Re: Wo’s Wassr koschdbar isch - Alb-Donau-Kurier

von: veloträumer

Re: Wo’s Wassr koschdbar isch - Alb-Donau-Kurier - 14.04.20 14:06

ALB-2020-04 Alb-Einsamkeit an Corona-Ostern

Die Welt dreht sich langsam – nicht neu, uff d‘ Alb , dem Schwäbisch-Sibirien mit rekordverdächtigem Kältepol in deutschen Breitengraden, mit karstversickertem Wasser, den rauen Feldern und exotischen Wacholderheiden, ein Land geschaffen für Schafe und Pferdegestüte, abseits gelegen, doch heute schnell mit Motorkraft mit den Tälern verbunden. Es wird viel neu gebaut, aber auch manches Haus noch verlassen. Biosphärenreservat, Entschleunigung, Gedanken für die Zeit, über die Zeit – über Corona hinaus – auch das war hier schon früher so.

Die ohnehin seltenen Gaststuben mit Albspezialitäten mussten geschlossen halten, über das Supermarktfood hinaus reichte es nur für einen Yufka-Fladen, schon fast erkaltet beim Albaufstieg, zu genießen auf der einsamen Bank bei Sonnenuntergang des fast schlafenden Holzelfingen. Posaunen und Trompeten klingen traurig zu den Äckern – zum Ostersamstag, oder auch am Sonntagmorgen über dem Lautertal bei Offenhausen. Die Osterkirche spielt am Weidezaun, das Publikum erlesen - ein bekannt tourenerprobter grüner Radler und noch eine Albradlerin dazu. Applaus für die Musik!

Die Nächte der Alb bei klarem Sternhimmel sind manchmal sehr kalt, doch heuer glitt der warme Wind hinauf auf die Hügelspitzen. Schnee- und Corona-frei verwaist eine Liftstation – meine Premiere zum skitouristischen Freecamp. Nein, hier denkt man nicht an Ischgl, auch wenn die Lichter der Großstadt Reutlingen bis hier auf 800 m hochfunkeln.

Die Sonnenstunden beider Tage ließen die Freude wachsen, doch der Radler kann es nicht ohne zu klagen: Warum nur soviel Wind? Es traf mich später noch schlimmer, mit Sturm und Regen, der Ausklang des Ostersonntags dann doch wieder stimmungsvoll – eine Corona der besonderen Art – die bunte Krone des Regenbogens. Ich konnte noch in der Sonne aalen, ein See am Albrand bot gar noch ein arg kühles Bad.

Die Runde war mit 192 km und 2615 Hm etwas kürzer und einfacher als gedacht, dafür hatte ich Freitag schon eine große Tagestour mit 140 km und 2000 Hm vorgelegt, die auch schon über die Sonnenbühler Alb führte. Also waren es eigentlich 3 Tage Alb mit aber nur einer Übernachtung unterwegs. Doch was zählt schon, wenn dieser traurige Schleier nicht fortwehen möchte. Die Stille hat ein neues Gesicht bekommen – sogar auf der Alb.

Tour en detail:

Sa 11.4. Stuttgart - Leinfelden - Steinenbronn - Waldenbuch - Dettenhausen - Pfrondorf - Kirchentellinsfurt - Degerschlacht - Reutlingen - Pfullingen - Lichtenstein - Holzelfingen - Salach Bergstation (801 m)
73 km | 1205 Hm

12.04. Salach-Bergstation - Ohnastetten - Kohlstetten - Gomadingen -Marbach - Ödenwaldstetten - Bernloch - via Waldpiste - Rinnental - Undingen - Genkingen - Gönningen - Alteburg -Ohmenhausen - Betzdorf - Kirchentellinsfurt - Pfrondorf - Dettenhausen - Waldenbuch - Steinenbronn - Echterdingen – Stuttgart
119 km | 1410 Hm

Fotoimpressionen – virenfrei:

Gleich viermal ging es in drei Tagen fast identisch über die Schönbuch-Hügelroute via Waldenbuch und Pfrondorf und vice versa, hier die „gelbe“ Samstagsvariante über Einsiedel:



Ein Blickfang inmitten der Obstblüte: Der Degerschlachter Wasserturm, noch Voralb zwischen Neckar und Reutlingen:







Bahntrassenwegradeln nahe der Großstadt: Leichtes Anradeln zur Alb zwischen Reutlingen und Pfullingen unter einem Blütendach:



Ein Karsterscheinung bildet die Echaz mitten in Lichtenstein (Ortsteil Unterhausen), wo gleich die Holzelfinger Steige beginnt:



