Re: Trondheim - Nordkap - Lappland + Schären

von: Indalo

Re: Trondheim - Nordkap - Lappland + Schären - 08.09.22 16:22

Tromsø zum Nordkap, 530 km, ca. 6000Hm, plus 180 km mit dem Autobus, 7 Tage

Von Tromsø zuum Nordkap

Eigentlich wollte ich noch einen Tag in Tromsø bleiben, aber es ist mir zu teuer.
Ich verlasse die Stadt auf Fahrradwegen und Nebensträßchen und bin beeindruckt von der imposanten schneebedeckten Gebirgslandschaft rund um die Stadt. Irgendwann muss ich mangels Alternativen für ein paar Kilometer auf die vielbefahrene E8, kein Spaß. Meine Route biegt allerdings bald in ein einsames Hochtal ab, kaum Verkehr und nicht mal Ferienhäuschen gibt es hier.



Nach der nächsten Fähre folgt die Straße einem schmalen Fjord mit beeindruckender Gebirgskulisse.



Ich setze noch über den Lyngenfjord über und befinde mich nun auf der E6, der ich die nächsten gut 350 Kilometer folgen werde. Auf der gegenüberliegenden Fjordseite erheben sich imposant die Lygnen-Alpen mit bis zu 1500 Meter hohen vergletscherten Bergen, die senkrecht ins Meer fallen. Die nächtliche Lichtstimmung tut ihr übriges.



Nach dem kleinen Ort Storslett wird mir die Fjordfahrerei langweilig. Bis jetzt war ich schwer beeindruckt von den hinter jeder Ecke auftauchenden neuen imposanten Bildern, aber jetzt wird’s langsam Routine, schon wieder Meer, schon wieder ein schneebedeckter Berg, schon wieder ein rotes Häuschen, schon wieder ein Fischkutter.



Die Landschaft bleibt zwar hartnäckig schön, aber irgendwie ist die Luft raus, ich will jetzt endlich ins Inland. Vor Alta nervt mich auch der Verkehr.

Im Zentrum von Alta gönne ich mir eine Pizza mit Bier für schlappe 45€. Während ich auf der Terrasse sitze, checkt gegenüber im besten Hotel am Platze die Vorhut einer organisierten Fahrradreise ein. 10 Fahrer (ohne innen) in 10 Tagen von Amsterdam zum Nordkap, 3000 Kilometer, drei Begleitfahrzeuge plus zwei Motorräder für die Getränkeversorgung.


Nordlichtkathedrale in Alta

Ich miete mir ein Hüttchen auf dem Campingplatz, hier lungern schon ein Dutzend Radreisende rum, fast alle sind nach Alta geflogen, fahren mit dem Bus zum Nordkap und starten von dort in Richtung Süden. Die meisten haben zwei Wochen Zeit und wollen es bis nach Mitteleuropa oder zumindest bis an die skandinavische Südküste schaffen, die Lofoten und die Küstenstraße nach Trondheim werden allgemein als zu zeitraubend erklärt, fast alle wollen die E6 runterballern oder die E45 durch Schweden.

Ich verlasse Alta und kämpfe mich den sich doch recht ziehenden Anstieg auf das Hochplateau hinauf, anfangs noch durch Wald aber oben bin ich dann endgültig in der Tundra.



Ich treffe einen jungen Radler mit Ausrüstungsproblemen, sein Tarp funktioniert nicht richtig bei den hiesigen Verhältnissen und beim Biwak letzte Nacht in einem Bushäuschen bei Starkregen wurde sein Daunenschlafsack nass. Er macht sich Sorgen um die nächste Nacht. Ich lade ihn ein sich mit mir zusammen einen Shelter anzusehen, den ich auf einer Karte gefunden habe.
Bingo! Eine vollausgestattete Anglerhütte mit Heizung und Schlafzimmer samt Decken, der Kollege kann seinen Schlafsack trocknen und wir haben eine vorzügliche Nachtruhe.
Klagen über nicht zweckmäßige Tarps höre ich öfter auf dieser Reise, der Boden sei entweder zu hart oder zu weich, keine Bäume zum Aufspannen, zu starker Wind, zu heftiger Regen.

