer, aber sehr lohnenswert.

Unten im Tal liegt das Örtchen St-Saveur, von den reißenden, graufarbenen Wassermassen der Tinée geprägt. Das Tal nun weiter gefasst, die Straße halbhoch über dem Fluss, immer wieder Passagen roten Gesteins. Mit einem Hubschrauber werden gerade Sicherungsungsnetze gegen Steinschlag verbaut. Die flotte Fahrt dauert nur kurz, so geht es alsbald hinauf zum Col St-Martin, gleich mit einer kantigen Steigung beginnend und bis La Bolline ziemlich konstant bleibend. Flachere Passagen finden sich hingegen im oberen Bereich. Bevor ich den Pass erreiche, sind allerdings zahlreiche Wolken aufgezogen und haben sich zum Gewitterguss entschlossen. Nicht mehr ganz trocken, warte ich die schlimmsten Binnfäden bei einem Bistro in St-Dalmas ab. Dampfende Wolken liegen dann unter mir über den Bergwiesen. Der Pass selbst ist keine Schönheit, da mal wieder baulich erkennbar dem Wintersport zugewandt.
Die Ostseite ist kurzweilig und enger in den Fels gebaut. Bald ergeben sich – wenn auch getrübte – Panoramablicke in die hohe Bergwelt nach Norden, wo noch Schneeberge erscheinen. Über mehrere Kehren hinweg hat man unterschiedlichste Vogelperspektiven auf St-Martin-Vésubie. Mal wieder durch die Regenpausen zeitlich zusammengestaucht, lasse ich eine intensivere Besichtigung des wohl netten Örtchens aus und versuche vor möglichem weiteren Regen noch mein Etappenziel Roquebillière zu erreichen. Die denkbar flotte Fahrt muss ich dann aber unterbrechen – eine Reifenpanne. Zum Glück ist sie schnell behoben und in Roquebillière bleibt es dann doch trocken. Vom Camping nur kurz über die Brücke in den alten Ortsteil, gibt es ein kleines Restaurant – sehr einfach und im Preis überhöht. (Weitere Restaurants sind im oberhalb gelegenen neueren Ortsteil.)

Fr, 3.7. Roquebillière – Col de Turini (1604m) – Baisse de Camp d'Argent (1737m) – Baisse de Tueis (1889m) – l'Authion (max. 2024m) – Col de Turini – la Cabanette (1372m) – 5 – Col de l'Orme (1000m) – Col de l'Able (1149m) – Col de Braus (1002m) – Col St-Jean (642m) – Col de Castillon (707m) – Menton – Ventimiglia
C: Di Roma 17 € (2 € f. Velo!); AE: Spaghetti, Rindfl., Rosé, Apfeltorte, Cafe 23,90 €
106 km – 13,4 km/h – 7:40h – 2085 Hm

In Roquebillière ist kein Ersatzschlauch zu bekommen. Da ich durch entlegende Gegenden fahre oder ich grundsätzlich zu den falschen Uhrzeiten in den größeren Orten bin, dauert es gar über drei Tage, bis ich einen Ersatzschlauch erwerben kann – glücklicherweise ohne eine weitere unliebsame Luftentleerung. Ich genieße erstmal ein Frühstück bei strahlendem Sonnenschein in Roquebillière.

Der Col de Turini ist mir schon bekannt aus dem Jahre 2002, als ich aus Sospel kommend auf der Westseite heruntergerauscht bin. Diesmal die Kehren hier hinauf – eine größere Gruppe von Rennradlern mit Begleitfahrzeugen ist ebenfalls unterwegs. Interessanterweise fahren sie nur hoch und werden von oben mit dem Auto zu Tal gefahren. Der Col de Turini windet sich durch viele Waldpassagen, aber auch über offen-panoramige Kehren und durch Kalkfels hindurch. Ich habe einen ordentlichen Rhythmus und komme gut voran. Entgegen kommend begegnet mir sogar ein Reiserad-Tandem.

Gleich mehrere Hotels bieten am Pass Gelegenheit, hier den Ausgangspunkt für Wanderungen in den Nationalpark Mercantour zu legen. Der Pass selbst ist ohne Aussicht und auch die folgende Strecke ist zunächst nur sehr steil und ohne Reiz. Bei Camp d’Argent nochmal Ess- und Schlafgelegenheit, Skilift. Dann entwickelt sich die Landschaft ganz unerwartet. Bäume stehen quer, mystisch liegen Bergwiesen jetzt gerade in den Wolken. Es ist mal unangenehm kühl, mal schwülig-warm – je nach Wolkendichte. Zunächst sehe ich wenig – dann entfaltet sich nach dem Nationalparkhäuschen eine entdeckungswürdige Pflanzenwelt. Die l’Authion-Straße führt nun abwärts bis zu einem aus der sinnlichen Natur wie aufschreiend wirkenden Kasernenruine samt Panzerwrack – Zeichen fehlgeleiteter Menschen, die tatsächlich in dieser Hochgebirgesumgebung die Schlachten völkischer Überlegenheit geführt haben sollen??? – Ein italienisches Paar macht eine Fotosession, der Mann im Dschungelkämpferoutlook passend zur Panzerleiche. Na denn, schöne Motive sind das? – Folgend steigt die Straße wieder an, sehr steil, an unterschiedlichen Bergwiesen vorbei, Doldengewächse, Lippenblütler, in Rot, Blau, Gelb und immer wieder anderen Farbkompositionen. Das Gebiet ist nicht unbewirtschaftet, auch Almen mit Kuhweiden finden sich im offeneren Nordwest-Teil. Weitere Kasernenruinen. Auch hier wieder dichte Wolken, die weite Blicke verhindern. Nach dem höchsten Punkt fällt die Straße nur leicht zum Nationalparkhäuschen ab.

