Re: Westalpen 2009

von: veloträumer

Re: Westalpen 2009 - 26.08.09 05:37

Wieder ein kleiner Schritt vorwärts. Der folgende Teil der Reise ist der sommerlichste und auch der entspannteste Teil der Reise, mit (fast) zwei Ruhetagen – und weitgehend im mediterranen Voralpenland mit geringeren Höhen.

TEIL 3: PROVENCALISCHE ALPEN & CÔTE D’AZUR

Di, 23.6. Ancelle – Col de Moissière (1573m) – Chorges – Col Lebrault (1100m) – Les Celliers – Gorges de la Blanche – Seyne – Col de Mure (1346m) – Col du Labouret (1240m) – Digne-les-Bains
C: Bourg 9 €; AE: Salat, 2 x Crêpes, Rw, Cafe 24,30 €
105 km – 15,5 km/h – 6:43h – 1545 Hm

Die Nacht war so kalt, dass sich auf den Autoscheiben des Campingwartes Eis gebildet hatte. Vor der Abreise brauche ich entsprechend einen Cafe au lait in den ersten wärmenden Sonnenstrahlen. Der folgende Pass zählt noch eindeutig zur Dauphiné-Region. Nur noch ein kleiner Anstieg im Schatten, oben dann erste wärmende Sonne. Die Abfahrt nach Süden eindrucksvoller. Schöne Waldpassagen, schon etwas südlicher geprägt mit Kiefern, viele Blumen, enge Straße. Weiße Kühe drängeln sich fürs Fotoshooting zusammen, als ich die Kamera zücke. Danach freier Talblick und endlich Sommerhitze.

Die Verkehrsachse zwischen Gap und Lac de Serre Ponçon stellt ein gewichtige Verkehrsachse dar – die ich bereits 2007 in umgekehrter Richtung gefahren bin. Eine neue und damit dritte Facette lerne ich vom riesigen Stausee Lac de Serre Ponçon kennen, indem ich die Westseite befahre (mir fehlt damit noch die Ostroute). Man hat sehr schöne Aussichtspunkte über den See (und damit besser als die Nordwestseite und die Südseite). Am südlicheren Teil liegen nach Osten seltsame Gesteinsberge wie sie für diese Region typsich sind, teils in schwarzgrau, teils rostfarben – nicht zuletzt eine Fundgrube für fossile Überreste. Die Hauptstaumauer ist ein mächtiger Steinhaufen, darunter dann ein kleinerer See, wo man flach bis zur zweiten Staumauer mit der Straßenüberquerung fährt.

Mal wieder hatte ich mir eine komplizierere, schwierigere Pässeroute ausgedacht, die ich verwerfe und mich für die Abkürzung und ziemlich leichte Route durch die Gorges de la Blanche umentschieden. Diese Wahl bereue ich nicht, denn die Schlucht – nicht sehr lang – ist einfach klasse. Die dunklen Gesteinswände, Steintorbögen, Straßenführung, überraschende Mohnfelder dazwischen und schließlich sogar gute Zugänge zum Fluss mit Badestellen sorgen für aufregenden Augenschmauß und Urlaubsfeeling. Auch deutsche Motorradfahrer sind beeindruckt.

Mit Erreichen der D 900 fallen die die nackten Spitzen der Montagne de la Blanche im Osten ins Auge, die bereits das typische Gepräge der Seealpen etwa wie am Cime de la Bonette haben. Seyne ist ein beliebter Ort wohl Sommers wie Winters, eine alte Burganlage (bin ich nicht raufgefahren), ein weithin sichtbarer Kirchturm und eine dreiteilige Bildtafel mit biblischen Darstellungen fallen besonders auf.

Sehr gemäßigt ist die Steigung zum Col de Maure. Vor dem Col du Labouret bietet mir ein Mopedfahrer an, mich bei ihm anzuhängen – ob ich so bemitleidenstwert daher tuckere? – Jedenfalls lehne ich ab – auch dieser Pass ist leicht zu fahren. Ein dichter, fast mitteleuropäisch wirkender Wald bildet den landschaftlichen Rahmen, dem eine langsam mediterraner werdende Vegetation folgt – zunehmend mit Ginsterbewuchs und Kiefern. Trotzdem bleibt das Provencalische noch verborgen – erst mit Digne-lesBains (nach dem Camping) verströmt eine Pforte den Hauch des Südens. Wer die Strecke umgekehrt fährt, wird bei moderaten Steigungen sehr lange den Blick der Bergketten im Auge halten – möglicherweise etwas monoton.

Auf dem Camping nördlich von Digne treffe ich auf je einen Reiseradler aus England und der Schweiz. Der Schweizer ist noch Radreiseanfänger und ohne Zelt nur mit Biwak unterwegs. Die kalten Nächte (er kam auch aus dem Norden) und die fehlende Intimsphäre machen ihn aber nicht ganz glücklich, sodass er wohl die nächste Reise mit Zelt machen wird. Er möchte von mir ein Foto machen, um seinen Freunden zu zeigen, dass er nicht der einzige Verrückte ist. Damit er sich besser informieren kann, habe ich ihm auch noch das Forumstrikot zum Fotografieren entgegen gehalten. schmunzel Alleine genieße ich in der Stadt ein Crêpes-Menü mit einem guten Salat.

Mi, 24.6. Digne-les-Bains – Col de Pierrebasse (1065m) – Col de Corobin (1230m) – Barrême – Col de Leques (1148m) – Castellane – Col de Luens (1054m) – Peyroules (~1125m)
C: wild 0 €; AE: SV
78 km – 12,5 km/h – 6:08h – 1690 Hm

War der Abend doch noch relativ mild, so ist es auch hier weit südlich am Morgen bitterkalt. Ich besuche zunächst den Markt in Digne. Eine Fülle Von Obst, Gemüse, eingelegten Oliven, seltsamen Brotformen, Käse, Würsten, Fisch und Meerestieren. Kleiner Flirt mit einer Marktfrau. Abseits der Hauptverkehrsstraße mit den meisten Geschäften finden sich zahlreiche ruhige Gassen, durch die ein Gang lohnt.

