Re: Kurze Herbsttour in Friaul und Venetien

von: Hansflo

Re: Kurze Herbsttour in Friaul und Venetien - 11.10.22 08:57

Hallo nochmals in die Runde,

ich schließe an meinen kurzen Bericht einen weiteren kurzen Bericht über eine kleine oberitalienische Radreise an.

Das nasskalte Septemberwetter wollte auch nach dem Monatswechsel nicht gleich einem Goldenen Oktober weichen. Im Nordstau der Alpen war es nass und kalt, während die Temperaturkarte von Europa Tageshöchstwerte jenseits der 20 Grad südlich der Alpen anzeigte. Wir haben also unsere Radtaschen gepackt und sind noch einmal zu einer kleinen Tour in den Süden aufgebrochen.
Das Ziel bzw. die Route (Etschtal und die Region um den Gardasee) schwebte schon lange in unseren Köpfen und ist ja auch nichts Neues, sondern wird jährlich von Tausenden Radlern befahren.

Wir setzen uns also am Sonntag in aller Früh in den Zug, der ÖBB-Railjet bringt uns in kurzer Zeit nach Innsbruck, die fahrplanmäßige Umsteigezeit von drei Minuten zur S-Bahn zum Brenner sind mehr als knapp. Gerade als ich mit dem Rad in der Hand die Treppe hinaufhetze, setzt sich die S-Bahn in Bewegung … und bremst noch einmal ab, lässt mich einsteigen und die Tür blockieren, bis nach einer halben Minute auch meine Frau mit dem Rad in der Hand die Treppe heraufstürmt.

Am Brenner ist es um halb zehn wie erwartet kühl und windig, wir trinken also erst einmal einen Espresso in einem Cafè, ziehen uns eine zusätzliche Wärmeschicht drüber und radeln zum Einstieg in den Radweg. Ein Einheimischer merkt unsere suchenden Blicke, zeigt uns die Richtung, will noch wissen, wie weit wir heute fahren wollen und wünscht uns einen schönen Tag. Die ersten Meter auf dem Radweg:



Die ersten Kilometer des Radweges verlaufen für längere Zeit an der Brenner Staatsstraße SS12 und wir verlieren ordentlich Höhenmeter.



Wir sind unverkennbar auf einer alten Bahntrasse unterwegs, die ab und zu auch durch Tunnel führt. Im Pflerschtal macht die Trasse einen gewaltigen Bogen ins Tal hinein, die Schneegrüße aus den Bergen erwidern wir noch ohne große Begeisterung.



Mehr Freude bereitet uns heute die Sonne, die sich zwischen Gossensass und Sterzing zum ersten Mal zeigt – ziemlich genau, wie von der Wetterprognose angekündigt. Wir machen weiter kräftig Höhenmeter, nun, eigentlich sind es Tiefenmeter.



Kurz vor Brixen passieren wir eine Kastanienallee, die hier natürlich „Keschtnweg“ heißt. Eigentlich müsste man zugreifen und sammeln und sammeln.



In Brixen ist großer Marktauftrieb und wir schaffen es nicht, irgendwo einen Platz für einen Kaffee oder ein kühleres Getränk zu ergattern. Meine Schwiegereltern haben Anfang der sechziger Jahre hier geheiratet und ich hätte gerne mit dem Resultat der Ehe darauf angestoßen.



Unterhalb von Brixen weitet sich das Tal, der Eisack ist nach Aufnahme der Rienz aus dem Pustertal nun zu einem richtigen Flüsschen angewachsen. Wir sind in der Obst- und Weinbauregion angekommen.



In Klausen holen wir die Kaffeepause mit Apfel- und Zwetschkenverwertung nach.



Der Eisackradweg ist hervorragend ausgebaut





Nach gut 100 Kilometern erreichen wir Bozen, erweisen dem großen Minnesänger unsere Reverenz und radeln zum Bahnhof. In Bozen ist gerade Messe (Hochzeits- und Herbst-) und kein Zimmer zu akzeptablem Preis zu bekommen.



