Re: EUSKAL HERRIA – Land des Baskischen

von: veloträumer

Re: EUSKAL HERRIA – Land des Baskischen - 21.03.19 21:45

EUS-1 Jeder Anfang hat ein Ende: Der Wiederschein des Pirineosaurus im Höhlenraum – Die Côte Basque und das gepfefferte Hinterland zwischen Biarritz, La Rhune, Isturitz und Bayonne, manchmal etwas vernebelt

Sa 16.6. [Stuttgart Fr 15:00 h ICE || Paris Gare de l'Est – Paris Gare Montparnasse TGV || Fr 23:50 h] Bayonne – Phare de l'Adour – Golf Chiberta |||| Plage d'Anglet – Biarritz/Rocher de la Vierge – Bidart/Plage Etxerri – Plage Parlamantia – Guéthary – via Velodysée – St-Jean-de-Luz/Point de Ste-Barbe – via D 918 – Ascain – Col St-Ignace (169 m) – Sare – Ainhoa – Col de Pinodiétta (176 m) – Espelette – Camping Beeper Gorri – Espelette – Haranéa (+)
84 km | 11,0 km/h | 1195 Hm
Ü (Golf Chiberta): C frei, (Haranéa): C frei
AE (Espelette): H/R Chez Tscheoneke: Omelette m. Speck & Pfeffervariationen; Hähnchenfilet m. Kart., Karotten & Saucenvar.; Melone m. Zitronensorbet, Sirup & Basilikum; Rotwein, Café 33,90 €

Fr 20.7. St-Étienne-de-Baïgorry – Eyheralde – La Bastide/Bordazar Berfoa (300 m) – Eyheralde – Eyharce – Osses – Irissarry – Hélette – Grottes d'Isturitz et d'Oxocelhaya – Isturitz – Hasparren
63 km | 12,7 km/h | 950 Hm
B: Grottes d’Isturitz et d’Oxocelhaya 11 €
Ü: C Terrasses Xapitalia 17,50 €
AE: H/R Les Tilleuls: Salade Gourmande m. Ziegenkäse; Ente m. Kart. & Gem.; Zitronecème; Rotwein, Weißwein, Café 36,80 €

Sa 21.7. Hasparren – Route impériale des Cimes (D 22) – Bayonne 16:55 h Intercités || 20:21 h Toulouse Matabiau 22:58 h Intercités Nuit || 7:00 h (So) Paris Gare d'Austerlitz
33 km | 13,0 km/h | 510 Hm
AE (Toulouse): u.a. Rinderfilet mit Beilagen, Bier

[Fortsetzung Rückreise, nicht Teil des Berichts: So 22.7. Paris Gare d'Austerlitz – Gare de l'Est 8:21 h Intercités || 12:45 h Strasbourg – Etang de Blauelsand – via Rheindamm – Barrage de Gambsheim – Drusenheim – Beinheim – Rastatt 22:34 h || 23:56 Karlsruhe-Durlach – Grötzingen – Durlach || Stuttgart (Mo-Morgen) (97 km)]

Ein Morgen, nebelfeuchte gepflegte Wiese, kraklige Kiefern, vom Küstenwind gezeichnet hängen fast horizontal in der Luft. Golfplatz am Meer, Wellenrauschen unter dunklen Wolken, unwirklich entließ mich der Bahnhof in die feuchte Nebelsuppe der Nacht. Ich war etwas gerädert. So heißt es, wenn er Radler konfus ist. Eigentlich mehr benebelt. War jetzt Freitag oder Samstag? Sogar der Morgen war nicht eindeutig, es könnte auch Abend sein. Ein Bruch der Welten, hier am Meer, die Möwen, Sand hinaufgeweht auf die Blanken des Küstenlaufweges, Fahrräder verboten, dahinter schmucke Bürgervillen in rotem Fachwerk. Nur wenig deutet auf Schickeria hin, eher ein verschwiegener Fluchtpunkt am Ende der Welt. Die See rau, wild, laut und schweigend zugleich. Über die Dünengräser streift eine vertraute Luft, ein Hauch von Heimat – auch Rückkehr ist immer eine Form von Heimatgefühl. Mein weiß nie, welche Vorgeschichte die Gene hatten. Ich begann mich meines Auftrages zu besinnen, an Pirineosaurus zu denken.



