Spätsommertour Verona - Turin

von: Hansflo

Spätsommertour Verona - Turin - 01.10.21 07:01

Hallo in die Runde,

eigentlich hatten wir für Ende August / Anfang September etwas ganz anderes geplant gehabt (die Züge waren bereits gebucht und die Unterkünfte reserviert), aber das hartnäckige Tief namens Nick ließ uns nach Oberitalien ausweichen.

Ich stieg kurz in meinen Radreise-Planungskeller und zog die Tour Verona-Turin aus dem Regal. Leider gestalteten sich die Platzreservierungen für die Fahrräder nicht nach Wunsch und die Reise musste sich auf fünf Tage beschränken. Ein oder zwei Tage länger wären perfekt gewesen, aber wir wollten dem nasskalten Novemberwetter Ende August dringend entfliehen und in Italien waren wir epidemiebedingt ohne seit fast zwei Jahren nicht mehr gewesen.

Wir sattelten also unsere Räder auf und stiegen frühmorgens in den Zug nach Verona. Bis Innsbruck war es sehr angenehm, im Eurocity EC 81 wurde es dann etwas ungemütlich. Die Hälfte der Sitzplätze war mit einem Vermerk „In Italien wegen Coronabestimmungen nicht belegbar“ sozusagen gesperrt. Wir haben trotzdem ein deutsches Paar genötigt, ihre Gepäcksstücke und Füße von den Sitzen zu nehmen, um uns Platz zu machen.

Es war dann auch nach dem Brenner kein Thema, das italienische Bahnpersonal hat sich nicht darum gekümmert.

Mit halbstündiger Verspätung sind wir in Verona angekommen und radeln für das obligate Startfoto in die Innenstadt zur Piazza Bra. Immer wieder schön und immer wieder ein schöner Start dort.


Danach beeilen wir uns, rasch in Richtung Westen aus der Stadt hinaus zu kommen.


Die Landschaft ist schön wie immer, die Straße führt durch Wein- und Obstgärten.


Immer wieder schön ist auch das kleine Borghetto bei Valeggio sul Mincio, leider ist es kein Geheimtipp mehr und in den engen Gassen geht es zu wie in Venedig.


Wir kennen Borghetto von früheren Radreisen, heute ist es uns zu voll, wir trinken rasch einen kleinen Kaffee und ein Wasser und setzen uns wieder auf die Räder.


Als Etappenort haben wir Solferino ausgewählt. Die gleichnamige Schlacht war die Wiege der Rot-Kreuz-Idee (https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_von_Solferino) und auch ein Meilenstein für die Einigung Italiens.
Im Hotel ist es heiß, für die Pizza müssen wir über den Schlosshügel ans andere Ende des Ortes marschieren, aber es lohnt sich und wir fallen gesättigt und müde ins Bett.


Am nächsten Morgen starten wir bei Nieselregen, können die Regenbekleidung aber bald ablegen.


Langsam setzt sich die Sonne durch und wir haben ein entspanntes Radeln durch die große Ebene.


Landschaftliche Höhepunkte sind heute nicht zu erwarten, aber wir genießen die Fahrt durch die landwirtschaftlichen Kulturen. Der Wind ist heute freundlich zu uns und die gut 100 Kilometer rollen uns locker aus den Pedalen.




Mittags pausieren wir in Cremona und machen einen kurzen Besuch bei Antonio auf der Piazza Stradivari.



Unmittelbar hinter Cremona queren wir den Po und bleiben für den Rest des Tages immer in seiner Nähe. Zu sehen ist er allerdings kaum einmal.



Der Radweg verläuft meist auf dem Damm und der Fluss versteckt sich jenseits des Überschwemmungsgebietes hinter Büschen.