Ich habe daher in Trient gebucht, das wir mit dem Zug in einer guten halben Stunde erreichen. Dass uns dabei die schönen, aber (nach dem fünften oder sechsten Mal) „eintönigen Kilometer auf dem Etsch-Radweg“ (O-Ton meiner Begleiterin) entgehen, damit muss ich mich abfinden.

Im Hotel in Trient kommt zeitgleich mit uns eine größere Gruppe englischsprachiger Reiseradler an. Die Aussprache kann ich nicht zuordnen und frage nach: Neuseeländer. Die welche der Meinung sind, dass WIR angesichts unserer Nähe zu Italien doch oft in diese schöne Gegend kommen müssten. Ja, eh.
Der Begleitbus mit dem Gepäck ist auch schon da, der Fahrer kümmert sich um das ordnungsgemäße Verstauen der Räder im Radkeller und offensichtlich auch um kleinere Reparaturen an den Geräten.

Am nächsten Morgen radeln wir fürs Startfoto zur nahen Piazza del Duomo. Immer wieder schön.



Dann pedalieren wir auf einigen Kilometern des „eintönigen“ Etsch-Radweg (siehe O-Ton …) und meine Begleiterin fühlt sich bestätigt, dass es richtig war, den Zug nach Trient zu nehmen.



Ich finde es trotzdem immer wieder schön hier.



Bei Rovereto verlassen wir das Etschtal nach Westen Richtung Gardasee und machen ein paar Höhenmeter (dieses Mal nach oben) zum Passo San Giovanni. Der Anstieg ist so kurz und die Passhöhe so unspektakulär, dass ich fast aufs Fotografieren vergesse.



Spektakulär sind dafür dann die erste Sicht auf den Gardasee und die Abfahrt nach Torbole:



Hier am Nordufer mit dem Blick nach Süden und den Alpen im Rücken kann man die vielen Österreicher und Deutschen durchaus verstehen, für die der Gardasee ein ewiger Sehnsuchtsort ist.



Wir pausieren kurz, radeln die paar Kilometer nach Riva weiter und warten dort auf die Abfahrt des Schiffes, das uns ein großes Stück nach Süden bringen wird.



Die Uferstraßen am Gardasee hier im Norden sind etwas für eingefleischte Masochisten, auf die wir (hier sind wir uns einig) gerne verzichten und dafür eine gemütliche Bootsfahrt von gut zweieinhalb Stunden genießen. Mit uns sind ein gutes Dutzend weiterer Reiseradler an Bord gegangen, die meisten (natürlich) mit E-Bikes und viele mit Leihrädern der großen Veranstalter (rote Räder = Eurobike, orangefarbene Räder = Girolibero), die wir vorher auf den Radwegen bereits in Massen gesehen hatten.



Wir nächtigen in Salò und genießen ein feines Abendessen. Das Ristorante ist offensichtlich ausschließlich von Gästen aus dem Norden bevölkert, das Essen (nicht ganz regional) ist in Ordnung, der Wein (sehr regional) ebenfalls.



Am nächsten Tag starten wir in Salò bei trüberem Wetter als die Prognose versprochen hatte und den ganzen Tag lang hoffen wir auf etwas mehr Sonnenschein.



Unser Tagesziel heißt Iseo-See, es geht also nach Westen, auch heute wieder viele Kilometer auf einer ehemaligen Bahntrasse. Der Wind mag uns heute und wir machen rasch Kilometer.



Am späten Vormittag erreichen wir Brescia. Ich habe es von früheren Radreisen als eher hässlich in Erinnerung, die zehnkilometrige Einfahrt in das Stadtzentrum bestätigt meine alten Eindrücke, das Zentrum ist dann aber doch sehr hübsch und wir pausieren für Kaffee und Dolce.



Hinter Brescia wird es etwas hügeliger, die Radwege sind in der ganzen Provinz sehr gut ausgeschildert und auch in einem brauchbaren Zustand.



