Re: Westliche Pyrenäen 2019

von: Tom72

Re: Westliche Pyrenäen 2019 - 22.01.20 23:14

14. Tag (13.07.2019), Col du Pourtalet – Escarilla und Wanderung zum Ibón de Anayet
Strecke (Rad): ca. 15 km


Ich verlasse nach zwei Nächten im Hôtel du Pourtalet endgültig die Passhöhe.



Heute habe ich aber nur eine sehr kurze Strecke eingeplant und werde nur etwa 15 km bis zum nächsten größeren Ort, Escarilla, hinabrollen, da als Hauptprogrammpunkt für heute bereits die nächste längere Wanderung vorgesehen ist. Ziel ist der 2225 m hoch gelegene Ibón de Anayet, ein Bergsee am Fuß des 2545 m hohen Pico Anayet, eines markanten Gipfels, der weniger als 10 km Luftlinie vom Pic du Midi entfernt ist. Auch die Idee für diese Wanderung habe ich meinem Wanderführer entnommen (Rother-Verlag, „Pyrenäen 1“, Tour 1). Dass ich mich gestern spontan für eine weitere Übernachtung auf der Passhöhe entschieden habe, anstatt gestern Abend noch nach Escarilla hinunterzufahren, passt insoweit sehr gut, denn sonst hätte ich heute zum Ausgangspunkt der Wanderung wieder gut 10 km zurück- (und hoch-)fahren müssen.

Kurz nach Beginn der Abfahrt vom Pass begrüßt mich ein Schild in Aragonien (Comunidad Autónoma de Aragón).



Bereits nach wenigen Kilometern stelle ich das Rad am Beginn der Stichstraße zum Skigebiet Formigal-Anayet ab, schnüre die Wanderschuhe, vertraue darauf, dass mein Gepäck bei meiner Rückkehr noch da ist und marschiere los, hinauf zu den zu dieser Jahreszeit stillstehenden Liftanlagen.



Nachdem ich die Skistation und die Lifte hinter mir gelassen habe, führt mich der weitere Aufstieg durch die herrliche, unberührte Berglandschaft.



Ich erreiche nach gut 600 m Aufstieg den höchsten Punkt der Wanderung, vor mir erhebt sich der 2545 m hohe Pico Anayet.



Von hier bietet sich ein fantastischer Blick auf das Ziel der Tour, den Ibón de Anayet in 2225 m Höhe. Ibones ist vor allem in Aragonien die Bezeichnung für kleine Gebirgsseen eiszeitlichen Ursprungs. Das Panorama umfasst links den Pico Anayet und reicht rechts bis zum Pic du Midi, den ich bei meiner gestrigen Wanderung aus nächster Nähe bewundern konnte.





Der Pico Anayet



und nochmal der Pic du Midi



Ich bin begeistert von der einsamen Hochgebirgslandschaft; der See ist nur zu Fuß zu erreichen. Einige der nicht allzu vielen Wanderer, die hier oben anzutreffen sind, sind offenbar auf längeren Touren unterwegs – würde ich von hier weiter gehen, wäre es zur Straße über den Somport-Pass kaum weiter als zurück zur Straße über den Pourtalet, von der ich gekommen bin; man müsste nur auf der anderen Seite des Ibón durch ein Tal, den Canal de Roya, abwärts gehen und käme ein paar Kilometer unterhalb (südlich) des Puerto de Somport auf die Passstraße (dass ich am Ende der Reise in einer Woche auch dort vorbeikommen werde, wusste ich hier noch nicht, da meine ursprüngliche Planung den Puerto de Somport zunächst nicht vorsah).

Für mich geht es aber nach einer Umrundung des Ibón de Anayet auf dem gleichen Weg wieder hinunter zu meinem Fahrrad, und dann rolle ich weiter hinunter Richtung Escarilla. Die Straße verläuft entlang des Stausees Embalse de Lanuza.



Nach nur etwa 10 km erreich ich Escarilla; dort gibt es einen Campingplatz, auf dem ich mein Zelt aufschlage.

15. Tag (14.07.2019), Escarilla – Torla
Strecke: ca. 40 km
Höhenmeter: ca. 620


Ziel für heute ist Torla, von wo aus ich für morgen eine Wanderung im Parque Nacional de Ordesa y Monte Perdido geplant habe, eine der landschaftlich spektakulärsten Regionen der Pyrenäen, auf die ich sehr gespannt bin.

Aufbruch vom Campingplatz in Escarilla



Zunächst geht es weiter abwärts auf der vom Col du Pourtalet herabführenden Straße (A-136), bis ich nach ca. 15 km Biescas erreiche.





Im hübschen Ort Biescas habe ich vor sechs Jahren (2013) bei meiner Überquerung des Pourtalet übernachtet, um dann auf der A-136 weiter abwärts zu fahren bis Sabiñánigo, und von dort weiter westwärts bis in die Picos de Europa. Diesmal verlasse ich aber hier die vom Pourtalet herunterführende Hauptstraße und biege auf die etwas oberhalb des Ortes nach Osten abzweigende Nationalstraße N 260 ab, die mich parallel des Pyrenäen-Hauptkamms über den Puerto de Cotefablo nach Torla führen wird.

