Wilhelm-Tell-Tour/Urschweiz

von: veloträumer

Wilhelm-Tell-Tour/Urschweiz - 21.10.08 19:20

Wilhelm-Tell-Tour - Fahrt in die Ur-Schweiz

Nachdem das Wochenende um den 3. Oktober miserables Wetter hatte, nahm ich kurzentschlossen eine Woche später zwei Tage frei, um noch ein kleines Highlight zum Saisonende zu setzen. Ein Abstecher in die Urschweizer Täler Muotathal, Schächental und Linthal, an die Wiege des Schweizer Mythos von Rütlischwur und Wilhelm Tell mit einer Passage am Vierwaldstätter See entlang und den Herausforderungen Pragel- und Klausenpass.

In die Schweiz kann man als Euro-Bürger nur begrenzt reisen, zu teuer sind viele Produkte und Dienstleistungen geworden. In den Supermärkten von Coop und Migros gibt es zwar immer noch wenige Produkte , die günstiger sind als in Deutschland (Eigenmarken-Joghurts, einige Kekse, einige Kuchen u.a.), in den kleinen Dorfläden aber hat man schnell das Doppelte oder gar Dreifache ausgegeben für ein Joghurt oder eine Backware. Die milden Temperaturen ermöglichten mir das Campen mit nicht winterfester Ausrüstung auch in mittleren Berglagen (um 800m, auch noch höher wäre möglich gewesen), zweimal wild campiert und ein Campingplatzbesuch hielten so die Kosten noch erträglich. Schon etwas unverschämt, dass bei ca. 14 Euro nicht mal ein warmer Wasserstrahl fürs Rasieren am Morgen drin ist. Die Campingplätze am Klöntaler See waren – wie bereits vorher recherchiert – geschlossen, campen ist aber auf den Plätzen noch möglich (halt ohne Dusche etc.). Dort am See wie auch in Flüelen jedoch leichte Feuchte vom See. In den Bergen und im Rheintal dagegen ganz trocken (leichter, trockener Wind).

Die Abendessen waren unterschiedlich, in der Qualität alle okay, in Riedern zu wenig fürs Geld (abgezählte Fleischstücke), in Flüelen war es sehr gut und großzügig portioniert und auch preislich aktzeptabel, dafür der Wein etwas teurer. In Trübbach zwar gut, aber im Preis wieder dem Schweizer Lohnniveau angepasst. Wildgerichte sind im Herbst noch mehr verbreitet als bei uns, der Wirt vom Landgasthof Staldengarten geht selbst auf die Jagd (Restaurant wird aber verkauft).

Der Sinn der Schweizer für Kleinstverpackungen ist irrwitzig: Guglhupf gibt bis zu einem Durchmesser von 4 cm Größe, einzeln abgepackt und mit allen Lebensmitteldaten drauf. Ca. 5 eingelegte Oliven für ca. 3 Stutz. Angucken kosten noch nichts, kann sich aber auch noch ändern… - Wein als 0,2- oder 0,25-Literfläschchen mit Schraubverschluss überall – keine echten „offenen“ Weine (also Flasche auf bis leer, dann nächste). Das treibt auch die Preise nach oben. Vorteil für Singles: Man braucht keine Angst vor übergroßen Portionen haben, jede „Diät“größe wird berücksichtigt.

Wetter
Hochnebel anfangs bei Schaffhausen bis kurz vor Winterthur, danach heiter bis sonnig, Sicht aber gießig, stetig leichter bis mäßiger Gegenwind. Tag 2 überwiegend sonnig, ähnlich dunstige Sicht. Tag 3 teils heiter, gegen nachmittag stärker bewölkt, einige Tropfen Regen, im Rheintal extrem milde Nacht. Tag vier Richtung Wildhaus kühler werdend, wolkig, später vom Toggenburg ins Appenzeller Land immer mehr Sonne, Richtung Bodensee blauer Himmel, wieder angenehm warm.