Die folgende Route ab dem Turini-Pass ist zunächst leicht ansteigend, dann leicht abfallend, meist dichter Wald. In Peira-Cava bieten sich gute Fernblicke bei guter Sicht. Es bleibt dunstig, wird aber sonniger und wärmer. (Der Col de Turini, die l’Authion-Straße und das zurückliegende Bergland dürften alsbald mit Gewitterregen gesegnet worden sein.) Der Col de Turini ist einer der vielseitigsten Pässe überhaupt. Außer den drei Zufahrten unterteilen sich die Zufahrten selbst auch noch mal in verschiedene Varianten. Ich fahre bei La Cabanette Richtung Luceram, eine eindrucksvolle Kehrenabfahrt durch weithin offenen Felshang, nach unten von Lavendel durchwachsen und den maritimen Süden verkörpernd. Von dieser Strecke zweigt eine kleine Straße noch vor Luceram ab und führt über zwei Überrollpässe, denen ein Anstieg durch einen halboffenen Kiefernwald mit lose verteilten Steinblöcken folgt. Die dabei erklommene Höhe ist allerdings kein Pass. Sichtbar entkomme ich mit meiner Abfahrt Richtung Meer den aus den Bergen drängenden Gewitterwolken.

Aus einer Talmulde heraus ist der Anstieg zum Col de Braus nur gering. Hier steht ein Gedenkstein für René Vietto, einer der frühen Helden der Tour de France. Ebendort eine Ruine gegenüber. Wieder berauschende Kehren hinunter, nunmehr viel Ginster an den Hängen. Noch vor dem Col St-Jean (ich fahre noch eine Kehre hinunter bis zum Pass, der gleichzeitg ein kleiner Ort ist) zweigt eine kleine Straße zum Col de Castillon ab, sodass man nicht ganz ins Tal hinunter nach Sospel muss. (Wer den Ort nicht kennt, sollte ihn jedoch schon wegen der alten Zollbrücke besuchen.) Recht einfach geht es durch buschigen Wald, sodass keine Ausichtsblicke möglich sind. Der Col de Castillon ist dann genau genommen oberhalb eines Tunnels, der die einzige Verbindung nach Menton darstellt (vom Pass mit Siedlung gehen nur Wanderwege weiter). Wahrscheinlich gilt der Tunnel nunmehr als Pass, was aber nicht ausgeschildert ist.

In dem nun weit geöffneten Tal Richtung Meer fallen Blicke hinauf auf schmückende Hügelorte im goldenen Schimmer der Abendsonne. Castillon erreicht man über eine kurze Stichstraße hinauf. Der kleine Ort ist ein Zentrum der Kunstschaffenden, die hier – wohl öffentlich gefördert – in modernen Ateliers arbeiten können. Von Malern, über Bildhauer, Glaskünstler bis zu Schmuckdesignern reicht das Spektrum. Unweit des Ortes befindet sich auch das weit ins Tal ragende Carmel-Viadukt, das vor ca. 100 Jahren der Bahnlinie Sospel – Menton diente. Verkehr und Besiedlung verdichten sich nun bald, ein hohe Autobahnbrücke überspannt das Hügeltor nach Menton.

Menton präsentiert sich mit breiten Autoboulevards, geordneten Palmen- und Blumengärten und Prachtbauten der Belle Époche als mondänes, gleichwohl lebendiges Seebad. Eingerahmt wird die Stadt von Hügeln und Gebirgsterrassen, auf den Oliven-, Zitronen- und Orangenbäume gedeihen. Die aufsteigende Stadtsilhouette zieren zahlreiche Kirchtürme. Gleich vor der Stadt liegt ein weiter Kiesstrand. Nach Osten Parkanlagen am Meer, eine alte Burganlage und das Museum Jean Cocteau. Dahinter die Altstadt – quirlig, mediterran, touristisch, Künstler, viele Italiener, Cocktailbars, Fastfood-Restaurants, feines Essen – alles bunt gemischt. Häuser mit mediterranem Verputz und pittoresk verziert, steile Gassen und Treppen weiter hinauf. Aufgrund der vorangeschrittenen Zeit verzichte ich auf eine ausführliche Besichtigung, denn in Menton gibt es keinen Camping.

Der folgende Streckenabschnitt an der Küste im Grenzgebiet Frankreich/Italien ist weniger belebt als erwartet, viele benutzen wohl die Autobahn, die weit oben und oft im Berg verschwindend verläuft. Ein paar leichte Steigungen sind mit dabei, die Felsen reichen zuweilen nah an die Küste. In Latte befindet sich ein Camping, relativ ruhig gelegen, ohne Restaurant wie der ganze Ort allerdings. Ventimiglia erreiche ich schließlich im Lichterglanz der Abendstunden. Der Camping Di Roma liegt im Westen, noch vor der Brücke über die Roja, ist aber nicht ausgeschildert, sodass ich erst mithilfe der Hinweise von Polizisten an der betriebsamen Promenade den Weg zurück finde. Das Velo kostet 2 Euro extra auf dem ohnehin nicht günstigen Platz, somit empfehle ich allen Radlern, den Platz zu meiden soweit möglich. Die Anlage ist sehr gepflegt, aber dass man nicht mal sein Rad auf die Wiese stellen darf, ist wohl der Vorschriften übertrieben – aber auch nicht untypisch für Italien. Immerhin ist ein Restaurant gleich dabei, sodass ich ohne weitere Anstrengung den Abend ausklingen lassen kann.

