Re: Berner Oberland: auf der Via rough-stuffina

von: Biotom

Re: Berner Oberland: auf der Via rough-stuffina - 26.09.20 19:40


Tag 3: Griesalp – Kiental – Aris – Frutigen – Ladholz – Rinderwald – Otterepass – Chilei (Karte)

Nach dem Zmorge düse ich die paar Meter zur Griesalp runter und biege dort ein auf die steilste Postautostrecke Europas. Mit 28% Gefälle geht es in steilen Kehren am Hexenkessel vorbei…





…zum ehemaligen Tschingelsee. Dieser entstand vor knapp 50 Jahren durch einen Murgang. Ich kann mich noch ganz schwach an Schlauchbootfahrten auf dem See erinnern; das muss vor 1987 gewesen sein, denn damals wurde der See in die Auengebiete von nationaler Bedeutung aufgenommen. Heute ist er nahezu komplett verlandet; der Flecken hat aber nichts von seinem Charme eingebüsst:





Ich hole im Kientalerhof meinen Campingplunder ab und tuckerle gemütlich der Chiene entlang…





…über Aris…





…ins Kandertal:





In Frutigen habe ich vor knapp zwei Jahren mein Cutthroat gekauft, und hier wird auch die gebrochene Speiche ersetzt und das Rad zentriert – danke Jungs, super Service!





Ich folge den wundervollen Auen der Entschlige:





Der Wanderweg führt an den letzten blühenden Blumen vorbei…





…und ist die meiste Zeit problemlos fahrbar:





Im Restaurant Rohrbach stärke ich mich mit viel Rivella und einem Nussgipfel und frage nach, wie denn der Otterepass so sei. Die Wirtin war am Wochenende gerade oben und findets nicht so eine gute Idee, dort mit dem Velo rüberzuwollen. Also übers Hahnenmoos? Und dann den ganzen Winter dran herumhirnen, ob der Otterepass vielleicht eben doch ganz nett gewesen wäre?
Ich fahre eine Weile der Hauptstrasse nach Adelboden entlang; es sind die ersten Meter auf einer grösseren Strasse auf dieser Tour – irgendwie nicht so anmächelig... Also definitiv Otterepass, denn für übers Hahhenmoos müsste ich noch länger auf der Hauptstrasse bleiben. Ich zweige rechts ab und staune über die extrem steilen Hänge der sogenannten Spissen, die da nach wie vor bewirtschaftet werden.

Als mir ein Töff entgegenkommt, frage ich den Fahrer nach dem Otterepass. Jaja, der gehe schon mit dem Velo, halt nicht viel fahrbar… Aber ich sei auf der falschen Spiss: für auf den Pass müsste ich über Rinderwald, ich sei aber hier auf der Strasse nach Ladholz. Huch, da wollte ich unten im Tal wohl allzu dringend ab der Hauptstrasse wirr Aber der Töfffahrer wiegelt ab: ich könne ja von Ladholz durch den Sackgrabe nach Rinderwald rübertraversieren, sei ein bisschen abschüssig und nicht alles fahrbar, sollte aber machbar sein mit meinem Velo. Na denn, probieren wir, schliesslich sind wir auf der Via rough-stuffina schmunzel

Mein Lapsus an der Hauptstrasse erweist sich als Glücksfall: der Weg durch den Sackgraben ist abenteuerlich…





…und wunderschön:





Schon noch eindrücklich, wenn man bedenkt, dass früher die Kinder diese Gräben überqueren mussten für in die Schule. Um den Weg abzukürzen, kamen meines Wissens auch Tyroliennes zum Einsatz (hier ein rezentes Beispiel für ein Schulweg-Tyrolienne in Kolumbien). Anscheinend wird die gezeigte Brücke öfters mal mitgerissen; jedenfalls liegt hinter meinem Velo bereits Holz für einen Neubau bereit:





Ob Rinderwald geht es zuerst auf einem schönen Strässchen weiter…





…bevor es auf einem steilen und schotterigen «5. Kl., Feld-, Wald-, Veloweg» wieder anstrengend wird. Aber die Steigung ist zum Glück schön regelmässig und die Aussicht trotz des Dunstes und der Wolken ganz hübsch – daher kein Vergleich mit den Strassen der VSSS ("Vereinigung der sadistischen Strassenbauer der Schweiz") zwinker