Landschaften, Kultur und Städte
Acht Monate war ich mal Praktikant in Schaffhausen – doch nur einmal dort am Rheinfall (noch einmal in früher Jugend) – und keine Bilder bisher. Das habe ich nachgeholt, eindrucksvollster Zugang ist auf der Südseite (Anfahrt über Waldpiste). Typisches Mittelland danach mit Weinbergen, Feldern, kleinen Dörfer mit Brunnenromantik, Walnussbäume, leichten Hügeln. Radwege und Straßen benutzt. Das aus meiner Zeit gefürchtete Verkehrsmoloch Winterthur konnte ich diesmal ohne große Hindernisse durchqueren und wirkte geradezu geruhsam.Das Tösstal lieblich, mit grünen Wiesenhügeln und herbstbunter Bewaldung. Viehschau in einem Dorf. Der Hulfteggpass ist schnell und ohne große Anstrengung erreicht. Extremer Wanderausflugsverkehr hier.

Herrliche Sicht ins Toggenburg, weite Hügellandschaft, Blick auf Säntis in der Ferne. Museal schöne Häuser in Lichtensteig. Die stark befahrene Straße zum Rickenpass (kenne ich schon in umgekehrter Richtung) meide ich auf Kosten einer heftigen Veloroute, die höher hinaufgeht als der Rickenpass selbst und durch Zwischenhügel weitere Höhenmeter fordert, sehr steile Rampen dabei. Zwar asphaltiert, aber teils über Bauernhöfe, wo man Viehsperren überwinden muss. Die Fahrt ins Glarner Land nach der Abfahrt langweilig flach.

Bei Netstal beginnt der Anstieg zum Pragelpass, sehr steil bald, bis zum Klöntaler See, dort flach am See, danach wieder kernige Passauffahrt. Der Landgasthof Staldengarten liegt außerhalb Riedern bereits im Anstieg im Wald. Dort finde ich gerade mal 200 m vom Gasthof entfernt eine gute Campinggelegenheit am Rande einer Kuhweide mit Blick auf das stolze Bergmassiv. Am Klöntaler See haben die Gasthöfe auf (Anfang und Ende See). Der See bildet eine grandiose Spiegelfläche für die umliegenden Berge. Leider reicht dieser Tage die Sonne nicht mehr über die Berge. Weiter oben jedoch wieder sonnig, alte Ahornbestände in Richisau (dort noch ein Gasthof), ab hier Samstag und Sonntag autofrei (aber nur kurz bis zur Passhöhe, Forstbetrieb frei und nicht jeder hält sich dran). Die Westseite ist sehr verschieden, führt durch den Bödmerenwald, Nadelwald, mystisch mit Karstgestein (weiter unten auch eine bekannte Karsthöhle). Eng, immer steileres Gefälle, danach wieder herbstbunter Laubwald. Im Muotathal weite grüne Weiden, Wasserfälle, romantische Bauerhäuser. Das Tal ist durch einen engen Durchbruch vor Schwyz ziemlich abgeschlossen.

In Schwyz ist gerade Kirmes und die Schweizer haben keine Hemmung, das schöne Rathaus mit den Außenmalereien mit Darstellungen eidgenössischer Geschichte durch Karusells halb zuzustellen. Idyllisch zeigt sich der Lauerzer See mit der Insel Schwanau, einer ehemaligen Raubritterburg. Auch hier Bergmassive im Wasser gespiegelt. Unmerklich der Übergang zum Vierwaldstätter See, der mit Blick auf den Pilatus sich ankündigt. Noch vor Küssnacht passiert man die Hohle Gasse. Hier soll Wilhelm Tell den Landvogt Geßler mit Armbrust erschossen haben. Der Landvogt galt als verhasster Besatzer des Habsburger Reiches, ein Hut des Landvogtes an einer Stange aufgehängt, sollte von den Untertanen stets gegrüßt werden, was den Anlass zum Aufstand gab. Der revolutionäre Tell ist jedoch geschichtlich nicht verbrieft wie auch seine Teilnahme am Rütlischwur umstritten ist, die hier gebaute Tellskapelle wurde auch nachweislich nur aus religiösen Gründen gebaut. Spätestens mit Friedrich Schillers Drama „Wilhelm Tell“ ist jedoch der Mythos um den Schweizer Freiheitskkämpfer unverrückbar geworden. Die Tell-Geschichte kann man per Knopfdruck in mehreren Sprachen kostenlos abrufen (Spende erbeten). Dazu stehen mehrere Glasfenster bereit, in denen Szenenbilder abgespielt werden. Die Hohle Gasse selbst sind ca. 200 m Pflastersteinweg zur Tellskapelle hin.