Sa, 4.7. Ventimiglia – Isolabona – Pigna – Colle di Langan (1127m) – Triora – Passo della Guárdia (1461m) – Colle Golezza (1801m) – Colla San Bernardo (1263m) – Nava
C: ? (bei Hotel) 0 €; AE: Pizza, Salat, Rw, Eis, Cafe 16,80 €
85 km – 9,5 km/h – 8:50h – 2535 Hm

Das Nervia-Tal verläuft längere Zeit ziemlich flach und ist bis Isolabona dicht besiedelt. Bereits am Morgen ist eine schwüle Hitze zu spüren, der Himmel leicht dunstig. Viele Rennradler streben ins Tal, die aber alle nur nach Buggio fahren, den herben Anstieg zum Colla di Langan scheinen sie alle zu meiden. In Isolabona staunen zwei amerikanische Rennradler über das Alter der Häuser – da gab es ja die Neue Welt ja noch nicht wirklich auf der Landkarte. Das fruchtbare Tal wird folgend von Olivenbäumen bestimmt – nicht zuletzt gilt das ligurische Olivenöl als eines der besten überhaupt. Das zuvor gelegene Dolceaqua ist Zentrum für einen besonderen Rotwein namens Rossese. Hier überspannt ein Steinbogenbrücke aus dem 15. Jahrhundert die Nervia. In Pigna prägen überwölbte Loggien und Quergänge sowie die steilen Treppenpfade das eng verschachtelte Dorf.

Von unten blickt man hinauf auf Castel Vittórrio – doch nicht lange dauert es mit den steilen Rampen zum Langan-Pass, dass ich den Ort in der Vogelperspektive sehe. Zuvor fährt man noch an einem modernen Thermalbad vorbei. Der Colle di Langan führt durch duftenden, halboffenen Kastanienwald, zahlreiche Schmetterlinge umflattern die Blumen am Boden, Bienen summen um die honigsüßen Blütenkelche, erhitzte Luftstrudel schwirren über dem Asphalt. Andere Passagen sind ganz offen, lassen weite Olivenhänge überblicken, an brockigen Felsen vorbei. Die Nordostseite ist dann dichter bewaldet, wieder fast durchgehend Kastanienwälder mit knorrigen Altbäumen.

Aus der Talmulde heraus geht es unmittelbar in Molini di Trioria wieder hinauf. In dem ehemaligen Mühlenort liegt ein uriger Gemischtwarenladen mit allerlei Köstlichkeiten der Region, ein paar Hexenpuppen weisen auf einen besonderen Teil der Geschichte der Region von Trioria hin: Aus dem Ort gibt es eine verbriefte Hexenhistorie, bei der u.a. eine gewisse Franceschina Ciocheto (auch Zucheto, Chioceto) in Genua für einen Hexenprozess eingekerkert wurde. Sie war eine von 13 Angeklagten, die 1588 nach Genua gebracht wurden, später kamen noch weitere fünf hinzu. Zuvor standen bereits weitere Frauen des Vorwurfs der Hexerei gegenüber und litten in dem Gefängnis von Trioria. Die Bevölkerung suchte nach einer Hungersnot nach Schuldigen. Weil die als Hexen angeklagten Frauen teilweise aus der Oberschicht stammten, kam es zu einflussreichen Protesten an die Inquisitoren in Genua und Albenga. 1589 wurden die Frauen freigesprochen, fünf starben jedoch im Gefängnis an den Qualen, eine davon soll selbst aus dem Fenster geprungen sein. Die Inhaberin der Bottega, Angelamaria, soll ein echte Nachfahrin besagter Franceschina Ciocheto sein. Die kleine, zierliche, aber bestimmt wirkende Angelamaria ist entsetzt über meine Absichten, den Berg hinüber nach Garéssio mit einem derart beladenen Rad zu fahren. Sie schüttelt mir die Hand und wünscht mir alles Gute. – Wurde ich jetzt verhext, weil ich im Folgenden geradezu täglich von unsäglich teuflischen Wetterkapriolen und kleinen Schicksalsschlägen stranguliert wurde – oder gab mir diese Frau die Kraft, diese Schläge zu bewältigen – ja gar zu überleben? wirr teuflisch

Von Molini di Trioria geht es allerdings noch ordentlich ansteigende Kehren hinauf, durch Kastanienwald, zuvor vorbei an einer alten Steinbogenbrücke und Künstlerhaus. Trioria empfängt die Besucher mit einer schwarzen Gestalt als Hexensymbol, gleich zuunterst bei den Parkplätzen befindet sich ein edler Spezialitätenladen – im Zeichen der Hexe stehen Pilze, Saucen, Pastas, Würste, Käse, Marmeladen, Schokoladen usw. zum Verkauf. Am historischen Ortseingang befindet sich das Museum, in dem die Hexengeschichte aufgeschlüsselt wird. In engsten, dunklen Gassen kann man den Ort durchsteigen. Weitere Hexenläden und lokales Kunsthandwerk bieten ihre Waren an. Trotz der Enge fahren die Italiener mit ihren motorisierten Kleinmobilen durch den Ort, sodass ich mit dem Rad ständig im Weg stehe. Etliche deutsche Besucher sind unterwegs, auch ein Ausflugsradlerpaar ohne Gepäck.

