Re: Westliche Pyrenäen 2019

von: Tom72

Re: Westliche Pyrenäen 2019 - 26.01.20 23:29

16. Tag (15.07.2019), Wanderung im Valle de Ordesa (Faja de Pelay)

Schon im Anfangsstadium der Reiseplanung hatte ich eine Wanderung im Ordesa-Tal als einen der Höhepunkte festgelegt. Hierzu erschient mir der Tourenvorschlag Nr. 21 im Rother-Wanderführer „Pyrenäen 1“ am vielversprechendsten: Eine sehr ausgedehnte Wanderung, die von Pradera de Ordesa zunächst hoch oben in den steilen Hängen des Canyons bis zu dessen Ende führt, bis zu einem an einen Pferdeschweif erinnernden Wasserfall (Cascada Cola de Caballo), und dann unten im Talgrund wieder zurück. Hierfür gibt der Wanderführer 6 ¾ Stunden und 870 Höhenmeter an. Aber ich habe den ganzen Tag Zeit; ich werde heute nochmal auf dem Campingplatz in Torla übernachten und kann daher Zelt und Gepäck stehenlassen.

Bereits gegen 8 Uhr bin ich an der unterhalb des Ortskerns von Torla gelegenen Haltestelle für den Bustransfer nach Pradera de Ordesa. Da Pradera, das im Wesentlichen aus einem großen Parkplatz besteht, der wichtigste Ausgangspunkt für Wanderungen im Valle de Ordesa ist und die Straße dort hinauf für PKW in den Sommermonaten gesperrt ist, sind die Busse entsprechend voll; im gerade abfahrbereiten Fahrzeug bekomme ich gerade noch den letzten Platz. Der nächste Bus steht aber schon bereit und wäre wohl auch recht bald losgefahren.

Die etwa 300 Höhenmeter von Torla nach Pradera de Ordesa überwindet der Bus über ein schmales Serpentinensträßchen, das sich landschaftlich spektakulär emporschlängelt und nur an einigen Stellen die Begegnung mit entgegenkommenden Bussen ermöglicht. Verständlich, dass hier in der Hauptsaison kein Individualverkehr zugelassen ist. In einigen engen Kurven am steilen Hang wird mir tatsächlich etwas mulmig…

In Pradera de Ordesa endet die Straße; ab hier ist das Valle de Ordesa nur zu Fuß zugänglich. Meine Wanderung beginnt gleich mit dem anstrengendsten Teil, dem langen und steilen Aufstieg zum Aussichtspunkt Mirador de Calzilarruego auf einer Höhe von 1950 m; bis dorthin sind etwa 600 Höhenmeter zu bewältigen.



Die Aussicht vom Mirador auf die steilen Felswände des Canyons ist grandios und entschädigt für die bisherigen Mühen des Aufstiegs. Diesen haben sich allerdings auch zahlreiche andere Wanderer, teilweise auch in größeren Gruppen, unterzogen; allein bin ich hier oben nicht.





Ab hier verläuft der Weg bis zum Ende des Canyons entlang der Faja de Pelay, wobei Faja die in der Gegend häufig vorkommende Bezeichnung für einen im Steilhang verlaufenden Höhenweg (Gesimsweg) ist. Über mehrere Kilometer kann ich nun immer neue Blicke tief hinunter ins Tal, in dem der Río Arazas fließt, und auf die gegenüberliegenden Felswände genießen.





Schließlich kommt das Ende des Tals in Sicht. Darüber erhebt sich das Massiv der „drei Schwestern“, „las Tres Sorores“, mit dem 3355 m hohen Monte Perdido in der Mitte.



Wer hier nicht , wie ich, nur auf einer Tageswanderung unterwegs ist, dem bieten sich ab dem Ende des Ordesa-Tals für weiterführende mehrtägige Touren vielfältige Möglichkeiten, zum Beispiel nach einer Übernachtung im oberhalb des Tals gelegenen Refugio de Góriz der weitere Aufstieg zur Brecha de Rolando an der von hier nur wenige Kilometer entfernten Grenze zu Frankreich und weiter in den Nationalpark auf der französischen Seite mit dem Felsenkessel des Cirque de Gavarnie.



Für mich geht es aber nur bis zum Talende, wo die Cascada Cola de Caballo („Pferdeschweifwasserfall“) ein beliebtes Ziel für Wandertouren ist. Hier mache ich nochmal eine längere Rast und vertilge meine letzten Proviantvorräte (Einkehrmöglichkeiten gibt es im Ordesa-Tal oberhalb von Pradera de Ordesa nicht).





Der Rückweg verläuft unten im Tal; linkerhand die Felswände, unterhalb derer ich oben im Hang entlang der Faja de Pelay hierher gekommen bin.



Die Wanderung war bis hierher schon recht lang und anstrengend, aber der Rückweg im Tal kommt mir nochmal besonders langwierig vor und scheint schier kein Ende zu nehmen. Ich bin froh, als ich Pradera de Ordesa erreiche und im Bus sitze. Ich war über acht Stunden unterwegs und spüre meine Füße. Ich genieße noch einmal den leichten Nervenkitzel der Busfahrt durch die abenteuerlichen Serpentinen hinunter nach Torla und lasse den Tag zufrieden mit einer Pizza ausklingen, denn hungrig bin ich auf alle Fälle nach der wunderschönen, aber auch, vor allem aufgrund ihrer Länge, recht anstrengenden Wanderung.

