Re: Auf Schotterpisten durch die Westalpen Teil 2

von: lutz_

Re: Auf Schotterpisten durch die Westalpen Teil 2 - 24.02.23 11:33

Lanzo Torinese
79,0 km
890 m bergauf
2 060 m bergab


Wir sind stolz und glücklich, es über den Colle Nivolet geschafft zu haben. Den einzigen Nachteil an diesem Übergang hatte Biotom in seinem Bericht ausführlich beschrieben. Es gibt keinen sinnvollen Übergang von der Südrampe des Nivolet hinüber in das nördliche der drei Lanzo-Täler. Ich habe die Gegend am heimischen PC mit Google Earth und diversen Beschreibungen auf MTB-News und anderswo genau studiert. Da auch die Strava-Heatmap im oberen Teil des Col Gavietta absolut gar keine Pixel anzeigt, wird dieser Übergang offenkundig nicht begangen. Aus Vegetationsgründen, wie sich leicht vermuten lässt. Hilft ja nix, dann eben auf Asphalt. Über 2000 Höhenmeter wollen auf dem Weg hinunter bis an den Rand der Po-Ebene vernichtet werden. Wir überrollen zahlreiche „sleeping policemen, schießen freundlich winkend an einigen Blitzern vorbei und rollen langsam aus. In Pont Canavese genießen wir den italienischen Kleinstadt-Flair, hier wird auch die Tankstelle noch auf dem Marktplatz geduldet. Die Berge werden zu Hügeln und die Hügel laufen langsam in der Po-Ebene aus. Hier unten ist es deutlich wärmer als obenhin den Bergen, da kommt der Gelato-Automat zur Mittagspause gerade recht. In den Hügeln sammeln wir noch ein paar Höhenmeter, bevor es nach Lanzo Torinese geht. Hier münden die drei Lanzo-Täler unweit Turin in die Po-Ebene. Alle drei sind Sackgassen, weiter nach Frankreich geht es nur zu Fuß bzw. mit dem MTB.

Im Lanzo Torinese mieten wir uns auf dem örtlichen Campingplatz ein. Dort werden allerlei Vorbereitungen für die abendliche Feier am Ferragosto-Wochenende getroffen. Naja, was soll ich sagen: Aus der abendlichen Feier wird eine nächtliche Feier, dank Ohropax kommen wir dann spät doch noch zu einer Mütze voll Schlaf.









Susa
96,1 km
2 690 m bergauf
2 670 m bergab


Nach kurzer Nacht wachen wir bei trübem Wetter auf. Erst am Ortsausgang finden wir eine geöffnete Bar für ein schnelles Frühstück. Wir folgen der Stura Du Viu bis ins gleichnamige Dörfchen. Bei Villa Di Lemie biegt die Passstraße zum Colle Lombarde ab. Es geht gleich richtig zur Sache. Die steilsten Rampen lassen sich für uns nur in Schlangenlinien bewältigen. Bei einem Weiler können wir die Trinkflaschen am Brunnen auffüllen, kurz darauf hört der Asphalt auf und der Regen an. Bei gefühlten 100% Luftfeuchtigkeit ist die Regenjacke keine Option, nass wird man mit oder ohne. Zum Glück hört der Regen bald auf, dennoch dampft der Wald, es herrscht eine mystische Stimmung. Diese wird bald jäh unterbrochen vom Lärmen einiger Motocross-Geländemotorräder. Richtig, ich erinnere mich: Rund um das Susa-Tal dürfen noch zahlreiche Offroad-Pisten von motorisierten Geländefahrzeugen befahren werden. Auch hier gibt es zunehmend Verbote und Einschränkungen, umso mehr ist dann zur Ferienzeit auf den verbliebenen Pisten los. So teilen wir eben dieselbe Faszination, allerdings ist das auf einem nicht-motorisierten Fahrrad doch eine andere Nummer als mit zig PS unterm Hintern.