Vorher kehre ich in Biescas zum Mittagessen ein und werfe noch einmal einen Blick auf mein damaliges Hotel.



Die Carretera Nacional N 260, auch als „Eje pirenaico“, also „Pyrenäische Achse“, bezeichnet, verläuft auf der spanischen Seite auf fast der gesamten Länge der Pyrenäen in West-Ostrichtung parallel zum Hauptkamm. Auf meiner Durchquerung der Pyrenäen vom Mittelmeer zum Atlantik 2016 (dort Tag 15) bin ich ihr mehrfach über jeweils längere Abschnitte gefolgt. Die Strecke über den Puerto de Cotefablo kenne ich allerdinge noch nicht, da ich damals über eine weiter unterhalb verlaufende, völlig neu trassierte Variante der N 260 gefahren bin, die nun als die Hauptroute der „Eje pirenaico“ gilt, weshalb die ursprüngliche (und landschaftlich reizvollere) Trasse, auf der ich nun unterwegs bin, als N 260 a bezeichnet wird.



Die Auffahrt auf den 1423 m hohen Puerto de Cotefablo ist nicht besonders anspruchsvoll; nach 13 km und bescheidenen 600 Höhenmetern erreiche ich den Pass. Es ist eigentlich kein Pass im klassischen Sinne, sondern die Straße durchsticht an ihrem Höhepunkt den Berg durch einen kurzen Tunnel, so wie beim vor einigen Tagen überquerten Port de Larrau.



Nach dem Passtunnel erwartet mich eine schöne, 11 km lange Abfahrt.

Unten im Tal liegt Broto, wohin ich übermorgen weiter hinabrollen werde; jetzt zweige ich erstmal auf das Sträßchen ab, das mich nach wenigen Kilometern nach Torla führen wird, dem „Tor“ zum Parque Nacional Ordesa y Monte Perdido.



Kurz darauf der erste Blick auf die Landschaft des Nationalparks mit dem Canyon des Valle de Ordesa. Dass diese beeindruckend sein würde, darauf war ich ja eingestellt, und deshalb habe ich ja auch zwei Übernachtungen in Torla und eine Wanderung im Ordesa-Tal eingeplant. Trotzdem ist der erste Gedanke, der mir bei dieser Aussicht durch den Kopf geht: „Wow!“



Torla, kurz vor der Grenze des Nationalparks malerisch vor der Kulisse der hoch aufragenden Felswände gelegen, ist der wichtigste Ausgangspunkt für Wanderungen im Valle de Ordesa. Der Ort ist von seiner Infrastruktur daher ganz auf die Bedürfnisse der Wanderer ausgelegt mit Hotels, mehreren Campingplätzen und Geschäften für Trekking- und Outdoor-Bedarf, hat aber trotzdem den Charme eines Bergdorfes weitgehend bewahrt. Mir ist der Ort sofort sympathisch.



In der Tourismusinformation hole ich mir die nötigen Auskünfte für die morgige Wanderung. Die Straße in den Nationalpark ist ab dem oberen Ortsausgang, jedenfalls in den Sommermonaten, für den Individualverkehr gesperrt; auf meine Nachfrage heißt es, dass das auch für Fahrräder gelte. Die Serpentinenstraße hinauf zum Parkplatz in Pradera de Ordesa, von dem die meisten Wanderer ihre Tour im Ordesa-Tal starten (auch mein Plan sieht das vor), komme man mit den regelmäßig etwa alle halbe Stunde (und zurück bis in die späten Abendstunden) verkehrenden Bussen. Obwohl ich mir nicht so recht vorstellen kann, dass die Auffahrt nach Pradera de Ordesa auch für Radfahrer gesperrt sein soll, hinterfrage ich das auch nicht weiter; angesichts der für morgen ins Auge gefassten langen Wanderung, für die mein Wanderführer 6 ¾ Stunden veranschlagt, kommt mir der Bustransfer sehr gelegen; zusätzlich mehrere hundert Höhenmeter mit dem Rad wäre mir wirklich, sowohl leistungs- als auch zeitmäßig, zuviel gewesen.

Von den mehreren Campingplätzen entscheide ich mich für den Camping Ordesa, zu dem ich vom Ortszentrum noch ein Stück weiter ins Tal hineinfahre.



An der Rezeption fragt man mich, ob ich eher einen Platz im Schatten oder in der Sonne haben möchte – angesichts der grandiosen Landschaft gilt meine Präferenz jedoch in erster Linie einer schönen Aussicht. Ich werde daher zum hintersten Ende des Platzes geführt, von wo sich ein wirklich traumhafter Blick auf die steilen Felswände des Valle de Ordesa eröffnet. Überraschenderweise ist dieser Bereich des Campings trotz guter Auslastung und des fantastischen Ausblicks noch weitgehend frei. Perfekt; hier baue ich mein Zelt auf und bin sehr zufrieden und voll der Vorfreude auf die morgige Wanderung.



Fortsetzung folgt…