Wie die Schwüle des Tages unvermeidlich andeutete, geht nun ein erstes Gewitter nieder. Ein höllisches Gedonner und einschlagende Blitze unmittelbar hier vor dem Hexenmuseum. Nach Norden – meine Fahrtrichtung – ist alles von dunklen Wolken überzogen. Eigentlich hätte ich hier die Etappe abbrechen müssen – doch so früh am Tage, wo noch mehrere Stunden Fahrtzeit offen stehen – nur eine halbe Etappe? – Nach Ende der Gewitterschauer nehme ich Kurs – eine sehr steile Auffahrt, die nach und nach noch steiler wird. Hin und wieder leichter Regen. Nach einer offenen Passagen wandelt sich die Asphaltstraße in eine Schotterpiste. Noch ist die Piste befahrbar, aber unheimlich steil. Ein letztes Auto kommt an mir vorbei. Die Frau fragt, ob alles in Ordnung ist, dann bin ich allein.

Die nächsten Gewitter sind im Anzug. Zunächst Regen. Den letzen Teil zum Passo della Guárdia muss ich schieben, zu steil die Rampe. Die Piste ist teils schon recht tief durch den Regen. Der Pass ist nicht ausgeschildert, es gibt eine Verzweigung. Mein Höhenmesser liefert mir Gewissheit am Pass zu sein. Es geht nun ganz offen weiter hinauf zum Colle Golezza. 350 Hm durch Gewitterregen, Blitze und Donner. Es gibt keinen Schutz. Kälte durchdringt die Knochen, es stürmischer Wind lässt mich frösteln. Fast unmöglich, die lange Hose aus der Tasche zu holen und anzuziehen. Ich suche den Schutz unter einem fragilen, überstehenden Fels, auf dem ein paar Tannen stehen. Etwas weniger Regen, etwas Windschutz. Ein Felssturz könnte mich treffen. Blitze kommen von allen Seiten, es donnert wie in der Hölle. Die Wahl ist vom Blitz oder vom Fels erschlagen zu werden. Der Pass für mich nicht hochzufahren. Selbst im trockenen Zustand wohl nicht. Zu viele spitze Rippen wechseln mit locker-schottrigem Untergrund. Vielleicht sind es noch 200 Hm, vielleicht auch nur 150 Hm. Die Blitze lassen nach, der Regen auch, immer noch aber treibt der Wind den Regen durch die Kleidung. Ich schiebe das Rad hinauf, hoffe auf Entspannung. Unten auf einer Almwiese ein Haus – ein Schäfer? – Es wäre ein unnützer Umweg, wenn ich nicht unterkommen könnte. Ich verwerfe den Plan, drücke das Rad nach oben, versuche immer wieder Abschnitte zu fahren, muss jedoch nach wenigen Metern immer wieder anhalten. Die Wolken lichten sich etwas, ein Hauch Sonne, Regenbogen über grünem Bergland – Oh Schönheit in der Verzweiflung! – Es ist geschafft, der Pass ein kleiner Tunnel.

Doch auch die Nordseite ist übel zu fahren. Immer wieder brauche ich die Füße als Stütze, Dauerbremsen, kein Tempo. Offene Weiden, Kühe. Wasser läuft überall. Es wird langsam dunkel und die Schotterabfahrt will nicht enden. Scheinbar nah die Lichter von Orten, und komme doch nicht näher. Als ich den Asphalt erreiche, ist es schon stockdunkel. Einige Häuser, aber kein Leben. Die Straße führt nun nochmal aufwärts, mäßige Steigung. Lichter im Tal nach Süden zu sehen. Die Abfahrt dann auch stark gebremst, die Straße nass, die Füße noch mehr. Dann doch noch Leben: Nava nur wenig unterhalb des Colle di Nava.

Ein Pizzeria ist offen, viel Betrieb, Lokaltreff auch für die Jugend. Aufwärmen, Essen. Eine Gruppe eines Alpenvereins aus verschiedenen Regionen kommt mit Musikgruppe hinein. Langsam fangen einzelne an zu spielen, bald ertönt der Ensembleklang einer typisch italienischen Banda, Blechbläser und Trommeln, keineswegs wild, mit feinen und ironischen Nuancen, mit schrägen Harmonien, mal hymnisch, mal jazzig, dann pathosgeladene Lieder. Zwei Männer aus dem Monte-Rosa-Gebiet unterhalten sich mit mir, einer spendiert ein Bier. Er rät mir übrigens hier schon ab, die Offroad-Verbindung von der Bielmonte-Panoramastraße zum Valsésia zu fahren (vgl. kommender Teil 6 des Berichts).

Nun noch eine Unterkunft? – Ein Hotel ist sogar hier, aber mal wieder sitzt der Sparkommisar im Nacken. Unerwartet geht hinter dem Hotel eine Zufahrt zu einem Camping hinunter. Ich kann auch am folgenden Morgen nicht feststellen, ob der Camping vom Hotel mitbetrieben wird und ich mich dort hätte melden sollen. Die Warmduschen funktionieren nur per Chip, Sanitäranlagen ziemlich marode, abgeschlossene Teile sind für die Dauercamper, die den ganzen Platz dominieren. Okay, keine Dusche, nasskalte Füße, ein Hammertag, wir verzichten mal auf alles, was den Namen Luxus tragen könnte.