Etappenort ist Piacenza, das wir gegen 15 Uhr erreichen. Wir durchstreifen die Innenstadt, genießen einen Aperitif und warten hungrig, bis die Lokale fürs Abendessen öffnen. Wie oft in größeren Städten können wir uns ob der großen Auswahl nicht recht entscheiden und landen schließlich in einem spanischen Restaurant.


Am nächsten Morgen steigen wir in Piacenza in den Zug und überbrücken 70 km mit der Eisenbahn. Eigentlich wären wir diese Etappe gerne geradelt, aber die kurzfristige Entscheidung für diese Reise lässt uns nicht die Zeit dazu. Für die Heimreise am Wochenende waren die Radplätze ab Verona am Samstag und Sonntag restlos ausgebucht, nur im letzten Zug am Freitag konnten wir uns noch Plätze sichern.

Übrigens: am Bahnhof in Piacenza herrscht ziemliches Chaos: Systemausfall, es gibt keine Fahrkarten. Die Automaten sind dicht belegt, stürzen aber immer wieder ab und auch am Schalter gibt es nur ein Schulterzucken: Guasto del sistema informatico. Kurz vor Zugabfahrt versuche ich es noch einmal am Automaten, dieses Mal in deutscher Sprache und voilá: wir bekommen unsere Fahrkarten und ich kann die Fotos vom Handy mit der Fehlermeldung löschen.

Wir überbrücken also 70 km mit dem Zug, steigen in Tortona aus und sind bereits im Piemont. Auch hier sind die Flächen intensiv landwirtschaftlich genutzt, die Getreidefelder natürlich längst abgeerntet.




Die ersten 50 Tageskilometer geht es nur flach dahin


Wir bleiben südlich des großen Flusses, in der Ferne lassen sich bereits Hügel erahnen.


Nach gut 40 Tageskilometern erwarten uns die ersten Steigungen – und die ersten Haselnusskulturen:


Wir sind in den Langhe angekommen, der schönen und ursprünglich wirkenden Hügellandschaft des Piemont. Hier wird nicht mehr Getreide, sondern vor allem Wein angebaut.


Wein für Barolo und Barbera – sowie natürlich Haselnüsse für Nutella und Co.:


Nicht wirklich angebaut, aber eifrig gesammelt werden natürlich – wir nähern uns der Welthauptstadt der aromatischen Knolle – Trüffel. Wir lieben diese Pilze, haben aber unser Trüffelschwein zu Hause gelassen und wollen auch kein Risiko eingehen.


Die Gegend ist schön, die Hügel kosten Kraft, die Temperaturen Schweiß.



Alle landwirtschaftlichen Anwesen sind mit „Cascina …“ beschildert. Kaum zu glauben, dass die historische Realteilung viele schöne Gehöfte die Jahrhunderte hat überdauern lassen. Das Geheimnis ist wohl, dass trotz Realteilung in jeder Generation meist EIN Übernehmer die Landwirtschaft weiter betreibt und vom Rest der Familie die Flächen günstig pachten kann.

Unser vorbereiteter Track führt uns auch in manche staubige Gasse, schön ist es allemal.



In den Haselnussplantagen wird immer wieder geerntet, das heißt, die Früchte werden mit Kehrmaschinen gesammelt und aufgesaugt. Über liegengebliebene Reste freuen wir uns, aber ohne geeignetes Werkzeug, nur mit Steinen wird der Genuss zur langwierigen Angelegenheit.

Nach einem kleinen Einkauf suchen wir ein schönes Plätzchen für die Jause; auch heute erweist sich wieder ein Friedhof als idealer Ort: einige hundert Meter vom Ort entfernt, schattenspendende Bäume in gepflegtem Ambiente, ein paar Bänke zum Hinsetzen und ein Wasserhahn zur Erfrischung und Säuberung.


