Re: Mit dem Ordonnanzrad 05 vom Léman nach Zürich

von: natash

Re: Mit dem Ordonnanzrad 05 vom Léman nach Zürich - 21.04.21 18:25

Grundsätzlich ist ja jedes Radel zur Radreise geeignet.
Vor etwas über 20 Jahren trafen wir auf der heutigen E 105 (damals eine zwar gut ausgebaute, aber nahezu verkehrslose Straße, die eine gute Alternative zu den sonstigen Pisten darstellte, heute ist es eine Art Autobahn, die für Velos nicht ungefährlich sein soll) Richtung Mumrmansk nördlich von Petrosavodsk zwei Reiseradler aus Astrachan (am kaspischen Meer) auf dem Weg nach Murmansk, die auf alten sowjetischen Velos unterwegs waren, die gewisse Ähnlichkeit mit dem hier vorgestellten Militärvelo aufwiesen, vor allem hinsichtlich Gewicht und vermutlichen Bremseigenschaften, die Optik war ein wenig schäbiger. Eine Schaltung hatten sie auch nicht, dafür trugen die Velos liebevoll gefertigte, handgenähte Satteltaschen spazieren.
Die beiden sind übrigens wohlbehalten in Murmansk angekommen, auch wenn unterwegs ein paar vom Verfall heimgesuchte Brücken das Fortkommen erschwerten.
Damals erschien mir mein eher einfaches 7Gang-Rad geradezu als Hightech- Drahtesel.
Mein Vater ist Anfang der 50 er Jahre übrigens mit einem ähnlichen Velo von Berlin nach Stuttgart zu seinem Onkel gereist und hat dann noch eine weitere Fahrt nach Italien und von dort nach Frankreich und Spanien eingelegt, wo das Rad dann mangels verfügbarer Ersatzteile zugunsten einiger Lebensmittel eingetauscht wurde. Von dort fuhr er per Anhalter wieder nach Württemberg zum Onkel, dessen Tätigkeit für die Alliierten ein unbürokratisches Bleiberecht im amerikanischen Sektor versprach.
Das Gepäck bestand übrigens aus einer Wolldecke für die Nacht und wenig mehr. Geld hatte er nämlich auch keines.
Die Geschichten dazu haben meine halbe Kindheit geprägt. Da habe ich mir bei Widrigkeiten bei meinen ersten Radreisen immer gesagt: "Dein Vater ist mit leerem Bauch und ohne Gangschaltung über die Alpen gefahren, also wirst Du diesen lächerlichen Hügel mit besseren Bedingungen problemlos schaffen, stell Dich nicht so an." Dass er oft geschoben hat und oft auch gekotzt vor Erschöpfung, hat er mir erst viele Jahre später verraten.
Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn der Wille besteht, ist sehr viel möglich, auch mit nahezu jedem Material.
Es geht aber auch einfacher.

Trotzdem: Dieses Ordonnanzrad hat schon einen gewissen Stil, der eine, zeitlich begrenzte Quälerei, durchaus lohnenswert macht, wie dieser Tour Bericht anschaulich verdeutlicht.

Gruß
Nat