Re: EUSKAL HERRIA – Land des Baskischen

von: veloträumer

Re: EUSKAL HERRIA – Land des Baskischen - 20.03.19 23:15

EUS-0b Erlebnisalltag Radreise

Wasser marsch! – das klimatische Puzzlespiel

Donostia hätte ich nicht unterschiedlicher erleben können – einst im Jahre 2004 bei herrlichem Sonnenschein am Nachmittag, diesmal fast kalt und regnerisch-wolkig am Abend. Damit bin ich bei der Witterung, die eine Ursache für den bescheidenen Tourismus im Baskenland sein dürfte. Das atlantische Klima der Biskaya trägt stets Regenwolken heran – in schlechten Jahren wie diesem in ungeheuren Mengen. Strandtage werden zum Lotteriespiel – gewiss kann sich das immer sehr schnell am Tage ändern. Ich erlebte heuer die Fortsetzung der Starkregenfälle, die im Frühjahr und Frühsommer ganze Teile Europas in Besitz nahmen, darunter auch große Teile Spaniens. Zwar waren die Regenmengen nicht mehr ganz so stark, aber doch ungewöhnlich häufig. Insofern gab es auch Parallelen zur Vuelta Verde 2008 und auch zu 2014. Ein Unterschied war jedoch gravierend, nämlich die Erscheinung von Gewittern (selbst bei kühler Luft) inkl. Hagelschlag. Gewitter sind mir trotz meiner zuvor 5 Reisen in die erweiterte Pyrenäen-Region unbekannt gewesen – besonders im Westen. Es ist hier also schon ein Phänomen festzuhalten, das auch Ausdruck des Klimawandels sein könnte.

Während 2008 und 2014 in Deutschland vergleichbar auch schlechte Sommer einhielten (also das Biskaya-Wetter durchzog), war es diesmal anders. Es dürfte mit verschiedenen Effekten zu tun haben, insbesondere aber mit der stabilen Omega-Wetterlage, wobei das Baskenland eher an den instabilen Rändern des Omegas lag. Wohl eher die Ausnahme waren die Rückreisetage, wo sich in allen Teilen von Bayonne nach Toulouse und von Paris bis in die Oberrheinebene ein Schlechtwetterband ausgebreitet hatte. Das ließ mich zunächst irrtümlich spekulieren, dass auch in Deutschland der Sommer feucht und kühl gewesen sei. Die Lufttemperaturen überstiegen selten die 25-°C-Marke, sicherlich nicht öfter als 7 Tage von den insgesamt 5 Wochen (was nicht bedeutet, dass es in der Sonne heiß geworden wäre und ausreichend Schweiß geflossen ist).



Eine weitere Charakteristik macht die Biskaya-Region zu nur einer bedingt günstigen Radreiseregion – die Luftfeuchte! Es handelt sich mehr oder weniger um atlantische Regenwälder, die man durchfährt (gewiss gilt das weniger für südlichen Landesteile). Die hohe Luftfeuchte macht das Atmen schwer und lässt den Schweiß schneller als bei trockener Luft austreten, verdunstet nicht. Die Wolken senken sich bis in die untersten Lagen auf bereits 50 m über Meereshöhe, auch beginnen enge Bergtäler schon auf diesem niedrigen Niveau. Zuweilen ist das Klima durchaus mit den Tropen vergleichbar, obwohl die Temperaturen niedriger sind. Gleichzeitig fühlen sich die niedrigen Temperaturen angenehmer an, zumindest wenn der Wind sich in Grenzen hält. Dieser war mitunter heftig zugange, um das Bad im Meer zu verhindern und den Sprühregen ins Gesicht zu treiben, wirkte aber selten als Bremse. (Die oft diskutierte Frage, ob man wegen vorherrschender Westwinde besser eine West-Ost-Achse im nordatlantische Spanien fahren solle, muss ich hier erneut mit eindeutigen „Nein“ beantworten.)

Die Witterung führt noch zu einem anderen Phänomen. Weil sich immer Wolken über die Berge und Täler legen, versinken Orte oft schon am Tage in großer Düsternis. Es ist nicht zu unterschätzen, dass dies auch depressive Gefühle hervorrufen kann. Die Seele hellt sich auf, wenn man in die wuseligen Kneipentreffpunkte der Dörfer oder Städte eintritt, wo immer eine kommunikative Atmosphäre herrscht, das Leben blüht. So gesehen ist die Region wenig geeignet, sich alleine mit Kocher vors Zelt zu setzen. Die besonderen Witterungsbedingungen der Biskaya und vermeintlich „kleine“ Pässen mit extremen Rampen stellen eine psychisch wie auch physisch große Herausforderung dar.