Schnell ist mal wieder einige Zeit vergangen und ich nehme den Col de Corobin bereits bei hohen Temperaturen in Angriff. Die Strecke ist nicht angeschrieben – man folge dem Hinweis zum Thermalbad. Spätestens nach der Therme (liegt etwas von der Stadt weg im Tal) ist es einsam und herrliche windet sich die Strecke durch Eichenwälder, vorbei an schwarzschiefrigen Geröllhängen, umflattert von buntschillernden Schmetterlingen. Nach oben hin seltsame Kiefernanordnung. Am Zwischenpass Pierrebasse kurzer Smalltalk mit einem einheimischen Rennradler, der ob meines Tourplanes schlicht fassungslos ist. Wenig später ein Brunnen nebst Erklärungen zu Napoléons Weg über die Alpen. Der historische Marsch des kleinen Korsen von 1815 führte über diese heutige D 20 – damals noch ein Saumpfad – und nicht die über die westlich liegende N 85, wie das einige Karten irreführend wiedergeben. Mehr Kiefernwald, dann weite Panoramen über exotische Gesteinsfelder und Felsmuster. Auch die Südseite ist reizvoll, wenngleich offener.

Auf der Route Napoléon herrscht starker Verkehr, die Strecke verläuft relativ flach auf Höhe des Flusslaufs. Entsprechend finden sich auch Badegelegenheiten, die ich bei der Hitze gerne und noch vor Barrême annehme. Im verschlafenen Örtchen Barrême zweigt der Transitverkehr nach Osten in Richtung Nizza ab, während die Route Napoléon danach überraschend ruhig bleibt. Weiterhin mit moderater Steigung stößt die Straße auf eine Engstelle – die Clue de Taulanne – eine eindrucksvolle, fast weißfelsige Schlucht mit schönen Steintorbögen. LKWs und Busse haben hier Probleme bei Gegenverkehr, die Kurven zu nehmen.

Von Col de Leques windet sich die Straße bei moderatem Gefälle in einen weiten Talkessel, der mit mit seinen Felsgravuren die Typik der Verdon-Schlucht andeutet. In der Ferne nach Norden der Lac de Castillon, nach Süden Castellane mit einem aufragenden Felsen, auf der die Kapelle Notre-Dame du Roc spielzeugartig über der Ebene thront.

Da ich kein campinggerechtes Etappenziel mehr zu erreichen glaube, stelle ich mich auf Wildcamping ein und kaufe in einem Supermarkt vor Castellane ein. Statt die normale Autoausfahrt zu nehmen, versuche ich durch zwei enge Poller zu fahren – und bleibe mit den Lowridern hängen. So ein Sturz mit einem Gepäckrad hat nur geringe Folgen, etwas Abschürfung am Ellbogen – aber der Brems- und Schalthebel verstellt sich extrem. Zurückdrehen funktioniert nicht. Ein Multitool würde passen, der Inbus ist aber nicht lang genug. Ein Radverleiher kann nicht weiterhelfen, eine Autowerkstatt hat gerade Feierabend gemacht. Die ganze Sache ist ziemlich ärgerlich, zumal die Aktion sehr unnötig war. Es dauert bis zum Nachmittag des nächsten Tages, bis ich an einer Autowerkstatt vorbeikomme, wo ich den passenden Inbus mir ausleihen kann. Nun, mit starker Verrenkung lässt sich auch so der Hebel betätigen.

Nach dem touristisch gut besuchten Castellane mit engen Gassen, einem markanten Glockenturm und der hübschen Pitonbrücke ortsausgangs und dem nicht so spannenden Col de Luens gelange ich in entlegendes Gebiet, obwohl nicht ganz unbesiedelt. Der Tag neigt sich dem Ende und auf dem Hochpunkt hinter Peyrolles (offenbar kein Pass) finde ich gute Wildcamping-Bedingungen: Mit einem kleinen Fläschchen Rotwein ist das Ärgernis des Tages bald vergessen.

Do, 25.6. Peyroules – Valderoure – Col Bas (1199m) – Caille – Col de Cornille (1387m) – Moulières – Gréolières – Le Bar-s-Loup – Grasse – Col du Pilon (780m) – Col de la Lèque (695m) – St-Cézaire-s-Siagne – Roche Taillée – Fayence
C: wild 0 €; AE: Steak, Gratin Dauphinois, Crêpes, Rw, Cafe 24 €
122 km – 15,2 km/h – 7:55h – 1810 Hm

Nach einer weitsichtigen Wiesenhochtalebene und dem nicht so bemerkenswerten Col Bas beginnt bei Caille und dem Col de Cornille eine eigenwillige Landschaft mit hohen, fragmentierten Felskulissen, die von von Ginster durchsetzt sind, die Straße ist oft von Kiefernwald begleitet, später auch Wiesen, Weiden, Blumenwiesen. Weitverstreute Besiedelung. Jenseits von Andon vermehrt Laubwälder, die das Tal der Loup auffüllen. Blick meist über das Walddach des Tales hinweg. Ein nettes Örtchen namens Gréolières lädt zur Rast ein.