Ich hörte Gerüchte. Es sollte neue Schriften von Pirineosaurus geben. Und Höhlenzeichnungen. Bis zum Hügel von Gaztelu war es nicht weit, nicht mehr als eine Tagesetappe, wenn die Schotten dicht halten. Ich sehe eine Möwe am Meeressteg in Biarritz neben den ausgehöhlten Felsbögen, vom Salzwasser perforiert, die Brandung spritzt weit in die Höhe. Mit durchdringendem Blick mustert mich eine Möwe als wollte sie etwas sagen. Die Möwe von Cerbère? Ich begann zu träumen. Ich weiß nicht mehr wie lange. Es könnten fünf Wochen gewesen sein.

Später, nach einem Traum, früher Abend, das Land liegt unter Wolken, grau, leichte Tropfen rieseln alsbald.
„Es gibt zwei Höhlen – Isturitz und Oxocelhaya“, betonte die Höhlenführerin und drückte mir einen Stapel Papier in die Hand.
„Pirineosaurus“, vermerkte ich trocken. Die braunen Augen der Frau weiteten sich zu fragender Größe, ohne dass dabei ihre Gesichtszüge unsympathischer wurden.
„Pirineosaurus? Nein, hier gibt es keine Saurier, besser: es gab sie nicht. Es sind Höhlen, einst von Menschen bewohnt, auch von Tieren ja. Aber keine Saurier. Schauen sie mal im Museum da vorne“, versuchte die Dame belehrend zu erläutern. Sie war offensichtlich nicht ganz im Bilde. Pirineosaurus war ja vielleicht gar kein Saurier. Aber man müsste ihn kennen hier, wenn man Höhlenexpertin sein will. Die Hieroglyphen des Papiers waren nicht zu entziffern. Ich fotografierte die Seiten, auch wenn ich große Schwierigkeiten auf mich zukommen sah, das Geschriebene jemals entschlüsseln zu können.

Während des Höhlenrundgangs mit Felszeichnungen von Tieren und der zweiten Höhle mit Tropfsteinen – herrliche Kathedralen der Stalagmiten und Stalaktiten! – bemerkte die Höhlenführerin etwas von einer dritten Höhle, noch nicht ganz erforscht, so eine ausflüchtige Randnotiz. Man gebe sich Mühe sie demnächst zugänglich zu machen. Diese Geheimnistuerei – offensichtlich möchte man unangenehme Fragen verhindern, denke ich. Wahrscheinlich werden Beweise beseitigt und Spuren manipuliert. Aber ich bleibe höflich und schweige.



Die Ausgangstür ist weiter unten, eine Treppe hoch zum Eingangsbereich. Wieder Tageslicht, wenn auch wenig. Ich starrte auf die Kopien des Papiers, letzte Besucher verließen den Platz. Dann vernahm ich ein tiefes Brummen und Grollen, als käme es aus der Höhlentür. Es entstieg Wolkennebel, noch mehr Nebel, dichter, immer mehr Wolkennebel und hörte nicht mehr auf. Ich musste mich fortwärts beeilen. In Hasparren hat es einen Camping., hoffentlich außer Reichweite der Wolke. Empfang freundlich.

„Wo fahren Sie denn rum?“ fragte die Empfangsdame
„Von Bayonne nach Bayonne, ein langer Traum, abseits der Welt, auch auf die Fußball-WM kann ich verzichten“, antwortete ich.
„Die ist ja jetzt vorbei…“
„Ach, tatsächlich? – habe gar nicht mitbekommen, wer Weltmeister wurde“, warf ich gleich ein.
„Ach, das kann doch nicht sein!“ staunte sie ungläubig.
„Doch, doch“, fügte ich an und gab Interesse vor. „Wer hat denn jetzt den Pott gewonnen?“
Die Dame lächelte breit und zeigte auf sich. Also Frankreich. Und ich dachte, hier wären alle Basken? Ich gratulierte trotzdem artig. Es kam mir unwirklich vor: War ich jetzt auf Reise gewesen oder nicht? Sicher war aber – schon unheimlich: Wieder schnüffelte ich auf einer vermeintlichen Reise in dem Land, dass dann auch Welt- oder Europameister wurde. Zwar nicht am Tag des Finales, aber drumrum. Als Maskottchen musste ich für Frankreich schon im Jahr 2000 herhalten – zur EM. Andere profitierten auch: Italien (WM 2006), Spanien (EM 2008). Ich unterließ es, der Frau meine übersinnlichen Fähigkeiten zu unterbreiten. In Spanien schüttelte mir deswegen ein Hotelier so sehr die Hand, dass sie fast abfiel. Das muss ich nicht nochmal erleben.