Harte Berge ohne Höhenrausch

Das Baskenland ist vor allem im französischen Teil nicht einfacher zu beradeln als schwere Alpen- oder Pyrenäenpässe in den Hochlagen, viele Steigungen enorm, nur spielt sich alles etwa 1000-1500 m niedriger ab und ganz lange Anstiege fehlen letztlich (ohne dass dies auffällt). Geografisch gibt es verschiedene Gründe dafür, dass sich heftigsten Steigungen in den französischen Westpyrenäen und wieder ein wenig mehr auch im äußersten Osten von Euskadi sammeln. Beide Gebiete liegen noch im Kernsockel der Pyrenäen einerseits und dem Kantabrischen Gebirge andererseits (s.o.). Hochgebirge entwickeln nicht selten in ihren unteren Höhenzonen markante Gefälle oder Schluchten, worauf ich hier im Detail nicht eingehen möchte.



Neben der allgemeinen Typik von Hochgebirgen kommt im französischen Baskenland ein eher sozioökonomischer, agrarischer Grund hinzu. Die eher gemäßigten Bergkuppen eignen sich nahezu alle komplett zur extensiven Bewirtschaftung mit Schafen, Kühen und Pottoks – ganz im Gegensatz zu den schrofferen, mehr zerklüfteten und trockeneren Ostpyrenäen zum Mittelmeer hin. Entsprechend wurden die meisten Winkel mit Almwegen erschlossen, mittlerweile fast alle asphaltiert oder betoniert. Die Straßen haben aber nur lokale Bedeutung, dienen nicht dem Transit von Waren oder Menschen – und wenn, waren es Fußpilger. Entsprechend hat man diese Wege selten nach der Kunst des bergaffinen Straßenbaus angelegt, sondern eher improvisiert, letztendlich also häufig übermäßig steil. Auf der spanischen Seite ist das auch aus topografischen Gründen weit weniger ausgeprägt.



Dem höchsten Berg in Euskadi, dem Aizkorri mit 1548 m (diverse abweichende Höhen werden angegeben, auch unterscheidet man die Dreiergipfelkette noch, sodass auch Aitxuri als höchster Berg angegeben wird, was aber nicht dem üblichen Sprachgebrauch vor Ort entspricht) kam ich in Zegama am nächsten. In der Höhe blieb ich auf dieser Tour aber mit ca. 1100 m auf dem Niveau meiner „niedrigsten“ Reisen überhaupt, obwohl der Schwierigkeitsgrad eher im oberen Bereich lag. Entscheidend höhere Straßenpunkte sind auch kaum zu finden, in meinem Zielgebiet wohl nur der Pico Orzanzurieta (1567 m), der vom Ibañeta-Pass erreichbar ist und meiner Streichliste zum Opfer fiel. Weitere Berge und Pässe, die ans unterste Hochgebirgsniveau heranreichen, finden sich erst im hier nicht beradelten östlichsten Baskenland des Pyrenäenkamms zwischen Spanisch-Navarra und Französisch-Soule.

Radlerisch musste ich gleich zu Anfang einige Abstriche machen, weil ich mich mit meinen Planungen selbst überfordert hatte. Opfer wurden vor allem schwierige Stichstraßen auf exponierte Berge, sodass einige „Prestigeprojekte“ ausfielen, darunter auch der symbolträchtige La Rhune. Ein weiterer größerer Ausfall wurde die Nordwestecke mit einer geplanten Grenzüberschreitung nach Kantabrien und einer weiteren prähistorischen Höhle (Cueva de Covalanas). Die Tour war insgesamt gesehen letztlich ein Stück schwieriger als es vielleicht die Zahlen sagen. Starke Schwankungen etwa in den Berggradienten waren nicht selten, sodass der Tagesmittelwert nichts über die realen Schwierigkeiten einzelner Abschnitte sagt.

Wie schon zu erahnen, machte auch die Witterung Adhoc-Änderungen nötig. Mangelnde Fitness besonders zu Anfang der Reise tat ihr Übriges. Dabei zeigte sich einmal mehr eine gute Planung mit flexibler Routenführung, weil ich darauf vertrauen konnte, einige Kürzungen auf spätere Abschnitte zu verlegen, die ich als weniger attraktiv bzw. landschaftlich redundant einschätzte. Zum Schluss musste ich mir einen Puffertag erarbeiten, weil nicht klar war, ob ich sonst den Pyrenäenkamm überwinden kann und rechtzeitig Baiona erreichen würde (diese Sorge erwies sich als berechtigt).