Nunmehr stärkeres Gefälle, Übergang in die Gorges du Loup. Plötzlich dann der Hinweis auf die Saut de Loup. Man zahlt einen kleinen Eintritt für die Wasserfälle. Besonders schön der Strudellochwasserfall, zudem verträumt über Moos eine Wasserfallensemble, dessen Wasser sich in einem schillernden Teich sammelt – einer trägt den verheißungsvollen Namen Cascade des Demoiselles (Kaskade der jungen Damen). Wenig weiter, direkt an der Straße nach einem Felsbogentunnel – ohne Eintritt – eine weitere eindrucksvolle Kaskade (Cascade de Courmes) – nur mit sehr gutem Weitwinkel ganz einzufangen – ein Strahl, der sich unten über eine annähernd ovale Felskugel in mehrere Substrahle aufteilt. Es gibt auch eine höher gelegene Route entlang der Gorges du Loup auf der westlichen Seite – allerdings dann ohne die Wasserfälle.

Die klare Sonnenwärme des oberen Teils hat sich in eine schwüle Hitze unter einer Dunstglocke verwandelt, in die sich schon feuchte Meeresluft mischt. Im Talpunkt Pont-du-Loup befindet sich ein das Fabrikationsgebäude der exquisiten Confiserie Florian. Es gibt ganztags Betriebführungen – leider ist gerade Mittagspause und nur der Shop offen. Zu sündhaften Preisen erhält man feinste Schokoladen, Bonbons, Konfitüre, Pasta-Saucen und insbesondere kristallisierte Blütenblätter und glacierte Früchte – weltweiter Versand inklusive. (Die 1921 gegründete Schokoladenfabrik befindet sich in Nizza, ebenfalls mit Shop.) Es liegen ein paar Probestückchen aus. Ich kaufe mir ein kleinen Stengel Himbeerfruchtgelee und ein paar Kugeln glacierte Mandarinen. Wer glacierte Früchte nicht mag, sollte diese hier trotzdem einmal probieren – es entflammt eine wahrhaft unvergleichliche Geschmacksexplosion. Wenn ich eine Yacht in St. Tropez liegen gehabt hätte – ich hätte sie hier für fruchtige Zuckersüße versetzt. schmunzel

Nach Le Bar-s-Loup und darüberhinaus geht es wieder aufwärts. Im Hang gelegen, finden sich im Ort mehrere zahlreiche pittoreske Gebäude und romantische Winkel zum Verweilen. An der Ortsausfahrt komme ich an einer Autowerkstatt vorbei. Ich frage nach einem passenden Inbusschlüssel für meine Bremshebelschraube – und endlich werde ich von der Qual der verdrehten Lenkerhaltung erlöst. Wenig später erblicke ich über kleine Hügel eine stark besiedelten Region, über Palmen und Blumenterrassen hinweg das Mittelmeer – allerdings ganz im Dunst verschwommen. Nach Westen eine große Stadtsiedlung am Hang – die Stadt der kultivierten Düfte – Grasse.

Ein Parfummuseum habe ich mal zu meiner Autofahrerzeit in den 80er Jahren hier besucht. Bereits im 16. Jahrhundert begann man hier erste Duftwässer zu destillieren. Nunmehr beschränke ich mich auf einen kurzen Stadtrundgang. Enge Pflaster- und Treppengassen, einladende lebhafte Plätze, Mauersegler schwirren im Himmelsblau über den Ziegeldächern, Tauben genehmigen sich ruhiger ein Bad im Brunnen, Verfallenes und Restauriertes, Eleganz und Subkultur, Leckereien und Kitsch, Fastfood und modische Tischkultur, Sprachengewirr von English spoken bis Arabisch, Touristen als Hippie, im Familientross, als sexy gestylte Lady oder als Mr. Cool Marke Macho – dem Einheimischen bietet sich ein offenes Theater – alles mischt sich zu einer lebendigen, südländischen Melange. Sicherlich auch einen längeren Aufenthalt wert.

Noch in Grasse beginnt der Anstieg zum Col du Pilon, steigt bei zahlreichen Panoramawechseln und nebst einiger auffälliger Villen gut an, danach einfacher. Von St-Vallier-de-Thiey ist die Steigung sehr moderat, eine ruhige, liebliche Landschaft. Weinanbau, Lavendel, mehr und mehr Oliven – letztere besonders eingangs der Gorges de la Siagne. Auf einem Hügel das charmante Örtchen St-Cezaire – Höhlenfreunde können hier nahe bei eine bekannte Grotte besuchen.

Von St-Cezaire führt die kleine Straße durch schöne Olivenhaine weit nach unten, an abbrüchigen Felsen und Burg vorbei – wieder glaubt man sich auf Meereshöhe – hier im dichten Wald an einer Talsohle und gleichan hinauf. Zunächst viel Laubwald, an brockigen Felswänden vorbei, dann Schluchtpanoramen und Sicht in einen weiten Talkessel mit Kalksteinschichten, später lichte Alleentunnels. Die Stecke kann man vollendet bis Mons fahren, das zu der Gruppe „Schönste Dörfer Frankreichs“ zählt. Ich wähle hingegen eine Querverbindung, die man mangels Beschilderung etwas erahnen muss. Hier soll man an einem römischen Aquadukt vorbeikommen. Ja, schon, nur sieht man vor lauter Bäumen nichts. Wer was sehen will, muss die Zeit für einen längeren Rundgang mitbringen. Nochmal etwas Höhenmeterverlust und wieder Anstieg. Ein paar Villen, Ferienanlagen im Wald, ein Schlösschen.

Um einen nächsten Ort zu erreichen, drängt mir die Zeit. Abwärts nochmal Schloss, schöne Ausblicke nebst Ginstergelb und Zedernsäulen. Tourettes und Fayence bilden eine Art alt-neue Ortseinheit – jedoch wenig Aufregendes. In Fayence speise ich und vertraue anschließend darauf, ein Platz zum Wildcampen zu orten. In der Dunkelheit finde ich in der Talebene unterhalb von Fayence Olivenhaine – wohl nicht ganz wild, aber doch ein angenehmer Platz bei milden Temperaturen.