17. Tag (16.07.2019), Torla – Aínsa
Strecke: ca. 50 km
Höhenmeter: ca. 190


Nach zwei Nächten auf dem Campingplatz mit der wunderbaren Aussicht baue ich mein Zelt ab, frühstücke im hübschen Ortszentrum von Torla und fahre zurück auf der Straße, auf der ich vorgestern vom Puerto de Cotefablo herabgekommen bin (N 260). Ich rolle ein paar schöne Serpentinen hinab nach Broto, von wo ich einen letzten Blick zurück auf die Felswände des Valle de Ordesa werfen kann.



Ziel der nicht allzu langen heutigen Etappe ist das sehr hübsche Städtchen Aínsa, das ich bereits von meiner 2016er Pyrenäen-Tour kenne. Dorthin folge ich weiterhin der Nationalstraße N 260, der „Pyrenäischen Achse“ („Eje pirenaico“), die bis Aínsa im Wesentlichen nur abwärts verläuft, wenn auch überwiegend zu flach, um es nur rollen zu lassen. Diese Pyrenäen-Ost-West-Hauptachse ist zwar trotz ihrer verkehrlichen Bedeutung angenehm schwach befahren, aber auch landschaftlich ohne Besonderheiten. Landschaftlich wesentlich reizvoller, aber auch sehr reich an Höhenmetern, wäre das nördlich (oberhalb) davon parallel von Sarvisé kurz unterhalb von Broto über Fanlo und Escalona verlaufende Sträßchen (HU 631) gewesen. Aber auch, als ich vor drei Jahren in umgekehrter Richtung hier entlanggekommen bin, habe ich diese Option nicht wahrgenommen – auf alle Fälle ein Versäumnis.

An dieser Stelle bei Fiscal zweigt eine vor einigen Jahren völlig neu trassierte Variante der „Eje pirenaico“ N 260 vom alten Streckenverlauf ab; diese direkte Verbindung nach Sabiñánigo, die am höchsten Punkt durch einen knapp 3 km langen Tunnel führt, hatte ich vor drei Jahren, von Aínsa kommend, aus Zeitgründen genommen (in meinem Bericht Tag 15), anstatt, wie vorgestern, die interessantere Strecke über den Puerto de Cotefablo und Biescas zu fahren.



Die mir bereits bekannte Strecke nach Aínsa ist wie gesagt ohne besondere landschaftliche Höhepunkte. Seltsamerweise habe ich sie trotzdem vom letzten Mal als interessanter in Erinnerung.



In Aínsa habe ich bei meinem letzten Aufenthalt im Hotel übernachtet, weil ich dachte, es gebe keinen Campingplatz. Inzwischen bin ich besser informiert. Der Campingplatz ist ein ganzes Stück vom Ortszentrum entfernt, was dazu führt, dass man von dort, insbesondere von der Terrasse des Restaurants, einen wunderbaren Blick auf die auf einem Bergrücken gelegene Altstadt hat.



Bevor ich nach dem Zeltaufbau in die Altstadt zum Abendessen fahre, mache ich mir Gedanken über den weiteren Verlauf der Reise, denn meine grobe Planung endet hier in Aínsa, den Rest hatte ich bewusst offengelassen. Unter Berücksichtigung einer zweitägigen Bahn-Rückreise (von wo aus auch immer) verbleiben mir nun noch vier Fahrtage. Eine Idee, nämlich vielleicht doch noch die Pyrenäen vollständig zu durchqueren und die Tour in Katalonien und am Mittelmeer zu beenden, hat sich damit im Grunde bereits erledigt, da ich erst ziemlich genau in der Mitte zwischen Atlantik und Mittelmeer bin. Ich fasse erstmal einen Plan für den morgigen Tag: Eine Tour in die Schlucht des Cañón de Añisclo, die sich mit einer in meinem Wanderführer beschriebenen Wanderung verbinden lässt; die Strecke entspricht dem östlichen Teil der oben angesprochenen landschaftlich vielversprechenden Straße von Sarvisé nach Escalona (HU 631), die ich bereits heute alternativ hätte nehmen können (aber in die andere Richtung), so dass ich dieses Versäumnis teilweise nachholen kann. Anschließend werde ich wieder nach Aínsa zurückkehren, so dass ich mein Zelt stehenlassen kann und mich gleich noch an der Rezeption für eine weitere Nacht anmelde. Wie ich die letzten dann verbleibenden drei Tage gestalten werde, das werde ich mir dann morgen Abend überlegen.

Von meinem letzten Aufenthalt in Aínsa weiß ich, dass es um den am höchsten Punkt der malerischen Altstadt gelegenen zentralen Platz (Plaza Mayor) zahlreiche Restaurants gibt (die neueren Viertel unterhalb sind eher unansehnlich). Von den Mauern der Burg (Castillo) hat man einen schönen Blick auf die umliegende Bergwelt und auf die Plaza Mayor, auf der ich den Tag mit einem vorzüglichen Abendessen vor der den Platz umgebenden historischen Kulisse ausklingen lasse.







Fortsetzung folgt…