Natur und Industrie – Klischee und Lebensrealität

Generell ist Euskadi, insbesondere die Nordprovinzen Gipuzkoa und Bizkaia, ziemlich dicht besiedelt, enge Bergtäler werden ähnlich wie in Andorra auch baulich stark ausgereizt, vielfach in die Höhe (nicht selten denkt man an Plattenbauten, manchmal aber auch sehr modern und schick bemalt wie etwa in Eibar oder Vitoria, nicht selten mit Fahrstühlen die Stadtteile verbunden), weil der Platz fehlt. Fabriken (alte wie neue) strecken sich entlang der engen Täler. Agrarisches Leben mit Kühen, Schafen und Pottok-Ponys auf Bergweiden stehen oft neben solchen Gewerbeanlagen. Es gibt dazwischen auch immer wieder entschleunigte Orte und einsame Wald- und Bergrouten, man muss aber auch stets mit plötzlich auftretender Urbanisation und Industrieanlagen rechnen. Es ist wohl auch deswegen nicht ganz verwunderlich, dass es zwar viele Naturparks gibt, keinen einzigen Nationalpark aber.



Euskadi (etwas anders als das französische Baskenland und Navarra) ist also kein herausgeputzter Touristenfleck und pure Natur, sondern ein lockerer Cluster aus Natur- und Kulturlandschaft, aus stimmungsvoller Stille, landwirtschaftlicher Idylle und gewerblichen wie verkehrsintensiven Aktivitäten nahe nebeneinander. Wer einem ungestörten Naturideal hinterherläuft, ist hier eher falsch, denn die Naturteile des Landes muss man auch immer wieder auf Wegen überbrücken, die eine moderne Gesellschaft in Gänze abbilden – es ist wenig Platz zum Verstecken. Umso mehr lernt man den Blick für Natur schätzen, die nicht immer das ist, was man als spektakulär bezeichnen würde, aber doch ein Pol der Besinnung und schweigenden Schönheit wie etwa die zahlreichen Wälder, die meist ein Stück urtümlicher sind als das, was wir aus den mitteleuropäischen Wirtschaftswäldern kennen (was aber nicht heißt, dass es dort keine Forstwirtschaft gibt). Nicht zufällig ist der Baske auch ein eifriger Wanderer, obwohl er hochgebirgige Sensationen nicht erwarten kann.

Die Wohnungen der Blockbauten sind selten gemütlich oder geräumig, wie ich in Arrasate auch mal von innen sehen konnte. Hier zeigt sich doch das niedrigere Einkommensniveau gegenüber Deutschland, was wiederum auf dem Marktplatz oder in Pintxo-Bars manchmal nicht so sichtbar ist. Das Leben verlagert sich mehr nach außen, und die Bescheidenheit macht sich am privaten Besitz aus. Hingegen spart man weder an Kindereinrichtungen, noch an öffentlichen WCs oder den überall zu findenden Trinkbrunnen. Was die Fabriken fertigen, konnte ich nur selten erkennen, häufig und traditionell sind Papierindustrie (auch wegen der Wasserkraft in den gefällstarken Tälern), moderner Plastikformen, Logistikunternehmen, Maschinentechnik, Informationstechnologie oder auch Nahrungsmittelindustrie wie etwa Konserven für Gastronomiebetriebe. Die Spuren der Textilindustrie und von Eisengießereien in den Pyrenäen Navarras sind hingegen schon weitgehend zu verwunschenen Orten eines naturüberwucherten Zeitenzerfalls geworden.



Spanisch-baskische Küche – eher überschätzt

Der Frischeaspekt im spanischen Baskenland steht doch dem in französischen Teil recht stark nach, was sich in den weit weniger stattfindenden Märkten ausdrückt. Auffällig sind einige Besonderheiten, etwa dass Spargel auch in Restaurants als Konservenprodukt und Spezialität angeboten wird (aus Navarra) und Spargelkonserven manchmal die Dimension von Fischdosen oder Oliven in den Regalen einnehmen (die man dort eher erwartet).