So, 5.7. Nava – Garéssio – Colle di Casotto (1381m) – Pamparato – Mondovì – Colle del Mortè (714m) – Peveragno – San Giovonale(+) – Peveragno – Borgo San Dalmazzo – Beguda(+)
C: wild 0 €; AE: Tagliatelle ragu, Schnitzel Marsala, Rw, Apfeltorte, Cafe 20 €
128 km – 14,9 km/h – 8:37h – 1765 Hm

Der Platz liegt in einer Wiesenaue, unangenehm hat sich die Regenfeuchte des Vortages als nasskalter Nebel über die Wiesen gelegt. Die Sonne ist noch hinter den Bergen, zu schwach, um zu wärmen. In Sichtweite fahren zahlreiche Transporter zu einem Platz – irgendein Fest wird aufgebaut. Die Strecke nach Garéssio ist leicht zu fahren, ein sanftes Gefälle. Wäre es wärmer, würde ich schneller fahren, so zittere ich etwas der Sonne entgegen. Die Straße ist recht belebt. Sonntagsausflugsverkehr nach Imperia an die Küste. Die Berge sind weitgehend grasbedeckt grün, bleiben aber alpin, herrlicher Kontrast zum Himmlesblau.

In Garéssio ist Sonntagsmarkt, es gibt köstliche Honigvarianten z.B. mit Nougat vermischt, Käsespezialitäten z.B. Ziegenkäse mit Rosenblättern, oder kräftige, dunkle Brotsorten. Endlich kann ich mich an einem Cafe in der Morgensonne aufwärmen. Zwischen der Kälte und der Tageshitze ist es jedoch nur eine kurze Zeit. Wenig später schwitze ich schon den Colle di Casotto hinauf. Ordentliche Steigung, Kapelle auf halber Höhe, Wald, Wiesen, Blumen, Panorama, nicht spektakulär, aber schön. Mir begegnen zahlreiche brummige Rallyeautos – auf der Passhöhe findet eine Rallyewertung statt (im Gelände) und offenbar müssen die Fahrer über die Straße zur nächsten Wertungsprüfung. Einige können jedoch ihren Fahrstil der öffentlichen Straße nicht anpassen. verärgert

Der Pass ist keine Schönheit, mit dem Rallyegedröhne noch weniger. Die Nordwestseite weniger abwechslungsreich, ein Waldtal, dass mit Ausblicken auf die Berge angereichert wird. Unten lichte Kastanienwälder, kleinbäuerliche Bergwiesen, Walnüsse. Bei Pamparato kann man einfach dem Fluss folgen – ich fahre jedoch über Codevilla, eine schöne Hügelvariante, sanfte Bergwiesen, nette Kirchlein, ein schöner Turm auf der Nordseite, Panorama auf San Anna und Montaldo, die noch höher führende Alternativstrecke weiter westlich.

In der brütend schwülen Ebene geht es am mächtigen Kloster Vicaforte vorbei. Da ich nicht genau informiert bin, folge ich der Ausschilderung Mondovi – besser wäre hinauf Richtung Piazza zu fahren – Piazza ist der eindrucksvollere Oberstadtteil von Mondovi, die Unterstadt heißt Breo. Hier einmal bei großer Hitze angekommen, habe ich dann keine Lust mehr, in die Oberstadt zu fahren – zumal auch hier einige schöne Fotomotive warten. Die Stadtteile werden über eine Standseilbahn verbunden, die ich aber aus der Ferne sich nicht bewegen gesehen habe. Erschöpft picknicke ich in einer Parkanlage um Kräfte für den nächsten Pass zu sammeln.

Der Colle del Mortè ist jedoch keine große Herausforderung – allerdings auch landschaftlich sehr unauffällig. Wenn die Strecke einen nicht fordert, dann das Wetter: Das nachmittags Wolken aufziehen, ist mir nicht neu – samt dem Gewitterregen. Dieser überschwemmt dann in Peveragno die Straßen – mit dicken Hagelkörnern angereichert. Ein Tankstellendach bietet Schutz. Doch der Himmel bleibt auch nach der heftigen Schauer im dunkelsten Grau. Ich möchte eine Alternative nach Bóves fahren, gerate dabei aber bei San Giovenale vom Kurs ab. Bevor ich das endgültig bemerke, ist Gewitterschauer Nr. 2 im Anmarsch.

Eigentlich aus allen Richtungen drängen Gewitterwolken. Als es mit den fetten Tropfen losgeht, finde ich kleinsten Unterstand an einem Toreingang. Gartenerde schwemmt die Straße hinunter. Nach Süden ein dunkle Wolkenglocke, in der die Blitze zucken wie in einer Faraday-Käfig-Demo-Versuchsanordnung. Donner, Blitze, Donner, Blitze – nicht zwei, drei Gewitterzentren – mindestens sieben oder acht oder einfach eine homogene Gewitterhimmelfäche unvorstellbaren Ausmaßes. – Wahrhaftiges Inferno. – Hier bin ich nur am Rande, da ist schon einiges los. Das Zentrum liegt dort, wo ich gestern auch schon im Gewitter mich durchkämpfte. Wäre ich heute dort unterwegs – möglich, das es auch tödlich hätte enden können. Doch auch hier trifft mich ein Schicksal: Das Wasser läuft von unten durch die Klickies meiner Radschuhe. So verkannte ich meine Füße, um trocken zu bleiben. Das sind etwa 20 Minuten. Danach scheint alles normal, doch einen Tag später spüre ich eine Sehnenreizung. Die Sehne für das reflexartige Geradeziehen des Fußes habe ich hier überdehnt – mit unliebsamen, und auch nicht ganz ungefährlichen Folgen, die wohl nur glückhaft ausblieben.