Die ewig lange Abfahrt durch das bewaldete Repparfjordsdalen entlang eines wilden Flusses ist ein Hochgenuss, trotz des vielen Verkehrs. Zum Glück biegen die meisten Fahrzeuge in Skaidi Richtung Hammerfest ab.
Auf der nun folgenden schönen Strecke durch die Tundra nach Olderfjord kommen mir Radreisende im 10-Minuten-Takt entgegen, die meisten haben aber keine Muße auf ein Schwätzchen stehen zu bleiben.

Kurz hinter Olderfjord biege auf die Nebenstrecke nach Havøysund ab, von dort will ich mit den Hurtigruten nach Honningsvåg übersetzen und so die berüchtigten Tunnel umschiffen.

Dieser Streckenabschnitt stellt sich als einer der schönsten der gesamten Tour heraus. Das kleine Sträßchen windet sich elegant entlang einer wilden felsigen Steilküste mit grandiosen Ausblicken auf kleine vorgelagerte Inseln oder auf das offene Meer.



Irgendwo steht nachts mitten auf der Straße eine größere Rentierherde. Das Rentier an sich ist an den motorisierten Verkehr sehr gut angepasst und interessiert sich weder für Motorräder, noch PKWs, noch Lastwagen. Bei Fahrrädern geraten die Tiere jedoch gerne in Panik.

Die Rentierherde auf der Straße nimmt mich wahr und beginnt vor mir die Straße entlang zu flüchten, ausweichen ist auch erst mal schwierig, links ist das Meer, rechts Felsen. Ich radele langsam hinter der trabenden Herde her. Als diese jedoch die dritte oder vierte Ausweichgelegenheit ungenutzt rechts liegen lässt, wird es mir zu doof, ich betätige meine Fahrradklingel und nehme wieder meine Reisegeschwindigkeit auf. Die Herde muss jetzt galoppieren und rennt aber nichts desto Trotz bestimmt vier Kilometer vor mir her, unterwegs auftauchende Wiesen und Täler als Fluchtwege komplett ignorierend. Erst als wir in ein kleines Dorf mit vielleicht zehn Häusern einreiten, verlässt die Herde die Straße und versteckt sich hinter den Gebäuden, sind doch domestizierter als ich gedacht habe.

Etwa 30 Kilometer vor Havøysund verlässt das Sträßchen die Küste und ich muss noch durchaus fordernd über zwei karge Gebirge klettern. Hier herrscht im Winter Pflicht zum Konvoy fahren.


Schneepflugaufsätze

In Havøysund passiert mir dann der erste gröbere logistische Fauxpas meiner Reise. Ich bin morgens rechtzeitig im Hafen zur Abfahrt des Hurtigruten-Schiffes und warte. Und warte und warte. Das Schiff kommt einfach nicht, irgendwann spreche ich einen Hafenarbeiter an, der mich auch schon fragend angesehen hat. Ich war davon ausgegangen, dass die Hurtigruten täglich fahren, das war auch lange Zeit so, sagt der Hafenarbeiter, aber inzwischen fahren die nur noch dreimal in der Woche, das nächste Schiff kommt übermorgen.

