Re: Westliche Pyrenäen 2019

von: Tom72

Re: Westliche Pyrenäen 2019 - 26.02.20 21:44

20. Tag (19.07.2019), Zugfahrt Huesca – Canfranc-Estación

Heute steht im Wesentlichen die Zugfahrt nach Canfranc-Estación auf dem Programm. Der Ort liegt auf etwa halber Höhe der Auffahrt zum Puerto de Somport. Dort endet seit etwa 50 Jahren die ehemalige internationale, die Pyrenäen durchquerende Bahnlinie von Saragossa nach Pau. Bereits auf meiner Pyrenäen-Tour 2016 hatte ich die Bahnverbindung genutzt (allerdings damals vom direkt am Fuß der Pyrenäen gelegenen Jaca aus, während die Fahrt ab Huesca noch deutlich länger ist); und wie damals werde ich anschließend den Rest der Somport-Auffahrt aus eigener Kraft absolvieren, um wieder auf die französische Pyrenäen-Seite zu wechseln.

Auf der ehemaligen pyrenäenüberquerenden internationalen Bahnstrecke, die vor Jahrzehnten auf der französischen Seite stillgelegt wurde, verkehren derzeit täglich nur zwei aus einem Triebwagen bestehende Züge pro Tag von Saragossa über Huesca und Jaca nach Canfranc-Estación, aber immerhin mit Fahrradmitnahme. Ich habe mich für den Zug am Nachmittag entschieden (kurz vor 17.00 Uhr), weil mir der am Vormittag zu früh ist, da ich mich auch noch ein wenig in Huesca umsehen möchte (obwohl ich mir von der Stadt nicht allzu viel verspreche und sie vor allem wegen der Zugverbindung ausgewählt habe).

Ich stehe spät auf und mache ausgiebig von der Badewanne mit Whirlpool-Funktion in meinem Hotelzimmer Gebrauch (der zweite Whirlpool dieser Reise nach dem Hotel auf dem Col du Pourtalet), dann checke ich so spät wie möglich aus, lasse mein Gepäck an der Hotelrezeption und radle kreuz und quer zum Sightseeing durch die Innenstadt. Entsprechend meinen geringen Erwartungen hat Huesca keine besonderen Höhepunkte zu bieten, weswegen ich mich auch mit dem Fotografieren zurückhalte. Hier die Kathedrale



und hier die Stierkampfarena.



Immerhin bekomme ich in einer der Altstadtgassen ein vorzügliches Mittagessen. Schließlich hole ich mein Gepäck aus dem Hotel und begebe mich zum Bahnhof; es handelt sich, wie ich das schon häufig in Spanien erlebt habe, um einen gesichtslosen modernen Zweckbau.

Die Bahnfahrt dauert knapp drei Stunden; sie führt durch kaum besiedelte, karge, aber beeindruckende Landschaften über Sabiñánigo und Jaca am Fuß der Pyrenäen, wo ich auf meiner Tour vor drei Jahren in den Zug eingestiegen bin, so dass ich die restliche Strecke ab dort bereits kenne. Die Bahnlinie (und die Straße zum Puerto de Somport) folgt ab Jaca dem Tal des Río Aragón aufwärts, der namensgebend für die Autonome Gemeinschaft Aragonien ist und unterhalb des Somport-Passes entspringt. Gegen 19.40 Uhr erreiche ich Canfranc-Estación.

Der Triebwagen wirkt etwas verloren vor dem im Vergleich riesigen, heute ungenutzten Empfangsgebäude.



Ich gebe hier zum eisenbahnhistorisch sehr interessanten Bahnhof Canfranc der Einfachheit halber nochmal meinen Text aus meinem Bericht von meiner 2016er-Pyrenäen-Tour wieder: Die umfangreichen, heute weitgehend ungenutzten Bahnanlagen mit dem eindrucksvollen, über 200 m langen historischen Bahnhofsgebäude wirken seltsam überdimensioniert und in dem engen Hochgebirgstal irgendwie deplatziert.

Die internationale Bahnstrecke Pau – Saragossa wurde 1928 eröffnet. Die Strecke von Frankreich aus führte durch einen ca. 8 km langen Tunnel unter dem Somport-Pass, dessen südliches Portal unmittelbar nördlich des Bahnhofs von Canfranc liegt. Der auf spanischem Gebiet gelegene Bahnhof Canfranc war die Grenzstation, in der aufgrund der unterschiedlichen Spurweiten umgestiegen werden musste – auf der einen Seite des Empfangsgebäudes endeten die normalspurigen Gleise der französischen Strecke nach Durchquerung des Somport-Tunnels, und auf der anderen (auf der auch mein Zug angekommen ist) endeten (und enden noch heute) die Gleise in iberischer Breitspur der spanischen Strecke von Saragossa über Jaca kommend. Der französische Abschnitt war, anders als der spanische, von Anfang an elektrifiziert.