Auf der Grathöhe angekommen wirkt das riesige Santuario della Madonna degli Angeli doch etwas deplatziert, zu welchem Zwecke das hier oben wohl gebaut wurde? Egal, das Ding kommt gerade recht um den nächsten Schauer abzuwettern. Also sitzen Geländemoped-, Elektro-MTBler und wir als „Bio-Biker“ einträchtig unter dem Vordach und tauschen sich gegenseitig aus, während draußen der Regen prasselt. Die nächste Regenpause nutzen wir, um die fehlenden Höhenmeter einzusacken, die Piste führt hoch über dem Pass noch ein ganzes Stück am Hang entlang bergauf. Pünktlich zum Beginn der Abfahrt kommt der Regen wieder. Also rein in die Regenklamotten, hier oben ist es ganz schön frisch. Der Nebel gibt nur wenige Blicke auf die Piste frei, die entgegenkommenden Motorräder hören wir schon von weitem, sehen können wir sie allerdings erst als sie uns fast schon erreicht haben.

So kämpfen wir uns über die matschige Piste hinunter ins Tal. Der Blick aufs Handy zeigt, dass wir auf der richtigen Strecke sind. Immerhin wird es mit jedem Tiefenmeter wieder etwas wärmer. Hoch über dem Susa-Tal beginnt dann der Asphalt und wir rollen verdreckt aber gemütlich ins Tal. In Condove angekommen wollen wir uns gerade auf die Suche nach einer Pizzeria o.ä. machen, als das Handy vibriert.

Seit vielen Jahren folge ich virtuell Stefan Stuntz aka Alpenzorro auf seinen ausgedehnten Radtouren kreuz und quer auf der Welt. Bei der Routenplanung ist sein umfangreiches Tourenarchiv immer eine gerne genommene Informationsquelle. Es gibt wohl niemanden, der ein so fundiertes und umfangreiches Wissen über die Befahrbarkeit von Übergängen in den Alpen besitzt wie Stuntzi. Mit seiner Partnerin Claudia aka Goldkettle, bin ich immer wieder im losen Kontakt per Chat. So wissen wir auch voneinander, dass wir in derselben Richtung unterwegs sind. Nur dass die beiden auf ihrerm „Remoladix“ bereits vor etlichen Wochen in Slowenien gestartet sind.

Claudia teilt uns mit, dass die beiden von Frankreich über den Col de Montcenis kommend gerade in der Sonne in Susa bei einem Aperol Spritz sitzen. Regen in Condove oder Sonne in Susa, die Entscheidung ist schnell gefällt. Wir streichen die Pizza und radeln gleich weiter zum Bahnhof. Der nächste Zug nach Susa fährt in wenigen Minuten. Also schnell Tickets für uns und die Räder am Automaten gekauft und ab in den Zug. In den Regionalzügen in Italien ist die Fahrradmitnahme in der Regel völlig unproblematisch. So bringt uns der Zug in einer knappen Stunde das Tal hinauf nach Susa, wo Claudia und Stefan uns bereits am Bahnhof erwarten.

Im Corona-Sommer 2020 hatten wir die beiden schon mal am Comer See getroffen, wo wir gemeinsam ein paar Starkregentage abgewettert haben. Wir freuen uns sehr über das unverhoffte Wiedersehen. Darauf erstmal noch einen weiteren Aperol Spritz.

Am Ferragosto-Wochenende ist laut booking.com das komplette Susa-Tal komplett ausgebucht, der Camping in Bussoleno ist keine Option. Da waren wir schon mal auf unserer ersten Westalpentour „Auf Schotterpisten durch die Westalpen“, in diese Siedlung aus Wohnwagen, die schon seit Jahrzehnten nicht mehr bewegt wurde, bringen mich keine zehn Pferde. Das ist aber auch nicht nötig, da Stuntzi als erfahrener Draußen-Schläfer schon eine abgelegene Kiesbank an der Doria Riparia als Übernachtungsplatz ausgeguckt hat. Da schließen wir uns gerne an. Also kaufen wir noch ein paar Vorräte für das Piratencamp am Fluss ein, bevor wir uns gemeinsam auf den Weg machen. Unterwegs fassen wir noch Trinkwasser an einem Brunnen. Während Stuntzi noch einem nahegelegenen Klettersteig einen Besuch abstattet, erkunden wir schon mal die Kiesbank. Perfekter Übernachtungsplatz mit Badeoption. Schließlich muss der Dreck vom Colle Lombarde abgewaschen werden. Wir genießen den gemeinsamen Abend mit den eingekauften Leckereien und in bester Gesellschaft. Bei Einbruch der Dämmerung schlagen wir das Zelt auf. So lässt es sich auch an Ferragosto aushalten!