Fr, 26.6. Fayence – Seillans – Col de Saint Arnoux (653m) – Bargemon – dev. D19/D955 – Draguignan – les Arcs – Vidauban – Col de Vignon (352m) – La Garde-Freinet – (Grimaud) – Col de Taillude (411m) – Collobrières
C: Municipal 0 €; Lammspieß, Pf, Rw, Maronencreme, Cafe 24,60 €
119 km – 14,6 km/h – 8:05h – 1575 Hm

Wieder ein ganzer Sommertag – diesmal sogar bis zum Abend durchgehend mit klarer Sonne. Zu Anfang des nächsten Anstiegs liegt im Berg zwischen Oliven, mit Palmen und Wald im Hintergrund das alte Seillans. Enge, steile gepflasterte Gassen, hübsche Blumenüberhänge an gelb und rosa verputzten Häusern und historisches Gemäuer samt Burg sorgen für einen genussvollen Rundgang. Ein Ort, an dem auch der Maler Max Ernst seinen Lebensabend verbrachte. Ginsterdurchsetzt und mit vielen weit verteilten Villen ist der Übergang nach Bargemon. Weites Panorama über das Städtchen hinweg. Im Ort gute Verpflegungsmöglichkeiten – ein Knotenpunkt für Straßen in verschiedene Richtungen mit Pässen und Schluchten (komme entsprechend auf der Tour nochmal durch den Ort) und wohl auch deshalb beliebter Kaffeestop für Rennradler.

Wenig oberhalb von Bargemon (schöne Vogelperspektive auf den Ort) gibt es eine Querverbindung nach Westen zur D 955, die so etwas wie die südliche Zubringerroute zur Verdon-Schlucht bildet. Dass sich nördlich auch ein riesiges Militärgebiet befindet, bleibt auch nicht verborgen, als eine Kolonne von „Dchungelkämpfern“ an mir vorbeirollt. Ich erinnere bei dieser Gelegenheit daran, dass ich 2002 mal auf dem Camping in Comps-sur-Artuby genächtigt hatte und mitten in der Einsamkeit unweit de Verdon-Schlucht nicht schlafen konnte, weil die französische Artillerie nächtliche Feindübergriffe befürchtete verärgert ).

Diesmal fahre ich nach Süden durch die Schlucht Gorges de Châteaudouble. Der namensgebende Ort mit dem Schloss liegt oberhalb der Schlucht und ist von dieser Strecke aus nur als Zipfel am Horizont zu erahnen. Einige mächtige, quaderartige Felsen ragen im Norden auf, auf der Südseite imponieren die flachen Baumkronen der Pinienbäume, die sich in den Steillagen ihre Lebensnischen gesucht haben, die Tallage der Straße führt durch halboffenen, mediterranen Mischwald. Keine Megaschlucht – aber ein sehr schöne Durchfahrt allemal.

Draguignan ist schon unangenehm groß, wenn man über die breiten, verkehrserfüllten Straßen unter brennender Sonne einfährt. Viel Betrieb, breite Einkaufsmeilen, nicht mein Geschmack. Charmanter in den Weinbergen des Côte de Provence liegt Les Arcs, unterhalb des Ortes an der Pont d’Argens ein kleines Stück Flussromantik. Auf der Verbindungsachse hier zwischen Draguignan und Vidauban herrscht jedoch heftiger Verkehr.

Eine neue Landschaftsperspektive öffnet sich südlich von Vidauban. Über mir zirpen Tausende von Kontertenören des Südens in einem ohrenbetäubenden Konzert. Trockenheiß geht es unter den Schirmen der Pinienbäume doch recht anstrengend voran – durch einen kleinen Verfahrer stoße ich auf rote Gesteinsschichten , die von kargen Flechten überzogen sind. Die Straße zum Col de Vignon ist dann doch schattiger und grüner – Steineichen- und Kastanienwald. An einer kleinen Siedlung halbhoch weiter nach La Garde-Freinet. Der Ort scheint ein Vorposten von St-Tropez zu sein – zahlreiche Angelsachsen, dicke Limousinen. Aber doch noch ein ruhiges Bergdorf.

Die Straße führt nun fast ganz hinunter, kurz vor Grimaud dann der Abzweig zum Taillude-Pass. Bei durchweg sanfter Steigung geht es durch Wein- und Obstanbaugebiete, dann leicht verdorrt wirkende Korkeichen, die schon etliche Brände überstanden haben. Ein weiterer Höhenzug südlicher verhindert dauerhafte Meerblicke. Auf der Westseite ist es grüner, unten wieder Weinanbau (Rosé). Eine kleine Bogenbrücke eröffnet den kleinen pittoresken Dorfkern von Collobrières. Der Camping oberhalb, an einer Schule, im Steilhang. Alles wirkt sehr verlassen, die Sanitäranlagen sind mit Zahlencode gesichert. Man soll sich bis spätestens 17 Uhr beim Tourismusbüro (an der Brücke) melden – na, das ist ja eine großzügige Regelung für Reisende!? – Einen Zeltgast finde ich doch noch auf den Terrassenstufen weiter oben – er hat sogar den Nummerncode – so komme ich doch noch zur „gepflegten“ Erscheinung beim Essen. Dass ich Maronencrème als Nachtisch wähle, hat seinen besonderen Grund: Collobrières gilt als Zentrum der Herstellung von Maronenmus und glacierten Maronen. Leider ist das Spezialgeschäft (an der Brücke) zu meinen Zeiten geschlossen.