Nur blieb die Frage, wie die Zeit schon vorbei sein konnte. War ich nicht erst gestern in Bayonne eingefahren? Freitag oder Samstag, ich konnte es nicht mehr auseinanderhalten. Was passierte dazwischen außer einer Fußball-WM? Die Wolken waren ja fast gleichgeblieben – nur jetzt noch größer. Es zeigte sich, lange würde der Camping auch keinen Schutz bieten – vor dieser Höhlenwolke von Isturitz.
Im Ort noch mehr freundliche Menschen. Ich erzählte im Restaurant einem Hotelgast etwas von Pirineosaurus. Er schien nicht alles zu verstehen, fühlte sich aber doch zu Dank verpflichtet und spendierte mir den Rest seiner Weinflasche. Hatte ich dann passend Weißwein zur Ente und Rotwein zum Ziegenkäsesalat.



Wieder Samstagmorgen, oder immer noch? Der Höhlennebel des Vorabends hatte das ganze Land in tiefste Wolken gelegt, keine Sicht, nicht auf die hohen Pyrenäen nach Süden, nicht einmal die Hügelchen der Route impériale de Cimes im Norden trauten sich durch die atlantische Gicht zu schauen. Ich musste fort, um nicht ganz blind zu werden – trotz Markt in Hasparren – Gâteau Basque mit Kirschen, 7 Euro das Stück, Spezialitäten haben ihren Preis. Die Wolken – es war mir bald verdächtig genug: es musste der Atemnebel von Pirineosaurus sein. Alle Geschichten, aller Glanz des Landes sollte in Geheimnisse getaucht werden.

Baiona, Stunden später. Ich kam aus dem Nichts. Über der Stadt klarte es langsam auf, die Nebelwände nach Süden bleiben dicht. Später vom Zug aus noch deutlicher: die ganzen Pyrenäen hüllten sich in einen tiefgrauen Wolkenschleier, auch in Lourdes, dem Wunderort. Wunder – kann ich sie entschlüsseln?

„Nein, eine solche Sprache kennen wir nicht. Es ist vielleicht ein ganz alter baskischer Dialekt, Aber es gibt keine Wörterbücher dafür. Das dürfte kaum einer übersetzen können“, so kommentierte die Buchhändlerin im elkar am Place de l‘Arsenal mit Spezialsortiment baskischer Literatur meine Kopien von Pirineosaurus‘ Aufzeichnungen. Ich musste mich am Kopf kratzen, wie sollte ich die Geheimnisse entschlüsseln? Ohne Hilfe von Wörterbüchern, ohne Literaten, die die prähistorischen Dialekte noch kennen? Ich suchte stattdessen baskische Musik aus. Vielleicht hilft sie mir bei Einfällen. Gegenüber gibt es ein Pub „Le Pétit Velo“, Mann mit grünem T-Shirt in der Tür. Noch so ein komischer Zufall, denke ich. Zufälle gibt es nicht, denke ich später.



Ich deckte mich mit Spezialitäten aus Espelette-Pfeffer ein: Brotaufstrich aus Schokolade, Schokolade selbst, Konfitüre, Senf, Fleur de sel – alles mit rotem Pfiff. Schinken diesmal keiner, aber noch ein Malwerk – die steilen Fassadentürme Bayonnes, eigener Stil, schöne Sandfarben, auf Holz aufgetragen. Noch einmal Wind am Kai, dann war die Reise zu Ende. Oder am Anfang. Mal wieder hatte ich das Zeitgefühl verloren. Die Schriften von Pirineosaurus arbeiteten schwer in mir. Aber ich verstand sie nicht mehr. Den Dialekt, die Sprache hatte er geändert. Und mir schossen Bilder durch den Kopf. Keine prähistorische Erzählkunst, aber so könnte es mal wieder gewesen sein, als Pirineosaurus unterwegs gewesen war.