Auch in Küssnacht Kirmes, die den Blick auf bemalte Giebeldächer erschwert. Die Fahrt am Ufer, teils über dem Ufer des Vierwaldstätter Sees bietet eine Traumkulisse. Launige Seestimmung, imposante Bergmassive, bunte Laubimpressionen, Promenadenromantik. Der Verkehr ist geringer als erwartet. Ohne Bergbahnen geht es in der Schweiz nicht, die bekannteste ist die Vitznau-Rigi-Bahn, die vom Seeufer durch den Berg hindurch zum Rigi-Kulm auf knapp 1800 m führt. Von Brunnen aus dann die dicht befahren Axenstraße, Anbeginn des Gotthardverkehrs. (Fast) die gesamte Strecke ist mittlerweile mit Radweg versehen, teils mit eigener Tunnelpassage, teils mit Seitenstreifen auf der Fahrbahn.

Irgendwo an der Felsenstraße gibt es einen Abzweig Tellsplatte. Es führt ein steiler Schotterweg zum Seeufer mit Schiffsanlegestelle, Tagesbistro und der „Tellsplatte“, wieder eine Kapelle – hier direkt am See. Tell soll, nachdem er gefangen genommen wurde, sich bei der Seeüberfahrt von den Fesseln befreit haben und hier ans Ufer gegangen sein. Direkt hier anbei befindet sich auch ein frei stehendes Glockenspiel, das aber nur zur Anfang jeder Stunde läutet. Wenig später ist mit Flüelen das Seeende erreicht.

Nur wenig weiter steht in Altdorf das Tell-Denkmal, dort wo Landvogt Geßler Wilhelm Tell befohlen haben soll, den Apfel vom Kopf seines eigenen Sohnes zu schießen. Tell hatte sich nach Sagengeschichte einen zweiten Pfeil in den Köcher gelegt, der dem Landvogt gelten sollte, wenn der Schuss Tells Sohn getötet hätte. Das soll Tell zu Protokoll gegeben haben, worauf Tell festgenommen wurde. Es folgten besagter Sprung auf die Tellsplatte und das Attentat auf den Landvogt in der Hohlen Gasse. In Altdorf finden im Theater die Tellfestspiele statt, die sogar im Oktober noch auslaufen (was ich aber vorher nicht ahnte). Noch ein Tell -Ort folgt dann nach erstem Anstieg in Bürglen, hier steht eine weitere Tellskapelle und in einem Turmgebäude ist das Tellmuseum untergebracht (Öffnung ab 10 Uhr, 5 CHF).

Der Klausenpass ist mit ca. 1500 Hm Anstieg ein eigentlich prominenter Pass – auch wenn knapp unter 2000 m, und für den Transit von untergeordneter Bedeutung. Nach vortägigem Pragelpass empfand ich die Steigungen allerdings nicht so gravierend schlimm. Die Berglandschaft ist offen, herbstbraune Wiesen bilden den Unterbau für schroff aufragende Bergmassive, viele Schneefelder bereits zu sehen. Eine Reihe von Wasserfällen gibt es am Rande. Die Straße nur schwach befahren, einige wenige Radler unterwegs. Auf der Passhöhe nebst zwei Bistros (etwas vorher unterhalb ein Hotel) steht eine kleine Kapelle. Die Ostseite zunächst offen, dann scheinbar Ende der Abfahrt mit einer Geraden in der Ödnis, wo beeindruckende Felswände links und rechts aufragen. Bergkäse (auch Ziegenläse) gibt es direkt von der Sennerin – Sennerin jr. jr. quietscht mit der Gummikuh. Überraschend fällt dann die Straße weiter ab, dann aber durch herrlichen Herbstwald, ein paar Kehren sind gepflastert, schneebedeckte Gebirgsmassive bilden markante Kontraste.