Sa, 27.6. Collobrières – Col de Babaou (414m) – Col de Gratteloup (199m) – Col de Caguo-Ven (237m) – Le Lavandou || Il du Levant [Transfer hin/zurück: 24,50 € + 8,50 € Velo]
C: La Pinede 18 €; AE: Kuttelbratwurst, Pf, Gem., Rw, Eis 26,50 €
30 km – 17,0 km/h – 1:42h – 370 Hm

Nach milder Nacht sehe ich gute Chancen, früh genug zu starten und in Le Lavandou das erste Boot zum Transfer zur Il du Levant zu erreichen. Das ist so der Knackpunkt für einen Kurzaufenthalt auf der Insel: Die Bootsfahrten enden abends sehr früh (ab Festland) und beginnen morgens sehr spät (ab Insel). Etwas besser ist es in der Hochsaison – die beginnt allerdings erst am 6. Juli. Zusammen mit dem gestrichenen Ruhetag am Lac du Drac ergibt sich für mich nun eine gute Gelegenheit zwei gemütliche Tage auf der Insel zu verbringen und gleichzeitig die Leerzeiten morgens und abends zu nutzen, wenn ich die Abreise von der Il du Levant auf den späten Nachmittag verlege und entsprechend am Abend die nächste Etappe anradele.

Durch zunächst grünen Kastanien- und Korkeichenwald lässt sich bei den milden Morgentemperaturen ein flottes Tempo den leichten Pass hinauf fahren. Nach dem Col de Babou gibt es dann fantastische Mittelmeerblicke, dazu eine an Kalkfelsen vorbei geschmiedete Straße mit launigem Kurvenfeeling. Trockene Korkeichen begleiten mich nach unten, der Col de Gratteloup ist nur ein Überrollpass. Etliche Rennradler nutzen die Morgenstunden für eine kleine Runde hier – die Mittagshitze dürfte an den trockenen Sonnenhängen schwer erträglich sein. Bald erfüllt sich die Luft mit Blumenduft – in Bormes-les-Mimosas zieren Oleander, Zypressen und Mimosenwälder die schmucke Ansiedlung auf dem Hügel mit Meerblick.

Sogar mit Einkauf zuvor bin ich früh genug für die erste Bootsfahrt (9:30 h). Wie vor sieben Jahren – als ich gleichfalls mit Reiserad auf die Il du Levant übersetzte – muss man erst erklären, dass ich nicht ohne Rad rüber kann, weil ja das ganze Gepäck daran hängt und anders gar nicht transportabel ist. Offiziell gibt es keinen ausgewiesenen Velotransport (nur für Fahrten auf die Ile de Porquerolles, auf der Nachbarinsel Ile de Port-Cros ist Radfahren sogar verboten ) – es gibt aber in den geheimen Akten auch einen Fahrradtarif. Solche Velotransfers sind unüblich – zumal auf der Il du Levant Radfahren so gut wie unmöglich ist (zu steil und zu klein). Auf den Booten werden aber riesige Mengen an Ausrüstung transportiert – weil die Reisenden zur Ile de Port-Gros zuweilen gewaltige Tauchausrüstungen mitschleppen. Was in den Riesenkoffern der Reisenden zur Il du Levant ist, scheint sehr geheimnisvoll – braucht man dort – wenn nicht nackt – doch nur ein Pareo oder einen String-Tanga.

Der preiswerte, unterste Camping der alten Frau (war sehr dürftig ausgestattet) existiert mittlerweile nicht mehr – wie mir die Empfangsdame am Hafen mitteilt, liegt sie altersschwach in einem Altenheim. (Gleichfalls erfahre ich, das auf der Insel nur eine Dame wohnt, die mit dem Rad ab und zu unterwegs ist.) Die Alternative ist zwar etwas teuer, aber es ist ein wunderbarer Platz mit Swimming & Whirl Pool – wer will auch mit Sauna – in einem wahren Garten Eden, Sitz- und Grillgelegenheiten für die Selbstversorger, explizit ein Steckdose im Garten zum Akku-Aufladen. Monique und Dominique bieten auch Appartments und Bungalows auf ihrem Anwesen zum Mieten an. Die netten Gastgeber habe auch immer eine Auge für das Wichtige des Unwesentlichen – für das Schöne, für die liebevolle Gastfreundschaft – z.B. ein Blumensträußchen am Waschbecken oder die kostenlosen Landgurken aus dem eigenen Garten.

Wer es noch nicht weiß: Die Il du Levant ist eine der ältesten Orte für Naturisten – auch Nudisten genannt und in Geheimdeutschkürzelbürokratisch FKKler gesprochen – sprich: eine Eldorado für Nackte – und alles in paradiesischer Umgebung einer blumigen Mittelmeerinsel. Heliopolis ist ein ein echter Ort mit einem Dorfzentrum – mit einer kleinen Schule sogar und Post. Lange Zeit gab es keinen Strom – mittlerweile hat sich das geändert, es gibt eine Leitung vom Festland – Straßenbeleuchtung ist aber immer noch paradiesgerecht verpönt. Einige alte Gewohnheiten blieben erhalten. So wollte man früher ankommende bekleidete Touristen nicht mit purer Nacktheit erschrecken und so gilt für den Hafen und den Dorfkern eine Minimalkleiderpflicht – die sich auf String-Tanga oder ein Pareo beschränkt (hat). In modernen Zeiten ist die konventionelle Kleidung aber im Vormarsch. Verglichen mit den großen Naturistencamps an Mittelmeer und Atlantik, wo man nackt einkaufen und essen geht, ist das alles etwas hausbacken – trotzdem lebt der besondere Charme irgendwie weiter.