Vieles spricht sogar dafür, dass er dort gelebt hat. Nicht nur die Papiere aus Isturitz. Oder er lebt. Dieser unglaubliche Nebel, mehr als ein Biskaya-Tief verbreiten kann. Es musste dafür andere Gründe geben. Vielleicht die dritte Höhle, die unbekannte. Das Grollen im Berg mit der Stahltür. Dann kam eine weitere Erinnerung in mir hoch. Auch in Ekain – wie konnte ich da gewesen sein? – gab es ja diese seltsamen Felsritzungen, auch dort schüttete es aus gigantischen Wolken, Eiskugeln dazu. Verstärkt finden sich die Höhlen an vielen Orten zwischen Lascaux und Kantabrien. Manchmal mitten in den Pyrenäen, mal an den Rändern. Pirineosaurus, vielleicht auch ein wandernder Künstler, vielleicht auch nur immer mal zeitweiliger Gast in den Höhlen? Aber unzweifelhaft, es war – ist? – sein Revier, seine Heimat, immer wieder tauchen seine Spuren auf, wenn ich in die Nähe komme.



Dann steigen mir wieder profane Ferienbilder in den Sinn. Strände erwachen in der Sonne, Strandspaziergängerinnen promenieren mit betont nackten Pobacken, Wellenreiter durchstechen die Schaumkronen, Füße setzen Abdrücke in den goldenen Muschelsand, Meerwasser umschmeichelt prickelig die Haut. Am Horizont taucht der La Rhune mit blitzender rot-weißer Säule auf, so Rot-Weiß wie die Fassaden hier spielen, die Pfefferschoten in den Gassen von Espelette hängen. Die Zunge schmeckt die pikanten Finessen, gebackene Schinkenscheiben erheben sich wie brennende Drachenflügel aus dem Teller, feinster Kakaoschmelz entfaltet seine herb-süßen Aromen im Gaumen. Immer mehr steigen rauschende Farbsinfonien auf, die Kugeln von Früchten, Eis und Pralinen mischen sich mit pastelligen Hortensienbüschen, bis Urwälder in leuchtenden Grüntönen darüber wuchern, im Geruch von Moosfeuchte und Schafskot, eingefangen vom Bouquet aus den Weingläsern über wiederum rot-weißen Tischdecken. Die Gehörgänge füllen sich mit dem Geplätscher der Bergbäche, erheben sich zu tosenden Schwallen der Kaskaden, dazu seltsame Pfeifen und Trommeln ertönen – und doch immer wieder diese hörbare Stille unter Nebelschwaden – diese Quelle von Legenden, Geheimnissen und Träumen – diese Welt zwischen dem Abtauchen und Erwachen, diese Erneuerung von Zellen und Geist in der Unwissenheit, im Schwebezustand.

Wohl besser, wenn ich ein wenig hier davon darstelle, was sich so bei mir abbildete. Als wäre es eine echte Radreise gewesen. Oder als wäre Pirineosaurus unterwegs gewesen. Es ist alles etwas nüchterner als Pirineosaurus es schreiben würde, vielleicht können aber die Bilder in den Schwebezustand entführen. Vielleicht fehlt mir auch die Inspiration, weil ich den Schnaps verweigerte, den mir auf Rückkehr aus Bayonne ein Geburtstagskind im Durlacher Letschebacher Stüble anbot. Da träumte ich auch schon, dass ich irgendwo in Afrika schlief unter Akazienbäume und Giraffenhälsen und mit irgendeinem Abdul durch dunkle Straßenzüge Rad gefahren wäre… Aber es ist eben geträumt – hoffentlich gut genug, um echt zu wirken…

Bildergalerie EUS-1 (99 Fotos, bitte Bild anklicken):



Fortsetzung folgt