Wir sind in der Lombardei, auch hier wächst Wein:



Am Nachmittag erreichen wir den Lago d’Iseo. Er ist als kleiner Bruder des berühmten Gardasees bei uns wenig bekannt, ging aber vor einigen Jahren durch alle Medien, als ein sogenannter Verpackungskünstler rund um die Inseln im See zugange war.



Heute – es ist Geburtstag meiner Reise- und Lebensbegleiterin – habe ich ein etwas exklusiveres Hotel am Ortsrand reserviert und den Fehler gemacht, Halbpension dazu zu buchen. Die „raffinierteste Küche im Zeichen der lokalen Tradition“ (Eigenbeschreibung) erweist sich als totaler Reinfall. Traurige Durchschnittskost auf Kantinenniveau, der Fisch zur Hauptspeise zäh und an der Grenze der Genießbarkeit hat offensichtlich seit Stunden in der Warmhaltebox auf uns gewartet. Hätte der Koch doch einfach ein „Schlemmerfilet a la irgendwas“ aus dem Supermarkt in die Pfanne geworfen!
Zum Glück fragt der Schnarchkellner nicht, ob es geschmeckt hat, sondern legt mir unaufgefordert und wortlos die Rechnung zum Unterschreiben her.

Der nächste Tag beginnt wieder neblig-trüb, der Wetterbericht verspricht allerdings sechs Sonnenstunden. Wir starten auf angenehm ruhigen Nebenstraßen



und kommen bei Paratico noch einmal ganz an das Ufer, das sich heute wenig einladend zeigt.



Auf gut ausgebauten, als Radwege markierten, Nebenstraßen radeln wir in Richtung Südwesten, immer in Nähe des Oglio, des Abflusses vom Iseosee.



Wir passieren einige Ortschaften, in denen die Tische der Cafès bzw. Bars allesamt gut gefüllt sind mit älteren Damen und Herren. Es schaut nach vormittäglichen Stammtischtreffen aus und wir sitzen dann irgendwann einmal mittendrin und genießen einen ordentlichen Kaffee. Die Frühstücksbrühe im Hotel war konsequenterweise genauso schal wie das Abendessen.

Festes Tagesziel haben wir heute keines, sondern wollen gelegentlich an die Bahnlinie Mailand-Verona kommen, von wo (fast) stündlich ein Regionale Veloce nach Verona fährt.



Nachdem Wetter und Landschaft heute nicht zu ausgedehnten Radkilometern verlocken, steuern wir dann den nahe gelegenen Bahnhof in Romano di Lombardia an, um in Verona noch Zeit für einen Stadtbummel zu haben.



Der Zug ist rammelvoll, die variablen Radplätze sind allesamt von Personen besetzt und es dauert einige Zeit, bis wir die Räder ordnungsgemäß verstauen können. In Verona rollen wir auf dem Corso Porta Nuova zur Piazza Bra und lassen uns vor der Arena fotografieren. Die restliche Zeit verbummeln wir, meine Frau muss unbedingt ein paar Geschäfte mit textilem Angebot besuchen, wir trinken einen ausgezeichneten Kaffee und radeln dann zurück zum Bahnhof zum Eurocity um 15:01 Uhr.


Fazit: wieder eine kurze schöne Radreise in teils bekannte, teils unbekannte Gegenden. Die Landschaft im Etschtal und rund um die oberitalienischen Seen ist einfach schön, entsprechend viel Touristen sind unterwegs. Entsprechend gut ist auch die Infrastruktur für Radreisende, was man für den Rest von Italien ja nur wenig behaupten kann. Das Wetter war leider nicht so sonnig wie angekündigt, aber allemal besser als zu Hause im Nordstau der Alpen. Für uns sind Nähe und rasche Erreichbarkeit mit der Bahn ein großer Vorteil und ermöglichen uns diese spontanen Entscheidungen.

Weitere Bilder zur Tour wie immer in meinem Web-Album

Hans