So, 28.6. Il du Levant || le Lavandou – Col du Canadel (269m) – Cogolin
C: à la ferme 10 €; AE: SV
25 km – 16,2 km/h – 1:25h – 365 Hm

Radfahrerisch gibt es nun mal nichts von Insel zu berichten – ein paar hundert Meter hoch und zum Abschied wieder runter – der Rest ist tatsächlich Ruhetag – sprich Strandleben (ein kleiner Sandstrand, zahlreiche Felsstrände) ein Naturpfad zum Wandern – nicht ganz einfach zu begehen, Shoppen, Essen und ein paar Kleider waschen. Ein weiteres Missgeschick passiert mir hier gleich bei der Ankunft: Mein Rad kippt im Stehen um (ich ging zur Dusche, wohl ein Windstoß) und fällt auf einen Baumstumpf – genau mit dem Oberrohr so, dass ich nun mit einer kleinen Delle am schönen Velo leben muss. verärgert

Nach ca. 1-stündiger Bootsfahrt bin ich gegen 18:15 h wieder auf dem Festland. Trotz Verkehr fährt sich die Küstenstraße angenehm – überbordende Blumen, tolle Blicke auf die Meerbuchten, milde Abendsonne. Eine leichte Aufgabe ist auch der Col du Canadel, wieder überwiegend durch Eichenwald hinauf, Meerpanorama. Auf der Nordseite wechselnde Kulturlandschaften. Beonders auffällig ein riesiger Camping mit Wohnwagen wie Reihenhäuser aufgestellt – so eine Art Ferienpark. Weiter geht es flach in einer Aue an einem Privatjet-Flugahfen vorbei, Weideland, Landwirtschaft. Kurz vor Cogolin ein Bauerncamping mit Auenwald, ziemlich gut besucht und für das Einzugsgebiet von St-Tropez erstaunlich günstig. Schöne Abendstimmung mit Pferdewiese und bei Rotwein – nur ein paar Stechmücken stören.

Mo, 29.6. Cogolin – Col de Paillas (248m) – Ramatuelle – St-Tropez – Port Grimaud – Ste-Maxime – Col de Gratteloup (225m) – Le Muy
C: les Cigales 15 €; AE: SV
76 km – 15,3 km/h – 4:48h – 820 Hm

Eigentlich habe ich einen guten Vorsprung gegenüber meiner Planung. Aber aus zwei Ortsbesichtungen werden vier und zum Schluss würgt eine Gewitterfront mein Etappe ab, sodass ich es nicht mehr bis Callas schaffe. Zunächst das liebenswerte provencalische Dorf Cogolin. Hübsche kleine Gassen mit Blumenschmuck und geschmiedetem Zierwerk. Die direkte Verbindung nach Gassin finde ich nicht – mache so einen Umweg bis vor die Tore von St-Tropez. Von dort weiter durch Weinanbaugebiet wieder zurück. Nach Gassin geht es recht steil hinauf. Geradezu ein Vorzeigeort – zählt auch zur Kategorie „Schönste Dörfer Frankreichs“ –, mit Aussicht aufs Meer, gleichwohl ein heimeliger Dorfkern aus altem restaurierten Gemäuer, stilvoll durch neue Bauten ergänzt. Feine Restaurants bereiten sich auf die Mittagszeit vor. Nach einer Talmulde erneut ein steiler Anstieg durch Pinienwald zum Col de Paillas, an dem es eine Windmühle zu sehen gibt, die gerade Kindern als Freiluftunterrichtsgrundlage dient. Schon wenig später wieder Meerblick und im Hang auf einem Hügel das Örtchen Ramatuelle. Sehr gediegen die Atmosphäre in den winkeligen Gassen – wieder eine Mischung aus ländlichem Charme und Jetset-Besuchern.

Hitze und Mittagszeit sind passend für einen Strandbesuch. Man kann direkt zum Plage de Pampelone bis zum Beginn des Sandes fahren. Die Aussicht: Weißer Sand, blaues Meer und Luxusyachten. Einen durchgehenden Trampelpfad o.ä. zum Radfahren gibt es nach St-Tropez offenbar nicht – man muss schon etwas umständlich und mit der großen Verkehrslast einfahren. St-Tropez – das ist immer noch eine gelungene Mischung aus Massentourismus, Luxusetiketten und charmanten Fischerdorf. Eitle Selbstdarsteller, Stars und Möchtgern-Sternchen, Vagabunden und Normaltouristen – sexy, cool, hip oder auch abgefahren – alles findet seinen Platz und sein Publikum. Ich rate jedem, St-Tropez zu besuchen und sich nicht von Trubel und Verkehr abschrecken zu lassen. Es ist immer noch ein schöner Ort. Und ein Ort des Lebens und Leben-Lassens. Man muss kein Eliteshopping machen – manche Kunst am Hafen ist sogar äußerst schick und erschwinglich – sei es drum, dass ein Reiserad den Transport verweigert. Ich unterhalte mich mit Ivan Hor, der mehrere Ateliers besitzt und den Postkartenmarkt von St-Tropez dominiert. Der gebürtige Ungar spielt vor allem mit unzähligen Variationen von Papierschiffchen. Von einfachen Postkarten bis zu riesigen Wandgemälden mit kuriosen Farben und Formen – Kunst und Kitsch sind hier zu einer Einheit zusammengeschmiedet. Er hat auch ein schönes Arrangement mit Rennradfiguren – eine dreidimensionale Darstellung, atmosphärisch gelungen – es kostet leider 150 Euro. Mit einem kleinen Original von 20 Euro muss ich mich begnügen – und das ist ja auch schon wieder ein Abendessen. Das Schöne darf halt nie die Geldfrage stellen.

