Re: Trondheim - Nordkap - Lappland + Schären

von: Indalo

Re: Trondheim - Nordkap - Lappland + Schären - 08.09.22 18:05

Vom Nordkap übers Nordkinn und die Varanger-Halbinsel nach Kirkenes, ca. 500km, ca. 5400Hm, plus ca. 270 km mit der Hurtigrutenlinie, 9 Tage

Vom Nordkap nach Kirkenes

Am nächsten Tag verlasse ich das Nordkap wieder und fahre zurück nach Honningsvåg, der Rückweg ist zum Glück nur halb so anstrengend weil nur ein Berg zu überwinden ist.

Von Honningsvåg setze ich mit den Hurtigruten über nach Mehamn auf der Nordkinn-Halbinsel.
Ich bin schon sehr gespannt auf das „heimliche echte“ Nordkap. Das berühmte Nordkap weiter westlich liegt ja genau genommen auf einer Insel. Nordöstlich von Mehamn, nahe dem kleinen Ort Gamvik liegt der Leuchtturm Slettnes Fyr und dieser gilt als der nördlichste auf Straße anfahrbare Punkt von Festlandeuropa. Im Gegensatz zum berühmten Nordkap soll hier gar nichts los sein und sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.

Bei der Überfahrt sehe ich etwa zwanzig Fischkutter bei der Arbeit. Diese Boote sind bestimmt höchstmodern ausgestattet und wesentlich sicherer als in vergangen Zeiten, aber mir erscheinen sie trotzdem wie Nussschalen und ich habe großen Respekt für die Arbeit der Seeleute.
Ich sehe mir einen Doku-Film über den sogenannten Pomorhandel an, die jahrhundertelange rege Handelstätigkeit zwischen Nordnorwegen und Nordrussland, Norwegens Süden war weit weg und schwierig zu erreichen, Russland brauchte Fisch, Nordnorwegen brauchte Mehl. 1917 kam dieses Handelssystem mit der Oktoberrevolution zum Erliegen.

Mehamn selbst ist ein kleiner aber quirliger Fischereihafen mit großem Supermarkt, zudem gibt es einen erstaunlich gut sortieren Gemischtwarenladen (also von Gaskartuschen über Angelzeug bis zu Funktionsklamotten) und eine richtig leckere Bäckerei mit Café.
Ich fahre am nächsten Tag über mehrere kahle und einsame Berge weiter nach Gamvik und Slettnes Fyr, einem der erwarteten Höhepunkte meiner Reise.

In Gamvik gibt es ein kleines Museum, das aber einen verrammelten Eindruck macht und noch einen süßen kleinen Tante-Emma-Laden, der nördlichste Supermarkt von Festlandeuropa. Ich decke mich zur Feier des Tages mit Delikatessen und reichlich Dosenbier ein und fahre weiter zum Leuchtturm von Slettnes.



In den Nebengebäuden des Leuchtturms soll es Gästezimmer geben und ich hatte angedacht mir den Luxus zu gönnen, hier ein oder gar zwei Nächte zu logieren bevor es wieder Richtung Süden geht. Allerdings, die Nebengebäude sind verrammelt und verriegelt, irgendwo hängt ein kleines Zettelchen, das Gästehaus hätte auf unbestimmte Zeit geschlossen. Meinen Finanzminister freut das sehr.

Ich finde kurz hinter dem Ende der Piste eine Vogelbeobachtungshütte mit Tür, Fenstern und vier Stühlen. Auf dem Parkplatz hier am „Ende der Welt“ stehen zwei Wohnmobile, kein Vergleich mit den hunderten am Nordkap. Die Hütte ist stark verschmutzt, ich leihe mir bei einem Wohnmobil einen Besen und schnorre mir eine Mülltüte und mache Hausputz im Hüttchen. Den Rest des Tages kucke ich einfach auf die Behringsee und freu mich meines Lebens.



Am nächsten Tag gehe ich wandern, es gibt hier zwei markierte Wanderwege die sich schön kombinieren lassen. An der Küste entlang verläuft der Kultursteig, der auf mehreren Infotafeln die historische Besiedlung erklärt. Besonders faszinieren mich die Reste eines Steinlabyrinths dessen Alter mit knapp 2000 Jahren angegeben wird. Ursprünglich von Kreta kommend breiteten sich zu dieser Zeit diese Labyrinthe in ganz Europa aus und ihre Funktion ist noch immer unklar. Auch sehe ich Robben und Seeadler.