Zehn Kilometer vor dem Etappenort Alba queren wir den Tanaro …


… und Überraschung: ein Radwegschild weist uns eine kurze Strecke für den Rest des Tages bis Alba aus. Wir folgen dem Flussradweg und landen nach drei Kilometer in der völligen Wildnis. Wir versuchen noch eine Viertelstunde unser Glück mit Schieben, kehren dann aber um. (Wenn ich da an die Ruckzuck-Instandsetzung der heimischen Radwege nach den heurigen Sommerhochwassern denke …)


Mit der Extra-Einlage Tanaro-Radweg werden es damit auch heute wieder gut 100 Kilometer. Etappenort ist Alba, die Hauptstadt der Trüffel. In der Innenstadt geht es zu wie in Salzburg zur Festspielzeit, sehr schön und lebendig. Hier sind es allerdings keine Mozartkugeln, die auf Käufer warten.


Wir natürlich auch wollen – und wieder fällt uns Salzburg zur Festspielzeit ein, dieses Mal beim Blick auf die Preise. Wir verbringen einen schönen und kulinarisch interessanten Abend mit einer Flasche Weißwein aus der Region, drehen dann noch eine Runde durch die Gassen und fallen müde ins Bett.


Am nächsten (vierten) Tag steht bereits das Endziel Turin auf dem Tagesplan. Die ersten Kilometer zwingen uns gleich wieder in den Wiegetritt – es geht steil hinauf in die Weinberge.




Nach knapp zwei Stunden ändert sich die Landschaft dramatisch: wir verlassen die Weingegend und kommen in flaches Land, es dominiert wieder Getreideanbau.


Manche Bilder könnten auch irgendwo im Innviertel entstanden sein.


In einem kleinen Ort pausieren wir mittags einer Bäckerei samt Barbetrieb, die beiden älteren Damen kümmern sich rührend um uns und unser weiteres Fortkommen.
Landschaftliche Höhepunkte sehen wir heute keine mehr und wir nähern uns rasch unserem Ziel. Bei Moncalieri erwartet uns noch ein Anstieg und dann haben wir auch schon einen ersten Blick auf Italiens viertgrößte Stadt.


Die Einfahrt ins Zentrum ist ausgesprochen angenehm, wir folgen die letzten Kilometer dem Po, der hier nach angenehmem und sauberem Flüsschen aussieht.


Von der Stadt selber will ich nicht viel berichten: Regionshauptstadt mit den üblichen Einkaufsstraßen, vom Flair her unmediterran, was wohl am (warmgemäßigten) kontinentalen Klima der oberen Poebene liegt. Die Stadt gefällt uns trotzdem, ein besonders beeindruckendes Bauwerk ist natürlich das Wahrzeichen Turins, die Mole Antonelliana. Ursprünglich als Synagoge geplant ist es eines der höchsten Bauwerke der Welt, die nicht in Stahlbeton ausgeführt sind - heute ein Filmmuseum.


Wir verbummeln einen Nachmittag und Abend, steigen am nächsten Tag um die Mittagszeit in den Zug und sind nach ein paar Mal Umsteigen am Abend wieder zu Hause, wo die Augustkaltfront inzwischen dem Altweibersommer gewichen ist.

Fazit: es war eine schöne Tour, aber keine, die uns in aufregender Erinnerung bleiben wird. Zeitlich waren wir eingezwängt und vier Tage auf dem Rad sind einfach zu wenig. Wie gesagt, die Tour war eine kurz entschlossene Schlechtwetteralternative, für die wir gerne einen oder zwei Tage mehr Zeit gehabt hätten. Landschaftlich war es durchaus reizvoll, auch die vielgeschmähte Po-Ebene gefällt uns immer wieder und punktet mit idyllischen Abschnitten. Der schönste Streckenteil war aber zweifellos die Langhe, das hügelige Weinanbaugebiet.
Der motorisierte Verkehr war auf der ganzen Strecke sehr überschaubar, wir konnten durchgehend auf wenig befahrenen Nebenstraßen unterwegs sein.

Mehr Bilder von der Tour gibt es wie immer in meinem Webalbum.

Hans