Eher einer der kleineren Albaufstiege, dennoch an felssturzgefährdeten Hängen vorbei, endet die Steige namensgebend im kleinen Bauernort Holzelfingen, mittlerweile aber auch mit ein paar Gewerbeansiedlungen:



Mehr noch, ist Holzelfingen ein Skizentrum der Alb. Das klingt übertrieben, aber am Salach ist nicht der einzige Skilift, wenig weiter sind mit der Skiarena Heutal sogar Lokalitäten vorhanden, die noch auf echte Winter hoffen. Einen zweckentfremdeten Nutzen haben die recht gepflegten Wiesen auch zur Osterzeit:



Zwischen Stahleck (Ruine und Gasthof) und der „Theaterstube“ Würtingen gibt sich der Älbler in Ohnastetten recht belesen:





Der Verfall hat auch immer wieder seine morbid schönen Seiten, in Corona-Zeiten hat es auch schon etwas düsterhaft Bedrückendes – so könnte die Welt bald ganz aussehen?



Gezeichnete Bushaltestellenkultur in Kohlstetten, ein Kleinod noch oberhalb der Lauterquelle mit vielen historischen Ortsmarken:



Der Bahnhof Kohlstetten ist mehr Anziehungspunkt als Café und Restaurant mit Albspezialitäten, die in diesen Zeiten aber nur zum Kartenstudium ausliegen. Erstaunlich, sogar das Albbähnle tuckerte zur ersten Morgenfahrt am stillsten Ostern aller Zeiten:



In Offenhausen entspringt die Große Lauter, zugleich auch ein prominenter Gestütshof wie auch weiter unten in Marbach. Besucht habe ich die Orte aber schon sommerlicher Zeit des Vorjahres. Diesmal bleibe ich in Höhenlage oberhalb der Lauter bis Gomadingen (Route nach Bernloch):



Es erwischt doch einige. Man denkt, ist der Dachs auch ein Corona-Opfer? Wenig später war es eindeutiger: Der Stockente war der Kopf abgeschlagen worden (ich erspare euch den Anblick). Das Auto bleibt auch in Virus-Zeiten gefährlich bis in den Tod:



Der beliebte Albbäcker in Gomadingen ist ein paar Häuser weiter umgezogen, was an (zumindest diesen) Ostern wenig wissenswert ist. Ein weiteres Lauterzeichen im Bilde, hier zur Tradition der Mühlen an der Lauter:





Etwas effektvoll hervorgehoben, die typische Heidelandschaft der Alb an der Großen Lauter:



Von Marbach hinauf durch Wald, ist das Wegenetz für Radler nochmals größer. Manche Hütte steht am Rande – sie war offen und sogar eine frische Bierdose vorhanden – kontaktlose Gratis-Gastronomie à la Alb, garantiert zufällig, denn geschenkt wird auf der Alb auch nix:



Ödenwaldstetten, eines mehrerer weit verteilter Ortsteile der Gemeinde Hohenstein, ist das verwaltungstechnische Zentrum (Rathaus), lädt zu einem Bauernhausmuseum ein (Öffnung wäre ohnehin nicht vor Mai), bietet zu ausgewählten Betriebszeiten Albspezialitäten an, überrascht mit einer kleine Lokalbrauerei samt Gasthof, beherbergt ein Backhaus (nicht exklusiv, sondern ortsüblich in dieser Albregion) und hat wohl kauzige Bewohner, die gleichwohl lesegierig scheinen. Die fahle Osterdeko wurde dem düsteren Zeitgeist angepasst:









Nächster Teilort Bernloch, auch ein hübscher Flecken Erde:





Mehr ein kleines Wirtschaftszentrum ist schon Engstingen, gleich zwei recht prominente Kirchen warteten diesmal vergeblich auf Gläubige. Der Heilige Geist auch diesmal eher machtlos, stattdessen mächtig viel Holz im Umland:





Eine Art Gedankenweg führt hinaus, hier die Denkstätte zur „Kunst der kleinen Schritte“:



Auch schon aus einem Forumsrätsel bekannt: Der Kältepol der Alb und einer der in ganz Deutschland: Das Rinnental der sprichwörtlich kontrastierenden Sonnenbühler Alb, umher wird sogar Golf gespielt – gewiss diese Ostern nicht:





Eigentlich schon Kulisse am Gönninger See, hier etwas weiter entfernt in besserer Perspektive – der Roßberg – oben war ich noch nie:



Der Ausklang ist Wetter – die Farben, die Stimmungen, Ostern mit Corona, leuchtende Krone – es bleibt eine Bitterkeit in Gedanken, die Träne, mal Trauer, mal Freude.