Im spanischen Baskenland war die Restaurantküche leider häufig enttäuschend. Die lieblose Darreichung von nahezu unbegleiteten Fleisch- oder Fischgerichten lässt nicht vermuten, dass das Baskenland zu den Gourmetregionen zählen soll (wie häufig zu lesen). Restaurant mit Tischgedeck ist nach wie vor auch keine Domäne, in mittleren Orten oft kaum zu finden. Es werden dort ausschließlich Pintxos (Tapas) gereicht – also ein für mich gewöhnungsbedürftige Häppchenkultur, selten mit geeigneten Sitzgelegenheiten. Andererseits werden die Pintxos wiederum mit großer Liebe zubereitet, was einen auffälligen Kontrast zum Restaurantessen aufzeigt. Oft kann man Pintxos schon als Frühstück einnehmen. Bessere Pintxo-Bars sind natürlich eine Kostenfalle. Hat man sich durchprobiert, ist nicht selten Geld in Menühöhe weg.



Menüs gibt es in Restaurants auch selten, à la carte sind sie meist überteuert. Nimmt man hingegen nur Platos Combinados (vollwertige Tellergerichte) oder Snacks ein, kann es günstig werden. Eigenartig ist die räumliche Trennung beider Darreichungsformen, manchmal nur durch eine Banderole getrennt und durch die Tischdeko. Meist kann man Restaurantessen nicht draußen einnehmen, sondern muss Innenräume, evtl. Keller aufsuchen, wo dann nur wenig Leute in steifer Atmosphäre sitzen. Undenkbar etwa in Frankreich, aber auch in Deutschland. Wiederum selten finden sich typische Pintxo-Bars auf französischen Boden, die natürlich einen Teil des spanischen Straßenlebens ausmachen, das ja auch seine schönen Seiten einer unkonventionellen, flexiblen und redseligen Verköstigung hat. Ich bleibe da etwas gespalten zurück – manchmal finde ich das gut, manchmal weniger.

Die Sterne- oder Besserrestaurants beschränken sich auf wenige Orte, die man zuvor studieren sollte, ergeben sich nicht logisch aus einer Restaurantfülle umher (das Gourmetrestaurant des in Spanien bekannten Fernsehkochs Karlos Arguiñano entdeckte ich zufällig unweit des Stadtstrandes von Zarautz – allerdings außerhalb der Betriebszeit am Morgen). Die besten Zufalls- bzw. Durchschnittsergebnisse zu Tische bekommt man in Landgasthöfen, die mal in kleinen Dörfern oder alleinstehend zu finden sind, aber nicht überall. Die Esskultur ändert sich in der eher kastilisch geprägten Rioja-Region Álavas, wo sich sowohl luxuriöse Bodegas, teils mit Hotelbetrieb, mitten auf dem Land anbieten, ebenso wie das Restaurantessen zu Tisch auch in den Orten eher schon Standard ist.



Bett & Bike

Es sei hier auch erwähnt, dass eine derartige Reise nicht ohne Wildcampen zu praktizieren ist, denn Campings sind im spanischen Binnenland eine Seltenheit und selbst Festunterkünfte sind abseits der Pilgerrouten nicht ausreichend vorhanden. Es gibt auch abgelegen häufiger Ferienwohnungen, die sich aber nicht unbedingt für Spontanbesuche und Einzelreisende eignen. Nicht zuletzt kam es daher auch wieder zu recht abenteuerlichen Nachtplätzen, die nicht der Etikettennorm des Radreiseforums entsprechen dürften. Trotz der manchmal abenteuerlichen Bedingungen landete ich so nur einmal in einer Festunterkunft, einem Agroturismo-Betrieb/Landgasthof, wo das Rad gleich ins Zimmer gefahren werden durfte (zwischen Elorrio und Elgeta).



Große Störungen und Defekte, Unfälle etc. hatte ich nicht, trotzdem lernte ich viele Radläden kennen. So ersetzte ich ausgeleierte Radschuhe, eine defekte Sonnenbrille, die Wandersandalen (die nicht bewandert wurden), ließ mein Kurbel nachziehen, kaufte Radhandschuhe und Radsocken. Meine für diese Reisen erworbenen Reifen Continental Contact Traveller haben sich nicht bewährt, waren zu schwer und laufunfreundlich und ich wäre mit leichteren, mehr straßenaffinen Reifen wie Schwalbe Marathon Racer (oder jetzt Supreme) auch auf den Offroad-Strecken zurecht gekommen. Einige Probleme ließen sich ohnehin nicht ausschalten, etwa wenn auf nebel- bzw. sprühregenfeuchte Straße dünne Moosschichten oder Schafskot diese zu glitschigen Rampen machen, auf denen die Räder durchdrehen.

Fortsetzung folgt