Glarus ist eine der Kantonshauptstädte, die nur wenig Beachtenswertes bieten. Den Walensee kann man zwar auch am Seeufer entlang per Radweg abfahren, meine Route führt jedoch via Filzbach oberhalb des Sees. Damit sind herrliche Blicke auf den See verbunden – aber auch recht heftige zusätzliche Höhenmeter. Bei Murg ist man dann ohnehin auf Seeebene zurück. Die Verbindung nach Sargans ist dann eine langweilige Gerade, unscheinbare Wellen verhindern jedoch ein rasantes Vorankommen. Der Blick auf die Burg Sargans bereits in fortgeschrittener Dämmerung. Mein Zelt baue ich irgendwo in der Nähe der Bahnlinie auf – es ist wenig Platz zwischen den großen Verkehrsadern. Das entspannt sich mehr Richtung Buchs, auch mit pittoreskem Schloss.

Bis Gams bleibt man im Flachen, dann folgen an offenen grünen Weidewiesen starke Steigungen nach Wildhaus, jedoch nicht durchgehend. Weiter oben durch bunten Herbstwald, wenig spektakulär. Ein echtes Passschild findet man in Wildhaus nicht, wohl auch, weil der eigentliche Pass deutlich unterhalb der Straße liegt. Die Bergwelt des Toggenburg ist wieder eine Augenweide. Am Dorfplatz Wildhaus finde ich sogar einen Hinweis auf einen Bibel-Veloweg – was es alles so gibt. Das Toggenburg mit seinen grünen Bergkuppen, den urigen Bauernhäusern und herbstbunten Waldzonen macht dann jede Menge Spaß abwärts bis Lichtensteig. Dort bleibt die Landschaft über den kleinen Wasserfluh-Pass ähnlich ins Appenzellerland – noch mehr grünweite Almwiesen, noch eigentümlicher bemalte und getäfelte Häuser.

Von Degersheim gibt es eine ausgewiesen Radroute via Bischofszell nach Romanshorn, der ich bis Bischohszell folge. Man fährt meist auf kleinsten Nebenstraßen durch weites Weideland mit Apfelbäumen, vorbei an einer urigen Ausschankmühle (gerade geschlossen). Bischofszell ist ein Kleinod historischer Architektur, sehenswert, bekannt auch für den Rosengarten. Danach folgt eine zähe Fahrt, teils leichte, teils giftige Anstiege, teils zahme Abfahrten, klassisches Bodenseehinterland. Zum Abschluss mache ich noch ein paar Fotos in meiner einst langen Wohnstatt Konstanz. Imperia am Hafen ist immer einen Blick wert.

Die Etappen
Sa 11.10. Stuttgart ||Bahn|| Schaffhausen - Neuhausen/Rheinfall - Andelfingen - Winterthur - Turbenthal - Steg - Hulftegg (949m) - Wattwil - (via Radroute) Rickenpass (790m) - Weesen - Näfels - Riedern (Landgasthof Staldengarten)
C: wild 0 €, AE: Gamspfeffer m. Spätzle, Rw 24 €
136 km, 18,7 km/h, 7:12 h, 1400 Hm

So 12.10. Riedern (Landgasthof Staldengarten) - Klöntaler See - Pragelpass (1515m) - Muotathal - Schwyz - Arth - Küssnacht - Vitznau - Brunnen - Füelen
C: Flüelen 14 €, AE: Hirschgeschnetzeltes m. Spätzle, Gemüse, Rw 24 €
111 km, 17,1 km/h, 6:23 h, 1420 Hm

Mo 13.10. Flüelen - Altdorf - Klausenpass (1948m) - Linthal - Glarus - Filzbach - Walenstadt - Sargans – Trübbach
C: wild 0 €, AE: Spaghetti Bolognese, Rw 19 €
130 km, 17,8 km/h, 7:17 h, 2010 Hm

Di 14.10. Trübbach - Buchs - Wildhaus (1090m) - Lichtensteig - Wasserfluh (843m) - St. Peterzell - 3 - Chubelboden (862/850m) - Degersheim - Burgau - Niederwil - Bischofszell - Amriswil - Scherzingen - Konstanz ||Bahn|| Stuttgart
128 km, 18,3 km/h, 6:56 h, 1435 Hm

Gesamt: 505 km, 6265 Hm
Durchschnittswerte 126 km/d, 1566 Hm/d

Bilder gibt’s hier (Bitte Bild anklicken):