Die Strecke hat während der gut vier Jahrzehnte ihres Betriebs nie die erwartete Bedeutung für den internationalen Bahnverkehr erlangt und hat sich wohl letztlich als Fehlplanung erwiesen. Sie konnte als Gebirgsbahn mit entsprechend langen Fahrzeiten im Endeffekt nicht mit den schnelleren Bahnverbindungen zwischen Frankreich und Spanien an der Atlantik- und der Mittelmeerküste konkurrieren. Deshalb nahm die SNCF den Einsturz einer Brücke infolge eines Bahnunfalls 1970 als willkommenen Anlass, die Strecke auf französischer Seite stillzulegen. Seitdem findet nur noch auf der spanischen Teilstrecke ein bescheidener Bahnverkehr nach Canfranc-Estación statt; derzeit täglich zwei Regionalzugpaare von Saragossa über Jaca.


Ich hatte schon vor längerer Zeit gelesen, dass das historische, nunmehr funktionslose Bahnhofsgebäude dem Verfall preisgegeben sei und war bereits vor drei Jahren umso überraschter, dass offenbar in neuester Zeit mit der Renovierung begonnen wurde – der gesamte Dachbereich ist augenscheinlich in jüngerer Zeit komplett und originalgetreu erneuert worden.



Der Ort Canfranc-Estación besteht im Wesentlichen aus einer Gebäudezeile entlang der Hauptstraße gegenüber dem Bahnhof. Dort sind auch einige Hotels; ich frage in einem davon nach einem freien Zimmer. Ich bekomme ein recht preiswertes, mit dem ich sehr zufrieden bin, und erfahre gleichzeitig, dass der Campingplatz ein Stück oberhalb des Ortes an der Passstraße, den ich auch in Erwägung gezogen hatte, über dessen Existenz ich im Internet aber widersprüchliche Informationen fand, tatsächlich nicht mehr existiert.

21. Tag (20.07.2019), Canfranc-Estación – Oloron-Ste.-Marie und Wanderung auf den Pico de Canal Roya
Strecke: ca. 70 km
Höhenmeter: ca. 580


Heute ist der letzte Fahrtag. Ich werde ein letztes Mal den Pyrenäen-Hauptkamm über den 1640 m hohen Puerto de Somport überqueren und somit eine mir von meiner Pyrenäentour drei Jahre zuvor schon bekannte Strecke wiederholen. Auch damals war ich mit dem Zug bis Canfranc-Estación hinaufgefahren. Aus der Erinnerung weiß ich daher, dass die nun verbleibende restliche Auffahrt zum Pass (es sind nur noch etwa 500 Höhenmeter) landschaftlich einiges zu bieten hat und angenehm zu fahren ist, wozu auch beiträgt, dass ein großer Teil des Durchgangsverkehrs den Pass durch einen 2003 eröffneten unterhalb des Ortes beginnenden Straßentunnel unterquert und die Strecke über den Pass daher angenehm wenig motorisierten Verkehr aufweist. Von Astún oberhalb der Passhöhe habe ich außerdem eine Wanderung auf den 2345 m hohen Pico de Canal Roya geplant, auf der ich in Sichtweite des Pic du Midi d’Ossau unterwegs sein werde und damit nur wenige Kilometer von der Route meiner vor neun Tagen vom Col du Pourtalet aus unternommenen Wanderung entfernt.

Bevor ich losfahre, sehe ich mir nochmal den Bahnhof an, der das Ortsbild dominiert; hier der Blick von der Hauptstraße, an der auch mein Hotel liegt, über den direkt vor dem Bahnhof verlaufenden Río Aragón auf das Empfangsgebäude. Davor steht noch der Triebwagen, mit dem ich gestern Abend hier angekommen bin; er wird kurz darauf als erste von zwei der heutigen Zugverbindungen wieder über Jaca und Huesca nach Saragossa abfahren. Am Geländer des Bahnsteigs hängt ein Transparent mit dem Slogan „¡¡Reapertura!!“. Ob dieser Ruf nach Wiedereröffnung lediglich einen frommen Wunsch nach der durchgehenden Wiederinbetriebnahme der Strecke durch den Somport-Bahntunnel zwischen Spanien und Frankreich zum Ausdruck bringt oder Bezug nimmt auf aktuelle Entscheidungen, die dies tatsächlich realistisch erscheinen lassen, weiß ich nicht; jedenfalls habe ich später gelesen, dass derzeit die zuständigen Akteure eine durchgehende Wiederherstellung ernsthafter prüfen und vorbereiten als in den vergangenen 50 Jahren.