Wieder ein Regenbogen, und ich fahre weiter den falschen Weg hinauf, sehr steil und durch eine Art Urwald bis der Asphalt plötzlich endet. Etliche unnütze Höhenmeter. Wieder zurück nach Peveragno, ist auch in Richtung Po-Ebene der Himmel von schwarzen Wolken und einem blitzenden Gewitterband überzogen. Gerade noch in meiner Richtung Valle Stura scheint es entspannter. Die letzte Chance, über Valdieri und Madonna di Colleto zu fahren, ist damit auch vom Plan gewischt. Mittlerweile bei Dunkelheit esse ich zunächst in Borgo San Dalmazzo und suche mir irgendwo westlich von Beguda und an der nahezu einsamen Südvariante im Valle Stura eine Wiese zum Wildcampen. Erstaunlicherweise zeigt sich der Himmel mittlerweile sternenklar.

Mo, 6.7. Beguda(+) – Aisone – Vinadio – Col de la Lombarde (2351m) – Isola – St-Étienne-s-Tinée
C: Municipal? 8,70 €; AE: Confits de canard au myrtille/genepy, Rw, Crêpe m. Eis/Schoko/+, Cafe 26,30 €
83 km – 11,6 km/h – 7:08h – 2020 Hm

Diese kleine Straße südlich des Stura di Demonte liefert tatsächlich ganz neue Perspektiven auf das Tal im Vergleich zur zur Hauptroute auf der nördlichen Flussseite. In Halbhanglage geht es durch Kastanien- und Eichenwälder, vorbei an Wehranlagen aus dem 2. Weltkrieg, Viehweiden, Kornblumenwiesen, Walnussbäumen und diversem Gemüse- und Osbtanbau. Vielfach halbhoch über dem Tal sieht man das gegenüberliegende Tal mit den Ansiedlungen, dazu immer wieder die herrlichen Bergperspektiven nach Westen beim Col de Larche. Nachteil der Route ist, dass man nicht durch die Orte fährt und keine Verpflegungsmöglichkeit erhält. Man kann den Fluss an mehreren Stellen und bei allen Hauptorten überqueren. Das mir aus 2007 bekannte Demonte lasse ich aus. Der von mir ursprünglich anvisierte Camping in Aisone liegt auf der Südseite, ist aber völlig abgelegen und im Ort Aisone (hier wechsle ich das Ufer) gibt es ebenfalls keine Verpflegungsgelegenheit. Ich empfehle daher als Übernachtungsort im Valle Stura Demonte oder für diese Routenführung am besten Vinadio. Der Camping liegt hier unmittelbar am westlichen Ortsende, in den Geschäften bekommt alle kleineren Wünsche erfüllt und sogar einen Ersatzschlauch kann ich hier erwerben. Ausgangs des Ortes liegt eine große Festungsanlage, die man begehen kann.

Insgesamt habe ich doch einige Zeit bis hierher verbraucht, sodass eine Doppelpassfahrt über Lombarde und Moutière utopisch ist – machbar eigentlich nur, wenn man früh genug direkt ab Vinadio starten würde. Das somit gemütlicher gestaltete Zeitfenster bis St-Étienne-s-Tinée fülle ich mit den herrlichen Eindrücken bei der Auffahrt zum Col de Lombarde. Den Pass fahre ich nach 2005 jetzt zum zweiten Mal, auch wieder in der selben Richtung. Und doch ist auch hier das Staunen über die Natur wieder ganz neu. Der Pass verläuft in mehreren Steilstufen, von denen eine im unteren und eine im oberen Teil die heftigsten sind. In einem mittleren Teil nach einem Wanderparkplatz gibt es ein etwas längeres abgeflachtes Stück.

Unten fährt man neben rauschenden Kaskaden hinauf, teils haben sich schöne Wassergumpen gebildet. Felsgeröll an den Hängen gegenüber, waghalsig wachsende Bäume am linkseitigen Hang, einzelne Blumentupfer. Hier auf vielleicht 1200-1300 m Höhe sehe ich sogar noch Schneereste, die vermischt mit Pflanzen und Geröll offenbar selbst hohe Sommertemperaturen überstehen. Der schneereiche Winter hier also auch noch mit Spuren. Sichtbar auch die Gewalt, die die Schneemassen ausüben und Bäume entwurzeln. Schmilzt jetzt ein entscheidender Teil eines solchen Konglomerats, kann es durchaus zu gefährlichen Steinschlägen oder Erdrutschen kommen. Mit der zweiten Kehrenpassage nimmt die Bergblumenvielfalt zu, unweit des Wanderparkplatzes mit abgeschlossener Hütte entfaltet dann die Blumenwelt eine traumhafter Schönheit, in allen Farbkompositionen und immer wieder Neues zu entdecken. Ein Ehepaar aus der Schweiz (mit Auto) ist ganz überwältigt. „Unglaublich!“ der schlichte, aber treffende Kommentar der Frau, während ihr Mann auf Fotopirsch den Hang hochstreift.