Durchs Inland verläuft der Natursteig, auf Infotafeln werden die hier brütenden Vögel beschrieben. Auf einer Tafel wird erklärt, dass es zwei Arten gibt die ihre Nester aggressiv verteidigen, die Raubmöwen und die Seeschwalben. Wenige Meter weiter werde ich auch in der Tat angegriffen. Insgesamt fünf Vögel vertreiben mich in einer konzertierten Aktion mit Kopfnüssen aus ihrem Territorium, ich fühl mich wie in diesem alten Hitchcock-Film.



Slettnes Fyr mit Hurtigrutenschiff

Am Nachmittag fahre ich wieder zurück nach Mehamn und mache mich abends auf die legendäre Route 888 zu befahren. Die Straße ist 101 Kilometer lang und gilt als eine der wenigsten frequentierten von ganz Norwegen. Sie wurde erst im Jahre 1989 eröffnet, davor waren die Ortschaften auf der Nordkinn-Halbinsel ausschließlich mit dem Schiff zu erreichen. Unterwegs gibt es keinerlei Infrastruktur, abgesehen von zwei Rastplätzen mit Toiletten.

Von Mehamn fahre ich bei sehr moderater Steigung auf das ca. 400 Meter hoch gelegene Fjäll, an der Abzweigung nach Kjøllefjord treffe ich einen Radler ohne Gepäck. Sein Segelboot liegt in Mehamn, er musste sich aber neue Seekarten in Kjøllefjord besorgen und lädt mich ein auf seinem Boot zu übernachten. Eine durchaus reizvolle Einladung, aber ich will weiter. Die Straße führt über eine unwirtliche und seenreiche Hochfläche, es liegt noch viel Schnee.

Nach der rasanten Abfahrt hinunter zum Hopsfjord sehe ich dort einen Gedenkstein. Hier wurden zwei Tage vor Ende des zweiten Weltkrieges noch mehrere Fischer ermordet.



Der Anstieg auf die nächste Hochebene ist um einiges steiler und beginnt mit einer fiesen Rampe. Oben angekommen bietet sich ein ähnliches Bild, kaum Vegetation, kleine Hügel, viele Seen, viel Eis und Schnee, keine Gebäude, keine Menschen, selbst für die Rentiere ist es noch zu früh im Jahr.



Mitten im Nichts liegt ein Rastplatz mit einer weiteren dieser abgefahrenen Sanitärinstallationen und hier passiert mir eins meiner skurrilsten Erlebnisse dieser Reise.



Ich rolle irgendwann nach Mitternacht auf den Rastplatz ein und will kurz pausieren und die vom Aufstieg verschwitzten Klamotten wechseln. Ursprünglich hatte ich überlegt hier zu zelten, aber der Boden ist noch schneebedeckt und es weht ein starker eiseskalter Wind.
Auf dem Parkplatz steht ein Wohnmobil, der Fahrer ist irgendwas am Fummeln an den Serviceklappen des Fahrzeuges. Wie er mich einrollen sieht, erschrickt er und springt schnell durch die Seitentür nach innen. Ich höre wie die Türen verriegelt werden, die Sitze im Cockpit werden hektisch von Salon- in Fahrtposition gedreht, der Motor wird angelassen und die beiden Insassen verfolgen fluchtbereit und argwöhnisch jede meiner Bewegungen. Ich bin ein wenig verwundert, ziehe aber meine Pausenroutine durch und fahre zehn Minuten später wieder weiter. Die Straße macht eine Schleife und ich kann beobachten wie mir der Fahrer mit dem Fernglas neben dem Wagen stehend hinterher kuckt. Wie viel Angst müssen diese Leute vor mir gehabt haben, und warum?
Eine Freundin von mir stellt später die Theorie auf, dass die wohl wirklich Panik hatten, ich würde ihnen hier in der Einöde das Wohnmobil klauen.

Kurze Zeit später folgt eine rasante Abfahrt mit schönen Aussichten runter zum Bekkarfjord.



Hier befindet sich ein weiterer Rastplatz, sogar mit beheiztem Aufenthaltsraum. Ich hänge drinnen meine Wäsche zum Trocknen auf und zelte direkt neben dem Häuschen.