Auf der Otterealp hat es zum Glück einen Brunnen, und aus meinem Rucksack fische ich ein Stück Brot. Die Sorgenfalten auf meiner Stirn? Bis zum Otterepass bleiben noch 300 Höhenmeter Wanderweg übrig entsetzt





Die Otterealp ist unglaublich schön gelegen, und ich überlege kurz, hier oben das Zelt aufzuschlagen:





Aber dann will ich doch wissen, ob dieser Otterepass machbar ist schmunzel Von der Hütte bei p.1983 bis zur Hochebene von Striple gehts nur mit Tragen, danach kann ich zum Glück wenigstens schieben. Der Pass liegt in der rechten Scharte, vor der weissen Wolke:





Ein paar hübsche Gefranste Enziane verführen zu einer willkommenen Pause, bevor ich in den letzten Spitzkehren wieder tragen muss:





Und dann erreiche ich keuchend den Pass – ein tolles Gefühl!





Ich blicke nach Osten, wo man an wolkenfreien Tagen Eiger, Mönch und Jungfrau sehen würde:





Im Westen eröffnet sich der Blick in die Chilei und das Diemtigtal:





Ich beginne den Abstieg ins Diemtigtal; nach den ersten Alphütten entspinnt sich ein Schwatz mit einem älteren Wanderpärchen, welches am Wegesrand Pause macht. Wir fachsimplen über Schaltungen und Gravelbikes, und er findet glaub meine Tour und meine Ausrüstung ziemlich freakig. Wir wandern zusammen weiter (fahren kann man noch nicht), und kurz vor dem Oberberg stelle ich dann fest, dass er die Männlisflue – immerhin einer der höheren Wandergipfel im Berner Oberland – mit Teva-Sandalen bestiegen hat. So viel zum Thema freakig lach

Kurz vor dem Oberberg kann ich dann wieder fahren, yeah:





Der Oberberg ist eine schöne Alp, und die Sennin wäre damit einverstanden, dass ich hier mein Zelt aufschlage. Aber dummerweise habe ich keinen Handyempfang, und ich habe mit den Leuten zu Hause abgemacht, dass ich mich nach dem Otterepass nochmals melde. Daher purzle an der wunderschönen Ebene des Mittelbergs vorbei…





…in die Chilei. Dort kann ich mit dem Einverständnis des Bauern mein Zelt am Strassenrand aufstellen. Es ist ein bisschen schattig, aber es hat Handyempfang, einen Brunnen in der Nähe, und ebenso einen Wildbach zum Waschen – und die Berge ringsherum sind sehr schön:





Ich schlage mein Zelt auf; die wenigen Autofahrer, die vorbeikommen, winken und haben Freude am kleinen Spektakel am Strassenrand schmunzel Ich koche mein Znacht, geniesse die Herbstfarben…





…und lege mich einen Moment auf die Strasse, um den Himmel zu bestaunen. Herrlich, nach so einem schönen Tag auf dem warmen Teer zu liegen und den Wolken zuzugucken verliebt




Es wird recht schnell finster, und ich krieche in mein Zelt. An Schlaf ist aber nicht zu denken: die Schweizer Luftwaffe übt an diesem Abend bis zehn Uhr über dem Diemtigtal omm Auch die Nacht ist nicht sehr erholsam: stört das Rauschen des nahen Baches, oder spüre ich negative Schwingungen von früher? Nach der Tour erzählt mir nämlich mein Vater, dass früher in der Chilei ein Sommergefangenenlager (ein Aussenposten der Strafanstalt Thorberg?) lag. Die Gefangenen flüchteten anscheinend öfters über den Otterepass und versorgten sich dann in Rinderberg oder Ladholz durch Einbrüche mit Zivilkleidung – spannend!

Am nächsten Tag schleppe ich mich entsprechend ziemlich saftlos über den nächsten Pass, aber davon ein andermal mehr schmunzel