Unmittelbar nördlich des Bahnhofs endet der Passtunnel der stillgelegten französischen Strecke. Die Gleise sind demontiert. Die Passstraße, auf der mich mein Weg gleich aufwärts Richtung Puerto de Somport führen wird, verläuft direkt oberhalb des Tunnelportals. Auch 50 Jahre nach der Betriebseinstellung stehen noch die Oberleitungsmasten und hängen noch Reste der Fahrleitung. Die spanische und französische Flagge am Portal hingen dort, als ich das letzte Mal hier war, noch nicht; auch dies vielleicht ein Hinweis darauf, dass die Reaktivierung der Bahnstrecke durch den Passtunnel aktuell ernsthafter als bisher in Erwägung gezogen wird?



Die mir ja bereits bekannte Auffahrt zum Somport ist von der Steigung her nicht allzu anstrengend, führt aber landschaftlich sehr reizvoll durch einige schöne Serpentinen und ist bei Radfahren sichtlich sehr beliebt und insbesondere von Rennradfahrern stark frequentiert.



Spätestens ab dieser Stelle wurde mir bei meiner Tour vor drei Jahren der Blick auf die umliegenden Berge durch tiefhängende Wolken verwehrt. Diesmal habe ich aber Glück und bei blauem Himmel einen ungestörten Landschaftseindruck.





Ich habe daher, als ich den 1640 m hohen Somport-Pass erreiche (wenn ich richtig gezählt habe, erreiche ich hier zum sechsten Mal auf der Reise die Grenze und zum fünften Mal den Pyrenäen-Hauptkamm), klare Sicht, während ich drei Jahre zuvor hier oben wegen des Nebels nicht allzu viel sehen konnte.



Bevor ich allerdings vom Pass auf der französischen Seite hinunterrolle, fahre ich die an der Passhöhe abzweigende, etwa zwei Kilometer lange Stichstraße weiter aufwärts zum Wintersportort Astún, von wo aus ich noch eine Wanderung geplant habe. Deren besonderer Reiz besteht darin, dass ich mich, diesmal von Westen her, nochmal dem Pic du Midi d’Ossau annähern werde, in dessen unmittelbarer Umgebung ich ja bereits vor gut einer Woche vom nicht viel mehr als 10 km Luftlinie östlich des Puerto de Somport gelegenen Col du Pourtalet aus gewandert bin.

In dem Skiort ist auch jetzt im Sommer einiges los, da viele Wanderer unterwegs sind, und auch ich schnüre hier das letzte Mal auf der Reise meine Wanderschuhe. Einer der Sessellifte ist für die Wanderer in Betrieb; ich entscheide mich aber, aus eigener Kraft aufzusteigen, auch wenn die Skipisten, über die der Weg führt, außerhalb der Wintersaison keinen allzu schönen Anblick bieten.



An der Bergstation des Skilifts hat eine Hütte geöffnet, wo ich eine kurze Imbisspause einlege.



Kurz darauf komme ich an einem kleinen Bergsee vorbei, von dem aus der Weg weiter ansteigt bis zu einem Pass, über den die Grenze zu Frankreich verläuft (im Bild im rechten Viertel).



Vom Pass (Collado de Astún) ergibt sich der Blick auf den Pic du Midi d‘Ossau und rechts davon den Pic Peyreget, auf dessen Gipfel ich vor acht Tagen vom Col du Pourtalet aus gewandert bin.



Vom Ziel der Wanderung, dem 2345 m hohen Pico de Canal Roya, reicht der Blick bis zur nur noch wenige Kilometer entfernten Straße über den Col du Pourtalet knapp unterhalb des Passes, wo ich letzte Woche von Laruns kommend hochgefahren bin (im Bild etwa in der Mitte, leider zu klein, um es zu erkennen; links nochmal der Pic du Midi); ich erkenne in der Ferne auch den Parkplatz, von dem ich am folgenden Tag meine Wanderung zum Pic Peyreget gestartet habe. Hätte ich etwas mehr Zeit, könnte ich weitergehen und würde bald auf meine Wanderroute von neulich treffen.



