Re: Wallis – Côte d’Azur: Aravis, Vercors, Monges

von: Biotom

Re: Wallis – Côte d’Azur: Aravis, Vercors, Monges - 04.12.22 12:33


Tag 3: Albertville – Karma Ling – Allevard – Grenoble
106 km, 975 Hm. Karte


Nach all dem Geschüttel gestern brauche ich heute ein bisschen Teer. Da trifft es sich gut, dass eine Überführungsetappe ansteht. Ich will nach Grenoble. 100 km geradeaus durchs Val d'Isère wären aber too much, daher plane ich noch einen Besuch an einem schönen Ort ein.

A propos schöner Ort: ich finde Albertville ziemlich nett. Klar, die Winterspiele 1992 waren wie alle olympischen Spiele eine ökologische und ökonomische Katastrophe (und die Schweiz mit nur zwei Medaillen!), aber die Lage ist angenehm und das Städtchen klein & fein.

Auch die Isère gefällt mir gut:





Ich glaube die Pfützen vom Montagsregen werden mich noch ein paar Tage begleiten...





Ich lebe ja in den Bergen und bin daher ein bisschen abgebrüht, was Bergsichten anbelangt. Der Mont Blanc von gestern? Bah, im Vergleich zur Dent Blanche oder zu Eiger, Mönch und Jungfrau vom Ästhetischen her nicht so speziell...
Aber es gibt hier ein Gebirge, dass mich mit seiner Schönheit jeweils fast zu Tränen rührt: das Vercors. Eine unwirkliche Trutzburg, wunderschön in ihrer schlichten Brutalität. Es gibt nichts Schöneres als von Valence nach Genf zu fahren und das Vercors im Abendlicht zu bestaunen.
Als ich dies denke, habe ich den breiten Klotz im Kopf, den man kurz nach Albertville am Horizont erblickt:



Im Verlauf des Tages merke ich dann, dass der Klotz die Chartreuse ist träller



Normalerweise wäre ja meine schattige Routenwahl ein No-Go für Ende Oktober, aber dieses Jahr passts...





In Aiton gibts Frühstück auf der Terrasse des Dorfcafés. Dabei kann ich vier Bauarbeitern zugucken, die ihrem Kollegen beim Arbeiten zugucken grins

Im Aufstieg nach Presle leide ich Durst und lausche nach Brunnengeräuschen, aber ich höre nur Vogelgezwitscher. Später bellt mir ein geissenhütender Hund die Ohren voll.
Davonstiebende und mitfliegende Vögel sind natürlich auch immer eine Freude, sei's der Grünspecht oder einfach ein paar Spatzen.









Dieses Leben wird nicht ausreichen, um all die Gebirge zu besuchen, die mich unterwegs anlachen: Massif de la Belledonne.





Karma Ling ist der schöne Ort.







Den Col de Barloz lasse ich aus, denn ich bin dem Hungertod nahe und finde auf die Schnelle nichts Essbares rund um Allevard. Eigentlich eine schöne Ecke dort, aber die Dörfer sehen verbraucht und unfrisch aus.

Die Chartreuse von Nahe:





In Goncelin bringt mich eine Bar mit jungen Halbstarken und der Proxy wieder auf die Beine, und zwar so sehr, dass ich das Rotampelvordrängeln eines Gümmelers mit einem Kavaliersstart parieren kann. Wir rasen gemeinsam nach Süden und wechseln zwischendurch ein paar Worte. Er heisst Philippe, ist 75 und will auch nach Grenoble. Shiiit, wenn ich mit 65 auch nur halb so fit bin wie er, bin ich überglücklich!
Links rauscht der Verkehr, rechts leuchtet die Chartreuse, und vor bzw. hinter mir flitzt Philippe. Nach einer Weile kommen wir an die wunderschönen Uferwege der Isère, und wir trennen uns.

Nochmal das Massif de la Belledonne:





Wow, sind die Isère-Auen schön! Und ein tolles Gravelrevier. Irgendwann tönen Dudelsackklänge aus Wald – so schön!









Als ich in Goncelin aus dem Laden gekommen bin, hat ein Mädchen gesagt, es stinke. Tja, sie hat unbestreitbar recht: meine Klamotren stinken unerträglich... Also rasch beim Hotel einchecken und dann ab in die Wäscherei! In Saint Bruno werde ich fündig. Ein junger Herr erklärt mir geduldig wie's geht. Oh, die Welt ist voll mit guten Menschen!
Als die Wäsche dreht, latsche ich in die Bar gegenüber. Das Orangina sei heute leider warm, meint die Barmaid; bei der Frage nach alkoholfreiem Bier kriegt der Barman den Mund fast nicht zu. Also Orangina. Die Barmaid holt viele gelbe Flaschen aus dem Lager, stellt sie auf die Tresen und begibt sich in die Küche. Der Barman erzählt, dass sie dort leckere Aperos zubereitet, aber ich sehe sie vor allem eine Zigarette drehen grins Und mein Oraginawunsch ist irgendwo im geflashten Orbit entfleucht.
Zum Glück gibts im Laden nebenan ein Inka Cola und ein Snickers lach

Es dunkelt rasch, und doch ist es noch plütterwarm. Durch die Luft schwirren fremde Laute, und zusammen mit den Läden und Imbissen ergibt sich in Saint Bruno ein schönes orientalisches Flair.
Ich bin begeistert und erzähle es dem Receptionisten vom Hotel. Gemäss ihm ist Grenoble nach Marseille die zweitheisseste Stadt Frankreichs, inklusive Auftritten von Gangstern mit Kalaschnikovs...Nichtsdestotrotz träume ich ein bisschen vom Graveln im Orient.

Morgen ist aber wieder Graveln in den Alpen angesagt.