Ich finde heraus, dass es nachmittags eine Busverbindung zurück nach Olderfjord und weiter nach Honningsvåg gibt. Ich vertrödele die Wartezeit im Dorfcafé und im kleinen Heimatmuseum.
Im Dorfbus bin ich der einzige Mitreisende und tratsche mit dem schwedischen Fahrer. Er verdient hier in etwa das Doppelte wie in seiner Heimat und hat jede zweite Woche frei. Nur einen Passagier hat er selten, meistens sind es zwei bis vier, letztens sogar einmal über zehn. Ich finde es toll, dass der norwegische Staat in dieser Abgeschiedenheit eine Basisversorgung mit öffentlichen Verkehrsmitteln bereitstellt.
Zehn Minuten Umstieg in Oldersfjord und schon sitze ich im Anschlussbus. Die Strecke an der Ostküste sieht auch ganz nett aus, aber überhaupt kein Vergleich zur Wildheit und Abgeschiedenheit an der Westküste, zudem herrscht wesentlich mehr Verkehr. Ich bin heilfroh dass ich nicht durch diese grässlichen Tunnel pedalieren muss.

Die letzten 30 Kilometer ab Honningsvåg bis zum Nordkap sind berüchtigt dafür nochmal richtig hart zu sein und das sind sie leider auch.
Den ersten epischen Anstieg nehme ich noch sportlich und halbwegs mit Bravour, am zweiten noch viel epischeren Anstieg pfeife ich dann sprichwörtlich aus dem letzten Loch.



Der Eintritt ins Nordkapcenter ist für mit Fahrrad anreisende Menschen kostenlos. Ich verbringe den ganzen nächsten Tag quasi als Ruhetag in eben diesem Center. Es gibt ein Restaurant, eine Bar und zwei Souvenir-Shops in denen man jeweils gut Geld ausgeben kann, es gibt aber auch großzügige Sitzecken und Tische, ein Kino, eine Multimediainstallation, wo man sich ohne Konsumzwang im Warmen aufhalten kann, auch Steckdosen stehen reichlich zur freien Verfügung. Ich halte ein ausgedehntes Schläfchen im einem sehr gemütlichen Knautschsessel, gehe dreimal ins Kino (und schlaf zweimal ziemlich schnell ein, obwohl der Film echt gut gemacht und informativ ist). Auch gibt es Infotafeln zu einer Seeschlacht in der Nähe im zweiten Weltkrieg bei der tausende Seeleute den Tod fanden.

Ich finde den ganzen Ort irgendwie faszinierend, es kommen zwar über den Tag hunderte Wohnmobile und Motorräder an- und abgefahren, es kommen viele Dutzende von Bussen und schaufeln Tausende Passagiere der Kreuzfahrtschiffe hier raus und wieder rein, das hat bisweilen sogar Viehtriebcharakter. Aber irgendwie behält der Ort an sich trotz der Menschenmassen seinen eigenen Flair. Wenn man sich auch nur zehn Minuten vom Parkplatz wegbewegt, ist man auch schon wieder ganz alleine auf der windigen Hochebene.
Befremdlich finde ich die Fahrradkohorten der Kreuzfahrer, nachmittags stehen über hundert identisch gekleideter Menschen mit identischen E-Fahrrädern und identischen Helmen auf dem Parkplatz.
Mitternachts gibt es noch ein großes Drama, da spucken die Reisebusse an die tausend Passagiere eines Kreuzfahrers aus, „Mitternachtssonne am Nordkap“ ist einer der ganz großen Reisehöhepunkte. Aber Pustekuchen, Punkt Mitternacht ist es nebelig am Kap und man sieht noch nicht mal vom Panoramafenster bis zum Globus. Kaum sind alle Busse wieder weg, verzieht sich auch der Nebel.



Am Vortag im Café von Havøysund hatten die Einheimischen ziemlich über die Gesellschaft geschimpft die das Nordkapcenter betreibt. Es wäre ein multinationaler Konzern, der die Gewinne ins Ausland abführen würde und es würden auch keine Einheimischen angestellt sondern nur junge schlecht bezahlte Expads die unter sehr prekären Bedingungen hausen müssten. Ich kann das nicht beurteilen, während einer Kaffeepause des Personals fiel mir allerdings auf dass dieser Teil der Belegschaft muttersprachlich spanisch sprach.