Mit dem flacheren Teil wird die Landschaft öder, Steingeröll mutet etwas seltsam an, der Fluss breitet sich in der kleinen Hochebene aus, eingerahmt in dunkles Tannengrün. Mit den nächsten steilen Kehren durchfährt man lockeren Lärchenwald mit leuchtend grünen Grasflächen, gelben Blumen. Hier liegt auch der Abzweig zum Kloster Santa Anna, das man später auf dem gegenüberliegenden Hügel von der Straße aus sehen kann. Wie vor vier Jahren ist auch diesmal Lärmtrubel zu vernehmen. Im oberen Teil des Lärchenwaldes bedecken Almrosen den Boden und so farblich geblendet öffnet sich alsbald eine offene Bergwelt von aparter Kargheit. Zunächst noch kurzgrasige Bergwiesen mit viel Enzian, dann immer mehr Geröllhänge. Am Horizont die faszinierenden Zacken der schroffen Seealpengipfel. Kalt-windig auf der Passhöhe, steht immer noch der Imbisswagen, der auch schon vor vier Jahren auf doch sehr wenige Besucher zählen darf, selbst die Motorradfahrer möchten nicht lange hier im Wind stehen bleiben. Der Ausblick herrlich auf gipfelreiche Bergketten nach Süden wie nach Norden, Skipistenspuren zeichnen die Hänge in Richtung Isola 2000.

Die Abfahrt vom Lombarde-Pass ist kurzweilig, weil unaufhaltsam das Gefälle und die Straße teils verführerisch breit- und geradegezogen. Es gibt einige Picknickmöglichkeiten. Die Fauna ist hier jedoch weitaus weniger verschwenderisch als auf der Ostseite, oben die kargen und gerodeten Skipistenhänge um die Bausünden von Isola 2000 herum, dann ein paar kleinere Almwiesen, sonst dicht bewaldete, steile Hänge bis ganz hinunter. Rauschende Kaskaden und einige höhere Wasserfällen lassen das Wasser schnell zu Tal stürzen gleichwie den Radler auf der Straße. Durch die Gassen Isolas hindurch fällt der Blick auf den eindrucksvollen Cascade de Louch, besser einzusehen am oberen Ortsausgang.

Diese nun mir bekannte Auffahrt mit sehr mäßiger Steigung – ein kleine Rampe ist nur kurz vor St-Étienne zu überwinden – ist weniger bemerkenswert. Man fährt entlang der wasserreichen Tinée, die ein graues, gleichmäßiges Flusstal bildet. Der größte Teil der Strecke ist auf einem Radweg fahrbar, der teils auch etwas abseits der Straße gelegen ist. Der Verkehr auf der Straße ist allerdings so gering, dass ich an dem Sinn des Radweges zweifeln muss. Ich vermute, dass man hier bewusst den vielen Radlern, die zum Bonette pilgern, ein sichtbares Zeichen der Wertschätzung setzen wollte. Der heftige Wind sorgt für ein wenig unrythmisches Vorankommen – wohl aber auch der Grund für kein neues Gewitter.

In St-Étienne ist alles wie vor vier Jahren – das charmante Örtchen, trotz Bustouristen ohne Hektik und Lärm, der ruhige, an einem künstlichen Badesee gelegene Camping, sauber, gepflegt und mit mit einem milden Luftzug, die netten Terrassen- und Gartenrestaurants mit einer kleinen, aber feinen Auswahl an Gerichten. Beim Gang in den Ort spüre ich erstmals ernsthaft meine Sehnenreizung (Schmerz am vorderen Unterschenkel), kann den Fuß nicht richtig strecken und knicken – sprich, ich fange an zu humpeln. Offenbar kann ich nicht mehr laufen, aber noch radeln. Dass es mehr als eine kurzweilige Erscheinung ist, ahne ich hier noch nicht. Umso erfreulicher allerdings das Essen, bei dem ich die leckeren Entenstücke mit einer Heidelbeer-Genepy-Sauce hervorheben möchte.

Di, 7.7. St-Étienne-s-Tinée – St-Dalmas-le-Selvage – Col de la Moutière (2454m) – dev. D64/Restefond (~2600m) – Jausiers – St-Paul-s-Ubaye – Col de Vars (2109m) – Guillestre
C: La Serre Altitude 1000 6,60 €; AE: Salade chevre chaud, Tagliatelle, Rw, Cafe 18,10 €
89 km – 11,4 km/h – 7:44h – 2420 Hm

Der Idealstart am Morgen wird schnell gedämpft. Nur 1-2 km an der Tinée entlang und ich habe den nächsten Plattfuß. Diesmal finde ich die Ursache im Mantel und kann das Loch im Schlauch lokalisieren, sodass ich ihn reparieren kann. Alldings muss ich dann noch feststellen, dass der Bremszug der Hinterradbremse an einem Draht hängt. Also auch noch den Bremszug austauschen. Da ich keine Zange zum abknipsen des ausgefransten Drahtes habe, ist es eine sehr pfriemelige Angelegenheit, bei der ich mir mehrfach mit dem Draht in die Fingerkuppen steche. Ein vorbeikommender Rennradler (Frau im Begleitauto) kann mir helfen, nachdem ich schon etwas verwzeifelt war.