Schließlich besichtige ich noch die Zitadelle (kleines Eintrittsgeld) – dazu muss man nochmal eine kleine steile Steigung in Kauf nehmen. Die 400 Jahre alte Festung gewährleistete lange Zeit die Abwehr feindlicher Angriffe, wie die mächtigen Kanonen aus Bronzeguss nahelegen. Die Ausfahrt aus St-Tropez ist wie vor Jahren gehabt für Autofahrer eine Geduldsprobe – wohl dem, der ein Rad hat. Einfach überholen und dann weitgehend auf dem Radweg freie Fahrt. Das mondäne Ste-Maxime durchfahre ich eilig, doch schon jetzt trübt der Himmel ein. Von Norden drängen dichte Wolken zum Meer – nur der äußerste Küstenstreifen bleibt sonnig. Es ist der Beginn des immergleichen Spiels der nächsten Woche: Jeden Abend – oder auch schon Nachmittag ziehen Gewitterwolken auf – werde ich erwischt oder nicht?

Die Straße über den Col de Gratteloup (gleichermaßen so benannt wie der Pass bei Le Lavandou) ist eigentlich für Radler verboten – vermutlich aber nur zeitweise wegen Bauarbeiten, die zur Verengung der Straße führen. Da ich aber schnell vorankommen will, bleibe ich auf der Straße. Einige Huper erheben mal wieder Anspruch auf ungeteilte automobile Freiheit, die ich nicht gewähren lasse. Die Angelegenheit ist auch ziemlich schnell vorbei. Ab der Passhöhe sehe ich Blitze in nördlicher Ferne. Die Gewitterfront bleibt jedoch kurz vor Le Muy stecken – nur ein paar Tropfen, etwas Niesel kommt herunter. Jedenfalls lohnt die Weiterfahrt nicht – ist doch hier ein schöner Camping inmitten eines roten Gesteins, das in der Gegend aus der Erde hervorsteht.

Di, 30.6. Le Muy – Callas – Col de Boussague (431m) – Col du Bel-Homme (915m) – Col de Clavel (1063m) – Col de la Valferrière (1169m) – Pas de la Faye (981m) – Col de Ferrier (1039m) – Col de la Sine (1080m) – 9 – Col de Castellares (1248m) – Col de Bleine (1439m) – St. Auban
C: Municipal? 0 €; AE: Salat, Entrecote, Pf, Rw, Creme brulée, Cafe 25,80 €
130 km – 14,1 km/h – 9:10h – 2455 Hm

Nach dem Luschenteil meiner Tour – ja, das Wort Luschentour habe ich genüsslich in Bielefeld vernommen und möchte ich nun auch in meinen Wortschatz aufnehmen – steht wieder Bergiges an. Herrliche Sonnenmorgenstimmung über Weinfeldern – exotisch die Schirmkronen der Bäume in der Ferne aus dem Dunst emporschauend. Es folgt alsbald eine erste Schlucht – nur ganz kurz, aber schone einige markante Spitzfelsen – Gorges de Pennafort. Danach bald aus Feldern und Weiden am Hang sich präsentierend: Callas. Nettes Örtchen für einen Kaffee. Ein nicht so schwerer Anstieg über den nächsten Pass, eng kurvig gewunden durch eine Panorama-/Waldmischung als Halbhöhenstraße nach Bargemon – Kreuzpunkt mit der letzten Freitagsetappe.

Bei Hitze weiter hinauf zum Col du Bel-Homme – eine Name wie geschaffen für ein Foto – ob ich ihm gerecht werde? schmunzel - Der Pass liegt offen in einer Mondlandschaft – nicht sehr attraktiv und Teil des riesigen Militärgeländes auf der ariden Hochebene Grand Plan de Canjuers. Die Straße sollte man hier nicht verlassen, um den Soldaten auf ihrer Spielwiese nicht in die Quere zu kommen. Es herrscht unangenehmer Gegenwind, schnell trocknet der Mund aus. In der Talmulde in La Bastide endlich ein Brunnen.

Am Col du Clavel schlägt das Wetter um. Die schwüle Luft wird teils richtig kühl, wenn sich die Wolken verdichten. Etwas Niesel, aber auch immer wieder kleine Wolkenlücken. Aus den Wiesen- und Waldpassagen erwächst um den Col de la Valferrière eine eindrückliche Felslandschaft in einem weiten Talkessel. Weiße Kalkschichten mit Ginsterbewuchs künden den Weg nach Süden an. Eine riesige Schleife an den Felswänden entlang erlaubt atemberaubende Blicke in das Talrund. Am Pas de la Faye folgt abermals eine riesige Schleife, die in einen Talkessel führt – hier aber weniger steinig und mehr bewaldet. Gewitter droht und nach der Abfahrt am offenen Hang überlege ich kurz, die Etappe in St-Vallier zu beenden (Tangentialpunkt mit der Donnerstagsetappe).

Ich riskiere bei leichtem Regen die Fortsetzung. Noch vor dem Ortsanfang beginnt die nächst Auffahrt. Eindrucksvoll durch die Steinwürfel und doch mit vielen Blumen durchsetzt, die an den Felsen überhängen – jedoch alles unter dem tristem Grau des Himmels. Nach dem Pass wechseln Wald-, Wiese-, Weide- und Felslandschaften mit Blick auf die Schleife am Faye-Pass. Zwischen dem Col de la Sine und dem Col de Castellares liegt das waldreiche Tal der Loup (Kreuzungspunkt mit der Do-Etappe). Unmittalbar der Anstieg – dann wieder mit markanten Felsen am Castellares-Pass und weitem Panorama.

Immer noch droht das Gewitter, aber der Himmel hält weitgehend, kurzes Intervall mit Regenjacke. Aus einer mystisch anmutenden Wissen-Waldtalsohle schließlich der letzte Anstieg zum Col de la Bleine. Ausblick auf Thorenc, Kiefernwald, zunehmend lichter, oben durchsetzt von Steinwürfeln, eigentümlich – etwas Heidelandschaft. Starke Gefällkehren abwärts nach Norden – die Panoramasicht getrübt von dunklen Wolken. St-Auban steil am Hang gelegen, unten der Camping mit Blick auf das große Felstor zur Clue de St-Auban. Es hat zu regnen begonnen, Blitze, Donner. Restaurants unmittelbar hier geschlossen. Ich fahre eiligst nach St-Auban hoch, bevor der große Regen abprasselt. Dort speise ich im weit und breit einzigen geöffneten Restaurant und hoffe auf Gewitterende. Tatsächlich verbleibt nur noch leichter Niesel, Zeltaufbau ist möglich. In der Nacht noch wechselnd leichte und starke Regenfälle – aber ohne große Gewitterinbrunst.