Ilfjord besteht aus einer Kreuzung mit Tankstelle, Restaurant und angeschlossener Hüttenvermietung. Ich sitze eine ganze Weile auf der Terrasse und genieße dass hier so gar nichts passiert, alle halbe Stunde kommt mal ein Auto. Ich such mir einen Zeltplatz ganz in der Nähe, schlafe zur Abwechslung mal früh und komme am nächsten Morgen wieder zur Tankstelle um bei Kaffee und Frühstück nochmals eine ganze Weile dabei zuzukucken wie nichts passiert.



Irgendwann mache ich mich dann doch auf den Weg das Ilfjordfjäll zu überqueren, die Steigung hinauf ist recht moderat, zieht sich aber über viele Kilometer, Verkehr gibt es so gut wie keinen. Oben auf dem Fjäll lass ich mein Fahrrad stehen und laufe eine Stunde zwischen den Schneefeldern rum, heute weht kein Lüftchen und hier oben ist es so richtig still.



Es folgt eine lange und rasante Abfahrt zum nächsten Fjord und über mehrere kleine fiese Hügel geht es weiter Richtung Tana-Fluss und am Fluss entlang nach Tana-Bru, der einzigen Brücke über den Fluss weit und breit. Die Strecke am Fluss entlang ist eben, schnurgerade, langweilig und ich habe heftigen Gegenwind, was mich treibt ist die Vorfreude auf der anderen Flussseite mit Rückenwind die ganze Strecke wieder zurück zu pesen. Aber denkste, bis ich auf der anderen Seite bin, ist es windstill.
Tarna Bru ist quasi komprimierte Zivilisation, es gibt eine Tankstelle mit Imbiss, ein Hotel mit Restaurant, einen Supermarkt, einen Gemischtwarenhandel, ein Gesundheits- und ein Gemeindezentrum und sonst nicht viel.
Ich gönne mir einen Hamburger, gehe Einkaufen und fahre weiter. Die Strecke auf der anderen Flussseite ist genauso langweilig, im Gegensatz sind hier aber ziemlich viele Lastwägen unterwegs.
An der Mündung des Tanaflusses in den Tanafjord wird die Landschaft wieder interessanter, dies ist eins der größten Flussdeltas Europas mit sich ständig veränderten Schwemmlandschaften. Im Hintergrund sehe ich ein beeindruckend großes Übertage-Bergbaugebiet, es handelt sich um die zweitgrößte Quarzit-Mine der Erde. Vor kurzem wurde sie aus norwegischer Hand an ein chinesisches Unternehmen verkauft, wie mir die Einheimischen wenig begeistert berichten.

Nächste Nacht soll es schon wieder ausgiebig regnen und kalt werden, ich habe das Bedürfnis nach einer Unterkunft. In Austertana gibt es eine Hüttenvermietung, ich radle dorthin und soll 160€ für ein Hüttchen für eine Nacht bezahlen. Das ist mir gelinde gesagt ein wenig zu teuer, ich steuere einen kleinen Tante-Emma-Laden an und frage dort nach. Eine Nachbarin wird angerufen und ich lande in einer Art Monteursunterkunft für 40€. Alle Monteure sind aber im langen Wochenende und im wahrsten Sinne des Wortes ausgeflogen nach Oslo so dass ich ein ganzes Haus für mich alleine habe. Mangels Nachbarn höre ich seit ewig mal wieder laut Musik, draußen regnet es Hunde und Katzen. Die Vermieterin meint, ich könne den ganzen nächsten Tag im Haus verbringen, die eigentlichen Bewohner kämen erst gegen Mitternacht. Es regnet durch bis zum Nachmittag. In einer kurzen Pause mach ich mich auf den Weg übers nächste Fjell Richtung Berlevåg. Die Regenpause hält genau bis zum höchsten Punkt, dort erwischt mich heftiger Schneeregen. Die folgende ewig lange Abfahrt durch ein berühmtes Lachsfischgebiet mit vielen Ferienhäuschen kann ich gar nicht so richtig genießen, weil mir trotz zweier Paar Handschuh übereinander fast die Finger abfallen.



Im einzigen Dörfchen unterwegs entdecke ich noch diesen ehrwürdigen Tante-Emma-Laden.