Im Gegensatz zur 2005er-Alpentour möchte ich diesmal nicht die Bonette-Route fahren, sondern den Parallelpass. Der Moutière-Pass ist jedoch nach der Passhöhe eine Offroad-Piste. Zunächst aber gelange ich in das Örtchen St-Dalmas-le-Salvage um mein Picknick zu machen. Die graue Gerölllandschaft von zuvor geht nunmehr in kleinere Waldabschnitte über, zahlreiche Bergblumenwiesen erfreuen das Auge, viele Schmetterlinge suchen den Nektar in den Blüten. Obwohl für Autos nahezu eine Sackgasse, fahren doch einige hier hoch. Zum einen folgen weiter oben noch ein paar Hütten, die wohl auch als Feriendomizil dienen, zum anderen Erwandern Autofahrer ab einem höher gelegenen Wparksplatz den Nationalpark Mercantour, einige fahren bis zum Pass, um von dort zu wandern.

Bonette vs. Moutière – wer ist schöner? – Diese Frage habe ich schon unterschiedlichst bewertet gefunden. Mein eindeutiges Urteil: Der Moutière ist deutlich schöner, Wasserfälle, Pflanzenwelt und kuriose Felsenformationen im Westen machen ihn zu einem wunderbarem Pass auf der Südseite. Erst spät geht es durch die kargen offenen Berghänge, dort aber immer noch mit wasserdurchzogenen Felsen und Almrosen. All das hat der Bonette nicht zu bieten – seine herausragende Stellung bezieht er eben aus der psychisch anspruchsvollen Fahrt durch eine nicht endende wollende Stein- und Geröllwüste, durch die imponierende Kargheit und der Annäherung an den majestätischen Mondberg Cime de la Bonette. Den Eindruck dieser Welt vermittelt mehr die Nordseite des Moutière.

Wenn auch der Tag mit Sonne begann, die Wolken überziehen schon mittags das Gebrige und sorgen für harsche Kälte in der Höhe. Noch dramatischer der Wind: Ich muss die nicht gerade einfachen Rampen am Moutière gegen teils sturmreifen Wind rauffahren. Irgendwann bei ca. 14 % Steigung und einer heftigen Windböe werde ich schlicht umgerissen. Passiert ist diesmal nichts, aber die Alpen zeigen ihr kantiges, widerspenstiges Gesicht. Nach dem Pass geht es nur ganz wenig hinunter, danach, steigt die Schotterpiste weiter an – ca. auf 2600 m und damit nur noch wenig unterhalb des Bonette-Passes und der Bonette-Schleife. Das bedeutet schwere Arbeit, die Piste ist durchgeweicht von Regen und getautem Schnee, denn hier gibt es noch größere Altschneefelder. (Zu Beginn miern Tour war der Bonette noch gesperrt.) Jetzt ist es mit dem Wind sogar so kalt, dass man aus den dunklen Wolken Schneefall erwarten könnte. Bei trockenem Sommerwetter dürfte die Fahrt hier okay sein, wenn auch mit dem Reiserad nicht einfach. So wird es dann sogar brisant: An einer Stelle reicht das Schneefeld noch ganz über die Piste. Ich muss das Rand gerade eben am Rand vorbeischieben. Wegen dem leicht weichen Untergrund besteht allerdings Absturzgefahr – auf der Schneefläche würde ich aber einsinken.

Bei gutem Wetter hätte ich vielleicht nochmal dem Hochpunkt am Bonette einen Besuch abgestattet. Es ist an der Einmündung auf die Straße aber so kalt, windig und beginnend regnerisch, dass ich dringend ins Tal gelangen sollte. Wie Nagelpfeile prasseln einige Regentropfen auf mich, die Hände verfrieren sich auf der Abfahrt. So brauche ich unten in Jausiers in der gelegentlich herauslugenden Sonne lange zum Aufwärmen – der Wind macht es dabei nicht leichter. Mit der Fahrt das Ubaye-Tal aufwärts verlasse ich die Seealpen und begebe mich in die Cottischen Alpen, also eigentlich schon dem nächsten Berichtsteil zugehörig.

Im Ubaye-Tal genieße ich etwas Windschutz. Mein Plan, über die Offroad-Pässe Parpaillon und Valbelle nach Guillestre zu gelangen, ist nunmehr in mehrfacher Hinsicht verworfen: Das Wetter droht mit Regen, Hagel, Schnee, Kälte und Wind eine solche Überfahrt zum Desaster zu machen. Mein Timing für die Überfahrt ist denkbar schlecht, ich müsste mehrere Stunden abgeben und bis zum nächsten Morgen warten, weil sich nunmehr die Überfahrt nicht mehr bewältigen lässt. Je nach Wetterentwicklung würde es ein oder auch zwei Tage mehr Zeit brauchen. Der wichtigste Ausfallgrund ist jedoch meine Sehnenreizung. Einen Pass hinaufzufahren, bei dem ich häufig den Fuß absetzen und mich mit ihm Abstoßen muss, kann ich nicht mehr fahren – soviel ist mir jetzt schon klar.

Entsprechend fahre ich den Col de Vars, ebenfalls zum zweiten Mal, diesmal aber umgekehrt von Süden nach Norden. Auch der der Zeitplan geht auf, obwohl auch hier mir heftiger Wind bei der Auffahrt entgegen bläst. Der Pass ist komplett offen, Bergwiesen, die oben als sanfte grüne Kuppen den Horizont markieren, unten zieren zahlreiche Blumen die Almweiden. Eine Besonderheit auf der Nordseite: Golfen auf ca. 2000 m Höhe. Die Landschaft ist allerdings wie vorgeschaffen für einen Golfplatz. Nach Norden gibt es mehrere Besiedlungen, teils als Skiorte, teils aber auch organische Dörfer. Ein kleiner Gegenanstieg und schließlich der Blick auf das Ecrins-Massiv verkünden wieder eine neue Alpenzone.

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