Mi, 1.7. St-Auban – Brianconnet – Col du Buis (1199m) – Col de Félines (930m) – Col du Trébuchet (1141m) – Pont des Miolans – Col de St-Raphael (876m) – Puget-Theniers – Pont du Cians(+)
C: wild 0 €; AE: SV
71 km – 14,2 km/h – 4:55h – 1165 Hm

Tief hängen die Wolken am Morgen. Schöne Stimmung über den Feldern nach Westen. Die Schlucht aber liegt noch in den Wolken. Wegen der Sicht und möglicher Fotos heißt es zu warten. Verspätet starte ich, das Warten hat gelohnt – die Clue de St-Auban ist eine sehr enge Klamm – nicht sehr lang aber eindrücklich mit gewaltigen Felsüberhängen und kleinen Tunnels. Nach einer Talsohle dunkler Mischwald, ein Anstieg hinauf zu einer Wiesen- und Weidehochebene bei Brianconnet. Das kleine Örtchen mit einem eigentümlichen herausstehenden Hausberg hat nicht mal eine Bäckerei – wohl ein Restaurant. Der einzige Krämerladen hat nur verpackte Milchbrötchen. „In 20 km Umgebung finden Sie keinen Bäcker“, sagt mir der Händler – auch wenn etwas übertrieben – die Gegend ist in der Tat sehr verlassen. In meiner Richtung sind es wohl mehr als 20 km. Der Händler will mich von der Route über den Col de Buis und den Col Trébuchet abbringen – zu steil, zu umständlich, zu weit.

Nun, der Col de Buis ist eine heftige Rampe, wenngleich sehr kurz – tolle Sicht über die Hügekette des Voralpenlandes. Nach „gummireicher“ Abfahrt mache ich noch einen Abstecher zum Col de Félines, ohne diesen abzufahren. Der Weg ist kurz und nach kleiner Rampe leicht. Gesteinsschichten gegenüber, sonst nicht bemerkenswert, oben unauffällige Wiesen, kein Panorama ins Var-Tal. Wieder zurück folgt der Leckerbissen des Tages. Der Col de Trébuchet ist ein absolut einsames Sträßchen, windet sich duch unterschiedliche Vegetation, Wiesen, Blumen, Kiefern – schmetterlingsreich. Die Ostseite ist dann noch eindrücklicher mit den vielen Kurven an und durch Felsen. In der Talsohle nimmt die Besiedlung zu, an der Straße zum Col de St-Raphael liegen kleine Orte. Während ich am späten Mittag noch hitzelahm eine Flussbadestelle aufgesucht habe, hat sich nun der Himmel wieder zugezogen, die Luft deutlich abgekühlt – tiefes Grau und wieder Aussicht auf Gewitter.

In Puget-Theniers bin ich bereits Stammgast – das dritte mal fahre ich hier mit dem Rad durch (2005 hatte ich auch einen Ruhetag dort). Mittelalterliche Bückenhäuser geben dem Ort seinen unauffälligen, aber speziellen historischen Charme. Ich treffe einen Schweizer Reiseradler, der etwas umherirrt, weil er keinen Supermarkt findet. Er kam genauso über den Col de St-Raphael und will weiter nach Westen – sucht gerne entlegende Straßen, auch offroad. Er interessiert sich gleich für die Routen um Brianconnet – aber auch für den Cormet d’Arèches z.B. Der Supermarkt liegt übrigens schlecht sichtbar genau bei der Brückenüberfahrt, wenn man vom St-Raphael kommt. Wenn man zu schnell ist oder sonstwie abgelenkt, sieht man ihn nicht.

Ja, etwas Zeit verplaudert, eingekauft – und doch glaube ich noch die Cians-Schlucht fahren zu können. Der Wettergott hat jedoch anderes mit mir vor. Ich bin kaum außerhalb des Ortes, öffnet der Himmel seine Schleusen. Gerade noch erwische ich einen Unterstand auf einer Restaurant-Terrasse. Das Restaurant ist an diesem Tag geschlossen. Tische, Stühle, Tischdecke, Öl und Essig – alles ist aber vorhanden. Ich packe meinen Proviant aus und diniere. Das Gewitter bietet alles, was man so sich denken kann – Hagel, Blitz, Donner und Windböen – aber was stört mich das?

Nach über zwei Stunden habe ich mich gedanklich schon hier auf eine Übernachtung vorbereitet. Doch das Gewitter nimmt sein Ende und ich fahre wider meines Wissens um die schwierige Topographie fürs Wildcamping weiter auf meiner Route. In der Tat – die auch nachts dicht befahrene Straße hat seitwärts keinen Platz. Hier die Eisenbahn und der Fluss Var und dort die gleich ansteigenden Waldhänge. Überall funkelt und leuchtet es – es sind zahllose Junikäfer unterwegs. In der Dunkelheit biege ich in die Cians-Schlucht ein. Einen Platz fürs Zelt gibt es eigentlich nicht. Aber ich nehme einfach eine kleine Flachstelle hinter der Holzleitplanke – zwei Meter – dann ist Abgrund hinunter zum reißenden Fluss. Wenn es keinen Starkregen in der Nacht gibt, könnte es gut gehen. – Die Nacht bleibt ruhig. – Aufatmen.

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