Aber ich kehre, nachdem ich den Gipfel des Pico de Canal Roya erreicht habe, um und marschiere zurück auf einer teilweise etwas anderen Route, die mich an einem weiteren kleinen Bergsee vorbei (natürlich immer mit Blick auf den Pic di Midi) führt, zurück über den Collado de Astún auf die spanische Seite und zur Bergstation des Sessellifts.



Angesichts der noch recht langen heute zu fahrenden Strecke nach Oloron-Ste.-Marie (auch wenn es nur noch abwärts geht) nehme ich für den Abstieg zurück nach Astún und zu meinem dort wartenden Rad den Lift in Anspruch.



Als ich zurück am Puerto de Somport bin, kommen von der französischen Seite, auf der ich jetzt hinunterfahren werde, tiefhängende Wolken heraufgezogen, so dass ich nun wieder ungefähr dieselbe Wettersituation habe wie bei meiner letzten Passüberquerung drei Jahre zuvor (damals hatte es dann später auch noch angefangen zu regnen, so dass ich am Ende die letzten 20 bis 30 km im Regen fahren musste). In meinem Bericht dazu hatte ich ja scherzhaft die Vermutung geäußert, dass dies die Strafe bzw. der Zorn der Berggötter für meinen Frevel war, mich teilweise mit dem Zug „heraufzumogeln“… schmunzel (Wobei ich auf der aktuellen Tour die Situation Sonne und blauer Himmel auf der spanischen Seite/Nebel und Regen auf der französischen Seite ja auch schon mehrfach hatte). Ich bin aber froh, dass ich die Wanderung noch bei vernünftigem Wetter durchführen konnte.

Die Abfahrt ist trotz der tiefen Wolkendecke landschaftlich reizvoll. Auch nach der Stelle, an der der Verkehr aus dem Somport-Straßentunnel wieder auf die Passstraße geführt wird, bleibt das Kfz-Aufkommen erträglich.





Parallel der Straße sieht man die Viadukte und Tunnel der stillgelegten Bahnstrecke zum Somport-Passtunnel und nach Canfranc-Estación.



Die Bahnstrecke wurde, kurz nachdem ich das letzte Mal hier war, bis Bedous, etwa auf halber Strecke zwischen Oloron-Ste.-Marie und dem Somport-Passtunnel, wieder in Betrieb genommen.

Bei diesem Bahnviadukt bei Escot, das schon im wiedereröffneten Abschnitt der Bahnstrecke liegt, schließt sich der Kreis; der geneigte und geduldige Leser schmunzel wird sich an das entsprechende Foto von vor 10 Tagen erinnern, das ich an gleicher Stelle (und bei deutlich weniger bewölktem Wetter) gemacht habe, bevor ich, aus der Gegenrichtung, also von unten, kommend die Somport-Passstraße, auf die ich erst wenige Kilometer unterhalb, von Westen kommend, gestoßen war, Richtung Col de Marie-Blanque wieder verlassen habe.



Und ziemlich genau hier beginnt auch aus der tiefhängenden Wolkendecke der Regen, der zwar zu erwarten war, von dem ich aber gehofft hatte, dass er mir erspart bleiben würde. Also fahre ich doch wieder, genau wie das letzte Mal vor drei Jahren, die letzten 20 km bis Oloron-Ste.-Marie im Regen. Er ist allerdings etwas schwächer als damals, trotzdem bin ich froh, als ich endlich Oloron erreiche (das Gefälle der Straße ist längst nicht mehr ausreichend, um es rollen zu lassen, so dass ich engagiert strample, um die Regenfahrt möglichst zügig zu beenden). Der Blick von dem am Fuß der Pyrenäen gelegenen Städtchen zurück auf die Gebirgskette, der offenbar recht malerisch ist, bleibt mir wegen des Mistwetters somit zum zweiten Mal verwehrt. Es ist schon recht spät. Ich steuere auf der Unterkunftssuche zunächst das Hotel von vor drei Jahren an, aber die Rezeption hat schon zu. Im einfachen und preiswerten, aber sympathischen Hotel „Le Bristol“, das damals geschlossen war, habe ich dafür diesmal Glück.



Und ich muss – es regnet immer noch – das Hotel auch gar nicht mehr verlassen, denn im zugehörigen, sehr gut besuchten Restaurant bekomme ich in sehr netter Atmosphäre zu einem sehr fairen Preis ein ausgezeichnetes viergängiges Menü. Ich bin sehr zufrieden mit dem heutigen letzten Fahrtag und der letzten Wanderung.

Fortsetzung folgt…