Die Straße windet sich nunmehr durch wilde Felsenlandschaften entlang der aufgewühlten Behringsee. Schon kurz vor Berlevåg finde ich diesen pittoresken Zeltplatz mit Mitternachtssonne im Hintergrund.



Gleich ums Eck steht eine wieder aufgebaute Partisanenhütte aus dem zweiten Weltkrieg und es gibt einen kurzen Wanderweg zu einem Beobachtungsposten.



Berlevåg ist ein umtriebiger Fischereihafen direkt an der Behringsee, es gibt über zwanzig Fischfabriken. Ich besuche als erstes das lokale Museum und sehe mir eine sehr gute Dokumentation über den Hafenbau an. Das Meer ist hier so wild, dass es insgesamt 70 Jahre gedauert hat, bis die Hafenmolen so stark befestigt waren, dass sie der See dauerhaft standhalten. Gleich nebenan gibt es einen Campingplatz mit Restaurant und Mittagsmenü, als Radfahrer bekomme ich eine extra große Portion Fisch mit Pommes. Am Dorfplatz steht ein Wegweiser der nicht zu Ortschaften sondern zu Fischgründen weist.



Einen kurzen Regenschauer sitze ich im Dorfcafé bei Jazzmusik aus, dann fahre ich noch ein paar Kilometer weiter nördlich und besteige das Tanahorn, eine Felsklippe ähnlich dem Nordkap, die senkrecht 300 Meter in die Behringsee abbricht. Im Gegensatz zum Nordkap allerdings bin ich hier ganz alleine.

Zurück in Berlevåg besuche ich noch die hervorragende Hamburger-Bude am Dorfplatz von der ich nur gutes gelesen hatte. Am nächsten Tag soll es sogar noch eine Party mit Konzert geben, 10 Jahre Jugendzentrum wollen gefeiert werden. Der Musikanlagenverleiher ist auch schon vor Ort, 800 Kilometer aus Tromsø angereist. Ich hätte ja irgendwie schon große Lust auf eine tüchtige Sause hier am Ende der Welt, aber am Ende müsste ich dann drei Tage warten bis das übernächste Schiff fährt und das ist mir zu lange. So mache ich mich auf den Weg zum Hurtigrutenanleger, es gibt keinen Warteraum wie in den anderen Häfen, dafür aber eine öffentlich zugängliche heiße Dusche. Na gut, warte ich halt unter der Dusche.



Nachts auf hoher See weht ein stürmischer Wind und sogar das Hurtigrutenschiff hat ordentlich zu kämpfen und stampft schwer durchs aufgewühlte Meer.
Beim Zwischenstopp in Båtsfjord wird ziemlich viel Fracht ausgeladen und ich habe Zeit einem Fischer beim Netzeflicken zu beobachten.



In den Morgenstunden komme ich in Vardø an, ich befinde mich hier östlicher als Istanbul, St. Petersburg und Kairo.

Vardø liegt auf einer Insel und diese verlasse ich durch Norwegens ersten Untermeerestunnel, das ist wohl formal der Tiefpunkt meiner Reise.



Ich radele noch ein paar Kilometer und campe neben diesem land-art-Objekt.





Tags darauf sehe ich mir das nahegelegene Partisanenmuseum in Kiberg an, auf das ich schon seit der Tourenplanung gespannt bin. Letztendlich bin ich aber leider ziemlich enttäuscht, die Exponate sind ausschließlich in norwegischer Sprache beschriftet, die didaktische Umsetzung ist auch nicht so, dass Bilder für sich sprechen würden und es ist auch niemand vor Ort den ich nach weiteren Erläuterungen fragen könnte.
Das Land fällt hier zur Abwechslung in sanften Hügeln ins Meer und ist nicht mehr die wilde Steilküste wie sonst bisher. Bäume gibt es noch nicht aber frisches Gras und viele Schafe. Auf halben Weg gibt es ein bekanntes Fischrestaurant als einzige touristische Infrastruktur auf dem ganzen Weg bis Vadsø, aber es droht schon wieder Regen und ich schaue lieber dass ich weiterkomme und kehre nicht ein.

Am nächsten Morgen setze ich ein letztes Mal mit den Hurtigruten nach Kirkenes über. Die letzten drei Hurtigruten-Schiffe waren allesamt baugleich, dieses letzte ist wesentlich älter und auch kleiner und hat unter anderem einen sehr schicken Salon.